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Täuschen, Schummeln und Betrügen an der Hochschule im Licht der Bildungsforschung 4/7 – Teil 1

Der Sache auf den Grund gehen…

Bildnachweis: (c) Wikipedia, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cheating.JPG, CC-BY-SA 3.0

Auch an Universitäten wird geschummelt! Nach einer etwas längeren Pause setzen wir daher hier im Blog heute unsere Artikelreihe zum Täuschen und Betrügen bei Prüfungen im Studium fort, also zu Aktivitäten, die auch als akademisches Fehlverhalten bezeichnet werden. In dieser Reihe werfen wir insbesondere einen Blick darauf, welche Ergebnisse empirischer Bildungsforschung vorliegen. Im ersten Beitrag ging es um verschieden Arten des akademischen Fehlverhaltens im Studium, im zweiten Beitrag um Methoden, dieses Verhalten auch empirisch zu erfassen (Wer gibt es schon gerne zu?) und im dritten Beitrag darum, wie verbreitet verschiedene Formen akademischen Fehlverhaltens eigentlich sind.

Warum täuschen Studierende denn nun?

Dieser Beitrag schaut genauer auf Gründe für Täuschungen bei Prüfungen im Studium. Es geht also um die Frage, welche Faktoren akademischen Fehlverhalten begünstigen bzw. mit welchen (Risiko-)Faktoren akademisches Fehlverhalten von Studierenden zusammenhängt. Mit der Beantwortung dieser Frage ist auch das Ziel verbunden, Ansatzpunkte für passende Maßnahmen zur Vermeidung von Fehlverhalten zu entwickeln und in Studiengänge zu implementieren. In der empirischen Bildungsforschung liegen hierzu Ergebnisse aus einer großen Menge unterschiedlicher Studien vor, die sich darin unterscheiden, welche Formen des akademischen Fehlverhaltens, welche Prüfungsformate und welche möglichen Einflussfaktoren betrachtet werden (Parnther, 2020; Awasthi, 2019; Moss et al., 2018). Viele dieser Studien wurden mit Bezug zu komplexen theoretischen Modellen geplant, durchgeführt und ausgewertet (z.B. Wert-Erwartungs-Theorie, vgl. Eccles & Wigfield, 2002; Theorie geplanten Verhaltens, vgl. Ajzen, 1991). Andere Studien haben Zusammenhänge eher explorativ untersucht (z.B. Gama et al., 2013). Dabei kamen jeweils auch unterschiedliche Methoden der (statistischen) Auswertung zum Einsatz. Der Erkenntnisstand zu (möglichen) Ursachen von bzw. Einflussfaktoren auf akademisches Fehlverhalten kann daher nicht umfassend in einem Blogbeitrag dargestellt werden (Was schon an der Länge der Literaturliste erkennbar ist 😉 ). Wir beschreiben ihn daher eher überblicksartig und geben an, wenn Ergebnisse aus internationalen Studien sich von Forschungen, die sich auf Studierende in Deutschland beziehen, unterscheiden (z.B. Kroher, 2020; Sattler & Diewald, 2013). Für eine angenehmere Lesbarkeit im Blog, haben wir den Beitrag zudem auf zwei Posts aufgeteilt.

Welche Faktoren haben einen Einfluss?

Wie oben erwähnt, betrachteten viele Untersuchungen unterschiedliche Aspekte, die sich zwischen einzelnen Studien mehr oder weniger stark unterscheiden (Parnther, 2020; Awasthi, 2019; Moss et al., 2018; Park, 2003). Häufig wurde auch eine Vielzahl solcher Faktoren gleichzeitig betrachtet, um abzuschätzen, welche Aspekte wesentliche Einflüsse auf akademisches Fehlverhalten haben und welche vielleicht eher vernachlässigbar sind (z.B. Kroher, 2020; Yu et al., 2017). Trotz dieser Unterschiede können diese Faktoren aber nach drei verschiedenen Merkmalskategorien unterschieden werden. Zwar ist die Zuordnung einzelner Faktoren nicht immer ganz trennscharf, sie ermöglichen es aber dennoch, eine gute Übersicht zu erstellen.

  1. Merkmale der Studierenden: Gemeint sind hiermit Faktoren, die sich auf die Studierenden als Individuum beziehen und unterschiedlich zwischen einzelnen Personen ausgeprägt sein können, wie z.B. das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit oder auch demografische Merkmale wie das Geschlecht.
  2. Merkmale der Institution: Hiermit sind Faktoren gemeint, die sich auf die jeweilige Hochschule, die Studienorganisation oder die konkrete Lernumgebung beziehen, in denen Prüfungssituationen eingebettet sind. Dies meint z.B. festgelegte Sanktionen für Fehlverhalten, die Workload im Studium oder auch die Inhalte von Lehrveranstaltungen.
  3. Merkmale des sozialen Umfelds: Dies bezeichnet Faktoren des weiteren sozialen Kontextes, in dem akademisches Fehlverhalten auftreten kann, wie z.B. ob Mitstudierende häufig täuschen oder ob eine große Konkurrenz zwischen Studierenden herrscht.

Im Folgenden beschreiben wir Zusammenhänge von akademischem Fehlverhalten und verschiedenen Faktoren entlang dieser drei Ebenen. Bei der Interpretation der Ergebnisse sollte beachtet werden, dass sie meistens mit Formaten des direct response erhoben wurden, die Studierenden also direkt befragt wurden (siehe hierzu unseren zweiten Beitrag). Darüber hinaus handelt es sich bei den meisten Untersuchungen um Querschnittsbefragungen, bei denen die Studierenden also zu einem festen Zeitpunkt befragt wurden. Diese Ergebnisse werden zwar meist dahingehend interpretiert, dass die gefundenen korrelativen Zusammenhänge auch Ursachen für Fehlverhalten beschreiben. Streng genommen liefern sie allerdings nur einen Hinweis auf mögliche Ursachen und können keine Kausalität begründen. Hierzu wären bspw. Längsschnittstudien notwendig (vgl. Reinders, 2006).

1. Merkmale der Studierenden

Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit: Ein wesentlicher Faktor, von dem sich in vielen Studien gezeigt hat, dass er mit akademischem Fehlverhalten unterschiedlicher Formen zusammenhängt, ist das Vertrauen Studierender in die eigene Leistungsfähigkeit (Parthner, 2020; Moss et al., 2018). Nehmen Studierende sich selbst als weniger leistungsstark bzw. „gut“ wahr, dann geben sie eher an, im Studium schon (ein- oder mehrmals) getäuscht zu haben. Dies zeigt sich in Studien z.B. in Zusammenhängen zwischen Fehlverhalten und der eingeschätzten eigenen Kompetenz oder Selbstwirksamkeit (Fatima et al., 2020; Sattler & Diewald, 2013; Kaldo & Reiska, 2012; Marsden et al., 2005; Whitley, 1998), der von Studierenden eingeschätzten Wahrscheinlichkeit eine Prüfung zu bestehen (z.B. Fatima et al., 2020), der Angst vor Nicht-Bestehen und damit verbundenen Konsequenzen für die eigene Zukunft (z.B. Fatima et al., 2020), subjektiv wenig wahrgenommenen Erfolgserlebnissen im Studium (z.B. Liebendörfer & Göller, 2016) oder darin, dass sie ihre eigene Vorbereitung auf Prüfungen als unzureichend empfinden (z.B. Yu et al., 2017). Bei diesem Einflussfaktor stellt sich auf Basis der bestehenden Studien allerdings generell die Frage: „Was war zuerst da? – Misserfolgserlebnisse oder ein geringes Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit (vgl. Liebendörfer & Göller, 2016)?“ Ein klassisches Henne-Ei-Problem also.

Fehlende Fähigkeiten und Kenntnisse: Der Zusammenhang zwischen akademischen Fehlverhalten und geringer Leistungsfähigkeit zeigt sich nicht nur in der subjektiven Wahrnehmung, sondern auch im Zusammenhang zu etwas „objektiveren“ Maßen von Leistungsfähigkeit wie dem Notenschnitt im Studium (z.B. McCabe et al., 2012; Straw, 2002; vgl. Foster, 2016). Dies gilt allerdings nicht unbedingt für Untersuchungen, die Studierende in Deutschland betrachtet haben (z.B. Kroher, 2020). Auch konnten einige Studien beobachten, dass akademisches Fehlverhalten (hauptsächlich beim Plagiieren) auch mit fehlenden Kenntnissen korrekten Verhaltens zusammenhängt (Perry, 2010; Park, 2003; vgl. Moss et al., 2018; vgl. Sattler & Diewald, 2013).

Weitere motivationale Merkmale: Neben dem Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit wurden auch Zusammenhänge zwischen der Häufigkeit akademischen Fehlverhaltens und weiteren motivationalen Merkmalen von Studierenden beobachtet. Studierende, die bzgl. ihres Studiums eher extrinsisch motiviert sind (z.B. durch die Aussicht auf eine externe Belohnung) tendieren eher dazu zu Täuschen, als Studierende, die eher intrinsisch motiviert sind (z.B. durch Interesse an ihrem Studienfach) (Sattler & Diewald, 2013; vgl. Davy et al., 2007; aber vgl. Nitsche et al., 2014;). Der Einfluss negativ ausgeprägter motivationaler Merkmale zeigt sich auch bei geringer Anstrengungsbereitschaft (Sattler & Diewald, 2013), bei geringer wahrgenommener eigener Konzentrationsfähigkeit (Sattler & Diewald, 2013) oder bei einer gering wahrgenommenen Kontrolle über eigenes Verhalten (Yu et al., 2018; Yu et al., 2017). Diese Merkmale werden auch häufig im Konzept der Prokrastination zusammengefasst untersucht, also einem generellen Aufschiebeverhalten im Studium. Ist dieses bei Studierenden (subjektiv) stärker ausgeprägt, berichten sie auch häufigeres akademisches Fehlverhalten in allen Formen (Patrzek et al., 2015; Sattler & Diewald, 2013). Da dieses Verhalten auch eher bei Studierenden auftritt, die ihr Studium mit einem starken Fokus auf sich selbst bestreiten (self-focused purpose, Yu et al., 2017), zeigen sich auch Zusammenhänge von Fehlverhalten und ausgeprägteren außercurricularen und Freizeitaktivitäten (Yu et al., 2017).

Einstellungen zu akademischem Fehlverhalten: Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor bezieht sich darauf, wie akademisches Fehlverhalten von Studierenden selbst bewertet wird. Studierende, die akademisches Fehlverhalten selbst moralisch stärker verurteilen bzw. negativ betrachten, geben weniger häufig solches Verhalten an, als Studierende, die Fehlverhalten eher akzeptieren oder positiver bewerten (Yu et al., 2017; Nitsche et al., 2014; Sattler et al., 2013; Sattler & Diewald, 2013; Whitley, 1998). Es zeigt sich auch ein Zusammenhang dazu, wie bedeutsam Studierende Ehrlichkeit als Wert für sich selbst einschätzen (Kroher, 2020). Dabei unterscheiden sich die Einstellungen und Normen Studierender durchaus auch zwischen verschiedenen Prüfungsformen (z.B. Nitsche et al., 2014; Sattler & Diewald, 2013). Bspw. wird von Studierenden in der Untersuchung von (Kroher, 2020) die Regeltreue bei Klausuren als subjektiv bedeutsamer eingeschätzt, als bei Hausarbeiten. Ebenfalls wird die moralische Norm, kein akademisches Fehlverhalten zu zeigen, von Studierenden in Beziehung zu weiteren Bedingungsfaktoren gesetzt. So wird bspw. akademisches Fehlverhalten als akzeptabler betrachtet, wenn bestimmte Umstände vorliegen (z.B. kranke Familienmitglieder, um die man sich kümmern muss) (Davy et al., 2007; Granitz & Loewy, 2007). Dabei kann es sich allerdings auch um eine nachträgliche Rationalisierung eigentlich als unethisch betrachteten Verhaltens handeln (Sykes & Matza, 1957). Zum Schutz des eigenen Selbstbildes als moralische Person, wird dabei das eigene Fehlverhalten mit schlechten externen Bedingungen auch vor sich selbst entschuldigt (Roig & Caso, 2005). Die eigentliche Ursache für akademisches Fehlverhalten kann aber eigentlich in anderen Faktoren liegen (vgl. Moss et al., 2018).

Erfahrungen mit Täuschungshandlungen: Ein ebenfalls sehr relevanter Einflussfaktor für die Häufigkeit bzw. Wahrscheinlichkeit für akademisches Fehlverhalten ist das Täuschungsverhalten während der Schulzeit vor dem Studium (Kroher, 2020). Studierende, die Fehlverhalten zuvor als erfolgreiches Mittel für das Erreichen von Zielen erlebt haben (z.B. durch Spicken eine Klausur zu bestehen), tendieren auch dazu, dieses Mittel im Studium häufiger anzuwenden (Davy et al., 2007; Whitley, 1998).

Demografische Faktoren: In verschiedenen Studien wurden auch Zusammenhänge von akademischem Fehlverhalten und verschiedenen demografischen Merkmalen der Studierenden untersucht. In internationalen Studien deuten sich z.B. Tendenzen an, dass männliche Studierende häufiger Fehlverhalten als weibliche Studierende berichten (z.B. Yu et al., 2017; Crown & Spiller, 1998; Whitley, 1998), was allerdings in Untersuchungen, die sich auf Studierende in Deutschland beziehen nicht eindeutig beobachtet wurde (Kroher, 2020; Sattler & Diewald, 2013). Ebenfalls geben jüngere Studierende bzw. Studienanfänger*innen häufigeres Fehlverhalten an als ältere Studierende (vgl. Kroher, 2020; Sattler & Diewald, 2013; Whitley, 1998; Newstead et al., 1996). Zudem werden Unterschiede im Fehlverhalten zwischen Studierenden verschiedener Fächer (Bertram et al., 2014; Nitsche et al., 2014; Sattler & Diewald, 2013) und verschiedener Kulturen (Ison, 2018; vgl. Awasthi, 2019) berichtet. Die politische oder religiöse Orientierung von Studierenden scheint hingegen nicht mit akademischem Fehlverhalten zusammenzuhängen, wobei diese Faktoren allerdings auch eher im anglo-amerikanischen Forschungsraum untersucht wurden (Yu et al., 2017; vgl. Davy et al., 2007). Wohl aber geben Studierende mit einem vorteilhafteren soziökonomischem Hintergrund bzw. in einer vergleichsweise guten finanziellen Situation tendenziell eher weniger akademisches Fehlverhalten an (Yu et al., 2017; vgl. Park, 2003).

Alle diese Merkmale hängen natürlich ebenfalls miteinander zusammenhängen (z.B. Prokrastinationsverhalten und Leistungsangst), so dass es schwierig ist, die Größe des Einflusses eines bestimmten Faktors einzuordnen (vgl. Park, 2003) bzw. zu identifizieren, welche Faktoren auf der individuellen Ebene die zentralen Ursachen sind.

War das schon alles?

Neben individuellen Merkmalen, liegen – wie oben schon beschrieben – auch Erkenntnisse zu Einflüssen der Institution und des sozialen Kontextes auf akademisches Fehlverhalten im Studium vor. Diese werden im zweiten Teil dieses Beitrags näher erläutert. Er wird an dieser Stelle verlinkt. Sobald er online ist.

Literatur:

  • Ajzen, I. (1991). The theory of planned behavior. Organizational behavior and human decision processes50(2), 179-211. (Online)
  • Ali, I., Sultan, P., & Aboelmaged, M. (2021). A bibliometric analysis of academic misconduct research in higher education: Current status and future research opportunities. Accountability in research, 1-22. (Online)
  • Awasthi, S. (2019). Plagiarism and academic misconduct: A systematic review. DESIDOC Journal of Library & Information Technology39(2). (Online)
  • Bertram Gallant, T., Binkin, N., & Donohue, M. (2015). Students at risk for being reported for cheating. Journal of Academic Ethics, 13(3), 217-228. (Online)
  • Crown, D. F., & Spiller, M. S. (1998). Learning from the literature on collegiate cheating: A review of empirical research. Journal of Business Ethics, 17(6), 683-700. (Online)
  • Davy, J. A., Kincaid, J. F., Smith, K. J., & Trawick, M. A. (2007). An examination of the role of attitudinal characteristics and motivation on the cheating behavior of business students. Ethics & Behavior17(3), 281-302. (Online)
  • Dubljević, V., Sattler, S., & Racine, E. (2014). Cognitive enhancement and academic misconduct: a study exploring their frequency and relationship. Ethics & Behavior24(5), 408-420. (Online)
  • Eccles, J. S., & Wigfield, A. (2002). Motivational beliefs, values, and goals. Annual review of psychology53(1), 109-132. (Online)
  • Fatima, A., Sunguh, K. K., Abbas, A., Mannan, A., & Hosseini, S. (2020). Impact of pressure, self-efficacy, and self-competency on students’ plagiarism in higher education. Accountability in Research27(1), 32-48. (Online)
  • Foster, G. (2016). Grading standards in higher education: Trends, Context, and Prognosis. . In T. Betrag (Ed.), Handbook of Academic Integrity (pp. 307-324). Springer. (Online)
  • Gama, P., Almeida, F., Seixas, A., Peixoto, P., & Esteves, D. (2013, October). Ethics and academic fraud among higher education engineering students in Portugal. In CISPEE (Ed.), 2013 1st International Conference of the Portuguese Society for Engineering Education (CISPEE) (pp. 1-7). IEEE. (Online)
  • Granitz, N., & Loewy, D. (2007). Applying ethical theories: Interpreting and responding to student plagiarism. Journal of business ethics, 72(3), 293-306. (Online)
  • Ison, D. C. (2018). An empirical analysis of differences in plagiarism among world cultures. Journal of Higher Education Policy and Management, 40(4), 291-304. (Online)
  • Kaldo, I., & Reiska, P. (2012). Estonian science and non-science students‘ attitudes towards mathematics at university level. Teaching Mathematics and Its Applications, 31(2), 95-105. (Online)
  • Kroher, M. (2020). Akademisches Fehlverhalten: Wie ehrlich berichten Studierende über Täuschungen?. In I. Krumpal, & R. Berger (Hrsg.), Devianz und Subkulturen – Theorien, Methoden und empirische Befunde (S. 207-240). Springer VS. (Online)
  • Liebendörfer, M., & Göller, R. (2016). Abschreiben – ein Problem in mathematischen Lehrveranstaltungen? In W. Paravicini & J. Schnieder (Hrsg.), Hanse-Kolloquium zur Hochschuldidaktik der Mathematik 2014 – Beiträge zum gleichnamigen Symposium am 7. & 8. November 2014 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (S. 119–141). WTM-Verlag.
  • Marsden, H., Carroll, M., & Neill, J. T. (2005). Who cheats at university? A self‐report study of dishonest academic behaviours in a sample of Australian university students. Australian Journal of Psychology, 57(1), 1-10. (Online)
  • McCabe, D. L., Butterfield, K. D., & Trevino, L. K. (2012). Cheating in college: Why students do it and what educators can do about it. JHU Press.
  • Moss, S. A., White, B., & Lee, J. (2018). A systematic review into the psychological causes and correlates of plagiarism. Ethics & Behavior28(4), 261-283. (Online)
  • Newstead, S. E., Franklyn-Stokes, A., & Armstead, P. (1996). Individual differences in student cheating. Journal of Educational Psychology, 88(2), 229. (Online)
  • Nitsche, I., Rittmann, A., & Döpke, J. (2014). „Wirtschaftsethik “praktisch: Wie oft schummeln Studierende an der Hochschule Merseburg?. In A. Frei, & G. Marx (Hrsg.), Fahrrad – Vesper – Finanzwirtschaft Untersuchungen zu Wirtschaft und Gesellschaft. Festschrift für Eckhard Freyer (S. 11-29). Hochschule Merseburg. (Online)
  • Park, C. (2003). In other (people’s) words: Plagiarism by university students–literature and lessons. Assessment & evaluation in higher education, 28(5), 471-488. (Online)
  • Parnther, C. (2020). Academic misconduct in higher education: A comprehensive review. Journal of Higher Education Policy And Leadership Studies, 1(1), 25-45. (Online)
  • Patrzek, J., Sattler, S., van Veen, F., Grunschel, C., & Fries, S. (2015). Investigating the effect of academic procrastination on the frequency and variety of academic misconduct: a panel study. Studies in Higher Education, 40(6), 1014-1029. (Online)
  • Perry, B. (2010). Exploring academic misconduct: Some insights into student behaviour. Active Learning in Higher Education, 11(2), 97-108. (Online)
  • Reinders, H. (2006). Kausalanalysen in der Längsschnittforschung. Das Crossed-Lagged-Panel Design. Diskurs Kindheits-und Jugendforschung, 1(4), 569-587. (Online)
  • Roig, M., & Caso, M. (2005). Lying and cheating: Fraudulent excuse making, cheating, and plagiarism. The Journal of Psychology, 139(6), 485-494. (Online)
  • Sattler, S., Graeff, P., & Willen, S. (2013). Explaining the decision to plagiarize: An empirical test of the interplay between rationality, norms, and opportunity. Deviant Behavior34(6), 444-463. (Online)
  • Sattler, S., & Diewald, M. (2013). FAIRUSE – Fehlverhalten und Betrug bei der Erbringung von Studienleistungen: Individuelle und organisatorisch-strukturelle Bedingungen – Schlussbericht zum Projekt. Universität Bielefeld. (Online)
  • Straw, D. (2002). The plagiarism of generation ‘why not?’. Community college week, 14(24), 4-7.
  • Sykes, G. M., & Matza, D. (1957). Techniques of neutralization: A theory of delinquency. American sociological review, 22(6), 664-670. (Online)
  • Teixeira, A. A., & Rocha, M. F. (2010). Cheating by economics and business undergraduate students: an exploratory international assessment. Higher Education, 59(6), 663-701. (Online)
  • Whitley, B. E. (1998). Factors associated with cheating among college students: A review. Research in higher education, 39(3), 235-274. (Online)
  • Yu, H., Glanzer, P. L., Sriram, R., Johnson, B. R., & Moore, B. (2017). What contributes to college students’ cheating? A study of individual factors. Ethics & Behavior27(5), 401-422. (Online)
  • Yu, H., Glanzer, P. L., Johnson, B. R., Sriram, R., & Moore, B. (2018). Why college students cheat: A conceptual model of five factors. The Review of Higher Education, 41(4), 549-576. (Online)

Simulationen in anderen Ausbildungskontexten: Pilot*innen

Copy that!

In diesem Blogbeitrag (evtl. einer kleinen Reihe) wollen wir schauen, wie in einem anderen Beruf bzw. einer anderen Professionen performanzorienterte Lehr- und Prüfungssituationen in Ausbildungen eingesetzt und erforscht werden. Wir haben schon öfter in Vorträgen oder Blogbeiträgen die Medizin als Beispiel für ihre rollenspielbasierten Prüfungen herangezogen und auch schon Blogbeiträge dazu verfasst (z.B. hier). Starten möchten wir mit einem Berufszweig der auch von Mediziner*innen gerne als Vorbild genommen wird (z.B. Münzberg et al., 2019): Pilot*innen. Ein zentrales Werkzeug von Lehren und Prüfen sind hier Flugsimulatoren!

(c) Pixabay

Infos zur Pilot*innenausbildung

Die Pilot*innenausbildung kann nach Informationen der Vereinigung Cockpit (Vereinigung Cockpit e.V., 2022) auf verschiedenen Wegen ablaufen, aber ist eigentlich immer mit finanziellen Eigenanteilen verbunden – man muss also entweder die Ausbildung vollständig direkt selbst bezahlen, oder durch Gehaltskürzungen an eine Fluggesellschaft im Rahmen seiner Tätigkeit zurückzahlen – die Kosten liegen im Durchschnitt mindestens zwischen 70.000 von 100.000€. Die schulische Ausbildung umfasst 750 Stunden Unterricht mit Fokus auf theoretische Grundlagen und ca. 240 Flugstunden, wobei hier auch manche Ausbildungsmodelle verstärkt auf Simulatoren zurückgreifen (Vereinigung Cockpit e.V., 2022). Doch auch nach Berufseintritt spielen Simulationen eine wichtige Rolle, da Pilot*innen mehrmals im Jahr an Simulationen teilnehmen, um bestimmte Situationen zu üben (von Kopp, 2015).

Eine kurze Geschichte der Flugsimulation

Die Notwendigkeit der Entwicklung von Flugsimulatoren liegt darin begründet, dass das Auftreten von Fehlern während der Tätigkeit als Pilot*in schwerwiegende und unmittelbare Folgen für Leib und Leben der Flugzeuginsassen haben kann (Myers et al., 2018). Die ersten computerbasierten Simulatoren scheinen wohl auf das Jahr 1929 und Edwin Link zurückzugehen, jedoch erst nach Ende des zweiten Weltkriegs und den damit einhergehenden technischen Innovationen etablierten sie sich auch in der kommerziellen Luftfahrt (Page, 2000). Solche Simulatoren basierten auf realen Flugzeugen, die mit Hilfe von anderem technischen Gerät bewegt wurden oder durch Manipulation der Instrumente verschiedene Situationen nachstellten. Die Reliabilität und fidelity (=Realitätsnähe) dieser analogen Simulatoren schwankte aber aufgrund des hohen Wartungsaufwands stark, was den Weg für digitale Simulatoren ebnete. Durch weitere Neuerungen durch Bewegungs- und visuelle Systeme wurden die Simulationen immer ausgefeilter (Page, 2000), wodurch man heute sogar von virtual reality sprechen könnte.

Fidelity  vs. authenticity

Ein sehr interessanter Gesichtspunkt unter dem Flugsimulatoren erforscht werden, ist eben schon angeklungen – fidelity. Im Deutschen beschreibt der Begriff die Replikation der Realität einer Situation. Myers et al. (2018) nennen drei Elemente von fidelity:

  • Physical fidelity – Die physische Replikation der Realität, z.B. Bewegung und Geräusche beim Fliegen, aber auch die Geräte, Knöpfe, Lampen etc. im Cockpit.
  • Cognitive fidelity – Werden die gleichen kognitiven Fähigkeiten in der Simulation verlangt wie unter realen Bedingungen?
  • Functional fidelity – Inwieweit verhält sich die Simulation wie reales Equipment?

Dagegen ist authenticity nicht zwingend die objektive realitätsnahe Replikation, sondern beschreibt den Effekt, den diese auf die individuelle Wahrnehmung einer Situation der einzelnen Personen hat (Bland et al., 2014).

Es gibt interessante Ergebnisse über den Effekt von high-fidelity Simulationen, da oftmals davon ausgegangen wird, dass fidelity ausschlaggebend für den Lernerfolg ist (Myers et al. 2018). Schaut man sich aber mal ein Beispiel von lower-fidelity Simulationen an, z.B. von Dahlstrom et al. (2009), so werden auch diese von den Teilnehmenden als durchaus positiv bewertet. In der dortigen Studie sollten die Teilnehmenden auf einer Schiffsbrücke – dargestellt von nur durch Laptop, Drucker und Schreibtisch -verschiedene Situationen kommunikativ bewältigen. Gerade der Fokus darauf und das Außerachtlassen der realitätstreuen Ausstattung ist von den Teilnehmenden als positiv aufgenommen worden, da sie so weniger Ablenkung erführen würden und Dinge trainierten, denen sie sonst nicht begegnen würden (Dahlstrom et al., 2009).

Konsequenzen für uns?

Was können wir nun aus diesem kleinen AusFLUG mitnehmen? Die Unterscheidung von authenticity und fidelity ist sicher etwas, was auch in unseren rollenspielbasierten Simulationen wichtig sein wird, da wir die Prüfungen auch im Sinne einer approximation of practice (Grossman et al., 2009) gestalten und nicht die volle Komplexität des Klassenraums replizieren wollen. Außerdem bleibt natürlich der Gedanke, dass es schon fast seit 100 Jahren Simulationen für Pilot*innen gibt – aber wir in der Lehramtsausbildung, was diesbezügliche Lern- aber auch Prüfungsformate betrifft, noch recht weit am Anfang stehen.

Literatur:

  • Bland, A. J., Topping, A., & Tobbell, J. (2014). Time to unravel the conceptual confusion of authenticity and fidelity and their contribution to learning within simulation-based nurse education. A discussion paper. Nurse education today, 34(7), 1112–1118. (Online)
  • Dahlstrom, N., Dekker, S., van Winsen, R., & Nyce, J. (2009). Fidelity and validity of simulator training. Theoretical Issues in Ergonomics Science, 10(4), 305–314. (Online)
  • Grossman, P., Compton, C., Igra, D., Ronfeldt, M., Shahan, E., & Williamson, P. W. (2009). Teaching Practie: A Cross-Professional Perspective. Teachers College Record, 111(9), 2055–2100. (Online)
  • Münzberg, M., Grützner, A., Seifert, J., & Ekkernkamp, A. (2019). Weiterbildung 3.0: Der „Flugsimulator“ für Chirurgen. kma – Klinik Management aktuell, 24(01/02), 84–87. (Online)
  • Myers, P., Starr, A., & Mullins, K. (2018). Flight Simulator Fidelity, Training Transfer, and the Role of Instructors in Optimizing Learning. International Journal of Aviation, Aeronautics, and Aerospace. 5(1) (Online)
  • Page, R. (2000). Brief history of flight simulation. SimTecT 2000 proceedings, 11-17.
  • Vereinigung Cockpit e.V. (Hrsg.) (2022). Der Weg ins Cockpit. Vereinigung Cockpit e.V. (Online)
  • von Kopp, D. (Hrsg.). (2015). Warum Piloten glückliche(re) Menschen sind. Springer. (Online)

Meidingers 10 Todsünden der Schulpolitik im Licht der Bildungsforschung 2/12

Todsünde Nr. 1: Überforderung von Schule und Lehrkräften

In einer kleinen Artikelreihe beschäftigen wir uns mit dem Buch „Die 10 Todsünden der Schulpolitik – Eine Streitschrift“ von Heinz-Peter Meidinger (2021) aus der Perspektive der empirischen Bildungsforschung. Es geht uns dabei nicht um eine Rezension des Buches, sondern darum, zu schauen, wie Prämissen und Argumentationen vor dem Hintergrund von Ergebnissen der Bildungsforschung eingeschätzt werden können. Nachdem wir im ersten Beitrag Autor und Werk kurz vorgestellt und uns genauer mit der Einleitung beschäftigt haben, wenden wir uns in diesem Beitrag der ersten von zehn Todsünden der Schulpolitik zu; also, Todsünden aus Sicht des Autoren. Um den weiteren Ausführungen folgen zu können, sollte man natürlich das Buch kennen und gelesen haben. Ich möchte daher an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich eine Leseempfehlung aussprechen, auch, wenn man die Ansichten des Autors nicht immer teilt. Zu Beginn noch einmal der Hinweis: Im Folgenden formuliere ich viel im Konjunktiv. Das soll keine Zustimmung oder Ablehnung zu Thesen signalisieren, sondern folgt einfach den Regelungen zur indirekten Rede.

Ziele von Schule – Zu viele oder gerade richtig.?

Im Kapitel zur Todsünde Nr. 1 wird – grob zusammengefasst – dahingehend argumentiert, dass die Schule bzw. die tätigen Lehrkräfte zu viele Aufgaben bzw. Ziele verfolgen würden bzw. sollen. Dies wiederum führe zum einen dazu, dass nicht alle Ziele gleichermaßen erreicht werden können und zum anderen dazu, dass Lehrkräfte stark belastet werden, mit Folgen für die Gesundheit. Als Kernaufgaben der Schule werden „Unterricht, Wissens-, Kompetenz- und Wertevermittlung“ (Meidinger, 2021, 26) genannt, denen exemplarisch zehn weitere Zielerwartungen neben- bzw. gegenübergestellt werden. Darunter eher gesamtgesellschaftliche Zielerwartungen (z.B. Inklusion, Integration), aber auch konkretisierte Ziele eher auf Individualebene (z.B. Medienerziehung, Berufs- und Studienorientierung). Die Gegenüberstellung zu den definierten Kernaufgaben wird dabei leider nicht näher erläutert. Bspw. hat Schule natürlich auch eine Erziehungsfunktion und das Ziel „die Demokratie stärken“ (Meidinger, 2021, 26) kann auch als Teil der Wertevermittlung verstanden werden. Viele dieser genannten Ziele sind in allen Kernlehrplänen der Bundesländer verankert (einige auch schon sehr lange), häufig in den allgemeineren Teilen. Insgesamt wird bzgl. schulischer Ziele aber eine Überfrachtung konstatiert, die im weltweiten Vergleich in Deutschland einzigartig hoch sei. Sie werde insbesondere von zwei Akteur*innen an die Schule herangetragen: Bildungspolitiker*innen und Vertreter*innen der wissenschaftlichen Pädagogik. Gerade Letzteren wird polemisch – es ist ja auch eine Streitschrift – ein „Allmachtswahn“ (Meidinger, 2021, 28) als Motiv zugeordnet, der sich darin ausdrücke, neue Lehrkonzepte zu formulieren, die in der Realität nicht umsetzbar seien. Die empirisch ausgerichtete Erziehungswissenschaft hingegen könne die Umsetzbarkeit und Wirkung von Konzepten prüfen. Diese letzte Aussage ist eine Einschätzung, die ich natürlich teile (schon weil ich selbst in diesem Berufsfeld tätig bin ;)).

Grenzen der Individualisierung?

Als Beispiel für eine solche (positive) empirische Betrachtung von Bedingungen des Lernens, wird aus einer Studie – nach Autorenaussage zur Veränderbarkeit von Lernmotivation aufgrund genetischer Prägung – zitiert, in der geschlussfolgert werden würde, dass Schüler*innen aufgrund individueller Begabungen nicht zu gleichen Leistungen befähigt werden können.

„Schüler sind mit individuellen Begabungen ausgestattet, und es wird nicht möglich sein, sie durch Fördermaßnahmen auf breiter Basis zu gleichen Leistungen zu befähigen.“

(Spinath, Spinath & Borkenau, 2008, 114)

Leider ist im Text keine Quellenangabe zum Zitat enthalten. Die Möglichkeiten der Onlinesuche führen zu Spinath et al. (2008), einem Kapitel im als Lehrbuch angelegten Handbuch der Pädagogischen Psychologie. Um diese Aussage etwas genauer einordnen zu können, lohnt ein Blick in das gesamte Kapitel, aus dem das Zitat stammt. Dort werden Forschungen von sozialen und genetischen Determinanten zur Lernfähigkeit von Schüler*innen zusammengefasst. In solchen verhaltensgenetischen Studien wird analysiert, zu welchen Anteilen Unterschiede in der oben beschriebenen Lernfähigkeit von Menschen durch genetische (also feste Anlagen einer Person) oder soziale (also Erfahrungen und Einflüsse des Umfelds) Einflussfaktoren erklärt werden können. Methodisch werden Zwillings- oder Adoptionsstudien durchgeführt, bei der unter verschiedenen Annahmen genetische und soziale Einflüsse kontrolliert werden können. Dabei fassen Spinath et al. (2008) den Einfluss genetischer Determinanten aus Studien auf die allgemeine kognitive Fähigkeit mit ca. 50% zusammen. Die soziale Umwelt hat also einen vergleichbaren Einfluss. Die Bedeutung genetischer Determinanten nimmt über die Lebensspanne allerdings zu. Wichtig ist: mit solchen Anteilen von Varianzkomponenten können Aussagen über Unterschiede zwischen Personen gemacht werden, nicht über Fähigkeiten einer einzelnen Person. Zugleich sind diese Anteile nicht konstant. Spinath et al. (2008) nennen die Körpergröße als Beispiel, die stark genetisch bestimmt ist: „Obwohl die Körpergröße innerhalb einer Kohorte hochgradig genetisch determiniert ist, wurden die Menschen unter sich verbessernden Umweltbedingungen immer größer.“ (Spinath et al.,2008, 113), wobei irgendwann aufgrund der beschränkten Verbesserbarkeit der Umweltbedingungen eine bisher unbekannte Grenze vermutet werden kann. „Analog dazu gilt für die Lernfähigkeit, dass derzeit keine Aussagen darüber möglich sind, wo die Grenzen der Verbesserung durch geeignete Interventionen liegen.“ (Spinath et al.,2008, 113)

Im Kontext des Textes wird dieser Bezug zur Wissenschaft hergestellt, um „die eigenen Möglichkeiten realistisch einzuschätzen“ (Meidinger, 2021, 29), wobei nicht ganz deutlich wird, ob dies eher bezogen auf erzieherische oder lernunterstützende Tätigkeiten gemeint ist. Das obige Zitat wird weitergeführt mit: „Stattdessen gilt es, die vorhandenen Stärken durch individuell angemessene Maßnahmen so zu fördern, dass es allen Schüler möglich wird, ihre Potenziale bestmöglich auszuschöpfen. Ziel von schulischen […] Lernprozessen sollte demnach nicht die Egalisierung des Leistungsniveaus sein, sondern das Hervorbringen von durchaus unterschiedlichen Leistungen auf möglichst hohem Niveau“ (Spinath et al., 2008, 114). Diese individuell angemessenen Verfahren können sich natürlich auf unterschiedliche Kontexte beziehen (z.B. Maßnahmen im Unterricht, Maßnahmen auf Ebene des Schulsystems). Aus Verhaltensgenetischen Studien ergibt sich also nicht direkt eine bevorzugte Handlungsweise, sondern dort sind viele normative Entscheidungen zu treffen.

Welcher Schluss aus diesem Forschungsbeitrag für die Argumentation im Rahmen der Streitschrift gezogen werden soll, bleibt ein wenig unklar. Interpretieren lässt es sich als ein Argument gegen die Forderung eines gemeinsamen Unterrichts von Schüler*innen sehr unterschiedlicher Lernvoraussetzungen, als Gegenposition zum vorher benannten „Allmachtswahn“ von Pädagog*innen. Dies ist allerdings eine Interpretation meinerseits und wird im Text nicht explizit formuliert. Die Quelle bezieht sich jedenfalls weniger auf (eher affektive) Lernmotivation, sondern auf (kognitive) Lernfähigkeit.

Arbeitszeit von Lehrkräften

Als weiteres und das für die im Kapitel thematisierte Todsünde eigentlich bestimmende Beispiel empirischer Bildungsforschung wird im Beitrag auf die Arbeitsbelastung bzw. genauer die Arbeitszeit von Lehrkräften im deutschen Bildungssystem Bezug genommen. Wir fokussieren für diesen Blogbeitrag auch auf die Arbeitszeit, weil im Text zugleich angemerkt wird, dass gerade die Arbeitszeit von Lehrkräften von Seiten der Landesregierungen in Deutschland bisher nicht angemessen untersucht werde, weshalb dies von Lehrerverbänden angestoßen werden müsse. Ein aktuelles Beispiel sei die vom deutschen Philologenverband initiierte LaiW-Studie (Lehrerarbeit im Wandel), die wir später noch genauer betrachten werden.

Die Arbeitszeit von Lehrkräften und auch ihr Belastungserleben wurden schon häufiger empirisch untersucht. Schaarschmidt et al. (2007) berichten bspw. basierend auf Wochenstundenangaben von N = 4181 Lehrkräften verschiedener Schulformen aus Nordrhein-Westfalen eine durchschnittliche Gesamtarbeitszeit von 62,2 Stunden für Vollzeitlehrkräfte und 49,5 Stunden für Teilzeitlehrkräfte. Hardwig & Mußmann (2018) fassen umfangreich Zeiterfassungsstudien zusammen, die zwischen 1958 und 2016 in Deutschland durchgeführt wurden. Zugleich existieren auch aktuellere Ergebnisse aus dem Raum Frankfurt (Mußmann et al., 2020). Grob zusammengefasst, stellten alle diese Untersuchungen fest, dass Lehrkräfte im Mittel mehr Arbeitszeit aufwenden, als es gemäß ihrer Dienstaufgaben bzw. vertraglichen Situation vorgesehen ist, wobei natürlich Abweichungen zwischen einzelnen Untersuchungen und Gruppen von Lehrkräften bestehen.

Die LaiW-Studie ist aber insofern bemerkenswert, als bundesweit vergleichend Daten von insgesamt ca. N = 16.000 erhoben wurden (von Januar 2018 bis Mai 2018) und die Erfassung von Arbeitszeitdaten methodisch relativ präzise erfolgte. Dabei wurden zwei Erfassungsmethoden kombiniert, ein Onlinefragebogen zur Einschätzung der Gesamtarbeitszeit einer Woche (viermal) und ein tägliches Protokoll der Arbeitszeit nach vordefinierten Tätigkeiten über einen Zeitraum von vier Wochen (Kreuzfeld, Felsing & Seibt, 2022). Methodisch interessant ist ebenfalls, dass daneben auch eine app-basierte Erfassung erprobt wurde (Felsing et al., 2019). Für Vollzeitlehrkräfte ergab sich eine durchschnittliche Wochengesamtarbeitszeit von 45.2 Stunden, für Teilzeitlehrkräfte von 36,5 Stunden (für eine bereinigte Stichprobe von N = 6109; Kreuzfeld, Felsing & Seibt, 2022; DPhV, 2020). Die Daten beziehen sich, gemäß dem beauftragenden Verband, allerdings nur auf Gymnasiallehrkräfte.

Wichtig ist zu allen diesen Studien anzumerken, dass innerhalb der Gruppe der Lehrkräfte ebenfalls große Unterschiede existieren (in der LaiW-Studie gaben bspw. 45% der Befragten wöchentliche Arbeitszeiten von über 45 Stunden an, DPhV, 2020). Diese Arbeitszeiten sind im weltweiten Vergleich allerdings nicht unbedingt herausragend hoch. Für die Schweiz ergeben sich bspw. ähnliche durchschnittliche Gesamtwochenarbeitszeiten (Brägger & Schwendimann, 2022), in England etwas höhere (Walker et al., 2019). Hohe Arbeitszeiten gehen mit hohem Belastungserleben einher, welches in vielen der erwähnten Studien ebenfalls erhoben wurde. Es lohnt sich daher, auf diese einen näheren Blick zu werfen. Aus Gründen des Umfangs können wir die Ergebnisse hierzu allerdings nicht umfassend beschreiben, auch weil die Anzahl entsprechender Untersuchungen größer ist als vergleichbare Arbeitszeituntersuchungen (siehe z.B. Rothland, 2007).

Fazit

Was lässt sich hieraus nun bzgl. der Thesen aus dem Buch schließen? Insgesamt ist es empirisch gut belegt, dass Lehrkräfte in Deutschland häufig höhere wöchentliche Gesamtzeiten arbeiten, als vorgesehen, was zu hohen Belastungen führt. Insofern ist diese Prämisse für die formulierte Todsünde Nr. 1 der Überlastung von Lehrkräften auch empirisch gut fundiert und es stimmt, dass diese Untersuchungen fast nur von Lehrerverbänden angestoßen wurden. Die Aussage der zu großen Anzahl unterschiedlicher Zielerwartungen und -vorgaben an Lehrkräfte bzw. an die Schule ist aus der Perspektive der empirischen Bildungsforschung schwierig zu betrachten, da diese These im Text wenig mit Bezug zu empirischen Aussagen formuliert wird (es bleibt eher eine normative Einschätzung). Auch aus dem impliziten Bezug zu verhaltensgenetischen Studien wird keine konkretere Aussage abgeleitet. Die zweite Todsünde wird Gegenstand des nächsten Beitrags in dieser Artikelreihe sein. Er findet sich hier.

Literatur:

  • Brägger, M., & Schwendimann, B. A. (2022). Entwicklung der Arbeitszeitbelastung von Lehrpersonen in der Deutschschweiz in den letzten 10 Jahren. Prävention und Gesundheitsförderung17(1), 13-26. (Online)
  • Deutscher Philologenverband (Hrsg.) (2020). Arbeitsbelastung, Zufriedenheit und Gesundheit von Lehrkräften an Gymnasien. Presse-Konferenz in Berlin, 09.03.2020. (Online)
  • Felsing, C., Kreuzfeld, S., Stoll, R., & Seibt, R. (2019). App-basierte vs. geschätzte Ermittlung der Arbeitszeit von Gymnasiallehrkräften. Prävention und Gesundheitsförderung14(3), 281-289. (Online)
  • Hardwig, T., & Mußmann, F. (2018). Zeiterfassungsstudien zur Arbeitszeit von Lehrkräften in Deutschland. Konzepte, Methoden und Ergebnisse von Studien zu Arbeitszeiten und Arbeitsverteilung im historischen Vergleich. Expertise im Auftrag der Max-Träger-Stiftung. Georg-August-Universität Göttingen. (Online)
  • Kreuzfeld, S., Felsing, C., & Seibt, R. (2022). Teachers’ working time as a risk factor for their mental health-findings from a cross-sectional study at German upper-level secondary schools. BMC public health22(1), 1-12. (Online)
  • Meidinger, H.-P. (2021). Die 10 Todsünden der Schulpolitik – Eine Streitschrift. Claudius Verlag.
  • Mußmann, F., Hardwig, T., Riethmüller, M.m Klötzer, S., & Peters, S. (2020). Arbeitszeit und Arbeitsbelastung von Lehrkräften an Frankfurter Schulen 2020. Georg-August-Universität Göttingen. (Online)
  • Rothland, M. (2007). Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf. Springer VS. (Online)
  • Schaarschmidt, U., Fischer, A., Sieland, B., Rahm, T., & Tarnowski, T. (2007). Die Arbeitszeit der Lehrerinnen und Lehrer in Nordrhein-Westfalen – Ergebnisse und Vorschläge der Projektgruppe QuAGiS zur Entwicklung eines zukunftsfähigen Arbeitszeitmodells. Projektgruppe QuAGiS (Qualität, Arbeit und Gesundheit in Schulen) des VBE NRW. (Online)
  • Spinath, F. M., Spinath, B., & Borkenau, P. (2008). Soziale und genetische Determinanten der Lernfähigkeit. In W. Schneider, & M. Hasselhorn (Hrsg.), Handbuch der Pädagogischen Psychologie (S. 105-115). Hogrefe.
  • Walker, M., Worth, J., & Van den Brande, J. (2019). Teacher workload survey 2019. Research Brief. Department of Education. (Online)

Erfolgreiches weiterführen – erfolgreiches Weiterführen: Bericht von der MoSAiK- Tagung 2022

Nach über zwei Jahren pandemiebedingter Konferenzen im digitalen Raum waren wir als Projektteam nun zum ersten Mal auf einer Konferenz in Präsenz: Der MoSAiK-Tagung 2022 an der Universität Koblenz-Landau! Mit der Frage, wie die nachhaltige Implementation vieler – vor allem aus der Qualitätsoffensive Lehrerbildung stammender – Projekte nach Laufzeitende gelingen kann, haben sich ein großteil der Vorträge und die beiden Keynotes beschäftigt.

Bildnachweis: © Universität Koblenz-Landau

Die Tagung begann am Dienstag mit dem Plenarvortrag von Prof. Dr. Josef Schrader, der aus Sicht der der Erwachsenenbildung Probleme und Möglichkeiten der Implementation und des Transfers wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis schilderte. In Erinnerung blieben hierbei vor allem zwei Dinge: 1) Die Implementation ist bisher weniger Teil der wissenschaftlichen Praxis. Dadurch wird eine nachhaltige Fortführung nach Ende einer Projektlaufzeit oftmals als nicht so relevant für die wissenschaftliche Laufbahn gesehen. 2) Die dritte Phase der Lehrkräftebildung – Weiter- & Fortbildungen – wird in der Forschung zu wenig berücksichtigt. Konzepte verbleiben oftmals in der ersten Phase, lokal an der Hochschule, da dort auch die Projekte angesiedelt sind, obwohl sie oftmals von einer ebenso großen Bedeutung für die schon in der Schule tätigen Lehrkräfte wären.

Das Highlight des ersten Tages (zumindest für uns) war unser erster Vortrag in Präsenz – und dann auch gleich zu dritt mit Thomas, Philipp und Christoph! Es gab viele positive Rückmeldungen und Nachfragen, die bestätigen, dass viele Lehrende an Hochschulen so ein Prüfungskonzept als eine spannende und nützliche Alternative zu den traditionellen Prüfungsformaten sehen und (genau wie wir) auf erste Ergebnisse warten. Nach weiteren spannenden Vorträgen endete der erste Tag bei einem gemeinsamen Abendessen mit einer tollen Aussicht auf den Pfälzer Wald (und dramatischem Himmel) und interessanten Gesprächen (ohne auf einen Bildschirm gucken zu müssen) auf dem Weingut Vögeli.

Weingut Vögeli in Landau (c) Thomas Janzen.

Der zweite Konferenztag wurde mit einer Keynote von Dr. Annika Diery der TU München eröffnet. Ganz im Licht des Tagungsthemas stand in diesem Beitrag das Erfordernis im Fokus, für die nachhaltige Weiterentwicklung der Lehrkräftebildung, neben außeruniversitärer Anschubfinanzierungen und Reformimpulsen auch einen „inneren (institutionellen) Motor“ zu schaffen. Dafür wurden mit Hinblick auf institutionelle Verankerung und Transfer am Beispiel des Projekts Teach@TUM aktuelle Entwicklungen, bisherige Meilensteine und Implementationsansätze vorgestellt und vor allem der Arbeitsbereich des „Clearing House Unterricht“, in dem Forschungsergebnisse synthetisiert und aufbereitet werden, in den Vordergrund gerückt (mehr zum Thema Forschungssynthesen, findet ihr in einem früheren Beitrag).

Neben weiteren Vorträgen zum Wirkungsbereich der dritten Phase der Lehrkräftebildung lag darüber hinaus der Schwerpunkt des zweiten Tages auf gemeinsamen Austauschforen zur Kontextualisierung aktueller Entwicklungen im Hochschulraum und der Phasenübergreifenden Zusammenarbeit für innovative Lehrer:innenbildung. Bei der Gelegenheit haben wir uns gefreut, wenn auch digital zugeschaltet, bekannte Gesichter aus dem COMeIN-Projekt aus Paderborn zu sehen.

Wir bedanken uns bei Prof. Dr. Alexander Kauertz und Prof. Dr. Constanze Juchem-Grundmann und deren Team ganz herzlich für die Organisation der Tagung und haben uns sehr über die hervorragende Verpflegung gefreut, die ein gemeinsames Beisammensein, Kennenlernen und Vernetzen in Präsenz exzellent gerahmt hat. Auf ein hoffentlich baldiges Wiedersehen, auch wenn Landau uns stürmisch verabschiedet hat!

Blick von der Uni in die Stadt Landau (c) Thomas Janzen.

Vorträge:

  • Diery, A. (2022). Wie kann die Lehrkräftebildung nachhaltig weiterentwickelt werden? Implementationsansätze zur Förderung kompetenz- und evidenzorientierter Lehrkräftebildung an der TUM (Keynote). MoSAik-Tagung 2022. Universität Koblenz-Landau. 07.04.2022.
  • Janzen, T., Wotschel, P., & Vogelsang, C. (2022). Entwicklung handlungsnaher Prüfungsformate im Lehramtsstudium. MoSAik-Tagung 2022. Universität Koblenz-Landau. 06.04.2022.
  • Schrader, J. (2022). Wissenschaftliche Innovationen im Schulalltag verankern – Konzepte, Erfahrungen und Perspektiven (Keynote). MoSAik-Tagung 2022. Universität Koblenz-Landau. 06.04.2022.

Besuch auf der 9. GEBF-Tagung 2022 im digitalen Bamberg – Alles auf Anfang? _ Bildung im digitalen Wandel

Bildnachweis: © Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung | https://gebf2022.de/GEBF-Banner_de.svg

Mit dem Schwerpunkt auf das Thema Bildung im digitalen Wandel fanden unter dem Motto „Alles auf Anfang?“ am 08.03.2022 die GEBF-Nachwuchstagung und vom 09.-11.03.2022 die 9. GEBF-Tagung 2022 statt. Der Einladung und auch dem Call for Papers der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung sind wir vom PERFORM-LA Projekt freudig gefolgt und möchten euch an dieser Stelle unsere Eindrücke zusammenfassen:

Ein besonderer Höhepunkt zeichnete sich für Philipp bereits zu Beginn der Veranstaltungswoche, im Rahmen der GEBF-Nachwuchsforschungstagung, ab. Denn hier bekam er (wie Thomas) die Möglichkeit, sein Dissertationsprojekt rund um die Entwicklung eines Performanztests für das bildungswissenschaftliche Lehramtsstudium (zur Erfassung von Beratungskompetenz) zu präsentieren und zu diskutieren. Dass sich Beratung als Thema auch auf der Haupttagung in guter Gesellschaft (für Empirische Bildungsforschung) befand, wurde in den Symposien „Lehrpersonen als Berater*innen im schulischen Kontext“ und „Eltern: Kooperation und Kommunikation“ deutlich. Beispielhaft hervorheben ließen sich hier die Vorträge zu „Facetten der Beratungskompetenz von Grundschullehrkräften für die Beratung bei hoher Begabung“ von Prof. Stefanie Schnebel (vorgetragen von Sonja Seiderer) und der Beitrag von Prof. Heike M. Buhl zu der „Beobachtungsstudie: Zusammenhänge zwischen Merkmalen des Eltern-Lehrkräfte-Gesprächs am Elternsprechtag und der elterlichen Motivation für Schulengagement“, der auf die Dissertation von Dr. Christian Greiner zurückgeht. Beide Vorträge verdeutlichten insbesondere die empirische Rolle der Beratung und beratungsbezogener Gesprächsführung im Schulkontext und zeigten Möglichkeiten zur Operationalisierung von Beratungshandeln auf, die als wertvolle Hinweise in Philipps Dissertationsprojekt einbezogen werden.

Auch aus Thomas‘ Sicht gab es viele interessante Vorträge, z.B. im Bereich Feedback. Im Vortrag von Prof. Dr. Miriam Hess wurde aus dem ProFee Projekt über die „Effekte der Beobachtungsmethode bei Videoanalysen auf Wissen, professionelle Wahrnehmung sowie Handlungs- und Reflexionskompetenz von Studierenden im Bereich Feedback“ berichtet. Interessanterweise wurden hier zur Auswertung u. a. auch Videoaufnahmen von Studierenden beim Feedback geben genutzt, eine Situation wie sie auch ähnlich in unseren rollenspiel-basierten Simulationen auftaucht. Auch im Vortrag von Anna Holstein wurden Videoaufnahmen eines Feedbackgesprächs für die Auswertung genutzt. Hier war die Forschungsfrage, inwieweit sich Feedbackhäufigkeit und Feedbackbezug (nach Hattie‘s Modell) von angehenden und berufserfahrenen Lehrkräften unterscheidet. Spannend waren hier – neben der Tatsache, dass hier ebenfalls Schauspieler*innen zur Standardisierung eingesetzt worden sind – die Ergebnisse, die darauf hindeuten, dass erfahrene Lehrkräfte tendenziell mehr und auch auf mehr Ebenen kombiniert Feedback geben. Doch nicht nur die Vorträge boten neuer Ergebnisse aus der Forschung, auch wurden in der Postersession u. a. von Julia Fecke und Michael Nickl verschiedene digitale Simulationsansätze in der Lehrer*innenausbildung präsentiert.

Ein Vortrag, der eine interessante Alternative zum „Goldstandard“ simulationsbasierter Gespräche mit standardisierten Patient*innen vorgestellt hat, war eines der Highlights von Jana und Christoph. Sabine Reiser von der Universität Erfurt hat einen Situational Judgement Test vorgestellt, den VA-MeCo, der die Messung von basaler Gesprächsführungskompetenz von Medizinstudierenden erfasst. Der videobasierte Test erfüllt psychometrische Gütekriterien ausgesprochen zufriedenstellend und wird zukünftig an verschiedenen medizinischen Fakultäten eingesetzt. Darüber hinaus werden Feedbackvarianten für die Studierenden entwickelt, um ein „assessment for learning“ zu schaffen – sehr beeindruckend! Wie immer können wir viel von den Ausbilder*innen aus dem Medizinstudium lernen 😉 Während sich dort die Entwicklung teilweise hin zu weniger aufwendigen Testverfahren vollzieht, versuchen wir gerade den umgekehrten Weg für die Lehramtsausbildung. Ein weiteres Highlight waren für Jana die Beiträge von Lukas Mientus und Anna Nowak, die sich mit der Erfassung der Reflexionskompetenz von Physik-Lehramtsstudierenden auseinandersetzten. Noch durch ihre eigene Dissertation zum Thema Reflexionskompetenz geprägt, hat sie in den beiden Vorträgen spannende Ansätze zu einer computerbasierten Analyse von schriftlichen Reflexionen entdeckt (was eine Erleichterung!) und war sehr beeindruckt von der umfassenden Modellierung der Reflexionstiefe.

Weitere Vorträge, die Simulationen des Lehrkräftehandelns als assessment-Methode genutzt haben, möchte auch Christoph hervorheben. Bspw. analysierte Dr. Patricia Goldberg die Wahrnehmung von Störungen im Unterricht von Lehrkräften und Studierenden in einem virtuellen Klassenzimmer, dass die Proband*innen mit Hilfe einer VR-Brille direkt aus der Ich-Perspektive wahrnehmen konnten. Insgesamt ergaben sich dabei die aus schon vielen Studien bekannten „holistischere“ Wahrnehmung und Reaktion von Expert*innen. Neben Vorträgen zu Methoden der Unterrichtsqualitätsforschung und dazu, wie angehende Lehrkräfte mit Evidenzen und (theoretischen) Quellen umgehen, waren aber insbesondere Erkenntnisse zur Frage relevant, wie professionelles Wissen von angehenden Lehrkräften und ihr Handeln in typischen Anforderungssituationen zusammenhängen (Performanz), mit der sich Christoph schon seit seiner Dissertation auseinandersetzt. Madeleine Müller berichtete bspw. Ergebnisse einer Untersuchung zur Prüfung des Kontinuumsmodells von Kompetenz, in der Zusammenhänge des klassenführungsbezogenen Professionswissens von Lehramtsstudierenden, ihrer situationsspezifischen Fähigkeiten (erfasst mittels offener Kommentierung eines Unterrichtsvideos, War das vielleicht auch Reflexion? ;)) und der von Schüler*innen im Praxissemester eingeschätzten Klassenführung untersucht wurde. Grob zusammengefasst, konnten aber keine erwarteten Zusammenhänge beobachtet werden. Christoph selbst wirkte am Projekt Profile-P+ mit, aus dessen Ergebnissen Melanie Jordans mit Hilfe von Cross-Lagged-Panel-Analysen berichtete, dass das fachdidaktische Wissen angehender Physiklehrkräfte zu Beginn eines Praxissemesters die Entwicklung von Unterrichtsplanungsfähigkeiten (erfasst mit Hilfe eines Performanztests) positiv beeinflusst. Ansonsten bot die Tagung viele Möglichkeiten neue Kolleg*innen kennenzulernen und sich zu vernetzen.

Wir bedanken und vielmals für die vielen Vorträge und Diskussionen, nehmen anregende Ideen für unsere eigene Forschung mit und freuen uns, wenn wir uns im kommenden Jahr zur 10. GEBF-Tagung an der Universität Duisburg-Essen wiedersehen.

Vorträge:

  • Buhl, H., Greiner, C., Bonanati, S., & Hilkenmeier, J. (2022). Beobachtungsstudie: Zusammenhänge zwischen Merkmalen des Eltern-Lehrkräfte-Gesprächs am Elternsprechtag und der elterlichen Motivation für Schulengagement. 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF) (online), 11.03.2021.
  • Fecke, J., Müller, L., & Braun, E. (2022). Simulationen in avatarbasierten Lernumgebungen zur Steigerung kommunikativer Kompetenzen bei angehenden Lehrkräften. Poster auf der 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF) (online), 10.03.2021.
  • Goldberg, P., Göllner, R., Hasenbein, L., Stark, P.; & Stürmer, K. (2022). Störungen im Unterricht als relevant erkennen: Ein Expertisevergleich im virtuellen Klassenzimmer. 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF) (online), 09.03.2021.
  • Hess, M. (2022). Effekte der Beobachtungsmethode bei Videoanalysen auf Wissen, professionelle Wahrnehmung sowie Handlungs- und Reflexionskompetenz von Studierenden im Bereich Feedback. 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF) (online), 10.03.2021.
  • Holstein, A., Weber, E.-K., Prilop, C.-N., & Kleinknecht, M. (2022). Analyse des Feedbacks von (angehenden) Lehrkräften mit Microteaching Videos. 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF) (online), 10.03.2021.
  • Jordans, M., Schröder, J., Vogelsang, C., & Riese, J. (2022). Der Nutzen des Professionswissens bei der Entwicklung der Unterrichtsplanungsfähigkeit von Lehramtsstudierenden im Fach Physik. 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF) (online), 11.03.2021.
  • Mientus, L., Wulff, P., Nowak, A., & Borowski, A. (2022). Computerbasierte Analyse schriftlicher Reflexionen. 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF) (online), 11.03.2021.
  • Müller, M., & Gold, B. (2022). Zusammenhänge zwischen professionellem Wissen, situationsspezifischen Fähigkeiten und Klassenführungsqualität von Lehramtsstudierenden. 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF) (online), 09.03.2021.
  • Nickl, M., Sommerhoff, D., Ufer, S., & Seidel, T. (2022). Motivationales Scaffolding in video-basierten Simulationen: Wirksamkeit einer Utility Value Intervention zur Förderung der Diagnosekompetenzen von Lehramtsstudierenden. Poster auf der 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF) (online), 10.03.2021.
  • Nowak, A., Wulff, P., Mientus, L., & Borowski, A. (2022). Erfassung der Reflexionstiefe in studentischen Selbstreflexionen. 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF) (online), 11.03.2021.
  • Reiser, S., Schacht, L., Thomm, E., Schick, K., Berberat, P., Gartmeier, M., & Bauer, J. (2022). Messung von basaler Gesprächsführungskompetenz bei Medizinstudierenden mittels eines online Situational Judgement Tests: Vorstellung des VA-MeCo und seiner psychometrischen Gütekriterien. 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF) (online), 10.03.2021.
  • Schnebel, S., Seiderer, S., & Grassinger, R. (2022). Facetten der Beratungskompetenz von Grundschullehrkräften für die Beratung bei hoher Begabung. 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF) (online), 09.03.2021.

Den Wald statt lauter Bäume sehen – Forschungssynthesen in der empirischen Bildungsforschung

Oft ist es sinnvoll, die Forschungslandschaft in ihrer Gesamtheit zu betrachten, statt einzelne Studien – also statt den Baum, den ganzen Wald zu betrachten.
Bildnachweis: © Pixabay

Jeden Tag werden wir ein bisschen schlauer, denn es erscheinen neue Studien zu den vielfältigsten Themen der Bildungsforschung. Gibt man bei Google Scholar die Begriffe „digitale Medien“ und „Schule“ ein, so werden allein für das Jahr 2021 über 2.000 Ergebnisse angezeigt! Da ist es nicht nur für Forschende oder Politiker*innen schwierig den Überblick zu behalten, die im Sinne einer evidenzbasierten Steuerung die Erkenntnisse der empirischen Bildungsforschung heranziehen, sondern besonders für Lehrkräfte, die diese Erkenntnisse in die Praxis umsetzen sollen. Oftmals würden diese sich gerne an Erkenntnissen der neuesten Forschung bedienen, haben aber weder die Zeit noch die Möglichkeiten sich mit verschiedenen Studien zu beschäftigen und die für sie daraus wichtigen Schlüsse zu ziehen. Um hier die vielen Einzelergebnisse gebündelt und eingeordnet betrachten zu können, sind Forschungssynthesen von großer Bedeutung, so wie sie zum Beispiel am Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) an der TU München bei der Arbeitsgruppe Forschungssynthesen am ZIB entstehen.

Was sind Forschungssynthesen und wie werden sie erstellt?

Es gibt im Grunde drei Arten von Forschungssynthesen: Metaanalysen, systematische Reviews und Second-Order Metanalysen/Reviews. Der Unterschied zwischen den Metaanalysen und den systematischen Reviews liegt darin, dass erstere statistische Methoden zu einer zusammenfassenden Synthese benutzen und so ein auch quantifizierendes Quasi-Ergebnis aller Studien erzeugen, während letztere die Ergebnisse beschreibend zusammenfassen. Second-Order Metanalysen/Reviews sind so etwas wie Meta-Metaanalysen (à la Inception). Sie fassen entsprechend des Typus die Ergebnisse mehrerer Synthesen zusammen. Laut Arbeitsgruppe Forschungssynthesen am ZIB, gibt es fünf Schritte für den Ablauf von Forschungssynthesen:

  1. Literaturrecherche
  2. Ein- und Ausschlusskodierung
  3. Feinkodierung
  4. Ergebnisgewinnung
  5. Transfer

Zurzeit werden von der Arbeitsgruppe viele für die Unterrichts- und Schulpraxis relevante Themen wie Digitale Medien, Lesekompetenz oder MINT untersucht und für Lehrkräfte sehr eingängig aufbereitet. Sogar zu Forschungssynthesen finden sich dort ein Erklärvideo:

Einflussgrößen und Effektstärken

Ein sehr bekanntes und auch hier im Blog schon zitiertes Beispiel für eine Second-Order Metaanalyse ist von John Hattie 2009 unter dem Titel Visible learning veröffentlicht worden. In dieser Synthese wurden um die 800 Meta-Analysen zusammengefasst und ein Ranking erstellt, in dem verschiedene Einflussgrößen und die Stärken ihrer Effekte auf das Lernen ersichtlich werden. Feedback, welches als zentrales Konzept in unserem Teilprojekt für das Fach Englisch eine wichtige Rolle spielt, hat hierbei mit d=0.73, eine im Vergleich sehr hohe Effektstärke auf das Lernen von Schüler*innen (Hattie, 2009). Es ist daher aus unserer Sicht umso wichtiger, dass Lehrkräfte auch in dieser einflussreichen Kompetenz handlungsnah ausgebildet und geprüft werden.

Literatur:

  • Hattie, J. (2009). Visible learning: A synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement. Routledge.

In der Schule gut beraten?

Strukturelle Eigenschaften und Herausforderungen schulischer Beratungsarbeit

In unserem ersten Blog-Beitrag berichteten wir bereits darüber, was aus empirischer Perspektive eigentlich in Elternsprechtagsgesprächen passiert. Ein Grund dafür lag darin, dass sich nur wenige Untersuchungen identifizieren lassen, die das, was sich unmittelbar in einem Elternsprechtagsgespräch ereignet, in den Fokus nehmen. Dagegen sind Elternsprechtage als institutionelle und strukturelle Beratungsereignisse umfassend untersucht, was somit wesentliche Anhaltspunkte für die systematischen Auseinandersetzung mit Beratungskompetenz liefert.

Für die Entwicklung eines Performanztests, mit dem Beratungskompetenz (in simulierten, schulischen Beratungsgesprächen) standardisiert erfasst werden soll, ist es entscheidend, diese strukturellen Charakteristika zu verstehen. Dies wird vor allem dann ersichtlich, wenn Beratungskompetenz als ein Kontinuum (Blömeke et al., 2015) verstanden wird und sich somit als ein Zusammenspiel aus Dispositionen, situationsbezogenen Fähigkeiten und gezeigtem Verhalten äußert. In diesem Verständnis sind die strukturellen Charakteristika und situativen Rahmenbedingungen ausschlaggebend dafür, wie eine Kompetenz überhaupt zum Ausdruck gebracht werden kann.

Grundsätzlich stellt die Beratung im Schulkontext eine besondere Form der Beratung dar. Ihr Fundament bildet oftmals die professionelle Beratung, deren theoretische und empirische Grundlagen vor allem im Bereich der Psychologie verankert sind. Viele Konzepte schulischer Beratung sind somit für die Schulpraxis angepasst und domänenspezifisch adaptiert. Die strukturellen Charakteristika und situativen Rahmenbedingungen der Beratung im Schulkontext werden somit im direkten Vergleich zur professionellen Beratung besonders sichtbar:

Nach Schnebel (2007, S. 23—24) lassen sich mehrere Kennzeichen professioneller Beratung zusammenfassen, die sich in die Bereiche der Grundvoraussetzungen, der Professionalität sowie der Prozessualität und Kooperation unterteilen lassen können.

Als Grundvoraussetzung für den professionellen Beratungsprozess sind die Freiwilligkeit und Eigenverantwortlichkeit zu benennen, die seitens der ratsuchenden Person vorhanden sein müssen und zugleich von den Berater*innen im Zuge der professionellen Tätigkeit zum Ausdruck zu bringen sind. Dies äußert sich zugleich in der Symmetrie in der Beziehung zwischen Berater*innen und der ratsuchenden Personen, die in der Kommunikation hergestellt und aufrechterhalten werden muss.

Die Professionalität der Berater*innen wird insbesondere durch Wissen und Kompetenzen gekennzeichnet, die bezüglich des fachspezifischen Handlungs- und Beratungsfelds bestehen und methodisch geleitetes Vorgehen in der Beratung ermöglichen. Ebenso ist wesentlich, dass die Berater*innen über ein klares Aufgabenprofil verfügen und die Beratungstätigkeit als Teil beziehungsweise Schwerpunkt ihrer beruflichen Tätigkeit ausüben.

In Bezug auf die Prozessualität und die Kooperation ist vor allem der Prozesscharakter einer Beratung anzuführen, mit dem die Initiation und Realisierung eines aktiven Lernprozesses seitens der Berater*innen erfolgen soll. Damit ist auch vorgesehen, dass eine Hilfe zur Selbsthilfe ermöglicht wird, mit der die Eigenbemühungen der ratsuchenden Person unterstützt werden. Der Fokus auf die ratsuchende Person umfasst dabei auch, dass diese ein vorhandenes oder herauszustellendes Problem bewusst wahrnimmt und sich jeder Veränderungs- und Lösungsprozess an den Kompetenzen dieser Person orientiert. Für die Beratungstätigkeit ist deshalb wichtig, eine klare und transparente zeitliche, räumliche und methodische Struktur herzustellen und aufrechtzuerhalten, mit der ein beiderseitiges Verständnis über die Kommunikation an sich erzeugt werden kann.

Bezieht man diese Charakteristika auf den Kontext der schulischen Beratung, so zeichnen sich nach Schnebel (2007, S. 26) und Gartmeier (2018, S. 78—79) einige Unterschiede ab:

So ist in Bezug auf die Grundvoraussetzungen die Freiwilligkeit nur teilweise gegeben. Schüler*innen und Eltern werden häufig einseitig zum Gespräch gebeten beziehungsweise einbestellt und die Rolle als ratsuchende Person muss erst gemeinsam, durch die Auflösung der Einseitigkeit, hergestellt werden. In ähnlicher Weise zeigt sich dies auch in der Symmetrie der Beratungsbeziehung und -kommunikation, da hierbei eindeutige oder verdeckte Hierarchien oftmals eine Rolle spielen. Durch den Umstand, dass Beratung im Schulkontext angeordnet werden kann, können Ratschläge als Anordnungen verstanden werden, deren Nichtbefolgung mit Sanktionen assoziiert werden. Die daraus entstehenden Abhängigkeiten beeinflussen und erschweren die Herstellung eines partnerschaftlichen, symmetrischen Settings im Beratungsprozess.

Die Professionalität der Berater*innen bildet einen weiteren Aspekt, mit dem Unterschiede gegenüber der professionellen Beratung zum Ausdruck kommen. Da Lehrkräfte in der Regel nur bedingt in der Gestaltung von Beratungssituationen geschult sind, beziehungsweise durch Zusatzausbildungen zu Beratungslehrkräften ausgebildet werden, sind die meisten Lehrkräfte semi-professionelle Berater*innen. Dabei üben sie Beratung lediglich als einen Teil ihrer beruflichen Tätigkeit aus, da sie in ihrer Arbeit zwar professionsbezogene Gespräche führen, in diesen eine Beratung aber nicht unbedingt zum Gegenstand werden muss. In Bezug auf die Inhalte solcher Beratungen (Lernberatung, Schullaufbahn etc.) sind Lehrkräfte wiederum geschult und können entsprechendes Wissen, nicht aber unbedingt Kompetenzen, bezüglich des fachspezifischen Handlungs- und Beratungsfelds vorweisen. Entlang dieser Inhalte und Themen zeichnet sich zudem ab, dass die Lehrkräfte und die zu besprechenden Anliegen häufig Teil des Schulsystems sind. Dies hat zum Vorteil, dass die Lehrkräfte den Kontext und das Problem gut kennen und einordnen können, während die Kommunikation über das Problem leicht möglich wird. Andererseits gestaltet es sich herausfordernd, eigene Erfahrungen und Einstellungen zu abstrahieren, sodass eine Beratung so distanziert von der eigenen Person und der Thematik durchgeführt werden kann, wie es in der professionellen Beratung der Fall ist. Darüber hinaus wird der Rahmen, über den beraten werden kann, und die Kompetenzen in entsprechenden Handlungs- und Beratungsfeldern durch Themen begrenzt, die im pathologischen beziehungsweise therapeutischen Bereich zu verorten sind. Diese sind stets in Kooperation mit oder in Verantwortung von spezialisierten Berufsgruppen zu bearbeiten.

Auch in Bezug auf die Prozessualität und Kooperation werden einige Unterschiede gegenüber der professionellen Beratung deutlich. Für die Ermöglichung der Hilfe zur Selbsthilfe ist es entscheidend, dass die ratsuchende Person eigenverantwortlich einen Veränderungsprozess realisiert. In der Beratung im Schulkontext sind Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten allerdings in vielen Fällen nicht von vornherein klar. Wenn beispielsweise die Verantwortung für die Lösung eines Problems durch die Schulleitung im Sinne der Schulgemeinschaft an eine Lehrkraft übertragen wird und beim Misslingen der Problemlösung Sanktionsmaßnahmen erfolgen müssen, dann ist die beratende Lehrkraft oftmals auch die Person, die die Sanktionen verhängt. Eine solche Verflechtung von Verantwortlichkeiten kann Beratungssituationen erheblich beeinträchtigen. Unabhängig davon, ob eine Lehrkraft sich über ihre Ziele in der Beratung im Klaren ist, können die Zielsetzungen aller Beteiligten zudem divergieren. Während Schüler*innen somit zum Beispiel möglichst wenig negative Konsequenzen aus einem Gespräch ziehen möchten, könnten Eltern eher ihre Sorgen oder ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen wollen, als sich lösungsorientiert an dem Gespräch zu beteiligen. Die Klärung ebensolcher Erwartungen und Ziele bildet einen wesentlichen Bestandteil für das Gelingen einer Beratung. Intransparente oder verflochtene Verantwortlichkeiten und divergierende Zielsetzungen können sich auch in Rollenkonflikten der Lehrkräfte äußern. Dies kann etwa dazu führen, dass eine Lehrkraft als voreingenommene Expert*in eher belehrend, informierend und geschlossen kommuniziert und dem Charakter eines offenen Beratungsgesprächs, durch die Nichteinbindung der Kompetenzen und Ideen der zu beratenden Person, nicht gerecht werden kann. Ferner kann diese Offenheit auch erheblich durch den zeitlichen Rahmen beeinflusst werden, da dieser in der Beratung im Schulkontext meist stark beschränkt ist. Beratungen finden im Schulkontext in der Regel während oder nach dem Unterricht, in den Pausen oder an Elternsprechtagen und Elternabenden statt. Die Analyse und gemeinsame Lösung von bestehenden Problemen können somit nur eingeschränkt erfolgen.

Wie Schnebel anmerkt, verdeutlichen diese Charakteristika, „dass Beratung in der Schule stark in die institutionellen Bedingungen dieser Bildungseinrichtung eingebettet ist“ (2007, S. 29). Zudem gerieten Lehrkräfte, die häufig beraten, obwohl dies nicht ihre primäre Aufgabe ist, immer wieder in Konflikte hinsichtlich ihrer Rollen und ihres Professionsverständnisses (Schnebel, 2007, S. 29). Schnebel schließt daraus für die Lehrkräfte: „Sie können (und wollen teilweise) institutionelle Vorgaben nicht überwinden, kollidieren dann aber mit den beraterischen Elementen ihrer Tätigkeit“ (2007, S. 29).

Aus den dargestellten Unterschieden erwächst die Frage danach, inwiefern die Beratungsarbeit im Schulkontext überhaupt als professionelle Beratung zu betrachten ist. Denn schon allein mit Hinblick auf die beschriebenen Grundvoraussetzungen zeigt sich, dass die Freiwilligkeit und Symmetrie in der Kommunikation entgegen den institutionellen Bedingungen erstmal hergestellt werden muss. Es ist natürlich erwartbar, dass die Herstellung und Aufrechterhaltung bestimmter Voraussetzung auch ein wesentlicher Bestandteil professioneller Beratung ohne institutionelle Einbettung ausmachen und nicht zwangsläufig vorausgesetzt werden können. Dennoch erscheinen die schulischen Rahmenbedingungen so ausgeprägt, dass sie in diesem Sinne eine stetige Überwindung potenzieller Herausforderungen notwendig machen, um überhaupt in die Perspektive professioneller Beratung zu rücken. Vielleicht beschreibt aber schon der Versuch dieser Überwindung den Kern und den Mehrwert, den ein Vergleich zwischen schulischer und professioneller Beratung ausmachen. Hierbei steht ein Prozess im Fokus, mit dem die Erfassung, Analyse und Weiterentwicklung der Beratung im Schulkontext angestrebt werden können und sichtbar wird, wie diese Überwindung, beziehungsweise mit welchen Kompetenzen, sie zu realisieren ist. Die theoretisch und empirisch elaborierte Elemente der professionellen Beratung können dahingehend hilfreiche Hinweise für eine systematische Fundierung darstellen, ohne dabei die speziellen Charakteristika und Rahmenbedingungen der schulischen Beratung zu vernachlässigen. Dass dies auf diese Weise umsetzbar ist und für die weitere Entwicklung eines Performanztests zur Erfassung von Beratungskompetenz nutzbar gemacht werden kann, verdeutlicht die Forschung in diesem Bereich. So zeigen die Studien von Hertel (2009), Bruder (2011) und Gerich (2016) und die Untersuchungen zum Gmünder (Aich et al., 2017; Aich & Behr, 2019) und Münchener (Gartmeier, 2018) Modell der Gesprächsführung, dass die Unterschiede zwischen schulischer und professioneller Beratung im Lichte ihrer Gemeinsamkeiten systematisch betrachtet und bearbeitet werden können.

Literatur:

  • Aich, G. & Behr, M. (2019). Gesprächsführung mit Eltern (2. Aufl.). Beltz.
  • Aich, G., Kuboth, C., & Behr, M. (2017). Gmünder Modell zur Gesprächsführung (GMG) mit Eltern – Grundlagen, Aufbau und praktische Anwendungsmöglichkeiten. In G. Aich, G., Kuboth, C., & Behr, M. (Hrsg.), Kooperation und Kommunikation mit Eltern (S. 112-125). Beltz-Juventa.
  • Blömeke, S., Gustafsson, J.-E., & Shavelson, R. J. (2015). Beyond Dichotomies Competence Viewed as a Continuum. Zeitschrift für Psychologie, 223, 3-13.
  • Bruder, S. (2011). Lernberatung in der Schule. Ein zentraler Bereich professionellen                Lehrerhandelns. Technische Universität, Darmstadt.
  • Gartmeier, M. (2018). Gespräche zwischen Lehrpersonen und Eltern: Herausforderungen und Strategien der Förderung kommunikativer Kompetenz. Springer Fachmedien.
  • Gerich, M. (2016). Teachers‘ Counseling Competence in Parent-Teacher Talks: Modeling, Intervention, Behavior-Based Assessment. Springer.
  • Hertel, S. (2009). Beratungskompetenz von Lehrern – Kompetenzdiagnostik, Kompetenzförderung, Kompetenzmodellierung. Waxmann.
  • Schnebel, S. (2007). Professionell beraten. Beratungskompetenz in der Schule. Beltz.

Meidingers 10 Todsünden der Schulpolitik im Licht der Bildungsforschung 1/12

Ist das schon Clickbait?

Zu allen Fragen des deutschen Bildungssystems im Allgemeinen und der Lehrer*innenbildung im Speziellen gibt es eine Vielzahl von Büchern unterschiedlicher Akteur*innen, die einen gewissen Einfluss auf bildungspolitische Diskussionen innerhalb der Medienlandschaft haben bzw. dies wollen. Diese Bücher kritisieren meist bestimmte Defizite und argumentieren davon ausgehend für bestimmte Veränderungen. Wie stichhaltig diese Argumentationen sind, hängt natürlich auch davon ab, wie zutreffend die vorherigen Analysen und Zustandsbeschreibungen sind. Ergebnisse empirischer Bildungsforschung können hierzu Einschätzungen ermöglichen, bspw. ob sie zutreffen oder ob überhaupt Erkenntnisse vorliegen.

Worum gehts?

Bildnachweis: © Stifterverband, CC BY 3.0

In einer kleinen Beitragsreihe möchten wir uns mit einem solchen Buch beschäftigen, das sich neben dem Inhaltlichen auch aufgrund seines Clickbait-ähnlichen Titels perfekt für unseren Blog eignet ;). Es geht um „Die 10 Todsünden der Schulpolitik – Eine Streitschrift“ von Heinz-Peter Meidinger (2021) erschienen im Claudius Verlag, München. Heinz-Peter Meidinger ist medial hauptsächlich bekannt als aktueller ehrenamtlicher Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Der Lehrerverband ist eine Dachorganisation von vier bundesweiten Lehrkräfteverbänden, von denen der Deutsche Philologenverband e.V., in dem sich hauptsächlich Gymnasiallehrkräfte organisieren, sicherlich der bekannteste ist. Es ist also nicht möglich als Lehrkraft direkt Mitglied im Lehrerverband zu werden (wobei es auch weitere große Lehrkräfteverbände gibt, die nicht teil des Lehrerverbands sind). Man kann den Lehrerverband auch nach den formulierten Zielen hauptsächlich als eine Vernetzungs- und Abstimmungsorganisation der Mitgliedsverbände bezeichnen, die explizit Einfluss auf politische Entscheidungen zur Entwicklung des Bildungssystems nehmen möchte. Es geht also auch um Lobbyarbeit für bestimmte Ziele. Das Buch kann in diesem Kontext als möglicher Beitrag betrachtet werden, Diskussionen zur Schulpolitik anzuregen, verbunden mit dem Ziel, bestimmte Veränderungen erreichen zu wollen. Anzumerken ist allerdings, dass die im Buch enthaltenen Thesen, Argumente und Begründungen nicht als Positionen des Lehrerverbandes bezeichnet werden.

Der Autor selbst war Gymnasiallehrer und später auch lange Jahre Schulleiter in Bayern und ging im Sommer 2020 in den Ruhestand. Bevor er 2017 erstmalig als Präsident des Lehrerverbandes gewählt wurde, war Heinz-Peter Meidinger 13 Jahre lang Vorsitzender des deutschen Philologenverbandes. Er schreibt also aus der Perspektive des erfahrenen Gymnasialschulleiters mit vielfältigen Einblicken aus der Verbandsarbeit. Mehr erfährt man über ihn und seine Positionen auch auf Wikipedia ;).

Was passiert hier?

In dieser Artikelreihe möchten wir uns etwas differenzierter mit den Argumentationen im Buch aus Perspektive der empirischen Bildungsforschung auseinandersetzen. Dabei geht es uns weniger darum, eine eigene Bewertung der Thesen des Autors vorzunehmen, sondern eher zu prüfen, was man aus Ergebnissen der Bildungsforschung zu ihren Prämissen beisteuern kann oder nicht. Hierzu ist es natürlich sinnvoll, das Buch gelesen zu haben. Das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich empfehlen, auch wenn man vielleicht manche Position des Autors nicht teilt. Man kann durch die Auseinandersetzung auch die eigene Perspektive ausschärfen. Diese Beitragsreihe ist daher keine Rezension im engeren Sinne, sondern wir werden punktuell Aspekte herausgreifen, die sich sinnvoll auf Ergebnisse empirischer Bildungsforschung beziehen lassen. Jede „Todsünde“ bekommt dabei einen eigenen kurzen Beitrag, die in der Länge aber auch sehr variieren können (je nachdem, inwiefern sich inhaltlich anknüpfen lässt).

In diesem Beitrag geht es um das erste Kapitel, quasi das Vorwort, welches mit „Schulpolitik in der Krise“ überschrieben ist. Heinz-Peter Meidinger stellt darin zunächst Bedingungen heraus, die für das Feld der Bildungspolitik charakteristisch seien, z.B. dass das Bildungssystem hochkomplex und durch viele Interdependenzen geprägt sei. Er findet, das deutsche Schulsystem arbeite in vielen Bereichen sehr gut, aber Dinge, die schief laufen, müssten für eine Bestandsaufnahme herausgestellt werden. Die Sprache ist – negativ interpretiert – polemisch, – positiv interpretiert – ausdrucksstark, was sich auch darin zeigt, dass als Analogie für „[…] Konzepte, Reformen, politische Haltungen und Ideologien sowie wiederkehrende Verhaltensmuster, aber auch permanente Untätigkeit sowie bewusste Versäumnisse, die der Bildungsqualität in unserem Land schaden […]“ (Meidinger, 2021, 23) das Konzept der „Todsünde“ aus der katholischen Theologie verwendet wird. Aber es ist ja auch als Streitschrift angekündigt.

G9 zu G8 – Wie ist es gelaufen?

In diesem Vorwortkapitel fällt es schwer, Aussagen zu finden, die mit Bezug zu empirischen Forschungsergebnissen betrachtet werden können. Es enthält viele Meinungsäußerungen, die zumindest an dieser Stelle nicht anhand konkreter Beispiele begründet werden. Eine Ausnahme ist die Thematisierung der Umstellung vieler Bundesländer von einem neunjährigen (G9) hin zu einem achtjährigen Abiturbildungsgang (G8), als Beispiel für eine Veränderung der Schulstrukturen, die möglicherweise zu vielen negativen Nebenwirkungen führte. Heinz-Peter Meidinger nennt Folgende: Baubedarf an Mittagskantinen, mehrfache Überarbeitung der Lehrpläne auf Druck von Außen, weniger Nachwuchs in Sportvereinen, Kirchen bzw. in der Kinder- und Jugendarbeit, weniger junge Menschen nehmen eine duale Ausbildung auf.

Während mir zum Baubedarf keine Studien bekannt sind und Lehrplanüberarbeitungen je nach Bundesland mehr oder weniger häufig vorkamen (und man beides auch als positive Nebenwirkung sehen könnte, weil z.B. Lehrpläne an neue Rahmenbedingungen angepasst wurden), liegen zu den Auswirkungen auf das Freizeitverhalten von Jugendlichen und zur Ausbildungsneigung Analysen auf Basis empirischer Daten vor (vgl. Kühn et al., 2013). Die Ergebnisse zum Freizeitverhalten sind zusammengefasst uneindeutig (vgl. Meyer & Thomsen, 2015), was auch daran liegt, dass die Umstellung von G9 auf G8 nicht in allen Bundesländern gleich verlief, sich die Erfahrungen der Schüler*innen daher unterschieden und die Analysen auch methodisch variieren. Es wurde z.B. häufig mit Selbstauskünften zu vorgegebenen Freizeittätigkeiten gearbeitet, die von Schüler*innen in G9- oder G8-Ausbildungsgängen beantwortet und teils parallel, teils nacheinander erhoben wurden. Daher können die Ergebnisse auch am ehesten differenziert nach Art der Freizeittätigkeit dargestellt werden.

Für Aktivitäten im Sport konnten dabei überwiegend keine bzw. kaum Unterschiede im zeitlichen Umfang für G9- und G8-Schüler*innen festgestellt werden (Laging et al., 2014; im Brahm et al., 2013). Ebenfalls keine Unterschiede zeigen sich bzgl. anderer Tätigkeiten z.B. musischer Hobbys wie Orchester, Unternehmungen mit der Familie, Computer (z.B. Spielen) (Hübner et al., 2017). Stabile signifikante Unterschiede mit eher mittlerem Effekt zeigen sich vor allem für das Ausüben eines Nebenjobs, was häufiger von G9-Schüler*innen getan wurde (z.B. Hübner et al., 2017; Meyer & Thomsen, 2015) und ein Rückgang bzgl. ehrenamtlicher Tätigkeiten (wobei Sport hier noch einmal gesondert erfasst wurde), allerdings ausgehend von einem generell niedrigen Niveau (für Hessen: Meyer & Thomsen, 2015). Eine interessante Erkenntnis im Zusammenhang mit diesen Analysen ist, dass die Schüler*innen innerhalb der G8-Bildungsgänge Freizeit teilweise anders bewerteten bzw. einschätzten, als in G9-Bildungsgängen (Blumentritt et al., 2014). „Folglich scheint die konzeptionelle Engführung von Freizeit als Nicht-Schulzeit aus den exemplarisch ausgewählten Beschreibungen der Schülerinnen und Schüler beider Bildungsgänge nicht vollständig tragfähig.“ (Blumentritt, 2015, 150).

Bezogen auf die These, dass die duale Berufsausbildung unter der Umstellung gelitten habe, liegen kaum empirische Erkenntnisse vor. Marcus & Zambre (2017) berichten, dass nach Einführung der G8-Abiturbildungsgängen weniger junge Menschen ein Studium aufnahmen, was man allerdings nicht direkt so interpretieren kann, dass diese stattdessen eine Berufsausbildung aufnahmen. Es zeigt sich zudem eine Art Pausenjahr vor der Studienaufnahme. Die Entscheidung für ein Studium oder eine Berufsausbildung scheint eher von Faktoren abzuhängen, die unabhängig von der Art des Abiturbildungsgangs sind (vgl. Flake et al., 2017). In seiner Dissertation berichtet Meyer (2016) für Sachsen-Anhalt Analysen, die eher darauf hindeuten, dass G8-Schüler*innen tendenziell sogar vermehrt eine Berufsausbildung an ihr Abitur anschlossen.

Was lässt sich hieraus nun bzgl. der Thesen aus dem Buch schließen? Die Annahme, dass die Umstellung von G9 zu G8 negative Nebenwirkungen hatte, ist vor dem Licht der empirischen Daten teilweise zutreffend, aber nicht bzgl. aller genannten Nebenwirkungen. Die Situation ist in repräsentativeren Stichproben nicht so eindeutig wie suggeriert. Allerdings liegen auch insgesamt wenig empirische Analysen vor. Die erste Todsünde wird Gegenstand des nächsten Beitrags in dieser Artikelreihe sein. Er findet sich hier. Hintergründe zum Autor und zum Buch werden dort nicht noch einmal aufgeführt.

Literatur:

  • Blumentritt, L. (2015). Veränderte Schulzeit–veränderte Freizeit? Freizeit im Kontext der gymnasialen Schulzeitverkürzung. In R. Freericks, & D. Brinkmann (Hrsg.), Die Stadt als Kultur-und Erlebnisraum – Analysen – Perspektiven – Projekte. 3. Bremer Freizeit-Kongress (S. 141-153). Institut für Freizeitwissenschaft und Kulturarbeit e.V. (Online)
  • Blumentritt, L., Kühn, S. M., & van Ackeren, I. (2014). (Keine) Zeit für Freizeit? Freizeit im Kontext gymnasialer Schulzeitverkürzung aus Sicht von Schülerinnen und Schülern. Diskurs Kindheits-und Jugendforschung, 9(3), 15-16. (Online)
  • Flake, R., Malin, L., & Risius, P. (2017). Einflussfaktoren der Bildungsentscheidung von Abiturienten für Ausbildung oder Studium. IW-Trends-Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung, 44(3), 99-115. (Online)
  • Hübner, N., Wagner, W., Kramer, J., Nagengast, B., & Trautwein, U. (2017). Die G8-Reform in Baden-Württemberg: Kompetenzen, Wohlbefinden und Freizeitverhalten vor und nach der Reform. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 20(4), 748-771. (Online)
  • im Brahm, G., Kühn, S. M., & Wixfort, J. (2013). Wie nehmen Schülerinnen und Schüler des doppelten Abiturjahrgangs die eigene Schulzeit wahr?: Eine geschlechtsspezifische Analyse der Schülerperspektive auf acht-und neunjährige Bildungsgänge am Gymnasium. Schulpädagogik heute, 4(8), 223-240.
  • Kühn, S. M., van Ackeren, I., Bellenberg, G., Reintjes, C., & im Brahm, G. (2013). Wie viele Schuljahre bis zum Abitur? – Eine multiperspektivische Standortbestimmung im Kontext der aktuellen Schulzeitdebatte . Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 16(1), 115-136. (Online)
  • Laging, R., Böcker, P., & Dirks, F. (2014). Zum Einfluss der Schulzeitverkürzung (G8) auf Bewegungs-und Sportaktivitäten von Jugendlichen. Sportunterricht, 63(3), 66-72. (Online)
  • Marcus, J., & Zambre, V. (2017). Folge der G8-Schulreform: Weniger Abiturientinnen und Abiturienten nehmen ein Studium auf. DIW Wochenbericht, 84(21), 418-426. (Online)
  • Meidinger, H.-P. (2021). Die 10 Todsünden der Schulpolitik – Eine Streitschrift. Claudius Verlag.
  • Meyer, T. (2016). An evaluation of the shortened high school duration in Germany and its impact on postsecondary education and labor market entry. Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover. (Online)
  • Meyer, T., & Thomsen, S. L. (2015). Schneller fertig, aber weniger Freizeit?–Eine Evaluation der Wirkungen der verkürzten Gymnasialschulzeit auf die außerschulischen Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler. Schmollers Jahrbuch, 135, 249-278. (Online)

Täuschen, Schummeln und Betrügen an der Hochschule im Licht der Bildungsforschung – 3/7 – COVID-19 Ergänzung

Ehrlichkeit in der digitalen Welt

Einbettung von: Deutschlandfunk, Campus & Karriere, Sendung vom 01. Dezember 2021
Bildnachweis: © Deutschlandfunk

Eigentlich wäre der vierte Teil zu unserer Artikelserie zum Täuschen und Betrügen bei Prüfungen im Studium an der Reihe. Angeregt über einen kurzen Bericht des Deutschlandfunks in der Sendung Campus & Karriere vom 01. Dezember 2021 (siehe auch die Einbettung oben) möchten wir allerdings noch einen kleinen Nachtrag zum dritten Artikel liefern, in dem wir von Ergebnissen der empirischen Bildungsforschung zum Ausmaß von typischem Täuschungsverhalten berichtet haben. Durch die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie wurde auch an Hochschulen ein beträchtlicher Teil der Lehre und insbesondere auch von Prüfungen in virtueller Form durchgeführt (Sommer, 2020). Dabei stellen sich ein paar Fragen: Wie groß ist das Ausmaß von Täuschungen in digitalen Prüfungen? Ist es womöglich höher als bei klassischen Präsenzprüfungen, weil das „Schummeln“ technisch einfacher ist?

Eine Studie zur rechten Zeit…

Vor der Pandemie wurden diese Fragen erwartbarerweise kaum untersucht, da digitale Prüfungen ein eher untypischer Fall waren. Im November sind allerdings die Ergebnisse einer Untersuchung von Janke et al. (2021) veröffentlicht worden. Sie befragten hierzu N = 1608 Studierende unterschiedlicher Hochschulen und Studienfächer in Deutschland online, die im Sommersemester 2020 eine schriftliche Prüfung ablegen mussten. Davon hatten 82.5% ausschließlich Onlinekurse während des Semesters belegt. Die Studierenden wurden zum einen danach befragt, in welcher Form sie Prüfungen abgelegt haben (nur in Präsenz, nur digital, beides). Zudem sollten sie direkt auf einer siebenstufigen Skala zu einer Reihe von Täuschungshandlungen in Prüfungen, aber auch in Onlinekursen (bezeichent als academic dishonesty), angeben, wie häufig sie dieses in diesem Semester getan haben (von nie bis sehr oft).

Das Ausmaß der vier häufigsten Handlungen akademischer Unehrlichkeit in Kursen, die die Befragten im Sommestersemester 2020 mindestens einmal getätigt haben, waren in absteigender Reihenfolge (Janke et al., 2021, 5): Einloggen im Onlinekurs und nebenbei etwas Anderes tun (88.1%), Bearbeitung von Aufgaben mit Anderen, die als Einzelleistung gedacht waren (63.7%), Angabe von Quellen in Hausarbeiten, die man nicht gelesen hat (29.8%), Übernahme von Textteilen aus Onlinequellen ohne Quellenangabe (26.4%). Die Untersuchung enthält Ergebnisse zu weiteren Täuschungshandlungen, weshalb ich hier eine ausdrückliche Leseempfehlung abgeben möchte.

Digital vs. Analog?

Unterscheidet sich nun das Täuschungsverhalten in analogen und digitalen schriftlichen Prüfungen? In der Befragung können hierzu insbesondere zwei Items herangezogen werden, die sowohl für Präsenz-, als auch für Onlineprüfungen abgefragt wurden. Für eine bessere Vergleichbarkeit habe ich die Ergebnisse i.ön einer kleinen Tabelle dargestellt (Tab. 1).

TäuschungshandlungPräsenz-prüfungOnline-prüfung
Austausch von Lösungsideen für Aufgaben mit Anderen während der Prüfung.23.7%45.9%
Verwendung von unerlaubten Hilfsmitteln zur Lösung von Aufgaben.18.4%48.6%
Tab. 1 „Vergleich von Täschungshandlungen in Präsenz- und Onlineprüfungen (Janke et al., 2021, 5)

Es wird deutlich, dass das Ausmaß von Täuschungsverhalten in schriftlichen digitalen Prüfungen größer ausfällt als in Präsenzprüfungen. Zur Signifikanz des Unterschieds und möglicher Effektstärken, auch unter Kontrolle von Prüfungserfahrungen, sei an dieser Stelle noch einmal auf den Artikel verwiesen. Es lohnt sich etwas tiefer im Text zu schauen. Die Autor*innen fassen ihre Ergebnisse mit einem gewissen understatement folgendermaßen zusammen:

„Overall, our findings indicate that the sudden shifts from on-site to
online testing in German higher education institutions during the
COVID-19 pandemic in summer 2020 may have posed at least some
threat to academic integrity.“

(Janke et al., 2021, 6)

Dazu, inwiefern sich Lehramtsstudierende hierbei von Studierenden anderer Studiengänge unterscheiden, können wir auf Grundlage der Untersuchung keine Aussagen machen. Aber man kann ja nicht alles haben ;). Daher zuerst einmal vielen Dank an die Kolleg*innen aus Mannheim, Landau und Augsburg. Vielleicht kommen hierzu ja noch Analysen.

Literatur

  • Janke, S., Rudert, S. C., Petersen, Ä., Fritz, T., & Daumiller, M. (2021). Cheating in the wake of COVID-19: How dangerous is ad-hoc online testing for academic integrity?, Computers and Education Open, 2, 1-9. (Online)
  • Sommer, M. (2020). Eine respektable Notlösung. Ergebnisse einer Umfrage zum „Corona-Semester “. Forschung & Lehre, 20(8), 666. (Online)

Wieder was gelernt. Wissenschaftskommunikation & Bildungsforschung.

Am 30.11 und 01.12.21 haben wir, Thomas Janzen und Philipp Wotschel, am Workshop „Wissenschaftskommunikation in der Bildungsforschung“ teilgenommen, der im Rahmen des digitalen Konferenzjahres der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (GEBF) veranstaltet wurde.

Unter der Leitung von Dr. Katja Knuth-Herzig (Universität Speyer) standen im zweitägigen Programm die Vermittlung der Grundlagen und die praktische Erprobung der Wissenschaftskommunikation im Vordergrund.

Nach dem gemeinsamen Kennenlernen und dem Austausch über eigene Vorerfahrungen und persönliche Ziele, lag das Hauptaugenmerk des Workshops auf der Vermittlung der Charakteristika und Relevanz von Wissenschaftskommunikation in der Gesellschaft und im Arbeitsalltag. Damit ging ebenfalls eine umfassende Präsentation der Darstellungsmöglichkeiten unterschiedlicher Kommunikationsformate und Social-Media-Plattformen einher. Reichlich Gelegenheit gab es auch Wissenschaftskommunikation „auszuprobieren“. Durch die Erstellung eines Kommunikationskonzeptes für die eigene Forschung, das anschließend im Plenum exemplarisch diskutiert wurde, wurde allen Teilnehmenden die Möglichkeit gegeben, Rückmeldung für ihre Ideen und neue Denkanstöße zu erhalten.

Wir freuen uns, dass wir an dem Workshop teilnehmen durften und sind uns sicher, dass wir die eine oder andere vermittelte Technik in unserem Projekt anwenden können.