Archiv für den Monat: Mai 2022

Simulationen in anderen Ausbildungskontexten: Pilot*innen

Copy that!

In diesem Blogbeitrag (evtl. einer kleinen Reihe) wollen wir schauen, wie in einem anderen Beruf bzw. einer anderen Professionen performanzorienterte Lehr- und Prüfungssituationen in Ausbildungen eingesetzt und erforscht werden. Wir haben schon öfter in Vorträgen oder Blogbeiträgen die Medizin als Beispiel für ihre rollenspielbasierten Prüfungen herangezogen und auch schon Blogbeiträge dazu verfasst (z.B. hier). Starten möchten wir mit einem Berufszweig der auch von Mediziner*innen gerne als Vorbild genommen wird (z.B. Münzberg et al., 2019): Pilot*innen. Ein zentrales Werkzeug von Lehren und Prüfen sind hier Flugsimulatoren!

(c) Pixabay

Infos zur Pilot*innenausbildung

Die Pilot*innenausbildung kann nach Informationen der Vereinigung Cockpit (Vereinigung Cockpit e.V., 2022) auf verschiedenen Wegen ablaufen, aber ist eigentlich immer mit finanziellen Eigenanteilen verbunden – man muss also entweder die Ausbildung vollständig direkt selbst bezahlen, oder durch Gehaltskürzungen an eine Fluggesellschaft im Rahmen seiner Tätigkeit zurückzahlen – die Kosten liegen im Durchschnitt mindestens zwischen 70.000 von 100.000€. Die schulische Ausbildung umfasst 750 Stunden Unterricht mit Fokus auf theoretische Grundlagen und ca. 240 Flugstunden, wobei hier auch manche Ausbildungsmodelle verstärkt auf Simulatoren zurückgreifen (Vereinigung Cockpit e.V., 2022). Doch auch nach Berufseintritt spielen Simulationen eine wichtige Rolle, da Pilot*innen mehrmals im Jahr an Simulationen teilnehmen, um bestimmte Situationen zu üben (von Kopp, 2015).

Eine kurze Geschichte der Flugsimulation

Die Notwendigkeit der Entwicklung von Flugsimulatoren liegt darin begründet, dass das Auftreten von Fehlern während der Tätigkeit als Pilot*in schwerwiegende und unmittelbare Folgen für Leib und Leben der Flugzeuginsassen haben kann (Myers et al., 2018). Die ersten computerbasierten Simulatoren scheinen wohl auf das Jahr 1929 und Edwin Link zurückzugehen, jedoch erst nach Ende des zweiten Weltkriegs und den damit einhergehenden technischen Innovationen etablierten sie sich auch in der kommerziellen Luftfahrt (Page, 2000). Solche Simulatoren basierten auf realen Flugzeugen, die mit Hilfe von anderem technischen Gerät bewegt wurden oder durch Manipulation der Instrumente verschiedene Situationen nachstellten. Die Reliabilität und fidelity (=Realitätsnähe) dieser analogen Simulatoren schwankte aber aufgrund des hohen Wartungsaufwands stark, was den Weg für digitale Simulatoren ebnete. Durch weitere Neuerungen durch Bewegungs- und visuelle Systeme wurden die Simulationen immer ausgefeilter (Page, 2000), wodurch man heute sogar von virtual reality sprechen könnte.

Fidelity  vs. authenticity

Ein sehr interessanter Gesichtspunkt unter dem Flugsimulatoren erforscht werden, ist eben schon angeklungen – fidelity. Im Deutschen beschreibt der Begriff die Replikation der Realität einer Situation. Myers et al. (2018) nennen drei Elemente von fidelity:

  • Physical fidelity – Die physische Replikation der Realität, z.B. Bewegung und Geräusche beim Fliegen, aber auch die Geräte, Knöpfe, Lampen etc. im Cockpit.
  • Cognitive fidelity – Werden die gleichen kognitiven Fähigkeiten in der Simulation verlangt wie unter realen Bedingungen?
  • Functional fidelity – Inwieweit verhält sich die Simulation wie reales Equipment?

Dagegen ist authenticity nicht zwingend die objektive realitätsnahe Replikation, sondern beschreibt den Effekt, den diese auf die individuelle Wahrnehmung einer Situation der einzelnen Personen hat (Bland et al., 2014).

Es gibt interessante Ergebnisse über den Effekt von high-fidelity Simulationen, da oftmals davon ausgegangen wird, dass fidelity ausschlaggebend für den Lernerfolg ist (Myers et al. 2018). Schaut man sich aber mal ein Beispiel von lower-fidelity Simulationen an, z.B. von Dahlstrom et al. (2009), so werden auch diese von den Teilnehmenden als durchaus positiv bewertet. In der dortigen Studie sollten die Teilnehmenden auf einer Schiffsbrücke – dargestellt von nur durch Laptop, Drucker und Schreibtisch -verschiedene Situationen kommunikativ bewältigen. Gerade der Fokus darauf und das Außerachtlassen der realitätstreuen Ausstattung ist von den Teilnehmenden als positiv aufgenommen worden, da sie so weniger Ablenkung erführen würden und Dinge trainierten, denen sie sonst nicht begegnen würden (Dahlstrom et al., 2009).

Konsequenzen für uns?

Was können wir nun aus diesem kleinen AusFLUG mitnehmen? Die Unterscheidung von authenticity und fidelity ist sicher etwas, was auch in unseren rollenspielbasierten Simulationen wichtig sein wird, da wir die Prüfungen auch im Sinne einer approximation of practice (Grossman et al., 2009) gestalten und nicht die volle Komplexität des Klassenraums replizieren wollen. Außerdem bleibt natürlich der Gedanke, dass es schon fast seit 100 Jahren Simulationen für Pilot*innen gibt – aber wir in der Lehramtsausbildung, was diesbezügliche Lern- aber auch Prüfungsformate betrifft, noch recht weit am Anfang stehen.

Literatur:

  • Bland, A. J., Topping, A., & Tobbell, J. (2014). Time to unravel the conceptual confusion of authenticity and fidelity and their contribution to learning within simulation-based nurse education. A discussion paper. Nurse education today, 34(7), 1112–1118. (Online)
  • Dahlstrom, N., Dekker, S., van Winsen, R., & Nyce, J. (2009). Fidelity and validity of simulator training. Theoretical Issues in Ergonomics Science, 10(4), 305–314. (Online)
  • Grossman, P., Compton, C., Igra, D., Ronfeldt, M., Shahan, E., & Williamson, P. W. (2009). Teaching Practie: A Cross-Professional Perspective. Teachers College Record, 111(9), 2055–2100. (Online)
  • Münzberg, M., Grützner, A., Seifert, J., & Ekkernkamp, A. (2019). Weiterbildung 3.0: Der „Flugsimulator“ für Chirurgen. kma – Klinik Management aktuell, 24(01/02), 84–87. (Online)
  • Myers, P., Starr, A., & Mullins, K. (2018). Flight Simulator Fidelity, Training Transfer, and the Role of Instructors in Optimizing Learning. International Journal of Aviation, Aeronautics, and Aerospace. 5(1) (Online)
  • Page, R. (2000). Brief history of flight simulation. SimTecT 2000 proceedings, 11-17.
  • Vereinigung Cockpit e.V. (Hrsg.) (2022). Der Weg ins Cockpit. Vereinigung Cockpit e.V. (Online)
  • von Kopp, D. (Hrsg.). (2015). Warum Piloten glückliche(re) Menschen sind. Springer. (Online)

PERFORM-LA Kooperationstreffen am 03. Mai 2022

Heute stand ein besonderes Meeting für unsere Nachwuchsforschungsgruppe auf dem Programm – das erste Treffen, in dem wir zeitgleich mit allen unseren Kooperationspartnern aus Aachen, Bergen, Bremen und Paderborn zusammengekommen sind. Im Rahmen einer virtuellen Austauschrunde haben wir die Chance bekommen, den aktuellen Arbeitsstand unseres Projekts vorzustellen und Feedback, Anregungen und Tipps von unseren Kooperationspartnern einzuholen. Drei Stunden vergingen wie im Flug!  

Nach einer kurzen Kennenlernrunde haben wir das Treffen mit einem Überblick über die Ziele und die einzelnen Arbeitspakete des Projekts begonnen. Anschließend gab es von Thomas und Philipp einen Einblick in den aktuellen Stand der beiden Teilprojekte „Entwicklung eines Performanztests für das Lehramtsstudium im Fach Englisch: Feedback im Kompetenzbereich Schreiben“ sowie „Entwicklung eines Performanztests für das bildungswissenschaftliche Lehramtsstudium: Erfassung von Beratungskompetenz“. Hinsichtlich der Kategorienentwicklung gab es hierzu hilfreiche Anregungen von Christoph Kulgemeyer und Josef Riese, die auf ihre umfangreichen Vorerfahrungen zur Entwicklung von Performanztests im Projekt ProfileP+ zurückgreifen konnten. Spannende und wichtige Nachfragen kamen auch von Bardo Herzig, der ebenfalls Erfahrungen bei der Entwicklung von Testformaten, insbesondere aber auch bzgl. der Ausbildung angehender Lehrkräfte eingebracht hat. Wertvolle methodische Hinweise haben wir außerdem von Robert Kordts sowie, für das Fach Englisch, von Dominik Rumlich erhalten.

Die Expertise sowie die Interdisziplinarität unserer Kooperationspartner machen eine konstruktive Weiterentwicklung des Projekts möglich und vor allem: facettenreich. Derartige Austauschtreffen helfen auch, dass wir keinen zu starren Blick auf Details einnehmen und erlauben die Perspektiverweiterung auf einer übergeordneten Ebene. Wir bedanken uns bei unseren Kooperationspartnern für ihre wertvolle Zeit, die konstruktive Kritik sowie die vielen wertvollen Anregungen für die Weiterarbeit im Projekt.

Wir freuen uns schon sehr auf die nächsten Kooperationstreffen 🙂