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Die Beratungspraxis, meine Vorstellungen und ich.

Ein Gastbeitrag unseres Praktikanten am PLAZ

Beratung bildet ein zentrales Thema in unserem Blog, das wir bereits empirisch und theoretisch beleuchtet haben. An dieser Stelle freuen wir uns, eine weitere Betrachtungsperspektive eröffnen zu können, die durch unseren Praktikanten am PLAZ in seinem Erlebnisbericht aus der Beratungspraxis dargestellt wird: 

Mein Name ist Marcel Böse und ich studiere im fünften Fachsemester Erziehungswissenschaft und Englische Sprachwissenschaft im Zwei-Fach Bachelor an der Universität Paderborn. Seit dem 14. Februar 2022 bin ich Praktikant am Zentrum für Bildungsforschung und Lehrerbildung – PLAZ-Professional School und habe währenddessen Einblicke in die unterschiedlichen Arbeitsbereiche innerhalb des PLAZ bekommen.

Ein essenzieller Part und einer der Hauptgründe, weswegen ich mich um eine Praktikumsstelle am PLAZ beworben hatte, war der Arbeitsbereich Beratung. Dieser schien mir immer altruistisch und die Tatsache, der Wegweiser für Personen zu werden, welche einen übersichtlicheren Blick benötigen, hatte mich bisher konstant fasziniert – und glücklicherweise ist diesem Wunsch nachgegangen worden. Somit schreibe ich nun gerne über meine Erkenntnisse über den Arbeitsbereich Beratung und Informationsmanagement des PLAZ, indem ich meine eingänglichen Prognosen schildere, meinen Beisitz in Beratungen kommentiere und letzten Endes meine Erkenntnisse reflektiere.

Eingangs bin ich mit einem Verständnis an Beratung herangetreten, dass Berater*innen die Personen sind, die über das Know-how verfügen, welches angefragt wird. Somit würde im Bereich des PLAZ vorausgesetzt sein, dass man sich mit dem Lehramtsstudium detailreich auseinandergesetzt hat und etwaige Fragen im Handumdrehen beantworten kann. Außerdem war ich der Überzeugung, dass eine intensive Vorbereitung notwendig ist, um die ratsuchende Person angemessen und fachgerecht über die aktuelle Sachlage und potenzielle Optionen zu informieren, damit die Beratung einwandfrei ablaufen kann, sodass nach der Beratung sämtliche Blockaden behoben sind und das angeführte Problem gelöst werden kann. Natürlich war ich mir auch bewusst, dass es Härtefälle geben wird, die nicht einen so einfachen Verlauf gewährleisten können. Allerdings hatte ich mir darüber eher weniger Gedanken gemacht und im Stil der „ersten kleinen Schritte“ einen Plan entwickelt, mit dem sich die nächsten möglichen Schritte aus der Situation heraus ergeben und schwierige Fälle Stück für Stück bearbeitet werden können.

Während der Beratungssitzungen habe ich meinen theoretischen Beratungslaufplan teilweise realisieren können: Fragen wurden mithilfe der notwendigen Informationen beantwortet und durch eine breite Palette an Lösungsvorschläge betrachtet, welche in Anspruch genommen werden konnten, um die aktuellen Herausforderungen der Sitzung zu lösen. Dadurch ist mir aufgefallen, dass Ratsuchende teilweise lediglich Lösungsansätze benötigen, aus welchen sie frei wählen können, um ihre nächsten Schritte zu planen. Dieses Vorgehen könnte mit der Analogie eines Kellners bzw. einer Kellnerin verglichen werden, da das Tablett mit den Speisen in der Beratung das Tablett mit den potenziellen Lösungen darstellen kann. Dabei werden Möglichkeiten für das weitere Vorgehen geliefert, die beraterische Präferenz vorerst vernachlässigt und erst bei explizitem Fragen oder entsprechenden Situationen eigene Meinungen geteilt. Andererseits besteht nicht immer der Bedarf nach einer Vielzahl an Lösungen, sondern es wird lediglich ein „Stoß in die richtige Richtung“ gesucht. Bei solchen Fällen habe ich bemerkt, dass die eigene Meinung (bestenfalls aufgrund eigener Expertise) mit den weiteren Schritten geteilt werden kann und sollte, um Praxisnähe in das scheinbar abstrakte Problem zu bringen. Dieser vorgeschlagene Plan kann dafür sorgen, dass sich der „Nebel“ der ratsuchenden Person lichtet und dadurch selbst die Richtung des Beraters oder der Beraterin verfolgt werden kann – oder sich durch diesen Denkanstoß ein eigenes Bild ergibt, welches die nächsten Möglichkeiten aufzeigt.

Im Nachgang möchte ich anmerken, dass beide Arten von Beratung essenzieller Bestandteil in dem Themengebiet sind, da Beratungen nicht per se nach striktem Handlungsplan ablaufen können. Die Fälle sind aufgrund der Individualität der Menschen und Anliegen äußerst vielfältig. Deswegen sind, neben einer inhaltlichen Expertise, ein hohes Maß an Flexibilität und Menschenkenntnis notwendig, um eine Beratung für Ratsuchende möglichst nachhaltig und angenehm zu gestalten. Diese Anpassung inmitten der Beratungen ist mir in meinem anfänglichen theoretischen Beratungsszenario entgangen. Gerade diese Anpassungsfähigkeit hat mich umso mehr dazu motiviert, mehr über die Beratung und die angemessenen Handlungsoptionen zu lernen.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass ich innerhalb von sechs Wochen mit jeweils durchschnittlich einer Stunde pro Woche Beratung erleben durfte. Dies unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich dabei „nur“ um Informationsberatungen gehandelt hat, welche ein riesiges Repertoire an tiefergehenden Beratungswissen bereitstellen, konnte ich einen tiefen Einblick in die Matrix der Beratung tätigen – wobei ich lediglich die Oberfläche eines äußerst komplexen Themas touchiert habe.

Besuch auf der 9. GEBF-Tagung 2022 im digitalen Bamberg – Alles auf Anfang? _ Bildung im digitalen Wandel

Bildnachweis: © Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung | https://gebf2022.de/GEBF-Banner_de.svg

Mit dem Schwerpunkt auf das Thema Bildung im digitalen Wandel fanden unter dem Motto „Alles auf Anfang?“ am 08.03.2022 die GEBF-Nachwuchstagung und vom 09.-11.03.2022 die 9. GEBF-Tagung 2022 statt. Der Einladung und auch dem Call for Papers der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung sind wir vom PERFORM-LA Projekt freudig gefolgt und möchten euch an dieser Stelle unsere Eindrücke zusammenfassen:

Ein besonderer Höhepunkt zeichnete sich für Philipp bereits zu Beginn der Veranstaltungswoche, im Rahmen der GEBF-Nachwuchsforschungstagung, ab. Denn hier bekam er (wie Thomas) die Möglichkeit, sein Dissertationsprojekt rund um die Entwicklung eines Performanztests für das bildungswissenschaftliche Lehramtsstudium (zur Erfassung von Beratungskompetenz) zu präsentieren und zu diskutieren. Dass sich Beratung als Thema auch auf der Haupttagung in guter Gesellschaft (für Empirische Bildungsforschung) befand, wurde in den Symposien „Lehrpersonen als Berater*innen im schulischen Kontext“ und „Eltern: Kooperation und Kommunikation“ deutlich. Beispielhaft hervorheben ließen sich hier die Vorträge zu „Facetten der Beratungskompetenz von Grundschullehrkräften für die Beratung bei hoher Begabung“ von Prof. Stefanie Schnebel (vorgetragen von Sonja Seiderer) und der Beitrag von Prof. Heike M. Buhl zu der „Beobachtungsstudie: Zusammenhänge zwischen Merkmalen des Eltern-Lehrkräfte-Gesprächs am Elternsprechtag und der elterlichen Motivation für Schulengagement“, der auf die Dissertation von Dr. Christian Greiner zurückgeht. Beide Vorträge verdeutlichten insbesondere die empirische Rolle der Beratung und beratungsbezogener Gesprächsführung im Schulkontext und zeigten Möglichkeiten zur Operationalisierung von Beratungshandeln auf, die als wertvolle Hinweise in Philipps Dissertationsprojekt einbezogen werden.

Auch aus Thomas‘ Sicht gab es viele interessante Vorträge, z.B. im Bereich Feedback. Im Vortrag von Prof. Dr. Miriam Hess wurde aus dem ProFee Projekt über die „Effekte der Beobachtungsmethode bei Videoanalysen auf Wissen, professionelle Wahrnehmung sowie Handlungs- und Reflexionskompetenz von Studierenden im Bereich Feedback“ berichtet. Interessanterweise wurden hier zur Auswertung u. a. auch Videoaufnahmen von Studierenden beim Feedback geben genutzt, eine Situation wie sie auch ähnlich in unseren rollenspiel-basierten Simulationen auftaucht. Auch im Vortrag von Anna Holstein wurden Videoaufnahmen eines Feedbackgesprächs für die Auswertung genutzt. Hier war die Forschungsfrage, inwieweit sich Feedbackhäufigkeit und Feedbackbezug (nach Hattie‘s Modell) von angehenden und berufserfahrenen Lehrkräften unterscheidet. Spannend waren hier – neben der Tatsache, dass hier ebenfalls Schauspieler*innen zur Standardisierung eingesetzt worden sind – die Ergebnisse, die darauf hindeuten, dass erfahrene Lehrkräfte tendenziell mehr und auch auf mehr Ebenen kombiniert Feedback geben. Doch nicht nur die Vorträge boten neuer Ergebnisse aus der Forschung, auch wurden in der Postersession u. a. von Julia Fecke und Michael Nickl verschiedene digitale Simulationsansätze in der Lehrer*innenausbildung präsentiert.

Ein Vortrag, der eine interessante Alternative zum „Goldstandard“ simulationsbasierter Gespräche mit standardisierten Patient*innen vorgestellt hat, war eines der Highlights von Jana und Christoph. Sabine Reiser von der Universität Erfurt hat einen Situational Judgement Test vorgestellt, den VA-MeCo, der die Messung von basaler Gesprächsführungskompetenz von Medizinstudierenden erfasst. Der videobasierte Test erfüllt psychometrische Gütekriterien ausgesprochen zufriedenstellend und wird zukünftig an verschiedenen medizinischen Fakultäten eingesetzt. Darüber hinaus werden Feedbackvarianten für die Studierenden entwickelt, um ein „assessment for learning“ zu schaffen – sehr beeindruckend! Wie immer können wir viel von den Ausbilder*innen aus dem Medizinstudium lernen 😉 Während sich dort die Entwicklung teilweise hin zu weniger aufwendigen Testverfahren vollzieht, versuchen wir gerade den umgekehrten Weg für die Lehramtsausbildung. Ein weiteres Highlight waren für Jana die Beiträge von Lukas Mientus und Anna Nowak, die sich mit der Erfassung der Reflexionskompetenz von Physik-Lehramtsstudierenden auseinandersetzten. Noch durch ihre eigene Dissertation zum Thema Reflexionskompetenz geprägt, hat sie in den beiden Vorträgen spannende Ansätze zu einer computerbasierten Analyse von schriftlichen Reflexionen entdeckt (was eine Erleichterung!) und war sehr beeindruckt von der umfassenden Modellierung der Reflexionstiefe.

Weitere Vorträge, die Simulationen des Lehrkräftehandelns als assessment-Methode genutzt haben, möchte auch Christoph hervorheben. Bspw. analysierte Dr. Patricia Goldberg die Wahrnehmung von Störungen im Unterricht von Lehrkräften und Studierenden in einem virtuellen Klassenzimmer, dass die Proband*innen mit Hilfe einer VR-Brille direkt aus der Ich-Perspektive wahrnehmen konnten. Insgesamt ergaben sich dabei die aus schon vielen Studien bekannten „holistischere“ Wahrnehmung und Reaktion von Expert*innen. Neben Vorträgen zu Methoden der Unterrichtsqualitätsforschung und dazu, wie angehende Lehrkräfte mit Evidenzen und (theoretischen) Quellen umgehen, waren aber insbesondere Erkenntnisse zur Frage relevant, wie professionelles Wissen von angehenden Lehrkräften und ihr Handeln in typischen Anforderungssituationen zusammenhängen (Performanz), mit der sich Christoph schon seit seiner Dissertation auseinandersetzt. Madeleine Müller berichtete bspw. Ergebnisse einer Untersuchung zur Prüfung des Kontinuumsmodells von Kompetenz, in der Zusammenhänge des klassenführungsbezogenen Professionswissens von Lehramtsstudierenden, ihrer situationsspezifischen Fähigkeiten (erfasst mittels offener Kommentierung eines Unterrichtsvideos, War das vielleicht auch Reflexion? ;)) und der von Schüler*innen im Praxissemester eingeschätzten Klassenführung untersucht wurde. Grob zusammengefasst, konnten aber keine erwarteten Zusammenhänge beobachtet werden. Christoph selbst wirkte am Projekt Profile-P+ mit, aus dessen Ergebnissen Melanie Jordans mit Hilfe von Cross-Lagged-Panel-Analysen berichtete, dass das fachdidaktische Wissen angehender Physiklehrkräfte zu Beginn eines Praxissemesters die Entwicklung von Unterrichtsplanungsfähigkeiten (erfasst mit Hilfe eines Performanztests) positiv beeinflusst. Ansonsten bot die Tagung viele Möglichkeiten neue Kolleg*innen kennenzulernen und sich zu vernetzen.

Wir bedanken und vielmals für die vielen Vorträge und Diskussionen, nehmen anregende Ideen für unsere eigene Forschung mit und freuen uns, wenn wir uns im kommenden Jahr zur 10. GEBF-Tagung an der Universität Duisburg-Essen wiedersehen.

Vorträge:

  • Buhl, H., Greiner, C., Bonanati, S., & Hilkenmeier, J. (2022). Beobachtungsstudie: Zusammenhänge zwischen Merkmalen des Eltern-Lehrkräfte-Gesprächs am Elternsprechtag und der elterlichen Motivation für Schulengagement. 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF) (online), 11.03.2021.
  • Fecke, J., Müller, L., & Braun, E. (2022). Simulationen in avatarbasierten Lernumgebungen zur Steigerung kommunikativer Kompetenzen bei angehenden Lehrkräften. Poster auf der 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF) (online), 10.03.2021.
  • Goldberg, P., Göllner, R., Hasenbein, L., Stark, P.; & Stürmer, K. (2022). Störungen im Unterricht als relevant erkennen: Ein Expertisevergleich im virtuellen Klassenzimmer. 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF) (online), 09.03.2021.
  • Hess, M. (2022). Effekte der Beobachtungsmethode bei Videoanalysen auf Wissen, professionelle Wahrnehmung sowie Handlungs- und Reflexionskompetenz von Studierenden im Bereich Feedback. 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF) (online), 10.03.2021.
  • Holstein, A., Weber, E.-K., Prilop, C.-N., & Kleinknecht, M. (2022). Analyse des Feedbacks von (angehenden) Lehrkräften mit Microteaching Videos. 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF) (online), 10.03.2021.
  • Jordans, M., Schröder, J., Vogelsang, C., & Riese, J. (2022). Der Nutzen des Professionswissens bei der Entwicklung der Unterrichtsplanungsfähigkeit von Lehramtsstudierenden im Fach Physik. 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF) (online), 11.03.2021.
  • Mientus, L., Wulff, P., Nowak, A., & Borowski, A. (2022). Computerbasierte Analyse schriftlicher Reflexionen. 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF) (online), 11.03.2021.
  • Müller, M., & Gold, B. (2022). Zusammenhänge zwischen professionellem Wissen, situationsspezifischen Fähigkeiten und Klassenführungsqualität von Lehramtsstudierenden. 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF) (online), 09.03.2021.
  • Nickl, M., Sommerhoff, D., Ufer, S., & Seidel, T. (2022). Motivationales Scaffolding in video-basierten Simulationen: Wirksamkeit einer Utility Value Intervention zur Förderung der Diagnosekompetenzen von Lehramtsstudierenden. Poster auf der 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF) (online), 10.03.2021.
  • Nowak, A., Wulff, P., Mientus, L., & Borowski, A. (2022). Erfassung der Reflexionstiefe in studentischen Selbstreflexionen. 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF) (online), 11.03.2021.
  • Reiser, S., Schacht, L., Thomm, E., Schick, K., Berberat, P., Gartmeier, M., & Bauer, J. (2022). Messung von basaler Gesprächsführungskompetenz bei Medizinstudierenden mittels eines online Situational Judgement Tests: Vorstellung des VA-MeCo und seiner psychometrischen Gütekriterien. 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF) (online), 10.03.2021.
  • Schnebel, S., Seiderer, S., & Grassinger, R. (2022). Facetten der Beratungskompetenz von Grundschullehrkräften für die Beratung bei hoher Begabung. 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF) (online), 09.03.2021.

Willkommen im Team!

Wir sind überaus glücklich bekannt geben zu können, dass wir seit dem 15.02 endlich vollständig sind und von Jana Meier als Post-Doc unterstützt werden!

Unser neues Mitglied Jana Meier.
Bildnachweis: © privat

Als wissenschaftliche Mitarbeiterin wird es Janas primäre Aufgabe sein, performanzorientierte Lehr- und Prüfungsverfahren für die Lehramtsausbildung im Fach Physik und den Bildungswissenschaften weiterzuentwickeln. Bestehende Performanztests zur Unterrichtsplanung, Reflexion und zum Erklären im Physikunterricht sollen durch Jana, als zusammenhängende Serie von Anforderungen i. S. eines OSTE (objective structured teaching examination/ objektiv strukturierte Lehrprüfungen)-Prototypen, kombiniert und umfassend validiert werden.


Erfahrungen für die Nachwuchsforschungsgruppe bringt Jana u. a. aus ihrem im Januar 2022 abgeschlossenen Promotionsverfahren mit, in dessen Rahmen sie sich mit der Reflexionskompetenz angehender Lehrkräfte auseinandergesetzt hat. Zu ihren weiteren Forschungsinteressen zählen außerdem qualitätsvolles Unterrichtshandeln und professionelles Wissen (angehender) Lehrkräfte, Berufswahlmotivation von Lehrkräften sowie Testmotivation. Wir freuen uns sehr darüber, nun vollständig zu sein und endlich richtig loslegen zu können!

Den Wald statt lauter Bäume sehen – Forschungssynthesen in der empirischen Bildungsforschung

Oft ist es sinnvoll, die Forschungslandschaft in ihrer Gesamtheit zu betrachten, statt einzelne Studien – also statt den Baum, den ganzen Wald zu betrachten.
Bildnachweis: © Pixabay

Jeden Tag werden wir ein bisschen schlauer, denn es erscheinen neue Studien zu den vielfältigsten Themen der Bildungsforschung. Gibt man bei Google Scholar die Begriffe „digitale Medien“ und „Schule“ ein, so werden allein für das Jahr 2021 über 2.000 Ergebnisse angezeigt! Da ist es nicht nur für Forschende oder Politiker*innen schwierig den Überblick zu behalten, die im Sinne einer evidenzbasierten Steuerung die Erkenntnisse der empirischen Bildungsforschung heranziehen, sondern besonders für Lehrkräfte, die diese Erkenntnisse in die Praxis umsetzen sollen. Oftmals würden diese sich gerne an Erkenntnissen der neuesten Forschung bedienen, haben aber weder die Zeit noch die Möglichkeiten sich mit verschiedenen Studien zu beschäftigen und die für sie daraus wichtigen Schlüsse zu ziehen. Um hier die vielen Einzelergebnisse gebündelt und eingeordnet betrachten zu können, sind Forschungssynthesen von großer Bedeutung, so wie sie zum Beispiel am Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) an der TU München bei der Arbeitsgruppe Forschungssynthesen am ZIB entstehen.

Was sind Forschungssynthesen und wie werden sie erstellt?

Es gibt im Grunde drei Arten von Forschungssynthesen: Metaanalysen, systematische Reviews und Second-Order Metanalysen/Reviews. Der Unterschied zwischen den Metaanalysen und den systematischen Reviews liegt darin, dass erstere statistische Methoden zu einer zusammenfassenden Synthese benutzen und so ein auch quantifizierendes Quasi-Ergebnis aller Studien erzeugen, während letztere die Ergebnisse beschreibend zusammenfassen. Second-Order Metanalysen/Reviews sind so etwas wie Meta-Metaanalysen (à la Inception). Sie fassen entsprechend des Typus die Ergebnisse mehrerer Synthesen zusammen. Laut Arbeitsgruppe Forschungssynthesen am ZIB, gibt es fünf Schritte für den Ablauf von Forschungssynthesen:

  1. Literaturrecherche
  2. Ein- und Ausschlusskodierung
  3. Feinkodierung
  4. Ergebnisgewinnung
  5. Transfer

Zurzeit werden von der Arbeitsgruppe viele für die Unterrichts- und Schulpraxis relevante Themen wie Digitale Medien, Lesekompetenz oder MINT untersucht und für Lehrkräfte sehr eingängig aufbereitet. Sogar zu Forschungssynthesen finden sich dort ein Erklärvideo:

Einflussgrößen und Effektstärken

Ein sehr bekanntes und auch hier im Blog schon zitiertes Beispiel für eine Second-Order Metaanalyse ist von John Hattie 2009 unter dem Titel Visible learning veröffentlicht worden. In dieser Synthese wurden um die 800 Meta-Analysen zusammengefasst und ein Ranking erstellt, in dem verschiedene Einflussgrößen und die Stärken ihrer Effekte auf das Lernen ersichtlich werden. Feedback, welches als zentrales Konzept in unserem Teilprojekt für das Fach Englisch eine wichtige Rolle spielt, hat hierbei mit d=0.73, eine im Vergleich sehr hohe Effektstärke auf das Lernen von Schüler*innen (Hattie, 2009). Es ist daher aus unserer Sicht umso wichtiger, dass Lehrkräfte auch in dieser einflussreichen Kompetenz handlungsnah ausgebildet und geprüft werden.

Literatur:

  • Hattie, J. (2009). Visible learning: A synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement. Routledge.

Back to the roots! – Besuch im PhD-Kolloquium der WWU Englischdidaktik

Nicht allzu lange ist es her, da war ich noch Student und habe bei Prof. Frauke Matz meine Masterarbeit geschrieben – nun hatte sie mich eingeladen meine eigene Forschung in ihrem Kolloquium vorzustellen und zu diskutieren. Dieser Einladung bin ich natürlich gerne gefolgt!

Bildnachweis: © WWU Münster

Der digitale Vortrag umfasste die theoretischen Grundlagen unserer Performanztests, die auf dem Kontinuumsmodell professioneller Kompetenz von Blömeke, Gustafson & Shavelson (2015) beruhen, wonach Performanz die sichtbare Ausprägung der Kompetenz darstellt. Danach habe ich die bisherigen Planungen zum Testdesign präsentiert, also die Bewertungskriterien, das Konzept und die Steuerung der Simulation und das Material, welches als Grundlage für das Feedbackgespräch dient. Es wurden auch erste Einblicke in meine aktuelle Forschungsarbeit, in der die Authentizität eben dieses Materials untersucht wird, gegeben.

Die Diskussion im Anschluss war geprägt von einer distinkt fachdidaktischen Perspektive auf das Projekt. Ein Diskussionspunkt war die Sprache in der die Simulation stattfinden soll: Deutsch oder Englisch? Hier gibt es für beide Seiten sehr gute Argumente, so ist die Lehrkraft einerseits ein sprachliches Vorbild und sollte in der Lage sein, sich sprachlich auf das Niveau der Lernenden einzulassen. Außerdem gilt im Englischunterricht auch der Grundsatz der funktionalen Einsprachigkeit – so viel Englisch wie möglich, so wenig Deutsch wie nötig (MSB NRW, 2019). Andererseits könnte eine Simulation in der Fremdsprache auf der Seite der zu Testenden dazu führen, dass ihre fremdsprachlichen Fähigkeiten sie daran hindern, ihre Feedbackkompetenzen zu zeigen, was die Validität des Tests schmälern könnte. Wie sich dieses Dilemma auflösen lässt, wird sich hoffentlich nach der Pilotierung und weiteren Überlegungen zeigen.

Ich möchte mich ganz herzlich beim gesamten Münsteraner Team für das reichhaltige food for thought und die neuen Impulse bedanken. Insbesondere bedanke ich mich natürlich bei Prof. Frauke Matz für die Einladung 🙂

Literatur:

  • Blömeke, S., Gustafsson, J.-E. & Shavelson, R. J. (2015). Beyond Dichotomies: Competence Viewed as a Continuum. Zeitschrift für Psychologie, 223(1), 3–13. (Online)
  • Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen. (2019). Kernlehrplan für die Sekundarstufe I Gymnasium in Nordrhein-Westfalen. Englisch. (Online)

In der Schule gut beraten?

Strukturelle Eigenschaften und Herausforderungen schulischer Beratungsarbeit

In unserem ersten Blog-Beitrag berichteten wir bereits darüber, was aus empirischer Perspektive eigentlich in Elternsprechtagsgesprächen passiert. Ein Grund dafür lag darin, dass sich nur wenige Untersuchungen identifizieren lassen, die das, was sich unmittelbar in einem Elternsprechtagsgespräch ereignet, in den Fokus nehmen. Dagegen sind Elternsprechtage als institutionelle und strukturelle Beratungsereignisse umfassend untersucht, was somit wesentliche Anhaltspunkte für die systematischen Auseinandersetzung mit Beratungskompetenz liefert.

Für die Entwicklung eines Performanztests, mit dem Beratungskompetenz (in simulierten, schulischen Beratungsgesprächen) standardisiert erfasst werden soll, ist es entscheidend, diese strukturellen Charakteristika zu verstehen. Dies wird vor allem dann ersichtlich, wenn Beratungskompetenz als ein Kontinuum (Blömeke et al., 2015) verstanden wird und sich somit als ein Zusammenspiel aus Dispositionen, situationsbezogenen Fähigkeiten und gezeigtem Verhalten äußert. In diesem Verständnis sind die strukturellen Charakteristika und situativen Rahmenbedingungen ausschlaggebend dafür, wie eine Kompetenz überhaupt zum Ausdruck gebracht werden kann.

Grundsätzlich stellt die Beratung im Schulkontext eine besondere Form der Beratung dar. Ihr Fundament bildet oftmals die professionelle Beratung, deren theoretische und empirische Grundlagen vor allem im Bereich der Psychologie verankert sind. Viele Konzepte schulischer Beratung sind somit für die Schulpraxis angepasst und domänenspezifisch adaptiert. Die strukturellen Charakteristika und situativen Rahmenbedingungen der Beratung im Schulkontext werden somit im direkten Vergleich zur professionellen Beratung besonders sichtbar:

Nach Schnebel (2007, S. 23—24) lassen sich mehrere Kennzeichen professioneller Beratung zusammenfassen, die sich in die Bereiche der Grundvoraussetzungen, der Professionalität sowie der Prozessualität und Kooperation unterteilen lassen können.

Als Grundvoraussetzung für den professionellen Beratungsprozess sind die Freiwilligkeit und Eigenverantwortlichkeit zu benennen, die seitens der ratsuchenden Person vorhanden sein müssen und zugleich von den Berater*innen im Zuge der professionellen Tätigkeit zum Ausdruck zu bringen sind. Dies äußert sich zugleich in der Symmetrie in der Beziehung zwischen Berater*innen und der ratsuchenden Personen, die in der Kommunikation hergestellt und aufrechterhalten werden muss.

Die Professionalität der Berater*innen wird insbesondere durch Wissen und Kompetenzen gekennzeichnet, die bezüglich des fachspezifischen Handlungs- und Beratungsfelds bestehen und methodisch geleitetes Vorgehen in der Beratung ermöglichen. Ebenso ist wesentlich, dass die Berater*innen über ein klares Aufgabenprofil verfügen und die Beratungstätigkeit als Teil beziehungsweise Schwerpunkt ihrer beruflichen Tätigkeit ausüben.

In Bezug auf die Prozessualität und die Kooperation ist vor allem der Prozesscharakter einer Beratung anzuführen, mit dem die Initiation und Realisierung eines aktiven Lernprozesses seitens der Berater*innen erfolgen soll. Damit ist auch vorgesehen, dass eine Hilfe zur Selbsthilfe ermöglicht wird, mit der die Eigenbemühungen der ratsuchenden Person unterstützt werden. Der Fokus auf die ratsuchende Person umfasst dabei auch, dass diese ein vorhandenes oder herauszustellendes Problem bewusst wahrnimmt und sich jeder Veränderungs- und Lösungsprozess an den Kompetenzen dieser Person orientiert. Für die Beratungstätigkeit ist deshalb wichtig, eine klare und transparente zeitliche, räumliche und methodische Struktur herzustellen und aufrechtzuerhalten, mit der ein beiderseitiges Verständnis über die Kommunikation an sich erzeugt werden kann.

Bezieht man diese Charakteristika auf den Kontext der schulischen Beratung, so zeichnen sich nach Schnebel (2007, S. 26) und Gartmeier (2018, S. 78—79) einige Unterschiede ab:

So ist in Bezug auf die Grundvoraussetzungen die Freiwilligkeit nur teilweise gegeben. Schüler*innen und Eltern werden häufig einseitig zum Gespräch gebeten beziehungsweise einbestellt und die Rolle als ratsuchende Person muss erst gemeinsam, durch die Auflösung der Einseitigkeit, hergestellt werden. In ähnlicher Weise zeigt sich dies auch in der Symmetrie der Beratungsbeziehung und -kommunikation, da hierbei eindeutige oder verdeckte Hierarchien oftmals eine Rolle spielen. Durch den Umstand, dass Beratung im Schulkontext angeordnet werden kann, können Ratschläge als Anordnungen verstanden werden, deren Nichtbefolgung mit Sanktionen assoziiert werden. Die daraus entstehenden Abhängigkeiten beeinflussen und erschweren die Herstellung eines partnerschaftlichen, symmetrischen Settings im Beratungsprozess.

Die Professionalität der Berater*innen bildet einen weiteren Aspekt, mit dem Unterschiede gegenüber der professionellen Beratung zum Ausdruck kommen. Da Lehrkräfte in der Regel nur bedingt in der Gestaltung von Beratungssituationen geschult sind, beziehungsweise durch Zusatzausbildungen zu Beratungslehrkräften ausgebildet werden, sind die meisten Lehrkräfte semi-professionelle Berater*innen. Dabei üben sie Beratung lediglich als einen Teil ihrer beruflichen Tätigkeit aus, da sie in ihrer Arbeit zwar professionsbezogene Gespräche führen, in diesen eine Beratung aber nicht unbedingt zum Gegenstand werden muss. In Bezug auf die Inhalte solcher Beratungen (Lernberatung, Schullaufbahn etc.) sind Lehrkräfte wiederum geschult und können entsprechendes Wissen, nicht aber unbedingt Kompetenzen, bezüglich des fachspezifischen Handlungs- und Beratungsfelds vorweisen. Entlang dieser Inhalte und Themen zeichnet sich zudem ab, dass die Lehrkräfte und die zu besprechenden Anliegen häufig Teil des Schulsystems sind. Dies hat zum Vorteil, dass die Lehrkräfte den Kontext und das Problem gut kennen und einordnen können, während die Kommunikation über das Problem leicht möglich wird. Andererseits gestaltet es sich herausfordernd, eigene Erfahrungen und Einstellungen zu abstrahieren, sodass eine Beratung so distanziert von der eigenen Person und der Thematik durchgeführt werden kann, wie es in der professionellen Beratung der Fall ist. Darüber hinaus wird der Rahmen, über den beraten werden kann, und die Kompetenzen in entsprechenden Handlungs- und Beratungsfeldern durch Themen begrenzt, die im pathologischen beziehungsweise therapeutischen Bereich zu verorten sind. Diese sind stets in Kooperation mit oder in Verantwortung von spezialisierten Berufsgruppen zu bearbeiten.

Auch in Bezug auf die Prozessualität und Kooperation werden einige Unterschiede gegenüber der professionellen Beratung deutlich. Für die Ermöglichung der Hilfe zur Selbsthilfe ist es entscheidend, dass die ratsuchende Person eigenverantwortlich einen Veränderungsprozess realisiert. In der Beratung im Schulkontext sind Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten allerdings in vielen Fällen nicht von vornherein klar. Wenn beispielsweise die Verantwortung für die Lösung eines Problems durch die Schulleitung im Sinne der Schulgemeinschaft an eine Lehrkraft übertragen wird und beim Misslingen der Problemlösung Sanktionsmaßnahmen erfolgen müssen, dann ist die beratende Lehrkraft oftmals auch die Person, die die Sanktionen verhängt. Eine solche Verflechtung von Verantwortlichkeiten kann Beratungssituationen erheblich beeinträchtigen. Unabhängig davon, ob eine Lehrkraft sich über ihre Ziele in der Beratung im Klaren ist, können die Zielsetzungen aller Beteiligten zudem divergieren. Während Schüler*innen somit zum Beispiel möglichst wenig negative Konsequenzen aus einem Gespräch ziehen möchten, könnten Eltern eher ihre Sorgen oder ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen wollen, als sich lösungsorientiert an dem Gespräch zu beteiligen. Die Klärung ebensolcher Erwartungen und Ziele bildet einen wesentlichen Bestandteil für das Gelingen einer Beratung. Intransparente oder verflochtene Verantwortlichkeiten und divergierende Zielsetzungen können sich auch in Rollenkonflikten der Lehrkräfte äußern. Dies kann etwa dazu führen, dass eine Lehrkraft als voreingenommene Expert*in eher belehrend, informierend und geschlossen kommuniziert und dem Charakter eines offenen Beratungsgesprächs, durch die Nichteinbindung der Kompetenzen und Ideen der zu beratenden Person, nicht gerecht werden kann. Ferner kann diese Offenheit auch erheblich durch den zeitlichen Rahmen beeinflusst werden, da dieser in der Beratung im Schulkontext meist stark beschränkt ist. Beratungen finden im Schulkontext in der Regel während oder nach dem Unterricht, in den Pausen oder an Elternsprechtagen und Elternabenden statt. Die Analyse und gemeinsame Lösung von bestehenden Problemen können somit nur eingeschränkt erfolgen.

Wie Schnebel anmerkt, verdeutlichen diese Charakteristika, „dass Beratung in der Schule stark in die institutionellen Bedingungen dieser Bildungseinrichtung eingebettet ist“ (2007, S. 29). Zudem gerieten Lehrkräfte, die häufig beraten, obwohl dies nicht ihre primäre Aufgabe ist, immer wieder in Konflikte hinsichtlich ihrer Rollen und ihres Professionsverständnisses (Schnebel, 2007, S. 29). Schnebel schließt daraus für die Lehrkräfte: „Sie können (und wollen teilweise) institutionelle Vorgaben nicht überwinden, kollidieren dann aber mit den beraterischen Elementen ihrer Tätigkeit“ (2007, S. 29).

Aus den dargestellten Unterschieden erwächst die Frage danach, inwiefern die Beratungsarbeit im Schulkontext überhaupt als professionelle Beratung zu betrachten ist. Denn schon allein mit Hinblick auf die beschriebenen Grundvoraussetzungen zeigt sich, dass die Freiwilligkeit und Symmetrie in der Kommunikation entgegen den institutionellen Bedingungen erstmal hergestellt werden muss. Es ist natürlich erwartbar, dass die Herstellung und Aufrechterhaltung bestimmter Voraussetzung auch ein wesentlicher Bestandteil professioneller Beratung ohne institutionelle Einbettung ausmachen und nicht zwangsläufig vorausgesetzt werden können. Dennoch erscheinen die schulischen Rahmenbedingungen so ausgeprägt, dass sie in diesem Sinne eine stetige Überwindung potenzieller Herausforderungen notwendig machen, um überhaupt in die Perspektive professioneller Beratung zu rücken. Vielleicht beschreibt aber schon der Versuch dieser Überwindung den Kern und den Mehrwert, den ein Vergleich zwischen schulischer und professioneller Beratung ausmachen. Hierbei steht ein Prozess im Fokus, mit dem die Erfassung, Analyse und Weiterentwicklung der Beratung im Schulkontext angestrebt werden können und sichtbar wird, wie diese Überwindung, beziehungsweise mit welchen Kompetenzen, sie zu realisieren ist. Die theoretisch und empirisch elaborierte Elemente der professionellen Beratung können dahingehend hilfreiche Hinweise für eine systematische Fundierung darstellen, ohne dabei die speziellen Charakteristika und Rahmenbedingungen der schulischen Beratung zu vernachlässigen. Dass dies auf diese Weise umsetzbar ist und für die weitere Entwicklung eines Performanztests zur Erfassung von Beratungskompetenz nutzbar gemacht werden kann, verdeutlicht die Forschung in diesem Bereich. So zeigen die Studien von Hertel (2009), Bruder (2011) und Gerich (2016) und die Untersuchungen zum Gmünder (Aich et al., 2017; Aich & Behr, 2019) und Münchener (Gartmeier, 2018) Modell der Gesprächsführung, dass die Unterschiede zwischen schulischer und professioneller Beratung im Lichte ihrer Gemeinsamkeiten systematisch betrachtet und bearbeitet werden können.

Literatur:

  • Aich, G. & Behr, M. (2019). Gesprächsführung mit Eltern (2. Aufl.). Beltz.
  • Aich, G., Kuboth, C., & Behr, M. (2017). Gmünder Modell zur Gesprächsführung (GMG) mit Eltern – Grundlagen, Aufbau und praktische Anwendungsmöglichkeiten. In G. Aich, G., Kuboth, C., & Behr, M. (Hrsg.), Kooperation und Kommunikation mit Eltern (S. 112-125). Beltz-Juventa.
  • Blömeke, S., Gustafsson, J.-E., & Shavelson, R. J. (2015). Beyond Dichotomies Competence Viewed as a Continuum. Zeitschrift für Psychologie, 223, 3-13.
  • Bruder, S. (2011). Lernberatung in der Schule. Ein zentraler Bereich professionellen                Lehrerhandelns. Technische Universität, Darmstadt.
  • Gartmeier, M. (2018). Gespräche zwischen Lehrpersonen und Eltern: Herausforderungen und Strategien der Förderung kommunikativer Kompetenz. Springer Fachmedien.
  • Gerich, M. (2016). Teachers‘ Counseling Competence in Parent-Teacher Talks: Modeling, Intervention, Behavior-Based Assessment. Springer.
  • Hertel, S. (2009). Beratungskompetenz von Lehrern – Kompetenzdiagnostik, Kompetenzförderung, Kompetenzmodellierung. Waxmann.
  • Schnebel, S. (2007). Professionell beraten. Beratungskompetenz in der Schule. Beltz.

Und täglich grüßt das Murmeltier – Die KMK vs. Lehrkräftemangel

In Deutschland fehlt es an Lehrkräften. Alle Jahre wieder hört man diesen Satz und er sorgt für Unruhe an allen Stellen im Bildungssystem. Man muss aber deutlich differenzieren, wie wir auch schon in unserer Blogreihe zum Quer- und Seiteneinstieg ausführlich beschrieben haben. Denn der oft beschriebene Lehrkräftemangel, so stellte es die Kultusministerkonferenz schon 2020 fest, herrscht bezogen auf weiterführende Schulen vor allem in den sogenannten MINT-Fächern, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften (hier insb. Physik & Chemie) und Technik (z.B. Elektrotechnik am Berufskolleg). Ein Jahr nach dieser Feststellung gibt es nun erste Ergebnisse und Vorschläge gegen diesen Mangel vorzugehen. Primär sieht die KMK hier die Wahrnehmung der Mangelfächer und Sichtbarkeit der Lehramtsoption als Schlüssel um diese Lücke zu schließen. In diesem Beitrag möchten wir kurz über die fünf Bereiche und die darin enthaltenen verschiedenen Ansätze der KMK berichten und auch zeigen, wie unsere Performanztests hier eine Rolle spielen könnten!

1) Schule

Idee der KMK ist es, das Bild der MINT-Lehrkräfte zu verbessern, damit Schüler*innen die Fächer tendenziell positiver in Erinnerung haben: „Um ein Lehramtsstudium in diesem Bereich in Erwägung zu ziehen, wird vor allem das Erleben der MINT-Lehrkräfte von Bedeutung sein. Werden diese als Vorbilder wahrgenommen, erscheint ein entsprechender Studien- und Berufswunsch eher wahrscheinlich“ (KMK, 2021, 3). Diese Aussage wird z.B. auch im Hinblick auf die Berufswahl Informatiklehrkraft von Dorothee Müller unterstützt, die dem „Erleben oder auch Fehlen des eigenen Informatikunterrichts“ (2017, 135) einen „entscheidenden Einfluss“ (ebd.) zuspricht. Zwar ist hier eine langfristige Veränderung unabdingbar, nur ist es fraglich, ob sich mit diesem Wunsch der schon für 2030 prognostizierte Mangel an Lehrkräften aufhalten lässt. Doch es gibt auch konkretere Handlungsempfehlungen wie „hochschulische Angebote für Schülerinnen und Schüler“ (KMK, 2021, 5). Ganz konkret gibt es hier schon Projekte wie z.B. so genannte Hochschultage, an denen Schüler*innen eine Hochschule besuchen, Informationen zu Studiengängen erhalten oder auch in Veranstaltungen hereinschauen können. Interessant sind auch Ansätze, die Schüler*innen schon in der Schulzeit den Beruf als Lehrkraft näherbringen, z.B. durch Werbung von Praktikant*innen oder Patenschaften von Lehramtsstudierenden.

2) Eltern, Familie, Freunde, Bekannte, Peergroup

Dieser so wichtige Bereich der beruflichen Sozialisation wird zwar genannt, aber da es „besonders schwierig [sei], hierauf Einfluss zu nehmen“ (KMK, 2021, 3) gibt es keine konkreten Maßnahmen, sondern es werden oberflächlich alle MINT-Lehrkräfte zu Botschafter*innen des Bekanntenkreises ernannt. Dabei gäbe es hier z.B. durch gezielte Aufklärungsarbeit bei Elterngesprächen und Elternabenden über die Anforderungen an den Beruf und die ausgezeichneten Jobmöglichkeiten eine sehr gute Möglichkeit, das familiäre Umfeld für die Tätigkeit zu sensibilisieren.

3) Medien und Werbung

Hier möchte die KMK an die Erfolge anknüpfen, die zur Verbesserung des Gesamtansehens des MINT-Bereichs geführt haben. Da diese Aufbesserung des MINT-Bildes aber eher mit wirtschaftlichen Aspekten verknüpft ist, soll hier ebenso langfristig das Bild von MINT-Lehrkräften durch eine auf einen längeren Zeitraum angelegte Werbe- und Imagekampagne verbessert werden.

4) Studienwahl

Es müssen sich mehr Schüler*innen für ein Lehramtsstudium in den MINT-Fächern entscheiden, damit es mehr MINT-Lehrkräfte gibt. Um dies zu unterstützen sollen z.B. Stipendienprogramme für Lehrkräfte mit MINT-Fächern geschaffen oder ausgebaut werden. An dieser Stelle, möchten wir auf bereits bestehende Stipendien verweisen, wie die Ford MINT-Didaktikstipendien an der Universität zu Köln. Im Rahmen des Deutschlandstipendiums, einer Initiative des BMBFs, werden in Kooperation mit Unternehmen ebenfalls Studierende mit Stipendien unterstützt – unter anderem durfte auch Thomas in seinen ersten beiden Semestern 2015/2016 davon profitieren. Denn das hier erwähnte Stipendium unterstützt, wie von der KMK jetzt auch gefordert, gezielt Lehramtsstudierende mit MINT-Fächern, wie Thomas selbst einer war.

5) Studium

Doch es reicht nicht, sich für ein Studium zu entscheiden – man sollte es auch durchhalten und abschließen. Hier spricht die KMK der Studieneingangsphase zurecht eine besondere Bedeutung zu und möchte ein größeres und fokussiertes Beratungsangebot auf den Weg bringen. Wichtig ist im Studium z.B. auch die Wertschätzung, die Studierenden in MINT-Fächern während des Studiums von Dozierenden entgegengebracht wird. Diese kann einen Einfluss auf das Belastungserleben und somit auch auf einen möglichen Studienabbruch haben (Carstensen et al., 2021). Diese aktuelle Studie hat festgestellt, dass Lehramtsstudierende in MINT-Fächern sich weniger wertgeschätzt fühlen als Lehramtsstudierende anderer Fächer (ebd.). So wäre es auch ein wichtiger Aspekt, hier an den Hochschulen direkt anzusetzen und die Dozierenden der Fachwissenschaften gezielt auf diese Problematik hinzuweisen, denn schließlich sind es die Studierenden der Zukunft, die von diesen Lehrkräften ausgebildet werden und die – wie in 1) erwähnt – Vorbilder sein sollen.

Ein weiterer sehr interessanter Punkt in dem KMK Papier ist folgender Absatz: „Lehrkräfteausbildung in der ersten Phase strukturell und inhaltlich professionsorientierter gestalten, ohne dabei die bestehende hohe fachwissenschaftliche Qualität zu beeinträchtigen“ (KMK, 2021, 7). Diesem Punkt können wir uns voll und ganz anschließen. Eine praxisorientiertere erste Phase könnte Signalwirkung auf das gesamte Studium haben und dieses weiter aufwerten. Eine Möglichkeit das Studium professionsorientierter zu gestalten sind beispielsweise Performanztests, so wie wir diese als rollenspielbasierte Simulationen entwickeln. Durch Einführung und Etablierung handlungsnaher Prüfungen, die die Performance bewerten, müssen diese Fähigkeiten auch schon in den Kursen trainiert werden, wodurch das gesamte Studium an Praxisnähe gewinnen kann.

Als Fazit möchten wir festhalten, dass die Initiativen der KMK deutlich zu begrüßen sind und hoffentlich den anstehenden Versorgungsengpässen an Schulen entgegenwirken. Es bleibt zu wünschen, dass die beschriebenen Maßnahmen, sofern es diese nicht schon in Ansätzen gibt, auch ergriffen werden. Wir sind gespannt, wie die ebenfalls angekündigte Evaluation des Unterfangens ausfallen wird. Zur Wirkung einzelner dieser Maßnahmen existieren auch schon mehr oder weniger umfangreiche empirische Erkenntnisse. Diese werden wir in zukünftigen Blogbeitragen auch einmal näher vorstellen.

Literatur:

  • Carstensen, B., Lindner, C. & Klusmann, U. (2021). Wahrgenommene Wertschätzung im Lehramtsstudium. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 1-14. (Online)
  • KMK (2021). Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur Stärkung des Lehramtsstudiums in Mangelfächern. Beschluss der KMK vom 09.12.2021. (Online)
  • Müller, D. (2017). Berufswahl Informatiklehrkraft. In I. Diethelm (Hrsg.), Informatische Bildung zum Verstehen und Gestalten der digitalen Welt – 17. GI-Fachtagung Informatik und Schule (S. 127-136). Gesellschaft für Informatik e.V.

Meidingers 10 Todsünden der Schulpolitik im Licht der Bildungsforschung 1/12

Ist das schon Clickbait?

Zu allen Fragen des deutschen Bildungssystems im Allgemeinen und der Lehrer*innenbildung im Speziellen gibt es eine Vielzahl von Büchern unterschiedlicher Akteur*innen, die einen gewissen Einfluss auf bildungspolitische Diskussionen innerhalb der Medienlandschaft haben bzw. dies wollen. Diese Bücher kritisieren meist bestimmte Defizite und argumentieren davon ausgehend für bestimmte Veränderungen. Wie stichhaltig diese Argumentationen sind, hängt natürlich auch davon ab, wie zutreffend die vorherigen Analysen und Zustandsbeschreibungen sind. Ergebnisse empirischer Bildungsforschung können hierzu Einschätzungen ermöglichen, bspw. ob sie zutreffen oder ob überhaupt Erkenntnisse vorliegen.

Worum gehts?

Bildnachweis: © Stifterverband, CC BY 3.0

In einer kleinen Beitragsreihe möchten wir uns mit einem solchen Buch beschäftigen, das sich neben dem Inhaltlichen auch aufgrund seines Clickbait-ähnlichen Titels perfekt für unseren Blog eignet ;). Es geht um „Die 10 Todsünden der Schulpolitik – Eine Streitschrift“ von Heinz-Peter Meidinger (2021) erschienen im Claudius Verlag, München. Heinz-Peter Meidinger ist medial hauptsächlich bekannt als aktueller ehrenamtlicher Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Der Lehrerverband ist eine Dachorganisation von vier bundesweiten Lehrkräfteverbänden, von denen der Deutsche Philologenverband e.V., in dem sich hauptsächlich Gymnasiallehrkräfte organisieren, sicherlich der bekannteste ist. Es ist also nicht möglich als Lehrkraft direkt Mitglied im Lehrerverband zu werden (wobei es auch weitere große Lehrkräfteverbände gibt, die nicht teil des Lehrerverbands sind). Man kann den Lehrerverband auch nach den formulierten Zielen hauptsächlich als eine Vernetzungs- und Abstimmungsorganisation der Mitgliedsverbände bezeichnen, die explizit Einfluss auf politische Entscheidungen zur Entwicklung des Bildungssystems nehmen möchte. Es geht also auch um Lobbyarbeit für bestimmte Ziele. Das Buch kann in diesem Kontext als möglicher Beitrag betrachtet werden, Diskussionen zur Schulpolitik anzuregen, verbunden mit dem Ziel, bestimmte Veränderungen erreichen zu wollen. Anzumerken ist allerdings, dass die im Buch enthaltenen Thesen, Argumente und Begründungen nicht als Positionen des Lehrerverbandes bezeichnet werden.

Der Autor selbst war Gymnasiallehrer und später auch lange Jahre Schulleiter in Bayern und ging im Sommer 2020 in den Ruhestand. Bevor er 2017 erstmalig als Präsident des Lehrerverbandes gewählt wurde, war Heinz-Peter Meidinger 13 Jahre lang Vorsitzender des deutschen Philologenverbandes. Er schreibt also aus der Perspektive des erfahrenen Gymnasialschulleiters mit vielfältigen Einblicken aus der Verbandsarbeit. Mehr erfährt man über ihn und seine Positionen auch auf Wikipedia ;).

Was passiert hier?

In dieser Artikelreihe möchten wir uns etwas differenzierter mit den Argumentationen im Buch aus Perspektive der empirischen Bildungsforschung auseinandersetzen. Dabei geht es uns weniger darum, eine eigene Bewertung der Thesen des Autors vorzunehmen, sondern eher zu prüfen, was man aus Ergebnissen der Bildungsforschung zu ihren Prämissen beisteuern kann oder nicht. Hierzu ist es natürlich sinnvoll, das Buch gelesen zu haben. Das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich empfehlen, auch wenn man vielleicht manche Position des Autors nicht teilt. Man kann durch die Auseinandersetzung auch die eigene Perspektive ausschärfen. Diese Beitragsreihe ist daher keine Rezension im engeren Sinne, sondern wir werden punktuell Aspekte herausgreifen, die sich sinnvoll auf Ergebnisse empirischer Bildungsforschung beziehen lassen. Jede „Todsünde“ bekommt dabei einen eigenen kurzen Beitrag, die in der Länge aber auch sehr variieren können (je nachdem, inwiefern sich inhaltlich anknüpfen lässt).

In diesem Beitrag geht es um das erste Kapitel, quasi das Vorwort, welches mit „Schulpolitik in der Krise“ überschrieben ist. Heinz-Peter Meidinger stellt darin zunächst Bedingungen heraus, die für das Feld der Bildungspolitik charakteristisch seien, z.B. dass das Bildungssystem hochkomplex und durch viele Interdependenzen geprägt sei. Er findet, das deutsche Schulsystem arbeite in vielen Bereichen sehr gut, aber Dinge, die schief laufen, müssten für eine Bestandsaufnahme herausgestellt werden. Die Sprache ist – negativ interpretiert – polemisch, – positiv interpretiert – ausdrucksstark, was sich auch darin zeigt, dass als Analogie für „[…] Konzepte, Reformen, politische Haltungen und Ideologien sowie wiederkehrende Verhaltensmuster, aber auch permanente Untätigkeit sowie bewusste Versäumnisse, die der Bildungsqualität in unserem Land schaden […]“ (Meidinger, 2021, 23) das Konzept der „Todsünde“ aus der katholischen Theologie verwendet wird. Aber es ist ja auch als Streitschrift angekündigt.

G9 zu G8 – Wie ist es gelaufen?

In diesem Vorwortkapitel fällt es schwer, Aussagen zu finden, die mit Bezug zu empirischen Forschungsergebnissen betrachtet werden können. Es enthält viele Meinungsäußerungen, die zumindest an dieser Stelle nicht anhand konkreter Beispiele begründet werden. Eine Ausnahme ist die Thematisierung der Umstellung vieler Bundesländer von einem neunjährigen (G9) hin zu einem achtjährigen Abiturbildungsgang (G8), als Beispiel für eine Veränderung der Schulstrukturen, die möglicherweise zu vielen negativen Nebenwirkungen führte. Heinz-Peter Meidinger nennt Folgende: Baubedarf an Mittagskantinen, mehrfache Überarbeitung der Lehrpläne auf Druck von Außen, weniger Nachwuchs in Sportvereinen, Kirchen bzw. in der Kinder- und Jugendarbeit, weniger junge Menschen nehmen eine duale Ausbildung auf.

Während mir zum Baubedarf keine Studien bekannt sind und Lehrplanüberarbeitungen je nach Bundesland mehr oder weniger häufig vorkamen (und man beides auch als positive Nebenwirkung sehen könnte, weil z.B. Lehrpläne an neue Rahmenbedingungen angepasst wurden), liegen zu den Auswirkungen auf das Freizeitverhalten von Jugendlichen und zur Ausbildungsneigung Analysen auf Basis empirischer Daten vor (vgl. Kühn et al., 2013). Die Ergebnisse zum Freizeitverhalten sind zusammengefasst uneindeutig (vgl. Meyer & Thomsen, 2015), was auch daran liegt, dass die Umstellung von G9 auf G8 nicht in allen Bundesländern gleich verlief, sich die Erfahrungen der Schüler*innen daher unterschieden und die Analysen auch methodisch variieren. Es wurde z.B. häufig mit Selbstauskünften zu vorgegebenen Freizeittätigkeiten gearbeitet, die von Schüler*innen in G9- oder G8-Ausbildungsgängen beantwortet und teils parallel, teils nacheinander erhoben wurden. Daher können die Ergebnisse auch am ehesten differenziert nach Art der Freizeittätigkeit dargestellt werden.

Für Aktivitäten im Sport konnten dabei überwiegend keine bzw. kaum Unterschiede im zeitlichen Umfang für G9- und G8-Schüler*innen festgestellt werden (Laging et al., 2014; im Brahm et al., 2013). Ebenfalls keine Unterschiede zeigen sich bzgl. anderer Tätigkeiten z.B. musischer Hobbys wie Orchester, Unternehmungen mit der Familie, Computer (z.B. Spielen) (Hübner et al., 2017). Stabile signifikante Unterschiede mit eher mittlerem Effekt zeigen sich vor allem für das Ausüben eines Nebenjobs, was häufiger von G9-Schüler*innen getan wurde (z.B. Hübner et al., 2017; Meyer & Thomsen, 2015) und ein Rückgang bzgl. ehrenamtlicher Tätigkeiten (wobei Sport hier noch einmal gesondert erfasst wurde), allerdings ausgehend von einem generell niedrigen Niveau (für Hessen: Meyer & Thomsen, 2015). Eine interessante Erkenntnis im Zusammenhang mit diesen Analysen ist, dass die Schüler*innen innerhalb der G8-Bildungsgänge Freizeit teilweise anders bewerteten bzw. einschätzten, als in G9-Bildungsgängen (Blumentritt et al., 2014). „Folglich scheint die konzeptionelle Engführung von Freizeit als Nicht-Schulzeit aus den exemplarisch ausgewählten Beschreibungen der Schülerinnen und Schüler beider Bildungsgänge nicht vollständig tragfähig.“ (Blumentritt, 2015, 150).

Bezogen auf die These, dass die duale Berufsausbildung unter der Umstellung gelitten habe, liegen kaum empirische Erkenntnisse vor. Marcus & Zambre (2017) berichten, dass nach Einführung der G8-Abiturbildungsgängen weniger junge Menschen ein Studium aufnahmen, was man allerdings nicht direkt so interpretieren kann, dass diese stattdessen eine Berufsausbildung aufnahmen. Es zeigt sich zudem eine Art Pausenjahr vor der Studienaufnahme. Die Entscheidung für ein Studium oder eine Berufsausbildung scheint eher von Faktoren abzuhängen, die unabhängig von der Art des Abiturbildungsgangs sind (vgl. Flake et al., 2017). In seiner Dissertation berichtet Meyer (2016) für Sachsen-Anhalt Analysen, die eher darauf hindeuten, dass G8-Schüler*innen tendenziell sogar vermehrt eine Berufsausbildung an ihr Abitur anschlossen.

Was lässt sich hieraus nun bzgl. der Thesen aus dem Buch schließen? Die Annahme, dass die Umstellung von G9 zu G8 negative Nebenwirkungen hatte, ist vor dem Licht der empirischen Daten teilweise zutreffend, aber nicht bzgl. aller genannten Nebenwirkungen. Die Situation ist in repräsentativeren Stichproben nicht so eindeutig wie suggeriert. Allerdings liegen auch insgesamt wenig empirische Analysen vor. Die erste Todsünde wird Gegenstand des nächsten Beitrags in dieser Artikelreihe sein. Er findet sich hier. Hintergründe zum Autor und zum Buch werden dort nicht noch einmal aufgeführt.

Literatur:

  • Blumentritt, L. (2015). Veränderte Schulzeit–veränderte Freizeit? Freizeit im Kontext der gymnasialen Schulzeitverkürzung. In R. Freericks, & D. Brinkmann (Hrsg.), Die Stadt als Kultur-und Erlebnisraum – Analysen – Perspektiven – Projekte. 3. Bremer Freizeit-Kongress (S. 141-153). Institut für Freizeitwissenschaft und Kulturarbeit e.V. (Online)
  • Blumentritt, L., Kühn, S. M., & van Ackeren, I. (2014). (Keine) Zeit für Freizeit? Freizeit im Kontext gymnasialer Schulzeitverkürzung aus Sicht von Schülerinnen und Schülern. Diskurs Kindheits-und Jugendforschung, 9(3), 15-16. (Online)
  • Flake, R., Malin, L., & Risius, P. (2017). Einflussfaktoren der Bildungsentscheidung von Abiturienten für Ausbildung oder Studium. IW-Trends-Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung, 44(3), 99-115. (Online)
  • Hübner, N., Wagner, W., Kramer, J., Nagengast, B., & Trautwein, U. (2017). Die G8-Reform in Baden-Württemberg: Kompetenzen, Wohlbefinden und Freizeitverhalten vor und nach der Reform. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 20(4), 748-771. (Online)
  • im Brahm, G., Kühn, S. M., & Wixfort, J. (2013). Wie nehmen Schülerinnen und Schüler des doppelten Abiturjahrgangs die eigene Schulzeit wahr?: Eine geschlechtsspezifische Analyse der Schülerperspektive auf acht-und neunjährige Bildungsgänge am Gymnasium. Schulpädagogik heute, 4(8), 223-240.
  • Kühn, S. M., van Ackeren, I., Bellenberg, G., Reintjes, C., & im Brahm, G. (2013). Wie viele Schuljahre bis zum Abitur? – Eine multiperspektivische Standortbestimmung im Kontext der aktuellen Schulzeitdebatte . Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 16(1), 115-136. (Online)
  • Laging, R., Böcker, P., & Dirks, F. (2014). Zum Einfluss der Schulzeitverkürzung (G8) auf Bewegungs-und Sportaktivitäten von Jugendlichen. Sportunterricht, 63(3), 66-72. (Online)
  • Marcus, J., & Zambre, V. (2017). Folge der G8-Schulreform: Weniger Abiturientinnen und Abiturienten nehmen ein Studium auf. DIW Wochenbericht, 84(21), 418-426. (Online)
  • Meidinger, H.-P. (2021). Die 10 Todsünden der Schulpolitik – Eine Streitschrift. Claudius Verlag.
  • Meyer, T. (2016). An evaluation of the shortened high school duration in Germany and its impact on postsecondary education and labor market entry. Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover. (Online)
  • Meyer, T., & Thomsen, S. L. (2015). Schneller fertig, aber weniger Freizeit?–Eine Evaluation der Wirkungen der verkürzten Gymnasialschulzeit auf die außerschulischen Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler. Schmollers Jahrbuch, 135, 249-278. (Online)

Täuschen, Schummeln und Betrügen an der Hochschule im Licht der Bildungsforschung – 3/7 – COVID-19 Ergänzung

Ehrlichkeit in der digitalen Welt

Einbettung von: Deutschlandfunk, Campus & Karriere, Sendung vom 01. Dezember 2021
Bildnachweis: © Deutschlandfunk

Eigentlich wäre der vierte Teil zu unserer Artikelserie zum Täuschen und Betrügen bei Prüfungen im Studium an der Reihe. Angeregt über einen kurzen Bericht des Deutschlandfunks in der Sendung Campus & Karriere vom 01. Dezember 2021 (siehe auch die Einbettung oben) möchten wir allerdings noch einen kleinen Nachtrag zum dritten Artikel liefern, in dem wir von Ergebnissen der empirischen Bildungsforschung zum Ausmaß von typischem Täuschungsverhalten berichtet haben. Durch die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie wurde auch an Hochschulen ein beträchtlicher Teil der Lehre und insbesondere auch von Prüfungen in virtueller Form durchgeführt (Sommer, 2020). Dabei stellen sich ein paar Fragen: Wie groß ist das Ausmaß von Täuschungen in digitalen Prüfungen? Ist es womöglich höher als bei klassischen Präsenzprüfungen, weil das „Schummeln“ technisch einfacher ist?

Eine Studie zur rechten Zeit…

Vor der Pandemie wurden diese Fragen erwartbarerweise kaum untersucht, da digitale Prüfungen ein eher untypischer Fall waren. Im November sind allerdings die Ergebnisse einer Untersuchung von Janke et al. (2021) veröffentlicht worden. Sie befragten hierzu N = 1608 Studierende unterschiedlicher Hochschulen und Studienfächer in Deutschland online, die im Sommersemester 2020 eine schriftliche Prüfung ablegen mussten. Davon hatten 82.5% ausschließlich Onlinekurse während des Semesters belegt. Die Studierenden wurden zum einen danach befragt, in welcher Form sie Prüfungen abgelegt haben (nur in Präsenz, nur digital, beides). Zudem sollten sie direkt auf einer siebenstufigen Skala zu einer Reihe von Täuschungshandlungen in Prüfungen, aber auch in Onlinekursen (bezeichent als academic dishonesty), angeben, wie häufig sie dieses in diesem Semester getan haben (von nie bis sehr oft).

Das Ausmaß der vier häufigsten Handlungen akademischer Unehrlichkeit in Kursen, die die Befragten im Sommestersemester 2020 mindestens einmal getätigt haben, waren in absteigender Reihenfolge (Janke et al., 2021, 5): Einloggen im Onlinekurs und nebenbei etwas Anderes tun (88.1%), Bearbeitung von Aufgaben mit Anderen, die als Einzelleistung gedacht waren (63.7%), Angabe von Quellen in Hausarbeiten, die man nicht gelesen hat (29.8%), Übernahme von Textteilen aus Onlinequellen ohne Quellenangabe (26.4%). Die Untersuchung enthält Ergebnisse zu weiteren Täuschungshandlungen, weshalb ich hier eine ausdrückliche Leseempfehlung abgeben möchte.

Digital vs. Analog?

Unterscheidet sich nun das Täuschungsverhalten in analogen und digitalen schriftlichen Prüfungen? In der Befragung können hierzu insbesondere zwei Items herangezogen werden, die sowohl für Präsenz-, als auch für Onlineprüfungen abgefragt wurden. Für eine bessere Vergleichbarkeit habe ich die Ergebnisse i.ön einer kleinen Tabelle dargestellt (Tab. 1).

TäuschungshandlungPräsenz-prüfungOnline-prüfung
Austausch von Lösungsideen für Aufgaben mit Anderen während der Prüfung.23.7%45.9%
Verwendung von unerlaubten Hilfsmitteln zur Lösung von Aufgaben.18.4%48.6%
Tab. 1 „Vergleich von Täschungshandlungen in Präsenz- und Onlineprüfungen (Janke et al., 2021, 5)

Es wird deutlich, dass das Ausmaß von Täuschungsverhalten in schriftlichen digitalen Prüfungen größer ausfällt als in Präsenzprüfungen. Zur Signifikanz des Unterschieds und möglicher Effektstärken, auch unter Kontrolle von Prüfungserfahrungen, sei an dieser Stelle noch einmal auf den Artikel verwiesen. Es lohnt sich etwas tiefer im Text zu schauen. Die Autor*innen fassen ihre Ergebnisse mit einem gewissen understatement folgendermaßen zusammen:

„Overall, our findings indicate that the sudden shifts from on-site to
online testing in German higher education institutions during the
COVID-19 pandemic in summer 2020 may have posed at least some
threat to academic integrity.“

(Janke et al., 2021, 6)

Dazu, inwiefern sich Lehramtsstudierende hierbei von Studierenden anderer Studiengänge unterscheiden, können wir auf Grundlage der Untersuchung keine Aussagen machen. Aber man kann ja nicht alles haben ;). Daher zuerst einmal vielen Dank an die Kolleg*innen aus Mannheim, Landau und Augsburg. Vielleicht kommen hierzu ja noch Analysen.

Literatur

  • Janke, S., Rudert, S. C., Petersen, Ä., Fritz, T., & Daumiller, M. (2021). Cheating in the wake of COVID-19: How dangerous is ad-hoc online testing for academic integrity?, Computers and Education Open, 2, 1-9. (Online)
  • Sommer, M. (2020). Eine respektable Notlösung. Ergebnisse einer Umfrage zum „Corona-Semester “. Forschung & Lehre, 20(8), 666. (Online)

Fast wie im Fernsehen – Live und in Farbe!

© BMBF

Der 24. August war für unsere Nachwuchsgruppe ein besonderer Tag, denn es war das erste Mal, dass wir drei – Philipp, Christoph und Thomas – uns in Präsenz gesehen haben (natürlich unter strengen 3G-Bedingungen)! Pandemiebedingt mussten wir wie viele Andere auch aus dem Homeoffice arbeiten und haben uns nur im digitalen Raum sehen und kennenlernen können. Der Anlass des Treffens war auch ein ziemlich besonderer: Das BMBF hatte uns um ein Interview gebeten!

Über diese Anfrage haben wir uns natürlich sehr gefreut und sind der Bitte gerne nachgekommen. Nach der Terminplanung haben wir auch schon zügig mit den Vorbereitungen für das Interview begonnen [Spoiler: Die Antworten waren nicht ganz spontan – wir sind schließlich keine Profis ;-)]

Der Interviewtag selbst begann dann mit einem ersten analogen Kennenlernen und einem kurzen Probedurchlauf. Als die beiden Mitarbeiter der Agentur Cheil Christian Schnier und Klaus Rehm dazu kamen mussten wir erstmal eine geeignete Location finden. Zwar hätten wir unsere Dachterrasse aufgrund der schönen Aussicht (Ein Pader-Pun) bevorzugt, um etwaigen Tonproblemen aus dem Weg zu gehen, aber wir sind dann doch im klassischen Seminarraum gelandet, wie man im Video ja auch nur unschwer erkennen kann. Wir haben den Raum noch etwas hergerichtet und unser Logo – ganz professionell wie wir sind – auf die Leinwand projiziert.

Und dann hieß es auch schon: Action!

Das Video geht zwar nur 7 Minuten – aber das meiste Material liegt, wie man im Filmjargon so schön sagt, auf dem „cutting room floor“. Es hat manchmal halt etwas gedauert, bis die Antworten saßen und keine Versprecher oder Wortfindungspausen mehr vorkamen. Am Ende haben wir dann ca. 2h gebraucht – was ihr seht ist also ein „Best-Of“! Wenn man genau hinschaut erkennt man sogar, dass die Fragen und Antworten nicht chronologisch gestellt worden sind (Man achte auf Thomas‘ Mikrofon…). Für unsere Kolleg*innen am PLAZ haben wir noch eine besondere Aufgabe: Welche zwei rosafarbenen, quaderförmigen Objekte haben sich in unser Video geschlichen?

Nachdem die Arbeit getan war, haben wir den restlichen Tag noch genutzt, um die Universität besser kennenzulernen, schließlich war es das erste Mal, dass wir beiden Promovierenden in Präsenz da waren. Christoph zeigte uns die Bibliothek, Mensa (ganz wichtig!) und die Aussicht vom höchsten Turm der Uni.

Vielen dank an dieser Stelle nochmal an den Produzenten und Kameramann für die tolle Arbeit im Vorfeld, die angenehme Durchführung vor Ort und das Schneiden und Erstellen des Videos – Wir freuen uns sehr über das tolle Ergebnis! Passend zum Video könnt ihr euch auch den kurzen Bericht auf der Seite der Wissenschafts- und Hochschulforschung ansehen.