Eindrücke aus dem Paderborner Stadtmuseum (Teil 1)

Rechts? Links? Geradeaus? Hier beginnt die Dauerausstellung. Aufgenommen mit leider gänzlich ungeeigneter Handy-Kamera.

Ticket gekauft, Tasche und Mantel verstaut. Wie jeder Besucher im Foyer des Paderborner Stadtmuseums habe ich jetzt die Wahl: Links ginge es in die aktuelle Sonderausstellung „Briten in Westfalen“. Geradeaus käme ich in den Kreuzgang des ehemaligen Abdinghof-Klosters und zur rechten Seite führt mich eine Wendeltreppe in die stadtgeschichtliche Dauerausstellung. Heute bin ich einer der wenigen, die sich für die Wendeltreppe entscheiden. Die meisten Besucher haben den Weg nach links eingeschlagen, wohl auch, weil die „Briten in Westfalen“ nur noch heute und morgen zu sehen sind.

Die Dauerausstellung beginnt am unteren Ende der Wendeltreppe.   Behandelt wird hier das Stadtbild, wie es uns seit der frühen Neuzeit auf Drucken und Gemälden begegnet. In ihrer Gesamtschau verdeutlichen diese Kunstwerke den Wandel Paderborns, sowie den Wandel in der Art seiner Darstellung bis ins frühe 20. Jh. Jedes Exponat lädt mich dazu ein, nach dem zu suchen, was bis heute erhalten und sichtbar geblieben ist, sowie nach dem, was seither verschwunden ist. So prägt der Dom bekanntermaßen noch heute die Paderborner Silhouette, während die Stadtmauer und ihre zahlreichen Türme nur mehr teilweise erhalten sind. Auch bilden sie längst keine Barriere zwischen Stadt und Umland mehr.

Erläuterte Modelle wichtiger Paderborner Stadtbauten. Im Hintergrund: Überreste des Torbogens eines Kaufmannshauses aus dem frühen 17. Jh.

Wer die Wendeltreppe hinaufgestiegen ist, was bei genauer Betrachtung der genannten Kunstwerke eine Weile dauern sollte, ist im architekturgeschichtlichen Teil der Ausstellung angelangt. Hier werden einzelne, besonders signifikante Bauwerke der Stadt anhand von Modellen vorgestellt. Man beginnt beim imposanten Kaufmannshaus aus dem 12. Jh. und endet bei der Universität der 1970er Jahre. Jedes Gebäude repräsentiert eine Epoche der Stadtgeschichte, mit ihren jeweiligen Bauherren, ihren architektonischen Möglichkeiten, Bedürfnissen und Vorlieben.

Nicht nur in der Stadt, jenseits der Museumsmauern, gibt es immer etwas zu entdecken! Es lohnt sich ein Blick in die Schubladen…

Wer detaillierte Informationen sucht, findet sie in den spannend und kurzweilig gestalteten Lehrfilmen, die die knappen Erläuterungstexte an den Modellen ergänzen. So bekommt der interessierte Besucher die (Sozial-)Geschichte der Stadt gleich miterzählt, ohne dass er hierfür meterlange Wandtexte lesen müsste. Zwar wird niemand, denke ich, jeden Einzelnen der Filme schon beim ersten Besuch ansehen. Das Schöne an Dauerausstellungen ist aber, dass sie uns nicht davonrennen…

Persönlich fühle ich mich motiviert, die in der Ausstellung besprochenen Gebäude zeitnah selbst aufzusuchen oder zumindest ihnen in meinen Wanderungen durch die Stadt mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Geht es auch anderen Besuchern so? Ich freue mich darauf, dies bald herausfinden zu können.

Besonders eindrücklich vertreten ist auch ein städtisches Bauwerk, an das nur ein 1993 errichtetes Mahnmal erinnern kann: die 1938 zerstörte Paderborner Synagoge in der Straße „Am Busdorf“. Ein einzelnes durch Feuer geschwärztes ovales Fenster verweist auf das Schicksal dieses 1882 errichteten Gotteshauses. Ein eigener Lehrfilm lässt es als virtuelle Rekonstruktion für den Besucher neu auferstehen, zeigt die Bilder der Zerstörung und erinnert an die hundert Paderborner Juden, die den Nazi-Genozid nicht überlebt haben.

Auf den architekturgeschichtlichen Teil der Dauerausstellung folgt dessen Herzstück: die Präsentation der städtischen Sammlungen. Für deren Besprechung siehe Teil 2!

Herzliche Grüße und bis bald,

Paul Duschner

Zur Ausstellung „Was haben Hühner, Kinderbücher, Mäuse …“

Mit der Rezeption des Holocausts befasst sich eine aktuell in der Universitätsbibliothek gezeigte Ausstellung. Thema ihrer fünf Wandplakate ist nicht die institutionell verankerte Erinnerungskultur, wie sie in Mahnmälern, Jahrestagen und in offiziellen Gedenkveranstaltungen zum Ausdruck kommt: Unter Bezug auf einschlägige Forschungsarbeiten haben sich die Macher der Erinnerung im Privaten, Alltäglichen und in verschiedenen Medien gewidmet. Behandelt wird beispielsweise der Umgang mit dem Geschehenen in den Familien der Überlebenden, wobei auch Vertreter der zweiten und dritten Generationen zu Wort kommen:

„Ich musste Deutschland kennenlernen. Ich konnte die Geschichten nicht glauben. Ich musste es mit eigenen Augen sehen. Meine Eltern verboten uns nach Deutschland zu gehen. Wir durften nicht einmal den Namen aussprechen oder Sachen aus Deutschland kaufen…“

Ein inhaltlich und gestalterisch besonders gelungenes Plakat trägt den einprägsam alliterierenden Titel „Hühner und der Holocaust“. Mit den Hühnern sind jene aus dem animierten Trickfilm „Chicken Run“ gemeint, einem Kinohit aus dem Jahre 2000. Er erzählt die Geschichte sprechender Legehennen, denen die Verarbeitung zu Hühnerpastete droht, was im Netz als „allusion to the Holocaust“ interpretiert wurde. Konkret parodiert „Chicken Run“ allerdings einen Film der 1960er Jahre, der nur im weitesten Sinne mit dem Holocaust zu tun hat: den Film „Gesprengte Ketten“. Dieser handelt von den Ausbruchsversuchen britischer Soldaten aus einem deutschen Kriegsgefangenenlager. Seither, so die These der Ausstellungsmacher, hat sich der Holocaust allerdings international „als vorherrschendes Narrativ des 2. Weltkriegs“ etabliert und die nationalen Narrative mit ihrem Fokus auf den Heldentaten der eigenen Soldaten und Zivilisten abgelöst. An ihn erinnern uns auch aktuell wahrgenommene Akte der Unmenschlichkeit. So sei es naheliegend, dass ein Film wie „Chicken Run“ heute primär Assoziationen an den Holocaust wecke und nicht wie sein Vorgänger „Gesprenge Ketten“ an Heroismus und Widerstand.

Während ich die einzelnen Plakate betrachte, bemerke ich einen älteren Herrn mit Schal und Schirmmütze neben mir. Unter dem linken Arm trägt er einen dünnen Stapel Bücher. Mit interessierter Miene mustert er die Plakate und nickt dabei immer wieder. Dann wendet er sich plötzlich mir zu und deutet mit ausgestrecktem Finger auf den Schriftzug: „Ilse Koch ließ Lampenschirme aus Menschenhaut anfertigen.“ „Das ist wirklich so gewesen“, versichert er mir in engagierten Ton. „Als Jugendlicher habe ich ein Buch darüber gelesen.“ Ich möchte mehr erfahren. Ich frage ihn: „Sind Sie gekommen um die Ausstellung zu sehen oder sind Sie zufällig hier?“ Er sei zufällig hier, lautet die Antwort. In wenigen Augenblicken hat er sich bereits abgewandt und in Richtung Bibliotheksausgang entfernt, noch ehe ich ihn in ein Gespräch verwickeln kann.

Die Ausstellung ist noch bis 4. März zu sehen. Wer in den nächsten Tagen an der Universität zu tun hat, sollte deshalb 20 Extra-Minuten einplanen!

Die Venus vom Kamp

Man begegnet ihr, wenn man in der Paderborner Innenstadt den Kamp entlang in Richtung Marktkirche spaziert: die Statue einer Dame auf einem quadratischen Sockel, mit einer für die kalte Jahreszeit ganz ungenügenden Bekleidung. Dass sie nicht der Erregung öffentlichen Ärgernisses bezichtigt wird, verdankt sie vor allem ihrer Berühmtheit. Man kennt ihre Erscheinung aus dem Geschichtsbuch und aus Reiseführern. Vergleichbare Standbilder zieren die Eingangsräume von Künstlerateliers und mediterranen Restaurants. Längst haben sie die Fähigkeit verloren selbst den konservativsten Zeitgenossen zu empören.

Ebenso vertraut sind die Identität der Abgebildeten und die Geschichten, die man sich seit Jahrtausenden über sie erzählt: Ihr Sieg in einem Schönheitswettbewerb soll zum Krieg um Troja geführt haben und ihr Sohn ist angeblich Stammvater der Römer. Es handelt sich, wie dem Leser längst bewusst ist, um die antike Liebesgöttin: Aphrodite bei den alten Griechen genannt und Venus bei den Römern.

Darstellungen der Göttin mit spärlicher oder überhaupt keiner Bekleidung finden sich in der antiken Kunst ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. Auch Skandale sind überliefert: Dem Bildhauer Praxiteles soll es gelungen sein, eine Marmorstatue von solcher Schönheit anzufertigen, dass Menschen von nah und fern ihren Tempel auf der Insel Knidos besuchten. Ein junger Mann konnte nicht widerstehen! Er versteckte sich und ließ sich eine Nacht mit der Statue einschließen. Ob er sich am nächsten Morgen vor Schande selbst von den Klippen stürzte, oder ob ihm von den erzürnten Inselbewohnern dabei geholfen wurde, ist nicht bekannt…

Konkretes Vorbild für die „Venus vom Kamp“ ist die „Venus von Milo“, so benannt nach der ägäischen Insel Melos, auf der sie im Jahre 1820 von einem Bauern entdeckt wurde. In einem Handgemenge zwischen osmanischen und französischen Soldaten konnten sich letztere durchsetzen: So fand die Göttin ihren Weg in den Pariser Louvre. Dessen Galerien hatten sich nach der Niederlage Napoleons 1815 deutlich geleert, da die Siegermächte ihre nach Frankreich verbrachten Kunstwerke ins eigene Land zurückholen konnten. Unter diesen befand sich die berühmte „Medici-Venus“ aus Italien, die bis dahin am meisten gelobte Vertreterin ihrer Art. Für ihren Verlust war man in Paris mit der „Venus von Milo“ mehr als entschädigt. Heute ist sie sogar die deutlich Berühmtere der beiden Statuen! Selbst für die eiligsten Besucher des Louvre gehört sie zum Pflichtprogramm, wie sonst nur die „Mona Lisa“. Kunsthistoriker datieren ihre Entstehung auf das späte 2. Jahrhundert v. Chr.

Eine Besonderheit, die die „Venus vom Kamp“ von der „Venus von Milo“ geerbt hat, sind die fehlenden Arme. Was hielt die Göttin einst in ihren Händen? Ein Zepter? Einen Schild? Einen Spiegel? Oder etwa den Apfel, den der trojanische Prinz Paris ihr überreicht haben soll? Gehörte die „Venus von Milo“ vielleicht sogar zu einer Statuengruppe? Hatte sie ihre Arme zärtlich um die Schultern ihres mythischen Liebhabers geschlungen, den Kriegsgott Mars? All diese Theorien sind ebenso plausibel wie nicht beweisbar!

Zwar handelt es sich bei der „Venus vom Kamp“ um eine Kopie. Doch auch diese haben bei antiken Statuen eine lange Tradition. So dienen derartige Stücke aus Gips den Schülern der Künste seit Jahrhunderten als Zeichenvorlage. In München füllen sie beispielsweise ein ganzes Museum: Eintritt frei, gleich neben der Glyptothek!

Primäre Aufgabe der „Venus vom Kamp“ scheint es, die Aufmerksamkeit des Passanten auf die Angebote eines Bademode-Geschäfts zu lenken. Unabhängig davon trägt sie einen Hauch von klassischer Kunst und mediterraner Eleganz in die Paderborner Innenstadt. Hoffen wir, dass sie dort noch lange steht!

Herzliche Grüße und bis bald,

Paul Duschner

Neuer Stadtschreiber angekommen!

Liebe Leserinnen und Leser,

Mein Umzug von Bayern nach Paderborn ist erfolgt, der zeitraubende Aufbau diverser Discounter-Möbel abgeschlossen und eine Internetverbindung hergestellt. Nun bin ich in der glücklichen Lage, den Blog fortzuführen, für den meine engagierte Vorgängerin bereits so viele Leser begeistern konnte.

Kurz zu mir: Ich bin 29 Jahre alt, habe Geschichte und Englisch an der LMU München studiert sowie Kulturerbe an den Universitäten in Paderborn und Le Mans (Frankreich). Nächstes Ziel: Doktorgrad!

Der künftige Paderborner Stadtschreiber, 2017, in einer europäischen Großstadt unterwegs. Wer erkennt sie? —> Kommentar!

 

Auf diesem Blog möchte ich in den folgenden Monaten meine Erlebnisse und Eindrücke als Paderborner Stadtschreiber festhalten und Menschen aus der Stadt und ihrer Umgebung zu Worte kommen lassen. Vor allem berichten möchte ich über:

  1. kulturelle Ereignisse vom allseits bekannten honorigen Libori-Fest bis zur studentischen Street Art, vom wissenschaftlichen Vortrag bis zum ausgelassenen Straßenfest.
  2. temporäre und dauerhafte Ausstellungen in den zahlreichen Museen im Kreis Paderborn. Besonders sehenswerte Einzelstücke können dabei einen eigenen kleinen Artikel erhalten.
  3. die Aktivitäten der örtlichen Vereine, die sich der Pflege des städtischen kulturellen Erbes, der Kunst und dem Sammeln verschrieben haben. Ich freue mich sehr darauf ihre Mitglieder kennenzulernen und hoffe, dass sich mancher für ein kleines „Stadtschreiber-Interview“ auf diesem Blog zur Verfügung stellen wird.

Ebenfalls möchte ich persönliche Sammlungen aus Paderborn vorstellen. Wer Münzen, Briefmarken, Telefone, Werbekugelschreiber, Waschmaschinen etc. sammelt oder diese vom Urgroßvater geerbt hat, ist herzlichst eingeladen, sich mit mir via E-Mail (stadtschreiber@paderborn.com) in Verbindung zu setzen. Der Sammlung würde dann ein eigener Artikel auf diesem Blog gewidmet werden, gemeinsam mit allen Geschichten und Anekdoten, die der glückliche Besitzer mit seinen Mitmenschen teilen möchte.

Eine erste solche Sammlung habe ich bereits aufgespürt: Es handelt sich um chinesische Münzen aus dem letzten und vorletzten Jahrhundert! Mit einem heimkehrenden Missionar nach Deutschland gekommen, wurden sie als Erbstücke in der Familie weitergegeben und befinden sich nun in der sicheren Obhut einer Paderborner Studentin.

Herzliche Grüße und bis bald!

Paul Duschner