Schlagwort-Archive: Medizindidaktik

Besuch auf der digiGEBF 2021 – Keynote: Medizindidaktik macht Schule

Bildnachweis: © GEBF, Universität Tübingen

Die Hauptvorträge im digitalen Jahr der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (GEBF) finden verteilt über verschiedene Monate statt und wurden über YouTube gestreamt. Für uns als Nachwuchsforschungsgruppe besonders interessant: Am 16. November hielt Prof. Dr. Martin Fischer seine Keynote „Medizindidaktik macht Schule: Verbindungen und Unterschiede“, in der er Einblicke in die Geschichte, Ansätze und Strukturen der Ausbildung angehender Mediziner*innen gab.

Die Medizindidaktik unterscheidet sich dabei sowohl von den schulischen und auch hochschulischen Fachdidaktiken ein wenig. Ich würde sagen, sie ist von einer stark pragmatischen Orientierung an Anforderungen des Berufsfeldes der Medizin geprägt, im Vergleich mit den stärker fachlich-theoretischer motivierten Didaktiken der anderen Studienfächer. Dies ist aber eher mein Eindruck als Außenstehender, der auch in diesem Vortrag einen kompakten Überblick aus einem Guß erhalten hat. Insbesondere für die Lehrer*innenbildungsforschung bietet die Medizindidaktik viele Anregungen und Orientierungspunkte.

Im Kontext unserer Nachwuchsforschungsgruppe war insbesondere der systematisch geplante Kompetenzaufbau im Medizinstudium und die Verzahnung mit performanzorientierten Prüfungsverfahren interessant. Neben den hier im Blog schon öfter vorgekommenen OSCEs (die im Vortrag auch gerne als Oskies ausgeprochen werden ;)), wären z.B. Adaptionen von Clinical Case Discussions (Koenemann et al., 2020) für die Lehramtsausbildung spannend (im Sinne von Teacher Case Discussions, wie es Martin Fischer vorgeschlagen hat).

Edit (01.07.2022): Der Vortrag ist insgesamt sehr empfehlenswert und kann mittlerweile auch auf dem Youtube-Kanal zur Tagung nachgehört werden. Es lohnt sich!

Literatur:

  • Fischer, M. (2021). Medizindidaktik macht Schule: Verbindungen und Unterschiede. Keynote-Vortrag im digitalen Konferenzjahr der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (GEBF) (online), 16.11.2021.
  • Koenemann, N., Lenzer, B., Zottmann, J. M., Fischer, M. R., & Weidenbusch, M. (2020). Clinical Case Discussions–a novel, supervised peer-teaching format to promote clinical reasoning in medical students. GMS journal for medical education, 37(5). (Online)

Was Lehrkräfte bzw. diejenigen, die sie ausbilden, von Ärzten lernen können

Analogien zwischen Lehrer*innen- und Mediziner*innenausbildung

Einer der Anstöße bzw. Ideenkatalysatoren für unsere Nachwuchsforschungsgruppe war auch ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Martin Prenzel (2017) im Blog des Bildungsjournalisten Dr. Jan-Martin Wiarda, der immer wieder sehr lesenswert ist. In diesem Artikel rief Martin Prenzel dazu auf, sich bei der Weiterentwicklung der Lehramtsausbildung stärker an Ansätzen aus der Ausbildung angehender Mediziner*innen zur orientieren.

Prenzel nennt dabei einige Merkmale der Medizinausbildung, die er sich in ähnlicher Weise auch für die Lehramtsausbildung wünschen würde: Deutschlandweite Abstimmung der Ausbildung; Erprobungen von Reformstudiengängen, deren Elemente auch teilweise in den Regelbetrieb einfließen; Einbezug aktueller Forschungsergebnisse in die Ausbildung. Dabei bezieht er sich vor allem auf die strukturelle Verankerung der Lehramtsausbildung an Hochschulen, erkennt bisherige Bemühungen und Erfolge an, sieht aber noch einiges Potential für bessere Abstimmung über Bundeslandgrenzen hinweg. Eine konkrete Forderung wäre die nach der Entwicklung eines Masterplans für das Lehramtsstudium, analog zu vergleichbaren Plänen für das Medizinstudium, um einheitlichere Qualitätsstandards zu etablieren bzw. eine Verständigung darüber einzuleiten. Als konkretes Beispiel für eine Veränderung des Lehramtsstudiums schlägt Prenzel ein Ein-Fach-Lehramtsstudium vor, wobei er diesen Vorschlag auch nur als eine von verschiedenen Möglichkeiten sieht. Deutlich wird, wie wichtig ihm eine Diskussion über die Weiterentwicklung der Ausbildung ist, weshalb er eine Orientierung an der Mediziner*innenausbildung auch schon an anderen Stellen vorgeschlagen hat (z.B. Prenzel, 2019).

Was Lehrkräfte mit Ärzten gemeinsam haben (sollten)

Man muss Prenzel in diesem konkreten Vorschlag und auch in dieser Betonung struktureller Bedingungen des Lehramtsstudiums nicht zu hundert Prozent folgen, aber sich an Ansätzen der Mediziner*innenausbildung zu orientieren, ist ein lohnenswerter und sinnvoller Vorschlag, denn:

„Selbstverständlich muss man die unterschiedlichen föderalen Zuständigkeiten anführen, die es bei der Medizin – anders als beim Lehramt – dem Bund ermöglichen, eine koordinierende Rolle einzunehmen. Doch abgesehen von den verfassungspolitischen Gegebenheiten leuchtet es nicht ein, warum wir uns zwar einig sind, dass die Gesundheitsversorgung in Schleswig-Holstein dasselbe bedeuten sollte wie in Bayern, aber bei der Bildung unserer Kinder anscheinend an einen regionalen Qualitätsbegriff glauben.“

Prenzel (2017)

Diesem Urteil schließe ich mich an. Warum sollten wir an die Ausbildung von Lehrkräften nicht die gleichen Ansprüche haben, wie an die der Ausbildung von Mediziner*innen? Ich vermute, dass in der Lehramtsausbildung mehr Varianz und Uneinheitlichkeit akzeptiert wird, was auch darin begründet liegt, dass bspw. in der Medizin die Folgen einer schlechten Ausbildung sich viel unmittelbarer zeigen, als in der Lehramtsausbildung. Wenn eine Wunde falsch behandelt wird, sieht man es direkt und es schmerzt. Werden Schüler*innen schlecht unterrichtet, sieht man die Folgen erst viel später. Insofern stimme ich Prenzel zu, wenn er zumindest ein Bemühen darum fordert, die bestmögliche Ausbildungsqualität – und zwar bundesweit – zu sichern, wenn Bildung ein ebenso hohes gesellschaftliches Ziel sein soll wie Gesundheit.

Bildnachweis: Leo Jeong Soo, Pixabay-Lizenz, Link

Diese Analogie zwischen Lehrkräfte- und Medizinausbildung lässt sich aber nicht nur auf die Entwicklung von Standards beziehen. Beide Studienbereiche sind professionsbezogen, sie existieren also deshalb, weil sie Personen zur Ausübung einer bestimmten Profession befähigen sollen, die eine gesellschaftlich wichtige Funktion erfüllen. In beiden Studiengängen stehen Ausbilder*innen vor der Herausforderung, ein notwendiges, aber stark theorieorientiertes Studium mit einer zielführenden Befähigung zur Bewältigung der Berufspraxis zu kombinieren. Ähnlich wie im Lehramt kommt es auch in der Medizin immer wieder zu Situationen, in denen zu wenig Personen ausgebildet (z.B. der so genannte „Ärztemangel“) oder regional nicht gut verteilt sind (z.B. Kaduszkiewicz, 2018). In beiden Feldern wird daher versucht, Absolvent*innen zu motivieren bspw. auch an vermeintlich unattraktiven Orten zu arbeiten (z.B. Steinhäuser et al., 2013; Anders, 2020). In der Medizin würde aber sicherlich ein so hoher Anteil Quereinsteigender in den Beruf nicht akzeptiert werden wie es im Lehramt geschieht (vgl. hierzu auch unsere Artikelreihe hier im Blog).

Performanzorientiertes Prüfen im Lehramt

Im Detail gibt es natürlich immer noch beträchtliche Unterschiede und beide Studienbereiche sind nicht genau vergleichbar, aber grundsätzlich weist die Medizinausbildung ähnliche Herausforderungen auf wie die Lehramtsausbildung, weshalb es sich lohnt, von möglichen Lösungsansätzen der jeweils anderen Disziplin zu lernen. Innerhalb unserer Nachwuchsforschungsgruppe machen wir genau dies, indem wir versuchen, Assessment-Konzepte aus der Medizin (z.B. Harden, 1988) in die Lehramtsausbildung zu übertragen. Dabei werden professionstypische Handlungsanforderungen in einem standardisierten Setting mit Schauspielenden simuliert (wie z.B. Anamnese-Gespräche). Diese Szenarien können bzw. werden sogar als Prüfungsverfahren im Medizinstudium eingesetzt.

Unser Ziel ist es, solche Prüfungsszenarien auch für das Lehramtsstudium (bei uns: im Fach Englisch, im Fach Physik und in den Bildungswissenschaften) zu entwickeln und zu erproben. Dabei arbeiten wir natürlich nicht im „luftleeren“ Raum, sondern orientieren uns an ähnlichen Vorarbeiten (vgl. Dotger et al., 2010), die wir in diesem Blog auch noch näher vorstellen werden. Damit unsere Verfahren als Prüfungsformate auch wirklich implementiert werden können, müssen die Besonderheiten des Lehrer*innenberufs berücksichtigt und die Szenarien erprobt und hinreichend validiert werden. Folgend werden sie dann (hoffentlich) auch von Studierenden und Lehrenden akzeptiert werden können. Wir sind aber optimistisch und werden hier immer wieder von unserer Forschungsarbeit berichten.

Literatur

  • Anders, F. (2020). Anreize für Lehrkräfte in unbeliebten Regionen. Das Deutsche Schulportal, 29. Januar 2020. (Online)
  • Dotger, B. H., Dotger, S. C., & Maher, M. J. (2010). From medicine to teaching: The evolution of the simulated interaction model. Innovative Higher Education35(3), 129-141. (Online)
  • Harden, R. M. (1988). What is an OSCE?. Medical teacher10(1), 19-22. (Online)
  • Kaduszkiewicz, H., Teichert, U., & van den Bussche, H. (2018). Ärztemangel in der hausärztlichen Versorgung auf dem Lande und im Öffentlichen Gesundheitsdienst. Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz, 61(2), 187-194. (Online)
  • Prenzel, M. (2019). Die Lehrerbildung in Deutschland – und was die Qualitätsoffensive zu ihrer Weiterentwicklung beitragen kann. Vortrag am Bayerischen Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung München, 8. Juli 2019. (Online)
  • Prenzel, M. (2017). „Nehmen wir die Medizin als Ansporn!“. jmwiarda.de ,04. November 2017. (Online)
  • Steinhäuser, J., Joos, S., Szecsenyi, J., & Götz, K. (2013). Welche Faktoren fördern die Vorstellung sich im ländlichen Raum niederzulassen. Zeitschrift für Allgemeinmedizin, 89(1), 10-15. (Online)

Performanztests im Radio

Simulationen als Elemente der Ausbildung

Bildnachweis: © Bayrischer Rundfunk, BR 2

In einem Radiobeitrag in der Sendung IQ – Wissenschaft und Forschung des Bayrischen Rundfunkts ist ein aktueller Beitrag ( ca. 25 Minuten) erschienen, in demperformanzorientierte Trainings- und Prüfverfahren in der Ausbildung von Mediziner*innen und Pflegekräften beschrieben werden. Dabei handelt es sich um Simulationen typischer, beruflicher Situationen, bei denen angehenden Ärzt*innen oder Pflegekräfte in einer Rollenspielsituation mit hierfür trainierten Schauspieler*innen agieren müssen. Im Beitrag werden verschiedene Beispiele solcher performanzorientierter Lehrverfahren hinsichtlich ihrer Ziele und Struktur vorgestellt. Dabei wir häufig mit so genannten Seminarschauspieler*innen gearbeitet, die für ihre Rollen in Simulationen speziell vorbereitet werden und die insbesondere auch Feedback aus der Sicht der simulierten Patienten oder Kolleg*innen geben. Man spricht auch von standardisierten Patient*innen. Im Fokus stehen häufig, wie im Beitrag, Situationen, in denen mit Anderen kommuniziert und interagiert werden muss.

Einbettung von: Bayrischer Rundfunk, BR 2, IQ Wissenschaft und Forschung, Sendung vom 07. Oktober 2021

Solche Konzepte gibt es in der Mediziner*innenausbildung schon vergleichsweise lang und neben ihrer hohen Bedeutung für die Ausbildung, werden sie auch immer mehr als Prüfungsformat verwendet: so genannten Objective Structured Clinical Examinations (OSCE) (Harden, 1988). Mittlerweile gibt es solche Simulationen für eine Vielzahl verschiedener medizinischer Anforderungsbereiche. Zunehmend werden solche Simulationen auch für die Erfassung der Fähigkeiten von medizinischen Ausbilder*innen entwickelt, dann als Objective Structured Teaching Examinations (OSTE) (siehe z.B. Fakhouri & Nunes, 2019).

Simulationen für das Lehramt

Zentrales Ziel unserer Nachwuchsforschungsgruppe ist es, derartige Verfahren auch für die Lehramtsausbildung zu entwickeln und zu erproben (vgl. Vogelsang et al., 2019). Kommunikation und Interaktion sind Bestandteil der meisten (nicht alle) Anforderungen bzw. Aufgaben im Lehrer*innenberuf. Dabei konzentrieren wir uns auf die Entwicklung von Simulationsprototypen für Lehramtsstudierende im Fach Englisch und für bildungswissenschaftliche Anforderungen. Zusätzlich werden bestehende Arbeiten für das Lehramt mit Fach Physik hin zu einem (hoffentlich) funktionierenden OSTE-Prototypen weitergeführt. Dies erfordert natürlich einiges an Entwicklungsarbeit und begleitende Forschung zur Validierung, aus der wir hier auch immer mal wieder berichten werden.

Insgesamt sehen wir in performanzorientierten Lehr- und Prüfungsverfahren ein großes Potential für die Weiterentwicklung der Lehramtsausbildung, Auch an anderen Stellen bietet die Medizinausbildung weitere Anregungen für das Lehramt. Das werden wir ebenfalls in zukünftigen Blogbeiträgen immer mal wieder thematisieren. An dieser Stelle bleibt allerdings nur noch, eine absolute Hörempfehlung für den Beitrag auszusprechen.

Literatur:

  • Fakhouri, S. A., & Nunes, M. D. P. T. (2019). Objective structured teaching examination (OSTE): an underused tool developed to assess clinical teaching skills. A narrative review of the literature. Sao Paulo Medical Journal137, 193-200. (Online)
  • Harden, M. (1988) What is an OSCE?, Medical Teacher, 10:1, 19-22, (Online)
  • Vogelsang, C., Borowski, A., Kulgemeyer, C., Riese, J., Reinhold, P., Schecker, H., Buschhüter, D., Enkrott, P., Kempin, M. & Schröder (2019). Performance-Oriented  Testing  and  Training  in  Teacher  Education.  In C. Lautenbach, J. Fischer, O. Zlatkin-Troitschanskaia, H.A. Pant, & M. Toepper (Hrsg.), Student Learning Outcomes Assessment in Higher Education – Perspectives, Concepts and Approaches for Research, Transfer and Implementation (KoKoHs Working Papers, 12) (S. 40-43). Berlin & Mainz: Humboldt Universität & Johannes Guttenberg Universität. (Online)