Täuschen, Schummeln und Betrügen an der Hochschule im Licht der Bildungsforschung – 3/7

In einer Universität entwickeln sich die Talente

Wie überall sonst, wird auch an Universitäten nicht immer ehrlich gespielt bzw. studiert. In einer Artikelreihe beschäftigen wir uns daher hier im Blog etwas genauer mit dem Täuschen und Betrügen im Studium, häufig zusammengefasst auch unter dem Begriff akademisches Fehlverhalten. Uns interessiert dabei natürlich, welche Ergebnisse der empirischen Bildungsforschung hierzu vorliegen. Nachdem wir im ersten Beitrag zunächst betrachtet haben, welche Arten des akademischen Fehlverhaltens im Studium vorkommen können, haben wir im zweiten Beitrag ein paar Methoden vorgestellt, wie solches normverletzende Verhalten auch empirisch erhoben werden kann bzw. welche Schwierigkeiten dabei auftreten können.

Wie groß ist das Problem?

In diesem Beitrag soll es nun um die Frage gehen: Wie groß ist das Ausmaß akademischen Fehlverhaltens bei Studierenden? Welches kommt häufig vor, welches evtl. seltener? Und wie ist es bei Lehramtsstudierenden? Sie sind ja schließlich die Zielgruppe unserer Arbeit in der Nachwuchsforschungsgruppe. Sind sie vielleicht aufgrund ihrer Berufswahl sogar eher vorbildlich, weil sie über eine Art Prüfungsethos als angehende Lehrkräfte verfügen? Diese Fragen deuten es schon an. In diesem Beitrag werden wir etwas differenzierter auf Ergebnisse aus Studien blicken und dabei berücksichtigen, welche Arten des Fehlverhaltens untersucht wurden, welche Studierenden befragt wurden und auch mit welcher Erhebungsmethode.

Generell wird und wurde akademisches Fehlverhalten weltweit schon länger untersucht, wobei die Ergebnisse auch immer wieder in verschiedenen Reviews zusammengefasst wurden (z.B. Ali et al., 2021; Parthner, 2020; Park, 2010). Dabei wird ein mindestens einmaliges akademisches Fehlverhalten im Studium von durchschnittlich ca. 70% (z.B. Whitley, 1998) bis ca. 33% (z.B. Teixeira & Rocha, 2010) aller Studierenden berichtet. Dieser Unterschied ist auch darin begründet, dass sich das Ausmaß erwartbarerweise je nach Täuschungshandlung unterscheidet, wobei sich die meisten Studien auf das Plagiieren in Haus- bzw. Abschlussarbeiten beziehen.

Ein Blick in den eigenen Garten…

Generell ist es aber schwierig, Studien zu akademischem Fehlverhalten aus unterschiedlichen Ländern und Studienkontexten gut miteinander zu vergleichen (vgl. Ison, 2018). Daher blicken wir etwas genauer auf Ergebnisse aus dem deutschsprachigen Sprachraum, genauer Deutschland und der Schweiz. Viele Untersuchungen wurden von Kolleg*innen der ETH Zürich bzw. der Universität Leipzig durchgeführt, oft verbunden mit Methodenstudien (die wir im zweiten Beitrag dieser Reihe schon kurz kennengelernt haben).

Preisendörfer (2008) ließ N = 578 Studierende (hauptsächlich) der Soziologie in Interviews dichotom dazu befragen, ob sie ein bestimmtes Fehlverhalten im Studium schon einmal getan haben (ja oder nein) per RRT und per Direct-Response. Weil letztere Angaben meist höher lagen, nennen wir hier nur die Ergebnisse zum Anteil aus der direkten Befragung in absteigender Reihenfolge: Abschreiben lassen in Klausur (65,7%), selbst in Klausuren abgeschrieben (57,0%), Spickzettel in Klausur verwendet (21,7%), Teilplagiat in Hausarbeit (15,9%), Buch in der Bibliothek versteckt (5,4%), Komplettplagiat in Hausarbeit (1,4%), Seiten aus einem Buch in der Bibliothek gerissen (1,0%). Coutts et al. (2011) befragten Studierende aller Fächer und Studiengänge ebenfalls per RRT und direkt. In der direkten Befragung (N = 829) gaben 12,0% der Studierenden an, schon einmal in Haus- oder Abschlussarbeiten plagiiert zu haben, 19,4% bei anderen schriftlichen Arbeiten. In einer Teilstudie an drei weiteren Universitäten wurden N = 310 auch per Crosswise-Modell befragt, wobei sich ein Ausmaß von 22,3% Teilplagiat und 1,6% größerem Plagiat ergab (vgl. Jann et al., 2012; Sattler, 2008).

In der Studie von Jerke & Krumpal (2013) wurden (wieder) Soziologiestudierende per Triangularmodell (N = 281) und direkt (N = 101) befragt. Hierbei ergab sich ein Verhaltensausmaß von 18,0% Teilplagiat im TM-Modell (9,9% direkt) und 0,8% Vollplagiat im TM-Modell (0,0% direkt). Nitsche et al. (2014) befragten N = 312 Studierende verschiedener Studienbereiche per TM-Modell an der Hochschule Merseburg und erhielten folgende Ergebnisse: Abschreiben in Klausuren (29%), Verwendung von Spickzetteln (21%), Plagiieren (11%) und Informationsbeschaffung im Internet während Prüfungen (9%). Krohe (2020) berichtet Ergebnisse einer deutschlandweiten, direkten Onlinebefragung von N = 15440 Studierenden verschiedenster Studiengänge. Dabei ergab sich ein Ausmaß von: Abschreiben in Klausuren (27,3%), Nutzung von Spickzetteln (22,9%), Teilplagiat in Hausarbeiten (18,1%), Vollplagiat (4,3%) und Nutzung von Ghostwritern/Mehrfachnutzung der gleichen Arbeit (2,9%).

Die Ergebnisse der vorliegenden Studien variieren durchaus deutlich, es scheint aber schon eine tendenzielle Abstufung des Ausmaßes bestimmter Täuschungsarten zu existieren. Allerdings ermöglichen diese Arbeit es uns nicht, die Frage zu klären, ob das auch für Lehramtsstudierende gilt, oder ob sie sich von Studierenden anderer Studiengänge unterscheiden. Schließlich sollten sie im späteren Beruf in dieser Hinsicht für ihre Schüler*innen auch ein Vorbild sein.

Wie sieht es im Lehramt aus?

Genauere Einblicke ins Lehramt gibt aber eine der wichtigsten Studien zum akademischen Fehlverhalten in Deutschland: FAIRUSE „Fehlverhalten und Betrug bei derErbringung von Studienleistungen: Individuelle und organisatorisch-strukturelle Bedingungen“ (Sattler & Diewald, 2013). Sie hat nicht nur einen sehr umfangreichen Datensatz, sondern betrachtet auch einige Arten des Fehlverhaltens, die bisher noch nicht vorgekommen sind. Ihre unterschiedlichen Ergebnispublikationen (z.B. Patrzek et al., 2015) sind allesamt äußerst lesenswert.

Bildnachweis: © Universität Bielefeld

In der Studie wurden deutschlandweit Studierende an verschiedenen Hochschulen in einem Panel-Design insgesamt zu vier aufeinander folgenden Zeitpunkten gefragt. Die Ergebnisse zum Ausmaß von akademischem Fehlverhalten im Abschlussbericht beziehen sich auf N = 3486 Studierende, die auch beim zweiten Messzeitpunkt an der Befragung teilgenommen haben. Methodisch wurde mit dem Direct-Response-Ansatz gearbeitet, allerdings wurde im Unterschied zu den bisher genannten Arbeiten auf einer 10-stufigen Skala auch nach der Häufigkeit bestimmten Täuschungshandelns innerhalb der letzten sechs Monate gefragt (von noch nie bis mehr als 10-mal). Die Studierenden wurden dabei nur gefragt, wenn sie auch eine Prüfungsleistung erbringen mussten, auf die sich die jeweilige Täuschungshandlung bezieht.

Um nun das Ausmaß von akademischem Fehlverhalten von Lehramtsstudierenden im Vergleich abzuschätzen, habe ich in der folgenden Tabelle (Tab. 1) die Ausmaße aus dem Abschlussbericht von Studierenden, die in der Studie die Studienabschlüsse Lehramt und Lehramtsmaster angegeben haben, eingetragen und sie dem jeweiligen Gesamtdurchschnitt gegenüber gestellt (Sattler & Diewald, 2013, 20-23). Angegeben ist jeweils der prozentuale Anteil Studierender, die ein mindestens einmaliges Täuschungsverhalten genannt haben.

FehlverhaltenLehramtLehramt
Master
Gesamt
Plagiieren15,6%17,4%18%
Spickzettel benutzen20,0%24,8%17%
Spickzettel mitnehmen33,3%36,2%31%
Abschreiben in Klausuren22,2%39,4%37%
falsches Attest benutzen24,4%11,3%15%
Abschreiben von Arbeitsaufgaben20,0%35,8%35%
Daten fälschen/verändern24,2%12,4%24%
Tab. 1 „Ausmaß akademischen Fehlverhaltens im Lehramt in der FAIRUSE-Studie (Sattler & Diewald, 2013)“

An der Vermutung, dass Lehramtsstudierende sich im Sinne einer pädagogischen Verantwortung schon im Studium vorbildlicher bei Prüfungen verhalten, ist anscheinend nur wenig dran. Auch im Lehramt wird im ähnlichen Ausmaß getäuscht, teilweise sogar mehr. Hierbei muss man aber natürlich beachten, dass sich die Prüfungsformen und damit die möglichen Täuschungshandlungen auch in den studierten Fächern unterscheiden.

Und nun?

Im Studium wird in nennenswertem Umfang getäuscht und betrogen, trotz möglicher Sanktionen und relativ klarer Kommunikation des erwarteten akademischen Verhaltens. Warum sollten sich Studierende im Lehrbetrieb an der Universität auch anders verhalten als zuvor im Lehrbetrieb einer Schule? Festzuhalten ist allerdings auch, dass gute zwei Drittel sich so verhalten, wie es die Hochschulen von ihren Studierenden erwarten. Möchte man dieses Verhältnis hin zu einem größeren Anteil korrekten akademischen Verhaltens ändern, dann muss gefragt werden, was Studierende zum Täuschen bringt, bzw. welche Faktoren und Bedingungen es begünstigen. Diese Fragen werden im nächsten Beitrag dieser Artikelreihe betrachtet. Er wird wieder an dieser Stelle verlinkt, sobald er online ist.

Literatur

  • Ali, I., Sultan, P., & Aboelmaged, M. (2021). A bibliometric analysis of academic misconduct research in higher education: Current status and future research opportunities. Accountability in research, 1-22. (Online)
  • Coutts, E., Jann, B., Krumpal, I., & Näher, A. F. (2011). Plagiarism in student papers: prevalence estimates using special techniques for sensitive questions. Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 231(5-6), 749-760. (Online)
  • Ison, D. C. (2018). An empirical analysis of differences in plagiarism among world cultures. Journal of Higher Education Policy and Management, 40(4), 291-304. (Online)
  • Jann, B., Jerke, J., & Krumpal, I. (2012). Asking sensitive questions using the crosswise model: an experimental survey measuring plagiarism. Public opinion quarterly, 76(1), 32-49. (Online)
  • Jerke, J., & Krumpal, I. (2013). Plagiate in studentischen Arbeiten: eine empirische Untersuchung unter Anwendung des Triangular Modells. Methoden, Daten, Analysen (mda), 7(3), 347-368. (Online)
  • Kroher, M. (2020). Akademisches Fehlverhalten: Wie ehrlich berichten Studierende über Täuschungen?. In I. Krumpal, & R. Berger (Hrsg.), Devianz und Subkulturen – Theorien, Methoden und empirische Befunde (S. 207-240). Springer VS. (Online)
  • Nitsche, I., Rittmann, A., & Döpke, J. (2014). „Wirtschaftsethik “praktisch: Wie oft schummeln Studierende an der Hochschule Merseburg?. In A. Frei, & G. Marx (Hrsg.), Fahrrad – Vesper – Finanzwirtschaft Untersuchungen zu Wirtschaft und Gesellschaft. Festschrift für Eckhard Freyer (S. 11-29). Hochschule Merseburg. (Online)
  • Park, C. (2003). In other (people’s) words: Plagiarism by university students–literature and lessons. Assessment & evaluation in higher education, 28(5), 471-488. (Online)
  • Parnther, C. (2020). Academic misconduct in higher education: A comprehensive review. Journal of Higher Education Policy And Leadership Studies, 1(1), 25-45. (Online)
  • Patrzek, J., Sattler, S., van Veen, F., Grunschel, C., & Fries, S. (2015). Investigating the effect of academic procrastination on the frequency and variety of academic misconduct: a panel study. Studies in Higher Education, 40(6), 1014-1029. (Online)
  • Preisendörfer, P. (2008). Heikle Fragen in mündlichen Interviews: Ergebnisse einer Methodenstudie im studentischen Milieu. ETH Zurich SociologyWorking Paper, (6). (Online)
  • Sattler, S., & Diewald, M. (2013). FAIRUSE – Fehlverhalten und Betrug bei der Erbringung von Studienleistungen: Individuelle und organisatorisch-strukturelle Bedingungen – Schlussbericht zum Projekt. Universität Bielefeld. (Online)
  • Sattler, S. (2008). Plagiate in Hausarbeiten: Erfassung über Direct-Response und Validierung mit Hilfe der Randomized-Response-Technique. In K.-S. Rehberg (Hrsg.), Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006 (S. 5446-5461). Campus Verlag. (Online)
  • Teixeira, A. A., & Rocha, M. F. (2010). Cheating by economics and business undergraduate students: an exploratory international assessment. Higher Education, 59(6), 663-701. (Online)
  • Whitley, B. E. (1998). Factors associated with cheating among college students: A review. Research in higher education, 39(3), 235-274. (Online)