Archiv für den Monat: Januar 2022

Back to the roots! – Besuch im PhD-Kolloquium der WWU Englischdidaktik

Nicht allzu lange ist es her, da war ich noch Student und habe bei Prof. Frauke Matz meine Masterarbeit geschrieben – nun hatte sie mich eingeladen meine eigene Forschung in ihrem Kolloquium vorzustellen und zu diskutieren. Dieser Einladung bin ich natürlich gerne gefolgt!

Bildnachweis: © WWU Münster

Der digitale Vortrag umfasste die theoretischen Grundlagen unserer Performanztests, die auf dem Kontinuumsmodell professioneller Kompetenz von Blömeke, Gustafson & Shavelson (2015) beruhen, wonach Performanz die sichtbare Ausprägung der Kompetenz darstellt. Danach habe ich die bisherigen Planungen zum Testdesign präsentiert, also die Bewertungskriterien, das Konzept und die Steuerung der Simulation und das Material, welches als Grundlage für das Feedbackgespräch dient. Es wurden auch erste Einblicke in meine aktuelle Forschungsarbeit, in der die Authentizität eben dieses Materials untersucht wird, gegeben.

Die Diskussion im Anschluss war geprägt von einer distinkt fachdidaktischen Perspektive auf das Projekt. Ein Diskussionspunkt war die Sprache in der die Simulation stattfinden soll: Deutsch oder Englisch? Hier gibt es für beide Seiten sehr gute Argumente, so ist die Lehrkraft einerseits ein sprachliches Vorbild und sollte in der Lage sein, sich sprachlich auf das Niveau der Lernenden einzulassen. Außerdem gilt im Englischunterricht auch der Grundsatz der funktionalen Einsprachigkeit – so viel Englisch wie möglich, so wenig Deutsch wie nötig (MSB NRW, 2019). Andererseits könnte eine Simulation in der Fremdsprache auf der Seite der zu Testenden dazu führen, dass ihre fremdsprachlichen Fähigkeiten sie daran hindern, ihre Feedbackkompetenzen zu zeigen, was die Validität des Tests schmälern könnte. Wie sich dieses Dilemma auflösen lässt, wird sich hoffentlich nach der Pilotierung und weiteren Überlegungen zeigen.

Ich möchte mich ganz herzlich beim gesamten Münsteraner Team für das reichhaltige food for thought und die neuen Impulse bedanken. Insbesondere bedanke ich mich natürlich bei Prof. Frauke Matz für die Einladung 🙂

Literatur:

  • Blömeke, S., Gustafsson, J.-E. & Shavelson, R. J. (2015). Beyond Dichotomies: Competence Viewed as a Continuum. Zeitschrift für Psychologie, 223(1), 3–13. (Online)
  • Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen. (2019). Kernlehrplan für die Sekundarstufe I Gymnasium in Nordrhein-Westfalen. Englisch. (Online)

In der Schule gut beraten?

Strukturelle Eigenschaften und Herausforderungen schulischer Beratungsarbeit

In unserem ersten Blog-Beitrag berichteten wir bereits darüber, was aus empirischer Perspektive eigentlich in Elternsprechtagsgesprächen passiert. Ein Grund dafür lag darin, dass sich nur wenige Untersuchungen identifizieren lassen, die das, was sich unmittelbar in einem Elternsprechtagsgespräch ereignet, in den Fokus nehmen. Dagegen sind Elternsprechtage als institutionelle und strukturelle Beratungsereignisse umfassend untersucht, was somit wesentliche Anhaltspunkte für die systematischen Auseinandersetzung mit Beratungskompetenz liefert.

Für die Entwicklung eines Performanztests, mit dem Beratungskompetenz (in simulierten, schulischen Beratungsgesprächen) standardisiert erfasst werden soll, ist es entscheidend, diese strukturellen Charakteristika zu verstehen. Dies wird vor allem dann ersichtlich, wenn Beratungskompetenz als ein Kontinuum (Blömeke et al., 2015) verstanden wird und sich somit als ein Zusammenspiel aus Dispositionen, situationsbezogenen Fähigkeiten und gezeigtem Verhalten äußert. In diesem Verständnis sind die strukturellen Charakteristika und situativen Rahmenbedingungen ausschlaggebend dafür, wie eine Kompetenz überhaupt zum Ausdruck gebracht werden kann.

Grundsätzlich stellt die Beratung im Schulkontext eine besondere Form der Beratung dar. Ihr Fundament bildet oftmals die professionelle Beratung, deren theoretische und empirische Grundlagen vor allem im Bereich der Psychologie verankert sind. Viele Konzepte schulischer Beratung sind somit für die Schulpraxis angepasst und domänenspezifisch adaptiert. Die strukturellen Charakteristika und situativen Rahmenbedingungen der Beratung im Schulkontext werden somit im direkten Vergleich zur professionellen Beratung besonders sichtbar:

Nach Schnebel (2007, S. 23—24) lassen sich mehrere Kennzeichen professioneller Beratung zusammenfassen, die sich in die Bereiche der Grundvoraussetzungen, der Professionalität sowie der Prozessualität und Kooperation unterteilen lassen können.

Als Grundvoraussetzung für den professionellen Beratungsprozess sind die Freiwilligkeit und Eigenverantwortlichkeit zu benennen, die seitens der ratsuchenden Person vorhanden sein müssen und zugleich von den Berater*innen im Zuge der professionellen Tätigkeit zum Ausdruck zu bringen sind. Dies äußert sich zugleich in der Symmetrie in der Beziehung zwischen Berater*innen und der ratsuchenden Personen, die in der Kommunikation hergestellt und aufrechterhalten werden muss.

Die Professionalität der Berater*innen wird insbesondere durch Wissen und Kompetenzen gekennzeichnet, die bezüglich des fachspezifischen Handlungs- und Beratungsfelds bestehen und methodisch geleitetes Vorgehen in der Beratung ermöglichen. Ebenso ist wesentlich, dass die Berater*innen über ein klares Aufgabenprofil verfügen und die Beratungstätigkeit als Teil beziehungsweise Schwerpunkt ihrer beruflichen Tätigkeit ausüben.

In Bezug auf die Prozessualität und die Kooperation ist vor allem der Prozesscharakter einer Beratung anzuführen, mit dem die Initiation und Realisierung eines aktiven Lernprozesses seitens der Berater*innen erfolgen soll. Damit ist auch vorgesehen, dass eine Hilfe zur Selbsthilfe ermöglicht wird, mit der die Eigenbemühungen der ratsuchenden Person unterstützt werden. Der Fokus auf die ratsuchende Person umfasst dabei auch, dass diese ein vorhandenes oder herauszustellendes Problem bewusst wahrnimmt und sich jeder Veränderungs- und Lösungsprozess an den Kompetenzen dieser Person orientiert. Für die Beratungstätigkeit ist deshalb wichtig, eine klare und transparente zeitliche, räumliche und methodische Struktur herzustellen und aufrechtzuerhalten, mit der ein beiderseitiges Verständnis über die Kommunikation an sich erzeugt werden kann.

Bezieht man diese Charakteristika auf den Kontext der schulischen Beratung, so zeichnen sich nach Schnebel (2007, S. 26) und Gartmeier (2018, S. 78—79) einige Unterschiede ab:

So ist in Bezug auf die Grundvoraussetzungen die Freiwilligkeit nur teilweise gegeben. Schüler*innen und Eltern werden häufig einseitig zum Gespräch gebeten beziehungsweise einbestellt und die Rolle als ratsuchende Person muss erst gemeinsam, durch die Auflösung der Einseitigkeit, hergestellt werden. In ähnlicher Weise zeigt sich dies auch in der Symmetrie der Beratungsbeziehung und -kommunikation, da hierbei eindeutige oder verdeckte Hierarchien oftmals eine Rolle spielen. Durch den Umstand, dass Beratung im Schulkontext angeordnet werden kann, können Ratschläge als Anordnungen verstanden werden, deren Nichtbefolgung mit Sanktionen assoziiert werden. Die daraus entstehenden Abhängigkeiten beeinflussen und erschweren die Herstellung eines partnerschaftlichen, symmetrischen Settings im Beratungsprozess.

Die Professionalität der Berater*innen bildet einen weiteren Aspekt, mit dem Unterschiede gegenüber der professionellen Beratung zum Ausdruck kommen. Da Lehrkräfte in der Regel nur bedingt in der Gestaltung von Beratungssituationen geschult sind, beziehungsweise durch Zusatzausbildungen zu Beratungslehrkräften ausgebildet werden, sind die meisten Lehrkräfte semi-professionelle Berater*innen. Dabei üben sie Beratung lediglich als einen Teil ihrer beruflichen Tätigkeit aus, da sie in ihrer Arbeit zwar professionsbezogene Gespräche führen, in diesen eine Beratung aber nicht unbedingt zum Gegenstand werden muss. In Bezug auf die Inhalte solcher Beratungen (Lernberatung, Schullaufbahn etc.) sind Lehrkräfte wiederum geschult und können entsprechendes Wissen, nicht aber unbedingt Kompetenzen, bezüglich des fachspezifischen Handlungs- und Beratungsfelds vorweisen. Entlang dieser Inhalte und Themen zeichnet sich zudem ab, dass die Lehrkräfte und die zu besprechenden Anliegen häufig Teil des Schulsystems sind. Dies hat zum Vorteil, dass die Lehrkräfte den Kontext und das Problem gut kennen und einordnen können, während die Kommunikation über das Problem leicht möglich wird. Andererseits gestaltet es sich herausfordernd, eigene Erfahrungen und Einstellungen zu abstrahieren, sodass eine Beratung so distanziert von der eigenen Person und der Thematik durchgeführt werden kann, wie es in der professionellen Beratung der Fall ist. Darüber hinaus wird der Rahmen, über den beraten werden kann, und die Kompetenzen in entsprechenden Handlungs- und Beratungsfeldern durch Themen begrenzt, die im pathologischen beziehungsweise therapeutischen Bereich zu verorten sind. Diese sind stets in Kooperation mit oder in Verantwortung von spezialisierten Berufsgruppen zu bearbeiten.

Auch in Bezug auf die Prozessualität und Kooperation werden einige Unterschiede gegenüber der professionellen Beratung deutlich. Für die Ermöglichung der Hilfe zur Selbsthilfe ist es entscheidend, dass die ratsuchende Person eigenverantwortlich einen Veränderungsprozess realisiert. In der Beratung im Schulkontext sind Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten allerdings in vielen Fällen nicht von vornherein klar. Wenn beispielsweise die Verantwortung für die Lösung eines Problems durch die Schulleitung im Sinne der Schulgemeinschaft an eine Lehrkraft übertragen wird und beim Misslingen der Problemlösung Sanktionsmaßnahmen erfolgen müssen, dann ist die beratende Lehrkraft oftmals auch die Person, die die Sanktionen verhängt. Eine solche Verflechtung von Verantwortlichkeiten kann Beratungssituationen erheblich beeinträchtigen. Unabhängig davon, ob eine Lehrkraft sich über ihre Ziele in der Beratung im Klaren ist, können die Zielsetzungen aller Beteiligten zudem divergieren. Während Schüler*innen somit zum Beispiel möglichst wenig negative Konsequenzen aus einem Gespräch ziehen möchten, könnten Eltern eher ihre Sorgen oder ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen wollen, als sich lösungsorientiert an dem Gespräch zu beteiligen. Die Klärung ebensolcher Erwartungen und Ziele bildet einen wesentlichen Bestandteil für das Gelingen einer Beratung. Intransparente oder verflochtene Verantwortlichkeiten und divergierende Zielsetzungen können sich auch in Rollenkonflikten der Lehrkräfte äußern. Dies kann etwa dazu führen, dass eine Lehrkraft als voreingenommene Expert*in eher belehrend, informierend und geschlossen kommuniziert und dem Charakter eines offenen Beratungsgesprächs, durch die Nichteinbindung der Kompetenzen und Ideen der zu beratenden Person, nicht gerecht werden kann. Ferner kann diese Offenheit auch erheblich durch den zeitlichen Rahmen beeinflusst werden, da dieser in der Beratung im Schulkontext meist stark beschränkt ist. Beratungen finden im Schulkontext in der Regel während oder nach dem Unterricht, in den Pausen oder an Elternsprechtagen und Elternabenden statt. Die Analyse und gemeinsame Lösung von bestehenden Problemen können somit nur eingeschränkt erfolgen.

Wie Schnebel anmerkt, verdeutlichen diese Charakteristika, „dass Beratung in der Schule stark in die institutionellen Bedingungen dieser Bildungseinrichtung eingebettet ist“ (2007, S. 29). Zudem gerieten Lehrkräfte, die häufig beraten, obwohl dies nicht ihre primäre Aufgabe ist, immer wieder in Konflikte hinsichtlich ihrer Rollen und ihres Professionsverständnisses (Schnebel, 2007, S. 29). Schnebel schließt daraus für die Lehrkräfte: „Sie können (und wollen teilweise) institutionelle Vorgaben nicht überwinden, kollidieren dann aber mit den beraterischen Elementen ihrer Tätigkeit“ (2007, S. 29).

Aus den dargestellten Unterschieden erwächst die Frage danach, inwiefern die Beratungsarbeit im Schulkontext überhaupt als professionelle Beratung zu betrachten ist. Denn schon allein mit Hinblick auf die beschriebenen Grundvoraussetzungen zeigt sich, dass die Freiwilligkeit und Symmetrie in der Kommunikation entgegen den institutionellen Bedingungen erstmal hergestellt werden muss. Es ist natürlich erwartbar, dass die Herstellung und Aufrechterhaltung bestimmter Voraussetzung auch ein wesentlicher Bestandteil professioneller Beratung ohne institutionelle Einbettung ausmachen und nicht zwangsläufig vorausgesetzt werden können. Dennoch erscheinen die schulischen Rahmenbedingungen so ausgeprägt, dass sie in diesem Sinne eine stetige Überwindung potenzieller Herausforderungen notwendig machen, um überhaupt in die Perspektive professioneller Beratung zu rücken. Vielleicht beschreibt aber schon der Versuch dieser Überwindung den Kern und den Mehrwert, den ein Vergleich zwischen schulischer und professioneller Beratung ausmachen. Hierbei steht ein Prozess im Fokus, mit dem die Erfassung, Analyse und Weiterentwicklung der Beratung im Schulkontext angestrebt werden können und sichtbar wird, wie diese Überwindung, beziehungsweise mit welchen Kompetenzen, sie zu realisieren ist. Die theoretisch und empirisch elaborierte Elemente der professionellen Beratung können dahingehend hilfreiche Hinweise für eine systematische Fundierung darstellen, ohne dabei die speziellen Charakteristika und Rahmenbedingungen der schulischen Beratung zu vernachlässigen. Dass dies auf diese Weise umsetzbar ist und für die weitere Entwicklung eines Performanztests zur Erfassung von Beratungskompetenz nutzbar gemacht werden kann, verdeutlicht die Forschung in diesem Bereich. So zeigen die Studien von Hertel (2009), Bruder (2011) und Gerich (2016) und die Untersuchungen zum Gmünder (Aich et al., 2017; Aich & Behr, 2019) und Münchener (Gartmeier, 2018) Modell der Gesprächsführung, dass die Unterschiede zwischen schulischer und professioneller Beratung im Lichte ihrer Gemeinsamkeiten systematisch betrachtet und bearbeitet werden können.

Literatur:

  • Aich, G. & Behr, M. (2019). Gesprächsführung mit Eltern (2. Aufl.). Beltz.
  • Aich, G., Kuboth, C., & Behr, M. (2017). Gmünder Modell zur Gesprächsführung (GMG) mit Eltern – Grundlagen, Aufbau und praktische Anwendungsmöglichkeiten. In G. Aich, G., Kuboth, C., & Behr, M. (Hrsg.), Kooperation und Kommunikation mit Eltern (S. 112-125). Beltz-Juventa.
  • Blömeke, S., Gustafsson, J.-E., & Shavelson, R. J. (2015). Beyond Dichotomies Competence Viewed as a Continuum. Zeitschrift für Psychologie, 223, 3-13.
  • Bruder, S. (2011). Lernberatung in der Schule. Ein zentraler Bereich professionellen                Lehrerhandelns. Technische Universität, Darmstadt.
  • Gartmeier, M. (2018). Gespräche zwischen Lehrpersonen und Eltern: Herausforderungen und Strategien der Förderung kommunikativer Kompetenz. Springer Fachmedien.
  • Gerich, M. (2016). Teachers‘ Counseling Competence in Parent-Teacher Talks: Modeling, Intervention, Behavior-Based Assessment. Springer.
  • Hertel, S. (2009). Beratungskompetenz von Lehrern – Kompetenzdiagnostik, Kompetenzförderung, Kompetenzmodellierung. Waxmann.
  • Schnebel, S. (2007). Professionell beraten. Beratungskompetenz in der Schule. Beltz.