Quereinstieg ins Lehramt im Licht der Bildungsforschung – 3/4

„Lehrer kann doch jeder, man war schließlich lange genug in der Schule.
Da weiß man wie der Hase zu laufen hat!“

In einer kleinen Artikelreihe betrachten wir den Quer- oder Seiteneinstieg ins Lehramt aus der Perspektive der Ergebnisse und Diskussionen der Bildungsforschung. Anlass war ein kurzer Beitrag des Deutschlandfunks, anhand dessen zunächst das Ausmaß des Phänomens betrachtet wurde (siehe den ersten Teil der Reihe). Anschließend wurden Studienergebnisse herangezogen, in denen die professionellen Kompetenzen von Quer- und Seiten*einsteigerinnen und Lehrkräften mit grundständigem Lehramtsstudium sowie den Leistungen ihrer Schüler*innen verglichen wurden (siehe den zweiten Teil der Reihe). Insgesamt liegen sehr wenige empirische Daten vor und wenn, dann eher für MINT-Lehrkräfte. In der Tendenz können aber bisher nur wenige Unterschiede beobachtet werden. In diesem Beitrag gehen wir deshalb noch aus anderen Perspektiven der Frage nach, warum das Thema trotzdem immer wieder so kontrovers und emotional diskutiert wird. Hierzu kehren wir zunächst zurück zu den Thesen, die Raphaela Porsch in ihrem aktuellen Übersichtsbeitrag diskutiert (Porsch, 2021), für den ich auch hier noch einmal eine Leseempfehlung geben möchte.

These 3: Auf die Einstellung von Quer- und Seiteneinsteiger*innen kann
grundsätzlich in Deutschland nicht verzichtet werden.“
(Porsch, 2021, S. 214)

Diese These bezieht sich auf eine der Kernannahmen in Diskussionen zum Quereinstieg: Muss es eigentliche alternative Wege ins Lehramt geben? Reichen nicht die Lehramtsabsolvent*innen? Generell ist es ein empirisch gut beobachtetes Phänomen, dass die Einstellungszahlen von Lehrkräften in Zyklen verlaufen. Ist der Bedarf an Lehrkräften hoch, entscheiden sich mehr junge Menschen für eine Lehramtsausbildung. Da es allerdings zwischen fünf bis sieben Jahren dauert, bis Lehrkräfte vollständig ausgebildet sind, kommt es im Zeitverlauf immer wieder zu Über- oder Unterdeckung des Bedarfs. Sind alle Stellen besetzt, entscheiden sich weniger Personen für das Studium, und in ein paar Jahren fehlen dann wieder Lehrkräfte (insgesamt auch Schweinezyklus genannt). Neben diesen Zyklen gibt es aber weitere Effekte, die dazu beitragen, dass Lehrkräftebedarf und -angebot häufig auseinander driften, wie z.B. Studienabbruch im Lehramt oder eine Erhöhung der Teilzeitquote unter Lehrkräften.

Bildnachweis: © Waxmann Verlag

Betrachtet man die Absolvent*innen des Jahrgangs 2016 lässt sich bundesweit für Lehramtsstudiengänge eine Abbruchquote von ca. 15% feststellen, die im Vergleich mit anderen Studiengängen relativ niedrig ausfällt (Neugebauer, Heublein & Daniel, 2019). Auch hier muss allerdings differenziert werden, dass beträchtliche Unterschiede zwischen Studiengängen und Studienfächern bestehen. Güldener et al. (2020) untersuchten in einer Längsschnittstudie bei Lehramtsstudierenden in Mecklenburg-Vorpommern den „Schwund“ im Lehramtsstudium zwischendem Beginn Wintersemester 2012/2013 und dem Sommersemesters 2019. Dabei beobachten sie einen Unterschied zwischen verschiedenen Studiengängen und teilweise generell hohen Schwund: „Im Lehramt an Gymnasien sind die Kohorten nach zwei Semestern um etwa 30 Prozent geschrumpft , im Lehramt an Regionalen Schulen teilweise um bis zu 40 Prozent.“ (Güldener et al., 2020, S. 388) Dies ist für das Lehramt an Grundschulen und für sonderpädagogische Förderung deutlich anders bzw. es gibt weniger Schwund und mehr Absolvent*innen. Dies verdeutlich exemplarisch, dass meist kein genereller Lehrkräftemangel besteht, sondern meist ein Mangel für spezifische Schulformen und Fächer (siehe hierzu auch die Quoten für den Quer- und Seiteneinstieg im ersten Beitrag). Zusammen mit der Zunahme des Anteils von weiblichen Lehrkräften stieg auch historisch betrachtet der Anteil an Lehrkräften in Teilzeit: „Von den Lehrerinnen an den Grundschulen (die 90 Prozent der Kollegien stellen) arbeiteten in NRW im Jahr 2018/19 46 Prozent in Teilzeit, von den Realschullehrerinnen haben 47,6 Prozent Teilzeit beantragt, von den Gymnasiallehrerinnen 50 Prozent.“ (Zymek & Heinemann, 2020, S. 377). Hierfür gibt es meist nachvollziehbare Gründe, die hier auch nicht bewertet werden sollen. Es soll nur deutlich gemacht werden, dass auch dies ein Faktor ist, der dazu beiträgt, dass Angebot und Bedarf häufig nicht übereinstimmen. Blickt man historisch zurück (vgl. Zymek & Heinemann, 2020), so kann festgestellt werden, dass in der Tat ohne Quer- und Seiteneinstieg der Lehrkräftebedarf nicht vollständig gedeckt werden konnte bzw. kann.

Eine Diskussion des Mangels

Kontroversen zum Quer- und Seiteneinstieg finden also immer vor dem Hintergrund einer eigentlich nie ausreichenden Deckung von Angebot und Bedarf statt. Entsprechend stehen aber auch gerade Entscheider*innen im System Schule immer wieder unter dem Druck, die Unterrichtsversorgung sicherzustellen bzw. den Schweinezyklus zu verwalten. Dies umso mehr, da es eben keinen allgemeinen Mangel an Lehrkräften, sondern primär einen Mangel in bestimmten Schularten und Fächern gibt. Dies ist deutlich sichtbar an den unterschiedlichen Anteilen von Neueinstellungen über alternative Wege ins Lehramt für spezifische Fächer (KMK, 2021). Es prallen bei der Frage des Quer- und Seiteneinstiegs also immer wieder verschiedene Perspektiven, Ziele und Bedürfnisse aufeinander, je nachdem, welche Stimme sich jeweils zu Wort meldet.

Eigentlich sind sich auf Ebene der grundsätzlichen, abstrakten Wünsche alle am Bildungssystem Beteiligten einig, von Schüler*innen, Eltern, Schulleitungen, Lehrkräften, Bildungsadministrator*innen, Lehrerbildner*innen bis hin zu Bildungsforscher*innen (häufig hat man davon ja mehrer Rollen inne). Alle möchten insgesamt eine möglichst gute Schulbildung für Schüler*innen durchgeführt durch professionell qualifizierte und fähige Lehrkräfte. Auf der anderen Seite ist aber gerade in der Alltagsgestaltung eine zuverlässige Unterrichtsversorgung wichtig, bei der wenig Unterricht ausfällt. Und grundsätzlich ist die Annahme ja auch korrekt, dass Unterricht auf jeden Fall stattfinden muss, damit er überhaupt Lernwirkungen erzeugen kann. Herrscht Lehrkräftemangel sind diese beiden Ziele allerdings nicht hundertprozentig vereinbar.

Strittig ist also eher, wie mit der Situation umgegangen werden soll, bzw. welche möglichen Lösungen es für das Dilemma gibt und welche Vor- und Nachteile von Lösungen bestehen. Die Einstellung von Quer- und Seiteneinsteiger*innen ist eine solche Lösungsstrategie. Welche Ansichten und Argumente dabei vorgebracht werden, inwiefern Erkenntnisse der Bildungsforschung bei der Diskussion helfen können und welche Position auch ich aus Sicht von jemandem, der am Thema performanzorientierter Professionalisierung in der Lehramtsausbidung arbeitet, einnehme, wird Beitrag des nächsten und abschließenden Beitrags unserer Reihe zum Quereinstieg sein. Er findet sich hier.

Es lässt sich aber schon jetzt festhalten: An dieser Stelle verlässt man den Boden der Bildungsforschung im engeren Sinne und es geht mehr um die Aushandlung von Strategien, also eher Fragen der Bildungspolitik.

Literatur

  • Güldener, T., Schümann, N., Driesner, I. & Arndt, M. (2020). Schwund im Lehramtsstudium. Die Deutsche Schule, 112(4), 381–398. (Online)
  • KMK (2021). Einstellung von Lehrkräften 2020. (Online)
  • Neugebauer, M., Heublein, U., & Daniel, A. (2019). Studienabbruch in Deutschland: Ausmaß, Ursachen, Folgen, Präventionsmöglichkeiten. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 22(5), 1025-1046. (Online)
  • Porsch, R. (2021). Quer- und Seiteneinsteiger*innen im Lehrer*innenberuf – Thesen in der Debatte um die Einstellung nicht traditionell ausgebildeter Lehrkräfte. In C. Reintjes, T-S. Idel, Bellenberg, G., & Thönes, K. V. (Hrsg.). Schulpraktische Studien und Professionalisierung: Kohärenzambitionen und alternative Zugänge zum Lehrberuf (S. 207-228). Münster: Waxmann. (Online)
  • Zymek, B. & Heinemann, U. (2020). Konjunkturen des Lehrerarbeitsmarkts und der Beschäftigungschancen von Frauen vom 19.  Jahrhundert bis heute. Die Deutsche Schule, 112(4), 364–380. (Online)