2020 hat die Kultusministerkonferenz beschlossen, eine Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) einzurichten, ein unabhängiges Gremium, das Probleme im Bildungsbereich identifizieren, Handlungsempfehlungen auf Basis von Evidenzen aus der bildungswissenschaftlichen Forschung formulieren und die Bundesländer bei der Weiterentwicklung ihrer Bildungssysteme beraten soll. Der SWK gehören 16 Bildungsforscher*innen aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen an. Den Vorsitz haben derzeit Prof. Dr. OIaf Köller (IPN – Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik, Kiel) und Prof. Dr. Felicitas Thiel (Freie Universität Berlin) inne. Die SWK wird von einer eigenen Geschäftsstelle unterstützt (liebe Grüße an dieser Stelle an meine alte Kollegin Dr. Julia Suckut).
Die Kommission nahm 2021 ihre Arbeit auf und veröffentlichte seitdem Stellungnahmen und Gutachten zu einer Vielzahl von Aspekten des Bildungssystems. Sie folgt dabei einem mit der Kultusministerkonferenz abgestimmten Arbeitsprogramm. In der Öffentlichkeit und auch in der bildungswissenschaftlichen Fachcommunity war und ist die Einrichtung sowi die Arbeit der SWK nicht unumstritten (z.B. Wiarda, 2021; Bildungsrat von unten). Aus meiner Sicht ist sie ein sinnvoller Versuch, bildungswissenschaftliche Forschungsergebnisse systematischer für Veränderungen im Bildungssystem verfügbar zu machen und in Entscheidungsprozesse einzubringen.
Am 8. Dezember 2023 veröffentlichte die SWK ein Gutachten mit dem Titel „Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftebildung für einen hochwertigen Unterricht“ (SWK, 2023), das sich mit Fragen auseinandersetzt, die uns auch immer wieder hier im Blog beschäftigen. Es hat einen Umfang von 155 Seiten, auf denen Empfehlungen zu vier Bereichen der Lehrkräftebildung formuliert werden. Bei der Erstellung wurden viele Ergebnisse der Lehrerbildungsforschung aufgegriffen und Einschätzungen vieler Expert*innen einbezogen (SWK, 2023, 152f.). Die vier Bereiche lauten wie folgt:
Optimierung von Prognosen zum Lehrkräfteeinstellungsangebot und -bedarf
Gewinnung von Studierenden, Sicherung von Studienerfolg und phasenübergreifende Optimierung der Ausbildung
Organisation und Gestaltung einer wissenschaftsbasierten Lehrkräftebildung für den Aufbau professioneller Kompetenzen
Organisation und Gestaltung einer forschungsbasierten Fort- und Weiterbildung für eine kontinuierliche Kompetenzentwicklung von Lehrkräften
Unsere eigenen Forschungsarbeiten zur Entwicklung und Erprobung performanzorientierter Prüfungsverfahren lassen sich im dritten Bereich verorten. Diese Formate werden auch im Gutachten angesprochen und ihre Implementation im Lehramtsstudium (indirekt) empfohlen. Das freut uns natürlich 🙂 ).
„Die für die professionelle Kompetenz zentralen unterrichtsnahen, situationsspezifischen Fähigkeiten sind jedoch bislang allenfalls am Rande in den Prüfungsformaten der ersten Phase abgebildet. Hier liegt ein starker Fokus auf der Prüfung professionellen Wissens, während in der zweiten Phase Unterrichtsproben einen wichtigen Bestandteil der Staatsprüfung ausmachen. Ein stärkerer Einbezug unterrichtsnaher, situationsspezifischer Fähigkeiten in die Prüfungsformate der ersten Phase scheint aufgrund der Verfügbarkeit forschungsbasierter, qualitätsgeprüfter Instrumente zur Erfassung dieser Fähigkeiten (s. o.) möglich.“
(SWK, 2023, 72)
Es würde den Umfang dieses Blogbeitrags sprengen, alle Empfehlungen darzustellen, weshalb ich explizit empfehle, selbst einen Blick in das Gutachten zu werfen. Man kann aber auch die Aufzeichnungen der SWK Talks nachhören.In diesen Online-Vorträgen bzw. „Sitzungen“ haben Vertreter*innen der SWK zusammen mit Gäst*innen die einzelnen Empfehlungen vorgestellt und diskutiert. Dabei wurden auch Fragen aus dem (virtuellen) Publikum aufgegriffen.
Es ist zwar kein Podcast im klassischen Sinne, aber gibt einen guten Einblick in bildungspolitische Diskussionen zur Lehrkräftebildung. Die einzelnen Talks können auf dem Youtube-Kanal des IPN abgerufen werden. In Reaktion auf das Gutachten gab es im Laufe des Jahres auch schon erste Beschlüsse der KMK.
Literatur:
Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) (2023). Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftebildung für einen hochwertigen Unterricht. Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK). Bonn. (Online)
Wiarda, J.M. (2021, 05. Mai). Der Rat der 16 [Blogbeitrag]. (Online)
Es war ein ereignisreicher Sommer! Nach der Pilotierung unseres Prototypen einer Objective Structured Teaching Examination (OSTE) für (angehende) Lehrkräfte im Fach Physik stand das Sommersemester 2024 ganz im Zeichen einer breiteren Erprobung. Das Konzept des OSTE stammt ursprünglich aus der Professionalisierung von Ausbildenden der Medizin (Fakhouri & Nunes, 2019). Dabei handelt es sich um eine Art Prüfungsparcours, in dem die Geprüften an verschiedenen Stationen typische Anforderungen des Berufs bewältigen müssen. Die Stationen sind möglichst handlungsnah gestaltet, um auch die tatsächlichen, im späteren Beruf notwendigen Fähigkeiten zu adressieren (z.B. das Geben von Feedback an angehende Ärzt*innen im praktischen Jahr). Technisch gesprochen: Sie müssen Performanz zeigen (Blömeke, Gustafson & Shavelson, 2015). Für einen Einsatz als Prüfung besteht eine zentrale Herausforderung darin, dass die geprüften Situationen möglichst authentisch bzw. berufsrelevant sein müssen (Gulikers et al., 2008), aber zugleich auch eine gewisse Standardisierung aufweisen, damit Leistungen zwischen einzelnen Personen möglichst fair verglichen werden können. Daher werden in den Stationen typischerweise Schauspieler*innen eingesetzt, die geschult sind, möglichst vergleichbare Anforderungen herzustellen, aber zugleich eine adaptive Interaktion ermöglichen.
OSTEs für die Lehrkräftebildung
Die Simulation berufstypischer Situationen mit Schauspieler*innen findet sich auch schon vereinzelt in der Lehrkräftebildung, bisher allerdings hauptsächlich als Übungsformat oder als Assessment-Verfahren im Rahmen von Forschungsprojekten (z.B. Fischer & Opitz, 2022; Gerich & Schmitz, 2016). In unserem Projekt haben wir einen OSTE entwickelt, der als Prototyp als Prüfungsverfahren einsetzbar sein soll. Da Anforderungen an Lehrkräfte zu großen Teilen auch fachspezifisch sind, bezieht sich unser OSTE auf Lehramtsstudierende mit dem Unterrichtsfach Physik. Bei der Entwicklung sollten einige Bedingungen berücksichtigt werden. Erstens muss natürlich die Validität der einzelnen Stationen sichergestellt werden. Es sollten also Kompetenzen, die für den Beruf relevant und in Bezug auf entsprechende Kompetenzmodelle darstellbar sind, abgebildet, passende Situationen gestaltet und entsprechende Bewertungskategorien entwickelt werden. Zweitens muss die Erfassung der Performanz – wie bei Instrumenten in der Bildungsforschung üblich – ausreichend reliabel erfolgen, wobei innerhalb eines OSTE Reliabilität auch über die Anzahl von Stationen beeinflusst werden kann. Drittens muss der Einsatz unter den üblichen Bedingungen eines Studiums erfolgen können. Das betrifft bspw. die zur Verfügung stehende Prüfungszeit oder die Akzeptanz durch die Studierenden und Dozierenden, die derartige Prüfungen ja selbst durchführen müssten.
Unser vor diesem Hintergrund entwickelte Prototyp eines OSTE für das Lehramt Physik umfasst nach aktuellem Stand insgesamt sieben Prüfungsstationen. Nach der Pilotierung und auch im Verlauf der Erprobung wurde er so modifiziert, dass er insgesamt in zwei Stunden absolviert werden kann bzw. absolviert werden können sollte. Dies entspricht einem Zeitumfang von zehn Minuten pro Station (mit Ausnahme einer 20-minütigen Station) plus Wechselpausen. Die handlungsrelevanten Situationen wurden entlang der vier Kompetenzbereiche Unterrichten, Erziehen, Beurteilen und Innovieren der Standards für die Lehrkräftebildung (KMK, 2024) ausgewählt und repräsentieren typische Core Practices von Physiklehrkräften (vgl. Fraefel & Scheidig, 2018). Für einige Stationen konnten wir auf Vorarbeiten von vielen geschätzten Kolleg*innen zurückgreifen (Danke!), andere Stationen sind komplette Neuentwicklungen. Alle Stationen simulieren typische Anforderungen, aber nicht alle Stationen benötigen Schauspieler*innen. Zum Teil ist der Bearbeitungsmodus schriftlich – wie es auch im Beruf erfolgt (z.B. bei der Planung von Unterricht). Eine Übersicht über die Prüfungsstationen ist in der nachfolgenden Tabelle dargestellt.
Kompetenzbereich
Station/Situation
Modus
Quellen
Unterrichten
Unterrichtsplanung
Schriftlich
Schröder et al. (2020)
Unterrichten
Unterrichtsreflexion
Simulation einer Videokonferenz
Kulgemeyer et al. (2021)
Unterrichten
Erklärung eines physikalischen Phänomens
Simulation mit Schauspieler*innen
Kulgemeyer et al. (2015)
Beurteilen
Beratungsgespräch
Simulation mit Schauspieler*innen
Wotschel et al. (2023), Eigenentwicklung
Beurteilen
Beurteilung von Schüler*innentexten
Schriftlich
Feser (2019)
Erziehen
Moderation eines Konfliktgesprächs
Simulation mit Schauspieler*innen
Eigenentwicklung
Innovieren
Gespräch zur Unterrichtsentwicklung
Simulation einer Videokonferenz
Eigenentwicklung
Tab. 1 „OSTE-Physik: Stationsübersicht“
Gemäß der Standards (KMK, 2024) haben die einzelnen Stationen einen mal stärkeren (z.B. Unterrichtsplanung), mal weniger starken Bezug zum Fach Physik (z.B. Konfliktgespräch). Dies lässt sich allerdings nicht immer eindeutig disjunkt unterscheiden, da in beruflichen Situationen meist ein Bezug zu mehreren Bereichen des Professionswissens von Lehrkräften besteht (vgl. Blömeke et al., 2015).
On the road
Um zu prüfen, ob der entwickelte OSTE-Prototyp nicht nur auf theoretischer Seite ein geeignetes Prüfungsformat darstellt, sondern auch im praktischen Einsatz umsetzbar ist, haben wir ihn an drei verschiedenen Universitätsstandorten mit Lehramtsstudierenden erprobt. Dabei zeigten sich einige rein organisatorische Herausforderungen. Um den OSTE zu erproben, musste er in den Rahmen des Vorlesungsbetriebes im Sommersemester 2024 eingebettet werden. Das heißt, dass neben den zwei Stunden für den reinen Prüfungsparcours nur wenig zeitlicher Spielraum für die geplanten Erhebungen zu Einschätzungen der Studierenden zur Akzeptanz des Formats vorlagen. Dank der Geduld der Studierenden konnten wir aber glücklicherweise viel umsetzen. Logistisch mussten wir für jeden Testeinsatz vier unserer studentischen Schauspieler*innen und eine Menge technisches Equipment (z.B. Kameras, Tablets, schriftliches Testmaterial) jeweils rechtzeitig vor Ort bringen und einsatzbereit machen. Zusätzlich werden für die Durchführung mehrere Räume benötigt, die für den Zeitraum des OSTEs frei gehalten werden müssen.
Unser erster Tourstopp führte uns im April nach Bremen, wo wir den OSTE mit Unterstützung von Prof. Dr. Christoph Kulgemeyer und seinem Team erproben konnten. An zweiter Stelle gab es im Juni ein Heimspiel an der Universität Paderborn mit Unterstützung von Prof. Dr. Josef Riese (mit weniger logistischem Aufwand 😉 ). Der dritte Tourstopp führte uns Anfang Juli in die Nachbarschaft nach Bielefeld, in der uns Prof. Dr. Lisa Stinken-Rösner unterstützte. Zusätzlich konnten wir die Station zur Simulation eines Konfliktgesprächs in zwei erziehungswissenschaftlichen Seminaren an der Universität Paderborn bei unseren Kolleginnen Dr. Nicole Gruchel und Prof. Dr. Sandra Landhäußer erproben.
Lessons learned
Grundsätzlich ziehen wir ein sehr positives Fazit aus unser OSTE-Tour im Sommer 2024. Sowohl das Feedback der Studierenden in den informellen Gesprächen nach und während der Durchführung als auch die ersten Einblicke in unsere parallel durchgeführten Fragebogenerhebungen zeigen, dass gerade die Authentizität und berufliche Relevanz des OSTE sehr positiv eingeschätzt werden. Kritischer sind die Studierenden dahingehend, inwiefern sie ihr bisheriges Lehramtsstudium auf diese Prüfungsanforderungen vorbereitet hat. Für die Durchführung des OSTE begegnen wir bei jedem Versuch noch neuen Fallstricken, die bei der Organisation zu beachten sind. Insbesondere das Einhalten eines genauen Zeitplans ist wichtig, um einen reibungslosen Ablauf zu garantieren, da es nach dem Beginn wenig Ausweichmöglichkeiten gibt, wenn man nicht jede Station mehrfach anbieten kann. Auch hatten wir teilweise mit Abbrüchen in der Internetverbindung für unsere simulierten Videokonferenzen zu kämpfen. Generell zeigt sich, dass das große Potential, dass OSTEs für die Lehrkräftebildung bieten, auch wirklich eingelöst werden könnte. Und das nicht nur im Fach Physik. Bis dahin liegt allerdings noch etwas Arbeit vor uns, wie die Auswertung der zahlreich aufgenommenen Videos, der im Nachgang geführten Interviews und der Analysen zum Zusammenhang zum Professionswissen.
Abschließend möchten wir allen danken, die uns bei unserer ersten OSTE-Erprobung unterstützt haben: unseren Kolleg*innen in Bielefeld, Bremen und Paderborn, unseren Schauspieler*innen Ella, Eike, Carlo (für den Einsatz am eigenen Geburtstag), Elena und Jasmin und ganz besonders allen Studierenden, die sich für uns und unser Projekt Zeit genommen haben! Ohne euch hätten wir alles nicht durchführen können. Vielleicht sehen wir uns ja nochmal zur geplanten OSTE-Tour im Wintersemester.
Literatur:
Blömeke, S., Gustafsson, J. E., & Shavelson, R. J. (2015). Beyond dichotomies. Zeitschrift für Psychologie. 223, 3-13. (Online)
Fakhouri, S. A., & Nunes, M. D. P. T. (2019). Objective structured teaching examination (OSTE): an underused tool developed to assess clinical teaching skills. A narrative review of the literature. Sao Paulo Medical Journal, 137, 193-200. (Online)
Feser, M. S. (2019). Physiklehrkräfte korrigieren Schülertexte. Eine Explorationsstudie zur fachlich-konzeptuellen und sprachlichen Leistungsfeststellung und -beurteilung im Physikunterricht. Logos Verlag.
Fischer, F., & Opitz, A. (2022). Learning to diagnose with simulations: Examples from teacher education and medical education. Springer Nature. (Online)
Fraefel, U., & Scheidig, F. (2018). Mit Pragmatik zu professioneller Praxis? Der Core-Practices-Ansatz in der Lehrpersonenbildung. BzL-Beiträge zur Lehrerinnen-und Lehrerbildung, 36(3), 344-364. (Online)
Gerich, M., & Schmitz, B. (2016). Using Simulated Parent-Teacher Talks to Assess and Improve Prospective Teachers‘ Counseling Competence. Journal of Education and Learning, 5(2), 285-301. (Online)
Gulikers, J. T., Kester, L., Kirschner, P. A., & Bastiaens, T. J. (2008). The effect of practical experience on perceptions of assessment authenticity, study approach, and learning outcomes. Learning and Instruction, 18(2), 172-186. (Online)
KMK (2022). Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16.12.2004 i. d. F. vom 07.10.2022). (Online)
Kulgemeyer, C., & Tomczyszyn, E. (2015). Physik erklären – Messung der Erklärensfähigkeit angehender Physiklehrkräfte in einer simulierten Unterrichtssituation. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, 1(21), 111-126. (Online)
Kulgemeyer, C., Kempin, M., Weißbach, A., Borowski, A., Buschhüter, D., Enkrott, P., … & Vogelsang, C. (2021). Exploring the impact of pre-service science teachers’ reflection skills on the development of professional knowledge during a field experience. International Journal of Science Education, 43(18), 3035-3057. (Online)
Schröder, J., Riese, J., Vogelsang, C., Borowski, A., Buschhüter, D., Enkrott, P., … & Schecker, H. (2020). Die Messung der Fähigkeit zur Unterrichtsplanung im Fach Physik mit Hilfe eines standardisierten Performanztests. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, 26(1), 103-122. (Online)
Wotschel, P., Janzen, T., Meier, J., & Vogelsang, C. (2023, 1.4 September). Als Lehrkraft gut beraten? Entwicklung und Erprobung eines handlungsnahen Prüfungsformates zur Erfassung von Beratungskompetenz von Lehramtsstudierenden [Vortrag]. Sektionstagung empirische Bildungsforschung der Arbeitsgruppe für Empirische Pädagogische Forschung (AEPF). Universität Potsdam.
Vom 13.- 15. September 2023 fand an der Universität Potsdam unter dem Motto „Schule und Lehrkräfte. Bildung neu denken“ die Sektionstagung empirische Bildungsforschung der Arbeitsgruppe für Empirische Pädagogische Forschung (AEPF) sowie der Kommission Bildungsplanung, Bildungsorganisation und Bildungsrecht (KBBB) statt. Wir waren mit einigen Beiträgen auf der Tagung vertreten und möchten euch an unseren Eindrücken teilhaben lassen.
Unsere Beiträge
Während am Mittwoch und Freitag eine spannende Vielzahl an Sessions angeboten wurden, stand der Donnerstag für uns ganz im Zeichen unserer Beiträge. Tatsächlich waren diese hintereinander über den Tag verteilt platziert, weshalb sie in drei Akten beschrieben werden können.
Donnerstag Vormittag – Unter dem Titel „‘Die Prüfungen werden mich sicherlich nicht zu einer besseren Lehrkraft machen.‘ Wie beurteilen Studierende Prüfungen und Feedback im Lehramtsstudium?“ präsentierte Christoph einen Beitrag zu den Fragen, wie Lehramtsstudierende ihre Prüfungserfahrungen bewerten, verschiedene Prüfungsformate wahrnehmen und welche Erfahrungen sie mit Feedback auf ihre Prüfungsergebnisse gemacht haben. Die Ergebnisse zweier unserer Befragungen zeigen, dass Lehramtsstudierende eine negative Feedbackkultur erleben und dass die im Lehramtsstudium stark wahrgenommene Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis sich auch in ihren Prüfungserfahrungen widerspiegelt.
Donnerstag Mittag – Im direkten Anschluss stellte Jana ihren Beitrag vor. Dieser trug den Titel „Welche Rolle spielt eine reflexive Haltung für eine qualitätsvolle Unterrichtsreflexion? – Zusammenhänge zwischen einer quasi-experimentellen Einstellung und der Reflexionsperformanz von Lehramtsstudierenden“. In diesem Zusammenhang wurden Ergebnisse einer quantitativen Studie mit N = 460 Lehramtsstudierenden von zwei deutschen Universitäten vorgestellt, in der der Zusammenhang einer quasi-experimentellen Einstellung zur Reflexion (QEE) gemachter Unterrichtserfahrungen und der Reflexionsperformanz mit den Dimensionen ihrer inhaltlichen Breite, der Reflexionstiefe und ihres Bezugs zu Theorien untersucht wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass die befragten Studierenden eine eher ausgeprägte Einstellung zur akribischen Unterrichtsplanung und zur evidenzbasierten Unterrichtsanalyse haben. Das Vertrauen in die Vorhersehbarkeit von Unterrichtsabläufen und die Offenheit für fundierte Theorie fallen dagegen gering aus. Die Reflexionsperformanz der Studierenden ist begrenzt und sie gehen meistens nicht über eine Bewertung, ohne Theoriebezüge, hinaus. Zudem zeigte sich ein kleiner positiver Zusammenhang zwischen den Einstellungen und der Reflexionsbreite und dem Theoriebezug.
Donnerstag Nachmittag – Darauffolgend präsentierte Philipp seinen Beitrag, „Als Lehrkraft gut beraten? Entwicklung und Erprobung eines handlungsnahen Prüfungsformates zur Erfassung von Beratungskompetenz von Lehramtsstudierenden“, der im Symposium „Beratungskompetenz in der Lehrkräftebildung – Wie können angehende Lehrkräfte Beratung erlernen?“, eingebettet war. In diesem Rahmen wurden die Pilotierungsergebnisse und unser Prototyp einer standardisierten, handlungsnahen Prüfung mit dem zugehörigen Bewertungsmodell, zur Erfassung und Beurteilung beratungsbezogenen Verhaltens Lehramtsstudierender, ausführlich vorgestellt.
Inspirationen
Philipps persönliche Höhepunkte auf der AEPF 2023 waren ebenso in diesem Symposium verortet. So gewährte Dr. Frank Behr mit seinem Beitrag, „Professionelle Wahrnehmung schulischer Beratungssituationen. Effekte einer videobasierten Lernumgebung zur Förderung beratungsrelevanter Kompetenzen von angehenden Lehrkräften“, einen Einblick in eine Studie, mit der der Einfluss fremder und eigener Beratungsvideos in einer digitalen Lernumgebung zur Elternberatung auf die Entwicklung der professionellen Wahrnehmung schulischer Beratungssituationen von Lehramtsstudierenden untersucht wurde. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Analyse von fremden und eigenen Beratungsvideos in dieser Lernumgebung die kognitiven Prozesse der professionellen Wahrnehmung von Lehramtsstudierenden aktivieren kann. Im Vergleich zu Kontrollgruppe hat sich in beiden Interventionsgruppen die professionelle Wahrnehmung im Seminarverlauf verändert.
Daneben ging Dr. Scarlett Kobs in Ihrem Beitrag, „Rollenspiele als wirksames Mittel zur Steigerung der Beratungskompetenz bei angehenden Lehrkräften?“, der Frage nach, welchen Effekt Rollenspiele im Vergleich zu schriftlichen Reflexionen auf die Entwicklung der Beratungskompetenz von Lehramts- und Rehabilitationspädagogikstudierenden haben. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass die Intervention einen positiven Effekt auf die selbsteingeschätzte Kompetenz der Studierenden im Explorieren von Gefühlen und Gedanken hatte und, dass das praktische Erproben beraterischer Fertigkeiten zu einem Kompetenzanstieg im Erleben der Studierenden führte.
An dieser Stelle nochmal vielen herzlichen Dank an Dr. Scarlett Kobs für die Organisation des Symposium und an Dr. Charlott Rubach für die wertwolle Diskussion der Einzelbeiträge.
Neben diesen Beiträgen, die auch sehr dicht an unseren eigenen Arbeiten in der Nachwuchsforschungsgruppe liegen, hat Christoph noch zwei weitere Highlights von der Konferenz mit nach Paderborn genommen. In ihrem Vortrag „Optimierung von Lernprozessen in der Hochschulbildung: Eine Untersuchung der Qualität von KI-gestütztem Feedback“ berichteten Lucas Jasper Jacobsen und Dr. Kira Elena Weber von der Leuphana in Lüneburg von einer experimentellen Studie, in dem sie Feedback generiert von einer KI (hier: ChatGPT) mit dem Feedback generiert durch menschliche Expert*innen (hier: Hochschullehrende) und Noviz*innen (hier: Studierende im BA) verglichen. Hierzu ließen sie diese drei Gruppen feedback provider ein bzw. mehrere schriftliche Feedbacks auf ein (fehlerhaft) formuliertes Lernziel für eine Unterrichtsplanung generieren und analysierten diese nach Kriterien für gutes Feedback. Dabei gaben die Expert*innen erwartbar qualitativ höherwertiges Feedback als Noviz*innen (bzgl. Angemessenheit, Fragen & dem Anbieten von Alternativen). Die Ki gab allerdings sogar teilweise besseres Feedback als Expert*innen (bzgl. der Erklärung des Feedbacks & der Spezifität). Dies hing aber jeweils sehr von den genutzten Prompts ab, so dass es in der Diskussion auch primär darum ging, wie diese formuliert sein müssen und evtl. in einer Art Archiv für die Hochschullehre gesammelt werden könnten.
Einen weiteren interessanten Beitrag hielt Dr. Susi Klaß von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Unter dem Titel „Lernen, Unterrichtsgespräche wirksam zu führen: Quasi-experimentelle Ergebnisse zum Modellieren einer Core Practice im Praxissemester“ berichtete sie von einem Lehrkonzept zur Förderung der Kernpraktik Unterrichtsgespräche zu führen bei Lehramtsstudierenden, das im Learning to Teach-Lab Science (LTL:S) durchgeführt wurde, in dem auch mit Simulationen von Gesprächssituationen gearbeitet wurde. Die Ergebnisse zeigten differentielle Befunden (bspw. ergaben sich Unterschiede in der Wirksamkeit verschiedener Lernelemente je nach Methode), aber verdeutlichten nochmals das Potential simulationsbasierten Lernens in der Lehrkräftebildung. Ebenfalls interessant war die Keynote „Empirische Bildungsforschung, evidenzbasierte Bildungspolitik, wissensbasierte Bildungspraxis – Voraussetzungen einer erfolgreichen Wissenstranslation“ von Prof. Dr. Felicitas Thiel von der Freien Universität Berlin, in der sie einen historischen Überblick über die Entwicklung empirischer Bildungsforschung bzw. evidenzbasierter Bildungspraxis in Deutschland gab. Christoph hatte sich bisher bspw. nicht sehr mit der schon um die Jahrhundertwende des 20. Jahrhunderts entwickelten experimentellen Pädagogik beschäfigt (z.B. Meyerhardt, 1910).
Wir haben uns gefreut, auf der AEPF 23 zu Gast sein zu dürfen, waren sehr angetan von der Conference-Dinner-Location und nehmen viele Ideen aus den vielfältigen Beiträgen und Diskussionen mit!
Vorträge:
Behr, F. (2023, 14.09.). Professionelle Wahrnehmung schulischer Beratungssituationen. Effekte einer videobasierten Lernumgebung zur Förderung beratungsrelevanter Kompetenzen von angehenden Lehrkräften. Sektionstagung empirische Bildungsforschung der Arbeitsgruppe für Empirische Pädagogische Forschung (AEPF 2023), Universität Potsdam.
Jacobsen, L., & Weber, K. (2023, 14.09.). Optimierung von Lernprozessen in der Hochschulbildung: Eine Untersuchung der Qualität von KI-gestütztem Feedback. Sektionstagung empirische Bildungsforschung der Arbeitsgruppe für Empirische Pädagogische Forschung (AEPF 2023), Universität Potsdam.
Klaß, S., Hauk. D., Hickethier, F., Dehne, M., Calcagni, E., & Gröscher, A. (2023, 15.09.). Lernen, Unterrichtsgespräche wirksam zu führen: Quasi-experimentelle Ergebnisse zum Modellieren einer Core Practice im Praxissemester. Sektionstagung empirische Bildungsforschung der Arbeitsgruppe für Empirische Pädagogische Forschung (AEPF 2023), Universität Potsdam.
Kobs, S., Ay-Bryson, D.S., Kühne, F., & Knigge, M. (2023, 14.09.). Rollenspiele als wirksames Mittel zur Steigerung der Beratungskompetenz bei angehenden Lehrkräften? Sektionstagung empirische Bildungsforschung der Arbeitsgruppe für Empirische Pädagogische Forschung (AEPF 2023), Universität Potsdam.
Meier, J., Vogelsang, C., Küth, S., Scholl, D., Watson, C., & Seifert, A. (2023, 14.09.). Welche Rolle spielt eine reflexive Haltung für eine qualitätsvolle Unterrichtsreflexion? – Zusammenhänge zwischen einer quasi-experimentellen Einstellung und der Reflexionsperformanz von Lehramtsstudierenden. Sektionstagung empirische Bildungsforschung der Arbeitsgruppe für Empirische Pädagogische Forschung (AEPF 2023), Universität Potsdam.
Meyerhardt, M.W. (1910). Experimentelle Pädagogik. Monatshefte für deutsche Sprache und Pädagogik, 11(1), 1-11. (Online)
Thiel, F. (2023, 14.09.). Empirische Bildungsforschung, evidenzbasierte Bildungspolitik, wissensbasierte Bildungspraxis – Voraussetzungen einer erfolgreichen Wissenstranslation(Keynote). Sektionstagung empirische Bildungsforschung der Arbeitsgruppe für Empirische Pädagogische Forschung (AEPF 2023), Universität Potsdam.
Vogelsang, C, Janzen, T., Meier, J., & Wotschel, P. (2023, 14.09.). „Die Prüfungen werden mich sicherlich nicht zu einer besseren Lehrkraft machen.“ Wie beurteilen Studierende Prüfungen und Feedback im Lehramtsstudium? Sektionstagung empirische Bildungsforschung der Arbeitsgruppe für Empirische Pädagogische Forschung (AEPF 2023), Universität Potsdam.
Wotschel, P., Vogelsang C., Janzen, T., & Meier, J. (2023, 14.09.). Als Lehrkraft gut beraten? Entwicklung und Erprobung eines handlungsnahen Prüfungsformates zur Erfassung von Beratungskompetenz von Lehramtsstudierenden. Sektionstagung empirische Bildungsforschung der Arbeitsgruppe für Empirische Pädagogische Forschung (AEPF 2023), Universität Potsdam.
Das erste Paper im Kontext unserer Nachwuchsgruppe ist nun open access verfügbar! In dem Artikel gehen wir der Frage nach, wie Lehramtsstudierende rollenspielbasierte Simulationen wahrnehmen. In dieser Kurzzusammenfassung geben wir euch einen kurzen Überblick über die wichtigsten Aspekte. Tiefergehende Informationen z.B. zur Theorie und Methodik findet ihr im Artikel selbst. Hier kommt ihr direkt zum Artikel in der Zeitschrift die hochschullehre.
Was sind Kontext und Ziele der Studie?
Oft wird kritisiert, dass das Lehramtsstudium einen zu geringen Bezug zur späteren Berufspraxis habe (vgl. Cramer, 2014). Wie wir auf diesem Blog auch schon oft angesprochen haben, könnten rollenspielbasierte Simulationen eine Möglichkeit sein, handlungsnahe Kompetenzen, die relevant für die spätere Berufspraxis sind, schon in der Hochschule zu üben und insbesondere zu prüfen. Um einen ersten Eindruck davon zu gewinnen, wie Studierende als prospektive Testpersonen solche Formate wahrnehmen, haben wir einen Teil davon befragt.
Unsere Forschungsfragen waren:
Inwiefern haben Lehramtsstudierende im Laufe ihres Studiums Erfahrungen mit Rollenspielen (oder ähnlichen Simulationen) als Prüfungs- und/oder Übungsformat gemacht?
Wie beurteilen Lehramtsstudierende Rollenspiele (oder ähnliche Simulationen) als Prüfungsformat im Lehramtsstudium?
Wie sind wir vorgegangen?
In einer standardisierten Online-Umfrage haben wir N = 620 Lehramtsstudierende aus dem Master of Education an der Universität Paderborn befragt. In dem Fragebogen gab es sowohl offene Fragen, als auch geschlossene Fragen. Die offenen Fragen haben wir inhaltsanalytisch (Kuckartz, 2016), die geschlossenen Fragen zunächst deskriptiv ausgewertet und im Anschluss durch Faktorenanalyse zu Skalen (Authentizität, Fairness, Transparenz) zusammengefasst.
Was sind die wichtigsten Ergebnisse?
Ein Großteil der Studierenden (71,8%) hat noch keinerlei Erfahrungen mit Rollenspielen oder anderen simulationsbasierten Formaten, egal ob als Übung oder Prüfung.
85,8% der Studierenden gaben an, keine Erfahrungen mit Rollenspielen als Prüfungsformat zu haben.
8,5% der Studierenden haben Erfahrungen mit Rollenspielen als unbenotete Prüfung, 0,5% (n=3) als benotete Prüfung.
Studierende, unabhängig ob mit oder ohne Erfahrung, sehen in Rollenspielen einen hohen Grad an Authentizität, sind aber eher skeptisch was Transparenz und Fairness angeht.
Positiv wurde von den Studierenden herausgestellt, dass Rollenspiele einen hohen Bezug zur Berufspraxis aufzeigen würden. Kritisch wurde aber betrachtet, ob so ein Format es wirklich erlaube zu zeigen, was man könne und ob dies objektiv bewertbar sei.
Wie sind die Ergebnisse zu betrachten?
Studierende im Lehramt der Universität Paderborn haben bisher wenig Berührungspunkte mit rollenspielbasierten Simulationen, obwohl andere Professionen, wie die Medizin, diese schon länger einsetzen.
Erkennbar ist, dass Studierenden das Format als authentisch für den späteren Beruf einschätzen, aber auch, dass es für sie wichtig ist, dass die Bewertungsmaßstäbe transparent und möglichst objektiv sind. Wir vermuten, dass es hier, trotz Erklärungen im Fragebogen, aber auch zu Missverständnissen gekommen sein könnte, was das Format des Rollenspiels angeht, und diese nicht mit dem Grad der Standardisierung assoziiert wurden, wie es in simulationsorientierten Prüfungen üblich ist. Den aktuellen Arbeiten in den Projekten von Philipp und Thomas, in denen sie sich mit Bewertungsmöglichkeiten von rollenspielbasierten Simulationen auseinandersetzen, kommt also auch aus Studierendensicht eine zentrale Relevanz zu.
Einschränkend möchten wir erwähnen, dass die Befragung nur an einer Universität statt. Letztendlich gibt uns diese Studie aber erste Indizien darauf, was Studierende mit Rollenspielen im Lehramt verbinden und welche Einstellungen Sie bezüglich des Einsatzes dieser als Prüfung haben.
Interesse geweckt? Die umfassende Darstellung des Vorgehens und der Ergebnisse sind im Artikel zusammengefasst und open-access abrufbar. Wir freuen uns über Nachfragen, Anmerkungen und weitere, anregende Ideen!
Literatur:
Cramer, C. (2014). Theorie und Praxis in der Lehrerbildung. Bestimmung des Verhältnisses durch Synthese von theoretischen Zugängen, empirischen Befunden und Realisierungsformen. DDS – Die Deutsche Schule, 106(4), 344–357. (Link)
Kuckartz, U. (2016). Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung. Beltz.
Meier, J., Janzen, T., Wotschel, P. & Vogelsang, C. (2023). Rollenspielbasierte Simulationen als Übungs- und Prüfungsformate im Lehramtsstudium. Eine explorative Studie zu Erfahrungen und Einschätzungen aus Studierendensicht. die hochschullehre, Jahrgang 9/2023. (Link)
Am 23. Mai 2023 fand der 11. Tag der der Lehre an der Universität Paderborn nach längerer pandemiebedingter Unterbrechung wieder in Präsenz statt. Der Tag der Lehre bietet Lehrenden und Studierenden aller Fakultäten die Möglichkeit, über Fragen der Lehre an der Hochschule in den Austausch zu treten. Dabei werden innovative Lehr-Lern-Formate vorgestellt, sowie hochschuldidaktische Entwicklungen und Möglichkeiten zur Verbesserungen bestehender Lehre diskutiert. Dieses Jahr stand der Tag der Lehre unter dem Leitthema „Teaching to the Test?“ – Prüfungs- und Studienleistungen sinnvoll gestalten. Da dies genau unser Forschungsthema ist, war es naheliegend, dass auch wir als Nachwuchsforschungsgruppe unsere Arbeit vorstellen. Aber der Reihe nach ;).
Den Auftakt bildete eine spannende Online-Keynote von Prof. Dr. Doris Weßels von der Fachhochshule Kiel, die einen Überblick in die Funktionsweise und den aktuellen Stand der Technik von Large Language Models wie ChatGPT gab und wie diese auch schon in weiterer Software für den Bildungsbereich, insbesondere an Hochschulen, genutzt werden (z.B. als Assistenzsysteme zum Schreiben von Abschlussarbeiten). Dabei reflektierte sie auch, welche Veränderungen sich insbesondere für Prüfungen an der Hochschule ergeben können bzw. sollten. Diese Frage wurde in der anschließenden Podiumsdiskussion weiter vertieft (z.B. bis hin zu der Frage, ob der Umgang mit derartigen Assistenzsystemen nicht Gegenstand von Lehre und Prüfungen sein sollte).
Danach wurden in verschiedenen Formaten innovative Lehrprojekte der Universität Paderborn vorgestellt bzw. die Teilnehmenden konnten sich in Workshops weiterbilden. Bspw. stellten Isabel Elsner und Franziska Pilz im Themenforum ihr preisgekröntes kollaboratives Seminarkonzept für das Lehramtsstudium im Fach Geschichte vor, in dem Studierende aufbauend auf geschichtsdidaktischen Ansätzen unterrichtspraktische Vorschläge erarbeitet haben. Auf diese erhielten sie dann peer review-artiges Feedback durch ihre Kommiliton*innen. Im Themenforum stellte auch Christoph den Ansatz des simulationsbasierten Prüfens für das Lehramtsstudium vor. Wie im Call zu Veranstaltung gewünscht im Format eines TED Talks. Es waren daher viele Folien mit weißer Schrift auf schwarzem Hintergrund ;).
Bildnachweis: (c) Thomas Janzen
Im Disqspace am späten Nachmittag stellte Philipp einen unserer Performanztests noch einmal ausführlicher vor und die Teilnehmenden konnten ihn auch direkt selbst testen (Danke an unsere Schauspielerinnen Jasmin, Hannah und Elena!). Das haben erfreulicherweise auch einige Personen gewagt. Daraus ergaben sich interessante Gespräche, vor allem zur Übertragbarkeit des Konzepts in andere Studiengänge. Wir hoffen, dass wir einige Teilnehmende anregen konnten, evtl. selbst performanzorientierte Prüfungsverfahren zu entwickeln.
Insgesamt war es eine abwechslungsreiche und spannende Veranstaltung. Vielen Dank an das Team der Stabstelle Bildungsinnovation und Hochschuldidaktik für die gelungene Organisation (mit – wichtig! – ausreichend Kaffee und Snacks ;)).
Vorträge:
Elsner, I., & Pilz, F. (2023, 23. Mai). Geschichtsdidaktische Theorie-Praxis-Transfers am Beispiel des Medienwandels in historischer Perspektive. Vortrag auf dem 11. Tag der Lehre 2023. Universität Paderborn.
Vogelsang, C. (2023, 23. Mai). Assessment drives learning – Simulationsbasiertes Prüfen im Lehramtsstudium. Vortrag auf dem 11. Tag der Lehre 2023. Universität Paderborn.
Wotschel, P., Janzen, T., Vogelsang, C., & Meier, J. (2023, 23. Mai). Von Feedback bis Beratung – Prüfen handlungsnaher Kompetenzen im Lehramtsstudium in standardisierten Gesprächssimulationen. Beitrag im Disqspace „Innovative Lehrprojekte an der Universität Paderborn“ auf dem 11. Tag der Lehre 2023. Universität Paderborn.
Weßels, D. (2023, 23. Mai). Künstliche Intelligenz trifft auf Hochschullehre: Potenziale und Herausforderungen von ChatGPT &Co. für die Zukunft von Lehren und Lernen. Vortrag auf dem 11. Tag der Lehre 2023. Universität Paderborn.
In unserer Artikelreihe zum Täuschen und Betrügen bei Prüfungen im Studium haben wir schon mehrfach feststellen können: auch die Hochschule ist von Schummelei und Betrug nicht frei (nur, falls das jemand ernstlich erwartet hätte…). In dieser Reihe schauen wir etwas genauer auf empirische Forschungsergebnisse zu akademischem Fehlverhalten. Im ersten Beitrag lag der Fokus auf verschiedenen Arten des Fehlverhaltens im Studium. Der zweite Beitrag behandelte Methoden, dieses Verhalten auch empirisch zu erfassen. Der dritte Beitrag drehte sich darum, wie verbreitet verschiedene Formen akademischen Fehlverhaltens eigentlich sind, während wir im zweigeteilten vierten Beitrag (Teil1, Teil 2) die vielfältigen Forschungsergebnisse zu möglichen Gründen und Ursachen dargestellt haben. In diesem Beitrag geht es nun um mögliche Maßnahmen, die ergriffen werden können, um akademischem Fehlverhalten zu begegnen. Dabei gehen wir auch der Frage nach, als wie wirksam bzw. erfolgreich sich verschiedene Maßnahmen erwiesen haben.
Was könnte man tun?
Zum Umgang mit Täuschungen bei Prüfungen in der Hochschule existieren verschiedene Ansätze und Maßnahmen. Einige beziehen sich übergreifend auf akademisches Fehlverhalten generell, während zugleich auch Maßnahmen vorgeschlagen werden, die auf spezifische Arten des Fehlverhaltens zielen. Grundsätzlich lassen sich Maßnahmen aber danach unterscheiden, ob sie eher dabei unterstützen, akademisches Fehlverhalten zu erkennen, um entsprechend darauf reagieren zu können. Oder, ob sie helfen sollen, das Aufkommen akademischen Fehlverhaltens präventiv zu verhindern (vgl. Sattler et al., 2017).
Detektion: Dies umfasst Maßnahmen, um bestehende Täuschungsversuche aufzudecken, bspw. die Nutzung von Plagiatserkennungssoftware bei Hausarbeiten (vgl. Awasthi, 2019), das Prüfen bzw. Nachrechnen, ob Datensätze evtl. erfunden wurden (Sattler et al., 2017) oder auch einfach das Beaufsichtigen bei Klausuren (Cizek, 1999). In Online-Prüfungen, die auch im Zuge der Distanzlehre während der COVID-19-Pandemie vermehrt durchgeführt wurden, kamen auch weitere Maßnahmen zur Detektion von Täuschungsversuchen hinzu (z.B. Videoüberwachung bei der Bearbeitung von Online-Klausuren, Holden et al., 2021). Das Aufdecken eines Täuschungsversuchs, mit welcher Maßnahme auch immer, ist meistens damit verbunden, dass auch eine Konsequenz für die täuschende Person folgt (in vielen Prüfungsordnungen als minimale Folge das automatische Nicht-Bestehen einer Prüfung).
Prävention: Dies meint Maßnahmen, die ergriffen werden, damit mögliche Täuschungs- und Betrugsversuche gar nicht erst auftauchen. Hierbei lassen sich zum einen Maßnahmen unterscheiden, die auf eine Gestaltung der Prüfungsbedingungen fokussieren. Hierunter fallen bspw. das Herstellen von großen Abständen zwischen Prüflingen in Klausuren, um Abschreiben zu erschweren (Yee & MacKown, 2009; Cizek, 1999) oder das Einschränken von möglichen Hilfsmitteln (z.B. nur einen Stift in Klausuren). Zum anderen finden sich Maßnahmen, die eher die Studierenden selbst in den Blick nehmen, so dass diese von sich aus keine Täuschungsversuche unternehmen. Dies reicht z.B. von Veränderungen im Studienplan, um Prüfungsdruck zu verringern (vgl. Parthner, 2020), über Schulungen zum wissenschaftlichen Arbeiten (Johannes et al., 2014) bis hin zu Honor Codes (McCabe et al., 1999). Bei Letzteren handelt es sich um „a community code of conduct guided by ethical principles defining the expecations for students tot act with honesty and integrity and acknowleding the sharde responsibilty of all members.“ (Tatum, 2022, 33). Ein solcher Verhaltenskodex ist mit einer expliziten Selbstverpflichtung verbunden und kann mit weiteren Maßnahmen (z.B. Veranstaltungen zur Einführung in wissenschaftliches Arbeiten) einhergehen kann, muss es aber nicht. Seinen Ausdruck findet solch ein Kodex bspw. häufig darin, dass Studierende bei Abgaben schriftlicher Prüfungsleistungen mit einer Unterschrift erklären müssen, eine Arbeit nach Standards akademischen Arbeitens angefertigt zu haben (in Deutschland oft so genannte Selbstständigkeitserklärungen).
Die Zuordnung der einzelnen Maßnahmen zu den beiden Kategorien ist nicht trennscharf, da Detektionsmaßnahmen natürlich auch präventiv wirken sollen. Sie erhöhen die Entdeckungswahrscheinlichkeit von Täuschungsversuchen, womit die Hoffnung verbunden ist, dass Studierende aufgrund der erwarteten negativen Folgen nicht versuchen, zu betrügen. Grundsätzlich fokussiert aber jede Maßnahme mehr oder weniger stark auf bestimmte Ursachen akademischen Fehlverhaltens bzw. steht mit verschiedenen Merkmalen der zu Prüfenden in Verbindung (siehe hierzu auch unseren vierten Beitrag in der Reihe). Während Detektionsmaßnahmen versuchen, negative Folgeerwartungen herzustellen, zielt die Herstellung bestimmter Testbedingungen darauf, keine Gelegenheiten für Fehlverhalten zuzulassen, damit Prüflinge gar nicht erst in Versuchung kommen. Der Ansatz solcher Maßnahmen beruht dabei eher auf einer negativen Fokussierung auf das falsche Verhalten (vgl. Lancaster, 2021). Maßnahmen mit dem Ziel, Kompetenzen, Selbstwirksamkeitserwartungen und positive Einstellungen Studierender zu verändern, werfen eher einen positiven Blick auf das richtige akademische Verhalten. Ihr Ziel ist daher die Förderung einer akademischen Integrität (Bretag, 2016), also, dass Studierende für sich selbst die Standards guter akademischer Praxis als Norm übernehmen und sich auch in der Lage fühlen diese umzusetzen. Sie haben daher auch eine moralische Komponente, die sich insbesondere in den schon erwähnten Honor Codes ausdrückt (vgl. Tatum, 2022).
Was wird wirklich getan?
Generell sind also eine Vielzahl von Maßnahmen zum Umgang mit akademischem Fehlverhalten möglich. Ob diese auch ihr Ziel erreichen, hängt neben der Frage, welche Maßnahmen eine Hochschule wählt, auch davon ab, wie diese genau implementiert werden und ob sie von Prüfenden selbst auch wirklich umgesetzt werden (vgl. Parthner, 2020). Dies bezieht sich bspw. darauf, welche Sanktionen für Fehlverhalten durchgesetzt werden, ob überhaupt systematisch Maßnahmen in Studiengängen verankert sind oder welche Personen für den Umgang mit akademischem Fehlverhalten zuständig sind. Zur Frage, welche Maßnahmen wie an Hochschulen implementiert werden, liegen ein paar Untersuchungen vor, die sich neben dem jeweiligen nationalen Hochschulkontext aber auch darin unterscheiden, welche Aspekte in den Fokus gerückt werden (z.B. Organisation von Angeboten, Zuständigkeiten, Maßnahmen).
Miron et al. (2021) analysierten bspw. auf Grundlage einer Befragung von N = 74 kanadischen Hochschulen, inwiefern diese Tutorials bzw. Kurse zur akademischen Integrität implementieren. Kurse zur akademischen Integrität werden dabei an 45 der befragten Hochschulen (60,8 %) angeboten, meist im Rahmen eines Moduls im ersten Semester, die aber meist nur einem Drittel der Studierenden zugänglich sind (also im Studienplan). Sie umfassen Tutorials mit Gesamtumfang von unter einer Stunde bis zu vier Stunden. Diese werden von Dozierenden, aber auch oft von Mitarbeiter*innen der Bibliotheken durchgeführt. In den Kursen waren die am drei am häufigsten thematisierten Inhalte das Plagiieren, Paraphrasieren und richtige Zitieren.
Für den deutschen Kontext berichten Sattler et al. (2017), wie häufig zehn ausgewählte Maßnahmen zur Detektion und Prävention akademischen Fehlverhaltens von Hochschullehrenden eingesetzt werden und welche Faktoren die Einsatzhäufigkeit beeinflussen. Basis ist eine Online-Befragung mit Selbstberichten von insgesamt N = 3655 Personen an vier deutschen Universitäten. Dabei mussten die Befragten für jede Maßnahme auf einer sieben-stufigen Skala einschätzen, wie häufig sie sie einsetzten (von 0 = nie bis 6 = immer). Zusammengefasst ergab sich dabei die folgende Reihung der am häufigsten genutzten Maßnahmen (in Klammern sind MW und SD der Skalenwerte angegeben, Sattler et al., 2017, 1131):
Dafür Sorge tragen, das Studierende bei Klausuren ausreichen Abstand voneinander haben (MW = 5,16 ; SD = 1,26).
Sicherstellen, dass bei Klausuren verbotene Hilfsmittel nicht genutzt werden(MW = 5,04 ; SD = 1,26).
Nutzung von Suchmaschinen zur Plagiatskontrolle (MW = 2,44 ; SD = 1,89).
Nutzung von Software zur Plagiatserkennung (MW = 1,38 ; SD = 1,99).
In dieser Liste zeigt sich natürlich auch, dass bestimmte Prüfungsformate von den Befragten häufiger selbst durchgeführt werden als andere. Als wichtige Einflussfaktoren ergaben sich in Regressionsanalysen bspw. die von den Dozierenden eingeschätzte Effektivität von Maßnahmen, der eingeschätzte Aufwand und inwiefern ein Einsatz von der Hochschuladministration erwartet wird. Moralische Orientierungen oder das Gefühl durch Täuschungen persönlich beleidigt zu sein, erwiesen sich als weniger wichtig. Generell ist die Haltung von Hochschullehrenden zum Umgang mit akademischem Fehlverhalten ein relevanter Faktor, der die Implementation von Maßnahmen positiv oder negativ beeinflussen kann (vgl. De Maio & Dixon, 2022; Lynch et al., 2021). Dies betrifft insbesondere die Einstellungen und Motive, akademisches Fehlverhalten zu melden bzw. zu sanktionieren.
Was davon bringt etwas?
Zur Frage, wie wirksam bestimmte Maßnahmen sind, also inwiefern sie dazu beitragen, dass akademisches Fehlverhalten reduziert wird, liegen vergleichsweise wenig Untersuchungen vor, die sich zudem im Forschungsansatz und im Fokus auf bestimmte Maßnahmen unterscheiden. Meist wird das Plagiieren betrachtet. Die Vergleichbarkeit von Forschungsergebnissen wird zudem dadurch erschwert, dass meist nicht die Wirkung einer spezifischen Maßnahme an sich untersucht werden kann, sondern eher die Wirkung einer konkreten Implementation in einem ganzen Programm (vgl. MacFarlane et al., 2014). Auch sind Studien, die ein experimentelles Kontrollgruppendesign verwenden (vgl. Bortz & Döring, 2016) aus ethischen Gründen schwierig, da man bei einer Kontrollgruppe, die keiner Maßnahme ausgesetzt wird, natürlich absichtsvoll ein Verhalten mit potentiell negativen Folgen (z.B. Nicht-Bestehen) zulässt. Nichtsdestotrotz können natürlich einige Ergebnisse zur Wirkung von Maßnahmen herangezogen werden. Trivial sind Erkenntnisse, dass der Einsatz von Detektionsmaßnahmen das Aufdecken von Fehlverhalten erhöht (z.B. Awasthi, 2019 für Plagiatssoftware). Fehlverhalten, dass sonst nicht bekannt wäre, kann dann natürlich entsprechend sanktioniert werden. Interessanter sind daher Untersuchungen zur Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen.
Relative gute Evidenz liegt dafür vor, dass Honor Codes akademisches Fehlverhalten reduzieren.„Overall, multiple studies spanning three decades have established that the presence of an honor code reduces academic misconduct and self-reported cheating and improves academic integrity in college students […]“ (Tatum, 2022, 34), wobei es nicht auf die reine Existenz ankommt, sondern dass diese auch an verschiedenen Stellen während Studiums eingesetzt bzw. angewendet werden (z.B. bei Selbständigkeitserklärungen) (vgl. McCabe et al., 1999). Insbesondere tragen Honor Codes dazu bei, dass Studierende selbst ein genaueres und korrektes Verständnis akademischen Fehlverhaltens erhalten und sich entsprechende soziale Normen innerhalb einer Hochschule entwickeln (Tatum, 2022). Explizite Kurse zu korrektem akademischen Verhalten bzw. zum korrektem wissenschaftlichen Arbeiten wirken sich ebenfalls positiv aus (z.B. Djokovic et al., 2022; Perkins et al., 2020). Niedrigschwellige Maßnahmen wie freiwillige Plagiatskontrollen bei studentischen Texten scheinen auch einen positiven Einfluss zu haben, allerdings die Einstellung zu akademischer Integrität nicht stark zu beeinflussen (Kohl, 2011).
A new hope…
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass zur Reduktion akademischen Fehlverhaltens integrierte Ansätze vielversprechend sind, die sowohl Studierenden wie Prüfenden die Bedeutung akademischer Integrität deutlich machen und zugleich alle beteiligen Gruppen auf verschiedenen Ebenen fortbilden (vgl. De Maio & Dixon, 2020; Schuh, 2014). Für die Wirksamkeit spezifischer anderer Maßnahmen liegen allerdings erstaunlich wenig empirische Untersuchungen vor (oder ich habe sie einfach nicht gefunden). Mit Bezug auf die Arbeit in unserer Nachwuchsforschungsgruppe ist zudem wichtig, dass auch bei performanzorientierten Prüfungsverfahren Täuschungsversuche vorkommen können, die sich negativ auf die Validität der Ergebnisse auswirken (Gortzmann et al., 2017). Dabei ist als zentrale Maßnahme zu vermeiden, dass Testinhalte und -materialien im Vorfeld bekannt werden.
Neben Täuschungen bei Prüfungen existieren allerdings noch weitere Arten akademischen Fehlverhaltens, die sich nicht unmittelbar, aber indirekt auf Prüfungen beziehen und andere Maßnahmen zur Prävention erfordern. Diese betrachten wir in unserem vorletzten Beitrag zu dieser Reihe. Er wird hier verlinkt, sobald er online ist.
Literatur:
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Awasthi, S. (2019). Plagiarism and academic misconduct: A systematic review. DESIDOC Journal of Library & Information Technology, 39(2). (Online)
Bertram Gallant, T., & Rettinger, D. (2022). An introduction to 30 years of research on academic integrity. Journal of College and Character, 23(1), 1-5. (Online)
Bortz, J., & Döring, N. (2016). Forschungsmethoden und Evaluation für Human-und Sozialwissenschaftler: Limitierte Sonderausgabe (5. Aufl.). Springer. (Online)
Bretag, T. (2016). Defining Academic Integrity: International Perspectives – Introduction. In T. Bretag (Ed.), Handbook of Academic Integrity (pp. 3-6). Springer Nature. (Online)
Cizek, G. J. (1999). Cheating on tests: How to do it, detect it, and prevent it. Routledge.
De Maio, C., & Dixon, K. (2022). Promoting academic integrity in institutions of higher learning: What 30 years of research (1990-2020) in Australasia has taught us. Journal of College and Character, 23(1), 6-20. (Online)
Djokovic, R., Janinovic, J., Pekovic, S., Vuckovic, D., & Blecic, M. (2022). Relying on Technology for Countering Academic Dishonesty: The Impact of Online Tutorial on Students’ Perception of Academic Misconduct. Sustainability, 14(3), 1756. (Online)
Gotzmann, A., De Champlain, A., Homayra, F., Fotheringham, A., de Vries, I., Forgie, M., & Pugh, D. (2017). Cheating in OSCEs: The impact of simulated security breaches on OSCE performance. Teaching and Learning in Medicine, 29(1), 52-58. (Online)
Holden, O. L., Norris, M. E., & Kuhlmeier, V. A. (2021). Academic integrity in online assessment: A research review. Frontiers in Education, 6, 639814. (Online)
Johannes, D., Moritz, M. T., & Oestreicher, W. (2014). Gute Begleitung wissenschaftlicher Arbeiten als Ansatz zur Prävention akademischen Fehlverhaltens. Information-Wissenschaft & Praxis, 65(1), 3-8. (Online)
Kohl, K. E. (2011). Geschummelt wird selten: Erfahrungen mit der“ Freiwilligen Plagiatskontrolle“ für Studierende. Zeitschrift für Hochschulentwicklung, 6(2), 159-171. (Online)
Lancaster, T. (2021). Academic Dishonesty or Academic Integrity? Using Natural Language Processing (NLP) Techniques to Investigate Positive Integrity in Academic Integrity Research. Journal of Academic Ethics, 19, 364-383. (Online)
Lynch, J., Salamonson, Y., Glew, P., & Ramjan, L. M. (2021). “I’m not an investigator and I’m not a police officer“-a faculty’s view on academic integrity in an undergraduate nursing degree. International Journal for Educational Integrity, 17(1), 1-14. (Online)
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McCabe, D. L., Trevino, L. K., & Butterfield, K. D. (1999). Academic integrity in honor code and non-honor code environments: A qualitative investigation. The Journal of Higher Education, 70(2), 211-234. (Online)
Miron, J., Eaton, S. E., McBreairty, L., & Baig, H. (2021). Academic integrity education across the Canadian higher education landscape. Journal of academic ethics, 19(4), 441-454. (Online)
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Sattler, S., Wiegel, C., & Veen, F. V. (2017). The use frequency of 10 different methods for preventing and detecting academic dishonesty and the factors influencing their use. Studies in Higher Education, 42(6), 1126-1144. (Online)
Schuh, D. (2014). Auf dem Weg zur akademischen Integrität–Ziele und Maßnahmen des Projekts „Akademische Integrität. Information-Wissenschaft & Praxis, 65(1), 41-50. (Online)
Tatum, H. E. (2022). Honor codes and academic integrity: Three decades of research. Journal of College and Character, 23(1), 32-47. (Online)
Yee, K., & MacKown, P. (2009). Detecting and preventing cheating during exams. In T. Twomey, H. White, & K. Sagendorf, Pedagogy, Not Policing – Positive Approaches to Academic Integrity a University (pp.141-147). The Graduate School Press.
In unserer Artikelreihe zum Täuschen und Betrügen bei Prüfungen im Studium – auch als akademisches Fehlverhalten bezeichnet (zum Beginn der Reihe geht es hier) – setzen wir uns in diesem Beitrag weiter mit der Frage auseinander, aus welchen Gründen Studierende Täuschen bzw. welche Faktoren wissenschaftliches Fehlverhalten begünstigen. Auch mit dem Ziel, um in einem nächsten Schritt mögliche Maßnahmen zur Vermeidung von Fehlverhalten fundierter einschätzen zu können. Weil in der empirischen Bildungsforschung hierzu eine sehr große Anzahl an Untersuchungen und Erkenntnissen vorliegen, haben wir ihn in zwei Teile unterteilt. Im ersten Teil haben wir drei unterschiedliche Merkmalskategorien unterschieden und zunächst Ergebnisse zu Einflussfaktoren betrachtet, die sich auf Merkmale der Studierenden beziehen. In diesem Beitrag werden wir einen genaueren Blick auf Merkmale der Institution und Merkmale des sozialen Umfelds werfen, die in einem Zusammenhang mit dem Ausmaß akademischen Fehlverhaltens von Studierenden bezogen auf Prüfungsleistungen stehen.
Ein paar Hinweise
Wie auch für die dargestellten empirischen Untersuchungen im ersten Teil des Beitrags müssen auch hier die Unterschiede in der theoretischen und methodischen Ausrichtung der einzelnen Studien bei der Interpretation beachtet werden (Näheres haben wir im ersten Teil beschrieben). Wir stellen daher Ergebnisse auch hier eher überblicksartig dar. Auch in diesem zweiten Teil handelt es sich bei den meisten Untersuchungen um Querschnittsbefragungen, bei denen die Studierenden zu einem festen Zeitpunkt befragt wurden. Die gefundenen korrelativen Zusammenhänge liefern auch hier meist nur einen Hinweis auf mögliche Ursachen und können für sich allein keine Kausalität begründen. Hierzu wären bspw. Längsschnittstudien notwendig (vgl. Reinders, 2006).
2. Merkmale der Institution
Hiermit sind Faktoren gemeint, die sich auf die jeweilige Hochschule bzw. die konkrete Lernumgebung beziehen, in der Prüfungen stattfinden (müssen). Allerdings geht es weniger allein darum, über welche beobachtbaren, objektiven Merkmale ein Studium oder eine Lernumgebung an sich verfügt (z.B. den rein zeitlichen Umfang von Lehrveranstaltungen). Um den Einfluss auf akademisches Fehlverhalten zu betrachten, geht es eher darum, wie die Merkmale einer Institution von den in ihr studierenden Studierenden (ein Smiley 😉 für das Wortspiel) wahrgenommen werden (vgl. Sattler & Diewald, 2013). Erst die Interpretation dieser Merkmale durch die Studierenden kann dann einen Einfluss auf mögliches Verhalten der Studierenden haben. Daher wird in den meisten Untersuchungen auch meist erfragt, wie Studierende die Merkmale ihrer Institution einschätzen und weniger, welche Merkmale auch für Außenstehende beobachtbar vorliegen. Streng genommen könnte man also sagen, dass dies auch Merkmale der Studierenden sind (in diesem Fall ihre Einschätzungen zur Lernumgebung), wie wir sie schon im ersten Teil dieses Beitrags betrachtet haben. Eine genauere Unterscheidung ist aber dennoch hilfreich, um einzelne Einflussfaktoren besser betrachten zu können.
Konsequenzen von Fehlverhalten: Ein wichtiges Merkmal der Institution, dass sich auf die Häufigkeit akademischen Fehlverhaltens bzw. die Neigung Studierender zu akademischem Fehlverhalten auswirkt, sind die Folgen, die ein Aufdecken für die Studierenden haben. Dies wurde in einigen Untersuchungen mit Hilfe von Wert-Erwartungs-Theorien modelliert (vgl. Moss et al., 2018; Eccles & Whigfield, 2002). Im Prinzip kann Täuschen für Studierende als Kosten-Nutzen-Abwägung interpretiert werden. Sind die wahrgenommenen Kosten für Fehlverhalten im Vergleich zum Nutzen hoch, also die Konsequenzen eher schwer (z.B. Exmatrikulation im Gegensatz zu einem „einfachen“ Durchfallen durch eine Prüfung), dann ist die Häufigkeit von bzw. Bereitschaft zu Fehlverhalten geringer (z.B. Yu et al., 2017; Schuhmann et al., 2013; Teixeira & Rocha, 2010; Crown & Spiller, 1998; vgl. Gama et al., 2013). Dabei kommt es zusätzlich darauf an, wie die Studierenden die Wahrscheinlichkeit einschätzen, dass ein Fehlverhalten aufgedeckt wird, sie also beim „Schummeln“ erwischt werden (Sattler et al., 2013; Sattler & Diewald, 2013; Teixeira & Rocha, 2010; Grimes et al., 2004; Crown & Spiller, 1998; vgl. Davy et al., 2007). Es geht also darum, inwiefern Studierende die Möglichkeit sehen, sich überhaupt Vorteile durch Täuschungsverhalten in Prüfungen zu verschaffen. Wird diese Möglichkeit als höher eingeschätzt, ist Fehlverhalten häufiger (Sattler et al., 2013). Die Konsequenzen von Fehlverhalten unterscheiden sich an Hochschulen meist in Abhängigkeit von der Prüfungsform. Für den Umgang mit Plagiaten (bspw. in Abschlussarbeiten) gibt es an vielen Hochschulen festgelegte Sanktionen, die eher als schwere Konsequenz interpretiert werden können. Für das Abschreiben in Klausuren sind solche Sanktionen meist weniger festgelegt. Die Zusammenhänge von Fehlverhalten und Konsequenzen bzw. erwarteter Entdeckungswahrscheinlichkeit unterscheiden sich daher in Untersuchungen auch ein wenig in Abhängigkeit davon, welche Prüfungsformate betrachtet werden. So werden bspw. Konsequenzen für das Plagiieren in Haus- oder Abschlussarbeiten von Studierenden höher bzw. schlimmer eingeschätzt als für das Betrügen in Klausuren (vgl. Sattler & Diewald, 2013).
Druck und Studienbelastung: Ein weiterer Faktor, der sich auf die Häufigkeit akademischen Fehlverhaltens bei Studierenden auswirken kann, ist, wie belastend der Umfang des Studiums wahrgenommen wird. Haben Studierende das Gefühl im Studium stärker unter Zeitdruck und Stress zu stehen, geben sie auch eher Fehlverhalten an (z.B. Waltzer & Dahl, 2022; Brimble, 2016; Sattler & Diewald, 2013; Whitley, 1998). Ebenso hängt eine hohe wahrgenommene Workload, also ein hoher zeitlicher Umfang für das Studieren, mit akademischem Fehlverhalten zusammen (Gama et al., 2013; Devlin & Gray, 2007; vgl. Peters et al., 2022). Diese Gründe für Fehlverhalten werden auch insbesondere von Lehramtsstudierenden angegeben (Erek & Ok, 2014). Hierbei geht es primär um die empfundene Workload bzw. die damit verbundene Belastung. Studierende, die zum Prokrastinieren neigen (vgl. Patrzek et al., 2015, siehe auch den ersten Teil dieses Beitrags), können auch dazu neigen, den zeitlichem Umfang als höher einzuschätzen. Welcher Faktor die Ursache für den jeweils anderen ist, sei einmal dahin gestellt. Auch wenn Studierende sich selbst stärker unter Druck setzen oder von ihrem Umfeld (z.B. den Eltern) unter Druck gesetzt werden, akademisch erfolgreich sein zu müssen, kann dies mit einer höher wahrgenommenen Belastung zusammenhängen, was wiederum Fehlverhalten wahrscheinlicher machen kann (Tremayne & Curtis, 2021; Fatima et al., 2020; vgl. Brimble, 2016; vgl. Eret & Ok, 2014). Es bietet dann einen (vermeintlich) leichteren Ausweg. Lehrorganisatorische Entscheidungen können ebenfalls einen ungünstigen Einfluss auf diese Prozesse haben und dabei ungewollt Fehlverhalten fördern. Ist z.B. eine bestimmte Leistung im Studium notwendig, damit Studierende überhaupt zu der eigentlichen (benoteten) Prüfung zugelassen werden, dann steigt natürlich der Erfolgsdruck für Studierende, was wiederum wie oben beschrieben Fehlverhalten begünstigen kann. Dieser Effekt zeigt sich z.B. sehr deutlich beim Abschreiben von Übungszetteln im Mathematikstudium (Liebendörfer & Göller, 2014).
Merkmale der konkreten Lernumgebung: Weitere Einflussfaktoren beziehen sich darauf, wie konkrete Lernumgebungen im Studium von den Studierenden wahrgenommen werden, in denen eine Prüfung zu erbringen ist. Lag der Fokus im vorherigen Merkmalsbereich, Konsequenzen von Fehlverhalten, also eher auf der Ebene der Gesamtinstitution, die Sanktionen ausspricht, liegt er nun eher auf einzelnen Lehrveranstaltungen. Hierzu liegen ebenfalls Ergebnisse aus unterschiedlichsten Untersuchungen vor. Generell ist es in der Tendenz so, dass Studierende, die die Qualität einer oder mehrerer Lehrveranstaltungen eher schlecht bewerten (z.B. als langweilig), auch eher akademisches Fehlverhalten angeben (Chow et al., 2021; Whitley, 1998; vgl. Sattler & Diewald, 2013). Dieser Zusammenhang gilt in ähnlicher Weise auch für die wahrgenommene Breite des Lehrangebots (Sattler & Diewald, 2013) und für die von Studierenden angegebene Studienzufriedenheit insgesamt (vgl. Brimble, 2016; Sattler & Diewald, 2013). Ob ein Faktor hierbei die Ursache des jeweils anderen ist, ist empirisch bisher nicht geklärt; also, ob bspw. eine hohe Studienzufriedenheit Fehlverhalten verhindert oder eine geringe Zufriedenheit und Fehlverhalten evtl. auf eine gemeinsame Ursache zurückgeführt werden könnten. Es zeigt sich auch ein Zusammenhang zur Gestaltung von Lehrveranstaltungen. Liegt der Fokus in der Gestaltung stärker auf Aktivitäten wie Auswendiglernen, geben Studierende eine höhere Fehlverhaltensbereitschaft an, im Vergleich zu Veranstaltungen, in denen der Fokus eher auf Lernprozessen mit dem Ziel des Verstehens liegt (Sattler & Diewald, 2013). Nehmen Studierende Lehrinhalte und Inhalte von Prüfungen als weniger relevant für ihre spätere berufliche Praxis wahr (z.B. in Ingenieursstudiengängen), scheint dies allerdings nicht zwingend mit einer niedrigeren Täuschungsakzeptanz zusammenzuhängen (Gama et al., 2013; vgl. Eret & Ok, 2014). Auch die Einschätzungen des Dozierendenverhaltens hängen mit dem Ausmaß von angegebenem Fehlverhalten zusammen. Geben Studierende an, dass sie von Dozierenden ausreichend unterstützt werden, geben sie auch weniger Fehlverhalten an (Brimble, 2016; Sattler & Diewald, 2013; vgl. Gama et al., 2013). Dieser Zusammenhang gilt analog auch dafür, wie fair die Bewertungsmaßstäbe bzw. die Bewertung generell wahrgenommen werden (Brimble, 2016; Sattler & Diewald, 2013). Beobachten Studierende, dass Dozierende eine hohe akademische Integrität zeigen und diese vorleben, dass akademisches Fehlverhalten von ihnen negativ gesehen wird, dann geben Studierende auch weniger Fehlverhalten an, wobei die Ergebnisse hier nicht eindeutig sind (vgl. Moss et al, 2018; Whitley, 1998).
3. Merkmale des sozialen Umfelds
Hiermit sind Faktoren gemeint, die sich auf den weiteren sozialen Kontext beziehen, in dem akademisches Fehlverhalten an Hochschulen auftreten kann. Ähnlich wie bei den Merkmalen zur Institution ist aber auch hier eher entscheidend, wie diese von Studierenden subjektiv wahrgenommen werden, und nicht wie es vielleicht objektiv beobachtbar ist.
Täuschungsverhalten der Mitstudierenden: Ein wichtiger Einflussfaktor auf die Bereitschaft für akademisches Fehlverhalten besteht darin, wie das Täuschungsverhalten der Peers, wahrgenommen bzw. eingeschätzt wird. Erleben Studierende vermehrt erfolgreiche Täuschungshandlungen von Mitstudierenden, geben Sie auch eher eine höhere Bereitschaft für eigene Täuschungen an (Peters et al., 2022; Chow et al., 2021; Kroher et al., 2020; Moss et al., 2018; Brimble, 2016; Teixeira & Rocha, 2010; vgl. Warr & Stafford, 1991). Dabei müssen sie nicht unbedingt eine hohe Anzahl von Täuschungshandlungen tatsächlich mitbekommen haben, sondern die Einschätzung über das Ausmaß des Täuschungshandelns Anderer ist der entscheidende Einflussfaktor (DiPaulo, 2022; vgl. Hard et al., 2006). Generell hängt eine sozial geteilte Norm, dass bspw. bestimmte Täuschungshandlungen (z.B. Abschreiben) akzeptabel – und in diesem Sinne sogar sozial erwünscht – sind, mit eine höheren Akzeptanz und höheren Bereitschaft für eigenes Täuschungshandeln zusammen (Peters et al., 2022; Eret & Ok, 2014; Whitley, 1998). Hierbei zeigen sich leichte Unterschiede zwischen bestimmten Prüfungsformen. So scheint die wahrgenommene Täuschungshäufigkeit von Mitstudierenden einen etwas größeren Effekt auf eigene Absichten zum Täuschen in Klausuren zu haben, im Vergleich zum Täuschen bei Hausarbeiten (Kroher et al., 2020; vgl. Tremayne & Curtis, 2021). Ein Rückgriff auf eine solche geteilte Norm kann auch ein Mechanismus sein, wie Studierende ihr eigenes Verhalten vor sich selbst rechtfertigen, also es für sich rationalisieren, wenn sie aus individuellen moralischen Gründen dieses Verhalten eigentlich ablehnen (z.B. Waltzer & Dahl, 2022; Grimes et al., 2004). Dabei wird in Untersuchungen ebenfalls festgestellt, dass Studierende das Täuschungsverhalten Anderer selbst nicht bei der Institution anzeigen, wenn sie davon Kenntnis erhalten (Waltzer et al., 2022; Yachison et al., 2018). Es gibt unter Studierenden daher eine Art geteilte „Nicht-Petzen-Norm“, wobei auch hier Unterschiede je nach wahrgenommener Schwere des Fehlverhaltens beobachtet werden können (Waltzer et al., 2022).
Weitere soziale Kontextfaktoren: Neben dem Täuschungsverhalten der Mitstudierenden wurden auch noch einige wenige weitere Kontextmerkmale des sozialen Umfelds untersucht. Schätzen Studierenden bspw. ein, dass unter den Studierenden ihres Studiengangs eine hohe kompetetive Konkurrenz um gute Prüfungsleistungen herrscht (z.B. in Jura-Studiengängen, bei denen die Abschlussnoten sehr entscheidend für die weitere Laufbahn sind), dann geben sie auch eher Fehlverhalten an (Sattler & Diewald, 2013; McCabe et al., 2001; vgl. Moss et al., 2018). Teilweise wurde vermutet, dass Gefühle der sozialen Isolation von den Peers (alienation, Seeman, 2001), ähnlich wie bei anderem nicht normgerechten Verhalten, auch mit häufigerem akademischen Fehlverhalten zusammenhängt. Die Forschungslage ist für Studierende allerdings bisher uneindeutig (Davy et al., 2007; Whitley, 1998).
Und was kann man jetzt damit anfangen?
Blickt man auf beide Teile des Beitrags zurück, dann ist auf den ersten Blick überwältigend, zu wie vielen möglichen Gründen für Täuschungen bei Prüfungen an der Hochschule empirische Erkenntnisse vorliegen. Das zeigt sich auch an der sehr langen Literaturliste für diese Blogbeiträge ;). Was lässt sich daraus nun lernen? Zum einen: Es ist wie immer kompliziert. Die meisten Ergebnisse beziehen sich auf große Gruppen von Studierenden. Für individuelle Studierende wirken natürlich immer mehrere Faktoren zusammen, die sich je nach Situation auch unterschiedlich auswirken können. Dies wurde zwar in einigen Studien versucht in komplexen Modellen abzuschätzen (z.B. Yu et al., 2017), ist aber nicht vollständig mit den gewählten Methoden abbildbar. Zum anderen: Was sich auf jeden Fall festhalten lässt, ist, dass Studierende des Lehramts sich auch in ihren Gründen für Täuschungen bei Prüfungen im Studium nicht von Studierenden anderer Studiengänge unterscheiden (z.B. DiPaulo, 2022; Peters et al., 2022; Sattler & Diewald, 2013). Dies ist vor dem Hintergrund, dass gerade sie es sind, die die nächste Schüler*innengeneration auf korrektes akademisches Verhalten vorbereiten müssen, natürlich etwas ernüchternd. Wir kommen auf diese spezifische Herausforderung aber noch im letzten Beitrag zu dieser Artikelreihe zurück. Der nächste Beitrag wird sich um die Frage drehen, was man denn nun tun kann, um akademischem Fehlverhalten im Studium zu begegnen, es zu verringern und welche Maßnahmen wie wirksam sind. Auch hierzu liegt eine Reihe empirischer Untersuchungen vor. Der Beitrag wird an dieser Stelle verlinkt, sobald er online ist.
Literatur:
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Auch an Universitäten wird geschummelt! Nach einer etwas längeren Pause setzen wir daher hier im Blog heute unsere Artikelreihe zum Täuschen und Betrügen bei Prüfungen im Studium fort, also zu Aktivitäten, die auch als akademisches Fehlverhalten bezeichnet werden. In dieser Reihe werfen wir insbesondere einen Blick darauf, welche Ergebnisse empirischer Bildungsforschung vorliegen. Im ersten Beitrag ging es um verschieden Arten des akademischen Fehlverhaltens im Studium, im zweiten Beitrag um Methoden, dieses Verhalten auch empirisch zu erfassen (Wer gibt es schon gerne zu?) und im dritten Beitrag darum, wie verbreitet verschiedene Formen akademischen Fehlverhaltens eigentlich sind.
Warum täuschen Studierende denn nun?
Dieser Beitrag schaut genauer auf Gründe für Täuschungen bei Prüfungen im Studium. Es geht also um die Frage, welche Faktoren akademischen Fehlverhalten begünstigen bzw. mit welchen (Risiko-)Faktoren akademisches Fehlverhalten von Studierenden zusammenhängt. Mit der Beantwortung dieser Frage ist auch das Ziel verbunden, Ansatzpunkte für passende Maßnahmen zur Vermeidung von Fehlverhalten zu entwickeln und in Studiengänge zu implementieren. In der empirischen Bildungsforschung liegen hierzu Ergebnisse aus einer großen Menge unterschiedlicher Studien vor, die sich darin unterscheiden, welche Formen des akademischen Fehlverhaltens, welche Prüfungsformate und welche möglichen Einflussfaktoren betrachtet werden (Parnther, 2020; Awasthi, 2019; Moss et al., 2018). Viele dieser Studien wurden mit Bezug zu komplexen theoretischen Modellen geplant, durchgeführt und ausgewertet (z.B. Wert-Erwartungs-Theorie, vgl. Eccles & Wigfield, 2002; Theorie geplanten Verhaltens, vgl. Ajzen, 1991). Andere Studien haben Zusammenhänge eher explorativ untersucht (z.B. Gama et al., 2013). Dabei kamen jeweils auch unterschiedliche Methoden der (statistischen) Auswertung zum Einsatz. Der Erkenntnisstand zu (möglichen) Ursachen von bzw. Einflussfaktoren auf akademisches Fehlverhalten kann daher nicht umfassend in einem Blogbeitrag dargestellt werden (Was schon an der Länge der Literaturliste erkennbar ist 😉 ). Wir beschreiben ihn daher eher überblicksartig und geben an, wenn Ergebnisse aus internationalen Studien sich von Forschungen, die sich auf Studierende in Deutschland beziehen, unterscheiden (z.B. Kroher, 2020; Sattler & Diewald, 2013). Für eine angenehmere Lesbarkeit im Blog, haben wir den Beitrag zudem auf zwei Posts aufgeteilt.
Welche Faktoren haben einen Einfluss?
Wie oben erwähnt, betrachteten viele Untersuchungen unterschiedliche Aspekte, die sich zwischen einzelnen Studien mehr oder weniger stark unterscheiden (Parnther, 2020; Awasthi, 2019; Moss et al., 2018; Park, 2003). Häufig wurde auch eine Vielzahl solcher Faktoren gleichzeitig betrachtet, um abzuschätzen, welche Aspekte wesentliche Einflüsse auf akademisches Fehlverhalten haben und welche vielleicht eher vernachlässigbar sind (z.B. Kroher, 2020; Yu et al., 2017). Trotz dieser Unterschiede können diese Faktoren aber nach drei verschiedenen Merkmalskategorien unterschieden werden. Zwar ist die Zuordnung einzelner Faktoren nicht immer ganz trennscharf, sie ermöglichen es aber dennoch, eine gute Übersicht zu erstellen.
Merkmale der Studierenden: Gemeint sind hiermit Faktoren, die sich auf die Studierenden als Individuum beziehen und unterschiedlich zwischen einzelnen Personen ausgeprägt sein können, wie z.B. das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit oder auch demografische Merkmale wie das Geschlecht.
Merkmale der Institution: Hiermit sind Faktoren gemeint, die sich auf die jeweilige Hochschule, die Studienorganisation oder die konkrete Lernumgebung beziehen, in denen Prüfungssituationen eingebettet sind. Dies meint z.B. festgelegte Sanktionen für Fehlverhalten, die Workload im Studium oder auch die Inhalte von Lehrveranstaltungen.
Merkmale des sozialen Umfelds: Dies bezeichnet Faktoren des weiteren sozialen Kontextes, in dem akademisches Fehlverhalten auftreten kann, wie z.B. ob Mitstudierende häufig täuschen oder ob eine große Konkurrenz zwischen Studierenden herrscht.
Im Folgenden beschreiben wir Zusammenhänge von akademischem Fehlverhalten und verschiedenen Faktoren entlang dieser drei Ebenen. Bei der Interpretation der Ergebnisse sollte beachtet werden, dass sie meistens mit Formaten des direct response erhoben wurden, die Studierenden also direkt befragt wurden (siehe hierzu unseren zweiten Beitrag). Darüber hinaus handelt es sich bei den meisten Untersuchungen um Querschnittsbefragungen, bei denen die Studierenden also zu einem festen Zeitpunkt befragt wurden. Diese Ergebnisse werden zwar meist dahingehend interpretiert, dass die gefundenen korrelativen Zusammenhänge auch Ursachen für Fehlverhalten beschreiben. Streng genommen liefern sie allerdings nur einen Hinweis auf mögliche Ursachen und können keine Kausalität begründen. Hierzu wären bspw. Längsschnittstudien notwendig (vgl. Reinders, 2006).
1. Merkmale der Studierenden
Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit: Ein wesentlicher Faktor, von dem sich in vielen Studien gezeigt hat, dass er mit akademischem Fehlverhalten unterschiedlicher Formen zusammenhängt, ist das Vertrauen Studierender in die eigene Leistungsfähigkeit (Parthner, 2020; Moss et al., 2018). Nehmen Studierende sich selbst als weniger leistungsstark bzw. „gut“ wahr, dann geben sie eher an, im Studium schon (ein- oder mehrmals) getäuscht zu haben. Dies zeigt sich in Studien z.B. in Zusammenhängen zwischen Fehlverhalten und der eingeschätzten eigenen Kompetenz oder Selbstwirksamkeit (Fatima et al., 2020; Sattler & Diewald, 2013; Kaldo & Reiska, 2012; Marsden et al., 2005; Whitley, 1998), der von Studierenden eingeschätzten Wahrscheinlichkeit eine Prüfung zu bestehen (z.B. Fatima et al., 2020), der Angst vor Nicht-Bestehen und damit verbundenen Konsequenzen für die eigene Zukunft (z.B. Fatima et al., 2020), subjektiv wenig wahrgenommenen Erfolgserlebnissen im Studium (z.B. Liebendörfer & Göller, 2016) oder darin, dass sie ihre eigene Vorbereitung auf Prüfungen als unzureichend empfinden (z.B. Yu et al., 2017). Bei diesem Einflussfaktor stellt sich auf Basis der bestehenden Studien allerdings generell die Frage: „Was war zuerst da? – Misserfolgserlebnisse oder ein geringes Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit (vgl. Liebendörfer & Göller, 2016)?“ Ein klassisches Henne-Ei-Problem also.
Fehlende Fähigkeiten und Kenntnisse: Der Zusammenhang zwischen akademischen Fehlverhalten und geringer Leistungsfähigkeit zeigt sich nicht nur in der subjektiven Wahrnehmung, sondern auch im Zusammenhang zu etwas „objektiveren“ Maßen von Leistungsfähigkeit wie dem Notenschnitt im Studium (z.B. McCabe et al., 2012; Straw, 2002; vgl. Foster, 2016). Dies gilt allerdings nicht unbedingt für Untersuchungen, die Studierende in Deutschland betrachtet haben (z.B. Kroher, 2020). Auch konnten einige Studien beobachten, dass akademisches Fehlverhalten (hauptsächlich beim Plagiieren) auch mit fehlenden Kenntnissen korrekten Verhaltens zusammenhängt (Perry, 2010; Park, 2003; vgl. Moss et al., 2018; vgl. Sattler & Diewald, 2013).
Weitere motivationale Merkmale: Neben dem Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit wurden auch Zusammenhänge zwischen der Häufigkeit akademischen Fehlverhaltens und weiteren motivationalen Merkmalen von Studierenden beobachtet. Studierende, die bzgl. ihres Studiums eher extrinsisch motiviert sind (z.B. durch die Aussicht auf eine externe Belohnung) tendieren eher dazu zu Täuschen, als Studierende, die eher intrinsisch motiviert sind (z.B. durch Interesse an ihrem Studienfach) (Sattler & Diewald, 2013; vgl. Davy et al., 2007; aber vgl. Nitsche et al., 2014;). Der Einfluss negativ ausgeprägter motivationaler Merkmale zeigt sich auch bei geringer Anstrengungsbereitschaft (Sattler & Diewald, 2013), bei geringer wahrgenommener eigener Konzentrationsfähigkeit (Sattler & Diewald, 2013) oder bei einer gering wahrgenommenen Kontrolle über eigenes Verhalten (Yu et al., 2018; Yu et al., 2017). Diese Merkmale werden auch häufig im Konzept der Prokrastination zusammengefasst untersucht, also einem generellen Aufschiebeverhalten im Studium. Ist dieses bei Studierenden (subjektiv) stärker ausgeprägt, berichten sie auch häufigeres akademisches Fehlverhalten in allen Formen (Patrzek et al., 2015; Sattler & Diewald, 2013). Da dieses Verhalten auch eher bei Studierenden auftritt, die ihr Studium mit einem starken Fokus auf sich selbst bestreiten (self-focused purpose, Yu et al., 2017), zeigen sich auch Zusammenhänge von Fehlverhalten und ausgeprägteren außercurricularen und Freizeitaktivitäten (Yu et al., 2017).
Einstellungen zu akademischem Fehlverhalten: Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor bezieht sich darauf, wie akademisches Fehlverhalten von Studierenden selbst bewertet wird. Studierende, die akademisches Fehlverhalten selbst moralisch stärker verurteilen bzw. negativ betrachten, geben weniger häufig solches Verhalten an, als Studierende, die Fehlverhalten eher akzeptieren oder positiver bewerten (Yu et al., 2017; Nitsche et al., 2014; Sattler et al., 2013; Sattler & Diewald, 2013; Whitley, 1998). Es zeigt sich auch ein Zusammenhang dazu, wie bedeutsam Studierende Ehrlichkeit als Wert für sich selbst einschätzen (Kroher, 2020). Dabei unterscheiden sich die Einstellungen und Normen Studierender durchaus auch zwischen verschiedenen Prüfungsformen (z.B. Nitsche et al., 2014; Sattler & Diewald, 2013). Bspw. wird von Studierenden in der Untersuchung von (Kroher, 2020) die Regeltreue bei Klausuren als subjektiv bedeutsamer eingeschätzt, als bei Hausarbeiten. Ebenfalls wird die moralische Norm, kein akademisches Fehlverhalten zu zeigen, von Studierenden in Beziehung zu weiteren Bedingungsfaktoren gesetzt. So wird bspw. akademisches Fehlverhalten als akzeptabler betrachtet, wenn bestimmte Umstände vorliegen (z.B. kranke Familienmitglieder, um die man sich kümmern muss) (Davy et al., 2007; Granitz & Loewy, 2007). Dabei kann es sich allerdings auch um eine nachträgliche Rationalisierung eigentlich als unethisch betrachteten Verhaltens handeln (Sykes & Matza, 1957). Zum Schutz des eigenen Selbstbildes als moralische Person, wird dabei das eigene Fehlverhalten mit schlechten externen Bedingungen auch vor sich selbst entschuldigt (Roig & Caso, 2005). Die eigentliche Ursache für akademisches Fehlverhalten kann aber eigentlich in anderen Faktoren liegen (vgl. Moss et al., 2018).
Erfahrungen mit Täuschungshandlungen: Ein ebenfalls sehr relevanter Einflussfaktor für die Häufigkeit bzw. Wahrscheinlichkeit für akademisches Fehlverhalten ist das Täuschungsverhalten während der Schulzeit vor dem Studium (Kroher, 2020). Studierende, die Fehlverhalten zuvor als erfolgreiches Mittel für das Erreichen von Zielen erlebt haben (z.B. durch Spicken eine Klausur zu bestehen), tendieren auch dazu, dieses Mittel im Studium häufiger anzuwenden (Davy et al., 2007; Whitley, 1998).
Demografische Faktoren: In verschiedenen Studien wurden auch Zusammenhänge von akademischem Fehlverhalten und verschiedenen demografischen Merkmalen der Studierenden untersucht. In internationalen Studien deuten sich z.B. Tendenzen an, dass männliche Studierende häufiger Fehlverhalten als weibliche Studierende berichten (z.B. Yu et al., 2017; Crown & Spiller, 1998; Whitley, 1998), was allerdings in Untersuchungen, die sich auf Studierende in Deutschland beziehen nicht eindeutig beobachtet wurde (Kroher, 2020; Sattler & Diewald, 2013). Ebenfalls geben jüngere Studierende bzw. Studienanfänger*innen häufigeres Fehlverhalten an als ältere Studierende (vgl. Kroher, 2020; Sattler & Diewald, 2013; Whitley, 1998; Newstead et al., 1996). Zudem werden Unterschiede im Fehlverhalten zwischen Studierenden verschiedener Fächer (Bertram et al., 2014; Nitsche et al., 2014; Sattler & Diewald, 2013) und verschiedener Kulturen (Ison, 2018; vgl. Awasthi, 2019) berichtet. Die politische oder religiöse Orientierung von Studierenden scheint hingegen nicht mit akademischem Fehlverhalten zusammenzuhängen, wobei diese Faktoren allerdings auch eher im anglo-amerikanischen Forschungsraum untersucht wurden (Yu et al., 2017; vgl. Davy et al., 2007). Wohl aber geben Studierende mit einem vorteilhafteren soziökonomischem Hintergrund bzw. in einer vergleichsweise guten finanziellen Situation tendenziell eher weniger akademisches Fehlverhalten an (Yu et al., 2017; vgl. Park, 2003).
Alle diese Merkmale hängen natürlich ebenfalls miteinander zusammenhängen (z.B. Prokrastinationsverhalten und Leistungsangst), so dass es schwierig ist, die Größe des Einflusses eines bestimmten Faktors einzuordnen (vgl. Park, 2003) bzw. zu identifizieren, welche Faktoren auf der individuellen Ebene die zentralen Ursachen sind.
War das schon alles?
Neben individuellen Merkmalen, liegen – wie oben schon beschrieben – auch Erkenntnisse zu Einflüssen der Institution und des sozialen Kontextes auf akademisches Fehlverhalten im Studium vor. Diese werden im zweiten Teil dieses Beitrags näher erläutert. Er wird an dieser Stelle verlinkt. Sobald er online ist.
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Heute stand ein besonderes Meeting für unsere Nachwuchsforschungsgruppe auf dem Programm – das erste Treffen, in dem wir zeitgleich mit allen unseren Kooperationspartnern aus Aachen, Bergen, Bremen und Paderborn zusammengekommen sind. Im Rahmen einer virtuellen Austauschrunde haben wir die Chance bekommen, den aktuellen Arbeitsstand unseres Projekts vorzustellen und Feedback, Anregungen und Tipps von unseren Kooperationspartnern einzuholen. Drei Stunden vergingen wie im Flug!
Nach einer kurzen Kennenlernrunde haben wir das Treffen mit einem Überblick über die Ziele und die einzelnen Arbeitspakete des Projekts begonnen. Anschließend gab es von Thomas und Philipp einen Einblick in den aktuellen Stand der beiden Teilprojekte „Entwicklung eines Performanztests für das Lehramtsstudium im Fach Englisch: Feedback im Kompetenzbereich Schreiben“ sowie „Entwicklung eines Performanztests für das bildungswissenschaftliche Lehramtsstudium: Erfassung von Beratungskompetenz“. Hinsichtlich der Kategorienentwicklung gab es hierzu hilfreiche Anregungen von Christoph Kulgemeyer und Josef Riese, die auf ihre umfangreichen Vorerfahrungen zur Entwicklung von Performanztests im Projekt ProfileP+ zurückgreifen konnten. Spannende und wichtige Nachfragen kamen auch von Bardo Herzig, der ebenfalls Erfahrungen bei der Entwicklung von Testformaten, insbesondere aber auch bzgl. der Ausbildung angehender Lehrkräfte eingebracht hat. Wertvolle methodische Hinweise haben wir außerdem von Robert Kordts sowie, für das Fach Englisch, von Dominik Rumlich erhalten.
Die Expertise sowie die Interdisziplinarität unserer Kooperationspartner machen eine konstruktive Weiterentwicklung des Projekts möglich und vor allem: facettenreich. Derartige Austauschtreffen helfen auch, dass wir keinen zu starren Blick auf Details einnehmen und erlauben die Perspektiverweiterung auf einer übergeordneten Ebene. Wir bedanken uns bei unseren Kooperationspartnern für ihre wertvolle Zeit, die konstruktive Kritik sowie die vielen wertvollen Anregungen für die Weiterarbeit im Projekt.
Wir freuen uns schon sehr auf die nächsten Kooperationstreffen 🙂
Eigentlich wäre der vierte Teil zu unserer Artikelserie zum Täuschen und Betrügen bei Prüfungen im Studium an der Reihe. Angeregt über einen kurzen Bericht des Deutschlandfunks in der Sendung Campus & Karriere vom 01. Dezember 2021 (siehe auch die Einbettung oben) möchten wir allerdings noch einen kleinen Nachtrag zum dritten Artikel liefern, in dem wir von Ergebnissen der empirischen Bildungsforschung zum Ausmaß von typischem Täuschungsverhalten berichtet haben. Durch die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie wurde auch an Hochschulen ein beträchtlicher Teil der Lehre und insbesondere auch von Prüfungen in virtueller Form durchgeführt (Sommer, 2020). Dabei stellen sich ein paar Fragen: Wie groß ist das Ausmaß von Täuschungen in digitalen Prüfungen? Ist es womöglich höher als bei klassischen Präsenzprüfungen, weil das „Schummeln“ technisch einfacher ist?
Eine Studie zur rechten Zeit…
Vor der Pandemie wurden diese Fragen erwartbarerweise kaum untersucht, da digitale Prüfungen ein eher untypischer Fall waren. Im November sind allerdings die Ergebnisse einer Untersuchung von Janke et al. (2021) veröffentlicht worden. Sie befragten hierzu N = 1608 Studierende unterschiedlicher Hochschulen und Studienfächer in Deutschland online, die im Sommersemester 2020 eine schriftliche Prüfung ablegen mussten. Davon hatten 82.5% ausschließlich Onlinekurse während des Semesters belegt. Die Studierenden wurden zum einen danach befragt, in welcher Form sie Prüfungen abgelegt haben (nur in Präsenz, nur digital, beides). Zudem sollten sie direkt auf einer siebenstufigen Skala zu einer Reihe von Täuschungshandlungen in Prüfungen, aber auch in Onlinekursen (bezeichent als academic dishonesty), angeben, wie häufig sie dieses in diesem Semester getan haben (von nie bis sehr oft).
Das Ausmaß der vier häufigsten Handlungen akademischer Unehrlichkeit in Kursen, die die Befragten im Sommestersemester 2020 mindestens einmal getätigt haben, waren in absteigender Reihenfolge (Janke et al., 2021, 5): Einloggen im Onlinekurs und nebenbei etwas Anderes tun (88.1%), Bearbeitung von Aufgaben mit Anderen, die als Einzelleistung gedacht waren (63.7%), Angabe von Quellen in Hausarbeiten, die man nicht gelesen hat (29.8%), Übernahme von Textteilen aus Onlinequellen ohne Quellenangabe (26.4%). Die Untersuchung enthält Ergebnisse zu weiteren Täuschungshandlungen, weshalb ich hier eine ausdrückliche Leseempfehlung abgeben möchte.
Digital vs. Analog?
Unterscheidet sich nun das Täuschungsverhalten in analogen und digitalen schriftlichen Prüfungen? In der Befragung können hierzu insbesondere zwei Items herangezogen werden, die sowohl für Präsenz-, als auch für Onlineprüfungen abgefragt wurden. Für eine bessere Vergleichbarkeit habe ich die Ergebnisse i.ön einer kleinen Tabelle dargestellt (Tab. 1).
Täuschungshandlung
Präsenz-prüfung
Online-prüfung
Austausch von Lösungsideen für Aufgaben mit Anderen während der Prüfung.
23.7%
45.9%
Verwendung von unerlaubten Hilfsmitteln zur Lösung von Aufgaben.
18.4%
48.6%
Tab. 1 „Vergleich von Täschungshandlungen in Präsenz- und Onlineprüfungen (Janke et al., 2021, 5)
Es wird deutlich, dass das Ausmaß von Täuschungsverhalten in schriftlichen digitalen Prüfungen größer ausfällt als in Präsenzprüfungen. Zur Signifikanz des Unterschieds und möglicher Effektstärken, auch unter Kontrolle von Prüfungserfahrungen, sei an dieser Stelle noch einmal auf den Artikel verwiesen. Es lohnt sich etwas tiefer im Text zu schauen. Die Autor*innen fassen ihre Ergebnisse mit einem gewissen understatement folgendermaßen zusammen:
„Overall, our findings indicate that the sudden shifts from on-site to online testing in German higher education institutions during the COVID-19 pandemic in summer 2020 may have posed at least some threat to academic integrity.“
(Janke et al., 2021, 6)
Dazu, inwiefern sich Lehramtsstudierende hierbei von Studierenden anderer Studiengänge unterscheiden, können wir auf Grundlage der Untersuchung keine Aussagen machen. Aber man kann ja nicht alles haben ;). Daher zuerst einmal vielen Dank an die Kolleg*innen aus Mannheim, Landau und Augsburg. Vielleicht kommen hierzu ja noch Analysen.
Literatur
Janke, S., Rudert, S. C., Petersen, Ä., Fritz, T., & Daumiller, M. (2021). Cheating in the wake of COVID-19: How dangerous is ad-hoc online testing for academic integrity?, Computers and Education Open, 2, 1-9. (Online)
Sommer, M. (2020). Eine respektable Notlösung. Ergebnisse einer Umfrage zum „Corona-Semester “. Forschung & Lehre, 20(8), 666. (Online)