Von Räumen, Perspektiven und Alltagskunst – ein Bericht zur Ausstellung im Diözesanmuseum

Seit dem 21. Mai ist im Diözesanmuseum die Ausstellung „SO GESEHEN” mit Werken von Barbara Klemm und Christoph Brech zu sehen. In einer kleinen Gruppe nahm ich an einer sonntäglichen offenen Führung durch die Ausstellung teil. In rund einer Stunde wurde Wissenswertes zu den Exponaten mitgeteilt, jedoch auch über die Verbindung von Raum und Objekt diskutiert. Die Ausstellung ist in verschiedene Themengebiete mit Überschriften wie „Fragmente” oder „Dialoge” unterteilt. Dabei entsteht durch die Konzeption der Werke von Klemm und Brech mit Objekten aus dem Bestand des Diözesanmuseums eine Wechselbeziehung, die diese unterschiedlichen Motive und Bedeutungsebenen aufgreift. So wird der Fotografie „Trapezkünstlerinnen” von Barbara Klemm der Libori-Festaltar mit schwebenden Engeln und überlebensgroßen allegorischen Figuren gegenübergestellt.
In den Arbeiten von Christoph Brech wird die Verbindung von visuellen Motiven und Klängen deutlich. So ist als auffällige Inszenierung Brechs „Nr. V / cis-moll” zu sehen, bei der der Fotograf Lichtpunkte an den Händen eines Dirigenten befestigte und so dessen Bewegungen als eine Art Sichtbarmachung von Musik visualisiert.

Ein Blick in die Ausstellung. Auf der rechten Seite ist Brechs großflächige Inszenierung zu sehen. Die Bildrechte liegen beim Diözesanmuseum Paderborn.


Besonders spannend erschienen mir Fotografien von Klemm und Brech, die Objekte in ungewohnter Umgebung zeigen. Dazu gehörten das Bild einer antiken Statue hinter einem zu modern wirkenden Zaun und die Skulptur eines Schlafenden vor neuzeitlicher Kabelage und Hasenposter. Die Beziehung von Raum und Objekt wurde mir hier sehr deutlich. Auch dies lässt sich auf die inszenierten Räume übertragen, die ich nach wie vor untersuche. Erst durch das Bespielen eines Ortes mit Gegenständen oder Wandgestaltungen wird der Raum zum belebten Wohnraum. Gleichzeitig findet eine Inszenierung statt, ein bestimmtes Bild wird erschaffen und nicht passende Elemente in diesem Raum werden vom Betrachter als Störfaktoren wahrgenommen. Wir erwarten eine Symbiose aus Raum und Objekt, die sich nicht gegenseitig widerspricht. Eine Reihe von Fotografien Klemms zeigt außerdem das Verhältnis von Kunst und Betrachter. Auf den Bildern sind Museumsbesucher zu sehen, die, in zufälligen Posen erstarrt, die Kunstwerke, die sie betrachten, widerspiegeln. Die Kunst wird so im Alltag reproduziert.
Bis zum 9. Oktober ist die Ausstellung noch im Diözesanmuseum zu sehen. Auch einige öffentliche Führungen werden bis dahin noch angeboten.

Junge Kunst im Silo

Mit dem Ende der Vorlesungszeit fand die Eröffnung der alljährlichen Ausstellung im Kunstsilo der Universität Paderborn statt. Hier wurden Kunstwerke von Studierenden verschiedener Studien- und Jahrgänge präsentiert. Wer sich im Silo nicht auskennt, konnte sich auch schon mal schnell verlaufen – denn die zahlreichen Werke unterschiedlichster Gattungen wurden auf mehreren Ebenen und Räumen ausgestellt. Dabei waren Arbeiten aus den Bereichen der Malerei, Fotografie, Druckgrafik, Installation und und Videokunst zu sehen. Neben den ausgestellten Werken gab es auch eine interaktive Station, in der es um das Fühlen ging. Hier konnte man unter anderem auf einer Matte miteinander rangeln, Gebäude in der Uni mit Stickern versehen, die ein bestimmtes Gefühl ausdrückten und Geheimnisse auf eine Schneiderpuppe heften. Auch künstlerische Performances wurden aufgeführt.
Nach einiger Zeit kam ich aus dem Fotografieren gar nicht mehr heraus. Es sprachen mich derart viele Werke an, dass es mir schwer fiel, ein Foto für diesen Artikel auszuwählen.

Eine Arbeit von Paula Ottemeier

Ich bemerkte, dass sich viele der Kunstwerke auf aktuelle politische und gesellschaftliche Debatten bezogen. So wurde der Krieg in der Ukraine, sexueller Missbrauch in der Kirche und die Body-Positivity-Bewegung thematisiert. Eines meiner Lieblingsbilder bildet Putin als Kakerlake ab, die sich über ein mit Leichenteilen bestrichenes Brot hermacht. Dies erinnerte mich an eine Installation, die ich in der Anfangszeit meiner Stadtschreibertätigkeit im Kunstverein gesehen habe. Dort sollte ein von Fliegen befallenes Brot am Frühstückstisch die Abgründe in der vermeintlichen Familienidylle darstellen.

Ein kleiner Einblick in die Ausstellung

Auffällig war die Vielzahl von sexuell aufgeladenen und provokanten Motiven, die in der Ausstellung zu finden waren. Generell ist es bezeichnend, wie viel störrischer, unbequemer und politischer bisweilen die Arbeiten von Studierenden und angehenden Künstlern und Künstlerinnen sind als die etablierter Kunstschaffender. Zu manchen der Werke hätten mich Informationen über den Entstehungsprozess oder begleitende Texte interessiert. Es ist jedoch vorstellbar, dass dazu in einer Ausstellung, die mit Studierenden gestaltet wird, keine Ressourcen vorhanden sind. Dass mit einer solchen Präsentation den Studierenden die Möglichkeit gegeben wird, sich und ihre Kunst im öffentlichen Raum auszuprobieren, halte ich für sehr wichtig.

In derselben Woche habe ich viel über Projekte kultureller Bildung in Paderborn erfahren können. Dazu gehören beispielsweise der Kulturrucksack mit kostenlosen Angeboten für Kinder und Jugendliche und die Kulturstrolche, bei denen Schüler und Schülerinnen hinter die Kulissen verschiedener kultureller Sparten blicken können. Wie wichtig die frühe Annäherung an Kunst und Kultur ist, wird mir selbst auch immer wieder bewusst. Denn Kinder, die Spaß an Kultur haben, werden dies in der Regel auch ins Erwachsenenalter tragen!

Wie frei ist Kunst im Museum? Ein Gespräch mit Xabier Rúa

Vor einigen Wochen war ich auf der Eröffnung der Fotoausstellung „Galiza …das Ende der Welt, der Anfang des Meeres” beim Cheezze e.V. mit Werken von Xabier Rúa. Die Fotografien entstanden in Galicien und zeigen insbesondere den dortigen Fischmarkt, auf dem der frischeste Fisch von ganz Europa verkauft wird und den nicht jeder betreten darf. Eigentlich wollte er eine Dokumentation zu diesem Thema drehen, was jedoch durch die Corona-Pandemie verhindert wurde. So nutzte er die Fotografien, die er von dem Ort gemacht hatte und stellte damit sein erstes Fotografieprojekt aus. Auch der Kurzfilm „Pai noso” von Xabier Rúa wurde auf der Ausstellungseröffnung präsentiert.

Blick auf zwei Fotografien von Xabier Rúa


Schließlich habe ich mich dann mit Xabier Rúa getroffen und habe mit ihm ein sehr spannendes Gespräch über Kunst, Kultur und welche Rolle die Museen dabei spielen, geführt. Rúa lebt seit 2010 in Paderborn. Hier vermisst er das Meer, das seine Heimat Galicien so sehr ausmacht. Sein Lebensweg scheint ebenso von Individualität und Freiheit geprägt zu sein wie seine Bilder. „Eine Menge Sachen” hat er studiert, so etwa Pädagogik, Sozialarbeit, Philosophie und Anthropologie. Im letzteren promoviert er derzeit zum Thema Migration und Identität. Generell ist Freiheit ein wichtiges Stichwort in unserem Gespräch. So kommen wir auch auf das Thema Museum zu sprechen. Rúa bevorzugt keine bestimmten Ausstellungsformate oder Museumstypen, vielmehr interessiert ihn alles, was mit Kultur zu tun hat. Die Institution Museum sieht er jedoch kritisch. So findet er es problematisch, dass Museen entscheiden, was Kunst ist. Gleichzeitig würden bei ihm Emotionen durch spontane Kunst im Alltag entstehen. Ein Beispiel dafür sei der Schriftzug „Jemand liebt dich”, den er einmal auf dem Weg zu den Fischteichen sah. Auch deshalb halte er sich lieber in kleinen, gemütlichen Orten lokaler Kunst als in großen Theatern oder Museen auf.

Fotograf Xabier Rúa betont die Wichtigkeit der Freiheit und Spontanität in der Kunst.
(Bildrechte bei Xabier Rúa)

Von Kunst kommen wir zum Begriff des Künstlers. Rúa vertritt die Ansicht, dass jeder Mensch eigentlich kreativ sei, manche es jedoch nicht ausleben würden. Genies gebe es nicht. Und der Künstler als Individuum und als Mittelpunkt des Interesses sei ein neuzeitliches Phänomen. Wichtig findet Rúa außerdem, dass Menschen auch ohne Publikum Kunst machen und sich nicht von der Macht des Mainstream beeinflussen lassen.
Das Gespräch bei schönstem Sonnenschein im Café hat mich sehr nachdenklich gestimmt und mir neue Perspektiven auf Museen eröffnet. Wie frei und authentisch kann Kunst im Museum eigentlich inszeniert werden? Wie viel wird dem Betrachter durch die Institutionalisierung von Kunst eigentlich vorgegeben? Und können Period Rooms durch eine bloße Zurschaustellung von Einrichtungen ohne Kontextualisierung dem vielleicht sogar entgegen steuern? Was denkt ihr?

Und wo sind nun die Period Rooms? Ein Besuch im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg

Über Pfingsten nutzte ich einen Besuch in der nordischen Heimat dazu, auch einen kleinen Abstecher in das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg zu machen. Dieses Museum taucht immer wieder auf (oft als einziges deutsches Museum), wenn man Internetrecherchen zu Period Rooms betreibt. Die Ausstellungsfläche ist 18.000 Quadratmeter groß und in verschiedene Themenbereiche unterteilt. Dies war für mich sehr unübersichtlich, da ich auch keinen ausgeschilderten Rundgang finden konnte, den man idealerweise einschlagen sollte. Das erschwerte mir die Suche nach den Period Rooms. Schließlich gelang es mir, ein paar Zimmer auszumachen, die meiner Vermutung nach als inszenierte Räume gelten sollten. Interessant waren hier die verschiedenen Zeitspannen, in denen Wohnkultur dargestellt wurde. Besonders auffällig ist die Spiegel-Kantine, die 1969 für das Verlagsgebäude des Spiegel-Magazins entworfen wurde und seit 2012 im Museum zu finden ist. Die Kantine ist in auffälligen Rottönen gestaltet und zeigt Einrichtungsströmungen der Sechziger Jahre, wobei die knallige Farbgebung jedes noch so kleinen Details im Raum dem Auge des heutigen Betrachters keine Ruhe gönnen.

Hier sieht man das Balkonzimmer und die Spiegel-Kantine

Weitere inszenierte Räume sind die Milde-Speckter-Zimmer, welche drei Lübecker und Hamburger Wohnräume des frühen 19. Jahrhunderts darstellen. Die Bezeichnung geht auf die Künstler Erwin Speckter und Carl Julius Milde zurück, die die eindrucksvollen Wandmalereien der Zimmer anfertigten. Zu den Zimmern gehören das Balkonzimmer einer Hamburger Villa von 1834/35, das Kabinett aus einem Landhaus in Hamburg-Hamm von 1830 und ein Zimmer aus dem Haus einer Kaufmannsfamilie in Lübeck von 1834. Das Kabinett, welches bei meinem Besuch leider in sehr dunkles Licht getaucht war, sodass ein Foto kaum möglich war, wurde von dem Hamburger Juristen Dr. Karl Sieveking in Auftrag gegeben. Es sollte in seiner Größe einer Schiffskabine entsprechen, die Sieveking während einer Reise nach Brasilien bewohnt hatte. Die Wände sind mit Holzvertäfelung bestückt, während die Decke durch Malereien verziert sind, die Erwin Speckter anfertigte. Das Zimmer beherbergt die originale Einrichtung, zu der ein Schreibtisch, eine Kommode und ein Sofa gehören. Auch die Holzmöbel wurden von Speckter bemalt.

Das Zimmer der Kaufmannsfamilie Nölting aus Lübeck. Die Wandgestaltung übernahm Milde.

Die inszenierten Räume haben meine Definition von Period Rooms ins Wanken gebracht. So habe ich die Milde-Speckter-Zimmer auf den ersten Blick nicht als Period Rooms wahrgenommen, da sie auf mich sehr leer wirkten und ich der Ansicht war, dass zu einem Period Room die gesamte Ausstattung der ehemaligen Einrichtung gehört. Dass insbesondere auch die Wandgestaltung von Interesse ist, wurde mir dann durch die spätere Recherche zu den Zimmern bewusst.
Bei Räumen wie der Spiegel-Kantine liegt meines Erachtens der besondere Wert darin, dass sie sich von den “althergebrachten” Period Rooms durch ihre neuere Historie und Auffälligkeit abheben und somit besonders das Interesse des Besuchers wecken. Auch können hier Bezüge zu der Lebensrealität von Besuchern hergestellt werden, die diese Einrichtungsstile selbst miterlebt haben und nun ihre eigene Vergangenheit in einem musealisierten Kontext betrachten können. Dies könnte ein Anreiz sein, auch die jüngere Vergangenheit in Period Rooms darstellbar zu machen, wie es zum Beispiel im dänischen Freilichtmuseum Den Gamle By mit Räumen aus den Siebziger Jahren der Fall ist. Die Period Rooms in Dänemark stehen übrigens ebenfalls auf meiner Besuchsliste. Ich hoffe, bald davon berichten zu können!

Kunst und Kultur nach Corona

Durch den Stillstand der Kunst und Kultur zu Pandemiezeiten kam es auch zu der Vereinsamung vieler Menschen, denn Treffen und Miteinandersein waren lange Zeit nicht mehr möglich. Bei einigen Veranstaltungen, die ich besuche, höre ich, dass das kulturelle Leben nur langsam wieder anläuft. Um kulturelle Begegnungen nach der Corona-Pandemie wieder zu ermöglichen, hat die Fortbildungsakademie der Wirtschaft in Paderborn „Kuku 4.0” gestartet. Dies findet auch an Standorten in Jena, Dessau und Kiel statt. Bei dem vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderten Projekt geht es darum, Workshops für Schüler und Schülerinnen im Alter von 11 bis 17 Jahren anzubieten, bei denen die Teilnahme kostenlos ist. Nach anfänglich eher wenigen Anmeldungen werden die Angebote nun von Schülern und Schülerinnen verschiedener Schulen angenommen und es konnten erste Kontakte geknüpft werden. Die Aktivitäten sind in drei künstlerische Säulen unterteilt: Schauspiel, Kunst & Musik und Film. Dazu gehören unter anderem ein Musikvideodreh, ein Actionpainting und ein Singer-Songwriter-Workshop. Leiter und Leiterinnen der Workshops konnten bei den Paderborner Kreaturen und beim FreiWerk gewonnen werden. Krönender Abschluss des Programms soll dann eine gemeinsame viertägige Fahrt mit einigen der Schüler und Schülerinnen nach Erfurt sein, wo ein Aufeinandertreffen mit den anderen Standorten stattfinden soll. Dabei werden die verschiedenen Aktionen vorgestellt. Außerdem werden auch in Erfurt noch einige Aktivitäten wie eine Nachtwächterführung auf dem Programm stehen.

Das Ergebnis nach einem Workshop – Bildrechte bei der Fortbildungsakademie der Wirtschaft

Ich selbst durfte bei einem Workshop zum Nähen mit Tapetenresten dabei sein. Zwar mit Maske, aber trotzdem endlich wieder gemeinsam, konnte gebastelt, nachgedacht und kreiert werden. Zu Beginn der Pandemie und auch jetzt während meiner Zeit als Stadtschreiberin habe ich oft darüber nachgedacht, ob sich die Bedeutung von Kultur während der letzten Jahre verändert hat; ob manchen womöglich deutlich geworden ist, wie sehr sie in solchen Krisenzeiten fehlt oder ob sie schlicht nicht „systemrelevant” ist. Auch in meinen Interviews habe ich diese Frage gestellt. Eine Antwort darauf ist für viele jedoch schwierig. Vielleicht dauert es noch ein paar Jahre, bis die Reflektion darüber einsetzen wird. Bis dahin freue ich mich darüber, dass kulturelle Angebote endlich wieder möglich sind und hoffe, dass sie auch wieder von den Menschen angenommen werden!

Inszenierte Räume im Freilichtmuseum Detmold

Den Start des 9€-Tickets ausnutzend, machte ich in der ersten Juni-Woche eine lang geplante Exkursion ins Freilichtmuseum Detmold. Obwohl ich bereits des Öfteren im Rahmen von Seminaren das Museum besucht habe, bot sich nun die Gelegenheit, die inszenierten Räume in den historischen Häusern näher zu betrachten. Besonders spannend fand ich dabei den Schönhof, ein Herrenhaus im Paderborner Dorf. Die Einrichtung dieses Gebäudes hebt sich von den anderen Häusern mit zumeist bäuerlicher Ausstattung ab. Durch Literatur zur Geschichte des Museums (vgl. Westälisches Freilichtmuseum Detmold. Geschichte – Konzepte – Entwicklungen. Hg. von Stefan Baumeier und Jan Carstensen, 1996) konnte ich erfahren, dass der Schönhof in der Entwicklung des Sammlungsverhaltens eine Rolle spielte. Wie in vielen Freilichtmuseen üblich, fokussierte sich auch das Westfälische Freilichtmuseum zunächst auf bäuerliche Kultur zwischen 1500 und dem Ende des 19. Jahrhunderts, wobei möglichst keine Exponate nach 1850 gesammelt werden sollten. Die Eröffnung des Schönhofes war ein Anstoß, die Konzeption des Museums zu erweitern und auch andere soziale Schichten und Wohnkulturen zu zeigen. Auch der Westmünsterländer Hof eröffnete neue Überlegungen des Ausstellens. So wurde hier erstmals in der Inneneinrichtung der Zustand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts übernommen. Während man sich vorher außerdem eher auf regionaltypische Darstellungen von Räumen fokussierte, setzte man hier die individuelle Geschichte des Gebäudes und seiner Bewohner in den Vordergrund. Im Wandel der Sammlungs- und Ausstellungskonzeption des Freilichtmuseums zeigt sich auch das veränderte Geschichtsverständnis. So geht es mittlerweile vermehrt darum, Alltagsgeschichte und Einzelschicksale darzustellen und von der Inszenierung einer romantisierenden Landidylle abzurücken. 

Der Saal im Schönhof zeichnet sich durch die um 1800 entstandene Wandgestaltung von Philipp Bartscher aus

In vielen Freilichtmuseen ist das 20. Jahrhundert kaum repräsentiert. Dies ändert sich jedoch zusehends, wie beispielsweise im Museumsdorf Cloppenburg die Umsetzung einer Diskothek aus den 1980er Jahren zeigt. Period Rooms werden nicht mehr mit einer Ansammlung von zufälligen Objekten gefüllt, die eine bestimmte Epoche und Wohnkultur abbilden sollen, sondern die Räume werden, soweit möglich, in ihrer originalen Ausstattung gezeigt, wobei die Dokumentation des einzelnen Objektes bedeutsam ist. Zum Nachdenken gebracht hat mich ein Anspruch, den Carstensen in der erwähnten Literatur anspricht: Die inszenierten Räume sollen verfremdet werden, beispielsweise durch moderne Beschriftungen, damit nicht der Eindruck entsteht, man könne eine authentische Lebensrealität der ehemaligen Bewohner abbilden. Wenn ich Museen besuche, fällt es mir manchmal schwer, mich von meiner Perspektive als private Museumsbesucherin zu lösen und stattdessen das Museum aus einem wissenschaftlichen Blickwinkel zu betrachten. Oft ertappe ich mich selbst dabei, wie ich insbesondere bei sehr elegant gestalteten Period Rooms genau die Haltung einnehme, die von den meisten Kuratoren nicht gewünscht ist. Wie sinnvoll sind dann aber die inszenierten Räume überhaupt, wenn sie doch dazu führen, dass man das „Leben von damals” aus einer romantisierenden Perspektive sieht? Wie kann eine Verfremdung der Räume erreicht werden, ohne sie ihrer eigentlichen Konzeption zu berauben? Vielleicht werden sich in den nächsten Wochen Antworten auf diese Fragen finden.

Was sind eigentlich diese Period Rooms?

Period rooms? Bitte was? So oder so ähnlich fielen die meisten Reaktionen aus, wenn ich von meinem Thema des Stadtschreiberprojektes erzählt habe. Dieser Begriff ist mir selbst erst während meines Studiums des Kulturerbes begegnet. Auch auf die Gefahr hin, dass dieser Blogeintrag ein wenig trockener ausfallen wird als die übrigen, denke ich, dass es doch wichtig sein dürfte, dieses Thema einmal aufzudröseln.
Die inszenierten Räume sind auch unter dem Namen der Stilräume, Epochenräume und eben, am häufigsten, als Period Rooms bekannt. In diesen Räumen, die oft in Kunst- und Gewerbemuseen, jedoch auch in Freilichtmuseen zu finden sind, geht es nicht um das Exponat an sich. Vielmehr werden historische Raumgestaltungen in den Kontext des Museums eingebettet. Diese Art der Ausstellung ist im 19. Jahrhundert entstanden und dient dem Zweck, Einrichtungsströmungen und Wohninterieur einer bestimmten Zeit zu zeigen. Nach Benno Schubiger gehören dazu jedoch nicht Wohnräume in Schlössern, die am Originalstandort wiederaufgebaut wurden – wichtig bleibt die Übertragung eines historischen Raumes in den musealen Raum. Teilweise werden in der Forschungsliteratur Unterscheidungen zwischen Period Room, Stilraum und Epochenraum vorgenommen. So gelten Stilräume nach Schubiger als Zimmer, die frei mit historischen Objekten verschiedener Herkunft inszeniert werden, ohne einen tatsächlichen historischen Originalraum zu übernehmen. Epochenräume stellten eine Ansammlung von Objekten einer Stilepoche dar, die jedoch nicht zwingend als Wohnraum angeordnet würden.
Gerade in der Nachkriegszeit sahen sich die inszenierten Räume viel Kritik ausgesetzt. So galten sie aufgrund ihrer Größe als zu sperrig und nicht authentisch genug, was daran lag, dass oftmals Objekte einer Epoche gesammelt und gemeinsam ausgestellt wurden, während die Originalausstattung der Räume außer Acht gelassen wurde. Auch die Fokussierung auf Wohnräume einer elitären Oberschicht und Inszenierung einer idealen Vorstellung des Wohnens waren und sind kritikwürdig. Dabei sind die Potenziale dieser Ausstellungsform längst nicht ausgeschöpft. So ist beispielsweise eine Verknüpfung von Period Rooms mit Digitalisierung denkbar, etwa, um die Räume, die in der Regel nicht mit Objektbeschriftungen versehen sind, näher zu erläutern und begreifbar zu machen.

Leider ein sehr dunkles Foto – hier sieht man einen Period Room im Musée des Art décoratifs in Paris

Bekannte Period Rooms lassen sich im Metropolitan Museum of Art in New York, im Victoria and Albert Museum in London und im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg finden. In der nächsten Zeit habe ich einen Besuch im letzteren Museum geplant und bin schon sehr gespannt, was mich dort erwartet!
Während meines Auslandssemesters in Paris habe ich übrigens viel Zeit in inszenierten Räumen verbracht, ohne zu wissen, dass dies einmal ein wichtiges Forschungsthema für mich sein würde. Leider habe ich daher kaum Fotos von den wunderbaren Räumen im MAD (Musée des Arts décoratifs) und Cité de l’architecture et du patrimoine vorzuweisen. Vielleicht findet sich während der nächsten Monate noch eine Gelegenheit, die zahlreichen Period Rooms in Paris aufs Neue zu entdecken!

Kunst im Krieg – zur Ausstellung ukrainischer Künstler im Stadtmuseum

Im Stadtmuseum ist zurzeit eine Ausstellung mit Werken ukrainischer Künstler und Künstlerinnen zu sehen. Die Ausstellung „Einen Schritt vor dem Krieg“ wurde im Zuge des russisch-ukrainischen Krieges in einer Rekordgeschwindigkeit von vier Wochen auf die Beine gestellt. Entsprechend minimalistisch ist die Konzipierung der im Kreuzgang ausgestellten Bilder geraten – dies fügt sich jedoch gut in die Thematik des Krieges ein.
Eingeleitet wird die Ausstellung mit einem Interview von Petro Antyp. Der Künstler stammt aus Donezk und musste wegen seiner politischen Haltung in die ukrainische Hauptstadt fliehen. Da Putin nicht glaube, dass es eine ukrainische Kultur gäbe, findet Antyp es umso wichtiger, dass ukrainische Künstler viel mehr solcher Ausstellungen machen. Neben Antyp sind Werke von Sergij Sakharow, Oleksandr Serdyuk, Igor Panchuk, Oleksii Konoshenko und Victoriia Romanchuk vertreten. Die Verbindung einiger Bilder zum Krieg wird oft erst auf den zweiten Blick deutlich: hier ein gespaltener Schädel, den Blick stoisch in die Leere gerichtet, dort ein schwarzer Strich, wie eine Zäsur auf dem weißen Stein. Die Werke sind kraftvoll und melancholisch und wirken oft auch in Verbindung mit den beschriebenen Biografien der Künstler nach. So erfährt man, dass Sakharow aufgrund seines künstlerischen Protestes in der besetzten Stadt Donezk festgenommen und gefoltert wurde.

Viktoriia Romanchuk: Die Schusswunde, 2011

Am Ende des Kreuzganges wird erneut ein Video gezeigt: Diesmal stellt die Ukraine sich selbst vor; als Personifikation, als “beautiful woman”. Sie zeigt ihre Historie, ihre Schönheit und ihren Schrecken, den Krieg, unter dem ihre Kinder leiden. Zum Ende lädt sie uns, als Zusehende und als Europäer, ein, sie zu besuchen – in besseren Zeiten.
Die Ausstellung macht nachdenklich und betroffen. Sie zeigt jedoch auch, wie Kunst eine Form von Widerstand sein kann und wie wichtig sie ist, als Protest, als ein Gegenhalten zum Terror und als Lichtblick.
Der Eintritt zu der Ausstellung ist kostenlos, man kann jedoch eine Spende an die Künstler entrichten. Bis zum 5. Juni ist die Ausstellung noch im Stadtmuseum Paderborn zu sehen.

Wo Poesie und Pils aufeinander treffen

Während des ersten Jahres der Corona-Pandemie wurden in den Nachrichten oft Bilder von ausgestorbenen Großstädten gezeigt; vom leeren Petersplatz in Rom, auf dem sich sonst die Touristen drängeln, oder vom Champ de Mars in Paris, wo bei gutem Wetter überall gepicknickt wird. Wie leergefegt waren auch die kulturellen Rückzugsorte, die Museen, Theater und Sehenswürdigkeiten. Face-to-Face wurde durch Digitalisierung ersetzt, war manchmal eine gute Alternative mit ungeahnten Möglichkeiten, besonders im kulturellen Bereich jedoch bestenfalls ein kurzzeitiger Ersatz. Auch der Poesiehafen, eine Lesebühne im Globetrotter Paderborn, die von Gina Kassis ins Leben gerufen wurde, musste sich viel zu lange mit einem digitalen Format begnügen.
Seit 2018 gibt es den Poesiehafen. Am 28. April konnte er erstmals wieder wie gewohnt stattfinden. Neben Lyrik wurde auch Prosa und Musik dargeboten. Ich selbst war bereits bei der Premiere des Poesiehafens sowie bei den digitalen Angeboten als Leserin dabei. Auch dieses Mal durfte ich einen Auszug aus einer Kurzgeschichte vorlesen und konnte nach langer Zeit wieder erleben, wie kreativer Austausch in wahrhaftigen und nicht virtuellen Räumen entsteht.

Beim Poesiehafen kann man zwischen Bier und Schnaps selbstgeschriebenen Texten lauschen.

Für die musikalische Untermalung des Abends sorgten Tizz und Steiser, elf Leser und Leserinnen (Verena, Nabilah, Hendrik zur Mühlen, Angel, Niklas, meine Wenigkeit, Wölko, Noemi, Justus, Jann und Julia) boten Lyrik und Prosa dar. Nachdem sich meine Aufregung nach meiner Lesung, die vor der Pause stattfand, langsam gelegt hatte, konnte ich die zweite Hälfte des Programms entspannt genießen. Besonders eindrücklich fand ich dabei Jann Wattjes, der mit mir die ostfriesische Herkunft und das darin begründete gelegentliche zum „ä” transformierte „e” teilt. In seinem Text schaffte er ungeahnte Verbindungen zwischen Elvis und Auflauf und bewies, dass er sich zurecht einen Namen in der Poetry-Slam-Szene gemacht hat.
Wie zu jedem Poesiehafen platzte die Kneipe Globetrotter im Hafenviertel von Paderborn aus allen Nähten. Gina Kassis erzählte mir, dass nicht nur unter den Zuhörenden, sondern auch unter den Lesenden sehr viel Andrang herrscht. Für den nächsten Poesiehafen, der am 19. Mai stattfinden soll, ist die Liste der Vortragenden bereits voll. Wer selbst einmal etwas vor Publikum lesen möchte, muss bis zum Poesiehafen im Juni warten.
Gina Kassis war außerdem eine der ersten Personen, die ich im Zuge meines Projektes interviewen durfte. Impressionen aus diesem Gespräch werde ich natürlich auch hier bald teilen. Weiterhin gilt: Wer Interesse hat, sich zur Kunst- und Kulturszene interviewen zu lassen, kann sich gerne jederzeit hier melden. Ich freue mich über jedes Gespräch, jetzt, wo es auch wieder in Präsenz möglich ist!

Die wilden Siebziger halten Einzug in Paderborn

Anfang des Jahres sah ich auf einer Social-Media-Plattform, dass für die Musicalproduktion „PaderBORN TO BE WILD” der Studiobühne noch Hilfe hinter der Bühne gesucht wird. Da mich Kunst und Kultur nicht nur im wissenschaftlichen Sinne beschäftigen, sondern auch in meinem privaten Leben einen wichtigen Stellenwert innehaben, ergriff ich die Chance und bot mich als Dramaturgieassistentin an. Hier erhielt ich einen wunderbaren Einblick in den Entstehungsprozess eines Theaterstücks – von der ersten Leseprobe mit Textbuch bis hin zur Aufführung mit Musik, Scheinwerfern und Publikum. Vor einigen Jahren war ich bereits zweimal als Darstellerin sowie einmal als Regieassistentin bei der Studiobühne tätig. Daher war die Arbeit an dem Musical, das zum 50-jährigen Jubiläum der Universität Paderborn in die siebziger Jahre entführt, auch eine kleine persönliche Reise in die Vergangenheit.
Das Musical erzählt die Geschichte von Tobi, der die alte Paderborner WG seines Onkels eigentlich nur entrümpeln will – bis er sich mit seiner Freundin Sarah im Jahr 1972 wiederfindet und auf die jüngeren Versionen von Onkel Bernd und dessen Mitbewohnern trifft. Dabei geben die Akteure mit ansteckender Energie die Klassiker der Siebziger zum Besten: vom Schlager „Es fährt ein Zug nach Nirgendwo” bis zur Bikerhymne „Born to be wild”. Das Musical markiert auch den Einstand von Sascha Löschner, dem neuen Leiter der Studiobühne. Nach der pandemiebedingten Pause kehrt das Leben endlich wieder auf die Bühne zurück!

Das Musical wird in zwei Besetzungen gespielt: Hier mit Lisa Marie Finke, Alyssia Schröder, Paul Haverland, Leonie Machinia, Robin Katona, Moritz Pottkämper, Kim Gorschlüter und Felix Wegerich.

Als ich mich erstmals eingehender mit der Thematik des period room auseinandersetzte, dachte ich auch über Räume im Allgemeinen nach. Im Deutschen wird mit der Begrifflichkeit der inszenierten Räume eine Komponente, die sich auch im Theater findet, deutlich. Die Vorstellung eines begrenzten Ortes, der als Bühne einer gewissen Darstellung dient, erinnerte mich an die Gemeinsamkeiten zwischen Museen und Theatern. Geschichte und Geschichten werden durch beide Medien anschaulich gemacht. Besonders interessant waren beim Musical die begeisterten Reaktionen von Zuschauern, die diese Zeit selbst miterlebt haben. Für meine Generation sind die siebziger Jahre im Grunde bereits tote Geschichte, für ältere Menschen stellen sie die eigene Vergangenheit dar, die lebendig bleibt. So wie die inszenierten Räume ein Abbild einer Vergangenheit sein sollen, so versucht auch das Theater, Perspektiven auf das Leben zu werfen.
Wer sich das Musical noch anschauen möchte, hat an folgenden Terminen die Gelegenheit dazu:
12.5., 14.5., 3.6., 30.6., 2.7. um 19:30 Uhr; 23.6. um 19:00 Uhr