Archiv der Kategorie: aus der Lehrerbildungsforschung

Meidingers 10 Todsünden der Schulpolitik im Licht der Bildungsforschung 1/12

Ist das schon Clickbait?

Zu allen Fragen des deutschen Bildungssystems im Allgemeinen und der Lehrer*innenbildung im Speziellen gibt es eine Vielzahl von Büchern unterschiedlicher Akteur*innen, die einen gewissen Einfluss auf bildungspolitische Diskussionen innerhalb der Medienlandschaft haben bzw. dies wollen. Diese Bücher kritisieren meist bestimmte Defizite und argumentieren davon ausgehend für bestimmte Veränderungen. Wie stichhaltig diese Argumentationen sind, hängt natürlich auch davon ab, wie zutreffend die vorherigen Analysen und Zustandsbeschreibungen sind. Ergebnisse empirischer Bildungsforschung können hierzu Einschätzungen ermöglichen, bspw. ob sie zutreffen oder ob überhaupt Erkenntnisse vorliegen.

Worum gehts?

Bildnachweis: © Stifterverband, CC BY 3.0

In einer kleinen Beitragsreihe möchten wir uns mit einem solchen Buch beschäftigen, das sich neben dem Inhaltlichen auch aufgrund seines Clickbait-ähnlichen Titels perfekt für unseren Blog eignet ;). Es geht um „Die 10 Todsünden der Schulpolitik – Eine Streitschrift“ von Heinz-Peter Meidinger (2021) erschienen im Claudius Verlag, München. Heinz-Peter Meidinger ist medial hauptsächlich bekannt als aktueller ehrenamtlicher Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Der Lehrerverband ist eine Dachorganisation von vier bundesweiten Lehrkräfteverbänden, von denen der Deutsche Philologenverband e.V., in dem sich hauptsächlich Gymnasiallehrkräfte organisieren, sicherlich der bekannteste ist. Es ist also nicht möglich als Lehrkraft direkt Mitglied im Lehrerverband zu werden (wobei es auch weitere große Lehrkräfteverbände gibt, die nicht teil des Lehrerverbands sind). Man kann den Lehrerverband auch nach den formulierten Zielen hauptsächlich als eine Vernetzungs- und Abstimmungsorganisation der Mitgliedsverbände bezeichnen, die explizit Einfluss auf politische Entscheidungen zur Entwicklung des Bildungssystems nehmen möchte. Es geht also auch um Lobbyarbeit für bestimmte Ziele. Das Buch kann in diesem Kontext als möglicher Beitrag betrachtet werden, Diskussionen zur Schulpolitik anzuregen, verbunden mit dem Ziel, bestimmte Veränderungen erreichen zu wollen. Anzumerken ist allerdings, dass die im Buch enthaltenen Thesen, Argumente und Begründungen nicht als Positionen des Lehrerverbandes bezeichnet werden.

Der Autor selbst war Gymnasiallehrer und später auch lange Jahre Schulleiter in Bayern und ging im Sommer 2020 in den Ruhestand. Bevor er 2017 erstmalig als Präsident des Lehrerverbandes gewählt wurde, war Heinz-Peter Meidinger 13 Jahre lang Vorsitzender des deutschen Philologenverbandes. Er schreibt also aus der Perspektive des erfahrenen Gymnasialschulleiters mit vielfältigen Einblicken aus der Verbandsarbeit. Mehr erfährt man über ihn und seine Positionen auch auf Wikipedia ;).

Was passiert hier?

In dieser Artikelreihe möchten wir uns etwas differenzierter mit den Argumentationen im Buch aus Perspektive der empirischen Bildungsforschung auseinandersetzen. Dabei geht es uns weniger darum, eine eigene Bewertung der Thesen des Autors vorzunehmen, sondern eher zu prüfen, was man aus Ergebnissen der Bildungsforschung zu ihren Prämissen beisteuern kann oder nicht. Hierzu ist es natürlich sinnvoll, das Buch gelesen zu haben. Das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich empfehlen, auch wenn man vielleicht manche Position des Autors nicht teilt. Man kann durch die Auseinandersetzung auch die eigene Perspektive ausschärfen. Diese Beitragsreihe ist daher keine Rezension im engeren Sinne, sondern wir werden punktuell Aspekte herausgreifen, die sich sinnvoll auf Ergebnisse empirischer Bildungsforschung beziehen lassen. Jede „Todsünde“ bekommt dabei einen eigenen kurzen Beitrag, die in der Länge aber auch sehr variieren können (je nachdem, inwiefern sich inhaltlich anknüpfen lässt).

In diesem Beitrag geht es um das erste Kapitel, quasi das Vorwort, welches mit „Schulpolitik in der Krise“ überschrieben ist. Heinz-Peter Meidinger stellt darin zunächst Bedingungen heraus, die für das Feld der Bildungspolitik charakteristisch seien, z.B. dass das Bildungssystem hochkomplex und durch viele Interdependenzen geprägt sei. Er findet, das deutsche Schulsystem arbeite in vielen Bereichen sehr gut, aber Dinge, die schief laufen, müssten für eine Bestandsaufnahme herausgestellt werden. Die Sprache ist – negativ interpretiert – polemisch, – positiv interpretiert – ausdrucksstark, was sich auch darin zeigt, dass als Analogie für „[…] Konzepte, Reformen, politische Haltungen und Ideologien sowie wiederkehrende Verhaltensmuster, aber auch permanente Untätigkeit sowie bewusste Versäumnisse, die der Bildungsqualität in unserem Land schaden […]“ (Meidinger, 2021, 23) das Konzept der „Todsünde“ aus der katholischen Theologie verwendet wird. Aber es ist ja auch als Streitschrift angekündigt.

G9 zu G8 – Wie ist es gelaufen?

In diesem Vorwortkapitel fällt es schwer, Aussagen zu finden, die mit Bezug zu empirischen Forschungsergebnissen betrachtet werden können. Es enthält viele Meinungsäußerungen, die zumindest an dieser Stelle nicht anhand konkreter Beispiele begründet werden. Eine Ausnahme ist die Thematisierung der Umstellung vieler Bundesländer von einem neunjährigen (G9) hin zu einem achtjährigen Abiturbildungsgang (G8), als Beispiel für eine Veränderung der Schulstrukturen, die möglicherweise zu vielen negativen Nebenwirkungen führte. Heinz-Peter Meidinger nennt Folgende: Baubedarf an Mittagskantinen, mehrfache Überarbeitung der Lehrpläne auf Druck von Außen, weniger Nachwuchs in Sportvereinen, Kirchen bzw. in der Kinder- und Jugendarbeit, weniger junge Menschen nehmen eine duale Ausbildung auf.

Während mir zum Baubedarf keine Studien bekannt sind und Lehrplanüberarbeitungen je nach Bundesland mehr oder weniger häufig vorkamen (und man beides auch als positive Nebenwirkung sehen könnte, weil z.B. Lehrpläne an neue Rahmenbedingungen angepasst wurden), liegen zu den Auswirkungen auf das Freizeitverhalten von Jugendlichen und zur Ausbildungsneigung Analysen auf Basis empirischer Daten vor (vgl. Kühn et al., 2013). Die Ergebnisse zum Freizeitverhalten sind zusammengefasst uneindeutig (vgl. Meyer & Thomsen, 2015), was auch daran liegt, dass die Umstellung von G9 auf G8 nicht in allen Bundesländern gleich verlief, sich die Erfahrungen der Schüler*innen daher unterschieden und die Analysen auch methodisch variieren. Es wurde z.B. häufig mit Selbstauskünften zu vorgegebenen Freizeittätigkeiten gearbeitet, die von Schüler*innen in G9- oder G8-Ausbildungsgängen beantwortet und teils parallel, teils nacheinander erhoben wurden. Daher können die Ergebnisse auch am ehesten differenziert nach Art der Freizeittätigkeit dargestellt werden.

Für Aktivitäten im Sport konnten dabei überwiegend keine bzw. kaum Unterschiede im zeitlichen Umfang für G9- und G8-Schüler*innen festgestellt werden (Laging et al., 2014; im Brahm et al., 2013). Ebenfalls keine Unterschiede zeigen sich bzgl. anderer Tätigkeiten z.B. musischer Hobbys wie Orchester, Unternehmungen mit der Familie, Computer (z.B. Spielen) (Hübner et al., 2017). Stabile signifikante Unterschiede mit eher mittlerem Effekt zeigen sich vor allem für das Ausüben eines Nebenjobs, was häufiger von G9-Schüler*innen getan wurde (z.B. Hübner et al., 2017; Meyer & Thomsen, 2015) und ein Rückgang bzgl. ehrenamtlicher Tätigkeiten (wobei Sport hier noch einmal gesondert erfasst wurde), allerdings ausgehend von einem generell niedrigen Niveau (für Hessen: Meyer & Thomsen, 2015). Eine interessante Erkenntnis im Zusammenhang mit diesen Analysen ist, dass die Schüler*innen innerhalb der G8-Bildungsgänge Freizeit teilweise anders bewerteten bzw. einschätzten, als in G9-Bildungsgängen (Blumentritt et al., 2014). „Folglich scheint die konzeptionelle Engführung von Freizeit als Nicht-Schulzeit aus den exemplarisch ausgewählten Beschreibungen der Schülerinnen und Schüler beider Bildungsgänge nicht vollständig tragfähig.“ (Blumentritt, 2015, 150).

Bezogen auf die These, dass die duale Berufsausbildung unter der Umstellung gelitten habe, liegen kaum empirische Erkenntnisse vor. Marcus & Zambre (2017) berichten, dass nach Einführung der G8-Abiturbildungsgängen weniger junge Menschen ein Studium aufnahmen, was man allerdings nicht direkt so interpretieren kann, dass diese stattdessen eine Berufsausbildung aufnahmen. Es zeigt sich zudem eine Art Pausenjahr vor der Studienaufnahme. Die Entscheidung für ein Studium oder eine Berufsausbildung scheint eher von Faktoren abzuhängen, die unabhängig von der Art des Abiturbildungsgangs sind (vgl. Flake et al., 2017). In seiner Dissertation berichtet Meyer (2016) für Sachsen-Anhalt Analysen, die eher darauf hindeuten, dass G8-Schüler*innen tendenziell sogar vermehrt eine Berufsausbildung an ihr Abitur anschlossen.

Was lässt sich hieraus nun bzgl. der Thesen aus dem Buch schließen? Die Annahme, dass die Umstellung von G9 zu G8 negative Nebenwirkungen hatte, ist vor dem Licht der empirischen Daten teilweise zutreffend, aber nicht bzgl. aller genannten Nebenwirkungen. Die Situation ist in repräsentativeren Stichproben nicht so eindeutig wie suggeriert. Allerdings liegen auch insgesamt wenig empirische Analysen vor. Die erste Todsünde wird Gegenstand des nächsten Beitrags in dieser Artikelreihe sein. Er findet sich hier. Hintergründe zum Autor und zum Buch werden dort nicht noch einmal aufgeführt.

Literatur:

  • Blumentritt, L. (2015). Veränderte Schulzeit–veränderte Freizeit? Freizeit im Kontext der gymnasialen Schulzeitverkürzung. In R. Freericks, & D. Brinkmann (Hrsg.), Die Stadt als Kultur-und Erlebnisraum – Analysen – Perspektiven – Projekte. 3. Bremer Freizeit-Kongress (S. 141-153). Institut für Freizeitwissenschaft und Kulturarbeit e.V. (Online)
  • Blumentritt, L., Kühn, S. M., & van Ackeren, I. (2014). (Keine) Zeit für Freizeit? Freizeit im Kontext gymnasialer Schulzeitverkürzung aus Sicht von Schülerinnen und Schülern. Diskurs Kindheits-und Jugendforschung, 9(3), 15-16. (Online)
  • Flake, R., Malin, L., & Risius, P. (2017). Einflussfaktoren der Bildungsentscheidung von Abiturienten für Ausbildung oder Studium. IW-Trends-Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung, 44(3), 99-115. (Online)
  • Hübner, N., Wagner, W., Kramer, J., Nagengast, B., & Trautwein, U. (2017). Die G8-Reform in Baden-Württemberg: Kompetenzen, Wohlbefinden und Freizeitverhalten vor und nach der Reform. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 20(4), 748-771. (Online)
  • im Brahm, G., Kühn, S. M., & Wixfort, J. (2013). Wie nehmen Schülerinnen und Schüler des doppelten Abiturjahrgangs die eigene Schulzeit wahr?: Eine geschlechtsspezifische Analyse der Schülerperspektive auf acht-und neunjährige Bildungsgänge am Gymnasium. Schulpädagogik heute, 4(8), 223-240.
  • Kühn, S. M., van Ackeren, I., Bellenberg, G., Reintjes, C., & im Brahm, G. (2013). Wie viele Schuljahre bis zum Abitur? – Eine multiperspektivische Standortbestimmung im Kontext der aktuellen Schulzeitdebatte . Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 16(1), 115-136. (Online)
  • Laging, R., Böcker, P., & Dirks, F. (2014). Zum Einfluss der Schulzeitverkürzung (G8) auf Bewegungs-und Sportaktivitäten von Jugendlichen. Sportunterricht, 63(3), 66-72. (Online)
  • Marcus, J., & Zambre, V. (2017). Folge der G8-Schulreform: Weniger Abiturientinnen und Abiturienten nehmen ein Studium auf. DIW Wochenbericht, 84(21), 418-426. (Online)
  • Meidinger, H.-P. (2021). Die 10 Todsünden der Schulpolitik – Eine Streitschrift. Claudius Verlag.
  • Meyer, T. (2016). An evaluation of the shortened high school duration in Germany and its impact on postsecondary education and labor market entry. Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover. (Online)
  • Meyer, T., & Thomsen, S. L. (2015). Schneller fertig, aber weniger Freizeit?–Eine Evaluation der Wirkungen der verkürzten Gymnasialschulzeit auf die außerschulischen Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler. Schmollers Jahrbuch, 135, 249-278. (Online)

Täuschen, Schummeln und Betrügen an der Hochschule im Licht der Bildungsforschung – 3/7 – COVID-19 Ergänzung

Ehrlichkeit in der digitalen Welt

Einbettung von: Deutschlandfunk, Campus & Karriere, Sendung vom 01. Dezember 2021
Bildnachweis: © Deutschlandfunk

Eigentlich wäre der vierte Teil zu unserer Artikelserie zum Täuschen und Betrügen bei Prüfungen im Studium an der Reihe. Angeregt über einen kurzen Bericht des Deutschlandfunks in der Sendung Campus & Karriere vom 01. Dezember 2021 (siehe auch die Einbettung oben) möchten wir allerdings noch einen kleinen Nachtrag zum dritten Artikel liefern, in dem wir von Ergebnissen der empirischen Bildungsforschung zum Ausmaß von typischem Täuschungsverhalten berichtet haben. Durch die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie wurde auch an Hochschulen ein beträchtlicher Teil der Lehre und insbesondere auch von Prüfungen in virtueller Form durchgeführt (Sommer, 2020). Dabei stellen sich ein paar Fragen: Wie groß ist das Ausmaß von Täuschungen in digitalen Prüfungen? Ist es womöglich höher als bei klassischen Präsenzprüfungen, weil das „Schummeln“ technisch einfacher ist?

Eine Studie zur rechten Zeit…

Vor der Pandemie wurden diese Fragen erwartbarerweise kaum untersucht, da digitale Prüfungen ein eher untypischer Fall waren. Im November sind allerdings die Ergebnisse einer Untersuchung von Janke et al. (2021) veröffentlicht worden. Sie befragten hierzu N = 1608 Studierende unterschiedlicher Hochschulen und Studienfächer in Deutschland online, die im Sommersemester 2020 eine schriftliche Prüfung ablegen mussten. Davon hatten 82.5% ausschließlich Onlinekurse während des Semesters belegt. Die Studierenden wurden zum einen danach befragt, in welcher Form sie Prüfungen abgelegt haben (nur in Präsenz, nur digital, beides). Zudem sollten sie direkt auf einer siebenstufigen Skala zu einer Reihe von Täuschungshandlungen in Prüfungen, aber auch in Onlinekursen (bezeichent als academic dishonesty), angeben, wie häufig sie dieses in diesem Semester getan haben (von nie bis sehr oft).

Das Ausmaß der vier häufigsten Handlungen akademischer Unehrlichkeit in Kursen, die die Befragten im Sommestersemester 2020 mindestens einmal getätigt haben, waren in absteigender Reihenfolge (Janke et al., 2021, 5): Einloggen im Onlinekurs und nebenbei etwas Anderes tun (88.1%), Bearbeitung von Aufgaben mit Anderen, die als Einzelleistung gedacht waren (63.7%), Angabe von Quellen in Hausarbeiten, die man nicht gelesen hat (29.8%), Übernahme von Textteilen aus Onlinequellen ohne Quellenangabe (26.4%). Die Untersuchung enthält Ergebnisse zu weiteren Täuschungshandlungen, weshalb ich hier eine ausdrückliche Leseempfehlung abgeben möchte.

Digital vs. Analog?

Unterscheidet sich nun das Täuschungsverhalten in analogen und digitalen schriftlichen Prüfungen? In der Befragung können hierzu insbesondere zwei Items herangezogen werden, die sowohl für Präsenz-, als auch für Onlineprüfungen abgefragt wurden. Für eine bessere Vergleichbarkeit habe ich die Ergebnisse i.ön einer kleinen Tabelle dargestellt (Tab. 1).

TäuschungshandlungPräsenz-prüfungOnline-prüfung
Austausch von Lösungsideen für Aufgaben mit Anderen während der Prüfung.23.7%45.9%
Verwendung von unerlaubten Hilfsmitteln zur Lösung von Aufgaben.18.4%48.6%
Tab. 1 „Vergleich von Täschungshandlungen in Präsenz- und Onlineprüfungen (Janke et al., 2021, 5)

Es wird deutlich, dass das Ausmaß von Täuschungsverhalten in schriftlichen digitalen Prüfungen größer ausfällt als in Präsenzprüfungen. Zur Signifikanz des Unterschieds und möglicher Effektstärken, auch unter Kontrolle von Prüfungserfahrungen, sei an dieser Stelle noch einmal auf den Artikel verwiesen. Es lohnt sich etwas tiefer im Text zu schauen. Die Autor*innen fassen ihre Ergebnisse mit einem gewissen understatement folgendermaßen zusammen:

„Overall, our findings indicate that the sudden shifts from on-site to
online testing in German higher education institutions during the
COVID-19 pandemic in summer 2020 may have posed at least some
threat to academic integrity.“

(Janke et al., 2021, 6)

Dazu, inwiefern sich Lehramtsstudierende hierbei von Studierenden anderer Studiengänge unterscheiden, können wir auf Grundlage der Untersuchung keine Aussagen machen. Aber man kann ja nicht alles haben ;). Daher zuerst einmal vielen Dank an die Kolleg*innen aus Mannheim, Landau und Augsburg. Vielleicht kommen hierzu ja noch Analysen.

Literatur

  • Janke, S., Rudert, S. C., Petersen, Ä., Fritz, T., & Daumiller, M. (2021). Cheating in the wake of COVID-19: How dangerous is ad-hoc online testing for academic integrity?, Computers and Education Open, 2, 1-9. (Online)
  • Sommer, M. (2020). Eine respektable Notlösung. Ergebnisse einer Umfrage zum „Corona-Semester “. Forschung & Lehre, 20(8), 666. (Online)

Täuschen, Schummeln und Betrügen an der Hochschule im Licht der Bildungsforschung – 3/7

In einer Universität entwickeln sich die Talente

Wie überall sonst, wird auch an Universitäten nicht immer ehrlich gespielt bzw. studiert. In einer Artikelreihe beschäftigen wir uns daher hier im Blog etwas genauer mit dem Täuschen und Betrügen im Studium, häufig zusammengefasst auch unter dem Begriff akademisches Fehlverhalten. Uns interessiert dabei natürlich, welche Ergebnisse der empirischen Bildungsforschung hierzu vorliegen. Nachdem wir im ersten Beitrag zunächst betrachtet haben, welche Arten des akademischen Fehlverhaltens im Studium vorkommen können, haben wir im zweiten Beitrag ein paar Methoden vorgestellt, wie solches normverletzende Verhalten auch empirisch erhoben werden kann bzw. welche Schwierigkeiten dabei auftreten können.

Wie groß ist das Problem?

In diesem Beitrag soll es nun um die Frage gehen: Wie groß ist das Ausmaß akademischen Fehlverhaltens bei Studierenden? Welches kommt häufig vor, welches evtl. seltener? Und wie ist es bei Lehramtsstudierenden? Sie sind ja schließlich die Zielgruppe unserer Arbeit in der Nachwuchsforschungsgruppe. Sind sie vielleicht aufgrund ihrer Berufswahl sogar eher vorbildlich, weil sie über eine Art Prüfungsethos als angehende Lehrkräfte verfügen? Diese Fragen deuten es schon an. In diesem Beitrag werden wir etwas differenzierter auf Ergebnisse aus Studien blicken und dabei berücksichtigen, welche Arten des Fehlverhaltens untersucht wurden, welche Studierenden befragt wurden und auch mit welcher Erhebungsmethode.

Generell wird und wurde akademisches Fehlverhalten weltweit schon länger untersucht, wobei die Ergebnisse auch immer wieder in verschiedenen Reviews zusammengefasst wurden (z.B. Ali et al., 2021; Parthner, 2020; Park, 2010). Dabei wird ein mindestens einmaliges akademisches Fehlverhalten im Studium von durchschnittlich ca. 70% (z.B. Whitley, 1998) bis ca. 33% (z.B. Teixeira & Rocha, 2010) aller Studierenden berichtet. Dieser Unterschied ist auch darin begründet, dass sich das Ausmaß erwartbarerweise je nach Täuschungshandlung unterscheidet, wobei sich die meisten Studien auf das Plagiieren in Haus- bzw. Abschlussarbeiten beziehen.

Ein Blick in den eigenen Garten…

Generell ist es aber schwierig, Studien zu akademischem Fehlverhalten aus unterschiedlichen Ländern und Studienkontexten gut miteinander zu vergleichen (vgl. Ison, 2018). Daher blicken wir etwas genauer auf Ergebnisse aus dem deutschsprachigen Sprachraum, genauer Deutschland und der Schweiz. Viele Untersuchungen wurden von Kolleg*innen der ETH Zürich bzw. der Universität Leipzig durchgeführt, oft verbunden mit Methodenstudien (die wir im zweiten Beitrag dieser Reihe schon kurz kennengelernt haben).

Preisendörfer (2008) ließ N = 578 Studierende (hauptsächlich) der Soziologie in Interviews dichotom dazu befragen, ob sie ein bestimmtes Fehlverhalten im Studium schon einmal getan haben (ja oder nein) per RRT und per Direct-Response. Weil letztere Angaben meist höher lagen, nennen wir hier nur die Ergebnisse zum Anteil aus der direkten Befragung in absteigender Reihenfolge: Abschreiben lassen in Klausur (65,7%), selbst in Klausuren abgeschrieben (57,0%), Spickzettel in Klausur verwendet (21,7%), Teilplagiat in Hausarbeit (15,9%), Buch in der Bibliothek versteckt (5,4%), Komplettplagiat in Hausarbeit (1,4%), Seiten aus einem Buch in der Bibliothek gerissen (1,0%). Coutts et al. (2011) befragten Studierende aller Fächer und Studiengänge ebenfalls per RRT und direkt. In der direkten Befragung (N = 829) gaben 12,0% der Studierenden an, schon einmal in Haus- oder Abschlussarbeiten plagiiert zu haben, 19,4% bei anderen schriftlichen Arbeiten. In einer Teilstudie an drei weiteren Universitäten wurden N = 310 auch per Crosswise-Modell befragt, wobei sich ein Ausmaß von 22,3% Teilplagiat und 1,6% größerem Plagiat ergab (vgl. Jann et al., 2012; Sattler, 2008).

In der Studie von Jerke & Krumpal (2013) wurden (wieder) Soziologiestudierende per Triangularmodell (N = 281) und direkt (N = 101) befragt. Hierbei ergab sich ein Verhaltensausmaß von 18,0% Teilplagiat im TM-Modell (9,9% direkt) und 0,8% Vollplagiat im TM-Modell (0,0% direkt). Nitsche et al. (2014) befragten N = 312 Studierende verschiedener Studienbereiche per TM-Modell an der Hochschule Merseburg und erhielten folgende Ergebnisse: Abschreiben in Klausuren (29%), Verwendung von Spickzetteln (21%), Plagiieren (11%) und Informationsbeschaffung im Internet während Prüfungen (9%). Krohe (2020) berichtet Ergebnisse einer deutschlandweiten, direkten Onlinebefragung von N = 15440 Studierenden verschiedenster Studiengänge. Dabei ergab sich ein Ausmaß von: Abschreiben in Klausuren (27,3%), Nutzung von Spickzetteln (22,9%), Teilplagiat in Hausarbeiten (18,1%), Vollplagiat (4,3%) und Nutzung von Ghostwritern/Mehrfachnutzung der gleichen Arbeit (2,9%).

Die Ergebnisse der vorliegenden Studien variieren durchaus deutlich, es scheint aber schon eine tendenzielle Abstufung des Ausmaßes bestimmter Täuschungsarten zu existieren. Allerdings ermöglichen diese Arbeit es uns nicht, die Frage zu klären, ob das auch für Lehramtsstudierende gilt, oder ob sie sich von Studierenden anderer Studiengänge unterscheiden. Schließlich sollten sie im späteren Beruf in dieser Hinsicht für ihre Schüler*innen auch ein Vorbild sein.

Wie sieht es im Lehramt aus?

Genauere Einblicke ins Lehramt gibt aber eine der wichtigsten Studien zum akademischen Fehlverhalten in Deutschland: FAIRUSE „Fehlverhalten und Betrug bei derErbringung von Studienleistungen: Individuelle und organisatorisch-strukturelle Bedingungen“ (Sattler & Diewald, 2013). Sie hat nicht nur einen sehr umfangreichen Datensatz, sondern betrachtet auch einige Arten des Fehlverhaltens, die bisher noch nicht vorgekommen sind. Ihre unterschiedlichen Ergebnispublikationen (z.B. Patrzek et al., 2015) sind allesamt äußerst lesenswert.

Bildnachweis: © Universität Bielefeld

In der Studie wurden deutschlandweit Studierende an verschiedenen Hochschulen in einem Panel-Design insgesamt zu vier aufeinander folgenden Zeitpunkten gefragt. Die Ergebnisse zum Ausmaß von akademischem Fehlverhalten im Abschlussbericht beziehen sich auf N = 3486 Studierende, die auch beim zweiten Messzeitpunkt an der Befragung teilgenommen haben. Methodisch wurde mit dem Direct-Response-Ansatz gearbeitet, allerdings wurde im Unterschied zu den bisher genannten Arbeiten auf einer 10-stufigen Skala auch nach der Häufigkeit bestimmten Täuschungshandelns innerhalb der letzten sechs Monate gefragt (von noch nie bis mehr als 10-mal). Die Studierenden wurden dabei nur gefragt, wenn sie auch eine Prüfungsleistung erbringen mussten, auf die sich die jeweilige Täuschungshandlung bezieht.

Um nun das Ausmaß von akademischem Fehlverhalten von Lehramtsstudierenden im Vergleich abzuschätzen, habe ich in der folgenden Tabelle (Tab. 1) die Ausmaße aus dem Abschlussbericht von Studierenden, die in der Studie die Studienabschlüsse Lehramt und Lehramtsmaster angegeben haben, eingetragen und sie dem jeweiligen Gesamtdurchschnitt gegenüber gestellt (Sattler & Diewald, 2013, 20-23). Angegeben ist jeweils der prozentuale Anteil Studierender, die ein mindestens einmaliges Täuschungsverhalten genannt haben.

FehlverhaltenLehramtLehramt
Master
Gesamt
Plagiieren15,6%17,4%18%
Spickzettel benutzen20,0%24,8%17%
Spickzettel mitnehmen33,3%36,2%31%
Abschreiben in Klausuren22,2%39,4%37%
falsches Attest benutzen24,4%11,3%15%
Abschreiben von Arbeitsaufgaben20,0%35,8%35%
Daten fälschen/verändern24,2%12,4%24%
Tab. 1 „Ausmaß akademischen Fehlverhaltens im Lehramt in der FAIRUSE-Studie (Sattler & Diewald, 2013)“

An der Vermutung, dass Lehramtsstudierende sich im Sinne einer pädagogischen Verantwortung schon im Studium vorbildlicher bei Prüfungen verhalten, ist anscheinend nur wenig dran. Auch im Lehramt wird im ähnlichen Ausmaß getäuscht, teilweise sogar mehr. Hierbei muss man aber natürlich beachten, dass sich die Prüfungsformen und damit die möglichen Täuschungshandlungen auch in den studierten Fächern unterscheiden.

Und nun?

Im Studium wird in nennenswertem Umfang getäuscht und betrogen, trotz möglicher Sanktionen und relativ klarer Kommunikation des erwarteten akademischen Verhaltens. Warum sollten sich Studierende im Lehrbetrieb an der Universität auch anders verhalten als zuvor im Lehrbetrieb einer Schule? Festzuhalten ist allerdings auch, dass gute zwei Drittel sich so verhalten, wie es die Hochschulen von ihren Studierenden erwarten. Möchte man dieses Verhältnis hin zu einem größeren Anteil korrekten akademischen Verhaltens ändern, dann muss gefragt werden, was Studierende zum Täuschen bringt, bzw. welche Faktoren und Bedingungen es begünstigen. Diese Fragen werden im nächsten Beitrag dieser Artikelreihe betrachtet. Er wird wieder an dieser Stelle verlinkt, sobald er online ist.

Literatur

  • Ali, I., Sultan, P., & Aboelmaged, M. (2021). A bibliometric analysis of academic misconduct research in higher education: Current status and future research opportunities. Accountability in research, 1-22. (Online)
  • Coutts, E., Jann, B., Krumpal, I., & Näher, A. F. (2011). Plagiarism in student papers: prevalence estimates using special techniques for sensitive questions. Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 231(5-6), 749-760. (Online)
  • Ison, D. C. (2018). An empirical analysis of differences in plagiarism among world cultures. Journal of Higher Education Policy and Management, 40(4), 291-304. (Online)
  • Jann, B., Jerke, J., & Krumpal, I. (2012). Asking sensitive questions using the crosswise model: an experimental survey measuring plagiarism. Public opinion quarterly, 76(1), 32-49. (Online)
  • Jerke, J., & Krumpal, I. (2013). Plagiate in studentischen Arbeiten: eine empirische Untersuchung unter Anwendung des Triangular Modells. Methoden, Daten, Analysen (mda), 7(3), 347-368. (Online)
  • Kroher, M. (2020). Akademisches Fehlverhalten: Wie ehrlich berichten Studierende über Täuschungen?. In I. Krumpal, & R. Berger (Hrsg.), Devianz und Subkulturen – Theorien, Methoden und empirische Befunde (S. 207-240). Springer VS. (Online)
  • Nitsche, I., Rittmann, A., & Döpke, J. (2014). „Wirtschaftsethik “praktisch: Wie oft schummeln Studierende an der Hochschule Merseburg?. In A. Frei, & G. Marx (Hrsg.), Fahrrad – Vesper – Finanzwirtschaft Untersuchungen zu Wirtschaft und Gesellschaft. Festschrift für Eckhard Freyer (S. 11-29). Hochschule Merseburg. (Online)
  • Park, C. (2003). In other (people’s) words: Plagiarism by university students–literature and lessons. Assessment & evaluation in higher education, 28(5), 471-488. (Online)
  • Parnther, C. (2020). Academic misconduct in higher education: A comprehensive review. Journal of Higher Education Policy And Leadership Studies, 1(1), 25-45. (Online)
  • Patrzek, J., Sattler, S., van Veen, F., Grunschel, C., & Fries, S. (2015). Investigating the effect of academic procrastination on the frequency and variety of academic misconduct: a panel study. Studies in Higher Education, 40(6), 1014-1029. (Online)
  • Preisendörfer, P. (2008). Heikle Fragen in mündlichen Interviews: Ergebnisse einer Methodenstudie im studentischen Milieu. ETH Zurich SociologyWorking Paper, (6). (Online)
  • Sattler, S., & Diewald, M. (2013). FAIRUSE – Fehlverhalten und Betrug bei der Erbringung von Studienleistungen: Individuelle und organisatorisch-strukturelle Bedingungen – Schlussbericht zum Projekt. Universität Bielefeld. (Online)
  • Sattler, S. (2008). Plagiate in Hausarbeiten: Erfassung über Direct-Response und Validierung mit Hilfe der Randomized-Response-Technique. In K.-S. Rehberg (Hrsg.), Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006 (S. 5446-5461). Campus Verlag. (Online)
  • Teixeira, A. A., & Rocha, M. F. (2010). Cheating by economics and business undergraduate students: an exploratory international assessment. Higher Education, 59(6), 663-701. (Online)
  • Whitley, B. E. (1998). Factors associated with cheating among college students: A review. Research in higher education, 39(3), 235-274. (Online)

Podcast: Wissenschaft und Schule

Aufbereitung empirischer Bildungsforschung für Lehrkräfte

Bildnachweis: © Staatliche Schulberatungsstelle für die Oberpfalz, Benedikt Wisniewski

Wir haben hier im Blog schon interessante Podcasts zur empirischen Bildungsforschung bzw. zu Themen der Lehrerbildungsforschung vorgestellt. Die staatliche Schulberatungsstelle für die Oberpfalz in Bayern hat im Podcast Wissenschaft und Schule Gespräche mit zahlreichen Bildungsforscher*innen geführt. Die ca. halbstündigen Folgen richten sich primär an Lehrkräfte, sind aber prinzipiell für alle interessant, die einen Überblick über Erkenntnisse der Bildungsforschung zu einem bestimmten Themenfeld erhalten möchten.

Im Kontext der Lehrerbildungsforschung diskutiert z.B. Prof. Dr. Frank Lipowsky mit Benedikt Wisniewski in Folge 16 über die professionelle Entwicklung von Lehrkräften. Dabei werden einige Themen gestreift: von Überlegungen zu dem, was Professionalisierung genau bedeutet, über wichtige Dispositionen, über die Lehrkräfte verfügen sollten, hauptsächlich aber zur Rolle von Lehrerfortbildungen.

Der Podcast kann auf der Website der Schulberatungsstelle gestreamt werden.

Literatur

  • Lipowsky, F. (2006). Auf den Lehrer kommt es an. Empirische Evidenzen für Zusammenhänge zwischen Lehrerkompetenzen, Lehrerhandeln und dem Lernen der Schüler. In C. Allemann-Ghionda, & E. Terhart (Hrsg.), Kompetenzen und Kompetenzentwicklung von Lehrerinnen und Lehrern (S. 47-70). Weinheim.: Beltz. (Online)

Täuschen, Schummeln und Betrügen an der Hochschule im Licht der Bildungsforschung – 2/7

„Everybody lies!“

Ausgehend von einem realen Fall von Notenhandel (siehe den ersten Beitrag dieser Reihe) betrachten wir in einer Beitragsreihe hier im Blog das Täuschen bzw. Betrügen im Studium etwas genauer. Zusammengefasst geht es um unterschiedlichste Formen akademischen Fehlverhaltens von Studierenden und Ergebnisse der Bildungsforschung zu diesem Problemfeld.

Bevor wir einen näheren Blick auf das Ausmaß akademischen Fehlverhaltens, für uns insbesondere im Lehramtsstudium, werfen, stellen wir uns aber zunächst die Frage: Wie bekommt man eigentlich heraus, wie verbreitet das Schummeln und Täuschen im Studium ist? Schließlich handelt es sich um ein Verhalten, das auch mit empfindlichen Folgen verbunden sein kann (z.B. Exmatrikulation), weshalb es selten direkt mitgeteilt wird und wenn eher hinter vorgehaltener Hand. Welche verschiedenen Methoden werden daher in er empirischen Bildungs- bzw. Sozialforschung angewandt, um akademisches Fehlverhalten zu erfassen?

Wer nicht fragt, der nicht gewinnt…

Der direkteste Weg wäre es, aufgedeckte Fälle akademischen Fehlverhaltens zu erfassen (vgl. Sattler, 2008), indem z.B. Verfahren in Prüfungsausschüssen oder Prüfungsübersichten ausgewertet werden. Dies funktioniert allerdings zum einen nur für genügend „schwere“ Fälle, also akademisches Fehlverhalten, dass auch tatsächlich in zählbaren Sanktionen resultiert (z.B. bei eindeutigen Plagiaten). „Kleinere“ Fälle finden selten Eingang in solche Verfahren. Zum anderen muss akademisches Fehlverhalten hierfür eben erst einmal bekannt sein bzw. aufgedeckt werden. Es ist aber nur plausibel anzunehmen, dass die meisten Fälle von Täuschungen (z.B. Abschreiben in Klausuren, Übernahme kleiner Textpassagen) selten auffallen. Das ist schließlich ein Faktor, warum es überhaupt vorkommt.

Um das Ausmaß akademischen Fehlverhaltens im Studium genauer abschätzen zu können, wird man daher um eine Befragung von Studierenden kaum herumkommen. Die einfachste Art ist dabei eine Befragung im Direct-Reponse-Verfahren (vgl. Sattler, 2008). Studierende würden hierbei einfach direkt danach gefragt, ob sie z.B. im Verlauf ihres Studiums ein bestimmtes akademisches Fehlverhalten gezeigt haben (z.B. schon mal einen Übungszettel abgeschrieben haben). Dies wäre eine retrospektive Befragung bzgl. des Verhaltens in der Vergangenheit. In einem anderen Ansatz fragt man nach möglichem Verhalten in der Zukunft, also der Bereitschaft von Studierenden evtl. ein bestimmtes Täuschungsverhalten zu zeigen. Beide Befragungsansätze lassen sich dabei sehr differenziert ausformulieren (z.B. „Wie sehr wären sie bereit, innerhalb des nächsten halben Jahres wortwörtliche Übernahmen in einer Hausarbeit nicht zu kennzeichnen, um eine potentiell bessere Note zu erhalten?“) und methodisch unterschiedlich durchführen (z.B. als Fragebogen, als Interview). Ein anderer Ansatz ist es, die Befragten in die Position eines fiktiven Studierenden zu versetzten und ihre Verhaltensbereitschaft an dessen Stelle zu erfragen. Wie bei allen Befragungen hängen die Antworten natürlich auch bei diesem Themengebiet davon ab, wie man genau fragt.

Generell hat das Direct-Response-Verfahren aber den Nachteil, dass Personen bei Befragungen zu heiklen Verhaltensweisen, bei denen alle Beteiligten wissen, dass man gegen eine soziale (und rechtliche) Norm verstößt, dazu neigen, nicht ehrlich zu antworten (z.B. aufgrund sozialer Erwünschtheit, Schutz des eigenen Selbstbildes, um Interviewer*innen zu gefallen etc.) (vgl. Stocké, 2004). Bei einer direkten Befragung erwartet man daher, dass man das Ausmaß akademischen Fehlverhaltens eher unterschätzt. Um das etwas zu umgehen, könnten Studierende auch indirekt befragt werden, in dem Sinne, dass sie angeben sollen, ob sie akademisches Fehlverhalten in ihrem Umfeld bei anderen schon beobachtet haben. Dies würde keine Aussage über die eigene Person erfordern. Allerdings hat man hier das Problem, dass zum einen nicht genau das Verhalten einer oder eines Studierenden erfragt wird (z.B. könnten zwei Personen die gleiche Kommilitonin kennen, die plagiiert). Zum anderen kann man vermuten, das viel akademisches Fehlverhalten auch innerhalb der Studierendenschaft unerkannt bleibt, oder man unbewusst dazu neigt, Mitstudierende zu schützen. Daher ist auch hier eher eine Unterschätzung von akademischem Fehlverhalten erwartbar.

Anonymität durch Zufall?

Um die Wahrscheinlichkeit ehrlicher Antworten zu erhöhen, werden verschiedene Befragungsmethoden vorgeschlagen, die meist versuchen, für die Befragten höhere, individuelle Anonymität herzustellen. Bspw. werden bei der Randomised-Response-Technique Fragen zu einem heiklen Verhalten (hier z.B. Schummeln in Klausuren) mit einer Zufallsmechanik mit bekannten Ergebniswahrscheinlichkeiten verbunden (z.B. einem Münzwurf) (Blair et al., 2015). Die Befragten erhalten dabei die Anweisung, bei einem bestimmten Ausgang der Zufallsmechanik die heikle Frage zu beantworten und bei einem anderen Ausgang den Zufallswurf zu wiederholen und das Ergebnis dieses Wurfs einzutragen. Die Idee dahinter ist, dass dadurch, dass nur die befragte Person den Ausgang der Zufallswürfe kennt, Antworten nicht mehr direkt als Schuldeingeständnis einer Person interpretiert werden können. Aufgrund der bekannten Wahrscheinlichkeitsverteilung kann aber der Anteil der „wahren“ Antworten mittels bedingter Wahrscheinlichkeiten berechnet werden. In empirischen Studien hat sich allerdings bisher eher nicht bestätigt, dass mittels dieses Verfahrens ehrlichere Angaben erzeugt werden und Fehlverhaltensraten erweisen sich oft sogar als niedriger (Coutts et al., 2011; vgl. Sattler, 2008). Als Gründe werden z.B. vermutet, dass durch die Komplexität des Verfahrens sogar weniger Vertrauen in die Anonymität der Befragung erzeugt wird (Höglinger et al., 2016). Krumphal & Voss (2020) argumentieren, dass auch theoretisch bei diesem Befragungsansatz Verzerrungen durch unehrliches Antwortverhalten erwartet werden können.

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Als weitere Alternativen zu diesem eher komplexen Verfahren wurden das Crosswise-Modell und das Triangular-Modell (Yu et al., 2008) vorgeschlagen. Die Idee hinter diesen Befragungsansätzen besteht darin, eine heikle Frage (z.B. „Haben Sie schon einmal plagiiert?“) mit einer nicht-heiklen Frage zu kombinieren, die nur zwei Antworten zulässt, deren Wahrscheinlichkeit man aufgrund statistischer Vorkenntnisse als bekannt voraussetzen kann (z.B. „Sind sie im Januar, Februar oder März geboren?“). Beim Crosswise-Modell müssen die Befragten beide Fragen kombiniert beantworten: würden sie beide Fragen gleich beantworten, sollen sie bspw. Antwortoption 1 wählen, beantworten sie beide unterschiedlich, Antwortoption 2. Keine der Fragen soll einzeln beantwortet werden, daher wird angenommen, dass die kombinierte Frage per se nicht mehr heikel ist. Aus der Antwortverteilung kann anschließend wieder eine Schätzung der Verteilung des „wahren“ Werts des heiklen Verhaltens berechnet werden. Das Crosswise-Modell erreicht in empirischen Untersuchungen häufig, aber nicht immer höhere Ausmaße von Fehlverhalten als direkte Befragungen (z.B. Jann et al, 2012). Beim Triangular-Modell werden wie zuvor zwei Fragen (heikel und nicht-heikel) kombiniert. Hier ist die Ausfüllanweisung allerdings anders: Würde eine Person beide Fragen verneinen, dann soll bspw. Antwortoption 1 gewählt werden. Würde sie mindestens eine der beiden Frage bejahen, soll die andere Option gewählt werden. Vom Ansatz her also ähnlich, es unterscheidet sich neben den Antwortanweisungen auch in der Art und Weise, wie der „wahre“ Wert der heiklen Frage geschätzt wird. Vergleichende Untersuchungen deuten daraufhin, dass auch das Triangular-Modell ehrlicheres Antwortverhalten als eine direkte Befragung erzeugen kann, aber nicht unbedingt mehr als das Crosswise-Modell (Jerke & Krumphal, 2013; vgl. Coutts et al., 2011). Auf der anderen Seite ist auch dieses Verfahren komplexer als eine direkte Befragung und setzt nicht-heikle Fragen voraus, deren Antwortverteilung innerhalb der befragten Gruppe bekannt ist und die im Befragungsverlauf nicht stärker irritierten. Bei allen angeführten Verfahren muss zudem die Zahl befragter Personen hinreichend groß sein, um nach dem Gesetz der großen Zahl genügend sichere Schätzungen vornehmen zu können.

Und nun?

Was lässt sich aus dieser Übersicht an Befragungsansätzen nun schließen? Zum einen, dass es schwierig ist, das Ausmaß akademischen Fehlverhaltens im Studium zu erfassen. Zum anderen müssen je nach Befragungsansatz die Ergebnisse von Untersuchungen etwas anders interpretiert werden, was natürlich die Vergleichbarkeit erschwert. Das möchten wir aber im folgenden Beitrag tun, in dem wir von Ergebnissen empirischer Untersuchungen zum akademischen Fehlverhalten von Studierenden berichten. Dabei möchten wir – unserem Forschungsinteresse folgend – den Fokus insbesondere auf Lehramtsstudierende legen. Der Beitrag findet sich hier.

Literatur

  • Blair, G., Imai, K., & Zhou, Y. Y. (2015). Design and analysis of the randomized response technique. Journal of the American Statistical Association, 110(511), 1304-1319.
  • Coutts, E., Jann, B., Krumpal, I., & Näher, A. F. (2011). Plagiarism in student papers: prevalence estimates using special techniques for sensitive questions. Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 231(5-6), 749-760.
  • Höglinger, M., Jann, B., & Diekmann, A. (2016). Sensitive Questions in Online Surveys: An Experimental Evaluation of Different Implementations of the Randomized Response Technique and the Crosswise Model. Survey Research Methods, 10(3), 171-187.
  • Jann, B., Jerke, J., & Krumpal, I. (2012). Asking sensitive questions using the crosswise model: an experimental survey measuring plagiarism. Public opinion quarterly, 76(1), 32-49.
  • Jerke, J., & Krumpal, I. (2013). Plagiate in studentischen Arbeiten: eine empirische Untersuchung unter Anwendung des Triangular Modells. Methoden, Daten, Analysen (mda), 7(3), 347-368.
  • Sattler, S. (2008). Plagiate in Hausarbeiten: Erfassung über Direct-Response und Validierung mit Hilfe der Randomized-Response-Technique. In K.-S. Rehberg (Hrsg.), Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006 (S. 5446-5461). Campus Verlag.
  • Stocké, V. (2004). Entstehungsbedingungen von Antwortverzerrungen durch soziale Erwünschtheit. Ein Vergleich der Prognosen der Rational-Choice Theorie und des Modells der Frame-Selektion. Zeitschrift für Soziologie, 33(4), 303-320.
  • Yu, J. W., Tian, G. L., & Tang, M. L. (2008). Two new models for survey sampling with sensitive characteristic: design and analysis. Metrika, 67(3), 251-263.

Täuschen, Schummeln und Betrügen an der Hochschule im Licht der Bildungsforschung – 1/7

Titel, Thesen, Temperamente

Bildnachweis: © Universität Duisburg-Essen

Anfang Oktober 2021 sorgte ein besonders plakativer Fall von Prüfungsbetrug bzw. Notenhandel an der Universität Duisburg-Essen für Schlagzeilen in der Medienlandschaft, aber auch für interessante Diskussionen innerhalb der akademischen Welt. Eine Mitarbeiterin des zentralen Prüfungsamtes soll gegen die Annahme von Geld die Noten von Studierenden in der zentralen Prüfungsdatenbank verändert haben, natürlich zum besseren. Der Spiegel berichtet vom „Markt der Möglichkeiten“ (Olbrisch, 2021) und listet Beispielpreise auf (z.B. 50 Euro für eine Erhöhung der Notenstufe). Möglich war dies alles, weil die Mitarbeiterin an der richtigen Stelle im System zuständig war: bei der Eingabe der Noten in die zentrale Datenbank, die von den Fakultäten an das Prüfungsamt übermittelt wurden. Manipulationen an dieser Stelle fallen von sich aus kaum auf und so ist es nicht verwunderlich, dass die Untersuchung erst auf einen anonymen Hinweis hin begonnen werden konnte.

Dieser Fall ist ein zugegebenermaßen drastisches Beispiel dafür, dass auch an Hochschulen, die aufgrund ihres wissenschaftlichen Selbstanspruchs auch öffentlich oft als Orte hoher Integrität und Redlichkeit betrachtet werden bzw. werden wollen, Betrug und Täuschungen vorkommen. Dies gilt insbesondere für Prüfungen. Von einem erfolgreichen Bestehen von Prüfungen im Studium hängt für Studierende schließlich viel ab: von der Möglichkeit ein Studium überhaupt beenden zu können bis hin zu besseren Einstellungschancen im Berufsleben. Der berichtete Fall an der Universität Duisburg Essen hat daher auch unangenehme Folgen für Studierende, die ihren Studienabschluss womöglich unrechtmäßig „erkauft“ haben und sich mit ihren Zeugnissen vielleicht schon erfolgreich beworben haben. Wichtig: Der Fall hätte sich auch an anderen Hochschulen ereignen können bzw. solche Fälle kommen weltweit immer wieder vor. Es ist also kein Problem, dass nur einzelne Universitäten betrifft. Uns liegt es fern, unseren Kolleg*innen in Duisburg bzw. Essen Vorwürfe zu machen.

Wir als Forschungsgruppe, die sich mit Prüfungen beschäftigt, haben den Fall in der Kaffeepause auch schon rege diskutiert: „Wie oft kommt so etwas vor? Was bringt Studierende darauf solch einen Handeln einzugehen?“ In einer Beitragsreihe in unserem Blog möchten wir diesen Fragen etwas genauer nachgehen und dabei insbesondere Ergebnissen der Bildungsforschung darstellen.

Worum geht es überhaupt?

Generell werden Täuschungen und Betrug bei Prüfungen in der internationalen Forschung häufig unter den Begriffen academic misconduct, academic malpractice oder academic dishonesty zusammengefasst (z.B. Krou et al., 2021; Ali et al., 2021; Awasthi, 2019), im Deutschen häufig als akademisches Fehlverhalten übersetzt (z.B. Kroher, 2020). Im Glossary for Academic Integrity definieren Tauginienė et al. (2018) academic misconduct als:

„Any action or attempted action that undermines academic integrity and may result in an unfair academic advantage or disadvantage for any member of the academic community or wider society.“

(Tauginiené et al., 2018, S. 8)

Akademisches Fehlverhalten bezieht sich also auf Handlungen, die gegen eine Norm des integren Verhaltens in der akademischen Gemeinschaft verstoßen, verbunden mit dem Ziel, sich unfaire Vorteile gegenüber anderen zu verschaffen. Diese Definition ist sehr breit und hat Ähnlichkeiten zu weiteren Begriffen (z.B. academic fraud). Die Handlungen müssen dabei nicht erfolgreich sein, um als Fehlverhalten zu gelten. Neben Fehlverhalten als Wissenschaftler*in (wobei hier der Begriff scientific misconduct präziser ist; Gross, 2016) kann dies auch Fehlverhalten im Studium bezeichnen, also z.B. Versuche, sich bei Prüfungen mit unfairen Mitteln Vorteile gegenüber Mitstudierenden zu erlangen. Da es um Normen der Institution Hochschule geht, lässt sich nur schwer vollständig angeben, welche denkbaren Handlungen alle unter solches Fehlverhalten fallen. Häufig werden sie beschrieben in Dokumenten, die von Universitäten selbst herausgegeben werden, um die akademische Norm zu kommunizieren. Die ehrwürdige University of California in Berkeley nennt Fehlverhalten in folgenden Kategorien (UC, 2021):

  • Cheating (z.B. Abschreiben in Klausuren, Prüfungen für jemand anderen ablegen)
  • Plagiarism (z.B. Kopieren von Passagen anderer Werke in Hausarbeiten)
  • Course Materials (z.B. Verstecken von Büchern in der Bibliothek vor Mitstudierenden)
  • False Information and Representation, Fabrication or Alteration of Information (z.B. Fälschen von Attesten)
  • Theft or Damage of Intellectual Property (z.B. Zerstören von Arbeitsergebnissen Mitstudierender)
  • Alteration of University Documents (z.B. Fälschen von Zeugnissen bei Bewerbungen)
  • Disturbances in the Classroom (z.B. fälschlicherweises Aktivieren des Feueralarms)

Die FAIRUSE-Studie, die an der Universität Bielefeld durchgeführt wurde und in dieser Artikelreihe noch häufiger auftauchen wird, untersuchte bspw. folgende Arten akademischen Fehlverhaltens (Sattler & Diewald, 2013, S. 18):

  • Plagiieren
  • unerlaubte Hilfsmittel in Klausuren verwenden
  • unerlaubte Hilfsmittel in Klausuren mitnehmen
  • Abschreiben in Klausuren
  • Attest und Ausreden zur Verschiebung von Prüfungen oder Abgabefristen
  • Abschreiben von Arbeitsaufgaben (z.B. Protokolle, Übungszettel)
  • Daten fälschen/verändern

Der oben beschriebene Fall an der Universität Duisburg-Essen würde in diesem Sinne eher nicht als akademisches Fehlverhalten bezeichnet bzw. wird in der Forschung eher unter einem anderen Stichwort betrachtet. Es ist ein Beispiel für academic corruption. Dabei wird eine Position der Autorität bzw. mit einer bestimmten Macht oder Kompetenz ausgenutzt, um persönliche – meist finanzielle – Vorteile zu erlangen (vgl. Rumyantseva, 2005).

In dieser Reihe möchten wir genauer beleuchten, wie groß das Ausmaß akademischen Fehlverhaltens von Studierenden – insbesondere im Lehramtsstudium – eigentlich ist. Zunächst sollte aber der Frage nachgegangen werden, wie man das überhaupt feststellen kann. Schließlich handelt es sich um Handlungen, die die wenigsten Menschen bereitwillig zugeben. Im nächsten Beitrag werden daher Ansätze beschrieben, wie in der Bildungsforschung akademisches Fehlverhalten erfasst werden kann. Er befindet sich hier.

Literatur

  • Ali, I., Sultan, P., & Aboelmaged, M. (2021). A bibliometric analysis of academic misconduct research in higher education: Current status and future research opportunities. Accountability in research, 28(6), 372-393. (Online)
  • Awasthi, S. (2019). Plagiarism and Academic Misconduct: A Systematic Review. DESIDOC Journal of Library & Information Technology39(2), 94-100. (Online)
  • Gross, C. (2016). Scientific misconduct. Annual Review of Psychology67, 693-711. (Online)
  • Kroher, M. (2020). Akademisches Fehlverhalten: Wie ehrlich berichten Studierende über Täuschungen?. In I. Krumpal, & R. Berger (Hrsg.), Devianz und Subkulturen – Theorien, Methoden und empirische Befunde (S. 207-240). Springer VS. (Online)
  • Krou, M. R., Fong, C. J., & Hoff, M. A. (2021). Achievement motivation and academic dishonesty: A meta-analytic investigation. 33, 427–458. (Online)
  • Olbrisch, M. (2021, 06. Oktober). Notenmanipulation an der Uni Duisburg-Essen – Markt der Möglichkeiten. spiegel.de (Online)
  • Rumyantseva, N. L. (2005). Taxonomy of corruption in higher education. Peabody Journal of Education80(1), 81-92. (Online)
  • Sattler, S., & Diewald, M. (2013). FAIRUSE – Fehlverhalten und Betrug bei der Erbringung von Studienleistungen: Individuelle und organisatorisch-strukturelle Bedingungen – Schlussbericht zum Projekt. Universität Bielefeld. (Online)
  • Stiles, B. L., Wong, N. C. W., & LaBeff, E. E. (2018). College cheating thirty years later: The role of academic entitlement. Deviant Behavior39(7), 823-834. (Online)
  • Tauginienė, L., I. Gaižauskaitė, I. Glendinning, J. Kravjar, M. Ojsteršek, L. Ribeiro, T. Odiņeca, F. Marino, M. Cosentino, & S. Sivasubramaniam (2018). Glossary for Academic Integrity – ENAI Report 3G. European Network for Academic Integrity. (Online)
  • University of California (Hrsg.) (2021, 04. November). Definitions & Examples of Academic Misconduct. University of California, Division of Student Affairs. (Online)

Podcast: Klasse(n)arbeit

Ergänzungen zur aktuellen Debatten der Lehramtsausbildung

Einbettung von: Spotify, Podcast „Klasse(n)arbeit“ der Gießener Offensive Lehrerbildung

Die Gießener Offensive Lehrerbildung (GOL), die innerhalb der Qualitätsoffensive Lehrerbildung des BMBF gefördert wird, behandelt in mehreren Podcastfolgen unterschiedliche Fragen und Themen der Lehramtsausbildung. Der Podcast trägt den schönen Titel Klasse(n)arbeit und er kann auf den Seiten der GOL auch heruntergeladen werden (je nach Einstellungen des Browsers). Man findet ihn aber auch bei Spotify (eingebunden oben)

Eine erste Hörempfehlung, insbesondere für Personen, die an wissenschaftlichen Perspektiven interessiert sind, möchte ich Folge 2 mit dem Titel Reflexion reflektieren: Was ist das? Und wenn ja, wie viele?, in der unter Anderem Claudia von Aufschnaiter (Liebe Grüße!) und Christian Hofmann verschiedene Definitionen, Positionen und Perspektiven auf Reflexionsprozesse, – fähigkeiten und -möglichkeiten diskutieren.

Dabei wird deutlich, dass gerade der Umgang mit Reflexion und die Förderung von Reflexivität bei Studierenden ein in der Lehrerbildungsforschung stark diskutiertes Thema ist (vgl. von Aufschnaiter, Fraij & Kost, 2019). Reflexive Anteile in der Lehramtsausbildung werden dabei auch immer wieder kritisch diskutiert, wie es bspw. Tobias Leonard in seiner Keynote auf der Jahrestagung 2021 der DGfE-Sektion Schulpädagogik mit dem Titel Reflexion und Reflexivität in Unterricht, Schule und Lehrer*innen­bildung getan hat, in der er ebenfalls die Beliebigkeit der Verwendung des Reflexionsbegriffs kritisiert und sich gegen überzogene Reflexionsansprüche in der Lehramtsprofessionalisierung in Schule und Hochschule wendet. Es bleibt also ein weiterhin ein heißes Thema der Lehramtsausbildung.

Literatur

  • Leornard, T. (2021). Von der Wiege bis zur Bahre? Rekonstruktionen (all)gegenwärtiger Reflexionsansprüche und ihre Bedeutung für Schule und Lehrer*innenbildung (Konferenzbeitrag). Jahrestagung der DGfE-Sektion Schulpädagogik, Universität Osnabrück (online), 22.09.2021.
  • von Aufschnaiter, C., Fraij, A., & Kost, D. (2019). Reflexion und Reflexivität in der Lehrerbildung. Herausforderung Lehrer* innenbildung-Zeitschrift zur Konzeption, Gestaltung und Diskussion2(1), 144-159. (Online)

Quereinstieg ins Lehramt im Licht der Bildungsforschung – 4/4

Aus einer Situation des Mangels folgt große Verantwortung

In einer Reihe von Artikel thematisieren wir in unserem Blog den Quer- oder Seiteneinstieg ins Lehramt aus der Perspektive der empirischen Bildungsforschung. Im ersten Teil wurden zuerst Statistiken zum Ausmaß von Lehrkräften, die ohne grundständiges Lehramtsstudium im Schulsystem tätig sind betrachtet, im zweiten Teil ein paar wenige Studienergebnisse zu Unterschieden in professionellen Kompetenzen von Quer- und Seiten*einsteigerinnen und Lehrkräften mit grundständigem Lehramtsstudium. Der dritte Teil betrachtete Gründe, weshalb Angebot- und Bedarf von Lehrkräften häufig nicht übereinstimmen. In diesem letzten Teil möchten wir noch einmal einen Blick auf ein zentrales Argument wider des Quer- und Seiteneinstiegs richten. Dabei möchten wir auch noch einmal resümieren, inwiefern auf Basis von Ergebnissen der empirischen Bildungsforschung Erkenntnisse gewonnen werden können, wie alternative Wege ins Lehramt besser unterstützt werden können.

Wie sollten Lehrkräfte ausgebildet werden?

Kritik am Quer- und Seiteneinstieg bezieht sich meist weniger auf seine Existenz an sich, auch wenn sich viele Akteur*innen aus der Lehramtsausbildung meist wünschten, die Absolvent*innen des grundständigen Lehramts würden den Bedarf ausreichend decken. Es geht eher um die Frage, ob Personen, die nicht die vollständige, grundständige Ausbildung durchlaufen haben, auch dieselben Qualifikationsstandards erfüllen. Hintergrund ist, dass in den letzten Jahrzehnten viele Anstregungen unternommen wurden, die Ausbildung von Lehrkräften stärker zu standardisieren und zu professionalisieren. Dies zeigt sich sehr deutlich darin, dass im Jahr 2004 durch die Kultusministerkonferenz die ersten Standards für die Lehrerbildung beschlossen wurden, die – bei all ihrer Unbestimmtheit im Detail und möglicher Schwierigkeiten (vgl. Terhart, 2007) – die Grundlage für alle lehrerbildenden Ausbildungswege in allen Bundesländern bilden (KMK, 2019). Diese Bemühungen um eine Professionalisierung betrifft auch die Ausbildung in den einzelnen Unterrichtsfächern. Dabei ist die Entwicklung an vielen universitären Standorten davon beeinflusst, dass eine professionsorientierte Ausbildung für den Lehrer*innenberuf „sui generis“ erfolgen soll. Also eine Ausbildung „eigener Art“, bei der angehende Lehrkräfte von Anfang an ein professionsorientiertes Studium absolvieren sollen und bewusst nicht zuerst ein reines Fachstudium mit anschließender pädagogischer Weiterqualifikation. Für das Fach Physik fordert bspw. die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) in sechs Thesen für ein modernes Lehramtsstudium im Fach Physik schon 2006: „Den angehenden jungen Lehrkräften muss eine optimale Ausbildung und optimales Werkzeug zur Erfüllung ihrer Aufgabe vermittelt werden. Die Praxis hat gezeigt, dass eine in erheblichem Umfang als „Anhängsel“ an einen Fachstudiengang Physik (Diplom oder Bachelor/Master in Physik) praktizierte Lehrerausbildung diesem Anspruch nicht gerecht wird. Daher muss folgerichtig das Studium für das Lehramt auf dem Gebiet der Physik ein eigens auf diese Anforderungen optimiertes Studium, das heißt ein Studium sui generis sein. Seine Bestandteile sind eine optimierte fachphysikalische und eine physikdidaktische Ausbildung.“ (DPG, 2006, S. 4)

Konterkariert ein Quer- bzw. Seiteneinstieg nicht die Professionalisierung von Lehrkräften?

Zu diesem Gedanken einer Lehramtsausbildung von Anfang an mit einem Studium eigener Art steht natürlich der Quer- und noch stärker durch den Seiteneinstieg zu einem gewissen Grad in Widerspruch. Auch, wenn einzelne Lehramtsstudiengänge formal noch keine direkte Festlegung auf den Beruf vorsehen, also in diesem Sinne polyvalent sind, sind sie aber dennoch häufig so gestaltet, dass ein früher Bezug zurProfession hergestellt wird. Dies kommt dabei auch der hohen Berufswahlsicherheit von Lehramtsstudierenden entgegen, die überwiegend auch von Anfang mit diesem Berufsziel studieren (Bauer et al., 2011). Diese Studienganggestaltung entspricht also tendenziell auch eher dem Wunsch der Zielgruppe. Aus einer anderen Perspektive kann auch folgendes Argument herangeführt werden: wenn die adäquate Bildung von jungen Menschen ein gesellschaftliche hohes und wichtiges Ziel ist, dann sollte sich dies auch in einer professionellen Qualifizierung derjenigen zeigen, die diese Menschen unterrichten. Häufig wird ein Vergleich zu anderen Professionen wie der Medizin getroffen. Dort würde ein Einsatz von Seiteneinsteiger*innen ohne grundständige z.B. im OP nicht so einfach gesellschaftlich akzeptiert werden, wie im Lehrer*innenberuf (auch wenn es dort ebenfalls einen Mangel gibt und mehr Quereinsteigende aus z.B. dem Ausland als gedacht) (vgl. Kommission für Grundschulforschung und Pädagogik der Primarstufe, 2017). Auch bei Juristen wird das Richteramt nicht einfach jemandem übertragen, der quer einsteigt. Auch wenn diese Vergleiche natürlich etwas hinken, haben sie meiner Meinung nach einen wahren Kern. Was bringen alle Bemühungen um eine Verbesserung der Lehramtsausbildung, wenn man sie grundsätzlich eigentlich nicht braucht. Gerade auch in Mangelfächern wie z.B. Physik wird es dann schon schwieriger zu argumentieren, warum man denn auf Lehramt studieren sollte, wenn die Einstellungschancen in den Beruf auch ohne diesen Weg genauso gut sind. Als ein Extrem gab es in der Vergangenheit durchaus die Möglichkeit, dass Lehramtsstudierende noch ohne fertigen Abschluss aus einem Bundesland in den Seiteneinstieg in einem andern Bundesland wechseln konnten (eine Praxis, die aber sehr selten vorkam und aktuell in keinem Bundesland möglich ist). Die Diskussion um den Quereinstieg wird auch deshalb teilweise emotional, weil sich hierin implizit eine geringe Wertung der Bemühungen des Lehramtsausbildungssystems zeigt.

Quereinstieg ja, aber wie?

Bildnachweis: © Gesellschaft für Fachdidaktik

Auf der anderen Seite wird aber auch von Akteur*innen der Lehramtsausbildung der Mangel an Lehrkräften natürlich gesehen und als Problem anerkannt. Insofern wird auch nicht unbedingt eine Abschaffung von alternativen Wegen in den Beruf gefordert, sondern eher ein Sicherstellung der ausreichenden, standardbasierten Professionalisierung der Quer- und Seiteneinsteigenden. So formuliert die Gesellschaft für Fachdidaktik (GFD): „Die Standards einer akademischen Profession sind nicht verhandelbar. Sie gelten daher für alle Professionalisierungswege.“ (GFD, 2018, S. 1) Diese Forderung wird dabei nicht nur von wissenschaftlichen Fachgesellschaften vertreten, sondern zum Teil auch von den Praktiker*innen in Schulen, die die Kolleg*innen mit alternativem Weg in den Beruf häufig begleiten. Bellenberg et al., (2020) führten Experteninterviews mit Schulleitungen und Ausbildungsbeauftragen an vier Schulen im Ruhrgebiet, die relativ viele Seiteneinsteiger*innen eingestellt haben. In den Antworten wird zum einen deutlich, dass die Qualifizierung der Seiteneinsteigenden vorwiegend durch eine Eins-zu-Eins-Betreuung von Fachkolleg*innen vor Ort erfolgt und dabei die Studienseminare, die zumindest die Quereinsteiger*innen ausbilden kaum beteiligt sind. Zudem berichten die Befragten von negativen Folgen für die grundständige Ausbildung: „‚desto mehr Seiteneinsteiger wir haben, desto weniger ja Kapazität und Zeit und Möglichkeiten haben dann ja auch die klassischen Referendare‘ (Sekundarschule 2, Abs. 94)“ (Bellenberg et al., 2020, S. 408). Betrachtet man rein formal die Qualifizierungsmaßnahmen für Quer- und Seiteneinsteigende, wird eine sehr große Unterschiedlichkeit deutlich (Driesner & Arndt, 2020), bei dem sich der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit nicht von der Hand weisen lässt. Sie konstatieren mit Blick auf die häufig fehlenden Regelungen zur Qualifizierung von Personen, die nicht die Voraussetzungen für einen Einstieg in den Vorbereitungsdienst mitbringen: „Damit wird eine der regulären Lehrkräftebildung gleichwertige Qualifizierung nicht ermöglicht, was vor dem Hintergrund der Diskussion um Standards und Qualität der Lehrkräftebildung und der Konsequenzen für die betreffenden Lehrkräfte, den Unterricht und letztlich für den Kompetenzerwerb der Schüler*innen bedenklich scheint.“ (Driesner & Arndt, 2020, S. 425)

Die Bildungsforschung hilft bisher nur wenig…

Inwiefern können Ergebnisse empirischer Bildungsforschung dazu beitragen, Herausforderungen des Lehrermangels und des Quereinstiegs zu bewältigen. Bisher muss man sagen: eher wenig. Es liegen einfach (noch) zu wenige Studien vor, die eindeutige Einschätzungen erlauben. Das betrifft zum einen den Fokus auf MINT-Lehrkräfte, aber auch die Tatsache, dass die Gruppe von Lehrkräften mit alternativem Berufszugang generell schwer zusammenzufassen ist. Auch wenn bspw. bisher kaum Unterschiede in den Kompetenzen zu grundständig ausgebildeten Lehrkräften festgestellt werden konnten (siehe den zweiten Beitrag der Reihe), fand ja meist trotzdem eine Qualifizierung statt, nur eben häufig auf einzelschulischer Ebene. Es stellt sich z.B. die Frage, ob bisher keine Unterschiede festgestellt werden, weil noch genügend professionalisierte Lehrkräfte im System sind, die evtl. „Lücken“ abfedern. Auf der anderen Seite ist der Druck der Unterrichtsversorgung sehr groß. Wichtig ist mir hierbei: das soll überhaupt keine negative Bewertung der vielen engagierten Lehrkräfte mit alternativem Weg ins Lehramt sein, die sich häufig sehr aktiv und motiviert ins Schulleben einbringen. Wie so oft, wird, wenn es um Bildungspolitik geht, um das System gestritten und nicht um das Individuum.

Ist alles so furchtbar?

Natürlich wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Der Beruf als Lehrkraft ist immer noch einer der schönsten Berufe der Welt und ich hoffe, dass sich viele Personen für ihn begeistern lassen. Egal ob im grundständigen oder im alternativen Zugang.

Bildnachweis: © Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen

Literatur

  • Bauer, J., Diercks, U., Retelsdorf, J., Kauper, T., Zimmermann, F., Köller, O., Möller, J., & Prenzel, M. (2011). Spannungsfeld Polyvalenz in der Lehrerbildung. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 14(4), 629-649. (Online)
  • Bellenberg, G., Bressler, C., Reintjes, C., & Rotter, C. (2020). Der Seiteneinstieg in den Lehrerberuf in Nordrhein-Westfalen: Perspektiven von Schulleitungen und Ausbildungsbeauftragten. DDS–Die Deutsche Schule, 112(4), 399-413. (Online)
  • DPG (2006). Thesen für ein modernes Lehramtsstudium im Fach Physik. Eine Studie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft e.V. (Online)
  • Driesner, I., & Arndt, M. (2020). Die Qualifizierung von Quer-und Seiteneinsteiger* innen: Konzepte und Lerngelegenheiten im bundesweiten Überblick. DDS–Die Deutsche Schule, 112(4), 414-427. (Online)
  • GFD (2018). Ergänzende Wege der Professionalisierung von Lehrkräften. Positionspapier der GFD zur Problematik des Quer- und Seiteneinstiegs. (Online)
  • KMK (2019). Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16.12.2004 i. d. F. vom 16.05.2019). (Online)
  • Kommission für Grundschulforschung und Pädagogik der Primarstufe (2017). Stellungnahme zur Einstellung von Personen ohne erforderliche Qualifikation als Lehrkräfte in Grundschulen (Seiten- und Quereinsteiger). (Online)
  • Terhart, E. (2007). Standards in der Lehrerbildung – eine Einführung. Unterrichtswissenschaft, 35(1), 2-14.

Podcast: Lehrkräftebildung neu gedacht

Innovative Lehr-Lern-Konzepte für das Lehramtsstudium

Ähnlich wie auch wir entwickeln und erproben bundesweit viele Kolleg*innen neue . Lehr-Lern-Formate für die Ausbildung angehender Lehrkräfte. Marcus Kubsch und Stefan Sorge, beides geschätzte Kollegen aus der Physikdidaktik am IPN, dem Leibnizinstitut für die Pädagogik der Naturwissenschaften in Kiel, haben sich schon länger Gedanken darüber gemacht, wie Innovationen in die Lehramtsausbildung transferiert werden können (Sorge et al., 2021) und nun zusammen mit Julia Arnold (Biologiedidaktik, Fachhochschule Nordwestschweiz) und Nicole Graulich (Chemiedidaktik, Justus-Liebig-Universität Gießen) das Buch Lehrkräftebildung neu gedacht – Ein Praxishandbuch für die Lehre in den Naturwissenschaften und ihren Didaktiken herausgebracht, das im Waxmann-Verlag als Open-Access-Publikation erhältlich ist.

Einbettung von: Spotify, Podcast „Lehrkräftebildung neu gedacht“ von Marcus Kubsch, Stefan Sorge, Julia Arnold & Nicole Graulich

In insgesamt 35 Beiträgen aus 32 Hochschulstandorten in Deutschland, Österreich und der Schweiz werden neue und innovative Konzepte, Methoden und Ideen zur Lehramtsausbildung in den Naturwissenschaften vorgestellt. Die vier Herausgeber*innen möchten „einen Impuls zum Austausch und zum Diskurs geben“ (Kubsch, Sorge, Arnold & Graulich, 2021, 9). Es richtet sich daher an alle Interessierten, die in der Lehramtsausbildung tätig sind. Es gliedert sich in drei thematische Abschnitte: in einem ersten Teil werden in 14 Beiträgen Konzepte zur Förderung spezifischer Aspekte professioneller Handlungskompetenz vorgestellt. Inka Haak, Jens Klinghammer, Olaf Krey und Thorid Rabe (liebe Grüße an dieser Stelle nach Halle) entwickelte bspw. eine Lerneinheit, in der Lehramtsstudierenden anhand der Kopernikanischen Wende ihre professionelle Kompetenzen im Bereich nature of science weiterentwickeln können. Der zweite Abschnitt enthält 11 Beiträge, die sich auf die Förderung der Planung und Reflexion von Unterricht konzentrieren. Von der Universität Paderborn stellen hier z.B. Pascal Pollmeier und Sabine Fechner (auch hier liebe Grüße) eine Seminarkonzeption vor, in der angehende Lehrkräfte dazu befähigt werden können, mit Evidenzen im naturwissenschaftlichen Unterricht adäquat umzugehen. Der dritte und letzte Abschnitt des Buches wiederum konzentriert sich in zehn Beiträgen auf den zielführenden Einsatz digitaler Medien in der Lehramtsausbildung, z.B. den Einsatz von Augmented Reality oder auch digitale Medien zur Unterstützung der Klimabildung.

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© Waxmann Verlag

Auch, wenn es sich fachlich auf die Naturwissenschaften bezieht, bieten die Beiträge eine Vielzahl an Anregungen auch für die Lehramtsausbildung in anderen Fächern und den Bildungswissenschaften. Die Beiträge sind zudem kurz und prägnant, so dass sie sich gut zwischendurch nacheinander lesen lassen. Als weiteres Highlight produzieren die Herausgeber*innen zudem einen Podcast, in dem die einzelnen Autor*innen ihre jeweiligen Konzepte noch einmal in ca. zehnminütigen Folgen vorstellen. Neben Spotify (eingebettet oben) ist er auch über die meisten gängigen Portale und Dienste kostenfrei erhältlich. Insgesamt eine klare Lese – und Hörempfehlung.

Vielen Dank an euch vier Herausgeber*innen für eure Mühe und Initiative. Wir werden in Zukunft auch auf weitere interessante Podcast aus der Lehrerbildungsforschung bzw. der empirischen Bildungsforschung hinweisen.

Literatur

  • Kubsch, M., Sorge, S., Arnold, J., & Graulich, N. (Hrsg.) (2021). Lehrkräftebildung neu gedacht. Ein Praxishandbuch für die Lehre in den Naturwissenschaften und deren Didaktiken Münster: Waxmann. (Online)
  • Sorge, S., Kubsch, M., Breuer, J., Syskowski, S., & Wöhlke, C. (2021). Lehrkräftebildung neu gedacht. Ergebnisse des GDCP Hackathon 2020. In S. Habig (Hrsg.) Naturwissenschaftlicher Unterricht und Lehrerbildung im Umbruch? – Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik online Jahrestagung 2020 (S. 45-47). Universität Duisburg-Essen. (Online)

Quereinstieg ins Lehramt im Licht der Bildungsforschung – 3/4

„Lehrer kann doch jeder, man war schließlich lange genug in der Schule.
Da weiß man wie der Hase zu laufen hat!“

In einer kleinen Artikelreihe betrachten wir den Quer- oder Seiteneinstieg ins Lehramt aus der Perspektive der Ergebnisse und Diskussionen der Bildungsforschung. Anlass war ein kurzer Beitrag des Deutschlandfunks, anhand dessen zunächst das Ausmaß des Phänomens betrachtet wurde (siehe den ersten Teil der Reihe). Anschließend wurden Studienergebnisse herangezogen, in denen die professionellen Kompetenzen von Quer- und Seiten*einsteigerinnen und Lehrkräften mit grundständigem Lehramtsstudium sowie den Leistungen ihrer Schüler*innen verglichen wurden (siehe den zweiten Teil der Reihe). Insgesamt liegen sehr wenige empirische Daten vor und wenn, dann eher für MINT-Lehrkräfte. In der Tendenz können aber bisher nur wenige Unterschiede beobachtet werden. In diesem Beitrag gehen wir deshalb noch aus anderen Perspektiven der Frage nach, warum das Thema trotzdem immer wieder so kontrovers und emotional diskutiert wird. Hierzu kehren wir zunächst zurück zu den Thesen, die Raphaela Porsch in ihrem aktuellen Übersichtsbeitrag diskutiert (Porsch, 2021), für den ich auch hier noch einmal eine Leseempfehlung geben möchte.

These 3: Auf die Einstellung von Quer- und Seiteneinsteiger*innen kann
grundsätzlich in Deutschland nicht verzichtet werden.“
(Porsch, 2021, S. 214)

Diese These bezieht sich auf eine der Kernannahmen in Diskussionen zum Quereinstieg: Muss es eigentliche alternative Wege ins Lehramt geben? Reichen nicht die Lehramtsabsolvent*innen? Generell ist es ein empirisch gut beobachtetes Phänomen, dass die Einstellungszahlen von Lehrkräften in Zyklen verlaufen. Ist der Bedarf an Lehrkräften hoch, entscheiden sich mehr junge Menschen für eine Lehramtsausbildung. Da es allerdings zwischen fünf bis sieben Jahren dauert, bis Lehrkräfte vollständig ausgebildet sind, kommt es im Zeitverlauf immer wieder zu Über- oder Unterdeckung des Bedarfs. Sind alle Stellen besetzt, entscheiden sich weniger Personen für das Studium, und in ein paar Jahren fehlen dann wieder Lehrkräfte (insgesamt auch Schweinezyklus genannt). Neben diesen Zyklen gibt es aber weitere Effekte, die dazu beitragen, dass Lehrkräftebedarf und -angebot häufig auseinander driften, wie z.B. Studienabbruch im Lehramt oder eine Erhöhung der Teilzeitquote unter Lehrkräften.

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Betrachtet man die Absolvent*innen des Jahrgangs 2016 lässt sich bundesweit für Lehramtsstudiengänge eine Abbruchquote von ca. 15% feststellen, die im Vergleich mit anderen Studiengängen relativ niedrig ausfällt (Neugebauer, Heublein & Daniel, 2019). Auch hier muss allerdings differenziert werden, dass beträchtliche Unterschiede zwischen Studiengängen und Studienfächern bestehen. Güldener et al. (2020) untersuchten in einer Längsschnittstudie bei Lehramtsstudierenden in Mecklenburg-Vorpommern den „Schwund“ im Lehramtsstudium zwischendem Beginn Wintersemester 2012/2013 und dem Sommersemesters 2019. Dabei beobachten sie einen Unterschied zwischen verschiedenen Studiengängen und teilweise generell hohen Schwund: „Im Lehramt an Gymnasien sind die Kohorten nach zwei Semestern um etwa 30 Prozent geschrumpft , im Lehramt an Regionalen Schulen teilweise um bis zu 40 Prozent.“ (Güldener et al., 2020, S. 388) Dies ist für das Lehramt an Grundschulen und für sonderpädagogische Förderung deutlich anders bzw. es gibt weniger Schwund und mehr Absolvent*innen. Dies verdeutlich exemplarisch, dass meist kein genereller Lehrkräftemangel besteht, sondern meist ein Mangel für spezifische Schulformen und Fächer (siehe hierzu auch die Quoten für den Quer- und Seiteneinstieg im ersten Beitrag). Zusammen mit der Zunahme des Anteils von weiblichen Lehrkräften stieg auch historisch betrachtet der Anteil an Lehrkräften in Teilzeit: „Von den Lehrerinnen an den Grundschulen (die 90 Prozent der Kollegien stellen) arbeiteten in NRW im Jahr 2018/19 46 Prozent in Teilzeit, von den Realschullehrerinnen haben 47,6 Prozent Teilzeit beantragt, von den Gymnasiallehrerinnen 50 Prozent.“ (Zymek & Heinemann, 2020, S. 377). Hierfür gibt es meist nachvollziehbare Gründe, die hier auch nicht bewertet werden sollen. Es soll nur deutlich gemacht werden, dass auch dies ein Faktor ist, der dazu beiträgt, dass Angebot und Bedarf häufig nicht übereinstimmen. Blickt man historisch zurück (vgl. Zymek & Heinemann, 2020), so kann festgestellt werden, dass in der Tat ohne Quer- und Seiteneinstieg der Lehrkräftebedarf nicht vollständig gedeckt werden konnte bzw. kann.

Eine Diskussion des Mangels

Kontroversen zum Quer- und Seiteneinstieg finden also immer vor dem Hintergrund einer eigentlich nie ausreichenden Deckung von Angebot und Bedarf statt. Entsprechend stehen aber auch gerade Entscheider*innen im System Schule immer wieder unter dem Druck, die Unterrichtsversorgung sicherzustellen bzw. den Schweinezyklus zu verwalten. Dies umso mehr, da es eben keinen allgemeinen Mangel an Lehrkräften, sondern primär einen Mangel in bestimmten Schularten und Fächern gibt. Dies ist deutlich sichtbar an den unterschiedlichen Anteilen von Neueinstellungen über alternative Wege ins Lehramt für spezifische Fächer (KMK, 2021). Es prallen bei der Frage des Quer- und Seiteneinstiegs also immer wieder verschiedene Perspektiven, Ziele und Bedürfnisse aufeinander, je nachdem, welche Stimme sich jeweils zu Wort meldet.

Eigentlich sind sich auf Ebene der grundsätzlichen, abstrakten Wünsche alle am Bildungssystem Beteiligten einig, von Schüler*innen, Eltern, Schulleitungen, Lehrkräften, Bildungsadministrator*innen, Lehrerbildner*innen bis hin zu Bildungsforscher*innen (häufig hat man davon ja mehrer Rollen inne). Alle möchten insgesamt eine möglichst gute Schulbildung für Schüler*innen durchgeführt durch professionell qualifizierte und fähige Lehrkräfte. Auf der anderen Seite ist aber gerade in der Alltagsgestaltung eine zuverlässige Unterrichtsversorgung wichtig, bei der wenig Unterricht ausfällt. Und grundsätzlich ist die Annahme ja auch korrekt, dass Unterricht auf jeden Fall stattfinden muss, damit er überhaupt Lernwirkungen erzeugen kann. Herrscht Lehrkräftemangel sind diese beiden Ziele allerdings nicht hundertprozentig vereinbar.

Strittig ist also eher, wie mit der Situation umgegangen werden soll, bzw. welche möglichen Lösungen es für das Dilemma gibt und welche Vor- und Nachteile von Lösungen bestehen. Die Einstellung von Quer- und Seiteneinsteiger*innen ist eine solche Lösungsstrategie. Welche Ansichten und Argumente dabei vorgebracht werden, inwiefern Erkenntnisse der Bildungsforschung bei der Diskussion helfen können und welche Position auch ich aus Sicht von jemandem, der am Thema performanzorientierter Professionalisierung in der Lehramtsausbidung arbeitet, einnehme, wird Beitrag des nächsten und abschließenden Beitrags unserer Reihe zum Quereinstieg sein. Er findet sich hier.

Es lässt sich aber schon jetzt festhalten: An dieser Stelle verlässt man den Boden der Bildungsforschung im engeren Sinne und es geht mehr um die Aushandlung von Strategien, also eher Fragen der Bildungspolitik.

Literatur

  • Güldener, T., Schümann, N., Driesner, I. & Arndt, M. (2020). Schwund im Lehramtsstudium. Die Deutsche Schule, 112(4), 381–398. (Online)
  • KMK (2021). Einstellung von Lehrkräften 2020. (Online)
  • Neugebauer, M., Heublein, U., & Daniel, A. (2019). Studienabbruch in Deutschland: Ausmaß, Ursachen, Folgen, Präventionsmöglichkeiten. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 22(5), 1025-1046. (Online)
  • Porsch, R. (2021). Quer- und Seiteneinsteiger*innen im Lehrer*innenberuf – Thesen in der Debatte um die Einstellung nicht traditionell ausgebildeter Lehrkräfte. In C. Reintjes, T-S. Idel, Bellenberg, G., & Thönes, K. V. (Hrsg.). Schulpraktische Studien und Professionalisierung: Kohärenzambitionen und alternative Zugänge zum Lehrberuf (S. 207-228). Münster: Waxmann. (Online)
  • Zymek, B. & Heinemann, U. (2020). Konjunkturen des Lehrerarbeitsmarkts und der Beschäftigungschancen von Frauen vom 19.  Jahrhundert bis heute. Die Deutsche Schule, 112(4), 364–380. (Online)