In der aktuellen Tagesausgabe vom 14.07.2020 (vgl. Neue Westfälische, S.4 „Ohne Schule verlieren Kinder Erlerntes“) stößt ein Interview mit Bildungssoziologin Professorin Dr. Bettina Kohlrausch, Professorin für „Gesellschaftliche Transformation und Digitalisierung“ an der Universität Paderborn ein Problem an, das bereits seit Jahren diskutiert wird. Kinder, die aus bildungsfernen Familien stammen sind in ihren Lernleistungen benachteiligt. Durch die aktuelle Situation erhält das Thema neue Relevanz, denn die Corona Zeit verschärft die soziale Ungleichheit.
Niklas Hanke (Von Studierenden für Studierende)
Im Schuljahr 2018/2019 verfügten 67,8% aller schulischen Verwaltungseinheiten in der Primar- und Sekundarstufe I über Ganztagsangebote. 45% aller Schüler*innen dieser Stufen nahmen am Ganztagsschulbetrieb teil. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass 55% aller Schüler*innen nicht den Ganztagsschulbetrieb als Angebotsform nutzte. In Corona Zeiten fand nur sehr wenig Ganztagsbetreuung statt, sodass weitaus mehr als 55% aller Kinder und Jugendlichen auf die Unterstützung der Eltern angewiesen waren. Die Lernmöglichkeiten der Schüler*innen hängen durch die Pandemie also mehr als je zuvor von den Ressourcen der Eltern ab. Diese Ressourcen stehen in Zusammenhang mit dem Bildungshintergrund und den finanziellen Mitteln der Eltern. (vgl. https://www.ganztagsschulen.org/de/38045.php) und (vgl. Neue Westfälische, S.4 „Ohne Schule verlieren Kinder Erlerntes“).
Der Bildungsbericht 2020 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung fasst zusammen, dass der Einsatz digitaler Medien im Hochschulbereich und der Weiterbildung weit verbreitet ist, seltener jedoch im schulischen Bereich. Großen Entwicklungsbedarf gibt es bei der Ausstattung von Schulen und Einrichtungen der frühen Bildung. Ebenfalls wird in dem Artikel geschildert, dass der Erfolg digital unterstützter Lernprozesse maßgeblich von einem didaktisch sinnvollen und kritisch reflektierten Einsatz digitaler Technologien abhängig ist (vgl. https://www.ganztagsschulen.org/de/39535.php).
Gerade in den letzten Monaten, als der Schulstoff nur durch digitale Medien vermittelt werden konnte, war der Umgang mit digitalen Endgeräten für das Lernen essenziell. Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern haben hier gleich zwei Nachteile. Zum einen haben nicht alle Schüler*innen Zugang zu einem digitalen Endgerät. Zum anderen brauchen Eltern „ein Verständnis für die spezifischen Strukturen digitaler Medien und die Fähigkeit eines reflektierten und kritischen Umgangs mit Informationen“, so Professorin Dr. Bettina Kohlrausch in der Neuen Westfälischen, um ihre Kinder im Umgang mit digitalen Medien angemessen unterstützen zu können. Wenn die benötigten Kompetenzen jedoch nicht erfüllt werden, führt dies zwangsläufig dazu, dass Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern weniger lernen als Kinder aus Elternhäusern, die diese Kompetenzen erfüllen. Es besteht die Gefahr, dass die sowieso schon bestehende soziale Ungleichheit noch mehr verschärft wird.
Eine Möglichkeit, den so verpassten Schulstoff wieder aufzuarbeiten ist es, dass Schuljahr zu wiederholen. Politiker*innen betonen jedoch, dass kein Kind „aufgrund von Corona“ sitzen bleiben müsse. Doch was passiert mit den Schüler*innen, denen ein Viertel der Lerninhalte eines Schuljahres fehlt? Wie sollen sie den jetzt verpassten Unterrichtsstoff jemals wieder aufholen? Fragen, mit denen sich das Bildungssystem möglichst schnell befassen muss, um die soziale Ungleichheit nicht noch mehr zu verschärfen.