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Täuschen, Schummeln und Betrügen an der Hochschule im Licht der Bildungsforschung 4/7 – Teil 1

Der Sache auf den Grund gehen…

Bildnachweis: (c) Wikipedia, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cheating.JPG, CC-BY-SA 3.0

Auch an Universitäten wird geschummelt! Nach einer etwas längeren Pause setzen wir daher hier im Blog heute unsere Artikelreihe zum Täuschen und Betrügen bei Prüfungen im Studium fort, also zu Aktivitäten, die auch als akademisches Fehlverhalten bezeichnet werden. In dieser Reihe werfen wir insbesondere einen Blick darauf, welche Ergebnisse empirischer Bildungsforschung vorliegen. Im ersten Beitrag ging es um verschieden Arten des akademischen Fehlverhaltens im Studium, im zweiten Beitrag um Methoden, dieses Verhalten auch empirisch zu erfassen (Wer gibt es schon gerne zu?) und im dritten Beitrag darum, wie verbreitet verschiedene Formen akademischen Fehlverhaltens eigentlich sind.

Warum täuschen Studierende denn nun?

Dieser Beitrag schaut genauer auf Gründe für Täuschungen bei Prüfungen im Studium. Es geht also um die Frage, welche Faktoren akademischen Fehlverhalten begünstigen bzw. mit welchen (Risiko-)Faktoren akademisches Fehlverhalten von Studierenden zusammenhängt. Mit der Beantwortung dieser Frage ist auch das Ziel verbunden, Ansatzpunkte für passende Maßnahmen zur Vermeidung von Fehlverhalten zu entwickeln und in Studiengänge zu implementieren. In der empirischen Bildungsforschung liegen hierzu Ergebnisse aus einer großen Menge unterschiedlicher Studien vor, die sich darin unterscheiden, welche Formen des akademischen Fehlverhaltens, welche Prüfungsformate und welche möglichen Einflussfaktoren betrachtet werden (Parnther, 2020; Awasthi, 2019; Moss et al., 2018). Viele dieser Studien wurden mit Bezug zu komplexen theoretischen Modellen geplant, durchgeführt und ausgewertet (z.B. Wert-Erwartungs-Theorie, vgl. Eccles & Wigfield, 2002; Theorie geplanten Verhaltens, vgl. Ajzen, 1991). Andere Studien haben Zusammenhänge eher explorativ untersucht (z.B. Gama et al., 2013). Dabei kamen jeweils auch unterschiedliche Methoden der (statistischen) Auswertung zum Einsatz. Der Erkenntnisstand zu (möglichen) Ursachen von bzw. Einflussfaktoren auf akademisches Fehlverhalten kann daher nicht umfassend in einem Blogbeitrag dargestellt werden (Was schon an der Länge der Literaturliste erkennbar ist 😉 ). Wir beschreiben ihn daher eher überblicksartig und geben an, wenn Ergebnisse aus internationalen Studien sich von Forschungen, die sich auf Studierende in Deutschland beziehen, unterscheiden (z.B. Kroher, 2020; Sattler & Diewald, 2013). Für eine angenehmere Lesbarkeit im Blog, haben wir den Beitrag zudem auf zwei Posts aufgeteilt.

Welche Faktoren haben einen Einfluss?

Wie oben erwähnt, betrachteten viele Untersuchungen unterschiedliche Aspekte, die sich zwischen einzelnen Studien mehr oder weniger stark unterscheiden (Parnther, 2020; Awasthi, 2019; Moss et al., 2018; Park, 2003). Häufig wurde auch eine Vielzahl solcher Faktoren gleichzeitig betrachtet, um abzuschätzen, welche Aspekte wesentliche Einflüsse auf akademisches Fehlverhalten haben und welche vielleicht eher vernachlässigbar sind (z.B. Kroher, 2020; Yu et al., 2017). Trotz dieser Unterschiede können diese Faktoren aber nach drei verschiedenen Merkmalskategorien unterschieden werden. Zwar ist die Zuordnung einzelner Faktoren nicht immer ganz trennscharf, sie ermöglichen es aber dennoch, eine gute Übersicht zu erstellen.

  1. Merkmale der Studierenden: Gemeint sind hiermit Faktoren, die sich auf die Studierenden als Individuum beziehen und unterschiedlich zwischen einzelnen Personen ausgeprägt sein können, wie z.B. das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit oder auch demografische Merkmale wie das Geschlecht.
  2. Merkmale der Institution: Hiermit sind Faktoren gemeint, die sich auf die jeweilige Hochschule, die Studienorganisation oder die konkrete Lernumgebung beziehen, in denen Prüfungssituationen eingebettet sind. Dies meint z.B. festgelegte Sanktionen für Fehlverhalten, die Workload im Studium oder auch die Inhalte von Lehrveranstaltungen.
  3. Merkmale des sozialen Umfelds: Dies bezeichnet Faktoren des weiteren sozialen Kontextes, in dem akademisches Fehlverhalten auftreten kann, wie z.B. ob Mitstudierende häufig täuschen oder ob eine große Konkurrenz zwischen Studierenden herrscht.

Im Folgenden beschreiben wir Zusammenhänge von akademischem Fehlverhalten und verschiedenen Faktoren entlang dieser drei Ebenen. Bei der Interpretation der Ergebnisse sollte beachtet werden, dass sie meistens mit Formaten des direct response erhoben wurden, die Studierenden also direkt befragt wurden (siehe hierzu unseren zweiten Beitrag). Darüber hinaus handelt es sich bei den meisten Untersuchungen um Querschnittsbefragungen, bei denen die Studierenden also zu einem festen Zeitpunkt befragt wurden. Diese Ergebnisse werden zwar meist dahingehend interpretiert, dass die gefundenen korrelativen Zusammenhänge auch Ursachen für Fehlverhalten beschreiben. Streng genommen liefern sie allerdings nur einen Hinweis auf mögliche Ursachen und können keine Kausalität begründen. Hierzu wären bspw. Längsschnittstudien notwendig (vgl. Reinders, 2006).

1. Merkmale der Studierenden

Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit: Ein wesentlicher Faktor, von dem sich in vielen Studien gezeigt hat, dass er mit akademischem Fehlverhalten unterschiedlicher Formen zusammenhängt, ist das Vertrauen Studierender in die eigene Leistungsfähigkeit (Parthner, 2020; Moss et al., 2018). Nehmen Studierende sich selbst als weniger leistungsstark bzw. „gut“ wahr, dann geben sie eher an, im Studium schon (ein- oder mehrmals) getäuscht zu haben. Dies zeigt sich in Studien z.B. in Zusammenhängen zwischen Fehlverhalten und der eingeschätzten eigenen Kompetenz oder Selbstwirksamkeit (Fatima et al., 2020; Sattler & Diewald, 2013; Kaldo & Reiska, 2012; Marsden et al., 2005; Whitley, 1998), der von Studierenden eingeschätzten Wahrscheinlichkeit eine Prüfung zu bestehen (z.B. Fatima et al., 2020), der Angst vor Nicht-Bestehen und damit verbundenen Konsequenzen für die eigene Zukunft (z.B. Fatima et al., 2020), subjektiv wenig wahrgenommenen Erfolgserlebnissen im Studium (z.B. Liebendörfer & Göller, 2016) oder darin, dass sie ihre eigene Vorbereitung auf Prüfungen als unzureichend empfinden (z.B. Yu et al., 2017). Bei diesem Einflussfaktor stellt sich auf Basis der bestehenden Studien allerdings generell die Frage: „Was war zuerst da? – Misserfolgserlebnisse oder ein geringes Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit (vgl. Liebendörfer & Göller, 2016)?“ Ein klassisches Henne-Ei-Problem also.

Fehlende Fähigkeiten und Kenntnisse: Der Zusammenhang zwischen akademischen Fehlverhalten und geringer Leistungsfähigkeit zeigt sich nicht nur in der subjektiven Wahrnehmung, sondern auch im Zusammenhang zu etwas „objektiveren“ Maßen von Leistungsfähigkeit wie dem Notenschnitt im Studium (z.B. McCabe et al., 2012; Straw, 2002; vgl. Foster, 2016). Dies gilt allerdings nicht unbedingt für Untersuchungen, die Studierende in Deutschland betrachtet haben (z.B. Kroher, 2020). Auch konnten einige Studien beobachten, dass akademisches Fehlverhalten (hauptsächlich beim Plagiieren) auch mit fehlenden Kenntnissen korrekten Verhaltens zusammenhängt (Perry, 2010; Park, 2003; vgl. Moss et al., 2018; vgl. Sattler & Diewald, 2013).

Weitere motivationale Merkmale: Neben dem Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit wurden auch Zusammenhänge zwischen der Häufigkeit akademischen Fehlverhaltens und weiteren motivationalen Merkmalen von Studierenden beobachtet. Studierende, die bzgl. ihres Studiums eher extrinsisch motiviert sind (z.B. durch die Aussicht auf eine externe Belohnung) tendieren eher dazu zu Täuschen, als Studierende, die eher intrinsisch motiviert sind (z.B. durch Interesse an ihrem Studienfach) (Sattler & Diewald, 2013; vgl. Davy et al., 2007; aber vgl. Nitsche et al., 2014;). Der Einfluss negativ ausgeprägter motivationaler Merkmale zeigt sich auch bei geringer Anstrengungsbereitschaft (Sattler & Diewald, 2013), bei geringer wahrgenommener eigener Konzentrationsfähigkeit (Sattler & Diewald, 2013) oder bei einer gering wahrgenommenen Kontrolle über eigenes Verhalten (Yu et al., 2018; Yu et al., 2017). Diese Merkmale werden auch häufig im Konzept der Prokrastination zusammengefasst untersucht, also einem generellen Aufschiebeverhalten im Studium. Ist dieses bei Studierenden (subjektiv) stärker ausgeprägt, berichten sie auch häufigeres akademisches Fehlverhalten in allen Formen (Patrzek et al., 2015; Sattler & Diewald, 2013). Da dieses Verhalten auch eher bei Studierenden auftritt, die ihr Studium mit einem starken Fokus auf sich selbst bestreiten (self-focused purpose, Yu et al., 2017), zeigen sich auch Zusammenhänge von Fehlverhalten und ausgeprägteren außercurricularen und Freizeitaktivitäten (Yu et al., 2017).

Einstellungen zu akademischem Fehlverhalten: Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor bezieht sich darauf, wie akademisches Fehlverhalten von Studierenden selbst bewertet wird. Studierende, die akademisches Fehlverhalten selbst moralisch stärker verurteilen bzw. negativ betrachten, geben weniger häufig solches Verhalten an, als Studierende, die Fehlverhalten eher akzeptieren oder positiver bewerten (Yu et al., 2017; Nitsche et al., 2014; Sattler et al., 2013; Sattler & Diewald, 2013; Whitley, 1998). Es zeigt sich auch ein Zusammenhang dazu, wie bedeutsam Studierende Ehrlichkeit als Wert für sich selbst einschätzen (Kroher, 2020). Dabei unterscheiden sich die Einstellungen und Normen Studierender durchaus auch zwischen verschiedenen Prüfungsformen (z.B. Nitsche et al., 2014; Sattler & Diewald, 2013). Bspw. wird von Studierenden in der Untersuchung von (Kroher, 2020) die Regeltreue bei Klausuren als subjektiv bedeutsamer eingeschätzt, als bei Hausarbeiten. Ebenfalls wird die moralische Norm, kein akademisches Fehlverhalten zu zeigen, von Studierenden in Beziehung zu weiteren Bedingungsfaktoren gesetzt. So wird bspw. akademisches Fehlverhalten als akzeptabler betrachtet, wenn bestimmte Umstände vorliegen (z.B. kranke Familienmitglieder, um die man sich kümmern muss) (Davy et al., 2007; Granitz & Loewy, 2007). Dabei kann es sich allerdings auch um eine nachträgliche Rationalisierung eigentlich als unethisch betrachteten Verhaltens handeln (Sykes & Matza, 1957). Zum Schutz des eigenen Selbstbildes als moralische Person, wird dabei das eigene Fehlverhalten mit schlechten externen Bedingungen auch vor sich selbst entschuldigt (Roig & Caso, 2005). Die eigentliche Ursache für akademisches Fehlverhalten kann aber eigentlich in anderen Faktoren liegen (vgl. Moss et al., 2018).

Erfahrungen mit Täuschungshandlungen: Ein ebenfalls sehr relevanter Einflussfaktor für die Häufigkeit bzw. Wahrscheinlichkeit für akademisches Fehlverhalten ist das Täuschungsverhalten während der Schulzeit vor dem Studium (Kroher, 2020). Studierende, die Fehlverhalten zuvor als erfolgreiches Mittel für das Erreichen von Zielen erlebt haben (z.B. durch Spicken eine Klausur zu bestehen), tendieren auch dazu, dieses Mittel im Studium häufiger anzuwenden (Davy et al., 2007; Whitley, 1998).

Demografische Faktoren: In verschiedenen Studien wurden auch Zusammenhänge von akademischem Fehlverhalten und verschiedenen demografischen Merkmalen der Studierenden untersucht. In internationalen Studien deuten sich z.B. Tendenzen an, dass männliche Studierende häufiger Fehlverhalten als weibliche Studierende berichten (z.B. Yu et al., 2017; Crown & Spiller, 1998; Whitley, 1998), was allerdings in Untersuchungen, die sich auf Studierende in Deutschland beziehen nicht eindeutig beobachtet wurde (Kroher, 2020; Sattler & Diewald, 2013). Ebenfalls geben jüngere Studierende bzw. Studienanfänger*innen häufigeres Fehlverhalten an als ältere Studierende (vgl. Kroher, 2020; Sattler & Diewald, 2013; Whitley, 1998; Newstead et al., 1996). Zudem werden Unterschiede im Fehlverhalten zwischen Studierenden verschiedener Fächer (Bertram et al., 2014; Nitsche et al., 2014; Sattler & Diewald, 2013) und verschiedener Kulturen (Ison, 2018; vgl. Awasthi, 2019) berichtet. Die politische oder religiöse Orientierung von Studierenden scheint hingegen nicht mit akademischem Fehlverhalten zusammenzuhängen, wobei diese Faktoren allerdings auch eher im anglo-amerikanischen Forschungsraum untersucht wurden (Yu et al., 2017; vgl. Davy et al., 2007). Wohl aber geben Studierende mit einem vorteilhafteren soziökonomischem Hintergrund bzw. in einer vergleichsweise guten finanziellen Situation tendenziell eher weniger akademisches Fehlverhalten an (Yu et al., 2017; vgl. Park, 2003).

Alle diese Merkmale hängen natürlich ebenfalls miteinander zusammenhängen (z.B. Prokrastinationsverhalten und Leistungsangst), so dass es schwierig ist, die Größe des Einflusses eines bestimmten Faktors einzuordnen (vgl. Park, 2003) bzw. zu identifizieren, welche Faktoren auf der individuellen Ebene die zentralen Ursachen sind.

War das schon alles?

Neben individuellen Merkmalen, liegen – wie oben schon beschrieben – auch Erkenntnisse zu Einflüssen der Institution und des sozialen Kontextes auf akademisches Fehlverhalten im Studium vor. Diese werden im zweiten Teil dieses Beitrags näher erläutert. Er wird an dieser Stelle verlinkt. Sobald er online ist.

Literatur:

  • Ajzen, I. (1991). The theory of planned behavior. Organizational behavior and human decision processes50(2), 179-211. (Online)
  • Ali, I., Sultan, P., & Aboelmaged, M. (2021). A bibliometric analysis of academic misconduct research in higher education: Current status and future research opportunities. Accountability in research, 1-22. (Online)
  • Awasthi, S. (2019). Plagiarism and academic misconduct: A systematic review. DESIDOC Journal of Library & Information Technology39(2). (Online)
  • Bertram Gallant, T., Binkin, N., & Donohue, M. (2015). Students at risk for being reported for cheating. Journal of Academic Ethics, 13(3), 217-228. (Online)
  • Crown, D. F., & Spiller, M. S. (1998). Learning from the literature on collegiate cheating: A review of empirical research. Journal of Business Ethics, 17(6), 683-700. (Online)
  • Davy, J. A., Kincaid, J. F., Smith, K. J., & Trawick, M. A. (2007). An examination of the role of attitudinal characteristics and motivation on the cheating behavior of business students. Ethics & Behavior17(3), 281-302. (Online)
  • Dubljević, V., Sattler, S., & Racine, E. (2014). Cognitive enhancement and academic misconduct: a study exploring their frequency and relationship. Ethics & Behavior24(5), 408-420. (Online)
  • Eccles, J. S., & Wigfield, A. (2002). Motivational beliefs, values, and goals. Annual review of psychology53(1), 109-132. (Online)
  • Fatima, A., Sunguh, K. K., Abbas, A., Mannan, A., & Hosseini, S. (2020). Impact of pressure, self-efficacy, and self-competency on students’ plagiarism in higher education. Accountability in Research27(1), 32-48. (Online)
  • Foster, G. (2016). Grading standards in higher education: Trends, Context, and Prognosis. . In T. Betrag (Ed.), Handbook of Academic Integrity (pp. 307-324). Springer. (Online)
  • Gama, P., Almeida, F., Seixas, A., Peixoto, P., & Esteves, D. (2013, October). Ethics and academic fraud among higher education engineering students in Portugal. In CISPEE (Ed.), 2013 1st International Conference of the Portuguese Society for Engineering Education (CISPEE) (pp. 1-7). IEEE. (Online)
  • Granitz, N., & Loewy, D. (2007). Applying ethical theories: Interpreting and responding to student plagiarism. Journal of business ethics, 72(3), 293-306. (Online)
  • Ison, D. C. (2018). An empirical analysis of differences in plagiarism among world cultures. Journal of Higher Education Policy and Management, 40(4), 291-304. (Online)
  • Kaldo, I., & Reiska, P. (2012). Estonian science and non-science students‘ attitudes towards mathematics at university level. Teaching Mathematics and Its Applications, 31(2), 95-105. (Online)
  • Kroher, M. (2020). Akademisches Fehlverhalten: Wie ehrlich berichten Studierende über Täuschungen?. In I. Krumpal, & R. Berger (Hrsg.), Devianz und Subkulturen – Theorien, Methoden und empirische Befunde (S. 207-240). Springer VS. (Online)
  • Liebendörfer, M., & Göller, R. (2016). Abschreiben – ein Problem in mathematischen Lehrveranstaltungen? In W. Paravicini & J. Schnieder (Hrsg.), Hanse-Kolloquium zur Hochschuldidaktik der Mathematik 2014 – Beiträge zum gleichnamigen Symposium am 7. & 8. November 2014 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (S. 119–141). WTM-Verlag.
  • Marsden, H., Carroll, M., & Neill, J. T. (2005). Who cheats at university? A self‐report study of dishonest academic behaviours in a sample of Australian university students. Australian Journal of Psychology, 57(1), 1-10. (Online)
  • McCabe, D. L., Butterfield, K. D., & Trevino, L. K. (2012). Cheating in college: Why students do it and what educators can do about it. JHU Press.
  • Moss, S. A., White, B., & Lee, J. (2018). A systematic review into the psychological causes and correlates of plagiarism. Ethics & Behavior28(4), 261-283. (Online)
  • Newstead, S. E., Franklyn-Stokes, A., & Armstead, P. (1996). Individual differences in student cheating. Journal of Educational Psychology, 88(2), 229. (Online)
  • Nitsche, I., Rittmann, A., & Döpke, J. (2014). „Wirtschaftsethik “praktisch: Wie oft schummeln Studierende an der Hochschule Merseburg?. In A. Frei, & G. Marx (Hrsg.), Fahrrad – Vesper – Finanzwirtschaft Untersuchungen zu Wirtschaft und Gesellschaft. Festschrift für Eckhard Freyer (S. 11-29). Hochschule Merseburg. (Online)
  • Park, C. (2003). In other (people’s) words: Plagiarism by university students–literature and lessons. Assessment & evaluation in higher education, 28(5), 471-488. (Online)
  • Parnther, C. (2020). Academic misconduct in higher education: A comprehensive review. Journal of Higher Education Policy And Leadership Studies, 1(1), 25-45. (Online)
  • Patrzek, J., Sattler, S., van Veen, F., Grunschel, C., & Fries, S. (2015). Investigating the effect of academic procrastination on the frequency and variety of academic misconduct: a panel study. Studies in Higher Education, 40(6), 1014-1029. (Online)
  • Perry, B. (2010). Exploring academic misconduct: Some insights into student behaviour. Active Learning in Higher Education, 11(2), 97-108. (Online)
  • Reinders, H. (2006). Kausalanalysen in der Längsschnittforschung. Das Crossed-Lagged-Panel Design. Diskurs Kindheits-und Jugendforschung, 1(4), 569-587. (Online)
  • Roig, M., & Caso, M. (2005). Lying and cheating: Fraudulent excuse making, cheating, and plagiarism. The Journal of Psychology, 139(6), 485-494. (Online)
  • Sattler, S., Graeff, P., & Willen, S. (2013). Explaining the decision to plagiarize: An empirical test of the interplay between rationality, norms, and opportunity. Deviant Behavior34(6), 444-463. (Online)
  • Sattler, S., & Diewald, M. (2013). FAIRUSE – Fehlverhalten und Betrug bei der Erbringung von Studienleistungen: Individuelle und organisatorisch-strukturelle Bedingungen – Schlussbericht zum Projekt. Universität Bielefeld. (Online)
  • Straw, D. (2002). The plagiarism of generation ‘why not?’. Community college week, 14(24), 4-7.
  • Sykes, G. M., & Matza, D. (1957). Techniques of neutralization: A theory of delinquency. American sociological review, 22(6), 664-670. (Online)
  • Teixeira, A. A., & Rocha, M. F. (2010). Cheating by economics and business undergraduate students: an exploratory international assessment. Higher Education, 59(6), 663-701. (Online)
  • Whitley, B. E. (1998). Factors associated with cheating among college students: A review. Research in higher education, 39(3), 235-274. (Online)
  • Yu, H., Glanzer, P. L., Sriram, R., Johnson, B. R., & Moore, B. (2017). What contributes to college students’ cheating? A study of individual factors. Ethics & Behavior27(5), 401-422. (Online)
  • Yu, H., Glanzer, P. L., Johnson, B. R., Sriram, R., & Moore, B. (2018). Why college students cheat: A conceptual model of five factors. The Review of Higher Education, 41(4), 549-576. (Online)

Täuschen, Schummeln und Betrügen an der Hochschule im Licht der Bildungsforschung – 3/7 – COVID-19 Ergänzung

Ehrlichkeit in der digitalen Welt

Einbettung von: Deutschlandfunk, Campus & Karriere, Sendung vom 01. Dezember 2021
Bildnachweis: © Deutschlandfunk

Eigentlich wäre der vierte Teil zu unserer Artikelserie zum Täuschen und Betrügen bei Prüfungen im Studium an der Reihe. Angeregt über einen kurzen Bericht des Deutschlandfunks in der Sendung Campus & Karriere vom 01. Dezember 2021 (siehe auch die Einbettung oben) möchten wir allerdings noch einen kleinen Nachtrag zum dritten Artikel liefern, in dem wir von Ergebnissen der empirischen Bildungsforschung zum Ausmaß von typischem Täuschungsverhalten berichtet haben. Durch die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie wurde auch an Hochschulen ein beträchtlicher Teil der Lehre und insbesondere auch von Prüfungen in virtueller Form durchgeführt (Sommer, 2020). Dabei stellen sich ein paar Fragen: Wie groß ist das Ausmaß von Täuschungen in digitalen Prüfungen? Ist es womöglich höher als bei klassischen Präsenzprüfungen, weil das „Schummeln“ technisch einfacher ist?

Eine Studie zur rechten Zeit…

Vor der Pandemie wurden diese Fragen erwartbarerweise kaum untersucht, da digitale Prüfungen ein eher untypischer Fall waren. Im November sind allerdings die Ergebnisse einer Untersuchung von Janke et al. (2021) veröffentlicht worden. Sie befragten hierzu N = 1608 Studierende unterschiedlicher Hochschulen und Studienfächer in Deutschland online, die im Sommersemester 2020 eine schriftliche Prüfung ablegen mussten. Davon hatten 82.5% ausschließlich Onlinekurse während des Semesters belegt. Die Studierenden wurden zum einen danach befragt, in welcher Form sie Prüfungen abgelegt haben (nur in Präsenz, nur digital, beides). Zudem sollten sie direkt auf einer siebenstufigen Skala zu einer Reihe von Täuschungshandlungen in Prüfungen, aber auch in Onlinekursen (bezeichent als academic dishonesty), angeben, wie häufig sie dieses in diesem Semester getan haben (von nie bis sehr oft).

Das Ausmaß der vier häufigsten Handlungen akademischer Unehrlichkeit in Kursen, die die Befragten im Sommestersemester 2020 mindestens einmal getätigt haben, waren in absteigender Reihenfolge (Janke et al., 2021, 5): Einloggen im Onlinekurs und nebenbei etwas Anderes tun (88.1%), Bearbeitung von Aufgaben mit Anderen, die als Einzelleistung gedacht waren (63.7%), Angabe von Quellen in Hausarbeiten, die man nicht gelesen hat (29.8%), Übernahme von Textteilen aus Onlinequellen ohne Quellenangabe (26.4%). Die Untersuchung enthält Ergebnisse zu weiteren Täuschungshandlungen, weshalb ich hier eine ausdrückliche Leseempfehlung abgeben möchte.

Digital vs. Analog?

Unterscheidet sich nun das Täuschungsverhalten in analogen und digitalen schriftlichen Prüfungen? In der Befragung können hierzu insbesondere zwei Items herangezogen werden, die sowohl für Präsenz-, als auch für Onlineprüfungen abgefragt wurden. Für eine bessere Vergleichbarkeit habe ich die Ergebnisse i.ön einer kleinen Tabelle dargestellt (Tab. 1).

TäuschungshandlungPräsenz-prüfungOnline-prüfung
Austausch von Lösungsideen für Aufgaben mit Anderen während der Prüfung.23.7%45.9%
Verwendung von unerlaubten Hilfsmitteln zur Lösung von Aufgaben.18.4%48.6%
Tab. 1 „Vergleich von Täschungshandlungen in Präsenz- und Onlineprüfungen (Janke et al., 2021, 5)

Es wird deutlich, dass das Ausmaß von Täuschungsverhalten in schriftlichen digitalen Prüfungen größer ausfällt als in Präsenzprüfungen. Zur Signifikanz des Unterschieds und möglicher Effektstärken, auch unter Kontrolle von Prüfungserfahrungen, sei an dieser Stelle noch einmal auf den Artikel verwiesen. Es lohnt sich etwas tiefer im Text zu schauen. Die Autor*innen fassen ihre Ergebnisse mit einem gewissen understatement folgendermaßen zusammen:

„Overall, our findings indicate that the sudden shifts from on-site to
online testing in German higher education institutions during the
COVID-19 pandemic in summer 2020 may have posed at least some
threat to academic integrity.“

(Janke et al., 2021, 6)

Dazu, inwiefern sich Lehramtsstudierende hierbei von Studierenden anderer Studiengänge unterscheiden, können wir auf Grundlage der Untersuchung keine Aussagen machen. Aber man kann ja nicht alles haben ;). Daher zuerst einmal vielen Dank an die Kolleg*innen aus Mannheim, Landau und Augsburg. Vielleicht kommen hierzu ja noch Analysen.

Literatur

  • Janke, S., Rudert, S. C., Petersen, Ä., Fritz, T., & Daumiller, M. (2021). Cheating in the wake of COVID-19: How dangerous is ad-hoc online testing for academic integrity?, Computers and Education Open, 2, 1-9. (Online)
  • Sommer, M. (2020). Eine respektable Notlösung. Ergebnisse einer Umfrage zum „Corona-Semester “. Forschung & Lehre, 20(8), 666. (Online)

Täuschen, Schummeln und Betrügen an der Hochschule im Licht der Bildungsforschung – 3/7

In einer Universität entwickeln sich die Talente

Wie überall sonst, wird auch an Universitäten nicht immer ehrlich gespielt bzw. studiert. In einer Artikelreihe beschäftigen wir uns daher hier im Blog etwas genauer mit dem Täuschen und Betrügen im Studium, häufig zusammengefasst auch unter dem Begriff akademisches Fehlverhalten. Uns interessiert dabei natürlich, welche Ergebnisse der empirischen Bildungsforschung hierzu vorliegen. Nachdem wir im ersten Beitrag zunächst betrachtet haben, welche Arten des akademischen Fehlverhaltens im Studium vorkommen können, haben wir im zweiten Beitrag ein paar Methoden vorgestellt, wie solches normverletzende Verhalten auch empirisch erhoben werden kann bzw. welche Schwierigkeiten dabei auftreten können.

Wie groß ist das Problem?

In diesem Beitrag soll es nun um die Frage gehen: Wie groß ist das Ausmaß akademischen Fehlverhaltens bei Studierenden? Welches kommt häufig vor, welches evtl. seltener? Und wie ist es bei Lehramtsstudierenden? Sie sind ja schließlich die Zielgruppe unserer Arbeit in der Nachwuchsforschungsgruppe. Sind sie vielleicht aufgrund ihrer Berufswahl sogar eher vorbildlich, weil sie über eine Art Prüfungsethos als angehende Lehrkräfte verfügen? Diese Fragen deuten es schon an. In diesem Beitrag werden wir etwas differenzierter auf Ergebnisse aus Studien blicken und dabei berücksichtigen, welche Arten des Fehlverhaltens untersucht wurden, welche Studierenden befragt wurden und auch mit welcher Erhebungsmethode.

Generell wird und wurde akademisches Fehlverhalten weltweit schon länger untersucht, wobei die Ergebnisse auch immer wieder in verschiedenen Reviews zusammengefasst wurden (z.B. Ali et al., 2021; Parthner, 2020; Park, 2010). Dabei wird ein mindestens einmaliges akademisches Fehlverhalten im Studium von durchschnittlich ca. 70% (z.B. Whitley, 1998) bis ca. 33% (z.B. Teixeira & Rocha, 2010) aller Studierenden berichtet. Dieser Unterschied ist auch darin begründet, dass sich das Ausmaß erwartbarerweise je nach Täuschungshandlung unterscheidet, wobei sich die meisten Studien auf das Plagiieren in Haus- bzw. Abschlussarbeiten beziehen.

Ein Blick in den eigenen Garten…

Generell ist es aber schwierig, Studien zu akademischem Fehlverhalten aus unterschiedlichen Ländern und Studienkontexten gut miteinander zu vergleichen (vgl. Ison, 2018). Daher blicken wir etwas genauer auf Ergebnisse aus dem deutschsprachigen Sprachraum, genauer Deutschland und der Schweiz. Viele Untersuchungen wurden von Kolleg*innen der ETH Zürich bzw. der Universität Leipzig durchgeführt, oft verbunden mit Methodenstudien (die wir im zweiten Beitrag dieser Reihe schon kurz kennengelernt haben).

Preisendörfer (2008) ließ N = 578 Studierende (hauptsächlich) der Soziologie in Interviews dichotom dazu befragen, ob sie ein bestimmtes Fehlverhalten im Studium schon einmal getan haben (ja oder nein) per RRT und per Direct-Response. Weil letztere Angaben meist höher lagen, nennen wir hier nur die Ergebnisse zum Anteil aus der direkten Befragung in absteigender Reihenfolge: Abschreiben lassen in Klausur (65,7%), selbst in Klausuren abgeschrieben (57,0%), Spickzettel in Klausur verwendet (21,7%), Teilplagiat in Hausarbeit (15,9%), Buch in der Bibliothek versteckt (5,4%), Komplettplagiat in Hausarbeit (1,4%), Seiten aus einem Buch in der Bibliothek gerissen (1,0%). Coutts et al. (2011) befragten Studierende aller Fächer und Studiengänge ebenfalls per RRT und direkt. In der direkten Befragung (N = 829) gaben 12,0% der Studierenden an, schon einmal in Haus- oder Abschlussarbeiten plagiiert zu haben, 19,4% bei anderen schriftlichen Arbeiten. In einer Teilstudie an drei weiteren Universitäten wurden N = 310 auch per Crosswise-Modell befragt, wobei sich ein Ausmaß von 22,3% Teilplagiat und 1,6% größerem Plagiat ergab (vgl. Jann et al., 2012; Sattler, 2008).

In der Studie von Jerke & Krumpal (2013) wurden (wieder) Soziologiestudierende per Triangularmodell (N = 281) und direkt (N = 101) befragt. Hierbei ergab sich ein Verhaltensausmaß von 18,0% Teilplagiat im TM-Modell (9,9% direkt) und 0,8% Vollplagiat im TM-Modell (0,0% direkt). Nitsche et al. (2014) befragten N = 312 Studierende verschiedener Studienbereiche per TM-Modell an der Hochschule Merseburg und erhielten folgende Ergebnisse: Abschreiben in Klausuren (29%), Verwendung von Spickzetteln (21%), Plagiieren (11%) und Informationsbeschaffung im Internet während Prüfungen (9%). Krohe (2020) berichtet Ergebnisse einer deutschlandweiten, direkten Onlinebefragung von N = 15440 Studierenden verschiedenster Studiengänge. Dabei ergab sich ein Ausmaß von: Abschreiben in Klausuren (27,3%), Nutzung von Spickzetteln (22,9%), Teilplagiat in Hausarbeiten (18,1%), Vollplagiat (4,3%) und Nutzung von Ghostwritern/Mehrfachnutzung der gleichen Arbeit (2,9%).

Die Ergebnisse der vorliegenden Studien variieren durchaus deutlich, es scheint aber schon eine tendenzielle Abstufung des Ausmaßes bestimmter Täuschungsarten zu existieren. Allerdings ermöglichen diese Arbeit es uns nicht, die Frage zu klären, ob das auch für Lehramtsstudierende gilt, oder ob sie sich von Studierenden anderer Studiengänge unterscheiden. Schließlich sollten sie im späteren Beruf in dieser Hinsicht für ihre Schüler*innen auch ein Vorbild sein.

Wie sieht es im Lehramt aus?

Genauere Einblicke ins Lehramt gibt aber eine der wichtigsten Studien zum akademischen Fehlverhalten in Deutschland: FAIRUSE „Fehlverhalten und Betrug bei derErbringung von Studienleistungen: Individuelle und organisatorisch-strukturelle Bedingungen“ (Sattler & Diewald, 2013). Sie hat nicht nur einen sehr umfangreichen Datensatz, sondern betrachtet auch einige Arten des Fehlverhaltens, die bisher noch nicht vorgekommen sind. Ihre unterschiedlichen Ergebnispublikationen (z.B. Patrzek et al., 2015) sind allesamt äußerst lesenswert.

Bildnachweis: © Universität Bielefeld

In der Studie wurden deutschlandweit Studierende an verschiedenen Hochschulen in einem Panel-Design insgesamt zu vier aufeinander folgenden Zeitpunkten gefragt. Die Ergebnisse zum Ausmaß von akademischem Fehlverhalten im Abschlussbericht beziehen sich auf N = 3486 Studierende, die auch beim zweiten Messzeitpunkt an der Befragung teilgenommen haben. Methodisch wurde mit dem Direct-Response-Ansatz gearbeitet, allerdings wurde im Unterschied zu den bisher genannten Arbeiten auf einer 10-stufigen Skala auch nach der Häufigkeit bestimmten Täuschungshandelns innerhalb der letzten sechs Monate gefragt (von noch nie bis mehr als 10-mal). Die Studierenden wurden dabei nur gefragt, wenn sie auch eine Prüfungsleistung erbringen mussten, auf die sich die jeweilige Täuschungshandlung bezieht.

Um nun das Ausmaß von akademischem Fehlverhalten von Lehramtsstudierenden im Vergleich abzuschätzen, habe ich in der folgenden Tabelle (Tab. 1) die Ausmaße aus dem Abschlussbericht von Studierenden, die in der Studie die Studienabschlüsse Lehramt und Lehramtsmaster angegeben haben, eingetragen und sie dem jeweiligen Gesamtdurchschnitt gegenüber gestellt (Sattler & Diewald, 2013, 20-23). Angegeben ist jeweils der prozentuale Anteil Studierender, die ein mindestens einmaliges Täuschungsverhalten genannt haben.

FehlverhaltenLehramtLehramt
Master
Gesamt
Plagiieren15,6%17,4%18%
Spickzettel benutzen20,0%24,8%17%
Spickzettel mitnehmen33,3%36,2%31%
Abschreiben in Klausuren22,2%39,4%37%
falsches Attest benutzen24,4%11,3%15%
Abschreiben von Arbeitsaufgaben20,0%35,8%35%
Daten fälschen/verändern24,2%12,4%24%
Tab. 1 „Ausmaß akademischen Fehlverhaltens im Lehramt in der FAIRUSE-Studie (Sattler & Diewald, 2013)“

An der Vermutung, dass Lehramtsstudierende sich im Sinne einer pädagogischen Verantwortung schon im Studium vorbildlicher bei Prüfungen verhalten, ist anscheinend nur wenig dran. Auch im Lehramt wird im ähnlichen Ausmaß getäuscht, teilweise sogar mehr. Hierbei muss man aber natürlich beachten, dass sich die Prüfungsformen und damit die möglichen Täuschungshandlungen auch in den studierten Fächern unterscheiden.

Und nun?

Im Studium wird in nennenswertem Umfang getäuscht und betrogen, trotz möglicher Sanktionen und relativ klarer Kommunikation des erwarteten akademischen Verhaltens. Warum sollten sich Studierende im Lehrbetrieb an der Universität auch anders verhalten als zuvor im Lehrbetrieb einer Schule? Festzuhalten ist allerdings auch, dass gute zwei Drittel sich so verhalten, wie es die Hochschulen von ihren Studierenden erwarten. Möchte man dieses Verhältnis hin zu einem größeren Anteil korrekten akademischen Verhaltens ändern, dann muss gefragt werden, was Studierende zum Täuschen bringt, bzw. welche Faktoren und Bedingungen es begünstigen. Diese Fragen werden im nächsten Beitrag dieser Artikelreihe betrachtet. Er wird wieder an dieser Stelle verlinkt, sobald er online ist.

Literatur

  • Ali, I., Sultan, P., & Aboelmaged, M. (2021). A bibliometric analysis of academic misconduct research in higher education: Current status and future research opportunities. Accountability in research, 1-22. (Online)
  • Coutts, E., Jann, B., Krumpal, I., & Näher, A. F. (2011). Plagiarism in student papers: prevalence estimates using special techniques for sensitive questions. Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 231(5-6), 749-760. (Online)
  • Ison, D. C. (2018). An empirical analysis of differences in plagiarism among world cultures. Journal of Higher Education Policy and Management, 40(4), 291-304. (Online)
  • Jann, B., Jerke, J., & Krumpal, I. (2012). Asking sensitive questions using the crosswise model: an experimental survey measuring plagiarism. Public opinion quarterly, 76(1), 32-49. (Online)
  • Jerke, J., & Krumpal, I. (2013). Plagiate in studentischen Arbeiten: eine empirische Untersuchung unter Anwendung des Triangular Modells. Methoden, Daten, Analysen (mda), 7(3), 347-368. (Online)
  • Kroher, M. (2020). Akademisches Fehlverhalten: Wie ehrlich berichten Studierende über Täuschungen?. In I. Krumpal, & R. Berger (Hrsg.), Devianz und Subkulturen – Theorien, Methoden und empirische Befunde (S. 207-240). Springer VS. (Online)
  • Nitsche, I., Rittmann, A., & Döpke, J. (2014). „Wirtschaftsethik “praktisch: Wie oft schummeln Studierende an der Hochschule Merseburg?. In A. Frei, & G. Marx (Hrsg.), Fahrrad – Vesper – Finanzwirtschaft Untersuchungen zu Wirtschaft und Gesellschaft. Festschrift für Eckhard Freyer (S. 11-29). Hochschule Merseburg. (Online)
  • Park, C. (2003). In other (people’s) words: Plagiarism by university students–literature and lessons. Assessment & evaluation in higher education, 28(5), 471-488. (Online)
  • Parnther, C. (2020). Academic misconduct in higher education: A comprehensive review. Journal of Higher Education Policy And Leadership Studies, 1(1), 25-45. (Online)
  • Patrzek, J., Sattler, S., van Veen, F., Grunschel, C., & Fries, S. (2015). Investigating the effect of academic procrastination on the frequency and variety of academic misconduct: a panel study. Studies in Higher Education, 40(6), 1014-1029. (Online)
  • Preisendörfer, P. (2008). Heikle Fragen in mündlichen Interviews: Ergebnisse einer Methodenstudie im studentischen Milieu. ETH Zurich SociologyWorking Paper, (6). (Online)
  • Sattler, S., & Diewald, M. (2013). FAIRUSE – Fehlverhalten und Betrug bei der Erbringung von Studienleistungen: Individuelle und organisatorisch-strukturelle Bedingungen – Schlussbericht zum Projekt. Universität Bielefeld. (Online)
  • Sattler, S. (2008). Plagiate in Hausarbeiten: Erfassung über Direct-Response und Validierung mit Hilfe der Randomized-Response-Technique. In K.-S. Rehberg (Hrsg.), Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006 (S. 5446-5461). Campus Verlag. (Online)
  • Teixeira, A. A., & Rocha, M. F. (2010). Cheating by economics and business undergraduate students: an exploratory international assessment. Higher Education, 59(6), 663-701. (Online)
  • Whitley, B. E. (1998). Factors associated with cheating among college students: A review. Research in higher education, 39(3), 235-274. (Online)

Täuschen, Schummeln und Betrügen an der Hochschule im Licht der Bildungsforschung – 2/7

„Everybody lies!“

Ausgehend von einem realen Fall von Notenhandel (siehe den ersten Beitrag dieser Reihe) betrachten wir in einer Beitragsreihe hier im Blog das Täuschen bzw. Betrügen im Studium etwas genauer. Zusammengefasst geht es um unterschiedlichste Formen akademischen Fehlverhaltens von Studierenden und Ergebnisse der Bildungsforschung zu diesem Problemfeld.

Bevor wir einen näheren Blick auf das Ausmaß akademischen Fehlverhaltens, für uns insbesondere im Lehramtsstudium, werfen, stellen wir uns aber zunächst die Frage: Wie bekommt man eigentlich heraus, wie verbreitet das Schummeln und Täuschen im Studium ist? Schließlich handelt es sich um ein Verhalten, das auch mit empfindlichen Folgen verbunden sein kann (z.B. Exmatrikulation), weshalb es selten direkt mitgeteilt wird und wenn eher hinter vorgehaltener Hand. Welche verschiedenen Methoden werden daher in er empirischen Bildungs- bzw. Sozialforschung angewandt, um akademisches Fehlverhalten zu erfassen?

Wer nicht fragt, der nicht gewinnt…

Der direkteste Weg wäre es, aufgedeckte Fälle akademischen Fehlverhaltens zu erfassen (vgl. Sattler, 2008), indem z.B. Verfahren in Prüfungsausschüssen oder Prüfungsübersichten ausgewertet werden. Dies funktioniert allerdings zum einen nur für genügend „schwere“ Fälle, also akademisches Fehlverhalten, dass auch tatsächlich in zählbaren Sanktionen resultiert (z.B. bei eindeutigen Plagiaten). „Kleinere“ Fälle finden selten Eingang in solche Verfahren. Zum anderen muss akademisches Fehlverhalten hierfür eben erst einmal bekannt sein bzw. aufgedeckt werden. Es ist aber nur plausibel anzunehmen, dass die meisten Fälle von Täuschungen (z.B. Abschreiben in Klausuren, Übernahme kleiner Textpassagen) selten auffallen. Das ist schließlich ein Faktor, warum es überhaupt vorkommt.

Um das Ausmaß akademischen Fehlverhaltens im Studium genauer abschätzen zu können, wird man daher um eine Befragung von Studierenden kaum herumkommen. Die einfachste Art ist dabei eine Befragung im Direct-Reponse-Verfahren (vgl. Sattler, 2008). Studierende würden hierbei einfach direkt danach gefragt, ob sie z.B. im Verlauf ihres Studiums ein bestimmtes akademisches Fehlverhalten gezeigt haben (z.B. schon mal einen Übungszettel abgeschrieben haben). Dies wäre eine retrospektive Befragung bzgl. des Verhaltens in der Vergangenheit. In einem anderen Ansatz fragt man nach möglichem Verhalten in der Zukunft, also der Bereitschaft von Studierenden evtl. ein bestimmtes Täuschungsverhalten zu zeigen. Beide Befragungsansätze lassen sich dabei sehr differenziert ausformulieren (z.B. „Wie sehr wären sie bereit, innerhalb des nächsten halben Jahres wortwörtliche Übernahmen in einer Hausarbeit nicht zu kennzeichnen, um eine potentiell bessere Note zu erhalten?“) und methodisch unterschiedlich durchführen (z.B. als Fragebogen, als Interview). Ein anderer Ansatz ist es, die Befragten in die Position eines fiktiven Studierenden zu versetzten und ihre Verhaltensbereitschaft an dessen Stelle zu erfragen. Wie bei allen Befragungen hängen die Antworten natürlich auch bei diesem Themengebiet davon ab, wie man genau fragt.

Generell hat das Direct-Response-Verfahren aber den Nachteil, dass Personen bei Befragungen zu heiklen Verhaltensweisen, bei denen alle Beteiligten wissen, dass man gegen eine soziale (und rechtliche) Norm verstößt, dazu neigen, nicht ehrlich zu antworten (z.B. aufgrund sozialer Erwünschtheit, Schutz des eigenen Selbstbildes, um Interviewer*innen zu gefallen etc.) (vgl. Stocké, 2004). Bei einer direkten Befragung erwartet man daher, dass man das Ausmaß akademischen Fehlverhaltens eher unterschätzt. Um das etwas zu umgehen, könnten Studierende auch indirekt befragt werden, in dem Sinne, dass sie angeben sollen, ob sie akademisches Fehlverhalten in ihrem Umfeld bei anderen schon beobachtet haben. Dies würde keine Aussage über die eigene Person erfordern. Allerdings hat man hier das Problem, dass zum einen nicht genau das Verhalten einer oder eines Studierenden erfragt wird (z.B. könnten zwei Personen die gleiche Kommilitonin kennen, die plagiiert). Zum anderen kann man vermuten, das viel akademisches Fehlverhalten auch innerhalb der Studierendenschaft unerkannt bleibt, oder man unbewusst dazu neigt, Mitstudierende zu schützen. Daher ist auch hier eher eine Unterschätzung von akademischem Fehlverhalten erwartbar.

Anonymität durch Zufall?

Um die Wahrscheinlichkeit ehrlicher Antworten zu erhöhen, werden verschiedene Befragungsmethoden vorgeschlagen, die meist versuchen, für die Befragten höhere, individuelle Anonymität herzustellen. Bspw. werden bei der Randomised-Response-Technique Fragen zu einem heiklen Verhalten (hier z.B. Schummeln in Klausuren) mit einer Zufallsmechanik mit bekannten Ergebniswahrscheinlichkeiten verbunden (z.B. einem Münzwurf) (Blair et al., 2015). Die Befragten erhalten dabei die Anweisung, bei einem bestimmten Ausgang der Zufallsmechanik die heikle Frage zu beantworten und bei einem anderen Ausgang den Zufallswurf zu wiederholen und das Ergebnis dieses Wurfs einzutragen. Die Idee dahinter ist, dass dadurch, dass nur die befragte Person den Ausgang der Zufallswürfe kennt, Antworten nicht mehr direkt als Schuldeingeständnis einer Person interpretiert werden können. Aufgrund der bekannten Wahrscheinlichkeitsverteilung kann aber der Anteil der „wahren“ Antworten mittels bedingter Wahrscheinlichkeiten berechnet werden. In empirischen Studien hat sich allerdings bisher eher nicht bestätigt, dass mittels dieses Verfahrens ehrlichere Angaben erzeugt werden und Fehlverhaltensraten erweisen sich oft sogar als niedriger (Coutts et al., 2011; vgl. Sattler, 2008). Als Gründe werden z.B. vermutet, dass durch die Komplexität des Verfahrens sogar weniger Vertrauen in die Anonymität der Befragung erzeugt wird (Höglinger et al., 2016). Krumphal & Voss (2020) argumentieren, dass auch theoretisch bei diesem Befragungsansatz Verzerrungen durch unehrliches Antwortverhalten erwartet werden können.

Bildnachweis: © Springer VS

Als weitere Alternativen zu diesem eher komplexen Verfahren wurden das Crosswise-Modell und das Triangular-Modell (Yu et al., 2008) vorgeschlagen. Die Idee hinter diesen Befragungsansätzen besteht darin, eine heikle Frage (z.B. „Haben Sie schon einmal plagiiert?“) mit einer nicht-heiklen Frage zu kombinieren, die nur zwei Antworten zulässt, deren Wahrscheinlichkeit man aufgrund statistischer Vorkenntnisse als bekannt voraussetzen kann (z.B. „Sind sie im Januar, Februar oder März geboren?“). Beim Crosswise-Modell müssen die Befragten beide Fragen kombiniert beantworten: würden sie beide Fragen gleich beantworten, sollen sie bspw. Antwortoption 1 wählen, beantworten sie beide unterschiedlich, Antwortoption 2. Keine der Fragen soll einzeln beantwortet werden, daher wird angenommen, dass die kombinierte Frage per se nicht mehr heikel ist. Aus der Antwortverteilung kann anschließend wieder eine Schätzung der Verteilung des „wahren“ Werts des heiklen Verhaltens berechnet werden. Das Crosswise-Modell erreicht in empirischen Untersuchungen häufig, aber nicht immer höhere Ausmaße von Fehlverhalten als direkte Befragungen (z.B. Jann et al, 2012). Beim Triangular-Modell werden wie zuvor zwei Fragen (heikel und nicht-heikel) kombiniert. Hier ist die Ausfüllanweisung allerdings anders: Würde eine Person beide Fragen verneinen, dann soll bspw. Antwortoption 1 gewählt werden. Würde sie mindestens eine der beiden Frage bejahen, soll die andere Option gewählt werden. Vom Ansatz her also ähnlich, es unterscheidet sich neben den Antwortanweisungen auch in der Art und Weise, wie der „wahre“ Wert der heiklen Frage geschätzt wird. Vergleichende Untersuchungen deuten daraufhin, dass auch das Triangular-Modell ehrlicheres Antwortverhalten als eine direkte Befragung erzeugen kann, aber nicht unbedingt mehr als das Crosswise-Modell (Jerke & Krumphal, 2013; vgl. Coutts et al., 2011). Auf der anderen Seite ist auch dieses Verfahren komplexer als eine direkte Befragung und setzt nicht-heikle Fragen voraus, deren Antwortverteilung innerhalb der befragten Gruppe bekannt ist und die im Befragungsverlauf nicht stärker irritierten. Bei allen angeführten Verfahren muss zudem die Zahl befragter Personen hinreichend groß sein, um nach dem Gesetz der großen Zahl genügend sichere Schätzungen vornehmen zu können.

Und nun?

Was lässt sich aus dieser Übersicht an Befragungsansätzen nun schließen? Zum einen, dass es schwierig ist, das Ausmaß akademischen Fehlverhaltens im Studium zu erfassen. Zum anderen müssen je nach Befragungsansatz die Ergebnisse von Untersuchungen etwas anders interpretiert werden, was natürlich die Vergleichbarkeit erschwert. Das möchten wir aber im folgenden Beitrag tun, in dem wir von Ergebnissen empirischer Untersuchungen zum akademischen Fehlverhalten von Studierenden berichten. Dabei möchten wir – unserem Forschungsinteresse folgend – den Fokus insbesondere auf Lehramtsstudierende legen. Der Beitrag findet sich hier.

Literatur

  • Blair, G., Imai, K., & Zhou, Y. Y. (2015). Design and analysis of the randomized response technique. Journal of the American Statistical Association, 110(511), 1304-1319.
  • Coutts, E., Jann, B., Krumpal, I., & Näher, A. F. (2011). Plagiarism in student papers: prevalence estimates using special techniques for sensitive questions. Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 231(5-6), 749-760.
  • Höglinger, M., Jann, B., & Diekmann, A. (2016). Sensitive Questions in Online Surveys: An Experimental Evaluation of Different Implementations of the Randomized Response Technique and the Crosswise Model. Survey Research Methods, 10(3), 171-187.
  • Jann, B., Jerke, J., & Krumpal, I. (2012). Asking sensitive questions using the crosswise model: an experimental survey measuring plagiarism. Public opinion quarterly, 76(1), 32-49.
  • Jerke, J., & Krumpal, I. (2013). Plagiate in studentischen Arbeiten: eine empirische Untersuchung unter Anwendung des Triangular Modells. Methoden, Daten, Analysen (mda), 7(3), 347-368.
  • Sattler, S. (2008). Plagiate in Hausarbeiten: Erfassung über Direct-Response und Validierung mit Hilfe der Randomized-Response-Technique. In K.-S. Rehberg (Hrsg.), Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006 (S. 5446-5461). Campus Verlag.
  • Stocké, V. (2004). Entstehungsbedingungen von Antwortverzerrungen durch soziale Erwünschtheit. Ein Vergleich der Prognosen der Rational-Choice Theorie und des Modells der Frame-Selektion. Zeitschrift für Soziologie, 33(4), 303-320.
  • Yu, J. W., Tian, G. L., & Tang, M. L. (2008). Two new models for survey sampling with sensitive characteristic: design and analysis. Metrika, 67(3), 251-263.

Täuschen, Schummeln und Betrügen an der Hochschule im Licht der Bildungsforschung – 1/7

Titel, Thesen, Temperamente

Bildnachweis: © Universität Duisburg-Essen

Anfang Oktober 2021 sorgte ein besonders plakativer Fall von Prüfungsbetrug bzw. Notenhandel an der Universität Duisburg-Essen für Schlagzeilen in der Medienlandschaft, aber auch für interessante Diskussionen innerhalb der akademischen Welt. Eine Mitarbeiterin des zentralen Prüfungsamtes soll gegen die Annahme von Geld die Noten von Studierenden in der zentralen Prüfungsdatenbank verändert haben, natürlich zum besseren. Der Spiegel berichtet vom „Markt der Möglichkeiten“ (Olbrisch, 2021) und listet Beispielpreise auf (z.B. 50 Euro für eine Erhöhung der Notenstufe). Möglich war dies alles, weil die Mitarbeiterin an der richtigen Stelle im System zuständig war: bei der Eingabe der Noten in die zentrale Datenbank, die von den Fakultäten an das Prüfungsamt übermittelt wurden. Manipulationen an dieser Stelle fallen von sich aus kaum auf und so ist es nicht verwunderlich, dass die Untersuchung erst auf einen anonymen Hinweis hin begonnen werden konnte.

Dieser Fall ist ein zugegebenermaßen drastisches Beispiel dafür, dass auch an Hochschulen, die aufgrund ihres wissenschaftlichen Selbstanspruchs auch öffentlich oft als Orte hoher Integrität und Redlichkeit betrachtet werden bzw. werden wollen, Betrug und Täuschungen vorkommen. Dies gilt insbesondere für Prüfungen. Von einem erfolgreichen Bestehen von Prüfungen im Studium hängt für Studierende schließlich viel ab: von der Möglichkeit ein Studium überhaupt beenden zu können bis hin zu besseren Einstellungschancen im Berufsleben. Der berichtete Fall an der Universität Duisburg Essen hat daher auch unangenehme Folgen für Studierende, die ihren Studienabschluss womöglich unrechtmäßig „erkauft“ haben und sich mit ihren Zeugnissen vielleicht schon erfolgreich beworben haben. Wichtig: Der Fall hätte sich auch an anderen Hochschulen ereignen können bzw. solche Fälle kommen weltweit immer wieder vor. Es ist also kein Problem, dass nur einzelne Universitäten betrifft. Uns liegt es fern, unseren Kolleg*innen in Duisburg bzw. Essen Vorwürfe zu machen.

Wir als Forschungsgruppe, die sich mit Prüfungen beschäftigt, haben den Fall in der Kaffeepause auch schon rege diskutiert: „Wie oft kommt so etwas vor? Was bringt Studierende darauf solch einen Handeln einzugehen?“ In einer Beitragsreihe in unserem Blog möchten wir diesen Fragen etwas genauer nachgehen und dabei insbesondere Ergebnissen der Bildungsforschung darstellen.

Worum geht es überhaupt?

Generell werden Täuschungen und Betrug bei Prüfungen in der internationalen Forschung häufig unter den Begriffen academic misconduct, academic malpractice oder academic dishonesty zusammengefasst (z.B. Krou et al., 2021; Ali et al., 2021; Awasthi, 2019), im Deutschen häufig als akademisches Fehlverhalten übersetzt (z.B. Kroher, 2020). Im Glossary for Academic Integrity definieren Tauginienė et al. (2018) academic misconduct als:

„Any action or attempted action that undermines academic integrity and may result in an unfair academic advantage or disadvantage for any member of the academic community or wider society.“

(Tauginiené et al., 2018, S. 8)

Akademisches Fehlverhalten bezieht sich also auf Handlungen, die gegen eine Norm des integren Verhaltens in der akademischen Gemeinschaft verstoßen, verbunden mit dem Ziel, sich unfaire Vorteile gegenüber anderen zu verschaffen. Diese Definition ist sehr breit und hat Ähnlichkeiten zu weiteren Begriffen (z.B. academic fraud). Die Handlungen müssen dabei nicht erfolgreich sein, um als Fehlverhalten zu gelten. Neben Fehlverhalten als Wissenschaftler*in (wobei hier der Begriff scientific misconduct präziser ist; Gross, 2016) kann dies auch Fehlverhalten im Studium bezeichnen, also z.B. Versuche, sich bei Prüfungen mit unfairen Mitteln Vorteile gegenüber Mitstudierenden zu erlangen. Da es um Normen der Institution Hochschule geht, lässt sich nur schwer vollständig angeben, welche denkbaren Handlungen alle unter solches Fehlverhalten fallen. Häufig werden sie beschrieben in Dokumenten, die von Universitäten selbst herausgegeben werden, um die akademische Norm zu kommunizieren. Die ehrwürdige University of California in Berkeley nennt Fehlverhalten in folgenden Kategorien (UC, 2021):

  • Cheating (z.B. Abschreiben in Klausuren, Prüfungen für jemand anderen ablegen)
  • Plagiarism (z.B. Kopieren von Passagen anderer Werke in Hausarbeiten)
  • Course Materials (z.B. Verstecken von Büchern in der Bibliothek vor Mitstudierenden)
  • False Information and Representation, Fabrication or Alteration of Information (z.B. Fälschen von Attesten)
  • Theft or Damage of Intellectual Property (z.B. Zerstören von Arbeitsergebnissen Mitstudierender)
  • Alteration of University Documents (z.B. Fälschen von Zeugnissen bei Bewerbungen)
  • Disturbances in the Classroom (z.B. fälschlicherweises Aktivieren des Feueralarms)

Die FAIRUSE-Studie, die an der Universität Bielefeld durchgeführt wurde und in dieser Artikelreihe noch häufiger auftauchen wird, untersuchte bspw. folgende Arten akademischen Fehlverhaltens (Sattler & Diewald, 2013, S. 18):

  • Plagiieren
  • unerlaubte Hilfsmittel in Klausuren verwenden
  • unerlaubte Hilfsmittel in Klausuren mitnehmen
  • Abschreiben in Klausuren
  • Attest und Ausreden zur Verschiebung von Prüfungen oder Abgabefristen
  • Abschreiben von Arbeitsaufgaben (z.B. Protokolle, Übungszettel)
  • Daten fälschen/verändern

Der oben beschriebene Fall an der Universität Duisburg-Essen würde in diesem Sinne eher nicht als akademisches Fehlverhalten bezeichnet bzw. wird in der Forschung eher unter einem anderen Stichwort betrachtet. Es ist ein Beispiel für academic corruption. Dabei wird eine Position der Autorität bzw. mit einer bestimmten Macht oder Kompetenz ausgenutzt, um persönliche – meist finanzielle – Vorteile zu erlangen (vgl. Rumyantseva, 2005).

In dieser Reihe möchten wir genauer beleuchten, wie groß das Ausmaß akademischen Fehlverhaltens von Studierenden – insbesondere im Lehramtsstudium – eigentlich ist. Zunächst sollte aber der Frage nachgegangen werden, wie man das überhaupt feststellen kann. Schließlich handelt es sich um Handlungen, die die wenigsten Menschen bereitwillig zugeben. Im nächsten Beitrag werden daher Ansätze beschrieben, wie in der Bildungsforschung akademisches Fehlverhalten erfasst werden kann. Er befindet sich hier.

Literatur

  • Ali, I., Sultan, P., & Aboelmaged, M. (2021). A bibliometric analysis of academic misconduct research in higher education: Current status and future research opportunities. Accountability in research, 28(6), 372-393. (Online)
  • Awasthi, S. (2019). Plagiarism and Academic Misconduct: A Systematic Review. DESIDOC Journal of Library & Information Technology39(2), 94-100. (Online)
  • Gross, C. (2016). Scientific misconduct. Annual Review of Psychology67, 693-711. (Online)
  • Kroher, M. (2020). Akademisches Fehlverhalten: Wie ehrlich berichten Studierende über Täuschungen?. In I. Krumpal, & R. Berger (Hrsg.), Devianz und Subkulturen – Theorien, Methoden und empirische Befunde (S. 207-240). Springer VS. (Online)
  • Krou, M. R., Fong, C. J., & Hoff, M. A. (2021). Achievement motivation and academic dishonesty: A meta-analytic investigation. 33, 427–458. (Online)
  • Olbrisch, M. (2021, 06. Oktober). Notenmanipulation an der Uni Duisburg-Essen – Markt der Möglichkeiten. spiegel.de (Online)
  • Rumyantseva, N. L. (2005). Taxonomy of corruption in higher education. Peabody Journal of Education80(1), 81-92. (Online)
  • Sattler, S., & Diewald, M. (2013). FAIRUSE – Fehlverhalten und Betrug bei der Erbringung von Studienleistungen: Individuelle und organisatorisch-strukturelle Bedingungen – Schlussbericht zum Projekt. Universität Bielefeld. (Online)
  • Stiles, B. L., Wong, N. C. W., & LaBeff, E. E. (2018). College cheating thirty years later: The role of academic entitlement. Deviant Behavior39(7), 823-834. (Online)
  • Tauginienė, L., I. Gaižauskaitė, I. Glendinning, J. Kravjar, M. Ojsteršek, L. Ribeiro, T. Odiņeca, F. Marino, M. Cosentino, & S. Sivasubramaniam (2018). Glossary for Academic Integrity – ENAI Report 3G. European Network for Academic Integrity. (Online)
  • University of California (Hrsg.) (2021, 04. November). Definitions & Examples of Academic Misconduct. University of California, Division of Student Affairs. (Online)