In den letzten Wochen hatten wir gleich drei Veranstaltungen des ZeKK, die live und vor Ort stattfinden konnten. Vor zwei Wochen die große internationale Prophetologiekonferenz an der Universität, letzte Woche die beglückende Lesung mit Navid Kermani in der Stadt, gestern die Präsentation des neuen Buches zu Maria im Koran, das Muna Tatari und ich geschrieben haben und das wir im internationalen Expertenkreis diskutiert haben. Ich merke, wie gut es tut, wieder realen Menschen zu begegnen und nicht mehr nur am Bildschirm zu forschen: Die kleinen Gespräche zwischendurch, die Diskussionen bis tief in die Nacht hinein, die Wahrnehmung der kleinen Zwischentöne durch den Blick hinter die Bildschirme, die Freundschaften, die eben lebendigen Austausch brauchen und nicht nur den elektronischen Transport von Wissen. All das beflügelt mich. Forschung in der Komparativen Theologie ist eben nicht nur allein am eigenen Schreibtisch möglich, sondern braucht die Begegnung von Menschen verschiedener Religionen und Kulturen.
Paderborn kann stolz darauf sein, in welcher Intensität solche Begegnungen jetzt wieder Woche für Woche am ZeKK stattfinden und der Stadt ein weltoffenes, buntes und forschungsstarkes Gesicht geben. Ich bin froh und dankbar, dass ich dreizehn Jahre mithelfen durfte, dieses Gesicht mitzuprägen. Wie schön, dass ich jetzt mit so vielen lebendigen Eindrücken nach Bonn zurückkehren kann – in der festen Zuversicht, dass sich das ZeKK mit Zishan Ghaffar als neuem Leiter wunderbar weiterentwickeln wird.
Klaus von Stosch ist Professor für Katholische Theologie und Vorsitzender des Zentrums für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften (ZeKK) an der Universität Paderborn.
Seit gut einer Woche bedrängen uns täglich Szenen über schreiende Not und Ohnmacht in Afghanistan.
Die 28-jährige Bürgermeisterin in Maidan Shar Sarifa Ghaffari teilte vor einer Woche in deutschen Medien mit, dass sie jetzt, nachdem die Taliban Afghanistan zurückerobert haben, um ihr Leben fürchten muss, weil sie gewagt hat, als Frau politisch aktiv zu werden. Ihren Vater haben Islamisten bereits im vergangenen Jahr getötet.
Eine Woche später gehört sie zu den wenigen, die mit ihrer Familie nach Deutschland evakuiert werden. Eine von Unzähligen.
Auch Vertreter der Taliban sehen wir auf unseren Bildschirmen, mit Gewehren, wie sie Menschen bedrohen, und ohne Gewehre, wie sie uns versichern, sich geändert zu haben und mit Warnungen davor, sie wirtschaftlich zu isolieren. Schon jetzt, solange sie noch kurze Zeit wenige ausreisen lassen, haben sie Frauen verboten, unbegleitet aus dem Haus zu gehen, und allen afghanischen Menschen, das Land zu verlassen.
Die „Mission“ des politischen Westens, Afghanistan vor der Talibanherrschaft mit Waffengewalt und Humanität zu bewahren und Demokratie zu ermöglichen, ist gescheitert.
Gewalt, Freiheitsberaubung, Entrechtung, Morde, Zensur, im Namen Gottes.
Die Geschichte lehrt uns, dass durch Waffen erzwungene Befriedung langfristig nicht möglich ist. In den Heiligen Schriften unserer Religionen und in philosophischen Schriften lernen wir, dass bleibender Frieden an Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität mit den Schwachen gebunden ist. Mit Gottes Hilfe küssen sich Frieden und Gerechtigkeit, verheißt Psalm 24.
Was können wir tun außer hilflos zuzusehen?
Politische Schuld im Einzelnen eingestehen.
Fehler genau analysieren.
Auf den begrenzten Sinn von Waffengewalt verweisen und weiter an nachhaltigen gewaltfreien Friedensprojekten und Konfliktlösungen arbeiten.
Die Gewalttraditionen in den Religionen kritisch aufarbeiten und das Potenzial für Theologien des Friedens in allen Religionen zur Geltung bringen.
Rettungen einzelner als Hoffnungszeichen wahrnehmen trotz und im unermesslichen Leiden.
Bleiben wir damit nicht in unseren Einsamkeiten, nicht nur in unseren Familien und Freundeskreisen, nicht nur in unseren Religionsgemeinschaften, sondern kommen wir zusammen zum öffentlichen Friedensgebet, sichtbar, hörbar, im Schweigen.
Prof. Dr. Helga Kuhlmann ist Professorin für Evangelische Theologie mit dem Schwerpunkt Systematische Theologie und Ökumene am Institut für Evangelische Theologie der Universität Paderborn.
Die Naturkatastrophen in den letzten Wochen und Monaten schreien zum Himmel. Man kann regelrecht hören und sehen, wie sie vor Augen führen, welche Folgen die menschliche Undankbarkeit und Unachtsamkeit mit sich bringen, wenn das anvertraute Gut – die Schöpfung – ausgebeutet, zweckfremd und verschwenderisch genutzt wird.
Im Qurān wird die Natur als Zeichen und Zeuge genannt. Wiederholt werden Ereignisse wie Tag und Nacht, Regen und Trockenheit, Tiere und Pflanzen, Himmel und Erde und auch der menschliche Körper und Geist als Zeichen erwähnt, über die nachgedacht werden soll. Die Zeichen sollen verdeutlichen, dass es eine Verbindung und ein harmonisches Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur gibt. Der Mensch ist verantwortlich, die von Gott erschaffene Ordnung im Gleichgewicht zu halten.
Die ökologische Krise entsteht, wenn der Mensch meint, von Gott und Natur unabhängig zu sein und nur eins als sein Lebensziel gilt: Gewinn um jeden Preis. Die Entwicklung und der Wohlstand werden materiell wertvoll gesehen, die Nachhaltigkeit und sorgfältige Nutzung der Ressourcen sind eher zweitrangig. Die qurānische Aussage, dass der Mensch in seiner Natur nach Transzendenz greift und im tiefsten Inneren auf Gott ausgerichtet ist, drückt die intensive Verbundenheit mit der Schöpfung aus und weist darauf hin, dass alle Geschöpft aufeinander angewiesen sind. Die Schöpfungsordnung soll durch Hören, Sehen und Verstehen erschlossen werden. Die Erkenntnis, die laut dem Qurān durch Einsatz von Augen, Ohren und Herzen erlangt werden kann, soll den Menschen ermöglichen, umsichtig und vernünftig zu handeln. Ein nachhaltiger und umsichtiger Umgang mit der Natur kann nur funktionieren, wenn der Mensch die göttliche Ordnung wahrnimmt und mit Achtsamkeit sich um deren Erhalt bemüht.
Der Mensch steht in einem Beziehungssystem – zu sich selbst, zu Mitmenschen, zu Tieren und Pflanzen, zu Gott – und hat als denkendes und mit Vernunft erschaffenes Wesen eine besondere Rolle in diesem Beziehungssystem. Im Qurān wird oft erwähnt, dass alle Geschöpfe -auch Pflanzen und Tiere- auf ihre eigene Art Gott preisen, durch Hingabe zu Gott sind sie miteinander verbunden.
In den islamischen Überlieferungen werden die Menschen gelobt, die vorsichtig mit Ressourcen umgehen, bescheiden und bereit zum Teilen sind. Verschwendung und Geiz sind zwei Eigenschaften, gegen die immer wieder gemahnt wird. Die Erzählungen z.B. vom Propheten Salomon, der die Sprache der Tiere verstand, sollen verdeutlichen, dass auch die Tiere Rechte haben, die von Menschen immer wieder vernachlässigt werden. In einer Geschichte geht es um eine Ameise, die die anderen warnt, als Salomon sich mit seinem Pferd ihnen nähert. Salomon hört die Ameise, lächelt und bewegt sich vorsichtig, damit sein Pferd die Ameisen nicht vernichtet. Eine schöne Geschichte, wenn die kleine Ameise den mächtigen König und Prophet zurechtweist, und dieser bereit ist, auf sie zu hören und seinen Weg zum Wohle der Tiere zu ändern.
Während die Tiere und Pflanzen intuitiv und von Natur aus ihre Beziehung zu Gott haben, indem sie das tun, was ihnen als Aufgabe auferlegt wurde, ist der Mensch fähig, kraft der ihm gegebenen Vernunft seine Beziehungen zu reflektieren. Er kann durch Überheblichkeit und ständige Grenzüberschreitungen diese Beziehungen stören und missachten. Er kann aber auch an der Natur ein Beispiel nehmen und lernen, wie er verantwortungsbewusst mit ihr umgeht. Der Mensch braucht Wegweiser, die ihn zum Nachdenken und zur Neuorientierung führen.
Hamideh Mohagheghi ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Koranwissenschaften an der Universität Paderborn.
From women who go topless to the streets of Berlin, demanding the right to be able to appear topless in the public space like men,[1] to the decision of the German women’s Olympic gymnastics team to wear full-length unitards instead of traditional leotards, to the Muslim women hashtaging “HandsOffMyHijab”[2], I see nothing but the loud cry of women to the world, to give them back the possession of their body, and their freedom of choice to cover or uncover it the way they want; their demand to be the “owners of their own bodies”. Their fight against any double standards, of any kind, in rules and regulations, that treat female body differently than the male body. In this global call, Muslim women are also included. They too want to get all their civil rights and the possession over their bodies, even those who wear “headscarf”. YES, even those!
To think that because they wear something which from the European perspective is “a symbol for oppression and patriarchy” therefore a Muslim woman can, by no means, be a “feminist” – what I keep hearing ever since I am here – is very simplistic, if not paternalistic. I know of many Muslim women, who are perfectly well aware of the fact that veiling might have little to do with religious piety and the divine decree but rather with patriarchal intents to restrict the scope of the freedom of women in the society, and a product of male perspective regarding woman’s body as the “object of sexual attraction and provocation” etc., but still follow that, since for them it is part of their identity and lifestyle as a “Muslim woman”. Their choice!
I also know of many pious Muslim women for whom their headscarf is neither a symbol for an ideology nor a medium to propagate any belief or idea. For them, to cover their head is part of their tradition, and their piety, and thus identity. To force them to follow our narratives of their headscarves, to force them to choose between their choice of dressing and the possibility to work, to try to “enlighten” them by force is itself following an ideology. A rather very dangerous one![3]
It is clear what I am addressing here: the European Court of Justice decided recently that headscarf can be banned at work.[4] Isn’t it really clear, that even if under “certain conditions”, this ban gives carte blanche to the (male) employers to discriminate a certain group of women? And even if it is issued out of Islamophobic intentions, isn’t it clear that again it is the Muslim woman, who is paying for that? For as a result of this ban, a Muslim man, no matter how conservative, if not radical and fundamentalist, he is, can attain these jobs, and a Muslim woman not, even if she is a pacifist. Simply because she is allegedly wearing a “sign”, a “symbol”, for her belief. Again, a woman should pay!
In a society where the law makers seek to level the hierarchical structures, in a society where the attempt is to more and more democratize rules and regulation, by issuing decrees that give more rights to the marginalized and the under-privileged, by taking them from the privileged – and in the case of women, by applying positive discrimination – isn’t it contradictory to see that, in the very same society, a certain group of women that belong to the marginalized, are deprived of certain rights?
Based on studies, and not mere speculation, we are now well aware of the fact that in the dominantly “white” societies, a kind of hierarchy of rights exists. Based on color and ethnicity, on top of the pyramid stands the white middle-class man, then the white middle class woman, then the non-white man, and down at the bottom the non-white woman. For the “Muslim woman”, with the immigration background, it is even worse. She is not only from another color and ethnicity, but also another nationality and religion. And not just that: she belongs to the religion which has, in the Western setting, been rendered to the “enemy image”. Taking all these into consideration, the Muslim woman falls deep down in this pyramid of “privileges”. Is it then okay for a court of justice to issue a ban, without having an eye on the consequences of it for the marginalized of the marginalized, for the lowest of the lowest level of the social hierarchy?
From the case of the “white women”, challenging the double-standards in regard to dress codes – at the price of getting fined –, to the case of the “Muslim dark-skinned women”, asking for their right to study and work, while having the right to cover their body the way they want, there is only “one call” to be heard: questioning the “male gaze” and demanding the possession of one’s own body. It is, therefore, high time to heed their call. In a (still) paralyzing patriarchal setting, all they want is: to rise up, to leap… to soar up. Let us help them in their flight! Don’t cut off their wings!
[3]I have never seen this ideology be presented as transparent as at this talk show on France 24, where a “French white woman” mansplains a “dark-skinned Muslim woman” as how with her headscarf she is being manipulated by the male Muslim fundamentalists, to spread their ideologies, and teaches her what veiling “actually” means, and what a “good Muslim woman” must look like:
In den vergangenen Tagen und Wochen vergeht kein Tag, ohne dass ich die Zeitung öffne und mit Nachrichten über Naturkatastrophen konfrontiert werde: Hier steht ein nächster Waldbrand an, dort zieht ein ungewöhnlich starker Hurrikan auf, und ganz woanders kommt es wieder zu heftigen Überschwemmungen. Doch schienen mir solche oder ähnliche Nachrichten als Zeugnis eines auch vom Menschen mitverursachten Klimawandels zumeist sehr fern im klimatisch ausgewogenen Deutschland. Die Horror-Überflutungen in Ahrweiler, Ahrtal, Hagen und in zahlreichen weiteren Ortschaften vor wenigen Wochen jedoch rückten nicht nur geographisch, sondern auch emotional das unvorstellbare Leid der betroffenen Menschen in unser all Lebenswirklichkeit in Deutschland. So ohnmächtig und hilflos eine solche schreckliche Naturkatastrophe einen auch zunächst macht, so sehr traten für mich während und unmittelbar nach den Überflutungen auch so klar wie lange nicht mehr die Konturen dessen zutage, wer wir sind und wer wir sein wollen. So hat mir ein ganz zufälliger Halt an einer Raststätte im Ruhrgebiet das eindrucksvolle Mitgefühl und die Solidarität mit den Betroffenen Menschen klargemacht: Ein junger Mann, allenfalls 20 Jahre alt, war umgeben von einigen Polizeibeamten. Ich hatte mein Fahrzeug nur wenige Meter entfernt geparkt und konnte sehr deutlich die lautstarke Unterhaltung zwischen dem jungen Mann und den Polizeibeamten wahrnehmen. Der junge Mann hatte sich mit seinem Fahrrad auf die Autobahn begeben und wollte wohl von Arnsberg nach Hagen, um den von den Hochwassern betroffenen Menschen zu helfen. Während die Polizeibeamten mit aller Nüchternheit dem jungen Mann versuchten zu erklären, dass er nicht mit einem Fahrrad die Autobahn befahren dürfe, da er ansonsten sich und die anderen Verkehrsteilnehmer in erhebliche Gefahr bringe, erwiderte der junge Mann immer wieder: „Ich habe leider kein Auto, will aber den Menschen in Hagen helfen. Ich fühle mit ihnen und kann nicht untätig bleiben!“ Mitgefühl ist das Wesen des Gläubigen wird in einem Ausspruch des Gesandten Muḥammad überliefert. Nicht allein Empathie, also die Fähigkeit und Bereitschaft des Einfühlens, sondern Mitgefühl. Der Mitfühlende will handeln, also helfen, dort sein wo die Gegenwart Gottes erfahrbar wird. Der kanadische Wissenschaftler und Autor Paul Bloom hat es einmal so formuliert: „Empathie heißt, ich fühle das, was ein anderer Mensch fühlt. Mitgefühl bedeutet: Ich kümmere mich um den anderen, ich sorge für ihn.“ Beim Mitgefühl so Imam al-Ghazālī (gest. 1111) werden Herz und Verstand eins und münden in eine Handlung. Dieses Einstehen und die Verbundenheit des Einzelnen mit dem Schicksal der gesamten Schöpfung sei die Kernbotschaft aller Propheten so al-Ghazālī an anderer Stelle. Spannend ist, dass sich Mitgefühl hier nicht allein dem Menschen gegenüber erschöpft, sondern ebenso die Natur miteinbezieht. Ein Blick in die Prophetenbiographie Muḥammads und seiner tiefen Verbundenheit mit der Natur als Kind unter Beduinen sowie der Zeichen-Theologie des Korans lassen unverkennbar die Notwendigkeit des Mitgefühls mit der Natur offenbar werden. „Niemand ist eine Insel“ heißt es in einem Vers eines Gedichts des englischen Lyrikers John Donne. Auch wir nicht in Deutschland!
Dr. Idris Nassery ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Islamische Theologie an der Universität Paderborn.
Manchmal ist es erschreckend, wie schnell jemand bei der Beschäftigung mit einem biblischen Text von der Realität eingeholt werden kann. Mitte Juli erging es so den vielen Pfarrer*innen und Prädikant*innen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) – darunter auch einem der beiden Autor*innen dieses Textes –, die am siebten Sonntag nach Trinitatis den Gottesdienst verantworteten und nach der sogenannten Perikopenordnung eine Geschichte aus 1. Könige 17, 1-16 als Predigttext vorgegeben bekommen hatten.
Hier teilt Gott dem Propheten Elia mit, dass „diese Jahre weder Tau noch Regen kommen“ würden. Er lässt also wissentlich zu, dass eine große Trockenheit eintreten wird, oder – und das wäre der noch schwerere „Tatbestand“ – er schickt diese Dürre ganz bewusst. Eine Naturkatastrophe als Strafe Gottes? Diese Vorstellung gibt es seit Anbeginn der Zeit. Und Notsituationen wie bei Elia sind nicht nur Gegenstand von archaischen Erzählungen, sondern sie passieren auch heute jeden Tag – denken wir nur an die große Hungersnot in vielen Ländern Afrikas, aber auch auf anderen Kontinenten, und an die extreme Wasserknappheit, die vielerorts herrscht. In der Woche vor dem siebten Sonntag nach Trinitatis kam dann das erschreckende Gegenteil hinzu: Die Bilder von den Überschwemmungen aus Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und weiteren Teilen Europas werden wir so schnell nicht wieder vergessen. Eine Predigt über einen Text zu verfassen, in dem eine große Trockenheit die Menschen verhungern und verdursten lässt, während tatsächlich gewaltsame Wassermassen von einem Moment auf den anderen unzählige Existenzen vernichteten und so viele Menschenleben forderten, wurde dadurch zu einer extremen Herausforderung.
In Bezug auf viele Naturkatastrophen ist eine wissenschaftliche Argumentation möglich, denn die Realität eines menschengemachten Klimawandels, der die Not von Millionen Menschen noch verschärft, lässt sich mit einem gesunden Menschenverstand nicht leugnen. Aus theologischer Sicht ist hier wichtig: Gottes Schöpfung ist ein Geschenk für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Der christliche Glaube ist mehr als nur die Hoffnung auf ein transzendentes Heil – er beinhaltet vor allem auch ein harmonisches, florierendes und nachhaltiges Leben im Angesicht Gottes im Hier und Jetzt. Hierbei wird dem Menschen durch seine Ebenbildlichkeit ein besonderer Auftrag zuteil. Er wurde nicht als König oder Untertan geschaffen, sondern mit der Aufgabe der Schöpfungsverantwortung versehen, die schöpferische Vielfalt auf der Welt zu bewahren. Die jüngsten Ereignisse haben noch einmal vor Augen geführt, dass die Schöpfung vor einer gravierenden globalen Herausforderung steht, die dringend menschliches Umdenken und Handlungsbedarf fordert. Schließlich ist dem evangelischen Theologen Jürgen Ebach zufolge der Mensch erst dann ganz Mensch, wenn er die Schöpfung ehrt.
Daraus zu schließen, dass die Menschen, die in den von den Überschwemmungen und anderen Katastrophen betroffenen Regionen ihr Hab und Gut oder ihr Leben verloren haben, selbst schuld daran seien, wäre jedoch nicht nur zutiefst zynisch, sondern ebenso unangebracht wie die Rede von einer Strafe Gottes. Wer Gott als Urheber derartiger Katastrophen behauptet, entzieht sich der eigenen Verantwortung. Stattdessen hat die gesamte Menschheit den Auftrag, die Schöpfung Gottes – Mensch, Tier und Natur – zu bewahren. Daher bedarf es nicht erst seit den schrecklichen Bildern der vergangenen Wochen einer globalen ökologisch und wirtschaftlich nachhaltigen Neuausrichtung.
Stephanie Lerke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Evangelische Theologie der Technischen Universität Dortmund und Lehrbeauftragte am Institut für Evangelische Theologie der Universität Paderborn, Jan Christian Pinsch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Evangelische Theologie der Universität Paderborn und Prädikant in der Lippischen Landeskirche.
Am 5. Juli. 2021 war der 11. Gedenktag des ägyptischen Denkers Nasr Abu Zaid (gest. 5. Juli 2010). Ich habe von ihm gehört, bevor ich ein einziges Wort von ihm gelesen habe. In der Mittelschule hörte ich das Vorurteil, dass er in seinem Buch „Naqd al-ḫiṭāb ad-dīnī, Kairo 1992; Kritik des religiösen Diskurses“ über den Islam bzw. den Koran schlicht spricht. Dieses Vorurteil blieb in meinem Kopf bis ich anfing, Islamwissenschaft an der Al-Azhar Universität zu studieren. Damals begann ich, die Schriften von Nasr Abu Zaid zu lesen und seine Interviews auf YouTube zu schauen. Seine Geschichte hat mich berührt.
Es wurde klar für mich, dass er ein mutiger und ein verantwortungsvoller Mensch war. Als sein Vater starb, übernahm er die Verantwortung für seine Familie und er unterstützte seine kleinen Geschwister, bis sie selbst für sich sorgen konnten. Diese menschliche Seite von Abu Zaid hat mich sehr beeinflusst.
Nasr träumte davon, an der Universität zu studieren. Nach einer technischen Ausbildung konnte er, neben seiner Arbeit, seinen Traum erfüllen und er besuchte die Universität Kairo, um dort Arabistik zu studieren. Nach seinem Studium begann seine Karriere an der Universität. In 1990er Jahren geriet er wegen seiner Lesart bzw. seines andersartigen Verständnisses des Korans in Ägypten in scharfe Kritik. Einige Gelehrten beschuldigten ihn der Apostasie. Abu Zaid wurde scharf kritisiert, weil er den Koran in seinem geschichtlichen Kontext interpretieren wollte. Die bekannte Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel (gest. 2003) sah in ihm einen „der herausragenden Köpfe der islamischen Welt, der den gefährlichen Versuch unternahm, den Koran für die Moderne zu öffnen“ (Tages Spiegel, 07.07.2010).
Manchmal denke ich, dass seine Gegner bzw. Kritiker ihm einen großen Gefallen getan haben. Denn aufgrund dieser scharfen Kritik wurde Nasr Abu Zaid berühmt und seine These verbreitete sich in der ganzen Welt. In seinem letzten Interview mit (Qantara.de.) sagte der bescheidene Forscher: „Ja, ich bin ein Opfer. Aber ich bin auch ein Zeuge des Wandels, der vonstattengeht, allen Grausamkeiten – wie in meinem Fall – zum Trotz. Der berühmte arabisch-spanische Philosoph Averroës wurde verurteilt. Doch seine Ideen haben sich trotzdem im Westen ausgebreitet“.
Ahmed Elshahawy ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Islamische Theologie der Universität Paderborn.
Deutschland, so kann man nicht erst seit Pandemiebeginn immer wieder hören, hat Nachholbedarf bei der Digitalisierung. Dabei dürfte an den Universitäten vieles, trotz anfänglicher Improvisation, besser geklappt haben als andernorts. Ob im nächsten Jahr auch die Hörsäle wieder gefüllt sind wie vor der Krise, kann wohl niemand mit Sicherheit sagen. Dass Seminare davon leben, dass Menschen von Angesicht zu Angesicht miteinander reden und Ideen diskutieren, werden die allermeisten so sehen und sich auf eine Rückkehr zur Normalität freuen. Lange hielt ich es aber für eine gute Idee, Vorlesungen in Zukunft doch komplett digital und zum Mitnehmen anzubieten. Das Konzept von Pult, Sitzreihen und Mitschreiben schien mir veraltet und eher Traditionsgründe zu haben. Wieso nicht beim Spaziergang den Stoff als Podcast anhören – oder abends ein Video gucken, anstatt von Uhrzeit und Nahverkehr abhängig zu sein?
Sicherlich werden die Erfahrungen der letzten Monate helfen, dass neue Formate in den Unialltag aufgenommen werden. Auch in Paderborn haben wir eine Online-Ideenwerkstatt und die Videointerviewreihe „ZeKK live“ gestartet. Zugleich merke ich inzwischen stärker, was nur vor Ort geht. Zur Wahrheit gehört, dass ich im Studium längst nicht in jeder Vorlesung war, und längst nicht jede aufmerksam verfolgt habe. Dennoch erinnere ich mich an Hörsaalmomente, die mein Interesse am Fach entscheidend geweckt haben, und die meistens mit den Mitstudierenden zu tun hatten. Wenn etwa jemand plötzlich auf die Ausführungen des Professors reagiert und murmelt: „Das stimmt doch nicht.“ Wenn ich mich richtig erinnere, ging es in diesem Fall um die Frage, ob werdende Eltern zugleich den Tod ihres Kindes immer schon in Kauf genommen haben. Oder wenn durch die Reihen hinweg Kopfnicken oder -schütteln anzeigt, dass der Vorlesungsstoff mit zur Kaffeepause oder in die Mensa genommen wird. Oft war die Vorlesung selbst dann nur der Auftakt für weitere Gespräche, und oft waren es diese Momente, in denen mir ein Problem erst deutlich geworden ist. Wie sehr diese Alltagsroutinen mein Studium geprägt haben, wurde mir erst klar, als viele der kleinen Austauschmöglichkeiten wegfielen. Eine gute Vorlesung lässt sich genauso gut und genauso schlecht digitalisieren wie ein Konzert. Der „Inhalt“ lässt sich auch anders transportieren, aber dann fehlt entscheidendes. Bis zum Beweis des Gegenteils hoffe ich daher auf die Rückkehr des Hörsaals. Und Terminabsprachen, die auch eine E-Mail hätten sein können, dürfen gern weiter per Zoom stattfinden
Lukas Wiesenhütter ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Katholische Theologie der Universität Paderborn.
Der Bundesrat hat „ein Gesetz mit Vorschriften zur äußeren Erscheinung von Beamten gebilligt… Das Gesetz stieß bei islamischen Verbänden auf Widerstand, weil sie ein Kopftuchverbot durch die Hintertür befürchten“.[1]
Kaum lese ich die Nachricht, kommt mir der Kopftuchzwang in einigen muslimischen Ländern wie Iran und Saudi-Arabien in den Sinn. Der Zwang zum Tragen des Kopftuchs auf der einen und das Verbot des Tragens auf der anderen Seite – wenn auch beschränkt auf die Berufsgruppe der Beamtinnen – sind für mich als Frau und Muslima zwei Seiten einer Medaille. Beide diktieren mir, „was ich tragen darf und was nicht“. Beide schreien mir „mit der Kraft des Gesetzes“ zu: Ich kann nicht arbeiten, wenn ich mich nicht an bestimmte Kleidervorschriften halte. Ich kann nicht meinen eigenen Lebensunterhalt verdienen – was mich finanziell und sozial unabhängig macht –, wenn ich mich nicht so kleide, wie „sie“ es „mir“ sagen.
Die eine Seite setzt mir kraft des Gesetzes eine Kopfbedeckung auf, die andere entfernt sie kraft des Gesetzes. Auf beiden Seiten entscheide nicht ICH über meinen eigenen Körper, sondern SIE entscheiden. Trotz der großen Unterschiede auf beiden Seiten – und beide sehen sich als die „falsche Seite“ – sind sie sich in ihrem Willen, über die Frau zu bestimmen, wesentlich ähnlicher als sie zugeben würden. Für beide Seiten ist der Körper der Frau das kontroverse Thema.
Für mich ist das, was ein System von Ideen und Gedanken zu einem „ideologischen System“ macht, eben gerade der Körper der Frau. Wo er zum „Schlachtfeld“ wird, zur eigentlichen Barriere, die über Fortschritt, den Grad der Emanzipation und Integration entscheidet, hat das Patriarchat den Gesetzgeber ersetzt. Wo über das „Erbe der Aufklärung“ und „die Verteidigung der Menschenrechte“ gesprochen wird, geht es dann um das Aufrechterhalten einer männlichen Ordnung, die Frauen als abgeleitet von ihr definiert.
Deshalb habe ich die Nase voll vom Burka-Streit, vom Kopftuch-Streit, von dem Narrativ von „Hijab als Symbol für die Unterdrückung der muslimischen Frauen“. Ich habe die Nase voll von all den oberflächlichen Streitigkeiten, die eigentlich kein wirkliches Problem ansprechen,[2] sondern eher Teil eines westlichen Narratives sind, das in das alte Meta-Narrativ über den „Orient“ passt[3] – d.h. dass muslimische Frauen unterdrückt sind, dass ihr Körper von den patriarchalischen Systemen versklavt wird usw. Meine Frage als muslimische Frau inmitten all dieser wahnsinnig lauten Stimmen der Auseinandersetzung ist: Warum sind es oft „andere“, die „im Namen der muslimischen Frauen“ sprechen? Warum sollen „andere“ immer für die muslimische Frau entscheiden? Warum wird dieses Thema zum eigentlichen Thema der Emanzipation und Integrationsfähigkeit erklärt? Selbst wenn der Islamismus eine Ideologie ist, die es zu bekämpfen gilt, warum macht man wieder den Körper der Frau zum Schlachtfeld? Warum sollen Frauen für den männlichen ideologischen Krieg bezahlen?
Von einem System der Freiheit und des Respekts vor den Menschenrechten lässt sich nur sprechen, wenn nicht der Frauenkörper weiterhin das Thema der Auseinandersetzung ist. Denn: Keine Freiheit ist möglich ohne die Freiheit des weiblichen Körpers – und über diese Freiheit bestimmen Frauen selbst.
[3]Nach Edward Saids bahnbrechendem Werk „Orientalismus“ sind wir uns mehr denn je solche problematischen dominanten Diskurse und Meta-Narrative bewusst.
Dr. Saida Mirsadri ist Mitarbeiterin am Seminar für Islamische Theologie der Universität Paderborn.
Unter dem Hashtag #IchbinHanna ist der Frust junger Akademiker*innen in Deutschland endlich laut und hörbar geworden. Deren Arbeitsbedingungen werden oft als prekär bezeichnet, sind aber im Verhältnis zum allgemeinen Arbeitsrecht eher absurd zu nennen. Ein anderes Wort verdient ein System nicht, in dem der Staat zulässt und fördert, was er andernorts strikt unterbindet, dass nämlich Menschen ohne Angabe von Gründen und ohne Ansehung der Leistung ihre Anstellung verlieren dürfen bzw. müssen und damit ihre Lebensgrundlage. Die wirtschaftlichen, sozialen und psychischen Folgen für die jungen Wissenschaftler*innen sind ebenso gut dokumentiert wie die Konsequenzen für Wissenschaft und Bildung selbst. Es ist für eine der stärksten Wirtschaftsmächte der Welt, die sich auch gerne in der Bildungspolitik vorne sehen würde, schlicht beschämend, dass es nicht gelingt, hier wirklichen Fortschritt zu erzielen. Der Versuch des BMBF, für das bestehende System über die kindergartentaugliche Erzählung von Hanna zu werben, ist zum Glück krachend gescheitert und hat einen öffentlichen Sturm der Empörung ausgelöst. Allerdings finde ich den Namen Hanna recht gut gewählt, weil ich ihn mit zwei Frauen assoziiere, die für mich als Philosophen und Theologen wichtig sind.
Da ist zum einen natürlich Hannah Arendt, deren praktische Philosophie nicht nur auf die großen humanitären Katastrophen, sondern gerade auf den Alltag gesellschaftlichen Zusammenlebens gerichtet ist. Sie hat wie keine zweite deutlich gemacht, dass sich niemand in einem Unrechtssystem verstecken darf. Jede*r einzelne, jede Ministerin, aber auch jeder Rektor und jede Professorin, hat aus Freiheit die Verantwortung zu tun, was ihr und ihm unmittelbar möglich ist, um Ungerechtigkeit zu verhindern. Niemand hat das Recht, sich in die Unmündigkeit der Systempflicht zu flüchten, um seine eigene Macht auf dem Rücken Schwächerer zu etablieren.
Die biblische Prophetin Hanna betrachtet die Mächtigen mit mitleidiger Schärfe, weil sie sich über etwas zu definieren versuchen, was sie nicht sind. Man ist nicht an sich mächtig, sondern hat Macht nur in einem bestimmten System: „Niemand ist stark durch eigene Kraft.“ (1 Sam 2,9) Statt sich verzweifelt an die eigene Relevanz zu klammern soll der Mensch einsehen, dass nur sein Tun zählt.
Es kommt also nicht nur darauf an, dass etwas getan wird, sondern darauf, dass jede*r tut, was ihm und ihr möglich ist. So lässt sich der langfristig unausweichliche Systemwechsel noch sinnvoll und mit politischem Gestaltungsspielraum beeinflussen. Andernfalls verspricht nur noch der Kollaps Erlösung – mit der Apokalypse kennt sich die biblische Hanna übrigens auch gut aus.
Dr. Aaron Langenfeld ist Vertretungsprofessor für Dogmatik und Dogmengeschichte unter Berücksichtigung fundamentaltheologischer Fragestellungen an der Universität Vechta.