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Quereinstieg ins Lehramt im Licht der Bildungsforschung – 4/4

Aus einer Situation des Mangels folgt große Verantwortung

In einer Reihe von Artikel thematisieren wir in unserem Blog den Quer- oder Seiteneinstieg ins Lehramt aus der Perspektive der empirischen Bildungsforschung. Im ersten Teil wurden zuerst Statistiken zum Ausmaß von Lehrkräften, die ohne grundständiges Lehramtsstudium im Schulsystem tätig sind betrachtet, im zweiten Teil ein paar wenige Studienergebnisse zu Unterschieden in professionellen Kompetenzen von Quer- und Seiten*einsteigerinnen und Lehrkräften mit grundständigem Lehramtsstudium. Der dritte Teil betrachtete Gründe, weshalb Angebot- und Bedarf von Lehrkräften häufig nicht übereinstimmen. In diesem letzten Teil möchten wir noch einmal einen Blick auf ein zentrales Argument wider des Quer- und Seiteneinstiegs richten. Dabei möchten wir auch noch einmal resümieren, inwiefern auf Basis von Ergebnissen der empirischen Bildungsforschung Erkenntnisse gewonnen werden können, wie alternative Wege ins Lehramt besser unterstützt werden können.

Wie sollten Lehrkräfte ausgebildet werden?

Kritik am Quer- und Seiteneinstieg bezieht sich meist weniger auf seine Existenz an sich, auch wenn sich viele Akteur*innen aus der Lehramtsausbildung meist wünschten, die Absolvent*innen des grundständigen Lehramts würden den Bedarf ausreichend decken. Es geht eher um die Frage, ob Personen, die nicht die vollständige, grundständige Ausbildung durchlaufen haben, auch dieselben Qualifikationsstandards erfüllen. Hintergrund ist, dass in den letzten Jahrzehnten viele Anstregungen unternommen wurden, die Ausbildung von Lehrkräften stärker zu standardisieren und zu professionalisieren. Dies zeigt sich sehr deutlich darin, dass im Jahr 2004 durch die Kultusministerkonferenz die ersten Standards für die Lehrerbildung beschlossen wurden, die – bei all ihrer Unbestimmtheit im Detail und möglicher Schwierigkeiten (vgl. Terhart, 2007) – die Grundlage für alle lehrerbildenden Ausbildungswege in allen Bundesländern bilden (KMK, 2019). Diese Bemühungen um eine Professionalisierung betrifft auch die Ausbildung in den einzelnen Unterrichtsfächern. Dabei ist die Entwicklung an vielen universitären Standorten davon beeinflusst, dass eine professionsorientierte Ausbildung für den Lehrer*innenberuf „sui generis“ erfolgen soll. Also eine Ausbildung „eigener Art“, bei der angehende Lehrkräfte von Anfang an ein professionsorientiertes Studium absolvieren sollen und bewusst nicht zuerst ein reines Fachstudium mit anschließender pädagogischer Weiterqualifikation. Für das Fach Physik fordert bspw. die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) in sechs Thesen für ein modernes Lehramtsstudium im Fach Physik schon 2006: „Den angehenden jungen Lehrkräften muss eine optimale Ausbildung und optimales Werkzeug zur Erfüllung ihrer Aufgabe vermittelt werden. Die Praxis hat gezeigt, dass eine in erheblichem Umfang als „Anhängsel“ an einen Fachstudiengang Physik (Diplom oder Bachelor/Master in Physik) praktizierte Lehrerausbildung diesem Anspruch nicht gerecht wird. Daher muss folgerichtig das Studium für das Lehramt auf dem Gebiet der Physik ein eigens auf diese Anforderungen optimiertes Studium, das heißt ein Studium sui generis sein. Seine Bestandteile sind eine optimierte fachphysikalische und eine physikdidaktische Ausbildung.“ (DPG, 2006, S. 4)

Konterkariert ein Quer- bzw. Seiteneinstieg nicht die Professionalisierung von Lehrkräften?

Zu diesem Gedanken einer Lehramtsausbildung von Anfang an mit einem Studium eigener Art steht natürlich der Quer- und noch stärker durch den Seiteneinstieg zu einem gewissen Grad in Widerspruch. Auch, wenn einzelne Lehramtsstudiengänge formal noch keine direkte Festlegung auf den Beruf vorsehen, also in diesem Sinne polyvalent sind, sind sie aber dennoch häufig so gestaltet, dass ein früher Bezug zurProfession hergestellt wird. Dies kommt dabei auch der hohen Berufswahlsicherheit von Lehramtsstudierenden entgegen, die überwiegend auch von Anfang mit diesem Berufsziel studieren (Bauer et al., 2011). Diese Studienganggestaltung entspricht also tendenziell auch eher dem Wunsch der Zielgruppe. Aus einer anderen Perspektive kann auch folgendes Argument herangeführt werden: wenn die adäquate Bildung von jungen Menschen ein gesellschaftliche hohes und wichtiges Ziel ist, dann sollte sich dies auch in einer professionellen Qualifizierung derjenigen zeigen, die diese Menschen unterrichten. Häufig wird ein Vergleich zu anderen Professionen wie der Medizin getroffen. Dort würde ein Einsatz von Seiteneinsteiger*innen ohne grundständige z.B. im OP nicht so einfach gesellschaftlich akzeptiert werden, wie im Lehrer*innenberuf (auch wenn es dort ebenfalls einen Mangel gibt und mehr Quereinsteigende aus z.B. dem Ausland als gedacht) (vgl. Kommission für Grundschulforschung und Pädagogik der Primarstufe, 2017). Auch bei Juristen wird das Richteramt nicht einfach jemandem übertragen, der quer einsteigt. Auch wenn diese Vergleiche natürlich etwas hinken, haben sie meiner Meinung nach einen wahren Kern. Was bringen alle Bemühungen um eine Verbesserung der Lehramtsausbildung, wenn man sie grundsätzlich eigentlich nicht braucht. Gerade auch in Mangelfächern wie z.B. Physik wird es dann schon schwieriger zu argumentieren, warum man denn auf Lehramt studieren sollte, wenn die Einstellungschancen in den Beruf auch ohne diesen Weg genauso gut sind. Als ein Extrem gab es in der Vergangenheit durchaus die Möglichkeit, dass Lehramtsstudierende noch ohne fertigen Abschluss aus einem Bundesland in den Seiteneinstieg in einem andern Bundesland wechseln konnten (eine Praxis, die aber sehr selten vorkam und aktuell in keinem Bundesland möglich ist). Die Diskussion um den Quereinstieg wird auch deshalb teilweise emotional, weil sich hierin implizit eine geringe Wertung der Bemühungen des Lehramtsausbildungssystems zeigt.

Quereinstieg ja, aber wie?

Bildnachweis: © Gesellschaft für Fachdidaktik

Auf der anderen Seite wird aber auch von Akteur*innen der Lehramtsausbildung der Mangel an Lehrkräften natürlich gesehen und als Problem anerkannt. Insofern wird auch nicht unbedingt eine Abschaffung von alternativen Wegen in den Beruf gefordert, sondern eher ein Sicherstellung der ausreichenden, standardbasierten Professionalisierung der Quer- und Seiteneinsteigenden. So formuliert die Gesellschaft für Fachdidaktik (GFD): „Die Standards einer akademischen Profession sind nicht verhandelbar. Sie gelten daher für alle Professionalisierungswege.“ (GFD, 2018, S. 1) Diese Forderung wird dabei nicht nur von wissenschaftlichen Fachgesellschaften vertreten, sondern zum Teil auch von den Praktiker*innen in Schulen, die die Kolleg*innen mit alternativem Weg in den Beruf häufig begleiten. Bellenberg et al., (2020) führten Experteninterviews mit Schulleitungen und Ausbildungsbeauftragen an vier Schulen im Ruhrgebiet, die relativ viele Seiteneinsteiger*innen eingestellt haben. In den Antworten wird zum einen deutlich, dass die Qualifizierung der Seiteneinsteigenden vorwiegend durch eine Eins-zu-Eins-Betreuung von Fachkolleg*innen vor Ort erfolgt und dabei die Studienseminare, die zumindest die Quereinsteiger*innen ausbilden kaum beteiligt sind. Zudem berichten die Befragten von negativen Folgen für die grundständige Ausbildung: „‚desto mehr Seiteneinsteiger wir haben, desto weniger ja Kapazität und Zeit und Möglichkeiten haben dann ja auch die klassischen Referendare‘ (Sekundarschule 2, Abs. 94)“ (Bellenberg et al., 2020, S. 408). Betrachtet man rein formal die Qualifizierungsmaßnahmen für Quer- und Seiteneinsteigende, wird eine sehr große Unterschiedlichkeit deutlich (Driesner & Arndt, 2020), bei dem sich der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit nicht von der Hand weisen lässt. Sie konstatieren mit Blick auf die häufig fehlenden Regelungen zur Qualifizierung von Personen, die nicht die Voraussetzungen für einen Einstieg in den Vorbereitungsdienst mitbringen: „Damit wird eine der regulären Lehrkräftebildung gleichwertige Qualifizierung nicht ermöglicht, was vor dem Hintergrund der Diskussion um Standards und Qualität der Lehrkräftebildung und der Konsequenzen für die betreffenden Lehrkräfte, den Unterricht und letztlich für den Kompetenzerwerb der Schüler*innen bedenklich scheint.“ (Driesner & Arndt, 2020, S. 425)

Die Bildungsforschung hilft bisher nur wenig…

Inwiefern können Ergebnisse empirischer Bildungsforschung dazu beitragen, Herausforderungen des Lehrermangels und des Quereinstiegs zu bewältigen. Bisher muss man sagen: eher wenig. Es liegen einfach (noch) zu wenige Studien vor, die eindeutige Einschätzungen erlauben. Das betrifft zum einen den Fokus auf MINT-Lehrkräfte, aber auch die Tatsache, dass die Gruppe von Lehrkräften mit alternativem Berufszugang generell schwer zusammenzufassen ist. Auch wenn bspw. bisher kaum Unterschiede in den Kompetenzen zu grundständig ausgebildeten Lehrkräften festgestellt werden konnten (siehe den zweiten Beitrag der Reihe), fand ja meist trotzdem eine Qualifizierung statt, nur eben häufig auf einzelschulischer Ebene. Es stellt sich z.B. die Frage, ob bisher keine Unterschiede festgestellt werden, weil noch genügend professionalisierte Lehrkräfte im System sind, die evtl. „Lücken“ abfedern. Auf der anderen Seite ist der Druck der Unterrichtsversorgung sehr groß. Wichtig ist mir hierbei: das soll überhaupt keine negative Bewertung der vielen engagierten Lehrkräfte mit alternativem Weg ins Lehramt sein, die sich häufig sehr aktiv und motiviert ins Schulleben einbringen. Wie so oft, wird, wenn es um Bildungspolitik geht, um das System gestritten und nicht um das Individuum.

Ist alles so furchtbar?

Natürlich wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Der Beruf als Lehrkraft ist immer noch einer der schönsten Berufe der Welt und ich hoffe, dass sich viele Personen für ihn begeistern lassen. Egal ob im grundständigen oder im alternativen Zugang.

Bildnachweis: © Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen

Literatur

  • Bauer, J., Diercks, U., Retelsdorf, J., Kauper, T., Zimmermann, F., Köller, O., Möller, J., & Prenzel, M. (2011). Spannungsfeld Polyvalenz in der Lehrerbildung. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 14(4), 629-649. (Online)
  • Bellenberg, G., Bressler, C., Reintjes, C., & Rotter, C. (2020). Der Seiteneinstieg in den Lehrerberuf in Nordrhein-Westfalen: Perspektiven von Schulleitungen und Ausbildungsbeauftragten. DDS–Die Deutsche Schule, 112(4), 399-413. (Online)
  • DPG (2006). Thesen für ein modernes Lehramtsstudium im Fach Physik. Eine Studie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft e.V. (Online)
  • Driesner, I., & Arndt, M. (2020). Die Qualifizierung von Quer-und Seiteneinsteiger* innen: Konzepte und Lerngelegenheiten im bundesweiten Überblick. DDS–Die Deutsche Schule, 112(4), 414-427. (Online)
  • GFD (2018). Ergänzende Wege der Professionalisierung von Lehrkräften. Positionspapier der GFD zur Problematik des Quer- und Seiteneinstiegs. (Online)
  • KMK (2019). Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16.12.2004 i. d. F. vom 16.05.2019). (Online)
  • Kommission für Grundschulforschung und Pädagogik der Primarstufe (2017). Stellungnahme zur Einstellung von Personen ohne erforderliche Qualifikation als Lehrkräfte in Grundschulen (Seiten- und Quereinsteiger). (Online)
  • Terhart, E. (2007). Standards in der Lehrerbildung – eine Einführung. Unterrichtswissenschaft, 35(1), 2-14.

Quereinstieg ins Lehramt im Licht der Bildungsforschung – 3/4

„Lehrer kann doch jeder, man war schließlich lange genug in der Schule.
Da weiß man wie der Hase zu laufen hat!“

In einer kleinen Artikelreihe betrachten wir den Quer- oder Seiteneinstieg ins Lehramt aus der Perspektive der Ergebnisse und Diskussionen der Bildungsforschung. Anlass war ein kurzer Beitrag des Deutschlandfunks, anhand dessen zunächst das Ausmaß des Phänomens betrachtet wurde (siehe den ersten Teil der Reihe). Anschließend wurden Studienergebnisse herangezogen, in denen die professionellen Kompetenzen von Quer- und Seiten*einsteigerinnen und Lehrkräften mit grundständigem Lehramtsstudium sowie den Leistungen ihrer Schüler*innen verglichen wurden (siehe den zweiten Teil der Reihe). Insgesamt liegen sehr wenige empirische Daten vor und wenn, dann eher für MINT-Lehrkräfte. In der Tendenz können aber bisher nur wenige Unterschiede beobachtet werden. In diesem Beitrag gehen wir deshalb noch aus anderen Perspektiven der Frage nach, warum das Thema trotzdem immer wieder so kontrovers und emotional diskutiert wird. Hierzu kehren wir zunächst zurück zu den Thesen, die Raphaela Porsch in ihrem aktuellen Übersichtsbeitrag diskutiert (Porsch, 2021), für den ich auch hier noch einmal eine Leseempfehlung geben möchte.

These 3: Auf die Einstellung von Quer- und Seiteneinsteiger*innen kann
grundsätzlich in Deutschland nicht verzichtet werden.“
(Porsch, 2021, S. 214)

Diese These bezieht sich auf eine der Kernannahmen in Diskussionen zum Quereinstieg: Muss es eigentliche alternative Wege ins Lehramt geben? Reichen nicht die Lehramtsabsolvent*innen? Generell ist es ein empirisch gut beobachtetes Phänomen, dass die Einstellungszahlen von Lehrkräften in Zyklen verlaufen. Ist der Bedarf an Lehrkräften hoch, entscheiden sich mehr junge Menschen für eine Lehramtsausbildung. Da es allerdings zwischen fünf bis sieben Jahren dauert, bis Lehrkräfte vollständig ausgebildet sind, kommt es im Zeitverlauf immer wieder zu Über- oder Unterdeckung des Bedarfs. Sind alle Stellen besetzt, entscheiden sich weniger Personen für das Studium, und in ein paar Jahren fehlen dann wieder Lehrkräfte (insgesamt auch Schweinezyklus genannt). Neben diesen Zyklen gibt es aber weitere Effekte, die dazu beitragen, dass Lehrkräftebedarf und -angebot häufig auseinander driften, wie z.B. Studienabbruch im Lehramt oder eine Erhöhung der Teilzeitquote unter Lehrkräften.

Bildnachweis: © Waxmann Verlag

Betrachtet man die Absolvent*innen des Jahrgangs 2016 lässt sich bundesweit für Lehramtsstudiengänge eine Abbruchquote von ca. 15% feststellen, die im Vergleich mit anderen Studiengängen relativ niedrig ausfällt (Neugebauer, Heublein & Daniel, 2019). Auch hier muss allerdings differenziert werden, dass beträchtliche Unterschiede zwischen Studiengängen und Studienfächern bestehen. Güldener et al. (2020) untersuchten in einer Längsschnittstudie bei Lehramtsstudierenden in Mecklenburg-Vorpommern den „Schwund“ im Lehramtsstudium zwischendem Beginn Wintersemester 2012/2013 und dem Sommersemesters 2019. Dabei beobachten sie einen Unterschied zwischen verschiedenen Studiengängen und teilweise generell hohen Schwund: „Im Lehramt an Gymnasien sind die Kohorten nach zwei Semestern um etwa 30 Prozent geschrumpft , im Lehramt an Regionalen Schulen teilweise um bis zu 40 Prozent.“ (Güldener et al., 2020, S. 388) Dies ist für das Lehramt an Grundschulen und für sonderpädagogische Förderung deutlich anders bzw. es gibt weniger Schwund und mehr Absolvent*innen. Dies verdeutlich exemplarisch, dass meist kein genereller Lehrkräftemangel besteht, sondern meist ein Mangel für spezifische Schulformen und Fächer (siehe hierzu auch die Quoten für den Quer- und Seiteneinstieg im ersten Beitrag). Zusammen mit der Zunahme des Anteils von weiblichen Lehrkräften stieg auch historisch betrachtet der Anteil an Lehrkräften in Teilzeit: „Von den Lehrerinnen an den Grundschulen (die 90 Prozent der Kollegien stellen) arbeiteten in NRW im Jahr 2018/19 46 Prozent in Teilzeit, von den Realschullehrerinnen haben 47,6 Prozent Teilzeit beantragt, von den Gymnasiallehrerinnen 50 Prozent.“ (Zymek & Heinemann, 2020, S. 377). Hierfür gibt es meist nachvollziehbare Gründe, die hier auch nicht bewertet werden sollen. Es soll nur deutlich gemacht werden, dass auch dies ein Faktor ist, der dazu beiträgt, dass Angebot und Bedarf häufig nicht übereinstimmen. Blickt man historisch zurück (vgl. Zymek & Heinemann, 2020), so kann festgestellt werden, dass in der Tat ohne Quer- und Seiteneinstieg der Lehrkräftebedarf nicht vollständig gedeckt werden konnte bzw. kann.

Eine Diskussion des Mangels

Kontroversen zum Quer- und Seiteneinstieg finden also immer vor dem Hintergrund einer eigentlich nie ausreichenden Deckung von Angebot und Bedarf statt. Entsprechend stehen aber auch gerade Entscheider*innen im System Schule immer wieder unter dem Druck, die Unterrichtsversorgung sicherzustellen bzw. den Schweinezyklus zu verwalten. Dies umso mehr, da es eben keinen allgemeinen Mangel an Lehrkräften, sondern primär einen Mangel in bestimmten Schularten und Fächern gibt. Dies ist deutlich sichtbar an den unterschiedlichen Anteilen von Neueinstellungen über alternative Wege ins Lehramt für spezifische Fächer (KMK, 2021). Es prallen bei der Frage des Quer- und Seiteneinstiegs also immer wieder verschiedene Perspektiven, Ziele und Bedürfnisse aufeinander, je nachdem, welche Stimme sich jeweils zu Wort meldet.

Eigentlich sind sich auf Ebene der grundsätzlichen, abstrakten Wünsche alle am Bildungssystem Beteiligten einig, von Schüler*innen, Eltern, Schulleitungen, Lehrkräften, Bildungsadministrator*innen, Lehrerbildner*innen bis hin zu Bildungsforscher*innen (häufig hat man davon ja mehrer Rollen inne). Alle möchten insgesamt eine möglichst gute Schulbildung für Schüler*innen durchgeführt durch professionell qualifizierte und fähige Lehrkräfte. Auf der anderen Seite ist aber gerade in der Alltagsgestaltung eine zuverlässige Unterrichtsversorgung wichtig, bei der wenig Unterricht ausfällt. Und grundsätzlich ist die Annahme ja auch korrekt, dass Unterricht auf jeden Fall stattfinden muss, damit er überhaupt Lernwirkungen erzeugen kann. Herrscht Lehrkräftemangel sind diese beiden Ziele allerdings nicht hundertprozentig vereinbar.

Strittig ist also eher, wie mit der Situation umgegangen werden soll, bzw. welche möglichen Lösungen es für das Dilemma gibt und welche Vor- und Nachteile von Lösungen bestehen. Die Einstellung von Quer- und Seiteneinsteiger*innen ist eine solche Lösungsstrategie. Welche Ansichten und Argumente dabei vorgebracht werden, inwiefern Erkenntnisse der Bildungsforschung bei der Diskussion helfen können und welche Position auch ich aus Sicht von jemandem, der am Thema performanzorientierter Professionalisierung in der Lehramtsausbidung arbeitet, einnehme, wird Beitrag des nächsten und abschließenden Beitrags unserer Reihe zum Quereinstieg sein. Er findet sich hier.

Es lässt sich aber schon jetzt festhalten: An dieser Stelle verlässt man den Boden der Bildungsforschung im engeren Sinne und es geht mehr um die Aushandlung von Strategien, also eher Fragen der Bildungspolitik.

Literatur

  • Güldener, T., Schümann, N., Driesner, I. & Arndt, M. (2020). Schwund im Lehramtsstudium. Die Deutsche Schule, 112(4), 381–398. (Online)
  • KMK (2021). Einstellung von Lehrkräften 2020. (Online)
  • Neugebauer, M., Heublein, U., & Daniel, A. (2019). Studienabbruch in Deutschland: Ausmaß, Ursachen, Folgen, Präventionsmöglichkeiten. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 22(5), 1025-1046. (Online)
  • Porsch, R. (2021). Quer- und Seiteneinsteiger*innen im Lehrer*innenberuf – Thesen in der Debatte um die Einstellung nicht traditionell ausgebildeter Lehrkräfte. In C. Reintjes, T-S. Idel, Bellenberg, G., & Thönes, K. V. (Hrsg.). Schulpraktische Studien und Professionalisierung: Kohärenzambitionen und alternative Zugänge zum Lehrberuf (S. 207-228). Münster: Waxmann. (Online)
  • Zymek, B. & Heinemann, U. (2020). Konjunkturen des Lehrerarbeitsmarkts und der Beschäftigungschancen von Frauen vom 19.  Jahrhundert bis heute. Die Deutsche Schule, 112(4), 364–380. (Online)

Quereinstieg ins Lehramt im Licht der Bildungsforschung – 2/4

„Die können doch alle eh nix!“ vs.
„Ihr habt doch keine Ahnung vom Fach!“

Der Quer- bzw. Seiteneinstieg ins Lehramt wird immer wieder kontrovers diskutiert. Dabei argumentieren die Beteiligten häufig vor dem Hintergrund bestimmter und auch häufig wenig hinterfragter Vorannahmen oder Meinungen. Solche Annahmen zu prüfen, ist auch eine Aufgabe der empirischen Bildungsforschung. In einer kleinen Artikelreihe tragen wir daher einige Erkenntnisse aus der Forschungsliteratur zu Fragen des Quer- und Seiteneinstiegs zusammen. Den ersten Teil dieser Reihe finden Sie hier.

Welche Unterschiede bestehen zwischen Quereinsteiger*innen und grundständig ausgebildeten Lehrkräften?

Bildnachweis:
© Waxmann Verlag

In einem frisch veröffentlichten Beitrag im Band 6 der Reihe Schulpraktische Studien und Professionalisierung fasst Raphaela Porsch den Stand der empirischen Bildungsforschung zu drei Thesen der Debatten zum Quereinstieg ins Lehramt zusammen (Porsch, 2021). Für alle, die sich für Forschung zum Quereinstieg interessieren, ist dieser Beitrag eine großartige Fundgrube. Daher möchte ich an dieser Stelle schon einmal eine Leseempfehlung aussprechen. Sie unterscheidet dabei drei Thesen, die auch in diesem Beitrag aufgegriffen werden und zu denen ich exemplarisch etwas vertiefter in einzelne Studien schauen möchte.

„These 1: Quer- und Seiteneinsteiger*innen verfügen nicht über ausreichend hohe bzw. günstig ausgeprägte professionelle Kompetenzen“ (Porsch, 2021, S. 210)

Dies ist eine der häufigsten Annahmen zu Lehrkräften mit alternativem Zugang zum Beruf. Auf der anderen Seite gibt es aber auch die Ansicht, dass Quereinsteiger*innen gerade im fachlichen Bereich sogar besser qualifiziert wären, als Lehrkräfte mit grundständigem Lehramtsstudium. Die empirische Prüfung solcher Annahmen ist aber durchaus herausfordernd, da professionelle Kompetenzen eine große Zahl unterschiedlicher Dispositionen bzw. Voraussetzungen betreffen. Der Definition von Baumert & Kunter (2006) folgend bilden z.B. sowohl das professionelle Wissen, als auch Überzeugungen sowie motivationale und volitionale Orientierungen wichtige Bestandteile professioneller Handlungskompetenz von Lehrkräften. Dabei wird das professionelle Wissen in der deutschsprachigen Forschung häufig grob in die drei Dimensionen fachliches Wissen, fachdidaktisches Wissen und pädagogisches Wissen unterschieden (in Anlehnung an z.B. Shulman, 1986). Generell muss man allerdings festhalten, dass eher wenig Untersuchungen vorliegen, die das professionelle Wissen von (angehenden) Lehrkräften untersuchen und dabei einen Vergleich zwischen Personen mit grundständigem und alternativem Zugang zum Lehramt ermöglichen. Wie schon im letzten Beitrag gesehen, liegen auch hier hauptsächlich Ergebnisse zu MINT-Lehrkräften vor.

Eine wichtige Studie hierzu stammt aus dem Projekt COACTIV-R (Cognitive Activation in the Classroom), die es als ein Projekt der Bildungsforschung sogar zu einem Wikipediaeintrag gebracht hat. In diesem Projekt wurden ca. 800 Referendar*innen mit dem Fach Mathematik in den Jahren 2007 und 2009 zu ihrem professionellen Wissen befragt. Dies geschieht mit standardisierten, schriftlichen Leistungstests (im Prinzip sehr gut validierte Aufgaben). Die Ergebnisse finden sich in verschiedenen Publikationen. Dabei konnten keine Unterschiede bezogen auf das fachmathematische und das mathematikdidaktische Wissen zwischen Quereinsteiger*innen und grundständig ausgebildeten Referendar*innen festgestellt werden, allerdings verfügten die Quereinsteiger*innen signifikant über ein etwas geringeres pädagogisch-psychologisches Wissen (Lucksnat et al., 2020). Allerdings muss hierbei beachtet werden, dass die Zahl der Quereinsteiger*innen mit N = 72 zu den grundständigen Lehrkräften von N = 770 eher klein war und die Zahl der Seiteneinsteiger*innen die der Quereinsteiger*innen häufig weit übersteigt (vgl. KMK, 2021). Insofern sagt die Studie eher etwas über die Personen aus, die zumindest die zweite Phase der Lehramtsausbildung absolvieren und nicht über den größten Anteil an Lehrkräften aus einem alternativen Zugang ins Lehramt.

Bildnachweis: © Logos Verlag

Aber auch bezogen auf Referendar*innen mit dem Fach Physik konnten keine signifikanten Unterschiede im physikalisch-fachlichen und dem physikdidaktischen Wissen festgestellt werden (Oettinghaus, 2016), davon N = 147 Quereinsteiger*innen und N = 221 Referendar*innen mit grundständigem Lehramtsstudium. Auch hier fehlen aber Daten zu Seiteneinsteiger*innen. In beiden Studien wurden ebenfalls keine bedeutsamen Unterschiede bzgl. der motivationalen Orientierungen (z.B. Berufsmotivation) oder Einstellungen (z.B. zum Lehren und Lernen) beobachtet. Insgesamt liegen für eine eindeutige Betrachtung der These noch zu wenige Untersuchungen vor, insbesondere für die Nicht-MINT-Fächer.

„These 2: Der Unterricht von Quer- und Seiteneinsteigerinnen weist eine geringere Qualität auf als der Unterricht von traditionell ausgebildeten Lehrkräften und führt zu Nachteilen in der Lernentwicklung bei Schülerinnen.“ (Porsch, 2021, S. 212)

Wurde vorher betrachtet, ob Quer- und Seiteneinsteigende über andere Kompetenzen verfügen, als Lehrkräfte mit Lehramtsstudium, bezieht sich diese zweite These eher auf den Unterricht, der von diesen auch tatsächlich angeboten wird. Es liegen allerdings keinerlei Studien vor, die einen Vergleich der Unterrichtsqualität (z.B. in Videostudien) ermöglichen. Betrachtet man die Leistungen von Schüler*innen, können mit den Ergebnissen der repräsentativen Untersuchungen des IQB-Bildungstrends (vgl. auch den ersten Beitrag) Vergleiche zwischen den Gruppen vorgenommen werden. Für die Fächer Deutsch konnten bzgl. der Sekundarstufe I keine Unterschiede in Schüler*innenleistungen von grundständig ausgebildeten Lehrkräften und Quer- bzw. Seiteneinsteiger*innen beobachtet werden, für das Fach Englisch geringe Unterschiede, wenn die Zusammensetzung der Klassen in Mehrebenenanalysen berücksichtigt wurde (vgl. Stanat et al., 2016). Insgesamt betrug der Anteil von Quer- und Seiteneinsteigenden im Fach Deutsch bundesweit 5,6%, im Fach Englisch 6,8%. Dabei stellte sich aber als methodische Schwierigkeit die Zuordnung befragter Schüler*innen zu Lehrkräften heraus: „Im Fach Deutsch konnten je nach Kompetenzbereich zwischen 57 und 59 Prozent der Schülerinnen und Schüler eindeutig einer Lehrkraft zugeordnet werden. In den Kompetenzbereichen des Fachs Englisch lagen die Zuordnungsquoten bei jeweils 55 Prozent. Erschwert wurde der Abgleich von Schüler- und Lehrerdaten insbesondere durch unvollständige oder inkorrekte Angaben der Lehrkräfte. Auch wurde der Lehrerfragebogen nicht in jedem Fall von der Lehrkraft bearbeitet, die in der jeweiligen Klasse das betreffende Fach auch tatsächlich unterrichtete.“ (Stanat et al., 2016, S. 497) Die Ergebnisse sind daher auch mit erheblicher Unsicherheit behaftet. Für die Naturwissenschaften und Mathematik konnten ebenfalls keine Unterschiede bei gleicher Analysestrategie und behaftet mit ähnlichen methodischen Schwierigkeiten beobachtet werden (vgl. Stanat et al., 2019, S. 404). Übrigens: fachfremdes Unterrichten hingegen hatte einen negativen Effekt in allen untersuchten Hauptfächern. Bezogen auf die These 2 insgesamt liegen aber zu wenige Ergebnisse vor, um eindeutige Aussagen zu treffen.

Auch wenn eher wenige Studien bezogen auf die Kompetenzen von Quereinsteigenden in Deutschland vorliegen, deutet sich in der Tendenz bisher an, dass kaum Unterschiede zu Lehrkräften mit grundständigem Studium festgestellt werden (über Seiteneinsteiger*innen ist kaum etwas bekannt). Vor dem Hintergrund der Forschungslage könnte man daher auf den Gedanken kommen: „Ist doch alles halb so wild. Scheint doch kein Problem vorzuliegen“. Warum wird der Quereinstieg bzw. eigentlich der Seiteneinstieg dann immer wieder so kontrovers und emotional diskutiert? Diese Frage wird, ebenso wie die dritte These von Porsch (2021), das Thema des dritten Beitrags zum Thema Quereinstieg ins Lehramt bilden. Man findet ihn hier.

Literatur

  • Baumert, J. & Kunter, M. (2006). Stichwort: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 9(4), 469–520. (Online)
  • Lucksnat, C., Richter, E., Klusmann, U. & Richter, D. (2020). Unterschiedliche Wege ins Lehramt – unterschiedliche Kompetenzen? Ein Vergleich von Quereinsteigern und traditionell ausgebildeten Lehramtsanwärtern im Vorbereitungsdienst. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 1–16, (Online)
  • KMK (2021). Einstellung von Lehrkräften  2020. (Online)
  • Oettinghaus, L. (2016). Lehrerüberzeugungen und physikbezogenes Professionswissen. Vergleich von Absolventinnen und Absolventen verschiedener Ausbildungswege im Physikreferendariat. Berlin: Logos.
  • Porsch, R. (2021). Quer- und Seiteneinsteiger*innen im Lehrer*innenberuf – Thesen in der Debatte um die Einstellung nicht traditionell ausgebildeter Lehrkräfte. In C. Reintjes, T-S. Idel, Bellenberg, G., & Thönes, K. V. (Hrsg.). Schulpraktische Studien und Professionalisierung: Kohärenzambitionen und alternative Zugänge zum Lehrberuf (S. 207-228). Münster: Waxmann. (Online)
  • Shulman, L. S. (1986). Those who understand. Knowledge growth in teaching. Educational Researcher, 15(2), 4–14. (Online)
  • Stanat, P., Böhme, K., Schipolowski, S., & Haag, N. (Hrsg.). (2016). IQB-Bildungstrend 2015: sprachliche Kompetenzen am Ende der 9. Jahrgangsstufe im zweiten Ländervergleich. Münster: Waxmann. (Online)
  • Stanat, P., Schipolowski, S., Mahler, N., Weirich, S., & Henschel, S. (Hrsg.) (2019). IQB-Bildungstrend 2018. Mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen am Ende der Sekundarstufe I im zweiten Ländervergleich. Münster: Waxmann. (Online)

Besuch auf dem 29. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung – Standortbestimmungen

Bildnachweis: © DGFF 2021

Letzte Woche waren Christoph Vogelsang und meine Wenigkeit, Thomas Janzen, auf dem zweijährlichen Kongress der DGFF, der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung, der dieses Jahr coronabedingt digital stattfand und von der Universität Duisburg-Essen ausgerichtet worden ist. Ziel des Besuchs der Tagung, die unter dem Titel „Standortbestimmungen“ lief, war es Eindrücke aus aktueller Forschung in der Fremdsprachendidaktik zu erhalten und neue Impulse für die Arbeit im Projekt mitzunehmen. Daher lag der Fokus der von uns besuchten Vorträge auf den Themen der Lehrkräfteprofessionalisierung und -ausbildung, des Feedbacks und des Schreibens.

So wurden z.B. auf dem Vortrag von Olivia Rütti-Joy der Pädagogischen Hochschule St. Gallen interessante Ergebnisse zu Untersuchungen einer Interventionsstudie zu berufsspezifischen Sprachkenntnissen von Englischlehrkräften im Bereich Feedback berichtet. Spannend war außerdem der Vortrag von Dr. Almut Schön der TU Berlin, die von ihren Forschungsergebnissen zu Interaktionskompetenz in Fachsprachenprüfungen im Bereich DaF von Ärzten berichtete. Da diese, wie unsere Performanztests, ebenfalls den klassischen OSCE der Mediziner*innenausbildung ähneln, aber einen fremdsprachlichen Fokus haben, freuen wir uns schon darauf, demnächst in einen tiefergehenden Austausch zu kommen.

Viel zu diskutieren gab es auch in dem Nachwuchscafé reloaded, was als eine Art Symposium von Prof. Dr. Frauke Matz und Prof. Dr. Dominik Rumlich, unserem Kooperationspartner für das Fach Englisch, angeboten wurde. Es gab einen angeregten Austausch über Wege zur Promotion, Ängste und Sorgen im Prozess und Optionen für die Zeit danach. Deutlich wurde, dass zwar jeder Prozess individuell verläuft, aber der Weg nicht alleine zu schaffen ist. Neben den spannenden Einzelvorträgen in den Sektionen und den Symposien gab es auch drei unterschiedliche interdisziplinäre Plenarvorträge von Prof. Dr. Susanne Prediger, die die Wichtigkeit von Sprache im Fach Mathematik diskutierte, Dr. Bonny Norton aus Kanada, die über digital storytelling in einer multilingualen Zukunft vortrug und zuletzt Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani, der in seinem Vortrag den großen Bogen von Strukturwandel in offenen Gesellschaften und Sprache spannte.

Ich gehe mit gestärkter Motivation und vielen Eindrücken von tollen und anregungsreichen Vorträgen von diesem Kongress zurück an die Arbeit im Projekt. Wir möchten uns beide für die zum Großteil reibungslose Organisation und Durchführung bei dem ganzen Kongressteam der Universität Duisburg-Essen unter der Leitung von Prof Dr. Eva Wilden bedanken und freuen uns schon auf den nächsten Kongress im Jahr 2023 – dann ganz sicher auch mit einem Beitrag aus dem Projekt PERFORM-LA 😉

Vorträge:

  • El-Mafaalani, A. (2021). Teilhabe, Rassismus und Strukturwandel in offenen Gesellschaften. 29. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung, Universität Duisburg-Essen (online), 24.09.2021.
  • Matz, F. & Rumlich, D. (2021). Nachwuchs Café (reloaded) Standortbestimmungen… . (Symposium). 29. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung, Universität Duisburg-Essen (online), 23.09.2021.
  • Norton, B. (2021). Identity, Investment, and Digital Storytelling for a Multilingual Future. (Keynote). 29. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung, Universität Duisburg-Essen (online) , 23.09.2021.
  • Prediger, S. (2021). Forschungsformate zum Beitrag der Sprachbildung zur Bildungsgerechtigkeit –Erfahrungen aus einer anderen Fachdidaktik. (Keynote). 29. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung, Universität Duisburg-Essen (online) , 22.09.2021.
  • Rütti-Joy, O. (2021). Feedback-Literalität an der Schnittstelle der Fremdsprachenforschung, Englischdidaktik und empirischen Bildungsforschung: Wie verortet sich die Fremdsprachenkompetenz? (Konferenzbeitrag). 29. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung, Universität Duisburg-Essen (online), 23.09.2021.
  • Schön, A. (2021). Interaktionskompetenz erforschen und testen: am Beispiel der Fachsprachenprüfungen in DaF für Ärzte. (Konferenzbeitrag). 29. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung, Universität Duisburg-Essen (online), 24.09.2021.

Quereinstieg ins Lehramt im Licht der Bildungsforschung – 1/4

Notwendiges Übel oder Rettung der Unterrichtsversorgung?

Einbettung von: Deutschlandfunk, Campus & Karriere, Sendung vom 15.09.2021

Die Lehramtsausbildung war Thema in der Sendung Campus & Karriere beim Deutschlandfunk, genauer gesagt ging es um das Thema Quereinstieg ins Lehramt (Sendung vom 15.09.2021). Am Fall einer promovierten Kollegin aus der Germanistik werden verschiedene Schwierigkeiten verdeutlicht, die auftreten können, wenn man quer in den Lehrer*innenberuf einsteigen möchte. Hierbei wird insbesondere auf die fehlende Anerkennung von Qualifizierungen eingegangen und die Intransparenz der Prüfungsverfahren kritisiert. Dabei wird im Beitrag angesichts des hohen Bedarfs an Lehrkräften deutlich gemacht, dass zumindest für den diskutierten Fall nicht nachvollziehbar ist, warum die Studien- und auch weiterbildenden Leistungen der Kollegin nicht anerkannt werden und sie als Aushilfslehrkraft eingestellt wird. Zumal diese an der Universität selbst Lehramtsstudierende in Praxisphasen betreut hat.

Insgesamt wird das Thema Quereinstieg auch an anderer Stelle immer wieder kontrovers und auch emotional diskutiert. Dabei steht der Radiobeitrag exemplarisch für einige Fragen oder Thesen, die bei diesem Themenkomplex immer wieder angesprochen werden. Unbestritten ist meist, dass der Bedarf an Lehrkräften nicht vollständig durch Absolvent*innen von Lehramtsstudiengängen gedeckt werden kann bzw. wird. Was allerdings strittig diskutiert wird, ist, ob Quereinsteigende ins Lehramt ausreichend für den Beruf qualifiziert sind und auch einen vergleichbar guten Unterricht gestalten können. Oder anders gefragt: Welche Voraussetzungen sollen und müssen Personen mitbringen, die in den Lehrer*innenberuf quer einsteigen wollen? Viele wissenschaftliche Fachgesellschaften haben hierzu Positionspapiere verabschiedet, wie z.B. die Gesellschaft für Fachdidaktik (GFD) im Positionspapier Ergänzende Wege der Professionalisierung von Lehrkräften, in dem als erste Leitlinie gefordert wird: „Die Standards einer akademischen Profession sind nicht verhandelbar. Sie gelten daher für
alle Professionalisierungswege.“ (GFD, 2018, S. 1). Gemein sind nicht nur akademische Standards, also ein Studium eines Faches an sich, sondern die akademischen Standards der Profession Lehrer*in.

Wie bei allen bildungspolitischen Fragen argumentieren alle Beteiligten ausgehend von bestimmten Annahmen oder normativen Setzungen. Ob diese Annahmen, wie bspw. die genannte, dass Quereinsteigende weniger qualifiziert seien, zutreffen, kann mit Methoden der empirischen Bildungsforschung untersucht werden. Hierbei muss zunächst differenziert werden. In den meisten Bundesländern wird zwischen zwei alternativen Wegen unterschieden, ohne grundständiges Lehramtsstudium in den Beruf einzusteigen. Zum einen den eigentlichen Quereinstieg, bei dem Personen ein nicht lehramtsbezogenes Studium absolviert haben und anschließend im typischen Modus den Vorbereitungsdienst bzw. das Referendariat absolvieren. Sie haben also die erste Phase der Lehramtsausbildung nicht durchlaufen, absolvieren aber die zweite Phase. Je nach Bundesland noch verbunden mit weiteren Qualifizierungsmaßnahmen (weil Lehrkräfte bspw. zwei Fächer unterrichten müssen und nicht nur eines). Zum anderen existiert aber auch das Modell des Seiteneinstiegs, bei dem Personen ohne lehramtsbezogenes Studium direkt im Schuldienst eingestellt werden und meist berufsbegleitend weitere Qualifizierungen erwerben. In Diskussionen ist es meist der Seiteneinstieg, der kontroverser diskutiert wird, da dort Einsteigende direkt (auch mit relativ hohen Stundendeputaten) unterrichten. Im Radiobeitrag wird z.B. nicht klar, um welchen Weg es sich handelt, wobei es sich so anhört, als ginge es eigentlich um einen Seiteneinstieg, also die direkte Einstellung in den Beruf. Und grundsätzlich stellt sich die Frage: Ist das Ganze eher ein Einzelfall oder handelt es sich um eine größere Gruppe von Lehrkräften?

Um wie viele Personen geht es überhaupt?

Empirisch ist es dabei zunächst einmal nicht so einfach, Informationen über die Gruppe der Quer- und Seiteneinsteiger*innen zu erhalten. Die Kultusministerkonferenz veröffentlicht regelmäßig Statistiken zur Einstellung von Personen in den Lehrer*innenberuf, die eine grobe Übersicht über den Umfang von Einstellungen von Lehrkräften über alternative Zugangswege ins Lehramt bieten . In den Tabellen zur Einstellung im Jahr 2020 wird deutlich, dass der Anteil an Seiteneinsteiger*innen je nach Bundesland und auch Unterrichtsfächern stark variiert (KMK, 2021, S. 37ff.). Die KMK selbst spricht nicht mehr von Seiteneinsteiger*innen, sondern von sonstigen (unbefristeten) Lehrkräften. Bundesweit betrug der Anteil an Seiteneinsteiger*innen im Jahr 2020 bspw. 10,2%, einem Wert, der ungefähr dem Mittel über die letzten vier Jahre entspricht. Der Anteil variiert dabei zwischen den Bundesländern von 0,4% in Hessen bis zu 47,6% in Sachsen-Anhalt (unsere Heimat NRW liegt bei 9,6%). Die Anteile in den Fächern werden leider nicht direkt ausgewiesen, aber die größten Zahlen liegen in den beruflichen Fächern für berufsbildende Schulen und den Naturwissenschaften. Die Zahlen für den Quereinstieg finden sich im Bericht an anderer Stelle (KMK, 2021, S. 61ff.) unter dem Stichwort der Einstellungen in den Vorbereitungsdienst mit nicht-lehramtsbezogenem Studienabschluss. Auch hierbei schwanken die Anteile an Quereinsteigenden von 0,0% in NRW und im Saarland bis 20,5% in Schleswig-Holstein. Hier werden allerdings nicht die Fächer aufgeschlüsselt, sondern die Zielschulformen, wobei auch hier das Lehramt für Primarstufe mit 18,0% den größten Anteil stellt. Dabei handelt es sich allerdings um Neueinstellungen und es fällt auf, dass die Zahl der Seiteneinsteiger*innen absolut weit größer ist als die Zahl der Quereinsteiger*innen.

Den Anteil an Lehrkräften im Schuldienst mit alternativem Zugangsweg festzustellen, ist insgesamt schwieriger. Für das Fach Physik (mein Hintergrund in der Lehrer*innenbildung) wurden Daten aus einer bundesweiten Befragung der Kultusministerien in der Quereinsteigerstudie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft zusammengetragen (Korneck et al., 2010). Fasst man die Jahre 2002 bis 2008 zusammen, dann haben in 12 von 16 Bundesländern ca. 45% der neu eingestellten Lehrkräfte im Fach Physik einen Quer- oder Seiteneinstieg absolviert und sind wahrscheinlich noch tätig. Im repräsentativen Bildungstrend des Instituts zur Qualitätssicherung im Bildungssystem (IQB) aus dem Jahr 2018 (Stanat el al., 2019, S. 394), war der Anteil an tätigen (!) Lehrkräften mit Quer- oder Seiteneinstieg bundesweit 17,0% im Fach Physik . In Mathematik betrug er bspw. 8,7%, in Chemie 14,5%. Wie man hier schon feststellen kann, liegen insbesondere zu MINT-Lehrkräften detailliertere Daten vor.

Und was bringen sie so mit?

In Befragungen an Studienseminaren (basierend auf N = 223 Referendar*innen im Jahr 2009) konnten Lamprecht, Oettinghaus & Korneck (2011) weitere Informationen zu den Hintergründen von Quereinsteiger*innen erhalten. Sie haben z.B. ein leicht besseres Abitur im Vergleich zu Lehramtsstudierenden (Durchschnittsnote: 1,7 im Vergleich zu 1,9), waren (erwartungsgemäß) älter und haben meist schon eigene Kinder. Sie verfügen (auch erwartungsgemäß) über mehr Berufserfahrungen, wobei der Anteil von 26% an Personen ohne jegliche Berufserfahrung relativ hoch ausfiel. Haben Sie vorher an Hochschulen gearbeitet, weisen sie auch meist Lehrerfahrungen an der Hochschule auf. Im Prinzip also ein sehr ähnlicher Fall wie im Radiobeitrag. Ähnliche Studien für andere Fächer sind mir nicht bekannt und ich bin für Hinweise auf solche sehr dankbar.

Es lässt sich feststellen, dass die Betrachtung von alternativen Wegen ins Lehramt aus Sicht der Bildungsforschung schon auf Ebene der Demografie von Quer- und Seiteneinsteiger*innen schwer zu beantworten ist. Der Frage, ob sie sich auch hinsichtlich ihrer Kompetenzen (z.B. ihres professionellen Wissens) oder ihrer Einstellungen zum Unterricht von grundständig ausgebildeten Lehrkräften unterscheiden bzw. welche Erkenntnisse aus der Bildungsforschung hierzu vorliegen, wird im zweiten Beitrag zu diesem Thema aufgegriffen.

P.S. Liebe Grüße an die Kolleg*innen aus der Physikdidaktik in Frankfurt, auf deren Arbeit viele Ergebnisse zu Quer- und Seiteneinsteiger*innen basieren. Ich werde euch auch im nächsten Beitrag noch zitieren ;).

Literatur

  • GFD (2018). Ergänzende Wege der Professionalisierung von Lehrkräften. Positionspapier der GFD zur Problematik des Quer- und Seiteneinstiegs. (Online)
  • Korneck, F., Lamprecht, J., Wodzinski, R., & Schecker, H. (2010). Quereinsteiger in das Lehramt Physik – Lage und Perspektiven der Physiklehrerausbildung in Deutschland. Eine Studie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Deutsche Physikalische Gesellschaft. (Online)
  • KMK (2021). Einstellung von Lehrkräften 2020. (Online)
  • Oettinghaus, L., Lamprecht, J., & Korneck, F. (2011). Quereinsteiger und Lehramtsabsolventen im Fach Physik – Vergleich der Ausbildungswege und Berufsbiografien. In D. Höttecke (Hrsg.). Naturwissenschaftliche Bildung als Beitrag zur Gestaltung partizipativer Demokratie – Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik – Jahrestagung 2010 in Potsdam (S. 75-78). Münster: LIT.
  • Stanat, P., Schipolowski, S., Mahler, N., Weirich, S., & Henschel, S. (2019). IQB-Bildungstrend 2018. Mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen am Ende der Sekundarstufe I im zweiten Ländervergleich. Münster: Waxmann. (Online)

„Das hast du aber gut gemacht!“

Warum das kein gutes Feedback ist
und wie Feedback mit Lernenden effektiv gestaltet werden kann

Was auch immer wir tun, nicht selten bekommen wir eine Rückmeldung – oder Feedback – darüber, wie wir es getan haben. Wenn wir kochen, wird gesagt wie es schmeckt, wenn wir eine (vermeintlich) lustige Anekdote erzählen, wird (hoffentlich) gelacht und wenn wir in der Schule eine Prüfung ablegen, wird uns gesagt, wie gut oder schlecht unsere Leistung war. Doch obwohl Leistungsrückmeldungen in der Schule zu den alltäglichen Aufgaben der Lehrkräfte zählen, ist dieser Aspekt in der universitären Lehramtsausbildung nicht adäquat repräsentiert. Um dem entgegenzuwirken, soll ein performanznahes Prüfungsformat entwickelt werden, welches genau diesen Kompetenzbereich bei angehenden Lehrkräften prüft und fördert. Um ein solches Prüfungsformat entwickeln zu können, muss allerdings das Konstrukt ‚Feedback‘ näher beleuchtet werden.

Was ist Feedback und brauchen wir es überhaupt?

Eine gängige Definition von Feedback ist bei Hattie & Timperley zu finden, welche dieses als „information provided by an agent (e.g., teacher, peer, book, parent, self, experience) regarding aspects of one’s performance or understanding” (2007, S. 81) verstehen. Grundsätzlich folgt diese Definition einer kognitivistischen Auffassung von Feedback, die es als eine unidirektionale Vermittlung von Wissen darstellt (Ajjawi & Boud, 2017, S. 252).

Aber sollten wir überhaupt Feedback geben? In der Forschung wird Feedback eine generelle Effektstärke zwischen d=0,79 und d=0,48 auf den Lernerfolg von Schüler*innen zugeschrieben was einen großen bis mittleren Effekt bedeutet (Wisniewski et al. 2020). Doch Feedback ist nicht gleich Feedback und auch nicht ausschließlich positiv zu betrachten. So hat ca. ein Drittel des gegebenen Feedbacks negative Auswirkungen und ist nicht lernförderlich (Narciss, 2014). Es ist daher wichtig dieses diverse Konstrukt detailliert zu betrachten. Ein zentrales Ergebnis aus der Studie von Hattie & Timperley (2007) ist, dass Feedback auf vier Ebenen gegeben werden kann:

  • Aufgabe,
  • Prozess,
  • Selbstregulation und
  • Selbst.

Außerdem kann Feedback in drei Perspektiven erfolgen:

  • Feed back: Wie hat es geklappt?
  • Feed up: Wo geht es hin?
  • Feed forward: Was muss getan werden, um dahin zukommen?

In der Studie stellte sich außerdem heraus, dass Feedback vor allem dann effektiv ist, wenn es auf die Aufgabe, den Prozess und die Selbstregulation bezogen ist (high-information Feedback), wohingegen Rückmeldungen auf der Ebene des Selbst, also z.B. Lob oder Kritik an der Person selbst, sogar hinderlich sein kann (Hattie & Timperley, 2007; Zierer, 2019). Schaut man sich also die Überschrift nochmal an, stellt man schnell fest, dass diese Art von Rückmeldung inhaltsleer ist, sich nur auf die Person bezieht und damit wenig effektiv ist. Weiterhin führen Hattie & Wollenschläger (2014) an, dass weniger bedeutsam ist, welches Feedback Lehrkräfte geben, sondern was bei den Lernenden ankommt – und diese interessiert vor allem, wie sie sich verbessern können (siehe auch Zierer, 2019, S. 7).

Feedback, doch nicht so einseitig?

Andere Ansätze sehen Feedback als wesentlich komplexeres Konstrukt, in welchem die Lernenden eine aktive Rolle spielen und nicht lediglich passiv Informationen empfangen, so wie es die Definition eingangs impliziert. So definieren Boud & Molloy (2012) Feedback als „ process whereby learners obtain information about their work in order to appreciate the similarities and differences between the appropriate standards for any given work, and the qualities of the work“. Den Lernenden wird somit eine größere Autonomie im eigenen Lernprozess zugeschrieben, was essenziell für eine höhere Lernmotivation und damit auch für höheren Lernerfolg ist (vgl. Deci & Ryan, 1985). Teil dieses Feedbackprozesses ist ein Dialog zwischen den Lernenden und der Feedbackquelle, in der das benötigte Feedback ausgehandelt wird (vgl. Boud & Molloy, 2012, S. 90). Ziel dieser Feedbackaushandlungen ist es herauszufinden, welche Informationen und Hilfestellungen die Lernenden benötigen, um sich zu verbessern. Aljaafreh & Lantolf (1994) bedienen sich in ihrer Studie Vygotskys soziokulturellem Ansatz (Vygotsky, 1978) und dem Modell der „Zone der nächsten Entwicklung“. Diese Zone beschreibt das Lernpotential von Lernenden, welches sie mit Unterstützung von Expert*innen ausschöpfen können. In ihrer Studie konnten sie zeigen, dass Feedback effektiv ist, wenn es im Dialog geführt wird und gestuft innerhalb Zone der nächsten Entwicklung ausgehandelt wird. So kann gezielt auf die Bedürfnisse der individuellen Lernenden eingegangen werden und das Feedback wird adaptiv gestaltet.

Für das Forschungsprojekt lassen sich so erste wesentliche Erkenntnisse und Kriterien ableiten, die für das im Performanztest angestrebte Konstrukt relevant sind. Feedback sollte…

  • sich auf Aufgabe, Prozess und Selbstregulation beziehen,
  • die drei Perspektiven feed back / feed up / feed forward berücksichtigen, wobei letzteres für Lernende am bedeutsamsten ist,
  • im Dialog stattfinden und
  • auf die individuellen Bedürfnisse eingehen, also adaptiv sein.

Neben dem ist es auch wichtig, fachspezifische Aspekte von Feedback zu beleuchten, was Thema eines nächsten Beitrags sein wird. Darin wird ein expliziter Fokus auf das Feedback im Kompetenzbereich Schreiben für Lernende einer Fremdsprache gelegt.

Literatur

  • Ajjawi, R. & Boud, D. (2017). Researching feedback dialogue: an interactional analysis approach. Assessment & Evaluation in Higher Education, 42(2), 252–265. (Online)
  • Aljaafreh, a. & Lantolf, J. P. (1994). Negative Feedback as Regulation and Second Language Learning in the Zone of Proximal Development. The Modern Language Journal, 78(4), 465-483.
  • D. Boud & E. Molloy (Hrsg.), Feedback in Higher and Professional Education. Routledge. (Online)
  • Deci, E. L. & Ryan, R. M. (1985). Intrinsic Motivation and Self-Determination in Human Behavior. Springer US. (Online)
  • Hattie, J. & Timperley, H. (2007). The Power of Feedback. Review of Educational Research, 77(1), 81-112. (Online)
  • Hattie, J. & Wollenschläger, M. (2014). A conceptualization of feedback. In H. Ditton & A. Müller (Hrsg.), Feedback und Rückmeldungen: Theoretische Grundlagen, empirische Befunde, praktische Anwendungsfelder (S. 135–149). Waxmann.
  • Narciss, S. (2014). Modelle zu den Bedingungen und Wirkungen von Feedback in Lehr-Lernsituationen. In H. Ditton & A. Müller (Hrsg.), Feedback und Rückmeldungen: Theoretische Grundlagen, empirische Befunde, praktische Anwendungsfelder (43-). Waxmann.
  • Vygotskij, L. S. (1978). Mind in society: The development of higher psychological processes (M. Cole, V. John-Steiner, S. Scribner & E. Souberman, Hg.). Harvard University Press.
  • Wisniewski, B., Zierer, K. & Hattie, J. (2020). The Power of Feedback Revisited: A Meta-Analysis of Educational Feedback Research. Frontiers in psychology, 10. (Online)
  • Zierer, K. (2019). Erfolgreiches Feedback ist nicht einfach, aber es ist wirkmächig. Friedrich Jahresheft, 6–9.

Nachwuchsforschungsgruppen in der empirischen Bildungsforschung

Wir als Nachwuchsforschungsgruppe werden gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Dabei sind wir Teil eines Netzwerks mehrerer Nachwuchsforschungsgruppen, die sich mit spannenden, aktuellen Fragestellungen der empirischen Bildungsforschung auseinandersetzen. Die thematische Spannbreite ist groß und umfasst bspw. Projekte zur Professionalisierung von angehenden Lehrkräften, zum Umgang mit Heterogenität im Bildungssystem oder zum Einfluss sozialer Ungleichheit auf den Zugang zum Studium. Wie es sich für Forschungsprojekte gehört, haben sie auch alle ein schönes Akronym ;).

ACCESS Institutionelle Hürden bei Studienentscheidungen – soziale Ungleichheit, Zulassungsverfahren und ihre Folgen (Dr. Florian R. Hertel, Universität Hamburg)

DigGaH Digitaler Schutz vor sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche mit Hörbehinderung (Jun.-Prof. Laura Kathrin Avemarie, PH Heidelberg)

EDIREG Bildungsintegration von Kindern und Jugendlichen mit Fluchthintergrund in Deutschland (Dr. Oliver Winkler, Universität Halle-Wittenberg)

FALKO-PV Fachspezifische Lehrkraftkompetenzen – Prädiktive Validierung von Professionswissenstests für Lehrkräfte in sechs Unterrichtsfächern (Dr. Alfred Lindl, Universität Regensburg)

FORMAT Formatives Assessment beim Schreiben: Automatisiertes Feedback unter Verwendung von künstlicher Intelligenz (Dr. Johanna Fleckenstein, Universität Kiel)

MARE Multiliteralität als Arbeitsmarktressource. Soziale Erwerbsbedingungen multiliteraler Kompetenzen und deren Transformierbarkeit in ökonomisches Kapital (Dr. Irina Usanova, Universität Hamburg)

MuHik Multidimensionale Heterogenität im Klassenzimmer: Messung, Effekte, Mechanismen (Dr. Camilla Rjosk, IQB)

Wir freuen uns auf den Austausch und die Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen.

Weitere Informationen zu den einzelnen Gruppen sind zu finden auf den Seiten des
BMBF.

And so the journey begins…

…Was passiert eigentlich in Elternsprechtagsgesprächen?

Menschen gleichen sich in mehr Eigenschaften als sie sich in diesen unterscheiden. In vielerlei Hinsicht bezieht sich das auch auf die Erfahrungen, die Personen im Zuge des Erwachsenwerdens und in ihrem späteren Alltags- und Berufsleben machen. Ein Phänomen, das all jene Personen in diesen unterschiedlichen Phasen verbinden (und trennen) kann, ist der Elternsprechtag.

Für die erste Arbeitsphase zur Entwicklung von fachübergreifende Beratungsgespräche müssen berufstypische Beratungssituationen identifiziert werden. Dabei tritt insbesondere der Elternsprechtag als ein institutionalisiertes und bemerkenswertes Beratungsereignis hervor:

Die Zusammenkunft von Eltern, Lehrkräften und zum Teil Schülerinnen und Schülern an Elternsprechtagen ist ein regelmäßiges Ereignis im Schulalltag, das etwa in der Mitte eines jeden Schulhalbjahres stattfindet und ungefähr zehn Minuten Raum gibt, um über die Leistungen und Verhaltensweisen der jeweiligen Kinder und Jugendlichen zu beraten. Obwohl der Erwerb von Beratungskompetenzen in der Lehramtsausbildung curricular verankert ist, scheinen sich insbesondere angehende Lehrkräfte wenig auf solche Beratungsereignisse (hierzu zählen auch Elterngespräche, Lernentwicklungsgespräche oder Elternabende) vorbereitet zu fühlen. In der Ratgeberliteratur finden sich etliche Hinweise auf Planungs- und Vorbereitungsmöglichkeiten sowie den Umgang mit „heiklen“ Situationen, welche jedoch vornehmlich auf individuellen Erfahrungswerten und sekundärem Expertenwissen basieren. Auf der Seite der Forschung wurden Elternsprechtage als institutionelle und strukturelle Ereignisse mit eingebetteten Kommunikations- und Handlungsräumen umfassend untersucht, während sich aber auch hier nur wenige Untersuchungen identifizieren lassen, die das, was sich unmittelbar in einem Elternsprechtagsgespräch ereignet, in den Fokus nehmen.

Zweifelsohne finden die Gespräche an Elternsprechtagen in einem geschützten Rahmen statt, der eine wesentliche Grundlage für die Vertrauensbildung in der Beratungskommunikation bildet. Die Gespräche selbst aber können wichtige Erkenntnisse über den konkreten Kommunikationsvollzug und die Art und Weise gelingender und misslingender Kommunikation in dieser besonderen Situation liefern und sind daher für die Aus- und Fortbildung im Lehrberuf äußerst relevant.

Lars Wegner hat sich mit seinem Dissertationsprojekt zur „Lehrkraft-Eltern-Interaktionen am Elternsprechtag“ (2016) ebendieser Herausforderung gestellt und für seine gesprächs- und gattungsanalytische Untersuchung 142 Elternsprechtagsgespräche an verschiedenen Gymnasien, Grund-, Haupt- und Gesamtschulen dokumentiert und analysiert.

„Lieber Herr Wegner, da haben Sie sich ja einen echten Hammer vorgenommen, indem Sie in einen der heikelsten Bereiche schulischer Kommunikation und Interaktion vorstoßen wollen“ (Wegner, 2016, 4)

Mit der exemplarischen Darstellung eines Antwortschreibens einer Lehrkraft macht Wegner direkt zu Beginn seiner Dissertation deutlich, unter welchen Voraussetzungen die Sammlung von Datenmaterial in diesem Zusammenhang geschehen ist und welche letztlich durch persönliche Kontakte zu verschiedenen Lehrkräften (und glückliche Zufälle) begünstigt wurde.

Minutiös legt Wegner im Folgenden dar, was ein Elternsprechtagsgespräch in diesem spezifischen Kontext charakterisiert, indem er die konstitutiven Gattungsmerkmale dieser Gespräche herausarbeitet und dabei unter anderem beleuchtet, wie Lehrkräfte, Eltern und Schülerinnen und Schüler, ihre Rollen, Erwartungen, Arbeits- und Lebenswelten und die Institutionalität in einem asymmetrischen Verhältnis im Rahmen einer zeitlich limitierten Gesprächssituation aushandeln.

Wegner identifiziert das Informieren, das Beraten und das Zuschreiben von Verantwortung als die drei wesentlichen konversationellen Aktivitäten eines Elternsprechtagsgespräches und nimmt in diesem Zusammenhang auch die linguistischen Gesprächsmerkmale und ihre spezifischen Funktionen in den Fokus. So kommt Wegner unter anderem zu dem Ergebnis, dass die von ihm identifizierten und analysierten sprachlichen Strukturen und interaktiven Verfahren (z.B. Litotes-, Aposiopese-, DASS-Konstruktionen) als adäquate Lösungen für bestimmte kommunikative Aufgaben in einem Elterngespräch funktionieren.Mit Hinblick auf die in den Gesprächen untersuchten Themen zeichnet sich an vielen Stellen ab, dass die Beteiligten zur Wahrung eines positiven Selbstbildes vorwurfsähnliche Handlungen realisieren, anstatt kooperativ Lösungswege für defizitäre Bildungs- und Erziehungsprozesse zu erarbeiten. Nur sehr vage werden Vereinbarungen über zukünftige Vorgehensweisen getroffen und die ohnehin kurzen Gespräche enden oftmals mit optimistisch anmutenden Floskeln. Daneben ist für manche Gespräche kritisch festzuhalten, dass ihnen durch die Lehrkräfte eine feste Struktur zugrunde gelegt wird, die nur wenig Raum für Abweichungen bietet. Dies wird von Wegner exemplarisch anhand einer Interaktion skizziert, in der ein von einer Schülerin eingebrachtes Problem erst im späteren Verlauf, durch das erneute Aufgreifen der Mutter, zum zentralen Gesprächsthema wird.

Wie Wegner selbst anführt bezieht sich die Anschlussfähigkeit seiner Untersuchungsergebnisse nicht nur auf den Bereich der angewandten Linguistik, sondern kann für die Reflexion, Sensibilisierung und Veränderungen dieser spezifischen kommunikativen Praxis auch im Bereich der Pädagogik seine Relevanz entfalten. Vor diesem Hintergrund ist Wegners Dissertationsschrift eine wertvolle Studie für das Forschungsprojekt PERFORM-LA. Für die Entwicklung und Ausgestaltung handlungsnaher Prüfungsformate liefert die Arbeit einen Überblick über authentische Charakteristika in der Unterscheidung zwischen gelingender und misslingender Beratungskommunikation. Somit empfiehlt sich die Arbeit für alle, die immer schon wissen wollten, was eigentlich in Elternsprechtagsgesprächen passiert.

Literatur
Wegner, L. (2016). Lehrkraft-Eltern-Interaktionen am Elternsprechtag. De Gruyter.