Zur Ausstellung „Was haben Hühner, Kinderbücher, Mäuse …“

Mit der Rezeption des Holocausts befasst sich eine aktuell in der Universitätsbibliothek gezeigte Ausstellung. Thema ihrer fünf Wandplakate ist nicht die institutionell verankerte Erinnerungskultur, wie sie in Mahnmälern, Jahrestagen und in offiziellen Gedenkveranstaltungen zum Ausdruck kommt: Unter Bezug auf einschlägige Forschungsarbeiten haben sich die Macher der Erinnerung im Privaten, Alltäglichen und in verschiedenen Medien gewidmet. Behandelt wird beispielsweise der Umgang mit dem Geschehenen in den Familien der Überlebenden, wobei auch Vertreter der zweiten und dritten Generationen zu Wort kommen:

„Ich musste Deutschland kennenlernen. Ich konnte die Geschichten nicht glauben. Ich musste es mit eigenen Augen sehen. Meine Eltern verboten uns nach Deutschland zu gehen. Wir durften nicht einmal den Namen aussprechen oder Sachen aus Deutschland kaufen…“

Ein inhaltlich und gestalterisch besonders gelungenes Plakat trägt den einprägsam alliterierenden Titel „Hühner und der Holocaust“. Mit den Hühnern sind jene aus dem animierten Trickfilm „Chicken Run“ gemeint, einem Kinohit aus dem Jahre 2000. Er erzählt die Geschichte sprechender Legehennen, denen die Verarbeitung zu Hühnerpastete droht, was im Netz als „allusion to the Holocaust“ interpretiert wurde. Konkret parodiert „Chicken Run“ allerdings einen Film der 1960er Jahre, der nur im weitesten Sinne mit dem Holocaust zu tun hat: den Film „Gesprengte Ketten“. Dieser handelt von den Ausbruchsversuchen britischer Soldaten aus einem deutschen Kriegsgefangenenlager. Seither, so die These der Ausstellungsmacher, hat sich der Holocaust allerdings international „als vorherrschendes Narrativ des 2. Weltkriegs“ etabliert und die nationalen Narrative mit ihrem Fokus auf den Heldentaten der eigenen Soldaten und Zivilisten abgelöst. An ihn erinnern uns auch aktuell wahrgenommene Akte der Unmenschlichkeit. So sei es naheliegend, dass ein Film wie „Chicken Run“ heute primär Assoziationen an den Holocaust wecke und nicht wie sein Vorgänger „Gesprenge Ketten“ an Heroismus und Widerstand.

Während ich die einzelnen Plakate betrachte, bemerke ich einen älteren Herrn mit Schal und Schirmmütze neben mir. Unter dem linken Arm trägt er einen dünnen Stapel Bücher. Mit interessierter Miene mustert er die Plakate und nickt dabei immer wieder. Dann wendet er sich plötzlich mir zu und deutet mit ausgestrecktem Finger auf den Schriftzug: „Ilse Koch ließ Lampenschirme aus Menschenhaut anfertigen.“ „Das ist wirklich so gewesen“, versichert er mir in engagierten Ton. „Als Jugendlicher habe ich ein Buch darüber gelesen.“ Ich möchte mehr erfahren. Ich frage ihn: „Sind Sie gekommen um die Ausstellung zu sehen oder sind Sie zufällig hier?“ Er sei zufällig hier, lautet die Antwort. In wenigen Augenblicken hat er sich bereits abgewandt und in Richtung Bibliotheksausgang entfernt, noch ehe ich ihn in ein Gespräch verwickeln kann.

Die Ausstellung ist noch bis 4. März zu sehen. Wer in den nächsten Tagen an der Universität zu tun hat, sollte deshalb 20 Extra-Minuten einplanen!

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