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7. Statusgruppenseminar: Heimspiel in Paderborn

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Bildnachweis: (c) Universität Paderborn

Nach unseren letzten Besuchen im virtuellen München und in Flensburg war es an der Zeit, dass wir als BMBF-Forschungsgruppe in Paderborn ein Statusgruppentreffen ausrichten. Dafür haben wir am 07. und 08.11.2024 zum gemeinsamen Austausch, Workshops und Vernetzung im Rahmen eines breiten Programmes eingeladen:  

Den ersten Tag begannen wir mit einem wetterbedingt erfrischenden „Walk + Talk“ über den Uni-Campus der allen Teilnehmenden die Möglichkeit bot, Einblicke in einzelne Gebäudeteile zu erhalten und auch die Aussicht aus dem Turm des H-Gebäudes zu erleben. Die einzelnen Gespräche konnten dann innerhalb des anschließenden Statusgruppenaustauschs weiter vertieft werden.

Der Nachmittag stand dann ganz im Zeichen unterschiedlicher Workshops. So beleuchtete etwa Sven-Daniel Gettys im Workshop zum Thema „Science-Slam“ verschiedene Aspekte dieses Formates und vermittelte mittels einer Good-Practice-Analyse die Grundlagen des Storytelling, der Interaktion mit dem Publikum und verschiedene Präsentationstechniken, die die Teilnehmenden auf ihre eigenen Forschungsprojekte beziehen konnten.

Der Workshop „Vom Feedback zum überarbeiteten Text“, der von Dr. Andrea Karsten geleitet wurde, zeigte den Teilnehmenden Strategien zum Umgang mit unterschiedlich konstruktivem Textfeedback und zur Planung einer effektiven Textüberarbeitung auf. Durch praktische Übungen und persönliche Reflexion lernten die Teilnehmenden, wie sie Schwerpunkte setzen, auf Feedback reagieren und dabei die eigene Perspektive im Text bewahren können.

Im Workshop „Gesund bleiben in der Wissenschaft“ wurde es sportlich. Dr. Carolin Waltert und Lena Wobbe hoben die Bedeutung von Bewegung für die Gesundheit und das Lernen sowohl für Lehrende als auch Studierende hervor. Die Teilnehmenden bekamen die Chance, praktische Ansätze zur bewegungsorientierten Gestaltung ihres (Arbeits-)Alltags sowie zur Umsetzung von bewegter Lehre kennenzulernen, um Sitzzeiten zu unterbrechen und das Wohlbefinden zu fördern.

Später am Abend genossen wir ein gemeinsames Abendessen in der Paderborner Innenstadt, was weiteren Raum für den informellen Austausch in einer entspannten Atmosphäre bot.

Der zweite Tag war als Transfertag für die Hochschulöffentlichkeit angesetzt. Hierzu wurden unter dem Motto, „Performanzorientierte Ansätze in der Lehrkräftebildung“, Expert*innen aus der Lehrkräftebildung eingeladen. Mit der Keynote von Prof. em. Urban Fraefel von der FH Nordwestschweiz wurde der Tag eröffnet. Gemäß des Keynote-Titels, „Kernpraktiken von Lehrpersonen – Ein Ansatz zum nachhaltigen Erlernen professionellen Entscheidens und Handelns“, wurde erörtert, wie Lehrkräfte durch die Erprobung von Kernpraktiken ihre Entscheidungsfähigkeit und Handlungsstrategien nachhaltig entwickeln können und wie dadurch die Professionalisierung von Lehrkräften unterstützt werden kann (vgl. Grossman & Fraefel, 2024; Fraefel & Scheidig, 2018).

Die dargestellten Erfahrungen und Perspektiven – insbesondere aus der Schweizer Lehrkräftebildung – boten reichlich Stoff zum Nachdenken und bildeten Anknüpfungspunkte für verschiedene Nachwuchsgruppen, über die sie sich im Anschluss bei der gemeinsamen Posterpräsentation austauschen konnten. Dabei stellten einzelne Mitglieder der BMBF-Forschungsgruppen bei Fingerfood und Getränken ihre Ideen und Projekte in einer kreativen Form vor und konnten direktes Feedback von anderen Forschenden erhalten.

In der abschließenden Keynote zum Thema „Clinical Simulations in Teacher Education: Successes and Challenges“ wurde von Dr. Shira Iluz der Einsatz von Simulationen in der Lehramtsausbildung aus erster Hand thematisiert. Shira Iluz ist Direktorin des HaLev Center for Simulation in Education, das als Teil der Bar-Ilan Universität Israel angehende Lehrkräfte auf verschiedene Situationen im Klassenzimmer durch realistische Gesprächs- und Unterrichtsszenarien vorbereitet. Mit der Keynote wurden insbesondere der Einfluss der Simulationen auf die praktischen Fähigkeiten der Studierenden hervorgehoben und aufgezeigt, welche Ressourcen für die adäquate Implementierung einer solchen Ausbildungsmethode aufzuwenden sind (vgl. Hollombe et al., 2024; Yablon et al., 2024). Da wir als Forschungsgruppe in Deutschland eine solche Institutionalisierung von klinischen Simulationszentren nur im Bereich des Medizinstudiums kennen, ist es für uns besonders interessant sehen zu können, dass dieses Konzept auch für die Lehrkräftebildung verpflichtend implementiert werden kann.   

Bei Kaffee und Gebäck ließen wir anschließend das 7. Statusgruppenseminar gemeinsam ausklingen. Wir möchten uns herzlich bei allen Beteiligten für die Teilnahme am Statusseminar und dem Transfertag bedanken. Vielen Dank insbesondere auch für alle Posterbeiträge! Es war schön, so viele bekannte und auch neue Gesichter zu sehen und wir freuen uns, beim nächsten Treffen wieder zusammenzukommen. Wir sehen uns im nächsten Jahr!

Literatur:

  • Grossmann, P., & Fraefel, U. (Eds.) (2024). Core Practices in Teacher Education: A Global Perspective. Havard Education Press. (Online)
  • Fraefel, U. (2024, 08. November). Kernpraktiken von Lehrpersonen – Ein Ansatz zum nachhaltigen Erlernen professionellen Entscheidens und Handelns. [Vortrag]. 7. Statusseminar der BMBF-Nachwuchsforschungsgruppen „Empirische Bildungsforschung“. Universität Paderborn.
  • Fraefel, U., & Scheidig, F. (2018). Mit Pragmatik zu professioneller Praxis? Der Core-Practices-Ansatz in der Lehrpersonenbildung. BzL-Beiträge zur Lehrerinnen-und Lehrerbildung36(3), 344-364. (Online)
  • Hollombe, S., Yablon, Y. B., & Iluz, S. (2024). Navigating Conflict in the Multicultural Classroom: The Use of Simulation-Based Learning for Peace Education in Teacher Training. Zeitschrift für Pädagogik und Theologie, 76(3), 253-264. (Online)
  • Iluz, S. (2024, 08. November). Clinical Simulations in Teacher Education: Successes and Challenges [Vortrag]. 7. Statusseminar der BMBF-Nachwuchsforschungsgruppen „Empirische Bildungsforschung“. Universität Paderborn.
  • Yablon, Y. B., Wertheimer, N., Hollombe, S., & Iluz, S. (2024). The role of agency and communion in understanding teacher-student conflict resolution: The needs-based model of reconciliation. Teaching and Teacher Education152, 104807. (Online)

Podcast: SWK-Talks „Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftebildung für einen hochwertigen Unterricht“

Zwischen Bildungsforschung und Bildungspolitik

2020 hat die Kultusministerkonferenz beschlossen, eine Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) einzurichten, ein unabhängiges Gremium, das Probleme im Bildungsbereich identifizieren, Handlungsempfehlungen auf Basis von Evidenzen aus der bildungswissenschaftlichen Forschung formulieren und die Bundesländer bei der Weiterentwicklung ihrer Bildungssysteme beraten soll. Der SWK gehören 16 Bildungsforscher*innen aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen an. Den Vorsitz haben derzeit Prof. Dr. OIaf Köller (IPN – Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik, Kiel) und Prof. Dr. Felicitas Thiel (Freie Universität Berlin) inne. Die SWK wird von einer eigenen Geschäftsstelle unterstützt (liebe Grüße an dieser Stelle an meine alte Kollegin Dr. Julia Suckut).

Die Kommission nahm 2021 ihre Arbeit auf und veröffentlichte seitdem Stellungnahmen und Gutachten zu einer Vielzahl von Aspekten des Bildungssystems. Sie folgt dabei einem mit der Kultusministerkonferenz abgestimmten Arbeitsprogramm. In der Öffentlichkeit und auch in der bildungswissenschaftlichen Fachcommunity war und ist die Einrichtung sowi die Arbeit der SWK nicht unumstritten (z.B. Wiarda, 2021; Bildungsrat von unten). Aus meiner Sicht ist sie ein sinnvoller Versuch, bildungswissenschaftliche Forschungsergebnisse systematischer für Veränderungen im Bildungssystem verfügbar zu machen und in Entscheidungsprozesse einzubringen.

Bildnachweis:
© Geschäftsstelle der SWK

Am 8. Dezember 2023 veröffentlichte die SWK ein Gutachten mit dem Titel „Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftebildung für einen hochwertigen Unterricht“ (SWK, 2023), das sich mit Fragen auseinandersetzt, die uns auch immer wieder hier im Blog beschäftigen. Es hat einen Umfang von 155 Seiten, auf denen Empfehlungen zu vier Bereichen der Lehrkräftebildung formuliert werden. Bei der Erstellung wurden viele Ergebnisse der Lehrerbildungsforschung aufgegriffen und Einschätzungen vieler Expert*innen einbezogen (SWK, 2023, 152f.). Die vier Bereiche lauten wie folgt:

  1. Optimierung von Prognosen zum Lehrkräfteeinstellungsangebot und -bedarf
  2. Gewinnung von Studierenden, Sicherung von Studienerfolg und phasenübergreifende Optimierung der Ausbildung
  3. Organisation und Gestaltung einer wissenschaftsbasierten Lehrkräftebildung für den Aufbau professioneller Kompetenzen
  4. Organisation und Gestaltung einer forschungsbasierten Fort- und Weiterbildung für eine kontinuierliche Kompetenzentwicklung von Lehrkräften

Unsere eigenen Forschungsarbeiten zur Entwicklung und Erprobung performanzorientierter Prüfungsverfahren lassen sich im dritten Bereich verorten. Diese Formate werden auch im Gutachten angesprochen und ihre Implementation im Lehramtsstudium (indirekt) empfohlen. Das freut uns natürlich 🙂 ).

„Die für die professionelle Kompetenz zentralen unterrichtsnahen, situationsspezifischen Fähigkeiten sind jedoch bislang allenfalls am Rande in den Prüfungsformaten der ersten Phase abgebildet. Hier liegt ein starker Fokus auf der Prüfung professionellen Wissens, während in der zweiten Phase Unterrichtsproben einen wichtigen Bestandteil der Staatsprüfung ausmachen. Ein stärkerer Einbezug unterrichtsnaher, situationsspezifischer Fähigkeiten in die Prüfungsformate der ersten Phase scheint aufgrund der Verfügbarkeit forschungsbasierter, qualitätsgeprüfter Instrumente zur Erfassung dieser Fähigkeiten (s. o.) möglich.“

(SWK, 2023, 72)

Es würde den Umfang dieses Blogbeitrags sprengen, alle Empfehlungen darzustellen, weshalb ich explizit empfehle, selbst einen Blick in das Gutachten zu werfen. Man kann aber auch die Aufzeichnungen der SWK Talks nachhören.In diesen Online-Vorträgen bzw. „Sitzungen“ haben Vertreter*innen der SWK zusammen mit Gäst*innen die einzelnen Empfehlungen vorgestellt und diskutiert. Dabei wurden auch Fragen aus dem (virtuellen) Publikum aufgegriffen.

Es ist zwar kein Podcast im klassischen Sinne, aber gibt einen guten Einblick in bildungspolitische Diskussionen zur Lehrkräftebildung. Die einzelnen Talks können auf dem Youtube-Kanal des IPN abgerufen werden. In Reaktion auf das Gutachten gab es im Laufe des Jahres auch schon erste Beschlüsse der KMK.

Nachweis wie in den anderen Blogbeiträgen hier einbauen


Literatur:

  • Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) (2023). Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftebildung für einen hochwertigen Unterricht. Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK). Bonn. (Online)
  • Wiarda, J.M. (2021, 05. Mai). Der Rat der 16 [Blogbeitrag]. (Online)

OSTE-Tour – Sommersemester 2024

Es geht voran…

Es war ein ereignisreicher Sommer! Nach der Pilotierung unseres Prototypen einer Objective Structured Teaching Examination (OSTE) für (angehende) Lehrkräfte im Fach Physik stand das Sommersemester 2024 ganz im Zeichen einer breiteren Erprobung. Das Konzept des OSTE stammt ursprünglich aus der Professionalisierung von Ausbildenden der Medizin (Fakhouri & Nunes, 2019). Dabei handelt es sich um eine Art Prüfungsparcours, in dem die Geprüften an verschiedenen Stationen typische Anforderungen des Berufs bewältigen müssen. Die Stationen sind möglichst handlungsnah gestaltet, um auch die tatsächlichen, im späteren Beruf notwendigen Fähigkeiten zu adressieren (z.B. das Geben von Feedback an angehende Ärzt*innen im praktischen Jahr). Technisch gesprochen: Sie müssen Performanz zeigen (Blömeke, Gustafson & Shavelson, 2015). Für einen Einsatz als Prüfung besteht eine zentrale Herausforderung darin, dass die geprüften Situationen möglichst authentisch bzw. berufsrelevant sein müssen (Gulikers et al., 2008), aber zugleich auch eine gewisse Standardisierung aufweisen, damit Leistungen zwischen einzelnen Personen möglichst fair verglichen werden können. Daher werden in den Stationen typischerweise Schauspieler*innen eingesetzt, die geschult sind, möglichst vergleichbare Anforderungen herzustellen, aber zugleich eine adaptive Interaktion ermöglichen.

Bildnachweis: OSTE-Stationsplan – Bremen, (c) Christoph Vogelsang

OSTEs für die Lehrkräftebildung

Die Simulation berufstypischer Situationen mit Schauspieler*innen findet sich auch schon vereinzelt in der Lehrkräftebildung, bisher allerdings hauptsächlich als Übungsformat oder als Assessment-Verfahren im Rahmen von Forschungsprojekten (z.B. Fischer & Opitz, 2022; Gerich & Schmitz, 2016). In unserem Projekt haben wir einen OSTE entwickelt, der als Prototyp als Prüfungsverfahren einsetzbar sein soll. Da Anforderungen an Lehrkräfte zu großen Teilen auch fachspezifisch sind, bezieht sich unser OSTE auf Lehramtsstudierende mit dem Unterrichtsfach Physik. Bei der Entwicklung sollten einige Bedingungen berücksichtigt werden. Erstens muss natürlich die Validität der einzelnen Stationen sichergestellt werden. Es sollten also Kompetenzen, die für den Beruf relevant und in Bezug auf entsprechende Kompetenzmodelle darstellbar sind, abgebildet, passende Situationen gestaltet und entsprechende Bewertungskategorien entwickelt werden. Zweitens muss die Erfassung der Performanz – wie bei Instrumenten in der Bildungsforschung üblich – ausreichend reliabel erfolgen, wobei innerhalb eines OSTE Reliabilität auch über die Anzahl von Stationen beeinflusst werden kann. Drittens muss der Einsatz unter den üblichen Bedingungen eines Studiums erfolgen können. Das betrifft bspw. die zur Verfügung stehende Prüfungszeit oder die Akzeptanz durch die Studierenden und Dozierenden, die derartige Prüfungen ja selbst durchführen müssten.

Unser vor diesem Hintergrund entwickelte Prototyp eines OSTE für das Lehramt Physik umfasst nach aktuellem Stand insgesamt sieben Prüfungsstationen. Nach der Pilotierung und auch im Verlauf der Erprobung wurde er so modifiziert, dass er insgesamt in zwei Stunden absolviert werden kann bzw. absolviert werden können sollte. Dies entspricht einem Zeitumfang von zehn Minuten pro Station (mit Ausnahme einer 20-minütigen Station) plus Wechselpausen. Die handlungsrelevanten Situationen wurden entlang der vier Kompetenzbereiche Unterrichten, Erziehen, Beurteilen und Innovieren der Standards für die Lehrkräftebildung (KMK, 2024) ausgewählt und repräsentieren typische Core Practices von Physiklehrkräften (vgl. Fraefel & Scheidig, 2018). Für einige Stationen konnten wir auf Vorarbeiten von vielen geschätzten Kolleg*innen zurückgreifen (Danke!), andere Stationen sind komplette Neuentwicklungen. Alle Stationen simulieren typische Anforderungen, aber nicht alle Stationen benötigen Schauspieler*innen. Zum Teil ist der Bearbeitungsmodus schriftlich – wie es auch im Beruf erfolgt (z.B. bei der Planung von Unterricht). Eine Übersicht über die Prüfungsstationen ist in der nachfolgenden Tabelle dargestellt.

KompetenzbereichStation/SituationModusQuellen
UnterrichtenUnterrichtsplanungSchriftlichSchröder et al. (2020)
UnterrichtenUnterrichtsreflexionSimulation einer VideokonferenzKulgemeyer et al. (2021)
UnterrichtenErklärung eines physikalischen PhänomensSimulation mit Schauspieler*innenKulgemeyer et al. (2015)
BeurteilenBeratungsgesprächSimulation mit Schauspieler*innenWotschel et al. (2023), Eigenentwicklung
BeurteilenBeurteilung von Schüler*innentextenSchriftlichFeser (2019)
ErziehenModeration eines KonfliktgesprächsSimulation mit Schauspieler*innenEigenentwicklung
InnovierenGespräch zur UnterrichtsentwicklungSimulation einer VideokonferenzEigenentwicklung
Tab. 1 „OSTE-Physik: Stationsübersicht“


Gemäß der Standards (KMK, 2024) haben die einzelnen Stationen einen mal stärkeren (z.B. Unterrichtsplanung), mal weniger starken Bezug zum Fach Physik (z.B. Konfliktgespräch). Dies lässt sich allerdings nicht immer eindeutig disjunkt unterscheiden, da in beruflichen Situationen meist ein Bezug zu mehreren Bereichen des Professionswissens von Lehrkräften besteht (vgl. Blömeke et al., 2015).

Bildnachweis: OSTE-Team – Bremen, (c) Christoph Vogelsang, Danke an Stefan Oltmans für das Foto

On the road

Um zu prüfen, ob der entwickelte OSTE-Prototyp nicht nur auf theoretischer Seite ein geeignetes Prüfungsformat darstellt, sondern auch im praktischen Einsatz umsetzbar ist, haben wir ihn an drei verschiedenen Universitätsstandorten mit Lehramtsstudierenden erprobt. Dabei zeigten sich einige rein organisatorische Herausforderungen. Um den OSTE zu erproben, musste er in den Rahmen des Vorlesungsbetriebes im Sommersemester 2024 eingebettet werden. Das heißt, dass neben den zwei Stunden für den reinen Prüfungsparcours nur wenig zeitlicher Spielraum für die geplanten Erhebungen zu Einschätzungen der Studierenden zur Akzeptanz des Formats vorlagen. Dank der Geduld der Studierenden konnten wir aber glücklicherweise viel umsetzen. Logistisch mussten wir für jeden Testeinsatz vier unserer studentischen Schauspieler*innen und eine Menge technisches Equipment (z.B. Kameras, Tablets, schriftliches Testmaterial) jeweils rechtzeitig vor Ort bringen und einsatzbereit machen. Zusätzlich werden für die Durchführung mehrere Räume benötigt, die für den Zeitraum des OSTEs frei gehalten werden müssen.

Unser erster Tourstopp führte uns im April nach Bremen, wo wir den OSTE mit Unterstützung von Prof. Dr. Christoph Kulgemeyer und seinem Team erproben konnten. An zweiter Stelle gab es im Juni ein Heimspiel an der Universität Paderborn mit Unterstützung von Prof. Dr. Josef Riese (mit weniger logistischem Aufwand 😉 ). Der dritte Tourstopp führte uns Anfang Juli in die Nachbarschaft nach Bielefeld, in der uns Prof. Dr. Lisa Stinken-Rösner unterstützte. Zusätzlich konnten wir die Station zur Simulation eines Konfliktgesprächs in zwei erziehungswissenschaftlichen Seminaren an der Universität Paderborn bei unseren Kolleginnen Dr. Nicole Gruchel und Prof. Dr. Sandra Landhäußer erproben.

Bildnachweis: Konfliktstation Kurzfragebogen – Paderborn, (c) Christoph Vogelsang

Lessons learned

Grundsätzlich ziehen wir ein sehr positives Fazit aus unser OSTE-Tour im Sommer 2024. Sowohl das Feedback der Studierenden in den informellen Gesprächen nach und während der Durchführung als auch die ersten Einblicke in unsere parallel durchgeführten Fragebogenerhebungen zeigen, dass gerade die Authentizität und berufliche Relevanz des OSTE sehr positiv eingeschätzt werden. Kritischer sind die Studierenden dahingehend, inwiefern sie ihr bisheriges Lehramtsstudium auf diese Prüfungsanforderungen vorbereitet hat. Für die Durchführung des OSTE begegnen wir bei jedem Versuch noch neuen Fallstricken, die bei der Organisation zu beachten sind. Insbesondere das Einhalten eines genauen Zeitplans ist wichtig, um einen reibungslosen Ablauf zu garantieren, da es nach dem Beginn wenig Ausweichmöglichkeiten gibt, wenn man nicht jede Station mehrfach anbieten kann. Auch hatten wir teilweise mit Abbrüchen in der Internetverbindung für unsere simulierten Videokonferenzen zu kämpfen. Generell zeigt sich, dass das große Potential, dass OSTEs für die Lehrkräftebildung bieten, auch wirklich eingelöst werden könnte. Und das nicht nur im Fach Physik. Bis dahin liegt allerdings noch etwas Arbeit vor uns, wie die Auswertung der zahlreich aufgenommenen Videos, der im Nachgang geführten Interviews und der Analysen zum Zusammenhang zum Professionswissen.

Abschließend möchten wir allen danken, die uns bei unserer ersten OSTE-Erprobung unterstützt haben: unseren Kolleg*innen in Bielefeld, Bremen und Paderborn, unseren Schauspieler*innen Ella, Eike, Carlo (für den Einsatz am eigenen Geburtstag), Elena und Jasmin und ganz besonders allen Studierenden, die sich für uns und unser Projekt Zeit genommen haben! Ohne euch hätten wir alles nicht durchführen können. Vielleicht sehen wir uns ja nochmal zur geplanten OSTE-Tour im Wintersemester.

Bildnachweis: OSTE-Team – Bielefeld, (c) Christoph Vogelsang, Danke an Lisa Stinken-Rösner für das Foto

Literatur:

  • Blömeke, S., Gustafsson, J. E., & Shavelson, R. J. (2015). Beyond dichotomies. Zeitschrift für Psychologie. 223, 3-13. (Online)
  • Fakhouri, S. A., & Nunes, M. D. P. T. (2019). Objective structured teaching examination (OSTE): an underused tool developed to assess clinical teaching skills. A narrative review of the literature. Sao Paulo Medical Journal137, 193-200. (Online)
  • Feser, M. S. (2019). Physiklehrkräfte korrigieren Schülertexte. Eine Explorationsstudie zur fachlich-konzeptuellen und sprachlichen Leistungsfeststellung und -beurteilung im Physikunterricht. Logos Verlag.
  • Fischer, F., & Opitz, A. (2022). Learning to diagnose with simulations: Examples from teacher education and medical education. Springer Nature. (Online)
  • Fraefel, U., & Scheidig, F. (2018). Mit Pragmatik zu professioneller Praxis? Der Core-Practices-Ansatz in der Lehrpersonenbildung. BzL-Beiträge zur Lehrerinnen-und Lehrerbildung, 36(3), 344-364. (Online)
  • Gerich, M., & Schmitz, B. (2016). Using Simulated Parent-Teacher Talks to Assess and Improve Prospective Teachers‘ Counseling Competence. Journal of Education and Learning, 5(2), 285-301. (Online)
  • Gulikers, J. T., Kester, L., Kirschner, P. A., & Bastiaens, T. J. (2008). The effect of practical experience on perceptions of assessment authenticity, study approach, and learning outcomes. Learning and Instruction, 18(2), 172-186. (Online)
  • KMK (2022). Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16.12.2004 i. d. F. vom 07.10.2022). (Online)
  • Kulgemeyer, C., & Tomczyszyn, E. (2015). Physik erklären – Messung der Erklärensfähigkeit angehender Physiklehrkräfte in einer simulierten Unterrichtssituation. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften1(21), 111-126. (Online)
  • Kulgemeyer, C., Kempin, M., Weißbach, A., Borowski, A., Buschhüter, D., Enkrott, P., … & Vogelsang, C. (2021). Exploring the impact of pre-service science teachers’ reflection skills on the development of professional knowledge during a field experience. International Journal of Science Education43(18), 3035-3057. (Online)
  • Schröder, J., Riese, J., Vogelsang, C., Borowski, A., Buschhüter, D., Enkrott, P., … & Schecker, H. (2020). Die Messung der Fähigkeit zur Unterrichtsplanung im Fach Physik mit Hilfe eines standardisierten Performanztests. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften26(1), 103-122. (Online)
  • Wotschel, P., Janzen, T., Meier, J., & Vogelsang, C. (2023, 1.4 September). Als Lehrkraft gut beraten? Entwicklung und Erprobung eines handlungsnahen Prüfungsformates zur Erfassung von Beratungskompetenz von Lehramtsstudierenden [Vortrag]. Sektionstagung empirische Bildungsforschung der Arbeitsgruppe für Empirische Pädagogische Forschung (AEPF). Universität Potsdam.

30. DGFF-Kongress 2023 – Die Fremdsprachenforschung zu Gast in Freiburg

Bildnachweis: © PH Freiburg

Vom 26.09 bis 29.09 fand im wunderschönen Freiburg im Breisgau der 30. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung statt – und Thomas und Christoph waren auch mit dabei. Für Christoph war es dabei eine besondere Erfahrung, da er ja eher aus der Physikdidaktik kommt und in diesem Feld weniger zu Hause ist (wobei er vor 2 Jahren auf dem digitalen Format schonmal erste Sprachdidaktikluft schnuppern konnte). Er wurde zwar als Exot wahr- aber sehr herzlich aufgenommen ;).

Anders als vor zwei Jahren, als das Projekt noch am Anfang stand, konnte Thomas dieses Mal auch schon einige Fortschritte präsentieren. Auf seinem Poster „Show, don’t tell – Rollenspielbasierte Simulationsprüfungen für zukünftige Englischlehrkräfte“ hat Thomas den Test sowie erste Ergebnisse der Validierungsuntersuchungen vorgestellt. In den knapp 2 Stunden wurde in vielen Gesprächen über das Potential von rollenspielbasierten Simulationsprüfungen gesprochen und die (vorläufigen) Ergebnisse der noch laufenden Validierung diskutiert. Es war eine allgemein sehr ergiebige und gutbesuchte Postersession – danke hier an die Organisator*innen für diese schöne Möglichkeit!

Bildnachweis: © Christoph Vogelsang

Es gab, wie immer auf Konferenzen, viele andere spannende Vorträge. Hervorheben wollen wir natürlich auch die Vorträge von unseren Kolleg*innen aus Paderborn: Maike Bauer stellte Ergebnisse ihres Dissertationsprojekts zum Einsatz von Diaspora-Kurzgeschichten im Englischunterricht vor. Dominik Rumlich war an einem Symposium zum Fremdsprachenfrühbeginn und am Nachwuchscafé beteiligt. Dagmar Keatinge und Katharina von Elbwart präsentierten Ergebnisse aus dem Deutsch-Kanadischen Kollaborationskurs Teaching Language Internationally und fokussierten sich dabei auf Identitätskonstruktionen von angehenden Fremdsprachenlehrkräften. Katharina prästierte zudem noch Ergebnisse zu perceptual dialectology in Florida. Unser Standort war daher ziemlich gut vertreten, wie wir finden 🙂

Ein weiteres Vortragshighlight war der Beitrag von Dr. Malgorzata Barras von der Universität Freiburg aus der Schweiz. In einem aufwändigen Verfahren hat sie fremdsprachliche Testitems evaluiert und dazu neben quantitativen Daten auch die introspektiven Verfahren des Lauten Denkens und Stimulated Recalls eingesetzt. Untersucht wurde, welche Strategien die Testpersonen nutzen, um die Aufgaben zu lösen. Spannend war hierbei, dass durch die verschiedenen introspektiven Verfahren auch verschiedene Teststrategien aufgezeigt werden konnten – so lassen sich manche Strategien nur durch eines der beiden Verfahren aufzeigen. Beeindruckend war auch der Vortrag von Prof. Dr. David Gerlach und Dr. Kristin Weise-Zurmühlen dazu, wie (Fremd-)Sprachenlehrkräfte mit Verschwörungstheorien umgehen und sich im Unterricht positionieren (müssen), eine Herausforderung vor der Lehrkräfte spätestens seit der Coronapandemie häufig stehen.

Neben dem inhaltlichen Gesichtspunkten, war es auch schön viele bekannte Gesichter wiederzusehen und sich auszutauschen – sowohl beim Schlange stehen auf dem Conference Dinner, als auch bei einem Kaffee in den vielen sonnigen Pausen. Hoffentlich sieht man sich 2025 in Kassel wieder.

Wir bedanken uns bei dem Team um Prof. Dr. Olivier Mentz und natürlich allen Helfer*innen für die wunderbare Organisation dieser Tagung!

Vorträge:

  • Barras, M. (2023, 27.09.). Forschungsmethodologische Grenzen mittels Triangulation überwinden: Zum Einsatz von Lautem Denken, Stimulated Recall und quantitativen Daten in einer Studie zur Testvalidierung. 30. DGFF Kongress 2023, Pädagogische Hochschule Freiburg.
  • Bauer, M. (2023, 29.09.). Diaspora-Kurzgeschichten im fremdsprachlichen Unterricht Englisch: Ein neuer didaktischer Impuls? 30. DGFF Kongress 2023, Pädagogische Hochschule Freiburg.
  • Brunsmeier, S., Frisch, S. & Reckermann, J. (2023, 27.09.). Symposium: Fremdsprachenfrühbeginn. 30. DGFF Kongress 2023, Pädagogische Hochschule Freiburg.
  • Gerlach, D. & Weiser-Zurmühlen, K. (2023, 28.09.). Language Teacher Identity und Verschwörungstheorien: Wie Lehrkräfte gezwungen werden, sich bei kritischen Themen im Unterricht zu positionieren. 30. DGFF Kongress 2023, Pädagogische Hochschule Freiburg.
  • Janzen, T., Meier, J., Rumlich, D., Vogelsang, C. & Wotschel, P. (2023, 28.09). Poster: Show, don’t tell – Rollenspielbasierte Simulationsprüfungen für zukünftige Englischlehrkräfte. 30. DGFF Kongress 2023, Pädagogische Hochschule Freiburg.
  • Matz, F. & Rumlich, D. (2023, 28.09.). Nachwuchs-Café: Symposium zur interdisziplinären Vernetzung von Doktorand*innen und Postdocs. 30. DGFF Kongress 2023, Pädagogische Hochschule Freiburg.
  • von Elbwart, K. & Keatinge, D. (2023, 28.09.). Language teacher identity über Grenzen hinweg? Identitätskonstruktion in internationalen Lernumgebungen in der LehrerInnenausbildung. 30. DGFF Kongress 2023, Pädagogische Hochschule Freiburg.
  • von Elbwart, K. (2023, 28.09.). Sprachliche Grenzräume visualisieren: Perceptual dialectology im (Fremd)Sprachenunterricht. 30. DGFF Kongress 2023, Pädagogische Hochschule Freiburg.

Meidingers 10 Todsünden der Schulpolitik im Licht der Bildungsforschung 4/12 – Teil 2

Todsünde Nr. 3: Zu viele unausgereifte Reformen im Bildungssystem

In einer Artikelreihe beschäftigen wir uns mit dem Buch Die 10 Todsünden der Schulpolitik – Eine Streitschrift“ von Heinz-Peter Meidinger (2021) aus der Perspektive der empirischen Bildungsforschung. Dabei betrachten wir, wie Prämissen und Argumentationen im Buch vor dem Hintergrund von Ergebnissen der Bildungsforschung eingeschätzt werden können. Grundsätzlich ist daher hilfreich, das entsprechende Buchkapitel gelesen zu haben, was ich auch an dieser Stelle ausdrücklich empfehlen möchte. Dies ist der zweite Teil eines Beitrags, der sich mit der dritten vom Autoren so bezeichneten „Todsünde“ beschäftigt. Thesen aus dem Buch werden im Konjunktiv wiedergegeben, was keine Zustimmung oder Ablehnung implizieren soll, sondern einfach den Regeln indirekter Rede folgt. Im ersten Teil wurde die Kernthese des zugehörigen Buchkapitels genauer beschrieben: Zusammengefasst würden im Bildungssystem zu viele Veränderungen vorgenommen, ohne vorher ausreichend erprobt und/oder danach ausreichend evaluiert zu werden. Heinz-Peter Meidinger beschreibt insbesondere drei Beispiele von Reformen, die sich aus seiner Sicht besonders negativ ausgewirkt hätten. Meidingers erstes Beispiel, das Konzept „Lesen durch Schreiben“, haben wir im ersten Teil genauer betrachtet. In diesem Beitrag geht es nun um das zweite Beispiel: den (frühen) Fremdsprachenunterricht in der Grundschule.

Fremdsprachen in der Grundschule?

Noch in seiner Funktion als Präsident des Deutschen Lehrerverbandes hat Heinz-Peter Meidinger im Sommer 2023 in verschiedenen Medien die Abschaffung des Englischunterrichts an Grundschulen vorgeschlagen, um stattdessen mehr Zeit für die Leseförderung bzw. den Deutschunterricht aufzuwenden (z.B. Votja, 2023; BR24, 2023). Den frühen Fremdsprachenunterricht hat der Autor auch schon im vorliegenden Buchkapitel negativ betrachtet und dazu ähnliche Argumente angeführt wie in den aktuelleren Interviews. Heinz-Peter Meidinger kritisiert am Fremdsprachenunterricht in der Grundschule verschiedene Aspekte. Zum Ersten den (eventuell) fehlenden Lernerfolg: Bis heute gibt es keine Evaluation, die belegt, dass durch den frühen Fremdsprachenbeginn die fremdsprachliche Kompetenz von Schulabsolventen gestiegen sei“ (Meidinger, 2021, 57). Stattdessen seien Kompetenzen in der Muttersprache geschwächt worden, weil für den Fremdsprachenunterricht der Zeitrahmen für den Deutschunterricht gekürzt worden sei. Zum Zweiten das Fehlen von Bildungsstandards für das frühe Fremdsprachenlernen, auf denen der Unterricht ein weiterführenden Schulen aufbauen könnte. Nach Aussage von Heinz-Peter Meidinger fingen […] die Fremdsprachenlehrkräfte an Gymnasien deshalb nochmals von vorne an“ (Meidinger, 2021, 58), wobei ich vermute, dass auch Lehrkräfte an anderen weiterführenden Schulformen gemeint sind. Zum Dritten sieht er die Annahme kritisch, dass Kinder Fremdsprachen besonders leicht lernen würden, was wie folgt begründet wird:

Der Lernfortschritt ist bei gleichem Zeiteinsatz bei Zehnjährigen höher als bei Sechs- oder Achtjährigen, weil letztere zu systematischem Lernen noch nicht in der Lage sind“

(Meidinger, 2021, 58).

Ich muss zugeben, dass ich dieses Argument nicht ganz verstehe bzw. nachvollziehen kann. Ich vermute, dass sich Heinz-Peter Meidinger hier auf empirische Untersuchungen bezieht, zu denen leider keine Quellenangaben gemacht werden. Wenn Sechs- bis Achtjährige grundsätzlich nicht zu systematischem Lernen in der Lage wären, spräche das dann nicht generell dafür, die Grundschule erst ab einem Alter von neun Jahren zu beginnen? Ich vermute, dass das nicht der Aussageintention des Autors entspricht, es ließe sich aber allein auf Grundlage seines Textes so interpretieren. Zum Vierten wird von Heinz-Peter Meidinger auch kritisiert, dass zu wenige für den Fremdsprachenunterricht ausgebildete Lehrkräfte vorhanden seien.

Englisch auf Kosten der Erstsprache?

Seit 2004 ist die Teilnahme am fremdsprachlichen Unterricht in allen Bundesländern für alle Kinder in der Grundschule verpflichtend, wobei sich die konkrete Ausgestaltung (z.B. Klassenstufe, Umfang) zwischen den Bundesländern unterscheidet und zudem im Laufe der Zeit auch verändert (vgl. KMK, 2013). In Nordrhein-Westfalen wurde verpflichtender Englischunterricht an allen Grundschulen beispielsweise ab dem Jahr 2003 eingeführt (MSB NRW, 2003), konkret mit jeweils zwei Unterrichtsstunden pro Woche in den Klassenstufen 3 und 4 (MSB NRW, 2005). Ging dies zu Lasten anderer Fächer, […] weil die Zusatzstunden auch aus dem Bereich des Deutschunterrichts herausgebrochen wurden“ (Meidinger, 2021, 57)? In der Stundentafel für die Grundschule vor der Einführung waren für die dritte Klasse 23-24 Stunden pro Woche vorgesehen, von denen 14-15 Stunden auf die Fächer Sprache, Sachunterricht, Mathematik sowie Förderunterricht entfallen sollten (MSB NRW, 1996). Für die vierte Klasse waren es insgesamt 24-25 Wochenstunden, davon 15-16 für die genannten Bereiche, also auch das Fach Deutsch. In der Stundentafel nach Einführung des Englischunterrichts waren für die dritte Klasse 25-26 Stunden pro Woche, davon 14-15 Stunden für die Fächer Deutsch, Sachunterricht, Mathematik, Förderunterricht vorgesehen (MSB NRW, 2005). Der Anteil für das Fach Deutsch änderte sich also nicht. Stattdessen wurde das Fach Englisch mit einer zusätzlichen Erhöhung der Gesamtstundenzahl eingeführt (was auch für Klassenstufe 4 zutrifft). Auch als der Beginn des Englischunterrichts in die Klassenstufe 1 vorverlegt wurde (MSB NRW, 2009), geschah dies im Zuge einer Erhöhung des gesamten Stundenvolumens und ohne Abzüge im Fach Deutsch. In der aktuellen Fassung wurde der Unterrichtsbeginn wieder in Klassenstufe 3 verlegt (MSB NRW, 2021), allerdings mit wöchentlich drei Stunden Englischunterricht verbunden mit einer Erhöhung des gesamten Stundenvolumens (das Gesamtvolumen für Klasse 1 und 2 blieb übrigens unverändert und die nun freien Stunden wurden den Basisfächern zugewiesen). Zumindest für Nordrhein-Westfalen ist die Aussage zur Kürzung auf Kosten des Deutschunterrichts also nicht zutreffend.

Empirische Erkenntnisse zum frühen Fremdsprachenunterricht

Welche Erkenntnisse empirischer Forschung liegen zu den kritisierten Aspekten vor? Wie schon im ersten Teil zu diesem Beitrag möchte ich auch hier zuvor anmerken, dass ich kein Experte für Fremdsprachendidaktik oder Elementarpädagogik bin. Nichtsdestotrotz werden wir die genannten Prämissen und Argumentationen vor dem Hintergrund empirischer Forschungen betrachten. Dabei wird der Fokus auf das Fach Englisch gelegt, da sich die meisten vorliegenden Untersuchungen auf dieses Fach beziehen. Es existieren aber auch Untersuchungen zu anderen Fremdsprachen in der Grundschule (z.B. Peyer et al., 2016; Jung, 2015; Schlemminger, 2011). Modellversuche zum Englischunterricht in der Grundschule wurden in Deutschland schon seit den 60er-Jahren des vorherigen Jahrhunderts durchgeführt (z.B. Doyé & Lüttge, 1977; Kraifl, 1972; vgl. Gompf, 1986) und auch im Zuge der flächendeckenden Einführung deutschlandweit wurden eine Vielzahl von Untersuchungen durchgeführt (vgl. Hempel et al., 2017), teilweise mit dem expliziten Ziel einer Evaluation des frühen Fremdsprachenunterrichts in der Grundschule (z.B. Groot-Wilken & Husfeldt, 2013). In Anlehnung an die Darstellung von Baumert et al. (2020) lassen sich diese Untersuchungen grob danach unterscheiden, ob sie eher die Sprachkompetenzen von Kindern am Ende der Grundschulzeit oder eher die Sprachkompetenzen von Schüler*innen in der Sekundarstufe I (oder sogar Studierenden) untersuchen. Natürlich bestehen zwischen den Untersuchungen Unterschiede, beispielsweise im Studiendesign (z.B. Anzahl der Messzeitpunkte, Stichproben) oder darin, welche Facetten fremdsprachlicher Kompetenzen in den Fokus genommen wurden (z.B. Hörverstehen, Leseverstehen, mündliche Sprachkompetenz, Wortschatz etc.).

Wie gut können“ Schüler*innen am Ende der Grundschule Englisch?

Es liegen mehrere Untersuchungen vor, die längsschnittlich untersucht haben, wie sich die Kompetenzen von Schüler*innen im Fach Englisch im Verlauf der Grundschule verändern bzw. querschnittlich erhoben haben, welche Kompetenzniveaus von Kindern am Ende der Grundschulzeit erreicht werden (vgl. Summer & Böttger, 2022). Bei den meisten Untersuchungen hatte der Englischunterricht dabei einen Umfang von zwei Unterrichtsstunden pro Woche für zwei bzw. drei Schuljahre. So wurden im Projekt EVENING (Evaluation Englisch in der Grundschule) in den Jahren 2006 bis 2007 mit Schüler*innen aus zwei Kohorten aus Nordrhein-Westfalen (N = 1748 und N = 1344) standardisierte Sprachstandstests durchgeführt (Hör- und Leseverstehenstests, mit einer Teilstichprobe auch Sprechfertigkeitstests) (vgl. Groot-Wilken & Husfeldt, 2013). Im Bereich Hörverstehen befanden sich dabei 73% der Schüler*innen in den oberen zwei Quartilen der maximal erreichbaren Punktzahl, im Bereich Leseverstehen befanden sich 74,2% in den oberen zwei Quartilen (Paulick & Groot-Wilken, 2009). „Die festgestellten Leistungen […] liegen für den weitaus überwiegenden Anteil der Schülerschaft auf bzw. oberhalb der fachlichen Anforderungsniveaus, das der zum Testzeitpunkt geltende Lehrplan vorgibt“ (Paulick & Groot-Wilken, 2009, 194f.). Ebenfalls zeigte sich, „[…] dass viele Sprecher über […] eine basale produktive Fertigkeit des Sprechens in der Fremdsprache am Ende des 4. Schuljahres verfügen“ (Keßler, 2009, 175). Ähnliche Ergebnisse bzgl. des Hörverstehens wurden auch im Rahmen der KESS-Studie (Kompetenzen und Einstellungen von Schülerinnen und Schülern) im Bundesland Hamburg berichtet (May, 2006). In der BIG-Studie (BIG-Kreis, 2015) wurden verschiedene sprachliche Kompetenzen von N = 2148 Schüler*innen der Klassenstufe 4 aus 15 Bundesländern untersucht. Dabei ergaben sich ähnliche bzw. etwas positivere Ergebnisse im Vergleich zur EVENING-Studie. Insgesamt lässt sich das erreichte Sprachniveau in diesen Studien im Durchschnitt äquivalent zum Niveau A1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (CEFR) (Council of Europe, 2001; 2018) einordnen (vgl. Fleckenstein, 2020). Auch in weiteren Untersuchungen (in Deutschland und in anderen Ländern) zum Englischunterricht in Grund- bzw. Elementarschulen konnte beobachtet werden, dass Grundschüler*innen substanziell sprachliche Kompetenzen aufbauen (z.B. Goorhuis-Brouwer & de Bot, 2010; Heinzmann et al., 2009; vgl. Schwandtke, 2023).

Wann ist der ideale Startzeitpunkt?

Auf Basis der empirischen Untersuchungen zeigt sich, dass Grundschüler*innen im Englischunterricht etwas dazu lernen. Der Unterricht ist also in diesem Sinne wirksam. Offen bleibt dabei allerdings die Frage, wann mit dem Unterricht optimal begonnen werden sollte. In Klasse 1 oder eher in Klasse 3? Oder zu einem anderen Zeitpunkt? Personen, die für einen möglichst frühen Beginn von Fremdsprachenunterricht argumentieren, beziehen sich häufig auf die Hypothese, dass für den Erwerb einer Zweitsprache eine so genannte kritische Periode existiere (vgl. DeKeyser & Larson-Hall, 2005; Lenneberg, 1967). Damit ist ein Zeitfenster in der Entwicklung von Kindern gemeint, in dem diese bestimmte Fähigkeiten im Umgang mit einer zweiten Sprache (Grammatik, Phonologie) besonders gut bzw. einfach erlernen könnten, was später nur mit größerem Lernaufwand möglich sei. Hinweise für die Plausibilität dieser These zeigen Forschungen zu bilingual aufwachsenden Kindern oder zu sogenannten Sprachimmersionsprogrammen (z.B. Böttger & Müller, 2023; Gebauer et al., 2013). Es wird jedoch innerhalb der Spracherwerbsforschung diskutiert, ob dieser Ansatz überhaupt auf den Unterricht in der Grundschule mit einer relativ geringen Zahl an Lerngelegenheiten übertragen werden kann (vgl. Sopata, 2018; Larson-Hall, 2008). Abgesehen von dieser Hypothese wird aber grundsätzlich erwartet, dass ein früherer Beginn generell mit mehr Lerngelegenheiten für das Englischlernen einhergeht.

In Zusammenfassungen internationaler empirischer Studien zeigt sich meist, dass ältere Kinder (über 10 Jahre) einen etwas schnelleren Zuwachs in sprachlichen Kompetenzen aufweisen als jüngere Kinder (5 bis 8 Jahre) und sich eine Art Aufholeffekt der später startenden Schüler*innen ergibt (Huang, 2016). Eventuell sind es derartige Untersuchungen, auf die sich Heinz-Peter Meidinger im oben genannten Zitat bezieht. Das ist allerdings nur eine Vermutung meinerseits. Allerdings besteht in Bezug auf derartige Studien immer eine Schwierigkeit darin, dass für einen sinnvollen Vergleich zwischen den beiden Gruppen auch die Anzahl an Lerngelegenheiten vergleichbar sein muss. Studien mit einer besseren Kontrolle der Bedingungen (wie die Anzahl an Lerngelegenheiten) lassen z.B. vermuten, dass ein früherer Start sich auf verschiedene Aspekte sprachlicher Kompetenz unterschiedlich auswirkt (vgl. Muñoz, 2006). Für den Kontext des Englischunterrichts in der Grundschule in Nordrhein-Westfalen berichten Wilden et al. (2013) auf Basis einer Analyse von Sprachtest von ca. N = 6500 Schüler*innen einen kleinen statistisch signifikanten Vorteil für Schüler*innen, deren Englischunterricht schon in der ersten Klasse begonnen hat, im Vergleich zu Schüler*innen, die in der dritten Klasse begonnen haben (Effektstärken: Hörverstehen d = 0.21, Leseverstehen d = 0.17). Aber auch hier waren in beiden Gruppen jeweils unterschiedlich viele Lerngelegenheiten verfügbar. Insgesamt sind die Ergebnisse empirischer Untersuchungen zur Frage nach dem Effekt des frühen Beginns des Englischlernens auf den Kompetenzerwerb in der Grundschule nicht eindeutig.

Was bringt früher Fremdsprachenunterricht langfristig?

Unabhängig davon, ob sie in der ersten oder dritten Klasse begonnen haben, erwerben Schüler*innen im Englischunterricht der Grundschule fremdsprachliche Kompetenzen. Heinz-Peter Meidinger bezieht sich in seiner Kritik allerdings auf die „fremdsprachliche Kompetenz von Schulabsolventen“ (Meidinger, 2021, 57) und damit auf den Zeithorizont der gesamten Schullaufbahn. Zur Frage, wie sich früher Fremdsprachenunterricht in der Grundschule mittelfristig (z.B. in weiterführenden Schulen) oder langfristig (z.B. bei Absolvent*innen) auswirkt, liegen ebenfalls schon einige Untersuchungen vor (vgl. Fleckenstein et al., 2020; vgl. Huang, 2016). Methodisch werden in derartigen Untersuchungen meist bestimmte Aspekte von fremdsprachlichen Kompetenzen in einer größeren Stichprobe von Schüler*innen untersucht (sowohl querschnittlich zu einem Zeitpunkt oder auch die längsschnittliche Entwicklung zu mehreren Zeitpunkten) und anschließend verschiedene Subgruppen von Schüler*innen verglichen, die sich darin unterscheiden, wann diese zum ersten Mal Fremdsprachenunterricht erhalten haben.

Insgesamt sind die Ergebnisse heterogen (Fleckenstein et al., 2020) und es finden sich sowohl Untersuchungen, in denen Lernende mit einem früheren Start in höheren Klassen höhere Kompetenzen aufweisen (z.B. Mihaljevic Djigunovic et al., 2008), als auch Untersuchungen, in denen in höheren Klassen keine Unterschiede zwischen Schüler*innen mit früherem oder späteren Beginn des Fremdsprachenunterrichts gefunden wurden (z.B. Pfenniger & Singleton, 2017). Jaekel et al. (2017) berichteten basierend auf einem Vergleich von N = 5130 Schüler*innen in Nordrhein-Westfalen, dass Schüler*innen mit einem Beginn ab der ersten Klasse in Klasse 5 zwar höhere, in Klasse 7 jedoch schlechtere sprachliche Kompetenzen aufwiesen als Schüler*innen mit einem Beginn ab der dritten Klasse. Die Stichprobe war allerdings besonders selektiert (alle Teilnehmenden stammten aus 31 Gymnasien) und es ist unklar, ob der Umfang an Lerngelegenheiten ausreichend kontrolliert wurde (vgl. Baumert et al., 2020). In einer Replikationsstudie (Jaekel et al., 2022a) wurde zusätzlich eine dritte Kohorte (N = 804 Schüler*innen) betrachtet, die ihre Grundschullaufbahn sechs Jahre später im Vergleich zur ersten Studie begonnen hatten. Dabei ergab sich für Klasse 5 ein analoges Ergebnis, für Klasse 7 ein Aufholeffekt für die später startenden Schüler*innen und in Klasse 9 wieder ein Vorteil für früh startende Schüler*innen (Jaekel et al., 2022b). Insgesamt ist die Zusammenfassung der Ergebnisse einzelner Untersuchungen aber schwierig, da sie sich in Untersuchungsdesign, verwendeten Instrumenten und insbesondere den betrachteten Stichproben stark unterscheiden. Im Kern besteht dabei immer die Frage, ob die verglichenen Schüler*innengruppen über vergleichbare Eingangsvoraussetzungen verfügen (siehe hierzu auch unseren Beitrag zur Todsünde Nr. 2). Für den Englischunterricht in Deutschland überwiegen dabei bisher Untersuchungen, die keinen Vorteil eines früher beginnenden Englischunterrichts zeigen. Ist also ein früher Beginn des Englischunterrichts nicht sinnvoll?

Gelingt der Übergang in die weiterführende Schule?

Für eine Interpretation dieser Ergebnisse sollte die für die meisten Untersuchungen geltende Anmerkung von Fleckenstein et al. (2020) beachtet werden: „Keine der Untersuchungen prüfte aber die Anschlussfähigkeit des Sekundarschulunterrichts an die in der Grundschulzeit erworbenen Kenntnisse – eine Voraussetzung, die erfüllt sein muss, bevor Rückschlüsse auf mangelhafte Qualifikationsleistungen der Grundschule gezogen werden können“ (Fleckenstein et al., 2020, 143). Um diese Schwierigkeit in empirischen Analysen berücksichtigen zu können, nutzten Baumert et al. (2020) die Daten der nationalen Überprüfung des Erreichens von Bildungsstandards (BISTA) des IQB für Schüler*innen der Klasse 9. Genauer betrachteten sie die Kohorte des Schuljahres 2008/2009, in dem noch nicht für alle befragten Schüler*innen früher Englischunterricht in der Grundschule stattgefunden hat. Es handelt sich um eine stratifiziert gezogene, repräsentative Stichprobe. Um eine höhere Vergleichbarkeit herzustellen, wurden Schüler*innen mit bestimmten Merkmalen ausgeschlossen (z.B. zu Hause wird Englisch gesprochen, Teilnahme an bilingualen Schulprogrammen). Die für die Analysen genutzte Stichprobe besteht aus N = 19.653 Schüler*innen aus allen Bundesländern. Dabei wurden die fremdsprachlichen Kompetenzen (Lesen, Hörverstehen) von drei Gruppen verglichen: Frühstarter*innen (Beginn Klasse 1 oder 2), Mittelstarter*innen (Beginn Klasse 3 bis 4) und Spätstarter*innen (Beginn Klasse 5). Zudem wurden umfangreiche Einflussvariablen kontrolliert (z.B. die sprachlichen Kompetenzen im Deutschen). Es ergab sich kein signifikanter Unterschied im Ausmaß der fremdsprachlichen Kompetenz zwischen den drei Gruppen, wobei allerdings ein starker Einfluss der Schulform deutlich wird. So wird bezogen auf den Übergang von Grundschule in die weiterführende Schule berichtet: „The finding that none of the specified interactions between AO [age of onset] and school type were significant […] is a strong indicator that secondary-level English instruction failed to respond adaptively to students’ different proficiency levels at entry to the school. These problems seem to be most pronounced in Gymnasium schools […]“ (Baumert et al., 2020, 1092).

Auf Basis dieser Analysen lässt sich begründet vermuten, woran es liegt, dass im Schulsystem (bisher) kein langfristig positiver Effekt eines früheren Fremdsprachenunterrichts beobachtet wurde. Der Unterricht an weiterführenden Schulen wird eventuell nicht ausreichend an die (für viele erfahrenere Lehrkräfte nun auch neuen) Lernvoraussetzungen von Schüler*innen angepasst. Dies ist konsistent zur Formulierung von Heinz-Peter Meidinger, dass viele Lehrkräfte am Gymnasium „nochmals von vorne an[fangen]“ (Meidinger, 2021, 58) und quasi einen einheitlichen Unterricht für alle Klassen unabhängig von den tatsächlichen Voraussetzungen der Schüler*innen anbieten (vgl. Böttger, 2009). Die Untersuchung von Jaekel et al. (2022c) deutet zudem darauf hin, dass insbesondere Schüler*innen mit schwächeren fremdsprachlichen Kompetenzen den Übergang in die weiterführende Schule eher als „Bruch“ im Englischunterricht empfinden. Welchen Schluss man daraus nun zieht ist eine Frage der (normativen) Perspektive. Man könnte sagen, dass Englischunterricht in der Grundschule grundsätzlich nicht mehr erteilt werden sollte (vgl. Votja, 2023), um unterschiedliche Lernvoraussetzungen beim Eintritt in Klasse 5 zu vermeiden. Oder man könnte sagen, dass der Unterricht in Klasse 5 stärker an die individuellen Voraussetzungen der Schüler*innen angepasst werden sollte.

Fazit

Ob zur Beurteilung der Wirksamkeit des frühen Fremdsprachenunterrichts die gesamte Schullaufbahn von Schüler*innen (die je nach weiterführender Schulform zwischen neun und dreizehn Jahren liegen kann) den geeigneten Zeitmaßstab bildet, ist ebenfalls eher eine normative und keine rein empirische Frage. Die Frage, wann der optimale Beginn für den Unterricht ist, wird für andere Fächer der Grundschule auch selten diskutiert. Ist es besser mit Mathematik schon in Klasse 1 zu beginnen und nicht erst ab Klasse 3? Diese Frage wirkt auf den ersten Blick etwas unsinnig, was auch daran liegt, dass die Existenz eines Faches in der Grundschule nicht allein aufgrund empirischer Erkenntnisse zur Effizienz des Lernens in diesem Fach oder aufgrund von Erfordernissen für Unterricht in den weiterführenden Schule legitimiert wird, sondern aus bildungstheoretischen Gründen. Mathematik wird auch aus dem Grund schon früh unterrichtet, weil mathematische Kenntnisse als wichtiges Element der Lebenswelt und Grundlage zu gleichberechtigter Teilhabe für Kinder an der Gesellschaft betrachtet werden. Man kann argumentieren, dass dies in einer stärker globalisierten Welt auch für das Erlernen basaler sprachlicher Kompetenzen im Englischen gilt (vgl. KMK, 2013). Auch der überwiegende Teil von Eltern sieht in repräsentativen Umfragen aktuell Englisch als sehr wichtiges Schulfach (Körber-Stiftung, 2023).

Generell gilt aber für alle Veränderungen im Schulsystem, dass die reine Einführung an einer spezifischen Stelle meist nicht ausreicht, um langfristige Effekte zu erzielen. Veränderungen in der Grundschule sollten bzw. müssen immer auch in weiterführenden Schulen zu Anpassungen führen und dafür wäre es sinnvoll, wenn es bundesweit einheitliche Bildungsstandards für den frühen fremdsprachlichen Unterricht gäbe. Hier möchte ich Heinz-Peter Meidinger also explizit zustimmen, wobei die länderspezifischen Curricula durchaus auch jetzt schon Orientierungspunkte für Lehrkräfte an weiterführenden Schulen bieten (für Nordrhein-Westfalen siehe z.B. hier). Und natürlich kommt es auch darauf an, dass Unterricht, wenn er denn stattfindet, mit einer ausreichenden Qualität erteilt wird. Daher ist es auch notwendig, dass es ausreichend gut ausgebildete Englischlehrkräfte für die Grundschule gibt. Und an dieser Stelle steht auch empirisch fest, dass der Bedarf noch nicht ausreichend gedeckt wird (z.B. Ziegler et al., 2019; vgl. Bartosch et al., 2020).

Das dritte Beispiel für die so genannte Todsünde Nr. 3, die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen in Deutschland, ist Gegenstand des dritten Teils dieses Beitrags sein. Er findet sich hier.

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20. EARLI-Konferenz – „Education as a Hope in Uncertain Times“

Bildnachweis: © European Association for Research on Learning and Instruction

Im Jahr 2019 fand die biennale Konferenz der European Association for Research on Learning and Instruction (EARLI) zuletzt in Präsenz statt, damals quasi „nebenan“ in Aachen. Nach einer pandemiebedingten Online-Ausgabe 2021 hießen uns und mehr als 2.500 weitere Teilnehmer*innen in diesem Sommer nun die Aristoteles Universität und die Universität von Makedonien in Thessaloniki zur bisher größten EARLI-Konferenz willkommen. Unter dem Motto „Education as a Hope in Uncertain Times“ wurde vom 22.-26. August 2023 in der griechischen Sommerhitze intensiv diskutiert, präsentiert und Networking betrieben. Wir waren als Projektteam auch dabei und möchten einige Einblicke in unsere Erlebnisse schildern.

Mit zwei Vorträgen von Thomas und Christoph und einem Posterbeitrag von Philipp war das PERFORM-LA-Team gut auf der Konferenz vertreten. Am frühen Mittwochmorgen berichtete Christoph über die Akzeptanz simulationsbasierter Prüfungsformate durch Lehramtsstudierende auf Basis von Befragungs- und Interviewdaten, bevor Thomas direkt im Anschluss die Pilotstudie seines Performanztests für das Unterrichtsfach Englisch (zur Erfassung von Feedbackkompetenz) vorstellte. Im Rahmen einer Postersession präsentierte Philipp am darauffolgenden Tag die Ergebnisse seiner Pilotstudie eines Performanztests für das bildungswissenschaftliche Studium (zur Erfassung von Beratungskompetenz).

Eine Frage der Validität

Bei insgesamt 2065 Beiträgen in 21 Panels fiel es oft nicht leicht, sich für einzelne (und damit gegen viele andere) Sessions zu entscheiden – geschweige, die Highlights dieser intensiven Woche herauszufiltern. Ein Thema, dass uns jedoch in ganz unterschiedlichen Beiträgen immer wieder begegnete und das auch für unser Projekt eine wichtige Rolle spielt, war die Frage nach der Validität von Test- und Prüfungsinstrumenten. Insbesondere das Symposium „Examining the Validity of Standardized Approaches to Measuring Teaching Quality“ und die Diskussion der vier Beiträge durch Anna-Katharina Praetorius blieben Lea dabei in Erinnerung. Unterschiedliche Perspektiven auf die Validität der Erfassung von Unterrichtsqualität standen in den Beiträgen im Vordergrund: Der Vergleich zwischen Präsenz- und Online-Unterricht (Jaekel et al., 2023), die Validität von Schüler*inneneinschätzungen als Indikator von Unterrichtsqualität (Gisladottir et al., 2023), die Förderung der Beobachtungskompetenz von Lehrkräften bei der Beurteilung von Unterrichtsqualität in Unterrichtsbesuchen sowie Urteilsfehler und -tendenzen in Beobachtungsstudien zur Unterrichtsqualität. Anna-Katharina Praetorius von der Universität Zürich griff in ihrer Diskussion grundsätzliche Fragen zum Thema des Symposiums auf, zum Beispiel nach der Validität von master scorings (= Expert*innenurteilen), und gab uns damit noch etwas „food for thought“ für die restlichen Konferenztage auf den Weg.

Core Practices

Ein weiteres Highlight-Symposium für Thomas war das zu „The Development of Core Practices from a Cross-National Perspective.“ Die Thematik um Core Practices spielt ja auch in unserem Projekt eine große Rolle, und in diesem Symposium war Pam Grossman, die Mitbegründerin dieses Konzepts (vgl. Grossman, 2021), Co-Chair und hat in ein paar einleitenden Worten das Konzept kurz dargestellt. Sie nannte auch gleich mehrere Gründe, warum wir uns auf Core Practices fokussieren sollten: Fehlende Vision für das was wir als „guten Unterricht“ bezeichnen würden, das „Technologiedefizit“ in der Lehrkräftebildung sowie die fehlenden reliablen Messmöglichkeiten. Der letzte Punkt wurde auch von der Diskutantin Tina Seidel aufgeworfen – hoffentlich können wir mit unserem Projekt hier einen Beitrag leisten, Core Practices handlungsnah und möglichst valide messen und prüfen zu können. Es gab vier spannende Vorträge aus verschiedenen Nationen. Im ersten Vortrag von Hannah Westbroek et al. (2023) von der Vrije Universiteit Amsterdam ging es um eine motivationale Perspektive auf Core Practices und wie Lehramtsstudierende zwei verschiedene Kurse bewerten, in denen sie ihren eigenen Lernbedürfnisse nachgehen konnten. Im Beitrag von Kirsti Klette et al. (2023) der Universität Oslo ging es um die Theorie-Praxis-Verzahnung mit Core Practices. Sie haben untersucht, wie der Fokus auf Core Practices im Lernprozess Studierende dabei unterstützen kann z.B. ihren analytischen Blick zu schärfen. Im dritten Teil stellten Kjersti Waege et al. (2023) von der Norwegian University of Science and Technology eine Studie vor, in der es darum ging, inwieweit der Erwerb von Core Practices durch Team Teaching-Komponenten unterstützt werden kann. Der letzte Beitrag war eine deutsch-deutsche Koproduktion der Universitäten Freiburg und Lüneburg von Hadmut Hipp et al. (2023). Sie stellten unter anderem eine Studie vor in der sie untersucht haben, ob eine Reflektion über oder Ausüben einer Core Practice (am Beispiel des Ansatzes des Reciprocal Reading, Palinscar & Brown, 1984) in halbstandardisierten Rollenspielen gewinnbringender für Studierende sind.

Bildnachweis: © Philipp Wotschel | Das PERFORM-LA Team am ersten Konferenztag (v. l. Philipp, Christoph, Lea, Thomas)

Simulationen in der Lehrkräftebildung in Israel

Philipps Highlights standen ganz im Zeichen von Untersuchungen aus dem HaLev – The Center for Simulation in Education der Bar llan Universität in Israel. Das Zentrum entwickelte das erste simulationsbasierte Lernprogramm für die Lehrkräfteausbildung in Israel und bietet umfassende Kurse und Workshops an. Zudem unterstreicht die Finanzierung durch das Israelische Bildungsministerium, dass die Institutionalisierung eines solchen Zentrums möglich ist und zeigt somit auch für unser eigenes Projekt weitere Perspektiven auf. Vor diesem Hintergrund präsentierte Ronen Kasperski unter dem Titel „The differential effect of simulations on SEL among preservice, beginner, and experienced educators“ eine Studie, zur Untersuchung der Wirkung von klinischen Simulationen auf die Entwicklung sozial-emotionaler Lernkompetenzen bei Lehrkräften. Die Ergebnisse deuten auf einen Kompetenzzuwachs bei allen Gruppen hin, während sich Unterschiede bezüglich der einzelnen Berufsphasen abzeichnen. Lehramtsstudierende profitierten am meisten, gefolgt von Berufseinsteigern und erfahrenen Lehrkräften. Ähnliches konnte auch Shira Iluz mit ihrer Posterpräsenation unter dem Titel, „Simulation based learning for facilitating understanding of others’ emotions in preservice teachers“, zeigen. Sie betonte, dass die Verwendung von simulationsbasiertem Lernen, zur Förderung sozial-emotionaler Fähigkeiten von Lehrkräften, einen vielversprechenden Bestandteil der Lehrkräftebildung darstellt, bisher jedoch nur wenige Forschungsarbeiten existierten, die eine entsprechende Wirksamkeit nachwiesen. In diesem Zusammenhang stellte sie mit ihrer Studie ein validiertes Testinstrument vor, das als Proof-of-Concept-Nachweis belegt, dass schon ein einziger Tag Simulationstraining bei Lehramtsstudierenden helfen kann, ihr emotionales Wissen im Sinne einer Perspektivübernahme zu erweitern.

Und sonst so?

Neben Beiträgen, die Themen adressieren, mit denen wir uns auch in unserer eigenen Forschungsarbeit beschäftigen, bot die EARLI auch viele Vorträge in andere Bereiche der empirischen Bildungsforschung. Christoph ist bspw. der Vortrag von Christian Kraler et al. (2023) von der Universität Innsbruck im Gedächtnis geblieben, der von Sabrina Bacher präsentiert wurde. Darin berichtete sie von einer Befragung von N=133 angehender Lehrkräfte im Masterstudium, in denen diese nach ihren future visions gefragt wurden. Damit sind Einstellungen und Orientierungen bezogen auf eine (wünschenswerte oder befürchtete) Zukunft gemeint, die auch schon einen Einfluss auf das Handeln in der Gegenwart haben können. Die inhaltsanalytische Auswertung von drei langen offenen Antworten ergab, dass 51% der Studierenden eher neutral, 30% positiv und 19% pessimistisch auf die Welt im Jahr 2040 blicken. Dabei ließen sich ihre Antworten auf sechs Hauptkategorien beziehen: Digitalisierung, Gesellschaft, Wirtschaft, Nachhaltigkeit & Klima, formale Bildung und Konflikte & Krisen. Es ergab sich also ein sehr heterogenes Bild der future visions. Welchen Einfluss diese nun genau auf das Studium und auch das schulische Handeln in der Gegenwart haben, ist Gegenstand weiterer Schritte der Kolleg*innen aus Österreich. Ebenfalls interessant war der Beitrag „Don’t we need two control groups in large Randomized Controlled Trials?“ von Sarah Pariser & André Tricot (2023) von der Université Paris 8 bzw. Université Paul Valéry in Montpellier. Darin beschäftigten sie sich mit der Frage, warum viele in kontrollierten Studien beobachtete Effekte von Lehr-Lern-Innovationen für die Schule verschwinden, wenn sie in größerem Maßstab im Bildungssystem implementiert werden. Sie vermuteten, dass dies daran liegen könnte, dass auch die Lehrkräfte in Kontrollgruppen dieser Studien die typischen Voraussetzungen im Bildungssystem abbilden und daher schon im Studiendesign verschiedene Gruppen berücksichtigt werden sollten, um die Wirkung im Hinblick auf eine mögliche Implementation in die Praxis abzuschätzen. Sie schlugen daher vor, in randomisierten Interventionsstudien zwei Kontrollgruppen zu bilden: eine Gruppe aus (wie üblich) freiwillig teilnehmenden Lehrkräften und eine Gruppe aus unfreiwillig teilnehmenden Lehrkräften. An einer Beispieluntersuchung mit 43 Klassen konnten sie beobachten, dass sich zwischen den Klassen der beiden Arten von Kontrollgruppen tatsächlich unterschiedliche Ergebnisse ergaben, die darauf hinweisen, dass sich Verzerrungen in typischen Interventionsstudien für Lehr-Innovationen in der Schule ergeben. Als Physikdidaktiker freute sich Christoph aber auch über den Vortrag von Benedikt Gottschlich et al. (2023) von der Universität Tübingen, der von einer aufwändigen Interventionsstudie zum kontextorientierten Physikunterricht unter Feldbedingungen berichtete, in der sich aber entgegen der Erwartung kein Vorteil für einen Elektrizitätsunterricht mit Kontexten im Vergleich zu einem Unterricht ohne Kontexte zeigte. Gründe hierfür werden von den Kolleg*innen noch analysiert (ob eine zweite Kontrollgruppe sinnvoll wäre, ist auch hier eine interessante Frage 😉 ).

Wer arbeitet…

Als abschließendes Highlight der EARLI 2023 darf natürlich auch der Gesellschaftsabend nicht unerwähnt bleiben: Vor spektakulärer Kulisse luden die Organisator*innen am Freitagabend in den „Ippikos Members Club“ zu tollem Essen und Kulturprogramm in Form von traditionellen Musik- und Tanzbeiträgen und der Professor*innen-Rockband der gastgebenden Universitäten ein (vielleicht auch eine Idee für die UPB…?). Für uns ein großartiger Abschluss dieser sehr intensiven Konferenzwoche!

Bildnachweis: © Lea Grotegut | Conference Dinner im Ippikos Members Club

Wir bedanken uns herzlich für die tolle Organisation und Umsetzung dieser riesigen EARLI 2023 (darunter die Konferenz-App, Verpflegung, detaillierte Lagepläne und natürlich die Helfer*innen vor Ort!) und ganz besonders für die zahlreichen Vorträge, Anregungen und Diskussionen. Bis zum nächsten Mal!

Vorträge:

  • Daltoé, T., Maier, J., Ruth-Herbein, E., Goellner, R., Trautwein, U. & Fauth, B. C. (2023, 23. August). Classroom Observation Ratings of Teaching Quality – An Investigation of a Teacher Training. 20. Biennale Konferenz der European Association for Research on Learning and Instruction (EARLI), Thessaloniki, Griechenland.
  • Gisladottir, B., Tengberg, M., Roe, A. & Christensen, A. S. (2023, 23. August). Student Perceptions as Indicator of Teaching Quality: A Report from Nordic Classrooms. 20. Biennale Konferenz der European Association for Research on Learning and Instruction (EARLI), Thessaloniki, Griechenland.
  • Gottschlich, B., Burge, J.-P., Wilhelm, T., Dopatka, L., Spatz, V., Schubatzky, T.; Haagen-Schützenhöfer, C., Invanjek, L., & Hopf, M. (2023, 25. August). Does using real-world contexts in science teaching improve learning? A field study on electricity. 20. Biennale Konferenz der European Association for Research on Learning and Instruction (EARLI), Thessaloniki, Griechenland.
  • Grossman, P. (Ed.). (2021). Teaching core practices in teacher education. Harvard Education Press.
  • Hipp, H., Holstein, A., Nückles, M., & Kleinknecht, M. (2023, 24. August). How Can the Acquisition of Core Practices be optimally fostered? A Research Agenda and First Results. 20. Biennale Konferenz der European Association for Research on Learning and Instruction (EARLI), Thessaloniki, Griechenland.
  • Iluz, S., Yablon, Y. B. (2023, 24. August). Simulation based learning for facilitating understanding of others’ emotions in preservice teachers. 20. Biennale Konferenz der European Association for Research on Learning and Instruction (EARLI), Thessaloniki, Griechenland.
  • Jaekel, A.-K. & Goellner, R. (2023, 23. August). Students’ Perceptions of Teaching Quality in In-person Classrooms and Distance Education. 20. Biennale Konferenz der European Association for Research on Learning and Instruction (EARLI), Thessaloniki, Griechenland.
  • Kasperski, R., Hemi, M. (2023, 21. August). The differential effect of simulations on SEL among preservice, beginner, and experienced educators. 20. Biennale Konferenz der European Association for Research on Learning and Instruction (EARLI), Thessaloniki, Griechenland.
  • Klette, K., Staal Jenset, I. & Brataas, G. (2023, 24. August). Using Core Practices to Improve Connections between Theory and Practice in Teacher Education. 20. Biennale Konferenz der European Association for Research on Learning and Instruction (EARLI), Thessaloniki, Griechenland.
  • Kraler, C., Bacher, S., & Schreiner, C. (2023, 25. August). Future Vision of Teacher Education Students. 20. Biennale Konferenz der European Association for Research on Learning and Instruction (EARLI), Thessaloniki, Griechenland.
  • Palinscar, A. S., & Brown, A. L. (1984). Reciprocal teaching of comprehension-fostering and comprehension-monitoring activities. Cognition and Instruction1(2), 117-175. (Online)
  • Pariser, S., & Tricot, A. (2023, 25. August). Don’t we need two control groups in large Randomized Controlled Trials?. 20. Biennale Konferenz der European Association for Research on Learning and Instruction (EARLI), Thessaloniki, Griechenland.
  • Waege, K., Fauskanger, J. & Mosvold, R. (2023, 24. August). Supporting teachers’ learning through co-planning, rehearsing and co-enacting instruction. 20. Biennale Konferenz der European Association for Research on Learning and Instruction (EARLI), Thessaloniki, Griechenland.
  • Westbroek, H., Kaal, A. & Donszelmann,S. (2023, 24. August). A motivational perspective on learning core practices: the case of a Dutch teacher education program. 20. Biennale Konferenz der European Association for Research on Learning and Instruction (EARLI), Thessaloniki, Griechenland.
  • White, M. (2023, 23. August). Evaluating the Robustness of Observational Studies’ Results to Rater Error with a Linking Data Set. 20. Biennale Konferenz der European Association for Research on Learning and Instruction (EARLI), Thessaloniki, Griechenland.

Meidingers 10 Todsünden der Schulpolitik im Licht der Bildungsforschung 4/12 – Teil 1

Todsünde Nr. 3: Zu viele unausgereifte Reformen im Bildungssystem

In einer Artikelreihe beschäftigen wir uns mit dem Buch „Die 10 Todsünden der Schulpolitik – Eine Streitschrift“ von Heinz-Peter Meidinger (2021) aus der Perspektive der empirischen Bildungsforschung. Dabei betrachten wir, wie Prämissen und Argumentationen im Buch vor dem Hintergrund von Ergebnissen der Bildungsforschung eingeschätzt werden können. Grundsätzlich ist daher hilfreich, das entsprechende Buchkapitel gelesen zu haben, was ich an dieser Stelle ausdrücklich empfehlen möchte. Thesen aus dem Buch werden im Konjunktiv als indirekte Rede wiedergegeben, was keine Zustimmung oder Ablehnung implizieren soll. Der vorherige, zweiteilige Beitrag zu dieser Reihe findet sich hier. An dieser Stelle kann ich auch schon einmal ankündigen, dass auch dieser Beitrag wieder aus zwei Teilen besteht.

Zum Abschied

Bevor wir in diesem Beitrag aber die dritte der vom Autor so bezeichneten zehn Todsünden der Schulpolitik betrachten, möchte ich die Gelegenheit nutzen, Heinz-Peter Meidinger, nachdem er nicht noch einmal zur Wiederwahl als Präsident des Deutschen Lehrerverbandes angetreten ist, einen etwas ruhigeren Ruhestand bzw. eine hoffentlich entspanntere Zeit zu wünschen. Er bleibt dem Verband als Ehrenpräsident erhalten und ich vermute, dass er sich auch in Zukunft immer mal wieder zu verschiedenen Bildungsthemen öffentlich äußern wird, so wie er das ja auch in seinem Buch schon getan hat. Und auch wir werden diese Blogreihe natürlich fortsetzen.

Nichts funktioniert, nichts wird geprüft

Zusammengefasst äußert Heinz-Peter Meidinger im Kapitel zur dritten Todsünde der Schulpolitik in gewohnt zugespitzter Sprache die Kritik, dass durch Bildungspolitker*innen in Schulen bzw. im Schulsystem in zu kurzer zeitlicher Abfolge zu viele Veränderungen vorgenommen werden, „welche Schulen und Lehrkräften eine kontinuierliche Bildungs- und Erziehungsarbeit unmöglich“ (Meidinger, 2021, 51) mache. Dabei gäbe es kaum erfolgreiche Bildungsreformen, die auch wirklich zu einer Verbesserung geführt hätten. Demgegenüber stünde eine Vielzahl von schlechten Veränderungen und Heinz-Peter Meidinger führt aus: „[…] ja eigentlich ist die bildungsdeutsche Bildungspolitik der Nachkriegsgeschichte nichts anderes als eine Aneinanderreihung mehrheitlich gescheiterter Reformen […]“ (Meidinger, 2021, 52).

Als Gemeinsamkeit gescheiterter Reformen benennt Heinz-Peter Meidinger, dass diese „in aller Regel weitgehend ohne vorherige Erprobung, ohne Modellversuche und Evaluationsphasen sowie ohne Beteiligung von kompetenten Schulpraktikern“ (Meidinger, 2021, 52f.) umgesetzt würden. Unabhängig davon, ob das für spezifische Veränderungen zutrifft oder nicht, würde ich selbstverständlich ebenfalls dafür plädieren, dass Interventionen in der Schule bzw. generell in der Bildung natürlich empirisch auf ihre Wirkung analysiert werden sollten, wie es ja auch in anderen gesellschaftlich relevanten Feldern getan wird (z.B. in der Medizin). Eine solche stärkere Orientierung an wissenschaftlicher Evidenz wird auch erwartungsgemäß mehr oder weniger explizit durch viele Bildungswissenschaftler*innen gefordert, wobei im Detail natürlich diskutiert werden muss, welche Art Evidenz gemeint ist und inwiefern vorliegende Evidenz auch konstruktiv in Bildungspraxis einfließen kann bzw. sollte (vgl. Bauer & Koller, 2023; Besa et al., 2023).

Heinz-Peter Meidinger nennt eine Reihe von Beispielen für aus seiner Sicht gescheiterte Bildungsreformen, die ohne ausreichende ergebnisoffene, wissenschaftliche Evaluationen umgesetzt worden seien, z.B. die Umstellung der neunjährigen Schulzeit am Gymnasium auf acht Jahre (siehe hierzu auch den ersten Beitrag unserer Blogreihe), die Einführung der Mengenlehre in der Grundschule in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts (vgl. Hamann, 2018) oder die Rechtschreibreform (ich vermute, es ist die von 1996 gemeint, das geht aus dem Text leider nicht eindeutig hervor). Während diese Veränderungen eher kurz angerissen werden, werden drei Beispiele im Kapitel etwas ausführlicher erläutert bzw. argumentiert, warum diese negativ oder schädlich gewesen seien: der methodisch-didaktische Lehransatz „Lesen durch Schreiben“, der Fremdsprachenunterricht in der Grundschule sowie die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen im Zuge der sogenannten Bolognareform. Diese drei werden im Folgenden daher auch vor dem Hintergrund von Ergebnissen der empirischen Bildungsforschung etwas genauer betrachtet.

„Schreiben nach Gehör“ in der Grundschule

Zum ersten dieser drei Beispiele möchte ich vorweg darauf hinweisen, dass ich selbst kein Sprachdidaktiker oder Elementarpädagoge bin. Es ist natürlich dennoch möglich, einen kurzen Überblick über den empirisch-fachdidaktischen Forschungsstand zu geben, auch wenn ich selbst keine vertieften Kenntnisse über die fachdidaktischen Feinheiten von Lehr-Lern-Konzeptionen in dem Feld habe. Mit dem, was in Medienberichten häufig als „Schreiben nach Gehör“ bezeichnet wird, ist meist das methodisch-didaktische Konzept „Lesen durch Schreiben“ gemeint, das in seiner ursprünglichsten Form von dem Schweizer Lehrer Jürgen Reichen konzipiert wurde (Reichen, 1988). Heinz-Peter Meidinger beschreibt die Methode zusammenfassend so, dass „sich Kinder das Schreiben am besten und am leichtesten selbst beibringen könnten“ oder als Methode „[…] mit der von Schülern zunächst alles so geschrieben wird, wie es klingt […]“) (jew. Meidinger, 2021, 54). Diese Beschreibung gibt das Konzept und die damit verbundenen Ziele natürlich nicht vollständig wieder (wobei man berücksichtigen muss, dass das gesamte Kapitel neun Seiten umfasst, auf denen alle drei Beispiele angesprochen werden).

Beispiel für eine Anlauttabelle,
Bildnachweis: Wolfram Esser, Wikipedia (Link)

Worum handelt es sich also beim Konzept „Lesen durch Schreiben“? Auch, wenn man es hier natürlich auch nicht vollständig wiedergeben kann, lässt es sich grundsätzlich als umfassendes didaktisches Konzept für den sprachlichen Anfangsunterricht in der Grundschule verstehen, in dem verschiedene Kompetenzen erworben werden sollen (z.B. Lesekompetenz, Schreibkompetenz). Kennzeichnend für das Konzept in der ursprünglichen Form ist, dass im sprachlichen Anfangsunterricht Schüler*innen Angebote für eine möglichst selbstgesteuerte und individualisierte Auseinandersetzung mit sprachlichen Lerngegenständen gemacht werden sollten, was aber auch nach Reichen (1988) Phasen gemeinsamen Unterrichts im Klassenverband nicht ausschließt (vgl. Lorenz, 2017). Praktisch soll dies möglichst in Form des Werkstattunterrichts stattfinden, also in einer vorbereiteten Lernumgebung (mit Materialien etc.), die von den Schüler*innen relativ selbstständig genutzt wird. Reichen (1988) konkretisiert diese Prinzipien eines offenen, selbstgesteuerten Lernens für den Anfangsunterricht im Lesen und Schreiben, wobei er annahm, dass Kinder mit adäquaten Hilfsmitteln grundsätzlich selbst Lesen und Schreiben können. Nach dem Prinzip „Lesen durch Schreiben“ soll zuerst das Schreiben gelernt werden, „damit das Lesen sich dann mit der Zeit individuell als dessen Produkt gewissermaßen von selbst einstellt.“ (Lorenz, 2017, 34). Zentrales Hilfsmittel im Unterricht bildet eine Anlauttabelle, bestehend aus Buchstaben bzw. Buchstabenkombinationen und zugehörigen Bildern. Die Bilder sind so gewählt, dass die Bezeichnungen der Bilder mit dem zugehörigen Buchstaben beginnen und der Anlaut der Bezeichnung der Lautung des Buchstaben entspricht. Mit dieser Tabelle werden die Schüler*innen angeleitet, Wörter zu schreiben, indem Sie sie phonetisch schrittweise in einzelne Laute zerlegen (vgl. Funke, 2014). Ein damit verbundenes Ziel ist es auch, dass die Lernenden mit diesem Hilfsmittel selbst bestimmen können, was sie mit welcher Absicht schreiben möchten, und daher schon früh beginnen, selbst motiviert eigene Schriftprodukte zu erstellen.

Kann „Lesen durch Schreiben“ funktionieren?

Das Konzept wird innerhalb der Sprachdidaktik schon seit den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts aus theoretischen Gründen kontrovers diskutiert (vgl. Funke, 2014). Das betrifft zum einen die Merkmale der deutschen Sprache selbst. Sie ist keine reine Lautschrift, sondern bedeutungstragende Phoneme werden in der Schriftsprache auch durch abstraktere Lautschemata repräsentiert (Brendel et al., 2011). Dabei kann ein Phonem (also der Laut) auch durch unterschiedliche Grapheme (also dem zugehörigen Schriftausdruck) repräsentiert werden (vgl. Hess et al., 2020). Diese Unterschiede können nicht umfassend in einer Anlauttabelle dargestellt werden. Schüler*innen müssen sie sich daher über die Zeit (bewusst) aneignen, um orthografisch korrekt zu schreiben. Zum anderen bezieht sich ein Teil der Kritik auch auf die Empfehlungen Reichens (1988) zur Umsetzung seines Konzepts selbst. Beispielsweise war für ihn eine korrekte Rechtschreibung im Anfangsunterricht nicht zentral und er empfahl, geschriebene Wörter nur dann zu korrigieren, wenn sie gar nicht lesbar seien oder grobe Lautfehler enthalten; dies auch, um Motivation und Schreibfreude aufrecht zu erhalten (vgl. Lorenz, 2017). Die Schulung der korrekten Rechtschreibung sollte dementsprechend auch erst in der zweiten Klasse beginnen. Demgegenüber wird angenommen, dass die Kinder durch das Fehlen des frühen Einübens korrekter Schreibformen kein korrektes schriftsprachliches, inneres Lexikon aufbauen könnten, und dies auch nicht angeregt würde, da im Anfangsunterricht kaum mit fremden Texten gearbeitet würde (z.B. Dürscheid, 2011). Insbesondere werden Schwierigkeiten für schwächere Schüler*innen mit geringerer phonologischer Bewusstheit auch mit nicht-deutscher Muttersprache vermutet (z.B. Valtin, 1998). Da die Schreib- und Lesekompetenz unabhängig voneinander aufgebaut werden (vgl. Bredel et al., 2011), wird zudem kritisiert, dass zuerst Schreiben gelernt und explizites Lesen lernen bewusst vermieden wird.

Grundsätzlich lässt sich die Arbeit mit Anlauttabellen auch durchaus in Modellen zur Beschreibung des Schriftspracherwerbs von Kindern einordnen. Beispielsweise erfolgt der Aufbau von schriftsprachlichen Fähigkeiten im Modell von Frith (1986) in mehreren Stufen, der mit unterschiedlichen Strategien verbunden ist (vgl. Schründer-Lenzen, 2013). In der ersten Stufe (logografische Strategie) orientierten sich Kinder zunächst an der Oberflächenstruktur der Schriftsprache, indem sie Zeichenfolgen auswendig lernen (z.B. den eigenen Namen). In der zweiten Stufe (alphabetische Strategie) verbinden Kinder die gesprochene Sprache mit der geschriebenen Sprache, indem sie zunächst gesprochene Laute mit unterschiedlichen Buchstaben verbinden. An dieser Stelle können Anlauttabellen verortet werden. Zugleich müssen die Lernenden in dieser Stufe lernen, dass das geschriebene Wort nicht rein der Lautsprache folgt (phonemisches Schreiben), was nach Kritiker*innen im Konzept „Lesen durch Schreiben“ nicht ausreichend gelänge bzw. angestrebt werde. In der dritten Stufe (orthografische Strategie) erkennen Schüler*innen zunehmend schriftsprachliche Strukturen (z.B. Ableitungen von Wortstämmen).

Zusammengefasst wird das Konzept bzw. die Umsetzung in Reinform innerhalb der Sprachdidaktik aus rein theoretischer Sicht schon seit Beginn kritisch diskutiert. Der Entwickler und die Nutzer*innen des Konzepts sehen dies erwartungsgemäß anders und gehen davon aus, dass negative Effekte nicht eintreten, die genannten Schwierigkeiten ausreichend berücksichtigt würden und mögliche Nachteile durch andere Vorteile (z.B. bezogen auf die Schreibmotivation) kompensiert würden (vgl. Reichen, 2006). Entscheidend ist aber auch bei didaktischen Lehr-Lern-Konzepten, wie sie nun tatsächlich wirken bzw. inwiefern die angestrebten Lernziele auch empirisch erreicht werden.

Wie kann man das nun überprüfen?

Heinz-Peter Meidinger beschreibt die Auswirkungen des Konzepts „Lesen durch Schreiben“ als äußerst negativ und kritisiert: „30 Jahre lang wurde die Wirksamkeit nie in einer umfassenden Studie überprüft […].“ (Meidinger, 2021, 55). Erst Prof. Dr. Una Röhr-Sendlmeier habe 30 Jahre nach praktischer Einführung des Konzepts eine solche Studie durchgeführt. Vermutlich bezieht sich Heinz-Peter Meidinger hier auf die Ergebnisse der Promotion von Dr. Tobias Kuhl (2020), einem (nun ehemaligen) Doktoranden von Frau Röhr-Sendlmeier. Das lässt sich allerdings nur aus der Beschreibung der Studie durch Heinz-Peter Meidinger schließen, da leider im Kapitel keine Quellenangabe gemacht wird.

Zunächst ist anzumerken, dass auch schon zuvor empirische Untersuchungen zur Wirksamkeit des Konzepts durchgeführt und veröffentlicht wurden (Funke, 2014). Um die Ergebnisse solcher Studien besser interpretieren zu können, ist es hilfreich, typische Schwierigkeiten zu berücksichtigen, die bei empirischen Wirksamkeitsuntersuchungen solch umfassender didaktischer Lehr-Lern-Konzepte auftreten können. Das betrifft zum ersten die Frage, woran man Erfolg oder Misserfolg erkennen kann. „Lesen durch Schreiben“ ist mit verschiedenen Zielen verbunden (z.B. Erwerb von Schreib- und Lesefähigkeit, Erhöhung der Schreibmotivation). Es muss also meist die Veränderung verschiedener Merkmale von Schüler*innengruppen geeignet erfasst werden. Zum zweiten bezieht sich das Konzept „Lesen durch Schreiben“ auf einen relativ langen Zeitraum, der zudem im Konzept selbst nicht genau abgegrenzt wird. Für eine Untersuchung muss daher geklärt werden, welche Gruppen von Schüler*innen wie lange eigentlich betrachtet werden sollen. Geht es bspw. nur um das erste Schuljahr oder muss eigentlich die gesamte Grundschulzeit betrachtet werden? Sollen Schüler*innen an der weiterführenden Schule untersucht werden? Je länger eine Untersuchung dauert, desto schwieriger ist sie natürlich praktisch durchführbar. Das ist insbesondere deshalb bedeutsam, da man zur Beurteilung der Wirksamkeit natürlich genügend Schüler*innen braucht, damit bei der erwartbaren Streuung überhaupt Durchschnittsunterschiede zwischen Gruppen festgestellt werden können. Zum dritten geht es auch häufig um die Frage, im Vergleich zu was eine Lehr-Lern-Konzeption wirksam ist. Beispielsweise werden Schüler*innen mit Hilfe des Konzepts „Lesen durch Schreiben“ wahrscheinlich mehr Schreib- und Lesefähigkeiten lernen, als wenn sie gar keinen Unterricht erhielten. Daher geht es auch meist um die Frage, ob der Ansatz wirksamer ist im Vergleich zu anderen möglichen Konzepten. Als Vergleichskonzept zu „Lesen durch Schreiben“ dient häufig Unterricht, in denen so genannte Fibeln eingesetzt werden (z.B. die Piri-Fibeln des Klettverlags, explizit nur als Beispiel erwähnt – nicht als Werbung oder Empfehlung). Dabei handelt es sich um Lehrtexte bzw. Unterrichtsmaterialien, die im Sinne eines Lehrgangs sachlogisch, kleinschrittig strukturiert sind und bei dem sich im zugehörigen Unterricht – zugespitzt formuliert – alle Kinder zu gleichen Zeiten mit den gleichen Materialien beschäftigen. Zum vierten besteht natürlich die Frage, wie genau, umfangreich und auch von den Konzeptentwickler*innen intendiert eine Konzeption auch wirklich im Unterricht durchgeführt wird. Werden z.B. nur einzelne Elemente übernommen oder wird einem Konzept vollständig gefolgt? Werden evtl. sogar verschiedene Konzepte vermischt, was im schulischen Unterricht eher der Regelfall zu sein scheint, insbesondere auch im Anfangsschreibunterricht (vgl. Bremerich-Vos & Wendt, 2019). Davon ist abhängig, ob bestimmte Wirkungen auch wirklich einer Konzeption zugeschrieben werden können oder nicht. Und zum fünften muss bei derartigen Vergleichen sichergestellt werden, dass andere Einflussfaktoren auf das Lernen (z.B. Vorwissen, Erstsprache der Schüler*innen) kontrolliert werden, um abschätzen zu können, welchen Effekt eine Methode bzw. ein Konzept allein hat (diese Schwierigkeiten spielte auch in unserem vorherigen Beitrag zu dieser Reihe eine große Rolle).

Grau ist alle Empirie…

Was liegen denn nun für empirische Ergebnisse zu „Lesen durch Schreiben“ vor? Funke (2014) betrachtet in einer sorgfältigen Metaanalyse die Ergebnisse von 16 Untersuchungen, die in zwischen 1985 und 2010 durchgeführt wurden, sich auf die Klassenstufen 1 bis 4 beziehen, als Vergleichsmaßstab Fibelunterricht nutzen und in denen Ergebnisdaten zu Lese- und/oder Schreibkompetenzen vorliegen. Für die Rechtschreibleistung am Ende von Klasse 1 ergab sich eine kleine Effektstärke von d=0.28 (SD=0.09) zugunsten des „Lesen durch Schreiben“-Konzepts. Grundsätzlich lässt sich aber beobachten, dass die Effekte in den jeweiligen Studien stark schwanken (mal zeigten sich bei „Lesen durch Schreiben“ Vorteile, mal gerade umgekehrt). „Die in den verschiedenen Stichproben gefundenen Effekte weichen so stark voneinander ab, dass man sie nicht als zufällige Varianten einer gemeinsamen Wirkgröße von ein- und derselben Ausprägung auffassen kann.“ (Funke, 2014, 27f.) Für die Klassen 2 bis 4 ergab sich eine homogenere kleine Effektstärke von d=-0.26 (SD=0.05) für die Rechtschreibleistung, also ein Nachteil für „Lesen durch Schreiben“. Generell wurden nur bei wenigen Studien die Voraussetzungen kontrolliert. Werden nur diese Studien einbezogen, ergibt sich kein signifikanter Effekt (d=-0.09. SD=0.15, p=0.57). Bzgl. der Leseleistung am Ende von Klasse 1 ergab sich eine kleine Effektstärke von d=-0.27 (SD=0.14), bezogen auf die Klassen 2-4 d=-0.05 (SD=0.09). Zusammengefasst ergab sich also insgesamt kein konsistentes Bild: Beim Lesen in den Klassen 2-4 keine Unterschiede, beim Schreiben Nachteile mit kleinem Effekt. Die Ergebnisinterpretation ist aber durch verschiedene Faktoren eingeschränkt. Neben der schon erwähnten fehlenden Kontrolle der Eingangsvoraussetzungen wurden unterschiedliche Erhebungsinstrumente genutzt und die Zuordnung der untersuchten Klassen erfolgte über Auskünfte der Lehrkräfte; es ist also nicht ganz klar, wie genau die Methoden auch tatsächlich umgesetzt wurden. „Denkbar ist auch, dass Lesen durch Schreiben-Lehrkräfte ihrem schulischen Umfeld nach keine Zufallsauswahl darstellen.“ (Funke, 2014, 36).

Es liegen seitdem auch aktuellere Analysen vor. Beispielsweise untersuchte Lorenz (2017) auf Basis von repräsentativeren Daten aus der Videostudie im Fach Deutsch des Projekts PERLE, inwiefern Zusammenhänge zwischen dem Einsatz des Konzepts „Lesen durch Schreiben“ und der Rechtschreibleistung von Schüler*innen in Klasse 1 bestehen. Basis sind freie Texte bzw. Briefe , die von N=508 Schüler*innen verfasst und hinsichtlich bestimmter Fehlerarten (z.B. bei der Groß- und Kleinschreibung) analysiert wurden. Die Schüler*innen wurden in vier Gruppen eingeteilt, die sich danach unterscheiden, wie sehr das Konzept „Lesen durch Schreiben“ nach Selbsteinschätzungen der unterrichtenden Lehrkräfte im Unterricht eine Rolle spielte (Stufen: dominant, wichtig, untergeordnet, keine Rolle). In differenzierten Mehrebenenanalysen ergab sich: „Kinder, in deren Deutschunterricht „Lesen durch Schreiben“ eine größere Rolle spielt, schreiben insgesamt einen höheren Anteil ihrer Wörter orthographisch falsch.“ (Lorenz, 2017) Diese Ergebnisse wurden mit einer verbesserten Analyse auch in Hess et al. (2020) berichtet. Auch die Ergebnisse einer Simulationsstudie mit Hilfe neuronaler Netze bestätigen die Nachteile des Konzepts in der Tendenz, wobei allerdings der zurückhaltende Umgang mit Fehlerkorrekturen nach den Empfehlungen von Reichen in den Vordergrund gestellt wurde und nicht die Arbeit mit der Anlauttabelle (Born et al., 2022).

Worauf bezieht sich Heinz-Peter Meidinger?

In der von Heinz-Peter Meidinger erwähnten Untersuchung von Kuhl (2020) wurden mit einem hohen methodisch-organisatorischem Aufwand drei Lehr-Lern-Konzepte für den Sprachanfangsunterricht betrachtet. Neben dem Fibelunterricht und „Lesen durch Schreiben“ auch „Graf Orthos Rechtschreibwerkstatt“, das kurz zusammengefasst einige Ideen von „Lesen durch Schreiben“ übernimmt, umfangreiche Selbstlernmaterialien bereitstellt (insbesondere mit Abschreibübungen), dies mit vielen individualisierten Lernphasen verbindet und in Klasse 1 ebenfalls bewusst wenige Fehlerkorrekturen einsetzt. Neben der Rechtschreibleistung wurden hier auch weitere mögliche Wirkungen der Konzepte (z.B. die Beschäftigung mit Schreiben oder Schrift in der Freizeit) untersucht. Basis bilden Daten von N=3084 Kindern von zwölf Schulen „im Umkreis von 50 km um Bonn“ (Kuhl, 2020, 84), wobei für die Längsschnittstudie zur Rechtschreibleistung Datensätze von N=284 Schüler*innen herangezogen wurden (es wurde auch eine Querschnittsuntersuchung durchgeführt). Insbesondere liegen zu diesen Schüler*innen auch Ergebnisse zu den Eingangsvoraussetzungen in die Grundschule vor (z.B. zur phonologischen Bewusstheit, Familiensprache). Von dieser Gruppe wurde ab Ende des ersten Schuljahres jedes Halbjahr bis zum Ende von Klasse 3 standardisiert die Rechtschreibleistung mit Hilfe der Hamburger Schreib-Probe 1 -10 (May, 2013) erfasst. Die Datenerhebung begann im Jahr 2013 und erstreckte sich dementsprechend über mehrere Schuljahre. Die Zuordnung der Schüler’*innen zu den untersuchten Konzepten erfolgte schulweise auf Basis von Angaben der Lehrkräfte und den in der Schule vorhandenen Materialien. Hierzu führt Kuhl (2020) aus: „Jede Schule hatte sich bereits vor der Akquise zur Studienteilnahme dafür entschieden, den Unterricht nach einem gemeinsamen Leitmedium zu gestalten. Es konnte davon ausgegangen werden, dass der Unterricht in der Realität graduell anders durchgeführt wurde, als er in der Theorie von den Entwicklern der verschiedenen didaktischen Ansätze erdacht worden war. […] Dennoch wurde der Unterricht durch die Entscheidung der Schule für einen spezifischen didaktischen Ansatz als Leitmedium maßgeblich geprägt. Deshalb erschien die Zuordnung des Unterrichts einzelner Schulen zu einer Didaktik als sinnvoll.“ (Kuhl, 2020, 71f.). Es wurde bewusst auf Unterrichtsbeobachtungen verzichtet.

Unterschiede zwischen den drei Gruppen wurden mittels Kovarianzanalysen mit Messwiederholung analysiert, wobei die Eingangsvoraussetzungen als Kovariate berücksichtigt wurden. Dabei ergaben sich große Unterschiede zwischen den drei Konzeptionen (F(2,277)=39.93, p<.001, η²=.247). Die Ergebnisse von Schüler*innen, die nach der Rechtschreibwerkstatt oder „Lesen durch Schreiben“ unterrichtet wurden, unterschieden sich nicht signifikant voneinander. Die Schüler*innen im Fibelunterricht allerdings erzielten mit jeweils großen Effekten bessere Rechtschreibleistungen im Vergleich zu den anderen beiden Konzepten zu allen fünf Messzeitpunkten. Am schwächsten Schnitt insgesamt die Rechtschreibwerkstatt ab. Die Unterschiede zwischen Fibelunterricht und „Lesen durch Schreiben“ verringerten sich im zeitlichen Verlauf etwas. Diese Unterschiede wurden auch in der Querschnittsuntersuchung bestätigt. Bezüglich der anderen untersuchten Variablen zeigten sich im Querschnitt dazu bspw. keine Unterschiede in der Lesemotivation oder der Schreibfreude zwischen den Gruppen. Insgesamt zeigt die Untersuchung also einen Vorteil von Fibelunterricht, für dessen Einsatz sich Kuhl (2020) in der Dissertation auch stark ausspricht, teilweise mit aus meiner Sicht überzogenen negativen Wertungen zu didaktischen Konzepten im Allgemeinen und den Fähigkeiten von Lehrkräften. Insbesondere halte ich es für durchaus sinnvoll, wenn Evaluationen im schulischen Setting auch von Pädagog*innen geplant und durchgeführt werden (vgl. Kuhl, 2020, 143), da auch beim Einsatz von Psycholog*innen und Sozialwissenschaftler*innen ein Priming basierend auf persönlichen Erfahrungen stattfinden kann. Die Forderung nach einer stärkeren Evidenzbasierung von schulischem Handeln und der forschungsbasierten Ausbildung von Lehrkräften teile ich aber ausdrücklich.

Es handelt sich insgesamt um eine aufwändige und sorgfältig durchgeführte Studie mit hoher methodischer Qualität in der Durchführung. Dennoch hat auch diese natürlich einige Limitationen, die die Aussagekraft ihrer Ergebnisse einschränken. Diese liegen insbesondere in der Gelegenheitsstichprobe (was nachvollziehbarerweise mit erhebungsökonomischen Gründen zusammenhängt), der Zuteilung der Schüler*innen zu den einzelnen Konzepten und darin, dass keine genauen Informationen zur Umsetzungstreue der Konzepte vorliegen. Kuhl (2020) argumentiert hierzu: „Es ist anzunehmen, dass sich nicht jeder Lehrer streng an die Vorgaben des Leitmediums gehalten hat und Material, das er als didaktisch sinnvoll erachtet hat, in seine Unterrichtsplanung und -durchführung einfließen ließ. Das Unterrichtsgeschehen unterschied sich demnach graduell zwischen den Klassen – auch innerhalb einer Schule. Dennoch haben sich die Lehrer oder der Rektor für ein Leitmedium entschieden, welches in sämtlichen Klassen einer Schule eingesetzt wurde und den ‚Kurs‘ des Unterrichts maßgeblich bestimmt hat.“ (Kuhl, 2020, 146). Diese Annahme ist nachvollziehbar, aber wird hier natürlich nicht empirisch genauer unterlegt. Es bleibt daher leider unklar, wie Rechtschreibunterricht nach der Anfangsphase in den untersuchten Grundschulen stattgefunden hat. Auch sind die Schüler*innen nicht gleichmäßig über die einzelnen Konzepte verteilt (bspw. im Längsschnitt folgendermaßen: Fibel: N=84 ; Lesen durch Schreiben: N=79, Rechtschreibwerkstatt: N=121), wobei die Unterschiede im Querschnitt noch größer sind. Daneben diskutiert bspw. Brügelmann (2020) auch weitere Aspekte der Studie kritisch, wie z.B. die nicht klare konzeptionelle Unterscheidung der verwendeten Ansätze, eine fehlende Auswertung auf Klassenebene, um den Faktor der Lehrkräfte zu kontrollieren, und, dass die Ergebnisse nicht auf die bundesdeutsche Normierung der Hamburger Schreibprobe bezogen würden: „Nach diesem bundesweit repräsentativen Maßstab entsprechen ‚Lesen durch Schreiben‘-Kinder in Kuhls Studie schon zum Ende des Anfangsunterrichts und über die Grundschulzeit hinweg der bundesdeutschen Norm. Sogar der Anteil besonders leistungsschwacher Schüler*innen ist niedriger als in der Bonner Gesamtstichprobe – besonders auffällig in Klasse 1 und 2. Die ‚Ausreißer‘ bilden die (zusammengefassten) Fibel-Klassen (nach oben) und die Rechtschreibwerkstatt-Klassen (nach unten).“ (Brügelmann, 2020, 3).

Und was heißt das jetzt?

Die vorliegenden Ergebnisse sprechen eher dafür, dass der Ansatz „Lesen durch Schreiben“ keine Vorteile, sondern tendenziell Nachteile gegenüber anderen Schreiblernansätzen im Anfangsunterricht hat. In diesem Sinne würde auch ich eher empfehlen, andere Ansätze im Schreibanfangsunterricht zu wählen, wobei – wie schon erwähnt – ich hierzu kein ausgewiesener Experte bin. Hier stimme ich Heinz-Peter Meidinger explizit zu. Allerdings zeigen die vorliegenden Ergebnisse auch nicht, dass Probleme mit der Rechtschreibleistung am Ende der Grundschule allein auf den Einsatz des Konzepts „Lesen durch Schreiben“ zurückgehen, was er – auch außerhalb seines Buches – anscheinend so interpretiert (z.B. hier). Ob ein Verbot von Methoden, wie im Kapitel zustimmend beschrieben, sinnvoll ist, sei einmal dahingestellt (Was soll denn auch genau verboten werden? Die Nutzung von Anlauttabellen, oder dass Rechtschreibfehler nicht korrigiert werden?). Aus Sicht der empirischen Bildungsforschung sei aber zumindest darauf hingewiesen, dass auch die Wirkungen anderer Lehr-Lern-Konzepte selten empirisch geprüft werden und so gut wie fast alle Konzepte „ohne jegliche empirische Evidenz und Erprobung eingeführt und nie evaluiert […]“ (Meidinger, 2021, 56f.) werden. Insofern könnte man die oben beschriebenen Untersuchungen auch als eine erfolgreiche Evaluation von Fibelunterricht interpretieren. Einführung von Konzepten bedeutet an dieser Stelle, dass entsprechende Materialien zur Nutzung im Unterricht zugelassen werden. Aufgrund der Autonomie von Lehrkräften ist der Einsatz spezifischer Lehr-Lern-Konzepte im Detail derzeit nicht vorschreibbar. Und welche Materialien auch außerhalb geschlossener Lehrwerke oder Konzepte von Lehrkräften tatsächlich eingesetzt werden, ist noch einmal eine ganz andere Frage.

Um diesen schon recht umfangreichen Blogbeitrag nicht zu sehr in die Länge zu ziehen, werden wir die anderen beiden von Heinz-Peter Meidinger genannten Beispiele für seine Todsünde Nr. 3 im zweiten Teil dieses Beitrags betrachten. Er wird an dieser Stelle verlinkt, sobald er online ist.

Literatur:

  • Bauer, J., & Kollar, I. (2023). (Wie) kann die Nutzung bildungswissenschaftlicher Evidenz Lehren und Lernen verbessern? Thesen und Fragen zur Diskussion um evidenzorientiertes Denken und Handeln von Lehrkräften. Unterrichtswissenschaft, 51(1), 123-147. (Online)
  • Besa, K. S., Demski, D., Gesang, J., & Hinzke, J. H. (Hrsg.) (2023). Evidenz-und Forschungsorientierung in Lehrer* innenbildung, Schule, Bildungspolitik und-administration: Neue Befunde zu alten Problemen. Springer Fachmedien Wiesbaden. (Online)
  • Born, J., Nikolov, N. I., Rosenkranz, A., Schabmann, A., & Schmidt, B. M. (2022). A computational investigation of inventive spelling and the “Lesen durch Schreiben” method. Computers and Education: Artificial Intelligence, 3, 100063. (Online)
  • Bredel, U., Fuhrhop, N., & Noack, C. (2011). Wie Kinder lesen und schreiben lernen. Gunter Narr Verlag.
  • Bremerich-Vos, A. & Wendt, H. (2019). Zur Nutzung von Laut- bzw. Anlauttabellen im Deutschunterricht der Grundschule. Zeitschrift für angewandte Linguistik, 70(1), 19–36. (Online)
  • Brügelmann, H. (2020). Einordnung der Ergebnisse der „Bonner Studie “zur Wirkung verschiedener Ansätze des Lese-und Schreibunterrichts auf die Entwicklung der Rechtschreibleistung im Verlauf der Grundschulzeit. (Online)
  • Dürscheid, C. (2011). „Schreib nicht, wie du sprichst.“ Ein Thema für den Deutschunterricht“. In B. Rothstein (Hrsg.), Sprachvergleich in der Schule (S. 89-109). Schneider.
  • Funke, R. (2014). Erstunterricht nach der Methode“ Lesen durch Schreiben“ und Ergebnisse schriftsprachlichen Lernens-Eine metaanalytische Bestandsaufnahme. Didaktik Deutsch: Halbjahresschrift für die Didaktik der deutschen Sprache und Literatur, 19(36), 21-41. (Online)
  • Frith, U. (1986). Psychologische Aspekte des orthografischen Wissens. In G. Augst (Hrsg.), New trends in Graphemics and orthography (S. 218–233). Berlin: de Gruyter.
  • Hamann, T. (2018). Die“ Mengenlehre“ im Anfangsunterricht: historische Darstellung einer gescheiterten Unterrichtsreform in der Bundesrepublik Deutschland (Siegener Beiträge zur Geschichte und Philosophie der Mathematik – Band 9). Universitätsverlag Siegen. (Online)
  • Hess, M., Denn, A. K., Kirschhock, E. M., Lorenz-Krause, A., & Lipowsky, F. (2020). Effekte der Konzeption „Lesen durch Schreiben “auf verschiedene Teilbereiche lauttreuer und orthografischer Verschriftung in der Mitte des ersten Schuljahres. Zeitschrift für Grundschulforschung, 13(2), 317-337. (Online)
  • Kuhl, T. (2020). Rechtschreibung in der Grundschule. Berlin: Springer. (Online)
  • Lorenz, A. (2017). Wer schreibt recht, wer schreibt schlecht?: Eine Untersuchung des Zusammenhangs zwischen der Rechtschreibleistung von Erstklässlern und dem Ansatz „Lesen durch Schreiben “von Jürgen Reichen in der Videostudie Deutsch des Projekts PERLE. kassel university press. (Online)
  • May, P. (2013). Hamburger Schreib-Probe 1-10 (HSP). Manual (Neunormierung 2012). Klett.
  • Meidinger, H.-P. (2021). Die 10 Todsünden der Schulpolitik – Eine Streitschrift. Claudius Verlag.
  • Reichen, J. (2006). Hannah hat Kino im Kopf. Die Reichen-Methode Lesen durch Schreiben und ihre Hintergründe für LehrerInnen, Studierende und Eltern (4. Aufl.). Heinevetter.
  • Reichen, J (1988). Lesen durch Schreiben (3. Aufl.). sabe.
  • Schründer-Lenzen, A. (2013). Schriftspracherwerb. Springer VS. (Online)
  • Valtin, R. (1998). Der ‚neue‘ Methodenstreit oder: (Was) können wir aus der amerikanischen Leseforschung lernen? In H. Balhorn, H. Bartnitzky, & A. Speck-Hamdan (Hrsg.), Schatzkiste Sprache 1. Von den Wegen der Kinder in die Schrift (S. 14-46). Arbeitskreis Grundschule.

Kurzzusammenfassung: „Rollenspielbasierte Simulationen als Übungs- und Prüfungsformate im Lehramtsstudium. Eine explorative Studie zu Erfahrungen und Einschätzungen aus Studierendensicht“

Das erste Paper im Kontext unserer Nachwuchsgruppe ist nun open access verfügbar! In dem Artikel gehen wir der Frage nach, wie Lehramtsstudierende rollenspielbasierte Simulationen wahrnehmen. In dieser Kurzzusammenfassung geben wir euch einen kurzen Überblick über die wichtigsten Aspekte. Tiefergehende Informationen z.B. zur Theorie und Methodik findet ihr im Artikel selbst. Hier kommt ihr direkt zum Artikel in der Zeitschrift die hochschullehre.

Was sind Kontext und Ziele der Studie?

Oft wird kritisiert, dass das Lehramtsstudium einen zu geringen Bezug zur späteren Berufspraxis habe (vgl. Cramer, 2014). Wie wir auf diesem Blog auch schon oft angesprochen haben, könnten rollenspielbasierte Simulationen eine Möglichkeit sein, handlungsnahe Kompetenzen, die relevant für die spätere Berufspraxis sind, schon in der Hochschule zu üben und insbesondere zu prüfen. Um einen ersten Eindruck davon zu gewinnen, wie Studierende als prospektive Testpersonen solche Formate wahrnehmen, haben wir einen Teil davon befragt.

Unsere Forschungsfragen waren:

  • Inwiefern haben Lehramtsstudierende im Laufe ihres Studiums Erfahrungen mit Rollenspielen (oder ähnlichen Simulationen) als Prüfungs- und/oder Übungsformat gemacht?
  • Wie beurteilen Lehramtsstudierende Rollenspiele (oder ähnliche Simulationen) als Prüfungsformat im Lehramtsstudium?

Wie sind wir vorgegangen?

In einer standardisierten Online-Umfrage haben wir N = 620 Lehramtsstudierende aus dem Master of Education an der Universität Paderborn befragt. In dem Fragebogen gab es sowohl offene Fragen, als auch geschlossene Fragen. Die offenen Fragen haben wir inhaltsanalytisch (Kuckartz, 2016), die geschlossenen Fragen zunächst deskriptiv ausgewertet und im Anschluss durch Faktorenanalyse zu Skalen (Authentizität, Fairness, Transparenz) zusammengefasst.

Was sind die wichtigsten Ergebnisse?

  • Ein Großteil der Studierenden (71,8%) hat noch keinerlei Erfahrungen mit Rollenspielen oder anderen simulationsbasierten Formaten, egal ob als Übung oder Prüfung.
  • 85,8% der Studierenden gaben an, keine Erfahrungen mit Rollenspielen als Prüfungsformat zu haben.
  • 8,5% der Studierenden haben Erfahrungen mit Rollenspielen als unbenotete Prüfung, 0,5% (n=3) als benotete Prüfung.
  • Studierende, unabhängig ob mit oder ohne Erfahrung, sehen in Rollenspielen einen hohen Grad an Authentizität, sind aber eher skeptisch was Transparenz und Fairness angeht.
  • Positiv wurde von den Studierenden herausgestellt, dass Rollenspiele einen hohen Bezug zur Berufspraxis aufzeigen würden. Kritisch wurde aber betrachtet, ob so ein Format es wirklich erlaube zu zeigen, was man könne und ob dies objektiv bewertbar sei.

Wie sind die Ergebnisse zu betrachten?

Studierende im Lehramt der Universität Paderborn haben bisher wenig Berührungspunkte mit rollenspielbasierten Simulationen, obwohl andere Professionen, wie die Medizin, diese schon länger einsetzen.

Erkennbar ist, dass Studierenden das Format als authentisch für den späteren Beruf einschätzen, aber auch, dass es für sie wichtig ist, dass die Bewertungsmaßstäbe transparent und möglichst objektiv sind. Wir vermuten, dass es hier, trotz Erklärungen im Fragebogen, aber auch zu Missverständnissen gekommen sein könnte, was das Format des Rollenspiels angeht, und diese nicht mit dem Grad der Standardisierung assoziiert wurden, wie es in simulationsorientierten Prüfungen üblich ist. Den aktuellen Arbeiten in den Projekten von Philipp und Thomas, in denen sie sich mit Bewertungsmöglichkeiten von rollenspielbasierten Simulationen auseinandersetzen, kommt also auch aus Studierendensicht eine zentrale Relevanz zu.

Einschränkend möchten wir erwähnen, dass die Befragung nur an einer Universität statt. Letztendlich gibt uns diese Studie aber erste Indizien darauf, was Studierende mit Rollenspielen im Lehramt verbinden und welche Einstellungen Sie bezüglich des Einsatzes dieser als Prüfung haben.

Interesse geweckt? Die umfassende Darstellung des Vorgehens und der Ergebnisse sind im Artikel zusammengefasst und open-access abrufbar. Wir freuen uns über Nachfragen, Anmerkungen und weitere, anregende Ideen!

Literatur:

  • Cramer, C. (2014). Theorie und Praxis in der Lehrerbildung. Bestimmung des Verhältnisses durch Synthese von theoretischen Zugängen, empirischen Befunden und Realisierungsformen. DDS – Die Deutsche Schule, 106(4), 344–357. (Link)
  • Kuckartz, U. (2016). Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung. Beltz.
  • Meier, J., Janzen, T., Wotschel, P. & Vogelsang, C. (2023). Rollenspielbasierte Simulationen als Übungs- und Prüfungsformate im Lehramtsstudium. Eine explorative Studie zu Erfahrungen und Einschätzungen aus Studierendensicht. die hochschullehre, Jahrgang 9/2023. (Link)

Tag der Lehre 2023 – „Teaching to the Test?“

Nachdenken über Prüfungen

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Bildnachweis: (c) Universität Paderborn

Am 23. Mai 2023 fand der 11. Tag der der Lehre an der Universität Paderborn nach längerer pandemiebedingter Unterbrechung wieder in Präsenz statt. Der Tag der Lehre bietet Lehrenden und Studierenden aller Fakultäten die Möglichkeit, über Fragen der Lehre an der Hochschule in den Austausch zu treten. Dabei werden innovative Lehr-Lern-Formate vorgestellt, sowie hochschuldidaktische Entwicklungen und Möglichkeiten zur Verbesserungen bestehender Lehre diskutiert. Dieses Jahr stand der Tag der Lehre unter dem Leitthema „Teaching to the Test?“ – Prüfungs- und Studienleistungen sinnvoll gestalten. Da dies genau unser Forschungsthema ist, war es naheliegend, dass auch wir als Nachwuchsforschungsgruppe unsere Arbeit vorstellen. Aber der Reihe nach ;).

Den Auftakt bildete eine spannende Online-Keynote von Prof. Dr. Doris Weßels von der Fachhochshule Kiel, die einen Überblick in die Funktionsweise und den aktuellen Stand der Technik von Large Language Models wie ChatGPT gab und wie diese auch schon in weiterer Software für den Bildungsbereich, insbesondere an Hochschulen, genutzt werden (z.B. als Assistenzsysteme zum Schreiben von Abschlussarbeiten). Dabei reflektierte sie auch, welche Veränderungen sich insbesondere für Prüfungen an der Hochschule ergeben können bzw. sollten. Diese Frage wurde in der anschließenden Podiumsdiskussion weiter vertieft (z.B. bis hin zu der Frage, ob der Umgang mit derartigen Assistenzsystemen nicht Gegenstand von Lehre und Prüfungen sein sollte).

Danach wurden in verschiedenen Formaten innovative Lehrprojekte der Universität Paderborn vorgestellt bzw. die Teilnehmenden konnten sich in Workshops weiterbilden. Bspw. stellten Isabel Elsner und Franziska Pilz im Themenforum ihr preisgekröntes kollaboratives Seminarkonzept für das Lehramtsstudium im Fach Geschichte vor, in dem Studierende aufbauend auf geschichtsdidaktischen Ansätzen unterrichtspraktische Vorschläge erarbeitet haben. Auf diese erhielten sie dann peer review-artiges Feedback durch ihre Kommiliton*innen. Im Themenforum stellte auch Christoph den Ansatz des simulationsbasierten Prüfens für das Lehramtsstudium vor. Wie im Call zu Veranstaltung gewünscht im Format eines TED Talks. Es waren daher viele Folien mit weißer Schrift auf schwarzem Hintergrund ;).

Bildnachweis: (c) Thomas Janzen

Im Disqspace am späten Nachmittag stellte Philipp einen unserer Performanztests noch einmal ausführlicher vor und die Teilnehmenden konnten ihn auch direkt selbst testen (Danke an unsere Schauspielerinnen Jasmin, Hannah und Elena!). Das haben erfreulicherweise auch einige Personen gewagt. Daraus ergaben sich interessante Gespräche, vor allem zur Übertragbarkeit des Konzepts in andere Studiengänge. Wir hoffen, dass wir einige Teilnehmende anregen konnten, evtl. selbst performanzorientierte Prüfungsverfahren zu entwickeln.

Insgesamt war es eine abwechslungsreiche und spannende Veranstaltung. Vielen Dank an das Team der Stabstelle Bildungsinnovation und Hochschuldidaktik für die gelungene Organisation (mit – wichtig! – ausreichend Kaffee und Snacks ;)).

Vorträge:

  • Elsner, I., & Pilz, F. (2023, 23. Mai). Geschichtsdidaktische Theorie-Praxis-Transfers am Beispiel des Medienwandels in historischer Perspektive. Vortrag auf dem 11. Tag der Lehre 2023. Universität Paderborn.
  • Vogelsang, C. (2023, 23. Mai). Assessment drives learning – Simulationsbasiertes Prüfen im Lehramtsstudium. Vortrag auf dem 11. Tag der Lehre 2023. Universität Paderborn.
  • Wotschel, P., Janzen, T., Vogelsang, C., & Meier, J. (2023, 23. Mai). Von Feedback bis Beratung – Prüfen handlungsnaher Kompetenzen im Lehramtsstudium in standardisierten Gesprächssimulationen. Beitrag im Disqspace „Innovative Lehrprojekte an der Universität Paderborn“ auf dem 11. Tag der Lehre 2023. Universität Paderborn.
  • Weßels, D. (2023, 23. Mai). Künstliche Intelligenz trifft auf Hochschullehre: Potenziale und Herausforderungen von ChatGPT &Co. für die Zukunft von Lehren und Lernen. Vortrag auf dem 11. Tag der Lehre 2023. Universität Paderborn.

Podcast: Fachgespräche Lehrerinnen- und Lehrerbildung – Nachtrag

Lehrerbildung und Fachdidaktik

Quellennachweis: Tübingen School of Education

In einem Blogbeitrag im November haben wir schon auf die Veranstaltungsreihe „Fachgespräche Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Forschung. Diskurs.Perspektiven“ hingewiesen, in der verschiedene Fragen und Herausforderungen der Lehrkräftebildung von eingeladenen Expert*innen diskutiert werden.

Zum Thema „Herausforderungen institutionalisierter Lehrkräftebildung“ war ich (Christoph) als Vertreter der next generation, also als Forscher, dessen akademische Karriere eher noch am Anfang steht, eingeladen einen kurzen Vortrag zu halten; nach Beiträgen von Prof. Dr. Michael Hemmer (Universität Münster, Didaktik der Geographie), critical friend ist Prof. Dr. Sabine Doff (Universität Bremen, Fremdsprachendidaktik Englisch).

Die Aufzeichnung zu diesem Abend ist schon länger auf dem YouTube-Kanal der „Tübingen School of Education“ erschienen und kann dort (allerdings ohne die nachfolgende Diskussionsrunde) gesehen und gehört werden (bei Beitrag beginnt bei Minute 56:12 ;)). Es war ein sehr gelungener Abend und ich möchte mich auch an dieser Stelle noch einmal bei den Organisator*innen und Michael Hemmer und Sabine Doff bedanken.

Es war ein höchst interessanter Austausch zur fachdidaktischen Sicht auf eine Frage bzgl. der Lehrkräftebildung (z.B. das Verhältnis von Theorie und Praxis). Generell wird der Status der Fachdidaktik als Wissenschaftsdisziplin und welche spezifischen Perspektiven sie zur Ausbildung von Lehrer*innen beiträgt bzw. beitragen soll immer mal wieder diskutiert (z.B. Rothland, 2022). Ich hoffe, dass unsere Vorträge hier zur Klärung etwas beitragen konnten.

Die gesamte Veranstaltungsreihe ist sehr empfehlenswert! Der Flyer zur zweiten Staffel ist weiterhin online hier zu finden.

Literatur:

  • Doff, S. (2022, 23. November). RESPONSE zu: Prof. Dr. M. Hemmer – Herausforderungen institutionalisierter Lehrkräftebildung aus Perspektive der Fachdidaktiken. Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Fachgespräche Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Forschung. Diskurs. Perspektiven“, Staffel 2. Virtuell/Tübingen.
  • Hemmer, M. (2022, 23. November). Herausforderungen institutionalisierter Lehrkräftebildung aus Perspektive der Fachdidaktiken. Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Fachgespräche Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Forschung. Diskurs. Perspektiven“, Staffel 2. Virtuell/Tübingen.
  • Rothland, M. (2022). „Theorie“ und „Praxis“ in der Lehrer:innenbildung: Auf der Suche nach fachspezifischen Verhältnisbestimmungen in den Fachdidaktiken. Zeitschrift für Bildungsforschung,
  • Vogelsang, C. (2022, 23. November). Herausforderungen institutionalisierter Lehrkräftebildung aus Perspektive der Fachdidaktiken. Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Fachgespräche Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Forschung. Diskurs. Perspektiven“, Staffel 2. Virtuell/Tübingen.