…Was passiert eigentlich in Elternsprechtagsgesprächen?
Menschen gleichen sich in mehr Eigenschaften als sie sich in diesen unterscheiden. In vielerlei Hinsicht bezieht sich das auch auf die Erfahrungen, die Personen im Zuge des Erwachsenwerdens und in ihrem späteren Alltags- und Berufsleben machen. Ein Phänomen, das all jene Personen in diesen unterschiedlichen Phasen verbinden (und trennen) kann, ist der Elternsprechtag.
Für die erste Arbeitsphase zur Entwicklung von fachübergreifende Beratungsgespräche müssen berufstypische Beratungssituationen identifiziert werden. Dabei tritt insbesondere der Elternsprechtag als ein institutionalisiertes und bemerkenswertes Beratungsereignis hervor:
Die Zusammenkunft von Eltern, Lehrkräften und zum Teil Schülerinnen und Schülern an Elternsprechtagen ist ein regelmäßiges Ereignis im Schulalltag, das etwa in der Mitte eines jeden Schulhalbjahres stattfindet und ungefähr zehn Minuten Raum gibt, um über die Leistungen und Verhaltensweisen der jeweiligen Kinder und Jugendlichen zu beraten. Obwohl der Erwerb von Beratungskompetenzen in der Lehramtsausbildung curricular verankert ist, scheinen sich insbesondere angehende Lehrkräfte wenig auf solche Beratungsereignisse (hierzu zählen auch Elterngespräche, Lernentwicklungsgespräche oder Elternabende) vorbereitet zu fühlen. In der Ratgeberliteratur finden sich etliche Hinweise auf Planungs- und Vorbereitungsmöglichkeiten sowie den Umgang mit „heiklen“ Situationen, welche jedoch vornehmlich auf individuellen Erfahrungswerten und sekundärem Expertenwissen basieren. Auf der Seite der Forschung wurden Elternsprechtage als institutionelle und strukturelle Ereignisse mit eingebetteten Kommunikations- und Handlungsräumen umfassend untersucht, während sich aber auch hier nur wenige Untersuchungen identifizieren lassen, die das, was sich unmittelbar in einem Elternsprechtagsgespräch ereignet, in den Fokus nehmen.
Zweifelsohne finden die Gespräche an Elternsprechtagen in einem geschützten Rahmen statt, der eine wesentliche Grundlage für die Vertrauensbildung in der Beratungskommunikation bildet. Die Gespräche selbst aber können wichtige Erkenntnisse über den konkreten Kommunikationsvollzug und die Art und Weise gelingender und misslingender Kommunikation in dieser besonderen Situation liefern und sind daher für die Aus- und Fortbildung im Lehrberuf äußerst relevant.
Lars Wegner hat sich mit seinem Dissertationsprojekt zur „Lehrkraft-Eltern-Interaktionen am Elternsprechtag“ (2016) ebendieser Herausforderung gestellt und für seine gesprächs- und gattungsanalytische Untersuchung 142 Elternsprechtagsgespräche an verschiedenen Gymnasien, Grund-, Haupt- und Gesamtschulen dokumentiert und analysiert.
„Lieber Herr Wegner, da haben Sie sich ja einen echten Hammer vorgenommen, indem Sie in einen der heikelsten Bereiche schulischer Kommunikation und Interaktion vorstoßen wollen“ (Wegner, 2016, 4)
Mit der exemplarischen Darstellung eines Antwortschreibens einer Lehrkraft macht Wegner direkt zu Beginn seiner Dissertation deutlich, unter welchen Voraussetzungen die Sammlung von Datenmaterial in diesem Zusammenhang geschehen ist und welche letztlich durch persönliche Kontakte zu verschiedenen Lehrkräften (und glückliche Zufälle) begünstigt wurde.
Minutiös legt Wegner im Folgenden dar, was ein Elternsprechtagsgespräch in diesem spezifischen Kontext charakterisiert, indem er die konstitutiven Gattungsmerkmale dieser Gespräche herausarbeitet und dabei unter anderem beleuchtet, wie Lehrkräfte, Eltern und Schülerinnen und Schüler, ihre Rollen, Erwartungen, Arbeits- und Lebenswelten und die Institutionalität in einem asymmetrischen Verhältnis im Rahmen einer zeitlich limitierten Gesprächssituation aushandeln.
Wegner identifiziert das Informieren, das Beraten und das Zuschreiben von Verantwortung als die drei wesentlichen konversationellen Aktivitäten eines Elternsprechtagsgespräches und nimmt in diesem Zusammenhang auch die linguistischen Gesprächsmerkmale und ihre spezifischen Funktionen in den Fokus. So kommt Wegner unter anderem zu dem Ergebnis, dass die von ihm identifizierten und analysierten sprachlichen Strukturen und interaktiven Verfahren (z.B. Litotes-, Aposiopese-, DASS-Konstruktionen) als adäquate Lösungen für bestimmte kommunikative Aufgaben in einem Elterngespräch funktionieren.Mit Hinblick auf die in den Gesprächen untersuchten Themen zeichnet sich an vielen Stellen ab, dass die Beteiligten zur Wahrung eines positiven Selbstbildes vorwurfsähnliche Handlungen realisieren, anstatt kooperativ Lösungswege für defizitäre Bildungs- und Erziehungsprozesse zu erarbeiten. Nur sehr vage werden Vereinbarungen über zukünftige Vorgehensweisen getroffen und die ohnehin kurzen Gespräche enden oftmals mit optimistisch anmutenden Floskeln. Daneben ist für manche Gespräche kritisch festzuhalten, dass ihnen durch die Lehrkräfte eine feste Struktur zugrunde gelegt wird, die nur wenig Raum für Abweichungen bietet. Dies wird von Wegner exemplarisch anhand einer Interaktion skizziert, in der ein von einer Schülerin eingebrachtes Problem erst im späteren Verlauf, durch das erneute Aufgreifen der Mutter, zum zentralen Gesprächsthema wird.
Wie Wegner selbst anführt bezieht sich die Anschlussfähigkeit seiner Untersuchungsergebnisse nicht nur auf den Bereich der angewandten Linguistik, sondern kann für die Reflexion, Sensibilisierung und Veränderungen dieser spezifischen kommunikativen Praxis auch im Bereich der Pädagogik seine Relevanz entfalten. Vor diesem Hintergrund ist Wegners Dissertationsschrift eine wertvolle Studie für das Forschungsprojekt PERFORM-LA. Für die Entwicklung und Ausgestaltung handlungsnaher Prüfungsformate liefert die Arbeit einen Überblick über authentische Charakteristika in der Unterscheidung zwischen gelingender und misslingender Beratungskommunikation. Somit empfiehlt sich die Arbeit für alle, die immer schon wissen wollten, was eigentlich in Elternsprechtagsgesprächen passiert.
Literatur
Wegner, L. (2016). Lehrkraft-Eltern-Interaktionen am Elternsprechtag. De Gruyter.