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Quereinstieg ins Lehramt im Licht der Bildungsforschung – 4/4

Aus einer Situation des Mangels folgt große Verantwortung

In einer Reihe von Artikel thematisieren wir in unserem Blog den Quer- oder Seiteneinstieg ins Lehramt aus der Perspektive der empirischen Bildungsforschung. Im ersten Teil wurden zuerst Statistiken zum Ausmaß von Lehrkräften, die ohne grundständiges Lehramtsstudium im Schulsystem tätig sind betrachtet, im zweiten Teil ein paar wenige Studienergebnisse zu Unterschieden in professionellen Kompetenzen von Quer- und Seiten*einsteigerinnen und Lehrkräften mit grundständigem Lehramtsstudium. Der dritte Teil betrachtete Gründe, weshalb Angebot- und Bedarf von Lehrkräften häufig nicht übereinstimmen. In diesem letzten Teil möchten wir noch einmal einen Blick auf ein zentrales Argument wider des Quer- und Seiteneinstiegs richten. Dabei möchten wir auch noch einmal resümieren, inwiefern auf Basis von Ergebnissen der empirischen Bildungsforschung Erkenntnisse gewonnen werden können, wie alternative Wege ins Lehramt besser unterstützt werden können.

Wie sollten Lehrkräfte ausgebildet werden?

Kritik am Quer- und Seiteneinstieg bezieht sich meist weniger auf seine Existenz an sich, auch wenn sich viele Akteur*innen aus der Lehramtsausbildung meist wünschten, die Absolvent*innen des grundständigen Lehramts würden den Bedarf ausreichend decken. Es geht eher um die Frage, ob Personen, die nicht die vollständige, grundständige Ausbildung durchlaufen haben, auch dieselben Qualifikationsstandards erfüllen. Hintergrund ist, dass in den letzten Jahrzehnten viele Anstregungen unternommen wurden, die Ausbildung von Lehrkräften stärker zu standardisieren und zu professionalisieren. Dies zeigt sich sehr deutlich darin, dass im Jahr 2004 durch die Kultusministerkonferenz die ersten Standards für die Lehrerbildung beschlossen wurden, die – bei all ihrer Unbestimmtheit im Detail und möglicher Schwierigkeiten (vgl. Terhart, 2007) – die Grundlage für alle lehrerbildenden Ausbildungswege in allen Bundesländern bilden (KMK, 2019). Diese Bemühungen um eine Professionalisierung betrifft auch die Ausbildung in den einzelnen Unterrichtsfächern. Dabei ist die Entwicklung an vielen universitären Standorten davon beeinflusst, dass eine professionsorientierte Ausbildung für den Lehrer*innenberuf „sui generis“ erfolgen soll. Also eine Ausbildung „eigener Art“, bei der angehende Lehrkräfte von Anfang an ein professionsorientiertes Studium absolvieren sollen und bewusst nicht zuerst ein reines Fachstudium mit anschließender pädagogischer Weiterqualifikation. Für das Fach Physik fordert bspw. die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) in sechs Thesen für ein modernes Lehramtsstudium im Fach Physik schon 2006: „Den angehenden jungen Lehrkräften muss eine optimale Ausbildung und optimales Werkzeug zur Erfüllung ihrer Aufgabe vermittelt werden. Die Praxis hat gezeigt, dass eine in erheblichem Umfang als „Anhängsel“ an einen Fachstudiengang Physik (Diplom oder Bachelor/Master in Physik) praktizierte Lehrerausbildung diesem Anspruch nicht gerecht wird. Daher muss folgerichtig das Studium für das Lehramt auf dem Gebiet der Physik ein eigens auf diese Anforderungen optimiertes Studium, das heißt ein Studium sui generis sein. Seine Bestandteile sind eine optimierte fachphysikalische und eine physikdidaktische Ausbildung.“ (DPG, 2006, S. 4)

Konterkariert ein Quer- bzw. Seiteneinstieg nicht die Professionalisierung von Lehrkräften?

Zu diesem Gedanken einer Lehramtsausbildung von Anfang an mit einem Studium eigener Art steht natürlich der Quer- und noch stärker durch den Seiteneinstieg zu einem gewissen Grad in Widerspruch. Auch, wenn einzelne Lehramtsstudiengänge formal noch keine direkte Festlegung auf den Beruf vorsehen, also in diesem Sinne polyvalent sind, sind sie aber dennoch häufig so gestaltet, dass ein früher Bezug zurProfession hergestellt wird. Dies kommt dabei auch der hohen Berufswahlsicherheit von Lehramtsstudierenden entgegen, die überwiegend auch von Anfang mit diesem Berufsziel studieren (Bauer et al., 2011). Diese Studienganggestaltung entspricht also tendenziell auch eher dem Wunsch der Zielgruppe. Aus einer anderen Perspektive kann auch folgendes Argument herangeführt werden: wenn die adäquate Bildung von jungen Menschen ein gesellschaftliche hohes und wichtiges Ziel ist, dann sollte sich dies auch in einer professionellen Qualifizierung derjenigen zeigen, die diese Menschen unterrichten. Häufig wird ein Vergleich zu anderen Professionen wie der Medizin getroffen. Dort würde ein Einsatz von Seiteneinsteiger*innen ohne grundständige z.B. im OP nicht so einfach gesellschaftlich akzeptiert werden, wie im Lehrer*innenberuf (auch wenn es dort ebenfalls einen Mangel gibt und mehr Quereinsteigende aus z.B. dem Ausland als gedacht) (vgl. Kommission für Grundschulforschung und Pädagogik der Primarstufe, 2017). Auch bei Juristen wird das Richteramt nicht einfach jemandem übertragen, der quer einsteigt. Auch wenn diese Vergleiche natürlich etwas hinken, haben sie meiner Meinung nach einen wahren Kern. Was bringen alle Bemühungen um eine Verbesserung der Lehramtsausbildung, wenn man sie grundsätzlich eigentlich nicht braucht. Gerade auch in Mangelfächern wie z.B. Physik wird es dann schon schwieriger zu argumentieren, warum man denn auf Lehramt studieren sollte, wenn die Einstellungschancen in den Beruf auch ohne diesen Weg genauso gut sind. Als ein Extrem gab es in der Vergangenheit durchaus die Möglichkeit, dass Lehramtsstudierende noch ohne fertigen Abschluss aus einem Bundesland in den Seiteneinstieg in einem andern Bundesland wechseln konnten (eine Praxis, die aber sehr selten vorkam und aktuell in keinem Bundesland möglich ist). Die Diskussion um den Quereinstieg wird auch deshalb teilweise emotional, weil sich hierin implizit eine geringe Wertung der Bemühungen des Lehramtsausbildungssystems zeigt.

Quereinstieg ja, aber wie?

Bildnachweis: © Gesellschaft für Fachdidaktik

Auf der anderen Seite wird aber auch von Akteur*innen der Lehramtsausbildung der Mangel an Lehrkräften natürlich gesehen und als Problem anerkannt. Insofern wird auch nicht unbedingt eine Abschaffung von alternativen Wegen in den Beruf gefordert, sondern eher ein Sicherstellung der ausreichenden, standardbasierten Professionalisierung der Quer- und Seiteneinsteigenden. So formuliert die Gesellschaft für Fachdidaktik (GFD): „Die Standards einer akademischen Profession sind nicht verhandelbar. Sie gelten daher für alle Professionalisierungswege.“ (GFD, 2018, S. 1) Diese Forderung wird dabei nicht nur von wissenschaftlichen Fachgesellschaften vertreten, sondern zum Teil auch von den Praktiker*innen in Schulen, die die Kolleg*innen mit alternativem Weg in den Beruf häufig begleiten. Bellenberg et al., (2020) führten Experteninterviews mit Schulleitungen und Ausbildungsbeauftragen an vier Schulen im Ruhrgebiet, die relativ viele Seiteneinsteiger*innen eingestellt haben. In den Antworten wird zum einen deutlich, dass die Qualifizierung der Seiteneinsteigenden vorwiegend durch eine Eins-zu-Eins-Betreuung von Fachkolleg*innen vor Ort erfolgt und dabei die Studienseminare, die zumindest die Quereinsteiger*innen ausbilden kaum beteiligt sind. Zudem berichten die Befragten von negativen Folgen für die grundständige Ausbildung: „‚desto mehr Seiteneinsteiger wir haben, desto weniger ja Kapazität und Zeit und Möglichkeiten haben dann ja auch die klassischen Referendare‘ (Sekundarschule 2, Abs. 94)“ (Bellenberg et al., 2020, S. 408). Betrachtet man rein formal die Qualifizierungsmaßnahmen für Quer- und Seiteneinsteigende, wird eine sehr große Unterschiedlichkeit deutlich (Driesner & Arndt, 2020), bei dem sich der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit nicht von der Hand weisen lässt. Sie konstatieren mit Blick auf die häufig fehlenden Regelungen zur Qualifizierung von Personen, die nicht die Voraussetzungen für einen Einstieg in den Vorbereitungsdienst mitbringen: „Damit wird eine der regulären Lehrkräftebildung gleichwertige Qualifizierung nicht ermöglicht, was vor dem Hintergrund der Diskussion um Standards und Qualität der Lehrkräftebildung und der Konsequenzen für die betreffenden Lehrkräfte, den Unterricht und letztlich für den Kompetenzerwerb der Schüler*innen bedenklich scheint.“ (Driesner & Arndt, 2020, S. 425)

Die Bildungsforschung hilft bisher nur wenig…

Inwiefern können Ergebnisse empirischer Bildungsforschung dazu beitragen, Herausforderungen des Lehrermangels und des Quereinstiegs zu bewältigen. Bisher muss man sagen: eher wenig. Es liegen einfach (noch) zu wenige Studien vor, die eindeutige Einschätzungen erlauben. Das betrifft zum einen den Fokus auf MINT-Lehrkräfte, aber auch die Tatsache, dass die Gruppe von Lehrkräften mit alternativem Berufszugang generell schwer zusammenzufassen ist. Auch wenn bspw. bisher kaum Unterschiede in den Kompetenzen zu grundständig ausgebildeten Lehrkräften festgestellt werden konnten (siehe den zweiten Beitrag der Reihe), fand ja meist trotzdem eine Qualifizierung statt, nur eben häufig auf einzelschulischer Ebene. Es stellt sich z.B. die Frage, ob bisher keine Unterschiede festgestellt werden, weil noch genügend professionalisierte Lehrkräfte im System sind, die evtl. „Lücken“ abfedern. Auf der anderen Seite ist der Druck der Unterrichtsversorgung sehr groß. Wichtig ist mir hierbei: das soll überhaupt keine negative Bewertung der vielen engagierten Lehrkräfte mit alternativem Weg ins Lehramt sein, die sich häufig sehr aktiv und motiviert ins Schulleben einbringen. Wie so oft, wird, wenn es um Bildungspolitik geht, um das System gestritten und nicht um das Individuum.

Ist alles so furchtbar?

Natürlich wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Der Beruf als Lehrkraft ist immer noch einer der schönsten Berufe der Welt und ich hoffe, dass sich viele Personen für ihn begeistern lassen. Egal ob im grundständigen oder im alternativen Zugang.

Bildnachweis: © Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen

Literatur

  • Bauer, J., Diercks, U., Retelsdorf, J., Kauper, T., Zimmermann, F., Köller, O., Möller, J., & Prenzel, M. (2011). Spannungsfeld Polyvalenz in der Lehrerbildung. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 14(4), 629-649. (Online)
  • Bellenberg, G., Bressler, C., Reintjes, C., & Rotter, C. (2020). Der Seiteneinstieg in den Lehrerberuf in Nordrhein-Westfalen: Perspektiven von Schulleitungen und Ausbildungsbeauftragten. DDS–Die Deutsche Schule, 112(4), 399-413. (Online)
  • DPG (2006). Thesen für ein modernes Lehramtsstudium im Fach Physik. Eine Studie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft e.V. (Online)
  • Driesner, I., & Arndt, M. (2020). Die Qualifizierung von Quer-und Seiteneinsteiger* innen: Konzepte und Lerngelegenheiten im bundesweiten Überblick. DDS–Die Deutsche Schule, 112(4), 414-427. (Online)
  • GFD (2018). Ergänzende Wege der Professionalisierung von Lehrkräften. Positionspapier der GFD zur Problematik des Quer- und Seiteneinstiegs. (Online)
  • KMK (2019). Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16.12.2004 i. d. F. vom 16.05.2019). (Online)
  • Kommission für Grundschulforschung und Pädagogik der Primarstufe (2017). Stellungnahme zur Einstellung von Personen ohne erforderliche Qualifikation als Lehrkräfte in Grundschulen (Seiten- und Quereinsteiger). (Online)
  • Terhart, E. (2007). Standards in der Lehrerbildung – eine Einführung. Unterrichtswissenschaft, 35(1), 2-14.

Quereinstieg ins Lehramt im Licht der Bildungsforschung – 3/4

„Lehrer kann doch jeder, man war schließlich lange genug in der Schule.
Da weiß man wie der Hase zu laufen hat!“

In einer kleinen Artikelreihe betrachten wir den Quer- oder Seiteneinstieg ins Lehramt aus der Perspektive der Ergebnisse und Diskussionen der Bildungsforschung. Anlass war ein kurzer Beitrag des Deutschlandfunks, anhand dessen zunächst das Ausmaß des Phänomens betrachtet wurde (siehe den ersten Teil der Reihe). Anschließend wurden Studienergebnisse herangezogen, in denen die professionellen Kompetenzen von Quer- und Seiten*einsteigerinnen und Lehrkräften mit grundständigem Lehramtsstudium sowie den Leistungen ihrer Schüler*innen verglichen wurden (siehe den zweiten Teil der Reihe). Insgesamt liegen sehr wenige empirische Daten vor und wenn, dann eher für MINT-Lehrkräfte. In der Tendenz können aber bisher nur wenige Unterschiede beobachtet werden. In diesem Beitrag gehen wir deshalb noch aus anderen Perspektiven der Frage nach, warum das Thema trotzdem immer wieder so kontrovers und emotional diskutiert wird. Hierzu kehren wir zunächst zurück zu den Thesen, die Raphaela Porsch in ihrem aktuellen Übersichtsbeitrag diskutiert (Porsch, 2021), für den ich auch hier noch einmal eine Leseempfehlung geben möchte.

These 3: Auf die Einstellung von Quer- und Seiteneinsteiger*innen kann
grundsätzlich in Deutschland nicht verzichtet werden.“
(Porsch, 2021, S. 214)

Diese These bezieht sich auf eine der Kernannahmen in Diskussionen zum Quereinstieg: Muss es eigentliche alternative Wege ins Lehramt geben? Reichen nicht die Lehramtsabsolvent*innen? Generell ist es ein empirisch gut beobachtetes Phänomen, dass die Einstellungszahlen von Lehrkräften in Zyklen verlaufen. Ist der Bedarf an Lehrkräften hoch, entscheiden sich mehr junge Menschen für eine Lehramtsausbildung. Da es allerdings zwischen fünf bis sieben Jahren dauert, bis Lehrkräfte vollständig ausgebildet sind, kommt es im Zeitverlauf immer wieder zu Über- oder Unterdeckung des Bedarfs. Sind alle Stellen besetzt, entscheiden sich weniger Personen für das Studium, und in ein paar Jahren fehlen dann wieder Lehrkräfte (insgesamt auch Schweinezyklus genannt). Neben diesen Zyklen gibt es aber weitere Effekte, die dazu beitragen, dass Lehrkräftebedarf und -angebot häufig auseinander driften, wie z.B. Studienabbruch im Lehramt oder eine Erhöhung der Teilzeitquote unter Lehrkräften.

Bildnachweis: © Waxmann Verlag

Betrachtet man die Absolvent*innen des Jahrgangs 2016 lässt sich bundesweit für Lehramtsstudiengänge eine Abbruchquote von ca. 15% feststellen, die im Vergleich mit anderen Studiengängen relativ niedrig ausfällt (Neugebauer, Heublein & Daniel, 2019). Auch hier muss allerdings differenziert werden, dass beträchtliche Unterschiede zwischen Studiengängen und Studienfächern bestehen. Güldener et al. (2020) untersuchten in einer Längsschnittstudie bei Lehramtsstudierenden in Mecklenburg-Vorpommern den „Schwund“ im Lehramtsstudium zwischendem Beginn Wintersemester 2012/2013 und dem Sommersemesters 2019. Dabei beobachten sie einen Unterschied zwischen verschiedenen Studiengängen und teilweise generell hohen Schwund: „Im Lehramt an Gymnasien sind die Kohorten nach zwei Semestern um etwa 30 Prozent geschrumpft , im Lehramt an Regionalen Schulen teilweise um bis zu 40 Prozent.“ (Güldener et al., 2020, S. 388) Dies ist für das Lehramt an Grundschulen und für sonderpädagogische Förderung deutlich anders bzw. es gibt weniger Schwund und mehr Absolvent*innen. Dies verdeutlich exemplarisch, dass meist kein genereller Lehrkräftemangel besteht, sondern meist ein Mangel für spezifische Schulformen und Fächer (siehe hierzu auch die Quoten für den Quer- und Seiteneinstieg im ersten Beitrag). Zusammen mit der Zunahme des Anteils von weiblichen Lehrkräften stieg auch historisch betrachtet der Anteil an Lehrkräften in Teilzeit: „Von den Lehrerinnen an den Grundschulen (die 90 Prozent der Kollegien stellen) arbeiteten in NRW im Jahr 2018/19 46 Prozent in Teilzeit, von den Realschullehrerinnen haben 47,6 Prozent Teilzeit beantragt, von den Gymnasiallehrerinnen 50 Prozent.“ (Zymek & Heinemann, 2020, S. 377). Hierfür gibt es meist nachvollziehbare Gründe, die hier auch nicht bewertet werden sollen. Es soll nur deutlich gemacht werden, dass auch dies ein Faktor ist, der dazu beiträgt, dass Angebot und Bedarf häufig nicht übereinstimmen. Blickt man historisch zurück (vgl. Zymek & Heinemann, 2020), so kann festgestellt werden, dass in der Tat ohne Quer- und Seiteneinstieg der Lehrkräftebedarf nicht vollständig gedeckt werden konnte bzw. kann.

Eine Diskussion des Mangels

Kontroversen zum Quer- und Seiteneinstieg finden also immer vor dem Hintergrund einer eigentlich nie ausreichenden Deckung von Angebot und Bedarf statt. Entsprechend stehen aber auch gerade Entscheider*innen im System Schule immer wieder unter dem Druck, die Unterrichtsversorgung sicherzustellen bzw. den Schweinezyklus zu verwalten. Dies umso mehr, da es eben keinen allgemeinen Mangel an Lehrkräften, sondern primär einen Mangel in bestimmten Schularten und Fächern gibt. Dies ist deutlich sichtbar an den unterschiedlichen Anteilen von Neueinstellungen über alternative Wege ins Lehramt für spezifische Fächer (KMK, 2021). Es prallen bei der Frage des Quer- und Seiteneinstiegs also immer wieder verschiedene Perspektiven, Ziele und Bedürfnisse aufeinander, je nachdem, welche Stimme sich jeweils zu Wort meldet.

Eigentlich sind sich auf Ebene der grundsätzlichen, abstrakten Wünsche alle am Bildungssystem Beteiligten einig, von Schüler*innen, Eltern, Schulleitungen, Lehrkräften, Bildungsadministrator*innen, Lehrerbildner*innen bis hin zu Bildungsforscher*innen (häufig hat man davon ja mehrer Rollen inne). Alle möchten insgesamt eine möglichst gute Schulbildung für Schüler*innen durchgeführt durch professionell qualifizierte und fähige Lehrkräfte. Auf der anderen Seite ist aber gerade in der Alltagsgestaltung eine zuverlässige Unterrichtsversorgung wichtig, bei der wenig Unterricht ausfällt. Und grundsätzlich ist die Annahme ja auch korrekt, dass Unterricht auf jeden Fall stattfinden muss, damit er überhaupt Lernwirkungen erzeugen kann. Herrscht Lehrkräftemangel sind diese beiden Ziele allerdings nicht hundertprozentig vereinbar.

Strittig ist also eher, wie mit der Situation umgegangen werden soll, bzw. welche möglichen Lösungen es für das Dilemma gibt und welche Vor- und Nachteile von Lösungen bestehen. Die Einstellung von Quer- und Seiteneinsteiger*innen ist eine solche Lösungsstrategie. Welche Ansichten und Argumente dabei vorgebracht werden, inwiefern Erkenntnisse der Bildungsforschung bei der Diskussion helfen können und welche Position auch ich aus Sicht von jemandem, der am Thema performanzorientierter Professionalisierung in der Lehramtsausbidung arbeitet, einnehme, wird Beitrag des nächsten und abschließenden Beitrags unserer Reihe zum Quereinstieg sein. Er findet sich hier.

Es lässt sich aber schon jetzt festhalten: An dieser Stelle verlässt man den Boden der Bildungsforschung im engeren Sinne und es geht mehr um die Aushandlung von Strategien, also eher Fragen der Bildungspolitik.

Literatur

  • Güldener, T., Schümann, N., Driesner, I. & Arndt, M. (2020). Schwund im Lehramtsstudium. Die Deutsche Schule, 112(4), 381–398. (Online)
  • KMK (2021). Einstellung von Lehrkräften 2020. (Online)
  • Neugebauer, M., Heublein, U., & Daniel, A. (2019). Studienabbruch in Deutschland: Ausmaß, Ursachen, Folgen, Präventionsmöglichkeiten. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 22(5), 1025-1046. (Online)
  • Porsch, R. (2021). Quer- und Seiteneinsteiger*innen im Lehrer*innenberuf – Thesen in der Debatte um die Einstellung nicht traditionell ausgebildeter Lehrkräfte. In C. Reintjes, T-S. Idel, Bellenberg, G., & Thönes, K. V. (Hrsg.). Schulpraktische Studien und Professionalisierung: Kohärenzambitionen und alternative Zugänge zum Lehrberuf (S. 207-228). Münster: Waxmann. (Online)
  • Zymek, B. & Heinemann, U. (2020). Konjunkturen des Lehrerarbeitsmarkts und der Beschäftigungschancen von Frauen vom 19.  Jahrhundert bis heute. Die Deutsche Schule, 112(4), 364–380. (Online)