Täuschen, Schummeln und Betrügen an der Hochschule im Licht der Bildungsforschung – 1/7

Titel, Thesen, Temperamente

Bildnachweis: © Universität Duisburg-Essen

Anfang Oktober 2021 sorgte ein besonders plakativer Fall von Prüfungsbetrug bzw. Notenhandel an der Universität Duisburg-Essen für Schlagzeilen in der Medienlandschaft, aber auch für interessante Diskussionen innerhalb der akademischen Welt. Eine Mitarbeiterin des zentralen Prüfungsamtes soll gegen die Annahme von Geld die Noten von Studierenden in der zentralen Prüfungsdatenbank verändert haben, natürlich zum besseren. Der Spiegel berichtet vom „Markt der Möglichkeiten“ (Olbrisch, 2021) und listet Beispielpreise auf (z.B. 50 Euro für eine Erhöhung der Notenstufe). Möglich war dies alles, weil die Mitarbeiterin an der richtigen Stelle im System zuständig war: bei der Eingabe der Noten in die zentrale Datenbank, die von den Fakultäten an das Prüfungsamt übermittelt wurden. Manipulationen an dieser Stelle fallen von sich aus kaum auf und so ist es nicht verwunderlich, dass die Untersuchung erst auf einen anonymen Hinweis hin begonnen werden konnte.

Dieser Fall ist ein zugegebenermaßen drastisches Beispiel dafür, dass auch an Hochschulen, die aufgrund ihres wissenschaftlichen Selbstanspruchs auch öffentlich oft als Orte hoher Integrität und Redlichkeit betrachtet werden bzw. werden wollen, Betrug und Täuschungen vorkommen. Dies gilt insbesondere für Prüfungen. Von einem erfolgreichen Bestehen von Prüfungen im Studium hängt für Studierende schließlich viel ab: von der Möglichkeit ein Studium überhaupt beenden zu können bis hin zu besseren Einstellungschancen im Berufsleben. Der berichtete Fall an der Universität Duisburg Essen hat daher auch unangenehme Folgen für Studierende, die ihren Studienabschluss womöglich unrechtmäßig „erkauft“ haben und sich mit ihren Zeugnissen vielleicht schon erfolgreich beworben haben. Wichtig: Der Fall hätte sich auch an anderen Hochschulen ereignen können bzw. solche Fälle kommen weltweit immer wieder vor. Es ist also kein Problem, dass nur einzelne Universitäten betrifft. Uns liegt es fern, unseren Kolleg*innen in Duisburg bzw. Essen Vorwürfe zu machen.

Wir als Forschungsgruppe, die sich mit Prüfungen beschäftigt, haben den Fall in der Kaffeepause auch schon rege diskutiert: „Wie oft kommt so etwas vor? Was bringt Studierende darauf solch einen Handeln einzugehen?“ In einer Beitragsreihe in unserem Blog möchten wir diesen Fragen etwas genauer nachgehen und dabei insbesondere Ergebnissen der Bildungsforschung darstellen.

Worum geht es überhaupt?

Generell werden Täuschungen und Betrug bei Prüfungen in der internationalen Forschung häufig unter den Begriffen academic misconduct, academic malpractice oder academic dishonesty zusammengefasst (z.B. Krou et al., 2021; Ali et al., 2021; Awasthi, 2019), im Deutschen häufig als akademisches Fehlverhalten übersetzt (z.B. Kroher, 2020). Im Glossary for Academic Integrity definieren Tauginienė et al. (2018) academic misconduct als:

„Any action or attempted action that undermines academic integrity and may result in an unfair academic advantage or disadvantage for any member of the academic community or wider society.“

(Tauginiené et al., 2018, S. 8)

Akademisches Fehlverhalten bezieht sich also auf Handlungen, die gegen eine Norm des integren Verhaltens in der akademischen Gemeinschaft verstoßen, verbunden mit dem Ziel, sich unfaire Vorteile gegenüber anderen zu verschaffen. Diese Definition ist sehr breit und hat Ähnlichkeiten zu weiteren Begriffen (z.B. academic fraud). Die Handlungen müssen dabei nicht erfolgreich sein, um als Fehlverhalten zu gelten. Neben Fehlverhalten als Wissenschaftler*in (wobei hier der Begriff scientific misconduct präziser ist; Gross, 2016) kann dies auch Fehlverhalten im Studium bezeichnen, also z.B. Versuche, sich bei Prüfungen mit unfairen Mitteln Vorteile gegenüber Mitstudierenden zu erlangen. Da es um Normen der Institution Hochschule geht, lässt sich nur schwer vollständig angeben, welche denkbaren Handlungen alle unter solches Fehlverhalten fallen. Häufig werden sie beschrieben in Dokumenten, die von Universitäten selbst herausgegeben werden, um die akademische Norm zu kommunizieren. Die ehrwürdige University of California in Berkeley nennt Fehlverhalten in folgenden Kategorien (UC, 2021):

  • Cheating (z.B. Abschreiben in Klausuren, Prüfungen für jemand anderen ablegen)
  • Plagiarism (z.B. Kopieren von Passagen anderer Werke in Hausarbeiten)
  • Course Materials (z.B. Verstecken von Büchern in der Bibliothek vor Mitstudierenden)
  • False Information and Representation, Fabrication or Alteration of Information (z.B. Fälschen von Attesten)
  • Theft or Damage of Intellectual Property (z.B. Zerstören von Arbeitsergebnissen Mitstudierender)
  • Alteration of University Documents (z.B. Fälschen von Zeugnissen bei Bewerbungen)
  • Disturbances in the Classroom (z.B. fälschlicherweises Aktivieren des Feueralarms)

Die FAIRUSE-Studie, die an der Universität Bielefeld durchgeführt wurde und in dieser Artikelreihe noch häufiger auftauchen wird, untersuchte bspw. folgende Arten akademischen Fehlverhaltens (Sattler & Diewald, 2013, S. 18):

  • Plagiieren
  • unerlaubte Hilfsmittel in Klausuren verwenden
  • unerlaubte Hilfsmittel in Klausuren mitnehmen
  • Abschreiben in Klausuren
  • Attest und Ausreden zur Verschiebung von Prüfungen oder Abgabefristen
  • Abschreiben von Arbeitsaufgaben (z.B. Protokolle, Übungszettel)
  • Daten fälschen/verändern

Der oben beschriebene Fall an der Universität Duisburg-Essen würde in diesem Sinne eher nicht als akademisches Fehlverhalten bezeichnet bzw. wird in der Forschung eher unter einem anderen Stichwort betrachtet. Es ist ein Beispiel für academic corruption. Dabei wird eine Position der Autorität bzw. mit einer bestimmten Macht oder Kompetenz ausgenutzt, um persönliche – meist finanzielle – Vorteile zu erlangen (vgl. Rumyantseva, 2005).

In dieser Reihe möchten wir genauer beleuchten, wie groß das Ausmaß akademischen Fehlverhaltens von Studierenden – insbesondere im Lehramtsstudium – eigentlich ist. Zunächst sollte aber der Frage nachgegangen werden, wie man das überhaupt feststellen kann. Schließlich handelt es sich um Handlungen, die die wenigsten Menschen bereitwillig zugeben. Im nächsten Beitrag werden daher Ansätze beschrieben, wie in der Bildungsforschung akademisches Fehlverhalten erfasst werden kann. Er befindet sich hier.

Literatur

  • Ali, I., Sultan, P., & Aboelmaged, M. (2021). A bibliometric analysis of academic misconduct research in higher education: Current status and future research opportunities. Accountability in research, 28(6), 372-393. (Online)
  • Awasthi, S. (2019). Plagiarism and Academic Misconduct: A Systematic Review. DESIDOC Journal of Library & Information Technology39(2), 94-100. (Online)
  • Gross, C. (2016). Scientific misconduct. Annual Review of Psychology67, 693-711. (Online)
  • Kroher, M. (2020). Akademisches Fehlverhalten: Wie ehrlich berichten Studierende über Täuschungen?. In I. Krumpal, & R. Berger (Hrsg.), Devianz und Subkulturen – Theorien, Methoden und empirische Befunde (S. 207-240). Springer VS. (Online)
  • Krou, M. R., Fong, C. J., & Hoff, M. A. (2021). Achievement motivation and academic dishonesty: A meta-analytic investigation. 33, 427–458. (Online)
  • Olbrisch, M. (2021, 06. Oktober). Notenmanipulation an der Uni Duisburg-Essen – Markt der Möglichkeiten. spiegel.de (Online)
  • Rumyantseva, N. L. (2005). Taxonomy of corruption in higher education. Peabody Journal of Education80(1), 81-92. (Online)
  • Sattler, S., & Diewald, M. (2013). FAIRUSE – Fehlverhalten und Betrug bei der Erbringung von Studienleistungen: Individuelle und organisatorisch-strukturelle Bedingungen – Schlussbericht zum Projekt. Universität Bielefeld. (Online)
  • Stiles, B. L., Wong, N. C. W., & LaBeff, E. E. (2018). College cheating thirty years later: The role of academic entitlement. Deviant Behavior39(7), 823-834. (Online)
  • Tauginienė, L., I. Gaižauskaitė, I. Glendinning, J. Kravjar, M. Ojsteršek, L. Ribeiro, T. Odiņeca, F. Marino, M. Cosentino, & S. Sivasubramaniam (2018). Glossary for Academic Integrity – ENAI Report 3G. European Network for Academic Integrity. (Online)
  • University of California (Hrsg.) (2021, 04. November). Definitions & Examples of Academic Misconduct. University of California, Division of Student Affairs. (Online)

Podcast: Klasse(n)arbeit

Ergänzungen zur aktuellen Debatten der Lehramtsausbildung

Einbettung von: Spotify, Podcast „Klasse(n)arbeit“ der Gießener Offensive Lehrerbildung

Die Gießener Offensive Lehrerbildung (GOL), die innerhalb der Qualitätsoffensive Lehrerbildung des BMBF gefördert wird, behandelt in mehreren Podcastfolgen unterschiedliche Fragen und Themen der Lehramtsausbildung. Der Podcast trägt den schönen Titel Klasse(n)arbeit und er kann auf den Seiten der GOL auch heruntergeladen werden (je nach Einstellungen des Browsers). Man findet ihn aber auch bei Spotify (eingebunden oben)

Eine erste Hörempfehlung, insbesondere für Personen, die an wissenschaftlichen Perspektiven interessiert sind, möchte ich Folge 2 mit dem Titel Reflexion reflektieren: Was ist das? Und wenn ja, wie viele?, in der unter Anderem Claudia von Aufschnaiter (Liebe Grüße!) und Christian Hofmann verschiedene Definitionen, Positionen und Perspektiven auf Reflexionsprozesse, – fähigkeiten und -möglichkeiten diskutieren.

Dabei wird deutlich, dass gerade der Umgang mit Reflexion und die Förderung von Reflexivität bei Studierenden ein in der Lehrerbildungsforschung stark diskutiertes Thema ist (vgl. von Aufschnaiter, Fraij & Kost, 2019). Reflexive Anteile in der Lehramtsausbildung werden dabei auch immer wieder kritisch diskutiert, wie es bspw. Tobias Leonard in seiner Keynote auf der Jahrestagung 2021 der DGfE-Sektion Schulpädagogik mit dem Titel Reflexion und Reflexivität in Unterricht, Schule und Lehrer*innen­bildung getan hat, in der er ebenfalls die Beliebigkeit der Verwendung des Reflexionsbegriffs kritisiert und sich gegen überzogene Reflexionsansprüche in der Lehramtsprofessionalisierung in Schule und Hochschule wendet. Es bleibt also ein weiterhin ein heißes Thema der Lehramtsausbildung.

Literatur

  • Leornard, T. (2021). Von der Wiege bis zur Bahre? Rekonstruktionen (all)gegenwärtiger Reflexionsansprüche und ihre Bedeutung für Schule und Lehrer*innenbildung (Konferenzbeitrag). Jahrestagung der DGfE-Sektion Schulpädagogik, Universität Osnabrück (online), 22.09.2021.
  • von Aufschnaiter, C., Fraij, A., & Kost, D. (2019). Reflexion und Reflexivität in der Lehrerbildung. Herausforderung Lehrer* innenbildung-Zeitschrift zur Konzeption, Gestaltung und Diskussion2(1), 144-159. (Online)

Quereinstieg ins Lehramt im Licht der Bildungsforschung – 4/4

Aus einer Situation des Mangels folgt große Verantwortung

In einer Reihe von Artikel thematisieren wir in unserem Blog den Quer- oder Seiteneinstieg ins Lehramt aus der Perspektive der empirischen Bildungsforschung. Im ersten Teil wurden zuerst Statistiken zum Ausmaß von Lehrkräften, die ohne grundständiges Lehramtsstudium im Schulsystem tätig sind betrachtet, im zweiten Teil ein paar wenige Studienergebnisse zu Unterschieden in professionellen Kompetenzen von Quer- und Seiten*einsteigerinnen und Lehrkräften mit grundständigem Lehramtsstudium. Der dritte Teil betrachtete Gründe, weshalb Angebot- und Bedarf von Lehrkräften häufig nicht übereinstimmen. In diesem letzten Teil möchten wir noch einmal einen Blick auf ein zentrales Argument wider des Quer- und Seiteneinstiegs richten. Dabei möchten wir auch noch einmal resümieren, inwiefern auf Basis von Ergebnissen der empirischen Bildungsforschung Erkenntnisse gewonnen werden können, wie alternative Wege ins Lehramt besser unterstützt werden können.

Wie sollten Lehrkräfte ausgebildet werden?

Kritik am Quer- und Seiteneinstieg bezieht sich meist weniger auf seine Existenz an sich, auch wenn sich viele Akteur*innen aus der Lehramtsausbildung meist wünschten, die Absolvent*innen des grundständigen Lehramts würden den Bedarf ausreichend decken. Es geht eher um die Frage, ob Personen, die nicht die vollständige, grundständige Ausbildung durchlaufen haben, auch dieselben Qualifikationsstandards erfüllen. Hintergrund ist, dass in den letzten Jahrzehnten viele Anstregungen unternommen wurden, die Ausbildung von Lehrkräften stärker zu standardisieren und zu professionalisieren. Dies zeigt sich sehr deutlich darin, dass im Jahr 2004 durch die Kultusministerkonferenz die ersten Standards für die Lehrerbildung beschlossen wurden, die – bei all ihrer Unbestimmtheit im Detail und möglicher Schwierigkeiten (vgl. Terhart, 2007) – die Grundlage für alle lehrerbildenden Ausbildungswege in allen Bundesländern bilden (KMK, 2019). Diese Bemühungen um eine Professionalisierung betrifft auch die Ausbildung in den einzelnen Unterrichtsfächern. Dabei ist die Entwicklung an vielen universitären Standorten davon beeinflusst, dass eine professionsorientierte Ausbildung für den Lehrer*innenberuf „sui generis“ erfolgen soll. Also eine Ausbildung „eigener Art“, bei der angehende Lehrkräfte von Anfang an ein professionsorientiertes Studium absolvieren sollen und bewusst nicht zuerst ein reines Fachstudium mit anschließender pädagogischer Weiterqualifikation. Für das Fach Physik fordert bspw. die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) in sechs Thesen für ein modernes Lehramtsstudium im Fach Physik schon 2006: „Den angehenden jungen Lehrkräften muss eine optimale Ausbildung und optimales Werkzeug zur Erfüllung ihrer Aufgabe vermittelt werden. Die Praxis hat gezeigt, dass eine in erheblichem Umfang als „Anhängsel“ an einen Fachstudiengang Physik (Diplom oder Bachelor/Master in Physik) praktizierte Lehrerausbildung diesem Anspruch nicht gerecht wird. Daher muss folgerichtig das Studium für das Lehramt auf dem Gebiet der Physik ein eigens auf diese Anforderungen optimiertes Studium, das heißt ein Studium sui generis sein. Seine Bestandteile sind eine optimierte fachphysikalische und eine physikdidaktische Ausbildung.“ (DPG, 2006, S. 4)

Konterkariert ein Quer- bzw. Seiteneinstieg nicht die Professionalisierung von Lehrkräften?

Zu diesem Gedanken einer Lehramtsausbildung von Anfang an mit einem Studium eigener Art steht natürlich der Quer- und noch stärker durch den Seiteneinstieg zu einem gewissen Grad in Widerspruch. Auch, wenn einzelne Lehramtsstudiengänge formal noch keine direkte Festlegung auf den Beruf vorsehen, also in diesem Sinne polyvalent sind, sind sie aber dennoch häufig so gestaltet, dass ein früher Bezug zurProfession hergestellt wird. Dies kommt dabei auch der hohen Berufswahlsicherheit von Lehramtsstudierenden entgegen, die überwiegend auch von Anfang mit diesem Berufsziel studieren (Bauer et al., 2011). Diese Studienganggestaltung entspricht also tendenziell auch eher dem Wunsch der Zielgruppe. Aus einer anderen Perspektive kann auch folgendes Argument herangeführt werden: wenn die adäquate Bildung von jungen Menschen ein gesellschaftliche hohes und wichtiges Ziel ist, dann sollte sich dies auch in einer professionellen Qualifizierung derjenigen zeigen, die diese Menschen unterrichten. Häufig wird ein Vergleich zu anderen Professionen wie der Medizin getroffen. Dort würde ein Einsatz von Seiteneinsteiger*innen ohne grundständige z.B. im OP nicht so einfach gesellschaftlich akzeptiert werden, wie im Lehrer*innenberuf (auch wenn es dort ebenfalls einen Mangel gibt und mehr Quereinsteigende aus z.B. dem Ausland als gedacht) (vgl. Kommission für Grundschulforschung und Pädagogik der Primarstufe, 2017). Auch bei Juristen wird das Richteramt nicht einfach jemandem übertragen, der quer einsteigt. Auch wenn diese Vergleiche natürlich etwas hinken, haben sie meiner Meinung nach einen wahren Kern. Was bringen alle Bemühungen um eine Verbesserung der Lehramtsausbildung, wenn man sie grundsätzlich eigentlich nicht braucht. Gerade auch in Mangelfächern wie z.B. Physik wird es dann schon schwieriger zu argumentieren, warum man denn auf Lehramt studieren sollte, wenn die Einstellungschancen in den Beruf auch ohne diesen Weg genauso gut sind. Als ein Extrem gab es in der Vergangenheit durchaus die Möglichkeit, dass Lehramtsstudierende noch ohne fertigen Abschluss aus einem Bundesland in den Seiteneinstieg in einem andern Bundesland wechseln konnten (eine Praxis, die aber sehr selten vorkam und aktuell in keinem Bundesland möglich ist). Die Diskussion um den Quereinstieg wird auch deshalb teilweise emotional, weil sich hierin implizit eine geringe Wertung der Bemühungen des Lehramtsausbildungssystems zeigt.

Quereinstieg ja, aber wie?

Bildnachweis: © Gesellschaft für Fachdidaktik

Auf der anderen Seite wird aber auch von Akteur*innen der Lehramtsausbildung der Mangel an Lehrkräften natürlich gesehen und als Problem anerkannt. Insofern wird auch nicht unbedingt eine Abschaffung von alternativen Wegen in den Beruf gefordert, sondern eher ein Sicherstellung der ausreichenden, standardbasierten Professionalisierung der Quer- und Seiteneinsteigenden. So formuliert die Gesellschaft für Fachdidaktik (GFD): „Die Standards einer akademischen Profession sind nicht verhandelbar. Sie gelten daher für alle Professionalisierungswege.“ (GFD, 2018, S. 1) Diese Forderung wird dabei nicht nur von wissenschaftlichen Fachgesellschaften vertreten, sondern zum Teil auch von den Praktiker*innen in Schulen, die die Kolleg*innen mit alternativem Weg in den Beruf häufig begleiten. Bellenberg et al., (2020) führten Experteninterviews mit Schulleitungen und Ausbildungsbeauftragen an vier Schulen im Ruhrgebiet, die relativ viele Seiteneinsteiger*innen eingestellt haben. In den Antworten wird zum einen deutlich, dass die Qualifizierung der Seiteneinsteigenden vorwiegend durch eine Eins-zu-Eins-Betreuung von Fachkolleg*innen vor Ort erfolgt und dabei die Studienseminare, die zumindest die Quereinsteiger*innen ausbilden kaum beteiligt sind. Zudem berichten die Befragten von negativen Folgen für die grundständige Ausbildung: „‚desto mehr Seiteneinsteiger wir haben, desto weniger ja Kapazität und Zeit und Möglichkeiten haben dann ja auch die klassischen Referendare‘ (Sekundarschule 2, Abs. 94)“ (Bellenberg et al., 2020, S. 408). Betrachtet man rein formal die Qualifizierungsmaßnahmen für Quer- und Seiteneinsteigende, wird eine sehr große Unterschiedlichkeit deutlich (Driesner & Arndt, 2020), bei dem sich der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit nicht von der Hand weisen lässt. Sie konstatieren mit Blick auf die häufig fehlenden Regelungen zur Qualifizierung von Personen, die nicht die Voraussetzungen für einen Einstieg in den Vorbereitungsdienst mitbringen: „Damit wird eine der regulären Lehrkräftebildung gleichwertige Qualifizierung nicht ermöglicht, was vor dem Hintergrund der Diskussion um Standards und Qualität der Lehrkräftebildung und der Konsequenzen für die betreffenden Lehrkräfte, den Unterricht und letztlich für den Kompetenzerwerb der Schüler*innen bedenklich scheint.“ (Driesner & Arndt, 2020, S. 425)

Die Bildungsforschung hilft bisher nur wenig…

Inwiefern können Ergebnisse empirischer Bildungsforschung dazu beitragen, Herausforderungen des Lehrermangels und des Quereinstiegs zu bewältigen. Bisher muss man sagen: eher wenig. Es liegen einfach (noch) zu wenige Studien vor, die eindeutige Einschätzungen erlauben. Das betrifft zum einen den Fokus auf MINT-Lehrkräfte, aber auch die Tatsache, dass die Gruppe von Lehrkräften mit alternativem Berufszugang generell schwer zusammenzufassen ist. Auch wenn bspw. bisher kaum Unterschiede in den Kompetenzen zu grundständig ausgebildeten Lehrkräften festgestellt werden konnten (siehe den zweiten Beitrag der Reihe), fand ja meist trotzdem eine Qualifizierung statt, nur eben häufig auf einzelschulischer Ebene. Es stellt sich z.B. die Frage, ob bisher keine Unterschiede festgestellt werden, weil noch genügend professionalisierte Lehrkräfte im System sind, die evtl. „Lücken“ abfedern. Auf der anderen Seite ist der Druck der Unterrichtsversorgung sehr groß. Wichtig ist mir hierbei: das soll überhaupt keine negative Bewertung der vielen engagierten Lehrkräfte mit alternativem Weg ins Lehramt sein, die sich häufig sehr aktiv und motiviert ins Schulleben einbringen. Wie so oft, wird, wenn es um Bildungspolitik geht, um das System gestritten und nicht um das Individuum.

Ist alles so furchtbar?

Natürlich wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Der Beruf als Lehrkraft ist immer noch einer der schönsten Berufe der Welt und ich hoffe, dass sich viele Personen für ihn begeistern lassen. Egal ob im grundständigen oder im alternativen Zugang.

Bildnachweis: © Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen

Literatur

  • Bauer, J., Diercks, U., Retelsdorf, J., Kauper, T., Zimmermann, F., Köller, O., Möller, J., & Prenzel, M. (2011). Spannungsfeld Polyvalenz in der Lehrerbildung. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 14(4), 629-649. (Online)
  • Bellenberg, G., Bressler, C., Reintjes, C., & Rotter, C. (2020). Der Seiteneinstieg in den Lehrerberuf in Nordrhein-Westfalen: Perspektiven von Schulleitungen und Ausbildungsbeauftragten. DDS–Die Deutsche Schule, 112(4), 399-413. (Online)
  • DPG (2006). Thesen für ein modernes Lehramtsstudium im Fach Physik. Eine Studie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft e.V. (Online)
  • Driesner, I., & Arndt, M. (2020). Die Qualifizierung von Quer-und Seiteneinsteiger* innen: Konzepte und Lerngelegenheiten im bundesweiten Überblick. DDS–Die Deutsche Schule, 112(4), 414-427. (Online)
  • GFD (2018). Ergänzende Wege der Professionalisierung von Lehrkräften. Positionspapier der GFD zur Problematik des Quer- und Seiteneinstiegs. (Online)
  • KMK (2019). Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16.12.2004 i. d. F. vom 16.05.2019). (Online)
  • Kommission für Grundschulforschung und Pädagogik der Primarstufe (2017). Stellungnahme zur Einstellung von Personen ohne erforderliche Qualifikation als Lehrkräfte in Grundschulen (Seiten- und Quereinsteiger). (Online)
  • Terhart, E. (2007). Standards in der Lehrerbildung – eine Einführung. Unterrichtswissenschaft, 35(1), 2-14.

Besuch auf der Jahrestagung der GDCP: Unsicherheit als Element von naturwissenschaftsbezogenen Bildungsprozessen

Bildnachweis: © GDCP, Sebastian Habig

Ich (Christoph Vogelsang) war auch dieses Jahr wieder auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik (GDCP) vertreten. Zum einen natürlich als Teil des Vorstandes der GDCP und damit dieses Jahr auch als Teil der Organisation der Tagung. Zum anderen aber auch mit eigenem Beitrag. Die Jahrestagung musste auch leider dieses Jahr vollständig digital stattfinden. Ich schätze es aber sehr an der GDCP-Community, dass trotz der Distanz dennoch sehr rege Diskussionen und Austausch auch nach virtuellen Vorträgen stattfanden. Persönlich war es für mich aber auch wie jedes Jahr ein Nachhause-Kommen, bei dem ich endlich wieder viele Kolleg*innen (zumindest am Bildschirm) sehen konnte.

Die allesamt sehr interessanten Keynotes behandelten, passend zum bisherigen Verlauf der Jahre 2020 und 2021, verschiedene Aspekte der Unsicherheit im Zusammenhang mit naturwissenschaftlicher Bildung, aber auch darüber hinaus. In seinem eröffnenden Abendvortrag beschäftigte sich Nobelpreisträger Saul Perlmutter anhand eines Seminarcurriculums mit der Frage, wie und vor allem welche Aspekte (natur-)wissenschaftlichen Denkens Studierende während ihres Studiums erlernen sollten. Dabei bezog er auch insbesondere meta-regulatorische Kenntnisse zu Effekten der menschlichen Kognition als relevante Aspekte mit ein (z.B. confirmation bias, Gruppendenken). Uwe Hericks betrachtete aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive Unsicherheit bzw. Ungewissheit als konstitutives Element der Arbeit und Ausbildung von Lehrkräften, was auch insbesondere für die Arbeit in unserer Nachwuchsforschungsgruppe wichtige Anregungen bot. Rainer Bromme berichtete aus seinen vielfältigen Forschungen zu Bedingungen für Vertrauen in Wissenschaft bzw. in wissenschaftliche Aussagen und wie sich dieses Vertrauen entwickeln kann. Den Abschluss bildete eine Keynote von Irene Neumann mit einer Rück- und Vorausschau zum insbesondere für die Naturwissenschaftsdidaktiken wichtigen Themenfeld Nature of science.

Bildnachweis: © Profile-P+

In meinem eigenen Vortrag berichtete ich Ergebnisse aus dem Projekt Profile-P+, in dem ich als Post-Doc tätig war und in dem wir unter anderem Performanztests zur Planung von Physikunterricht, zum Erklären von Physik und zur Reflexion von Physikunterricht entwickelt und erprobt haben. Im Vortrag habe ich untersuchte, ob sich Zusammenhänge zwischen der Performanz in diesen drei Standardanforderungen und dem professionellen Wissen von Lehramtsstudierenden vor und nach einem Praxissemester verändern. Insbesondere zwischen den Performanzen konnten wir nur einen stabilen Zusammenhang vorher und nachher zwischen der Fähigkeit zur Planung und zur Reflexion beobachten. Die Arbeiten aus Profile-P+ sind die Basis und Vorbild für unsere Nachwuchsforschungsgruppe, sie werden hier im Blog also noch öfter auftauchen. Die Kolleg*innen sind auch weiterhin Kooperationspartner im Projekt (an dieser Stelle liebe Grüße an euch alle).

Es gab noch viele weitere interessante Vorträge mit einem Schwerpunkt in der Lehrerbildungsforschung, die ich hier leider nicht alle aufführen kann. Ich empfehle aber schon einmal, einen Blick in den Tagungsband zu werfen, wenn er im nächsten Frühjahr erscheint. Auch wenn es eine sehr informative und gute Konferenz war, freue ich mich auch darauf, (euch) alle im nächsten Jahr hoffentlich wieder in Präsenz treffen zu können.

Vortragsliste:

  • Bromme, R. (2021). Kompetent, unbestechlich und im Sinne des Gemeinwohls: Bedingungen von Vertrauen in Wissenschaft. Jahrestagung der Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik (GDCP) 2021 (online). 15.09.2021.
  • Hericks, U. (2021). Ansprüche, Widersprüche und Herausforderungen des Lehrberufs – Erziehungswissenschaftliche Perspektiven auf Fachlichkeit und Ungewissheit. Jahrestagung der Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik (GDCP) 2021 (online). 14.09.2021.
  • Neumann, I. (2021). Nature of Science – Alter Hut oder relevanter denn je?. Jahrestagung der Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik (GDCP) 2021 (online). 16.09.2021.
  • Perlmutter, S. (2021). Titel folgt. Jahrestagung der Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik (GDCP) 2021 (online). 16.09.2021.
  • Vogelsang, C., Borowski, A., Kulgemeyer, C., & Riese, J. (2021). Relationen von Professionswissen und Performanz im Praxissemester Physik. Jahrestagung der Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik (GDCP) 2021 (online). 15.09.2021.

Performanztests im Radio

Simulationen als Elemente der Ausbildung

Bildnachweis: © Bayrischer Rundfunk, BR 2

In einem Radiobeitrag in der Sendung IQ – Wissenschaft und Forschung des Bayrischen Rundfunkts ist ein aktueller Beitrag ( ca. 25 Minuten) erschienen, in demperformanzorientierte Trainings- und Prüfverfahren in der Ausbildung von Mediziner*innen und Pflegekräften beschrieben werden. Dabei handelt es sich um Simulationen typischer, beruflicher Situationen, bei denen angehenden Ärzt*innen oder Pflegekräfte in einer Rollenspielsituation mit hierfür trainierten Schauspieler*innen agieren müssen. Im Beitrag werden verschiedene Beispiele solcher performanzorientierter Lehrverfahren hinsichtlich ihrer Ziele und Struktur vorgestellt. Dabei wir häufig mit so genannten Seminarschauspieler*innen gearbeitet, die für ihre Rollen in Simulationen speziell vorbereitet werden und die insbesondere auch Feedback aus der Sicht der simulierten Patienten oder Kolleg*innen geben. Man spricht auch von standardisierten Patient*innen. Im Fokus stehen häufig, wie im Beitrag, Situationen, in denen mit Anderen kommuniziert und interagiert werden muss.

Einbettung von: Bayrischer Rundfunk, BR 2, IQ Wissenschaft und Forschung, Sendung vom 07. Oktober 2021

Solche Konzepte gibt es in der Mediziner*innenausbildung schon vergleichsweise lang und neben ihrer hohen Bedeutung für die Ausbildung, werden sie auch immer mehr als Prüfungsformat verwendet: so genannten Objective Structured Clinical Examinations (OSCE) (Harden, 1988). Mittlerweile gibt es solche Simulationen für eine Vielzahl verschiedener medizinischer Anforderungsbereiche. Zunehmend werden solche Simulationen auch für die Erfassung der Fähigkeiten von medizinischen Ausbilder*innen entwickelt, dann als Objective Structured Teaching Examinations (OSTE) (siehe z.B. Fakhouri & Nunes, 2019).

Simulationen für das Lehramt

Zentrales Ziel unserer Nachwuchsforschungsgruppe ist es, derartige Verfahren auch für die Lehramtsausbildung zu entwickeln und zu erproben (vgl. Vogelsang et al., 2019). Kommunikation und Interaktion sind Bestandteil der meisten (nicht alle) Anforderungen bzw. Aufgaben im Lehrer*innenberuf. Dabei konzentrieren wir uns auf die Entwicklung von Simulationsprototypen für Lehramtsstudierende im Fach Englisch und für bildungswissenschaftliche Anforderungen. Zusätzlich werden bestehende Arbeiten für das Lehramt mit Fach Physik hin zu einem (hoffentlich) funktionierenden OSTE-Prototypen weitergeführt. Dies erfordert natürlich einiges an Entwicklungsarbeit und begleitende Forschung zur Validierung, aus der wir hier auch immer mal wieder berichten werden.

Insgesamt sehen wir in performanzorientierten Lehr- und Prüfungsverfahren ein großes Potential für die Weiterentwicklung der Lehramtsausbildung, Auch an anderen Stellen bietet die Medizinausbildung weitere Anregungen für das Lehramt. Das werden wir ebenfalls in zukünftigen Blogbeiträgen immer mal wieder thematisieren. An dieser Stelle bleibt allerdings nur noch, eine absolute Hörempfehlung für den Beitrag auszusprechen.

Literatur:

  • Fakhouri, S. A., & Nunes, M. D. P. T. (2019). Objective structured teaching examination (OSTE): an underused tool developed to assess clinical teaching skills. A narrative review of the literature. Sao Paulo Medical Journal137, 193-200. (Online)
  • Harden, M. (1988) What is an OSCE?, Medical Teacher, 10:1, 19-22, (Online)
  • Vogelsang, C., Borowski, A., Kulgemeyer, C., Riese, J., Reinhold, P., Schecker, H., Buschhüter, D., Enkrott, P., Kempin, M. & Schröder (2019). Performance-Oriented  Testing  and  Training  in  Teacher  Education.  In C. Lautenbach, J. Fischer, O. Zlatkin-Troitschanskaia, H.A. Pant, & M. Toepper (Hrsg.), Student Learning Outcomes Assessment in Higher Education – Perspectives, Concepts and Approaches for Research, Transfer and Implementation (KoKoHs Working Papers, 12) (S. 40-43). Berlin & Mainz: Humboldt Universität & Johannes Guttenberg Universität. (Online)

Podcast: Lehrkräftebildung neu gedacht

Innovative Lehr-Lern-Konzepte für das Lehramtsstudium

Ähnlich wie auch wir entwickeln und erproben bundesweit viele Kolleg*innen neue . Lehr-Lern-Formate für die Ausbildung angehender Lehrkräfte. Marcus Kubsch und Stefan Sorge, beides geschätzte Kollegen aus der Physikdidaktik am IPN, dem Leibnizinstitut für die Pädagogik der Naturwissenschaften in Kiel, haben sich schon länger Gedanken darüber gemacht, wie Innovationen in die Lehramtsausbildung transferiert werden können (Sorge et al., 2021) und nun zusammen mit Julia Arnold (Biologiedidaktik, Fachhochschule Nordwestschweiz) und Nicole Graulich (Chemiedidaktik, Justus-Liebig-Universität Gießen) das Buch Lehrkräftebildung neu gedacht – Ein Praxishandbuch für die Lehre in den Naturwissenschaften und ihren Didaktiken herausgebracht, das im Waxmann-Verlag als Open-Access-Publikation erhältlich ist.

Einbettung von: Spotify, Podcast „Lehrkräftebildung neu gedacht“ von Marcus Kubsch, Stefan Sorge, Julia Arnold & Nicole Graulich

In insgesamt 35 Beiträgen aus 32 Hochschulstandorten in Deutschland, Österreich und der Schweiz werden neue und innovative Konzepte, Methoden und Ideen zur Lehramtsausbildung in den Naturwissenschaften vorgestellt. Die vier Herausgeber*innen möchten „einen Impuls zum Austausch und zum Diskurs geben“ (Kubsch, Sorge, Arnold & Graulich, 2021, 9). Es richtet sich daher an alle Interessierten, die in der Lehramtsausbildung tätig sind. Es gliedert sich in drei thematische Abschnitte: in einem ersten Teil werden in 14 Beiträgen Konzepte zur Förderung spezifischer Aspekte professioneller Handlungskompetenz vorgestellt. Inka Haak, Jens Klinghammer, Olaf Krey und Thorid Rabe (liebe Grüße an dieser Stelle nach Halle) entwickelte bspw. eine Lerneinheit, in der Lehramtsstudierenden anhand der Kopernikanischen Wende ihre professionelle Kompetenzen im Bereich nature of science weiterentwickeln können. Der zweite Abschnitt enthält 11 Beiträge, die sich auf die Förderung der Planung und Reflexion von Unterricht konzentrieren. Von der Universität Paderborn stellen hier z.B. Pascal Pollmeier und Sabine Fechner (auch hier liebe Grüße) eine Seminarkonzeption vor, in der angehende Lehrkräfte dazu befähigt werden können, mit Evidenzen im naturwissenschaftlichen Unterricht adäquat umzugehen. Der dritte und letzte Abschnitt des Buches wiederum konzentriert sich in zehn Beiträgen auf den zielführenden Einsatz digitaler Medien in der Lehramtsausbildung, z.B. den Einsatz von Augmented Reality oder auch digitale Medien zur Unterstützung der Klimabildung.

Bildnachweis:
© Waxmann Verlag

Auch, wenn es sich fachlich auf die Naturwissenschaften bezieht, bieten die Beiträge eine Vielzahl an Anregungen auch für die Lehramtsausbildung in anderen Fächern und den Bildungswissenschaften. Die Beiträge sind zudem kurz und prägnant, so dass sie sich gut zwischendurch nacheinander lesen lassen. Als weiteres Highlight produzieren die Herausgeber*innen zudem einen Podcast, in dem die einzelnen Autor*innen ihre jeweiligen Konzepte noch einmal in ca. zehnminütigen Folgen vorstellen. Neben Spotify (eingebettet oben) ist er auch über die meisten gängigen Portale und Dienste kostenfrei erhältlich. Insgesamt eine klare Lese – und Hörempfehlung.

Vielen Dank an euch vier Herausgeber*innen für eure Mühe und Initiative. Wir werden in Zukunft auch auf weitere interessante Podcast aus der Lehrerbildungsforschung bzw. der empirischen Bildungsforschung hinweisen.

Literatur

  • Kubsch, M., Sorge, S., Arnold, J., & Graulich, N. (Hrsg.) (2021). Lehrkräftebildung neu gedacht. Ein Praxishandbuch für die Lehre in den Naturwissenschaften und deren Didaktiken Münster: Waxmann. (Online)
  • Sorge, S., Kubsch, M., Breuer, J., Syskowski, S., & Wöhlke, C. (2021). Lehrkräftebildung neu gedacht. Ergebnisse des GDCP Hackathon 2020. In S. Habig (Hrsg.) Naturwissenschaftlicher Unterricht und Lehrerbildung im Umbruch? – Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik online Jahrestagung 2020 (S. 45-47). Universität Duisburg-Essen. (Online)

Quereinstieg ins Lehramt im Licht der Bildungsforschung – 3/4

„Lehrer kann doch jeder, man war schließlich lange genug in der Schule.
Da weiß man wie der Hase zu laufen hat!“

In einer kleinen Artikelreihe betrachten wir den Quer- oder Seiteneinstieg ins Lehramt aus der Perspektive der Ergebnisse und Diskussionen der Bildungsforschung. Anlass war ein kurzer Beitrag des Deutschlandfunks, anhand dessen zunächst das Ausmaß des Phänomens betrachtet wurde (siehe den ersten Teil der Reihe). Anschließend wurden Studienergebnisse herangezogen, in denen die professionellen Kompetenzen von Quer- und Seiten*einsteigerinnen und Lehrkräften mit grundständigem Lehramtsstudium sowie den Leistungen ihrer Schüler*innen verglichen wurden (siehe den zweiten Teil der Reihe). Insgesamt liegen sehr wenige empirische Daten vor und wenn, dann eher für MINT-Lehrkräfte. In der Tendenz können aber bisher nur wenige Unterschiede beobachtet werden. In diesem Beitrag gehen wir deshalb noch aus anderen Perspektiven der Frage nach, warum das Thema trotzdem immer wieder so kontrovers und emotional diskutiert wird. Hierzu kehren wir zunächst zurück zu den Thesen, die Raphaela Porsch in ihrem aktuellen Übersichtsbeitrag diskutiert (Porsch, 2021), für den ich auch hier noch einmal eine Leseempfehlung geben möchte.

These 3: Auf die Einstellung von Quer- und Seiteneinsteiger*innen kann
grundsätzlich in Deutschland nicht verzichtet werden.“
(Porsch, 2021, S. 214)

Diese These bezieht sich auf eine der Kernannahmen in Diskussionen zum Quereinstieg: Muss es eigentliche alternative Wege ins Lehramt geben? Reichen nicht die Lehramtsabsolvent*innen? Generell ist es ein empirisch gut beobachtetes Phänomen, dass die Einstellungszahlen von Lehrkräften in Zyklen verlaufen. Ist der Bedarf an Lehrkräften hoch, entscheiden sich mehr junge Menschen für eine Lehramtsausbildung. Da es allerdings zwischen fünf bis sieben Jahren dauert, bis Lehrkräfte vollständig ausgebildet sind, kommt es im Zeitverlauf immer wieder zu Über- oder Unterdeckung des Bedarfs. Sind alle Stellen besetzt, entscheiden sich weniger Personen für das Studium, und in ein paar Jahren fehlen dann wieder Lehrkräfte (insgesamt auch Schweinezyklus genannt). Neben diesen Zyklen gibt es aber weitere Effekte, die dazu beitragen, dass Lehrkräftebedarf und -angebot häufig auseinander driften, wie z.B. Studienabbruch im Lehramt oder eine Erhöhung der Teilzeitquote unter Lehrkräften.

Bildnachweis: © Waxmann Verlag

Betrachtet man die Absolvent*innen des Jahrgangs 2016 lässt sich bundesweit für Lehramtsstudiengänge eine Abbruchquote von ca. 15% feststellen, die im Vergleich mit anderen Studiengängen relativ niedrig ausfällt (Neugebauer, Heublein & Daniel, 2019). Auch hier muss allerdings differenziert werden, dass beträchtliche Unterschiede zwischen Studiengängen und Studienfächern bestehen. Güldener et al. (2020) untersuchten in einer Längsschnittstudie bei Lehramtsstudierenden in Mecklenburg-Vorpommern den „Schwund“ im Lehramtsstudium zwischendem Beginn Wintersemester 2012/2013 und dem Sommersemesters 2019. Dabei beobachten sie einen Unterschied zwischen verschiedenen Studiengängen und teilweise generell hohen Schwund: „Im Lehramt an Gymnasien sind die Kohorten nach zwei Semestern um etwa 30 Prozent geschrumpft , im Lehramt an Regionalen Schulen teilweise um bis zu 40 Prozent.“ (Güldener et al., 2020, S. 388) Dies ist für das Lehramt an Grundschulen und für sonderpädagogische Förderung deutlich anders bzw. es gibt weniger Schwund und mehr Absolvent*innen. Dies verdeutlich exemplarisch, dass meist kein genereller Lehrkräftemangel besteht, sondern meist ein Mangel für spezifische Schulformen und Fächer (siehe hierzu auch die Quoten für den Quer- und Seiteneinstieg im ersten Beitrag). Zusammen mit der Zunahme des Anteils von weiblichen Lehrkräften stieg auch historisch betrachtet der Anteil an Lehrkräften in Teilzeit: „Von den Lehrerinnen an den Grundschulen (die 90 Prozent der Kollegien stellen) arbeiteten in NRW im Jahr 2018/19 46 Prozent in Teilzeit, von den Realschullehrerinnen haben 47,6 Prozent Teilzeit beantragt, von den Gymnasiallehrerinnen 50 Prozent.“ (Zymek & Heinemann, 2020, S. 377). Hierfür gibt es meist nachvollziehbare Gründe, die hier auch nicht bewertet werden sollen. Es soll nur deutlich gemacht werden, dass auch dies ein Faktor ist, der dazu beiträgt, dass Angebot und Bedarf häufig nicht übereinstimmen. Blickt man historisch zurück (vgl. Zymek & Heinemann, 2020), so kann festgestellt werden, dass in der Tat ohne Quer- und Seiteneinstieg der Lehrkräftebedarf nicht vollständig gedeckt werden konnte bzw. kann.

Eine Diskussion des Mangels

Kontroversen zum Quer- und Seiteneinstieg finden also immer vor dem Hintergrund einer eigentlich nie ausreichenden Deckung von Angebot und Bedarf statt. Entsprechend stehen aber auch gerade Entscheider*innen im System Schule immer wieder unter dem Druck, die Unterrichtsversorgung sicherzustellen bzw. den Schweinezyklus zu verwalten. Dies umso mehr, da es eben keinen allgemeinen Mangel an Lehrkräften, sondern primär einen Mangel in bestimmten Schularten und Fächern gibt. Dies ist deutlich sichtbar an den unterschiedlichen Anteilen von Neueinstellungen über alternative Wege ins Lehramt für spezifische Fächer (KMK, 2021). Es prallen bei der Frage des Quer- und Seiteneinstiegs also immer wieder verschiedene Perspektiven, Ziele und Bedürfnisse aufeinander, je nachdem, welche Stimme sich jeweils zu Wort meldet.

Eigentlich sind sich auf Ebene der grundsätzlichen, abstrakten Wünsche alle am Bildungssystem Beteiligten einig, von Schüler*innen, Eltern, Schulleitungen, Lehrkräften, Bildungsadministrator*innen, Lehrerbildner*innen bis hin zu Bildungsforscher*innen (häufig hat man davon ja mehrer Rollen inne). Alle möchten insgesamt eine möglichst gute Schulbildung für Schüler*innen durchgeführt durch professionell qualifizierte und fähige Lehrkräfte. Auf der anderen Seite ist aber gerade in der Alltagsgestaltung eine zuverlässige Unterrichtsversorgung wichtig, bei der wenig Unterricht ausfällt. Und grundsätzlich ist die Annahme ja auch korrekt, dass Unterricht auf jeden Fall stattfinden muss, damit er überhaupt Lernwirkungen erzeugen kann. Herrscht Lehrkräftemangel sind diese beiden Ziele allerdings nicht hundertprozentig vereinbar.

Strittig ist also eher, wie mit der Situation umgegangen werden soll, bzw. welche möglichen Lösungen es für das Dilemma gibt und welche Vor- und Nachteile von Lösungen bestehen. Die Einstellung von Quer- und Seiteneinsteiger*innen ist eine solche Lösungsstrategie. Welche Ansichten und Argumente dabei vorgebracht werden, inwiefern Erkenntnisse der Bildungsforschung bei der Diskussion helfen können und welche Position auch ich aus Sicht von jemandem, der am Thema performanzorientierter Professionalisierung in der Lehramtsausbidung arbeitet, einnehme, wird Beitrag des nächsten und abschließenden Beitrags unserer Reihe zum Quereinstieg sein. Er findet sich hier.

Es lässt sich aber schon jetzt festhalten: An dieser Stelle verlässt man den Boden der Bildungsforschung im engeren Sinne und es geht mehr um die Aushandlung von Strategien, also eher Fragen der Bildungspolitik.

Literatur

  • Güldener, T., Schümann, N., Driesner, I. & Arndt, M. (2020). Schwund im Lehramtsstudium. Die Deutsche Schule, 112(4), 381–398. (Online)
  • KMK (2021). Einstellung von Lehrkräften 2020. (Online)
  • Neugebauer, M., Heublein, U., & Daniel, A. (2019). Studienabbruch in Deutschland: Ausmaß, Ursachen, Folgen, Präventionsmöglichkeiten. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 22(5), 1025-1046. (Online)
  • Porsch, R. (2021). Quer- und Seiteneinsteiger*innen im Lehrer*innenberuf – Thesen in der Debatte um die Einstellung nicht traditionell ausgebildeter Lehrkräfte. In C. Reintjes, T-S. Idel, Bellenberg, G., & Thönes, K. V. (Hrsg.). Schulpraktische Studien und Professionalisierung: Kohärenzambitionen und alternative Zugänge zum Lehrberuf (S. 207-228). Münster: Waxmann. (Online)
  • Zymek, B. & Heinemann, U. (2020). Konjunkturen des Lehrerarbeitsmarkts und der Beschäftigungschancen von Frauen vom 19.  Jahrhundert bis heute. Die Deutsche Schule, 112(4), 364–380. (Online)

Besuch auf der digiGEBF 2021 – Thementagung Digitalisierung im Bildungsbereich

Bildnachweis: © GEBF, Universität Tübingen

Nachdem Thomas vor kurzem schon über unsere Teilnahme auf dem Kongress der DGFF 2021 berichtet hat (und zwar hier), möchte ich noch von einer weiteren Konferenz berichten. In ihrenm digitalen Konferenzjahr veranstaltete die Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (GEBF) am 22. September 2021 die Thementagung Digitalisierung im Bildungsbereich – Potentiale und Herausforderungen. Sie fand ebenfalls online statt, wurde aber ausgerichtet von einem Team der Universtität Tübingen um Prof. Dr. Andreas Lachner. Für uns als Nachwuchsforschungsgruppe war natürlich besonders das Symposium Gestaltungsmerkmale digitaler simulationsbasierter Lernumgebungen in der Lehrerbildung interessant, in dem insbesondere mehrere Vorträge von Kolleg*innen der DFG-Forschergruppe COSIMA der LMU und TU München.

Bildnachweis: © Forschergruppe COSIMA, LMU München

Unter anderem berichtete Stephanie Kron in ihrem Vortrag über einen Performanztest, in dem Lehramtsstudierende mit Fach Mathematik in simulierten Gesprächen mit einer*m Schüler*in aktuellen Lernstand und Schwierigkeiten diagnostizieren müssen und anschließend weitere Lernschritte planen bzw. empfehlen müssen. Sie untersuchte. inwiefern sich das Erleben von Authentizität, Immersion und externer kognitiver Belastung der Studierenden dabei unterschied, je nachdem ob sie mit trainierten (allerdings erwachsenen) Schauspieler*innen dialogische Videogespräche oder ob sie ein geskriptetes Onlinegespräch führen mussten, bei denen ihnen Audioaufnahmen und Standbilder von Schüler*innen vorgelegt wurden. Bei mehrmaligen Durchgängen unterschieden sich die beiden Präsentationsformate allerdings nicht wesentlich, wobei es sehr schade ist, dass aufgrund der Corona-Pandemie keine simulierten Gespräch in Präsenz durchgeführt werden konnten.

Michael Nickl untersuchte in seinem Vortrag, ob sich die Leistung von Studierenden mit unterschiedlichen Profilen in kognitiven und motivationalen Voraussetzungen im einem videobasierten Performanztest unterschieden, in dem diese Videosequenzen mit mehreren Schüler*innen betrachtet haben, die mathematische Aufgaben lösen sollen. die Aufgabe der angehenden Lehrkräfte war es dabei Lernstände und Schwierigkeiten zu diagnostieren, Notizen zu jeder*m abgebildeten Lernenden zu machen und davon ausgehend weitere Vorgehensweisen im Lernprozess vorzuschlagen. Er konnte dabei drei Voraussetzungsprofile identifizieren (motiviert, wissend, benachteiligt). Dabei ergaben sich bzgl. der Performanz bei der Diagnose nur signifikante Unterschiede zwischen den Profilen Wissend und Benachteiligt und das auch nur bzgl. der Anzahl bearbeiteter Videos und der Urteilsgenauigkeit.

Wir werden im Blog noch häufiger über die Arbeiten der Forschergruppe COSIMA berichten. Insofern ist dies ein guter erster Einblick. Es lohnt sich auch ein Besuch auf ihrer Website.

Vorträge:

  • Kron, S., Sommerhoff, D., Achtner, M., Wecker, C., Siebeck, M., Stürmer, K., & Ufer, S. (2021). Simulationsbasierte Online-Lernumgebungen in der Lehramtsausbildung: Einfluss des Präsentationsformats auf die Entwicklung von Authentizität, Immersion und kognitiver Belastung. Thementagung „Digitalisierung im Bildungsbereich – Potentiale und Herausforderungen“ im digitalen Konferenzjahr der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (GEBF) (online), 22.09.2021.
  • Nickl, M., Sommerhoff, D., Codreanu, El., Ufer, S., & Seidel, T. (2021). Lernvoraussetzungs-Profile in video-basierten Simulationsumgebungen. Thementagung „Digitalisierung im Bildungsbereich – Potentiale und Herausforderungen“ im digitalen Konferenzjahr der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (GEBF) (online), 22.09.2021.

Quereinstieg ins Lehramt im Licht der Bildungsforschung – 2/4

„Die können doch alle eh nix!“ vs.
„Ihr habt doch keine Ahnung vom Fach!“

Der Quer- bzw. Seiteneinstieg ins Lehramt wird immer wieder kontrovers diskutiert. Dabei argumentieren die Beteiligten häufig vor dem Hintergrund bestimmter und auch häufig wenig hinterfragter Vorannahmen oder Meinungen. Solche Annahmen zu prüfen, ist auch eine Aufgabe der empirischen Bildungsforschung. In einer kleinen Artikelreihe tragen wir daher einige Erkenntnisse aus der Forschungsliteratur zu Fragen des Quer- und Seiteneinstiegs zusammen. Den ersten Teil dieser Reihe finden Sie hier.

Welche Unterschiede bestehen zwischen Quereinsteiger*innen und grundständig ausgebildeten Lehrkräften?

Bildnachweis:
© Waxmann Verlag

In einem frisch veröffentlichten Beitrag im Band 6 der Reihe Schulpraktische Studien und Professionalisierung fasst Raphaela Porsch den Stand der empirischen Bildungsforschung zu drei Thesen der Debatten zum Quereinstieg ins Lehramt zusammen (Porsch, 2021). Für alle, die sich für Forschung zum Quereinstieg interessieren, ist dieser Beitrag eine großartige Fundgrube. Daher möchte ich an dieser Stelle schon einmal eine Leseempfehlung aussprechen. Sie unterscheidet dabei drei Thesen, die auch in diesem Beitrag aufgegriffen werden und zu denen ich exemplarisch etwas vertiefter in einzelne Studien schauen möchte.

„These 1: Quer- und Seiteneinsteiger*innen verfügen nicht über ausreichend hohe bzw. günstig ausgeprägte professionelle Kompetenzen“ (Porsch, 2021, S. 210)

Dies ist eine der häufigsten Annahmen zu Lehrkräften mit alternativem Zugang zum Beruf. Auf der anderen Seite gibt es aber auch die Ansicht, dass Quereinsteiger*innen gerade im fachlichen Bereich sogar besser qualifiziert wären, als Lehrkräfte mit grundständigem Lehramtsstudium. Die empirische Prüfung solcher Annahmen ist aber durchaus herausfordernd, da professionelle Kompetenzen eine große Zahl unterschiedlicher Dispositionen bzw. Voraussetzungen betreffen. Der Definition von Baumert & Kunter (2006) folgend bilden z.B. sowohl das professionelle Wissen, als auch Überzeugungen sowie motivationale und volitionale Orientierungen wichtige Bestandteile professioneller Handlungskompetenz von Lehrkräften. Dabei wird das professionelle Wissen in der deutschsprachigen Forschung häufig grob in die drei Dimensionen fachliches Wissen, fachdidaktisches Wissen und pädagogisches Wissen unterschieden (in Anlehnung an z.B. Shulman, 1986). Generell muss man allerdings festhalten, dass eher wenig Untersuchungen vorliegen, die das professionelle Wissen von (angehenden) Lehrkräften untersuchen und dabei einen Vergleich zwischen Personen mit grundständigem und alternativem Zugang zum Lehramt ermöglichen. Wie schon im letzten Beitrag gesehen, liegen auch hier hauptsächlich Ergebnisse zu MINT-Lehrkräften vor.

Eine wichtige Studie hierzu stammt aus dem Projekt COACTIV-R (Cognitive Activation in the Classroom), die es als ein Projekt der Bildungsforschung sogar zu einem Wikipediaeintrag gebracht hat. In diesem Projekt wurden ca. 800 Referendar*innen mit dem Fach Mathematik in den Jahren 2007 und 2009 zu ihrem professionellen Wissen befragt. Dies geschieht mit standardisierten, schriftlichen Leistungstests (im Prinzip sehr gut validierte Aufgaben). Die Ergebnisse finden sich in verschiedenen Publikationen. Dabei konnten keine Unterschiede bezogen auf das fachmathematische und das mathematikdidaktische Wissen zwischen Quereinsteiger*innen und grundständig ausgebildeten Referendar*innen festgestellt werden, allerdings verfügten die Quereinsteiger*innen signifikant über ein etwas geringeres pädagogisch-psychologisches Wissen (Lucksnat et al., 2020). Allerdings muss hierbei beachtet werden, dass die Zahl der Quereinsteiger*innen mit N = 72 zu den grundständigen Lehrkräften von N = 770 eher klein war und die Zahl der Seiteneinsteiger*innen die der Quereinsteiger*innen häufig weit übersteigt (vgl. KMK, 2021). Insofern sagt die Studie eher etwas über die Personen aus, die zumindest die zweite Phase der Lehramtsausbildung absolvieren und nicht über den größten Anteil an Lehrkräften aus einem alternativen Zugang ins Lehramt.

Bildnachweis: © Logos Verlag

Aber auch bezogen auf Referendar*innen mit dem Fach Physik konnten keine signifikanten Unterschiede im physikalisch-fachlichen und dem physikdidaktischen Wissen festgestellt werden (Oettinghaus, 2016), davon N = 147 Quereinsteiger*innen und N = 221 Referendar*innen mit grundständigem Lehramtsstudium. Auch hier fehlen aber Daten zu Seiteneinsteiger*innen. In beiden Studien wurden ebenfalls keine bedeutsamen Unterschiede bzgl. der motivationalen Orientierungen (z.B. Berufsmotivation) oder Einstellungen (z.B. zum Lehren und Lernen) beobachtet. Insgesamt liegen für eine eindeutige Betrachtung der These noch zu wenige Untersuchungen vor, insbesondere für die Nicht-MINT-Fächer.

„These 2: Der Unterricht von Quer- und Seiteneinsteigerinnen weist eine geringere Qualität auf als der Unterricht von traditionell ausgebildeten Lehrkräften und führt zu Nachteilen in der Lernentwicklung bei Schülerinnen.“ (Porsch, 2021, S. 212)

Wurde vorher betrachtet, ob Quer- und Seiteneinsteigende über andere Kompetenzen verfügen, als Lehrkräfte mit Lehramtsstudium, bezieht sich diese zweite These eher auf den Unterricht, der von diesen auch tatsächlich angeboten wird. Es liegen allerdings keinerlei Studien vor, die einen Vergleich der Unterrichtsqualität (z.B. in Videostudien) ermöglichen. Betrachtet man die Leistungen von Schüler*innen, können mit den Ergebnissen der repräsentativen Untersuchungen des IQB-Bildungstrends (vgl. auch den ersten Beitrag) Vergleiche zwischen den Gruppen vorgenommen werden. Für die Fächer Deutsch konnten bzgl. der Sekundarstufe I keine Unterschiede in Schüler*innenleistungen von grundständig ausgebildeten Lehrkräften und Quer- bzw. Seiteneinsteiger*innen beobachtet werden, für das Fach Englisch geringe Unterschiede, wenn die Zusammensetzung der Klassen in Mehrebenenanalysen berücksichtigt wurde (vgl. Stanat et al., 2016). Insgesamt betrug der Anteil von Quer- und Seiteneinsteigenden im Fach Deutsch bundesweit 5,6%, im Fach Englisch 6,8%. Dabei stellte sich aber als methodische Schwierigkeit die Zuordnung befragter Schüler*innen zu Lehrkräften heraus: „Im Fach Deutsch konnten je nach Kompetenzbereich zwischen 57 und 59 Prozent der Schülerinnen und Schüler eindeutig einer Lehrkraft zugeordnet werden. In den Kompetenzbereichen des Fachs Englisch lagen die Zuordnungsquoten bei jeweils 55 Prozent. Erschwert wurde der Abgleich von Schüler- und Lehrerdaten insbesondere durch unvollständige oder inkorrekte Angaben der Lehrkräfte. Auch wurde der Lehrerfragebogen nicht in jedem Fall von der Lehrkraft bearbeitet, die in der jeweiligen Klasse das betreffende Fach auch tatsächlich unterrichtete.“ (Stanat et al., 2016, S. 497) Die Ergebnisse sind daher auch mit erheblicher Unsicherheit behaftet. Für die Naturwissenschaften und Mathematik konnten ebenfalls keine Unterschiede bei gleicher Analysestrategie und behaftet mit ähnlichen methodischen Schwierigkeiten beobachtet werden (vgl. Stanat et al., 2019, S. 404). Übrigens: fachfremdes Unterrichten hingegen hatte einen negativen Effekt in allen untersuchten Hauptfächern. Bezogen auf die These 2 insgesamt liegen aber zu wenige Ergebnisse vor, um eindeutige Aussagen zu treffen.

Auch wenn eher wenige Studien bezogen auf die Kompetenzen von Quereinsteigenden in Deutschland vorliegen, deutet sich in der Tendenz bisher an, dass kaum Unterschiede zu Lehrkräften mit grundständigem Studium festgestellt werden (über Seiteneinsteiger*innen ist kaum etwas bekannt). Vor dem Hintergrund der Forschungslage könnte man daher auf den Gedanken kommen: „Ist doch alles halb so wild. Scheint doch kein Problem vorzuliegen“. Warum wird der Quereinstieg bzw. eigentlich der Seiteneinstieg dann immer wieder so kontrovers und emotional diskutiert? Diese Frage wird, ebenso wie die dritte These von Porsch (2021), das Thema des dritten Beitrags zum Thema Quereinstieg ins Lehramt bilden. Man findet ihn hier.

Literatur

  • Baumert, J. & Kunter, M. (2006). Stichwort: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 9(4), 469–520. (Online)
  • Lucksnat, C., Richter, E., Klusmann, U. & Richter, D. (2020). Unterschiedliche Wege ins Lehramt – unterschiedliche Kompetenzen? Ein Vergleich von Quereinsteigern und traditionell ausgebildeten Lehramtsanwärtern im Vorbereitungsdienst. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 1–16, (Online)
  • KMK (2021). Einstellung von Lehrkräften  2020. (Online)
  • Oettinghaus, L. (2016). Lehrerüberzeugungen und physikbezogenes Professionswissen. Vergleich von Absolventinnen und Absolventen verschiedener Ausbildungswege im Physikreferendariat. Berlin: Logos.
  • Porsch, R. (2021). Quer- und Seiteneinsteiger*innen im Lehrer*innenberuf – Thesen in der Debatte um die Einstellung nicht traditionell ausgebildeter Lehrkräfte. In C. Reintjes, T-S. Idel, Bellenberg, G., & Thönes, K. V. (Hrsg.). Schulpraktische Studien und Professionalisierung: Kohärenzambitionen und alternative Zugänge zum Lehrberuf (S. 207-228). Münster: Waxmann. (Online)
  • Shulman, L. S. (1986). Those who understand. Knowledge growth in teaching. Educational Researcher, 15(2), 4–14. (Online)
  • Stanat, P., Böhme, K., Schipolowski, S., & Haag, N. (Hrsg.). (2016). IQB-Bildungstrend 2015: sprachliche Kompetenzen am Ende der 9. Jahrgangsstufe im zweiten Ländervergleich. Münster: Waxmann. (Online)
  • Stanat, P., Schipolowski, S., Mahler, N., Weirich, S., & Henschel, S. (Hrsg.) (2019). IQB-Bildungstrend 2018. Mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen am Ende der Sekundarstufe I im zweiten Ländervergleich. Münster: Waxmann. (Online)

Besuch auf dem 29. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung – Standortbestimmungen

Bildnachweis: © DGFF 2021

Letzte Woche waren Christoph Vogelsang und meine Wenigkeit, Thomas Janzen, auf dem zweijährlichen Kongress der DGFF, der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung, der dieses Jahr coronabedingt digital stattfand und von der Universität Duisburg-Essen ausgerichtet worden ist. Ziel des Besuchs der Tagung, die unter dem Titel „Standortbestimmungen“ lief, war es Eindrücke aus aktueller Forschung in der Fremdsprachendidaktik zu erhalten und neue Impulse für die Arbeit im Projekt mitzunehmen. Daher lag der Fokus der von uns besuchten Vorträge auf den Themen der Lehrkräfteprofessionalisierung und -ausbildung, des Feedbacks und des Schreibens.

So wurden z.B. auf dem Vortrag von Olivia Rütti-Joy der Pädagogischen Hochschule St. Gallen interessante Ergebnisse zu Untersuchungen einer Interventionsstudie zu berufsspezifischen Sprachkenntnissen von Englischlehrkräften im Bereich Feedback berichtet. Spannend war außerdem der Vortrag von Dr. Almut Schön der TU Berlin, die von ihren Forschungsergebnissen zu Interaktionskompetenz in Fachsprachenprüfungen im Bereich DaF von Ärzten berichtete. Da diese, wie unsere Performanztests, ebenfalls den klassischen OSCE der Mediziner*innenausbildung ähneln, aber einen fremdsprachlichen Fokus haben, freuen wir uns schon darauf, demnächst in einen tiefergehenden Austausch zu kommen.

Viel zu diskutieren gab es auch in dem Nachwuchscafé reloaded, was als eine Art Symposium von Prof. Dr. Frauke Matz und Prof. Dr. Dominik Rumlich, unserem Kooperationspartner für das Fach Englisch, angeboten wurde. Es gab einen angeregten Austausch über Wege zur Promotion, Ängste und Sorgen im Prozess und Optionen für die Zeit danach. Deutlich wurde, dass zwar jeder Prozess individuell verläuft, aber der Weg nicht alleine zu schaffen ist. Neben den spannenden Einzelvorträgen in den Sektionen und den Symposien gab es auch drei unterschiedliche interdisziplinäre Plenarvorträge von Prof. Dr. Susanne Prediger, die die Wichtigkeit von Sprache im Fach Mathematik diskutierte, Dr. Bonny Norton aus Kanada, die über digital storytelling in einer multilingualen Zukunft vortrug und zuletzt Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani, der in seinem Vortrag den großen Bogen von Strukturwandel in offenen Gesellschaften und Sprache spannte.

Ich gehe mit gestärkter Motivation und vielen Eindrücken von tollen und anregungsreichen Vorträgen von diesem Kongress zurück an die Arbeit im Projekt. Wir möchten uns beide für die zum Großteil reibungslose Organisation und Durchführung bei dem ganzen Kongressteam der Universität Duisburg-Essen unter der Leitung von Prof Dr. Eva Wilden bedanken und freuen uns schon auf den nächsten Kongress im Jahr 2023 – dann ganz sicher auch mit einem Beitrag aus dem Projekt PERFORM-LA 😉

Vorträge:

  • El-Mafaalani, A. (2021). Teilhabe, Rassismus und Strukturwandel in offenen Gesellschaften. 29. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung, Universität Duisburg-Essen (online), 24.09.2021.
  • Matz, F. & Rumlich, D. (2021). Nachwuchs Café (reloaded) Standortbestimmungen… . (Symposium). 29. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung, Universität Duisburg-Essen (online), 23.09.2021.
  • Norton, B. (2021). Identity, Investment, and Digital Storytelling for a Multilingual Future. (Keynote). 29. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung, Universität Duisburg-Essen (online) , 23.09.2021.
  • Prediger, S. (2021). Forschungsformate zum Beitrag der Sprachbildung zur Bildungsgerechtigkeit –Erfahrungen aus einer anderen Fachdidaktik. (Keynote). 29. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung, Universität Duisburg-Essen (online) , 22.09.2021.
  • Rütti-Joy, O. (2021). Feedback-Literalität an der Schnittstelle der Fremdsprachenforschung, Englischdidaktik und empirischen Bildungsforschung: Wie verortet sich die Fremdsprachenkompetenz? (Konferenzbeitrag). 29. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung, Universität Duisburg-Essen (online), 23.09.2021.
  • Schön, A. (2021). Interaktionskompetenz erforschen und testen: am Beispiel der Fachsprachenprüfungen in DaF für Ärzte. (Konferenzbeitrag). 29. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung, Universität Duisburg-Essen (online), 24.09.2021.