Nach 3 Jahren und 11 Monaten in der Promotionsphase war am 28.02.2025 der Tag, dem ich lange entgegengefiebert habe – meine Disputation und damit der Abschluss meines Promotionsverfahrens. Der Tag begann für mich wie üblich recht früh, sodass ich ein paar Stunden vor Beginn schon im Büro war und in meinen Vortrag und meine Notizen in Ruhe nochmal durchgehen konnte. Gegen 9 Uhr machte ich mich dann auf in den Raum für den Vortrag und holte mir auf den Weg noch einen Pfefferminztee (Kaffee war an dem Tag nicht wirklich nötig).
Langsam trudelten dann auch die eingeladenen Zuhörer*innen der Hochschulöffentlichkeit, Kolleg*innen aus dem PLAZ und der Englischdidaktik in Paderborn, und die Kommission ein. Um 10 Uhr begann dann die Verteidigung. Ich startete mit einem 20-minütigen Bericht, indem ich versuchte, kurz und bündig wesentliche Inhalte der Dissertation zu präsentieren. Dabei fokussierte ich mich im ersten Teil auf das Problem des Assessment Gap, welches wir mit den rollenspiel-basierten Simulationsprüfungen begegnen wollen. Im zweiten Teil ging es um beispielhafte Erkenntnisse aus dem Validitätsargument:
Die Studierenden äußern sich in mehrheitlich positiv in Bezug auf die Authentizität und Relevanz.
Die im Bewertungsinstrument eingesetzten Kriterien werden von den Expert*innen grundsätzlich positiv bewertet und Kritik wurde in der Weiterentwicklung des Instruments berücksichtigt.
Die Inter-Rater Reliabilitätswerte zeigen eine sehr große Übereinstimmung zwischen den Rater*innen auf der Testscore Ebene.
Die Ergebnisse der konvergenten Validierung deuten darauf hin, die Wissensfacetten mit einer pädagogischen Komponente (Wissen über Feedback; Fachdidaktisches Wissen) eine robustere Korrelation mit dem Testscore aus der RobS ausweisen, was sich aber nicht für die Facette des Fachwissens zeigt.
Die Ergebnisse zeigen in ihrer Gesamtheit, dass der von mir entwickelte Test mit ausreichender Gewissheit in der ersten Phase der Lehrkräftebildung eingesetzt werden kann, wobei natürlich auch die gegenteiligen Ergebnisse hier berücksichtigt werden müssen. Zum Schluss habe ich noch ein paar Limitationen aufgegriffen und Implikationen für weitere Schritte erläutert. Im Anschluss an den Vortrag stellte die Kommission ca. 1h lang weitere Fragen. Letztendlich war ich sehr erleichtert, als alles überstanden war!
Es wurde dann im Anschluss auch gebührend gefeiert – ich habe mich sehr über die vielen Glückwünsche von Kolleg*innen und Wegbegleiter*innen an dem Tag gefreut! Besonders tolle Andenken sind natürlich die beiden selbst gestalteten Doktorhüte aus meinen Teams, die mich über die Jahre hinweg begleitet und unterstützt haben sowie die selbst gestaltete Zeitung „meiner Mias“ (der Rollenname unser Schauspielerinnen), unserer studentischen Mitarbeitenden Jasmin und Elena.
Am Ende bleibt mir nun auch nichts mehr zu sagen außer eins: Danke.
Thomas mit seinen Betreuern (v.l.: Dr. Christoph Vogelsang, Thomas Janzen, Prof. Dr. Dominik Rumlich) (c) Markus Gründker(C) Markus Gründker(C) Markus Gründker
Vortrag:
Janzen, T. (2025, 28. Februar). Show, don’t tell – Developing and Validating a Role-Play-Based Simulation (RobS) for the Assessment of Pre-Service EFL Teachers’ Feedback Competence on Writing. [Disputationsvortag] Universität Paderborn.
Schon im vergangenen Oktober erschien im Deutschlandfunk das Radiofeature Back to University – Mein persönlicher Einsatz gegen den Lehrkräftemangel von Susanne Franzmeyer, das sich für alle lohnt nachzuhören, die sich mit Fragen zur Lehrkräftebildung beschäftigen. Darin geht es um ihre Erfahrungen beim Vorhaben, als Quereinsteigerin in den Lehrkräfteberuf zu gelangen.
Den Quereinstieg in den Lehrkräfteberuf aus genereller empirischer Perspektive haben wir schon einmal in einer Beitragsreihe in unserem Blog betrachtet. Der Quer- oder Seiteneinstieg ins Lehramt ist dabei sehr unterschiedlich zwischen den einzelnen Bundesländern formalisiert, was darin resultiert, dass es bundesweit teilweise große Unterschiede in Zugangsvoraussetzungen, weiterem Ausbildungsweg und Standards gibt, die zudem auch immer stark davon abhängen, in welchen Schulformen und Fächern jeweils ein besonders großer Lehrkräftebedarf vorhanden ist (Lucksnat et al., 2022a). Diese Lage wird auch von der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der KMK (SWK, 2023) in ihrem Gutachten zur Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftebildung kritisch gesehen.
„Die Sondermaßnahmen zum Quer- und Seiteneinstieg unterlaufen häufig die auf der Grundlage wissenschaftlicher Befunde definierten Standards für die Lehrkräftebildung. Unter dem akuten Handlungsdruck vollzieht sich in einem schleichenden Prozess nicht nur eine Aufweichung des Leitbilds einer wissenschaftlich qualifizierten professionellen Lehrkraft, es ist auch eine unübersichtliche Zahl unterschiedlicher Maßnahmen der Nachqualifizierung entstanden. Damit werden einerseits das Gebot der Gleichwertigkeit von Abschlüssen und damit die Mobilität zwischen den Ländern infrage gestellt. Andererseits wird ein klar definierter Karriereweg, ein grundlegendes Merkmal aller wissenschaftsbasierten Professionen, aufgegeben“ (SWK, 2023, 11).
Ausgehend von dieser Analyse schlägt die SWK eine stärkere bundesweite Vereinheitlichung des Quer- und Seiteneinstiegs in den Lehrkräfteberuf vor, die nach definierten Standards den Erwerb eines nachqualifizierenden Masterabschlusses für das Lehramt ermöglicht (SWK, 2023, 87 ff.). Als mögliches Vorbild werden im Gutachten unter anderem derartige Studienprogramme genannt, die seit 2018 an Hochschulen in Berlin absolviert werden können (z.B. Q-Masterprogramm für das Lehramt an Integrierten Sekundarschulen und an Gymnasien an der FU-Berlin, vgl. Ghassemi, 2024; Quereinstiegsmaster Grundschullehramt an der HU-Berlin, vgl. Lucksnat et al., 2022b).
Quereinstiegsmaster aus subjektiver Perspektive
Susanne Franzmeyer strebte den Quereinstiegsmaster für das Grundschullehramt an der HU Berlin an. In Ihrem Radiofeature berichtet sie ihre Erfahrungen und ihr subjektives Erleben als Teilnehmende und rahmt diese mit Interviewaussagen unterschiedlicher Personen zum Lehrkräftemangel (z.B. Eltern, Schüler*innen, Vertreter*innen aus der Schule, Vertreter*innen von Gewerkschaften, Kolleg*innen aus der Bildungsforschung). Viele beschriebene Herausforderungen sind dabei ähnlich zu Erfahrungen, die auch in anderen Wegen in den Quereinstieg zu erwarten sind. Dazu gehört bspw. die Notwendigkeit, eines zusätzlichen einjährigen Zertifikatsstudiums, um überhaupt die Voraussetzungen für den eigentlichen Master zu erhalten.
Sie beschreibt auch die generellen Schwierigkeiten für Personen, die nach längere Zeit im Beruf und mit Familie (erneut) einen Studieralltag meistern müssen, sowie die Vielfalt der Wissensbereiche, die für ein Lehramt in der Grundschule studiert werden müssen. Insbesondere der Mathematikanteil des Studiums bereitete ihr Sorgen. Ähnlich wie Lehramtsstudierende insgesamt konstatiert sie: „Brauche ich das alles? Mir ist das ehrlich gesagt viel zu theorielastig“ (Franzmeyer, 2024, 15:13). Wie allen Studierenden ist es für sie auch schwierig, neben den Studienanforderungen einer (Teilzeit-)Erwerbstätigkeit nachzugehen (in ihrem Fall gäbe es zwar Stipendienmöglichkeiten, allerdings nur für den Q-Master selbst und nicht für das vorherige Zertifikatsstudium). Für uns als Nachwuchsforschungsgruppe sind besonders die Erfahrungen im Zusammenhang mit Prüfungen interessant. Susanne Franzmeyer berichtet z.B. – was durchaus typisch ist -, dass sie kein Feedback auf ihre Hausarbeit erhalten hat: „Statt eines Feedbacks gab es nur eine Checkliste per E-Mail. […] Was, wenn man trotz der Checkliste keine Ahnung hat, was jetzt genau das Problem ist?“ (Franzmeyer, 2024, 37:27). Dies wird mit Bezug zur schlechten Personalsituation an Hochschulen eingeordnet. Sie berichtet aber auch von positiven Kurserfahrungen, z.B. an einem außerschulischen Lernort oder einem Seminar, in dem Fünftklässler*innen eingeladen wurden. Letztendlich absolviert Susanne Franzmeyer das Zertifikatsstudium erfolgreich und beginnt das Studium des Q-Masters mit zugehörigem Stipendium. Die Erlebnisse im Q-Master im engeren Sinne sind daher nur ein sehr kleiner Teil des Radiofeatures.
Die beschriebene Erlebnisse können dabei in Beziehung zu den Evaluationsergebnissen des Programms gesetzt werden (Luckenat et al., 2022b), wobei der Evaluationszeitraum vor dem Studienbeginn von Susanne Franzmeyer lag (2019 bis 2021). Generell berichteten die Befragten (N = 111) von einer eher hohen Studienzufriedenheit, zugleich wird aber auch – ähnlich zu Studierenden in grundständigen Studiengängen – ein höherer Praxisbezug vorgeschlagen. Auch der schon angesprochene Mangel an Hochschulpersonal wird in der Evaluation als verbesserungswürdig bewertet, zugleich werden viele Dozierende – ähnlich wie im Feature dargestellt – als sehr motiviert beschrieben. Der Abschlussbericht enthält auch Erkenntnisse zu vielen weiteren Aspekten, wobei die Ergebnisse sehr ähnlich sind zu Evaluationen, die grundständige Lehramtsstudiengänge betrachten. Ich empfehle, einmal genauer in den Bericht zu schauen.
Fazit: Es bleibt kompliziert
Neben diesen persönlichen Einblicken werden im Radiofeature auch viele Aspekte des Lehrkräftemangels und des Quereinstiegs angeschnitten, bspw. dass dieser besonders die MINT-Fächer betrifft, die Bedeutung der Qualifikation von Lehrkräften für die Sekundarstufe I, der Praxisschock beim Übergang in die Schule, die formalen Schwierigkeiten beim Einsatz von Lehrkräften, die nur für ein Fach qualifiziert sind, der hohe Anteil studentischer noch nicht fertig ausgebildeter Vertretungslehrkräfte und die allgemeine Belastung im Lehrkräfteberuf. Der Beitrag schließt zumindest etwas pessimistisch, in dem auf eine Studie der Bertelsmann-Stiftung (Klemm & Zorn, 2024) verwiesen wird, die auf Basis geringerer Geburtenzahlen in näherer Zukunft ein Ende des Lehrkräftemangels in der Grundschule prognostiziert, was natürlich für diejenigen negativ sein kann, die sich jetzt gerade qualifizieren (der so genannte Schweinezyklus.)
Klare Empfehlung: Das Nachhören des Radiofeatures lohnt sich für alle, die sich für Fragen der Lehrkräftebildung und Maßnahmen zur Gewinnung von Lehrkräften interessieren!
Literatur:
Franzmeyer, S. (2024, 19. Oktober). Back to University – Mein persönlicher Einsatz gegen den Lehrkräftemangel [Radiobeitrag]. Deutschlandfunk. (Online)
Ghassemi, N. (2024). Evaluation eines Lehramtsmasterstudiengangs mit dem Profil Quereinstieg im Fach Physik: Erkenntnisse zu Eingangsbedingungen, professionellen Kompetenzen und Aspekten individueller Angebotsnutzung. Logos Verlag. (Online)
Lucksnat, C., Richter, E., Klusmann, U., Kunter, M., & Richter, D. (2020a). Unterschiedliche Wege ins Lehramt – unterschiedliche Kompetenzen?. Zeitschrift für pädagogische Psychologie. 26(4), 263-278 (Online)
Lucksnat, C., Fehrmann, I., Müncher, A., Pech, D., & Richter, D. (2022b). Abschlussbericht zur Evaluation des Q-Masters an der Humboldt-Universität zu Berlin. Universität Potsdam. (Online)
Klemm, K. & Zorn, D. (2024). Weniger Geburten, mehr Lehrkräfte – Spielraum für die Grundschulentwicklung. Bertelsmann Stiftung. (Online)
Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) (2023) . Gutachten Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftebildung für einen hochwertigen Unterricht – Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz. (Online)
Universität Hildesheim – Bildnachweis: Philipp Wotschel
Wie schnell die Zeit vergeht, ist auch daran festzumachen, dass nur wenige Monate seit dem letzten Statusgruppenseminar vergangen sind, das wir als PERFORM-LA Nachwuchsforschungsgruppe in Paderborn ausgerichtet haben. Somit ist es ein erfreulicher Anlass, die anderen Nachwuchsforschungsgruppen so schnell bei dem 8. Statusgruppenseminar in der Universität Hildesheim wiedersehen zu dürfen. Prof. Johanna Fleckenstein und Dr. Fabian Schmidt von der Nachwuchsgruppe FORMAT haben zu einem zweittägigen Treffen am 27. und 28.02.2025 eingeladen. Christoph und Philipp waren für den ersten Tag zu Gast und traten eine frühzeitige Rückreise an, um für einen besonderen Termin wieder in Paderborn zu sein. Wo es am 28.02.2025 für die Beiden hingegangen ist, erfahrt ihr in unserem nächsten Beitrag.
Nach einer herzlichen Begrüßung vor Ort stand mit der Keynote von Prof. Olaf Köller auch schon der erste inhaltliche Programmpunkt an. Unter dem Titel „Für ein erfolgreiches Leben: Was müssen Jugendliche können, um erfolgreich in die Ausbildung übertreten zu können?“, gab Prof. Köller einen Einblick in unterschiedliche Aspekte von Kompetenzfacetten von jungen Erwachsenen, die in einer anschließenden Diskussion vertiefend besprochen werden konnten.
Die Diskussionsstimmung konnte auch in einem anschließenden Programmpunkt, einem Gespräch mit dem BMBF-Ministerialdirigent, Dr. Stefan Luther, und Prof. Köller, aufrecht erhalten werden. Hierbei wurden mit allen Teilnehmenden Perspektiven, Herausforderungen und mögliche Entwicklung in der Bildungsforschung angeregt besprochen. Unter andrem lag der Fokus dabei auf Chancen der Wissenschaftskommunikation und der Rolle der Wissenschaft im demokratischen Diskurs.
Den inhaltlichen Abschluss des Tages bildete eine gemeinsame Postersession, für die alle Nachwuchsforschungsgruppen eingeladen waren, ausgewählte Projektergebnisse zu präsentieren. Diese Chance wurde natürlich genutzt, um mit den anderen Teilnehmenden über Thomas Englisch-Feedback-Performanztest, Philipps Beratungs-Performanztest und die neusten Erkenntnisse von Lea und Christoph zum OSTE in den Austausch zu kommen.
Wir möchten uns an dieser Stelle nochmals herzlich für die Organisation und Ausrichtung des Statusgruppenseminars und den Austausch und das Feedback bedanken und freuen uns auf das nächste Treffen im kommenden Herbst.
Blick aus dem Statusgruppenseminarraum – Bildnachweis: Philipp Wotschel
Vorträge und Poster:
Grotegut, L.; Janzen, T.; Wotschel, P. & Vogelsang, C. (2025, 28. Februrar). Ein Objective Structured Teaching Examination für das Lehramtsstudium Physik [Poster]. 8. Statusseminar der BMBF-Nachwuchsforschungsgruppen „Empirische Bildungsforschung“. Universität Hildesheim.
Janzen, T. (2025, 28. Februrar). Show, don’t tell. Rollenspielbasierte Simulationsprüfungen (RobS) für zukünftige Englischlehrkräfte [Poster]. 8. Statusseminar der BMBF-Nachwuchsforschungsgruppen „Empirische Bildungsforschung“. Universität Hildesheim.
Köller, O. (2024, 27. Februar). Für ein erfolgreiches Leben: Was müssen Jugendliche können, um erfolgreich in die Ausbildung übertreten zu können? [Vortrag]. 8. Statusseminar der BMBF-Nachwuchsforschungsgruppen „Empirische Bildungsforschung“. Universität Hildesheim.
Wotschel, P.; Grotegut, L.; Janzen, T. & Vogelsang, C. (2025, 28. Februrar). Gut beraten im Lehramtsstudium? Entwicklung und Erprobung eines handlungsnahen Prüfungsformates. [Poster]. 8. Statusseminar der BMBF-Nachwuchsforschungsgruppen „Empirische Bildungsforschung“. Universität Hildesheim.
Vom 27.01. – 29.01.2025 fand zum 12. mal die jährliche Tagung der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (GEBF) in Mannheim statt und Thomas hat PERFORM-LA dort dieses Jahr vertreten. Thomas war als einziger aus der Gruppe bisher noch nicht in Präsenz auf einer GEBF – ein Umstand, der dringend geändert werden musste. Die Tagung fand im imposanten Mannheimer Schloss statt, welches auch als Hintergrund für das Kongressfoto diente. (Wer möchte, kann gerne eine Runde „Wo ist Thomas?“ spielen 😉 )
Doch auch im Inneren des Schlosses gab es einige interessante Vorträge und Diskussionen. Ein Highlight des ersten Tages war die von Jan-Martin Wiarda moderierte Podiumsdiskussion zwischen Prof. Dr. Felicitas Thiel, Daniel Hager-Mann und Bob Blume zur Frage „Wie hältst du’s mit der Evidenz?“. Die Teilnehmenden diskutierten u.a. über die Hürden bei der tatsächlichen Nutzbarmachung von Evidenzen, d.h., wie kriegen wir die wissenschaftlichen Erkenntnisse tatsächlich in die Schule? Daneben wurde von Frau Thiel u.a. darauf aufmerksam gemacht, dass es evtl. neuer, innovativer Ansätze in der Forschung bedarf, um die aktuellen Fragen die Bildung, Schule und Unterricht betreffen mit passender Evidenz zu beleuchten. Spannend waren auch die beiden Keynotes, die sich im Kontext von Bildung und Beruf verorten lassen. Prof. Dr. Heike Solga präsentierte Daten aus dem NEPS und zeigte, dass „leistungsschwache“ Schulabgänger*innen von Hauptschulen im Vergleich zu anderen Abschlüssen langfristig benachteiligt sind, was den Zugang und Abschluss von Ausbildungen betrifft, dies aber z.B. durch berufsvorbereitende Maßnahmen verbessert werden kann. In der zweiten Keynote von Prof. Dr. Emilia del Bono samt Co-Note von Prof. Dr. Michèle Tertilt ging es um den Zusammenhang von sozio-emotionalen Fähigkeiten in der Kindheit und den Folgen für die spätere Berufswahl und den Verdienst. Alle drei Plenarveranstaltungen kann man sich auf dem Youtube-Kanal der GEBF25 nochmal in aller Ruhe anschauen!
Es gab natürlich auch viele spannende Vorträge in den Sektionen, wie das Symposium „Heimatnah oder fern der Heimat? Empirische Befunde zur regionalen Mobilität von (angehenden) Lehrkräften,“ in dem auch ausgiebig über das (geringe) Aufkommen von Ortswechseln bei angehenden Lehrkräften diskutiert wurde. Ein spannendes Symposium am zweiten Tag war das von der Karg-Stiftung organisierte Symposium „Potenziale besser erkennen und fördern: Neue Ansätze in der Begabungsforschung.“ Hier ging es um verschiedene Formen der Erfassung von Begabung, z.B. im Sinne der language learning aptitude, oder auch um Förderung von selbstreguliertem Lernen und den Effekt, den die Beschulungsform auf die Lesefähigkeiten von begabten Jugendlichen hat. Auch Thomas hatte einen Vortrag im letzten Slot des Tages und konnte Ergebnisse zur Scoring-Reliabilität sowie zu Zusammenhängen von Performanz von Lehramtsstudierenden in der vom ihm entwickelten rollenspielbasierten Simulation und Facetten professionellen Wissens berichten, die auch mit dem interessierten Publikum diskutiert wurden. Den Abschluss des zweiten Tages bildete der Gesellschaftsabend, der in der Manufaktur in Mannheim in industrieller Atmosphäre stattfand – inklusive Band und voller Tanzfläche ;-).
Am dritten und letzten Tag lag der Fokus der Vorträge, die Thomas besucht hat, primär auf Feedback, einem relevanten Grundstein seiner Dissertation. Interessante Ergebnisse gab es z.B. im Symposiumsbeitrag von Dr. Fabiana Karstens und Prof. Dr. Miriam Hess, die von einer Intervention zu Wissen und Professional Vision von angehenden Lehrkräften in Bezug auf Feedback berichteten, welche die größten Effekte bei den Interventionsgruppen zeigte, die sich tiefergehend mit Videos von Unterricht auseinandersetzten. Auf die noch folgenden Ergebnisse zur Performanz sind wir natürlich besonders gespannt! In einem weiteren Symposium ging es vorrangig um die technologiebasierte Diagnostik & Förderung von Schreibkompetenzen. Hier berichteten u.a. auch unsere Schwester-Nachwuchsforschungsgruppen FORMAT und MARE von Ergebnissen ihrer Studien in dem Bereich. Den Abschluss der Tagung für Thomas bildete das ebenfalls von der Nachwuchsforschungsgruppe FALKO-PV mitorganisierte Symposium zum Thema Unterrichtsqualität zwischen den Unterrichtsdisziplinen. Prof. Dr. Miriam Steffensky diskutierte die Ergebnisse und fragte am Ende die Teilnehmenden, ob wir nicht vielleicht zu sehr die Unterschiede zwischen den Fächern betonen, statt die Gemeinsamkeiten zu suchen.
An dieser Stelle vielen Dank an das Tagungsteam und die ganzen helfenden Hände, die diese Tagung echt toll organisiert haben! Die nächste GEBF wird uns dann 2026 noch weiter in den Süden Deutschlands führen und an der TU München stattfinden – wir freuen uns!
Vorträge:
del Bono, E. & Tertilt, M. (2025, 29. Januar). The Trouble (and Value) of Child Socio-Emotional skills [Keynote]. 12. GEBF Tagung, Mannheim.
Fleckenstein, J., Hartig, J., Busse, V. (2025, 29. Januar). Technologiebasierte Diagnostik und Förderung von Schreibkompetenzen: Herausforderungen und Potenziale [Symposium]. 12. GEBF Tagung, Mannheim.
Gerlach, E., Lindl, A., Langer, W., Steffensky, M. (2025, 29. Januar). Unterrichtsqualität zwischen Interdisziplinarität, Intersubjektivität und interaktivem Wissensaustausch [Symposium]. 12. GEBF Tagung, Mannheim.
Janzen, T., Grotegut, L., Wotschel, P. & Vogelsang, C. (2025, 28. Januar). Validierung einer rollenspielbasierten Simulationsprüfung für angehende Englischlehrkräfte – Validitätsargumente zum Scoring und zur Testwertinterpretation [Konferenzbeitrag]. 12. GEBF Tagung, Mannheim.
Karstens, F., Hess, M. (2025, 29. Januar). Konzeptuelles Wissen und professionelle Wahrnehmung von Lehramtsstudierenden im Bereich Feedback – Effekte der Beobachtungsmethode bei der Analyse von Unterrichtsvideos [Konferenzbeitrag]. 12. GEBF Tagung, Mannheim.
Schmid-Kühn, S., Demski, D. (2025, 27. Januar). Heimatnah oder fern der Heimat? Empirische Befunde zur regionalen Mobilität von (angehenden) Lehrkräften [Symposium]. 12. GEBF Tagung, Mannheim.
Solga, H. (2025, 28. Januar). Neue Chancen oder verstärkte Benachteiligung? Der Übergang von leistungsschwachen Schulabgänger:innen in die Ausbildung [Keynote]. 12. GEBF Tagung, Mannheim.
Stiller, A. Baudson, T. (2025, 28. Januar). Potenziale besser erkennen und fördern: Neue Ansätze in der Begabungsforschung [Symposium]. 12. GEBF Tagung, Mannheim.
Wiarda, J., Thiel, F., Blume, B., Hager-Mann, D. (2025, 27. Januar). Wie hältst du’s mit der Evidenz? [Podiumsdiskussion]. 12. GEBF Tagung, Mannheim.
Nach unseren letzten Besuchen im virtuellen München und in Flensburg war es an der Zeit, dass wir als BMBF-Forschungsgruppe in Paderborn ein Statusgruppentreffen ausrichten. Dafür haben wir am 07. und 08.11.2024 zum gemeinsamen Austausch, Workshops und Vernetzung im Rahmen eines breiten Programmes eingeladen:
Den ersten Tag begannen wir mit einem wetterbedingt erfrischenden „Walk + Talk“ über den Uni-Campus der allen Teilnehmenden die Möglichkeit bot, Einblicke in einzelne Gebäudeteile zu erhalten und auch die Aussicht aus dem Turm des H-Gebäudes zu erleben. Die einzelnen Gespräche konnten dann innerhalb des anschließenden Statusgruppenaustauschs weiter vertieft werden.
Der Nachmittag stand dann ganz im Zeichen unterschiedlicher Workshops. So beleuchtete etwa Sven-Daniel Gettys im Workshop zum Thema „Science-Slam“ verschiedene Aspekte dieses Formates und vermittelte mittels einer Good-Practice-Analyse die Grundlagen des Storytelling, der Interaktion mit dem Publikum und verschiedene Präsentationstechniken, die die Teilnehmenden auf ihre eigenen Forschungsprojekte beziehen konnten.
Der Workshop „Vom Feedback zum überarbeiteten Text“, der von Dr. Andrea Karsten geleitet wurde, zeigte den Teilnehmenden Strategien zum Umgang mit unterschiedlich konstruktivem Textfeedback und zur Planung einer effektiven Textüberarbeitung auf. Durch praktische Übungen und persönliche Reflexion lernten die Teilnehmenden, wie sie Schwerpunkte setzen, auf Feedback reagieren und dabei die eigene Perspektive im Text bewahren können.
Im Workshop „Gesund bleiben in der Wissenschaft“ wurde es sportlich. Dr. Carolin Waltert und Lena Wobbe hoben die Bedeutung von Bewegung für die Gesundheit und das Lernen sowohl für Lehrende als auch Studierende hervor. Die Teilnehmenden bekamen die Chance, praktische Ansätze zur bewegungsorientierten Gestaltung ihres (Arbeits-)Alltags sowie zur Umsetzung von bewegter Lehre kennenzulernen, um Sitzzeiten zu unterbrechen und das Wohlbefinden zu fördern.
Später am Abend genossen wir ein gemeinsames Abendessen in der Paderborner Innenstadt, was weiteren Raum für den informellen Austausch in einer entspannten Atmosphäre bot.
Der zweite Tag war als Transfertag für die Hochschulöffentlichkeit angesetzt. Hierzu wurden unter dem Motto, „Performanzorientierte Ansätze in der Lehrkräftebildung“, Expert*innen aus der Lehrkräftebildung eingeladen. Mit der Keynote von Prof. em. Urban Fraefel von der FH Nordwestschweiz wurde der Tag eröffnet. Gemäß des Keynote-Titels, „Kernpraktiken von Lehrpersonen – Ein Ansatz zum nachhaltigen Erlernen professionellen Entscheidens und Handelns“, wurde erörtert, wie Lehrkräfte durch die Erprobung von Kernpraktiken ihre Entscheidungsfähigkeit und Handlungsstrategien nachhaltig entwickeln können und wie dadurch die Professionalisierung von Lehrkräften unterstützt werden kann (vgl. Grossman & Fraefel, 2024; Fraefel & Scheidig, 2018).
Die dargestellten Erfahrungen und Perspektiven – insbesondere aus der Schweizer Lehrkräftebildung – boten reichlich Stoff zum Nachdenken und bildeten Anknüpfungspunkte für verschiedene Nachwuchsgruppen, über die sie sich im Anschluss bei der gemeinsamen Posterpräsentation austauschen konnten. Dabei stellten einzelne Mitglieder der BMBF-Forschungsgruppen bei Fingerfood und Getränken ihre Ideen und Projekte in einer kreativen Form vor und konnten direktes Feedback von anderen Forschenden erhalten.
In der abschließenden Keynote zum Thema „Clinical Simulations in Teacher Education: Successes and Challenges“ wurde von Dr. Shira Iluz der Einsatz von Simulationen in der Lehramtsausbildung aus erster Hand thematisiert. Shira Iluz ist Direktorin des HaLev Center for Simulation in Education, das als Teil der Bar-Ilan Universität Israel angehende Lehrkräfte auf verschiedene Situationen im Klassenzimmer durch realistische Gesprächs- und Unterrichtsszenarien vorbereitet. Mit der Keynote wurden insbesondere der Einfluss der Simulationen auf die praktischen Fähigkeiten der Studierenden hervorgehoben und aufgezeigt, welche Ressourcen für die adäquate Implementierung einer solchen Ausbildungsmethode aufzuwenden sind (vgl. Hollombe et al., 2024; Yablon et al., 2024). Da wir als Forschungsgruppe in Deutschland eine solche Institutionalisierung von klinischen Simulationszentren nur im Bereich des Medizinstudiums kennen, ist es für uns besonders interessant sehen zu können, dass dieses Konzept auch für die Lehrkräftebildung verpflichtend implementiert werden kann.
Bei Kaffee und Gebäck ließen wir anschließend das 7. Statusgruppenseminar gemeinsam ausklingen. Wir möchten uns herzlich bei allen Beteiligten für die Teilnahme am Statusseminar und dem Transfertag bedanken. Vielen Dank insbesondere auch für alle Posterbeiträge! Es war schön, so viele bekannte und auch neue Gesichter zu sehen und wir freuen uns, beim nächsten Treffen wieder zusammenzukommen. Wir sehen uns im nächsten Jahr!
Literatur:
Grossmann, P., & Fraefel, U. (Eds.) (2024). Core Practices in Teacher Education: A Global Perspective. Havard Education Press. (Online)
Fraefel, U. (2024, 08. November). Kernpraktiken von Lehrpersonen – Ein Ansatz zum nachhaltigen Erlernen professionellen Entscheidens und Handelns. [Vortrag]. 7. Statusseminar der BMBF-Nachwuchsforschungsgruppen „Empirische Bildungsforschung“. Universität Paderborn.
Fraefel, U., & Scheidig, F. (2018). Mit Pragmatik zu professioneller Praxis? Der Core-Practices-Ansatz in der Lehrpersonenbildung. BzL-Beiträge zur Lehrerinnen-und Lehrerbildung, 36(3), 344-364. (Online)
Hollombe, S., Yablon, Y. B., & Iluz, S. (2024). Navigating Conflict in the Multicultural Classroom: The Use of Simulation-Based Learning for Peace Education in Teacher Training. Zeitschrift für Pädagogik und Theologie, 76(3), 253-264. (Online)
Iluz, S. (2024, 08. November). Clinical Simulations in Teacher Education: Successes and Challenges [Vortrag]. 7. Statusseminar der BMBF-Nachwuchsforschungsgruppen „Empirische Bildungsforschung“. Universität Paderborn.
Yablon, Y. B., Wertheimer, N., Hollombe, S., & Iluz, S. (2024). The role of agency and communion in understanding teacher-student conflict resolution: The needs-based model of reconciliation. Teaching and Teacher Education, 152, 104807. (Online)
2020 hat die Kultusministerkonferenz beschlossen, eine Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) einzurichten, ein unabhängiges Gremium, das Probleme im Bildungsbereich identifizieren, Handlungsempfehlungen auf Basis von Evidenzen aus der bildungswissenschaftlichen Forschung formulieren und die Bundesländer bei der Weiterentwicklung ihrer Bildungssysteme beraten soll. Der SWK gehören 16 Bildungsforscher*innen aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen an. Den Vorsitz haben derzeit Prof. Dr. OIaf Köller (IPN – Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik, Kiel) und Prof. Dr. Felicitas Thiel (Freie Universität Berlin) inne. Die SWK wird von einer eigenen Geschäftsstelle unterstützt (liebe Grüße an dieser Stelle an meine alte Kollegin Dr. Julia Suckut).
Die Kommission nahm 2021 ihre Arbeit auf und veröffentlichte seitdem Stellungnahmen und Gutachten zu einer Vielzahl von Aspekten des Bildungssystems. Sie folgt dabei einem mit der Kultusministerkonferenz abgestimmten Arbeitsprogramm. In der Öffentlichkeit und auch in der bildungswissenschaftlichen Fachcommunity war und ist die Einrichtung sowi die Arbeit der SWK nicht unumstritten (z.B. Wiarda, 2021; Bildungsrat von unten). Aus meiner Sicht ist sie ein sinnvoller Versuch, bildungswissenschaftliche Forschungsergebnisse systematischer für Veränderungen im Bildungssystem verfügbar zu machen und in Entscheidungsprozesse einzubringen.
Am 8. Dezember 2023 veröffentlichte die SWK ein Gutachten mit dem Titel „Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftebildung für einen hochwertigen Unterricht“ (SWK, 2023), das sich mit Fragen auseinandersetzt, die uns auch immer wieder hier im Blog beschäftigen. Es hat einen Umfang von 155 Seiten, auf denen Empfehlungen zu vier Bereichen der Lehrkräftebildung formuliert werden. Bei der Erstellung wurden viele Ergebnisse der Lehrerbildungsforschung aufgegriffen und Einschätzungen vieler Expert*innen einbezogen (SWK, 2023, 152f.). Die vier Bereiche lauten wie folgt:
Optimierung von Prognosen zum Lehrkräfteeinstellungsangebot und -bedarf
Gewinnung von Studierenden, Sicherung von Studienerfolg und phasenübergreifende Optimierung der Ausbildung
Organisation und Gestaltung einer wissenschaftsbasierten Lehrkräftebildung für den Aufbau professioneller Kompetenzen
Organisation und Gestaltung einer forschungsbasierten Fort- und Weiterbildung für eine kontinuierliche Kompetenzentwicklung von Lehrkräften
Unsere eigenen Forschungsarbeiten zur Entwicklung und Erprobung performanzorientierter Prüfungsverfahren lassen sich im dritten Bereich verorten. Diese Formate werden auch im Gutachten angesprochen und ihre Implementation im Lehramtsstudium (indirekt) empfohlen. Das freut uns natürlich 🙂 ).
„Die für die professionelle Kompetenz zentralen unterrichtsnahen, situationsspezifischen Fähigkeiten sind jedoch bislang allenfalls am Rande in den Prüfungsformaten der ersten Phase abgebildet. Hier liegt ein starker Fokus auf der Prüfung professionellen Wissens, während in der zweiten Phase Unterrichtsproben einen wichtigen Bestandteil der Staatsprüfung ausmachen. Ein stärkerer Einbezug unterrichtsnaher, situationsspezifischer Fähigkeiten in die Prüfungsformate der ersten Phase scheint aufgrund der Verfügbarkeit forschungsbasierter, qualitätsgeprüfter Instrumente zur Erfassung dieser Fähigkeiten (s. o.) möglich.“
(SWK, 2023, 72)
Es würde den Umfang dieses Blogbeitrags sprengen, alle Empfehlungen darzustellen, weshalb ich explizit empfehle, selbst einen Blick in das Gutachten zu werfen. Man kann aber auch die Aufzeichnungen der SWK Talks nachhören.In diesen Online-Vorträgen bzw. „Sitzungen“ haben Vertreter*innen der SWK zusammen mit Gäst*innen die einzelnen Empfehlungen vorgestellt und diskutiert. Dabei wurden auch Fragen aus dem (virtuellen) Publikum aufgegriffen.
Es ist zwar kein Podcast im klassischen Sinne, aber gibt einen guten Einblick in bildungspolitische Diskussionen zur Lehrkräftebildung. Die einzelnen Talks können auf dem Youtube-Kanal des IPN abgerufen werden. In Reaktion auf das Gutachten gab es im Laufe des Jahres auch schon erste Beschlüsse der KMK.
Nachweis wie in den anderen Blogbeiträgen hier einbauen
Literatur:
Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) (2023). Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftebildung für einen hochwertigen Unterricht. Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK). Bonn. (Online)
Wiarda, J.M. (2021, 05. Mai). Der Rat der 16 [Blogbeitrag]. (Online)
Es war ein ereignisreicher Sommer! Nach der Pilotierung unseres Prototypen einer Objective Structured Teaching Examination (OSTE) für (angehende) Lehrkräfte im Fach Physik stand das Sommersemester 2024 ganz im Zeichen einer breiteren Erprobung. Das Konzept des OSTE stammt ursprünglich aus der Professionalisierung von Ausbildenden der Medizin (Fakhouri & Nunes, 2019). Dabei handelt es sich um eine Art Prüfungsparcours, in dem die Geprüften an verschiedenen Stationen typische Anforderungen des Berufs bewältigen müssen. Die Stationen sind möglichst handlungsnah gestaltet, um auch die tatsächlichen, im späteren Beruf notwendigen Fähigkeiten zu adressieren (z.B. das Geben von Feedback an angehende Ärzt*innen im praktischen Jahr). Technisch gesprochen: Sie müssen Performanz zeigen (Blömeke, Gustafson & Shavelson, 2015). Für einen Einsatz als Prüfung besteht eine zentrale Herausforderung darin, dass die geprüften Situationen möglichst authentisch bzw. berufsrelevant sein müssen (Gulikers et al., 2008), aber zugleich auch eine gewisse Standardisierung aufweisen, damit Leistungen zwischen einzelnen Personen möglichst fair verglichen werden können. Daher werden in den Stationen typischerweise Schauspieler*innen eingesetzt, die geschult sind, möglichst vergleichbare Anforderungen herzustellen, aber zugleich eine adaptive Interaktion ermöglichen.
Bildnachweis: OSTE-Stationsplan – Bremen, (c) Christoph Vogelsang
OSTEs für die Lehrkräftebildung
Die Simulation berufstypischer Situationen mit Schauspieler*innen findet sich auch schon vereinzelt in der Lehrkräftebildung, bisher allerdings hauptsächlich als Übungsformat oder als Assessment-Verfahren im Rahmen von Forschungsprojekten (z.B. Fischer & Opitz, 2022; Gerich & Schmitz, 2016). In unserem Projekt haben wir einen OSTE entwickelt, der als Prototyp als Prüfungsverfahren einsetzbar sein soll. Da Anforderungen an Lehrkräfte zu großen Teilen auch fachspezifisch sind, bezieht sich unser OSTE auf Lehramtsstudierende mit dem Unterrichtsfach Physik. Bei der Entwicklung sollten einige Bedingungen berücksichtigt werden. Erstens muss natürlich die Validität der einzelnen Stationen sichergestellt werden. Es sollten also Kompetenzen, die für den Beruf relevant und in Bezug auf entsprechende Kompetenzmodelle darstellbar sind, abgebildet, passende Situationen gestaltet und entsprechende Bewertungskategorien entwickelt werden. Zweitens muss die Erfassung der Performanz – wie bei Instrumenten in der Bildungsforschung üblich – ausreichend reliabel erfolgen, wobei innerhalb eines OSTE Reliabilität auch über die Anzahl von Stationen beeinflusst werden kann. Drittens muss der Einsatz unter den üblichen Bedingungen eines Studiums erfolgen können. Das betrifft bspw. die zur Verfügung stehende Prüfungszeit oder die Akzeptanz durch die Studierenden und Dozierenden, die derartige Prüfungen ja selbst durchführen müssten.
Unser vor diesem Hintergrund entwickelte Prototyp eines OSTE für das Lehramt Physik umfasst nach aktuellem Stand insgesamt sieben Prüfungsstationen. Nach der Pilotierung und auch im Verlauf der Erprobung wurde er so modifiziert, dass er insgesamt in zwei Stunden absolviert werden kann bzw. absolviert werden können sollte. Dies entspricht einem Zeitumfang von zehn Minuten pro Station (mit Ausnahme einer 20-minütigen Station) plus Wechselpausen. Die handlungsrelevanten Situationen wurden entlang der vier Kompetenzbereiche Unterrichten, Erziehen, Beurteilen und Innovieren der Standards für die Lehrkräftebildung (KMK, 2024) ausgewählt und repräsentieren typische Core Practices von Physiklehrkräften (vgl. Fraefel & Scheidig, 2018). Für einige Stationen konnten wir auf Vorarbeiten von vielen geschätzten Kolleg*innen zurückgreifen (Danke!), andere Stationen sind komplette Neuentwicklungen. Alle Stationen simulieren typische Anforderungen, aber nicht alle Stationen benötigen Schauspieler*innen. Zum Teil ist der Bearbeitungsmodus schriftlich – wie es auch im Beruf erfolgt (z.B. bei der Planung von Unterricht). Eine Übersicht über die Prüfungsstationen ist in der nachfolgenden Tabelle dargestellt.
Kompetenzbereich
Station/Situation
Modus
Quellen
Unterrichten
Unterrichtsplanung
Schriftlich
Schröder et al. (2020)
Unterrichten
Unterrichtsreflexion
Simulation einer Videokonferenz
Kulgemeyer et al. (2021)
Unterrichten
Erklärung eines physikalischen Phänomens
Simulation mit Schauspieler*innen
Kulgemeyer et al. (2015)
Beurteilen
Beratungsgespräch
Simulation mit Schauspieler*innen
Wotschel et al. (2023), Eigenentwicklung
Beurteilen
Beurteilung von Schüler*innentexten
Schriftlich
Feser (2019)
Erziehen
Moderation eines Konfliktgesprächs
Simulation mit Schauspieler*innen
Eigenentwicklung
Innovieren
Gespräch zur Unterrichtsentwicklung
Simulation einer Videokonferenz
Eigenentwicklung
Tab. 1 „OSTE-Physik: Stationsübersicht“
Gemäß der Standards (KMK, 2024) haben die einzelnen Stationen einen mal stärkeren (z.B. Unterrichtsplanung), mal weniger starken Bezug zum Fach Physik (z.B. Konfliktgespräch). Dies lässt sich allerdings nicht immer eindeutig disjunkt unterscheiden, da in beruflichen Situationen meist ein Bezug zu mehreren Bereichen des Professionswissens von Lehrkräften besteht (vgl. Blömeke et al., 2015).
Bildnachweis: OSTE-Team – Bremen, (c) Christoph Vogelsang, Danke an Stefan Oltmans für das Foto
On the road
Um zu prüfen, ob der entwickelte OSTE-Prototyp nicht nur auf theoretischer Seite ein geeignetes Prüfungsformat darstellt, sondern auch im praktischen Einsatz umsetzbar ist, haben wir ihn an drei verschiedenen Universitätsstandorten mit Lehramtsstudierenden erprobt. Dabei zeigten sich einige rein organisatorische Herausforderungen. Um den OSTE zu erproben, musste er in den Rahmen des Vorlesungsbetriebes im Sommersemester 2024 eingebettet werden. Das heißt, dass neben den zwei Stunden für den reinen Prüfungsparcours nur wenig zeitlicher Spielraum für die geplanten Erhebungen zu Einschätzungen der Studierenden zur Akzeptanz des Formats vorlagen. Dank der Geduld der Studierenden konnten wir aber glücklicherweise viel umsetzen. Logistisch mussten wir für jeden Testeinsatz vier unserer studentischen Schauspieler*innen und eine Menge technisches Equipment (z.B. Kameras, Tablets, schriftliches Testmaterial) jeweils rechtzeitig vor Ort bringen und einsatzbereit machen. Zusätzlich werden für die Durchführung mehrere Räume benötigt, die für den Zeitraum des OSTEs frei gehalten werden müssen.
Unser erster Tourstopp führte uns im April nach Bremen, wo wir den OSTE mit Unterstützung von Prof. Dr. Christoph Kulgemeyer und seinem Team erproben konnten. An zweiter Stelle gab es im Juni ein Heimspiel an der Universität Paderborn mit Unterstützung von Prof. Dr. Josef Riese (mit weniger logistischem Aufwand 😉 ). Der dritte Tourstopp führte uns Anfang Juli in die Nachbarschaft nach Bielefeld, in der uns Prof. Dr. Lisa Stinken-Rösner unterstützte. Zusätzlich konnten wir die Station zur Simulation eines Konfliktgesprächs in zwei erziehungswissenschaftlichen Seminaren an der Universität Paderborn bei unseren Kolleginnen Dr. Nicole Gruchel und Prof. Dr. Sandra Landhäußer erproben.
Bildnachweis: Konfliktstation Kurzfragebogen – Paderborn, (c) Christoph Vogelsang
Lessons learned
Grundsätzlich ziehen wir ein sehr positives Fazit aus unser OSTE-Tour im Sommer 2024. Sowohl das Feedback der Studierenden in den informellen Gesprächen nach und während der Durchführung als auch die ersten Einblicke in unsere parallel durchgeführten Fragebogenerhebungen zeigen, dass gerade die Authentizität und berufliche Relevanz des OSTE sehr positiv eingeschätzt werden. Kritischer sind die Studierenden dahingehend, inwiefern sie ihr bisheriges Lehramtsstudium auf diese Prüfungsanforderungen vorbereitet hat. Für die Durchführung des OSTE begegnen wir bei jedem Versuch noch neuen Fallstricken, die bei der Organisation zu beachten sind. Insbesondere das Einhalten eines genauen Zeitplans ist wichtig, um einen reibungslosen Ablauf zu garantieren, da es nach dem Beginn wenig Ausweichmöglichkeiten gibt, wenn man nicht jede Station mehrfach anbieten kann. Auch hatten wir teilweise mit Abbrüchen in der Internetverbindung für unsere simulierten Videokonferenzen zu kämpfen. Generell zeigt sich, dass das große Potential, dass OSTEs für die Lehrkräftebildung bieten, auch wirklich eingelöst werden könnte. Und das nicht nur im Fach Physik. Bis dahin liegt allerdings noch etwas Arbeit vor uns, wie die Auswertung der zahlreich aufgenommenen Videos, der im Nachgang geführten Interviews und der Analysen zum Zusammenhang zum Professionswissen.
Abschließend möchten wir allen danken, die uns bei unserer ersten OSTE-Erprobung unterstützt haben: unseren Kolleg*innen in Bielefeld, Bremen und Paderborn, unseren Schauspieler*innen Ella, Eike, Carlo (für den Einsatz am eigenen Geburtstag), Elena und Jasmin und ganz besonders allen Studierenden, die sich für uns und unser Projekt Zeit genommen haben! Ohne euch hätten wir alles nicht durchführen können. Vielleicht sehen wir uns ja nochmal zur geplanten OSTE-Tour im Wintersemester.
Bildnachweis: OSTE-Team – Bielefeld, (c) Christoph Vogelsang, Danke an Lisa Stinken-Rösner für das Foto
Literatur:
Blömeke, S., Gustafsson, J. E., & Shavelson, R. J. (2015). Beyond dichotomies. Zeitschrift für Psychologie. 223, 3-13. (Online)
Fakhouri, S. A., & Nunes, M. D. P. T. (2019). Objective structured teaching examination (OSTE): an underused tool developed to assess clinical teaching skills. A narrative review of the literature. Sao Paulo Medical Journal, 137, 193-200. (Online)
Feser, M. S. (2019). Physiklehrkräfte korrigieren Schülertexte. Eine Explorationsstudie zur fachlich-konzeptuellen und sprachlichen Leistungsfeststellung und -beurteilung im Physikunterricht. Logos Verlag.
Fischer, F., & Opitz, A. (2022). Learning to diagnose with simulations: Examples from teacher education and medical education. Springer Nature. (Online)
Fraefel, U., & Scheidig, F. (2018). Mit Pragmatik zu professioneller Praxis? Der Core-Practices-Ansatz in der Lehrpersonenbildung. BzL-Beiträge zur Lehrerinnen-und Lehrerbildung, 36(3), 344-364. (Online)
Gerich, M., & Schmitz, B. (2016). Using Simulated Parent-Teacher Talks to Assess and Improve Prospective Teachers‘ Counseling Competence. Journal of Education and Learning, 5(2), 285-301. (Online)
Gulikers, J. T., Kester, L., Kirschner, P. A., & Bastiaens, T. J. (2008). The effect of practical experience on perceptions of assessment authenticity, study approach, and learning outcomes. Learning and Instruction, 18(2), 172-186. (Online)
KMK (2022). Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16.12.2004 i. d. F. vom 07.10.2022). (Online)
Kulgemeyer, C., & Tomczyszyn, E. (2015). Physik erklären – Messung der Erklärensfähigkeit angehender Physiklehrkräfte in einer simulierten Unterrichtssituation. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, 1(21), 111-126. (Online)
Kulgemeyer, C., Kempin, M., Weißbach, A., Borowski, A., Buschhüter, D., Enkrott, P., … & Vogelsang, C. (2021). Exploring the impact of pre-service science teachers’ reflection skills on the development of professional knowledge during a field experience. International Journal of Science Education, 43(18), 3035-3057. (Online)
Schröder, J., Riese, J., Vogelsang, C., Borowski, A., Buschhüter, D., Enkrott, P., … & Schecker, H. (2020). Die Messung der Fähigkeit zur Unterrichtsplanung im Fach Physik mit Hilfe eines standardisierten Performanztests. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, 26(1), 103-122. (Online)
Wotschel, P., Janzen, T., Meier, J., & Vogelsang, C. (2023, 1.4 September). Als Lehrkraft gut beraten? Entwicklung und Erprobung eines handlungsnahen Prüfungsformates zur Erfassung von Beratungskompetenz von Lehramtsstudierenden [Vortrag]. Sektionstagung empirische Bildungsforschung der Arbeitsgruppe für Empirische Pädagogische Forschung (AEPF). Universität Potsdam.
Am 25. und 26. April 2024 hat das Team des Forschungsprojektes DigGaH zum Online-Statusseminar der BMBF-Nachwuchsforschungsgruppen eingeladen. Wir haben uns gefreut, erneut die anderen Forschungsgruppen aus unserer Förderlinie in diesem Rahmen treffen zu dürfen und möchten euch an unseren Eindrücken teilhaben lassen:
Einen interessanten Schwerpunkt bildeten die beiden Keynotes. Hier präsentierte Prof.in Dr.in Sabine Fries einen spannenden Vortrag zur partizipativen Forschung mit tauben Menschen. Sabine Fries ist Professorin für Gebärdensprachdolmetschen an der Hochschule Landshut. Der Vortrag und die anschließende Diskussion zeigte eindrücklich Möglichkeiten zum Einbezug marginalisierter Gruppen in der Forschung auf und verdeutlichte, welche Herausforderungen sich beispielsweise bei der Anonymisierung von Interviews mit Gebärdensprechenden ergeben.
Die zweite Keynote hielt Dr. Christian Scharun unter dem Titel „Zwischen Enthusiasmus und Zeitmangel: Forschende in der Wissenschaftskommunikation“. Dem Titel entsprechend führte der Wissenschaftsredakteur (z.B. MAITHINK X – Die Show) mittels interaktiver Übungseinheiten und viel Witz durch seinen Vortrag und eröffnete Möglichkeiten, die Rolle der Wissenschaftskommunikation in eigenen Projekten zu reflektieren.
Neben den Vernetzungsmöglichkeiten in den Statusgruppen sind die vielfältigen Workshops ebenso auf reges Interesse gestoßen. Hier wurde ein breites Angebot zu den Themen partizipativer Forschungsprozesse, Webscraping, Publikationsstrategien und Ausgründung dargeboten. Wir bedanken uns vielmals beim DigGaH-Team für die Einladung und Organisation und freuen uns, die Nachwuchsforschungsgruppen Zum nächsten Statusseminar in Paderborn begrüßen zu dürfen.
Vorträge:
Fries, S. (2024, 25. April). Partizipative Forschung mit tauben Menschen [Vortrag]. 6. Statusseminar der BMBF-Nachwuchsforschungsgruppen „Empirische Bildungsforschung“, Ludwig-Maximilians-Universität München.
Scharun, C. (2024, 26. April). Zwischen Enthusiasmus und Zeitmangel: Forschende in der Wissenschaftskommunikation [Vortrag]. 6. Statusseminar der BMBF-Nachwuchsforschungsgruppen „Empirische Bildungsforschung“, Ludwig-Maximilians-Universität München.
Todsünde Nr. 3: Zu viele unausgereifte Reformen im Bildungssystem
In einer Artikelreihe beschäftigen wir uns mit dem Buch „Die 10 Todsünden der Schulpolitik – Eine Streitschrift“ von Heinz-Peter Meidinger (2021) aus der Perspektive der empirischen Bildungsforschung. Dabei wird betrachtet, wie Prämissen und Argumentationen im Buch vor dem Hintergrund von Ergebnissen der Bildungsforschung eingeschätzt werden können. Grundsätzlich ist sollte man das entsprechende Buchkapitel zuvor gelesen haben, was ich ausdrücklich empfehlen möchte. Dies ist der vierte Teil eines Beitrags, der sich mit der dritten vom Autoren so bezeichneten Todsünde beschäftigt. Thesen aus dem Buch werden dabei im Konjunktiv wiedergegeben, was keine Zustimmung oder Ablehnung implizieren soll, sondern einfach den Regeln zur indirekten Rede folgt. Die Kernthese des zugehörigen Buchkapitels ist zusammengefasst, dass im Bildungssystem zu viele Veränderungen vorgenommen würden, ohne vorher ausreichend erprobt und/oder danach ausreichend evaluiert zu werden (siehe hierzu den ersten Teil). Heinz-Peter Meidinger begründet dies an drei Beispielen von Reformen genauer, die sich aus seiner Sicht besonders negativ ausgewirkt hätten (1. das Konzept „Lesen lernen durch Schreiben“, siehe den ersten Teil; 2. den frühen Fremdsprachenunterricht, siehe den zweiten Teil). Das dritte Beispiel ist die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen, die ich aufgrund des Umfangs, der von Heinz-Peter Meidinger angesprochenen Aspekte auf zwei eigene Teile aufgeteilt habe. Im dritten Teil wird der Hintergrund der Einführungen genauer beschrieben und die erste These, mit der Heinz-Peter Meidinger begründet, warum er diese Reform für nicht gelungen erachtet, vor dem Hintergrund von Ergebnissen empirischer Untersuchungen betrachtet: die Studienzeiten hätten sich durch die Einführung nicht verkürzt, auch aufgrund schlechter Berufsaussichten Absolvent*innen mit Bacherlorabschluss. In diesem letzten Teil zur Todsünde Nr. 3 geht es um die noch nicht betrachteten drei Gründe aus dem Buchkapitel.
Die Mobilität Studierender, einen Teil ihres Studiums im Ausland zu absolvieren (Auslandssemester) hätte nicht zugenommen.
In Bachelorstudiengängen würde ein größerer Anteil Studierender ihr Studium abbrechen, als in nicht-gestuften Studiengängen vor dem Bologna-Prozess.
Über die Qualität gestufter Studiengänge „gibt es vielfach Klagen“ (Meidinger, 2021, 59).
In die weite Welt hinein…
Die Erhöhung der internationalen Mobilität im Studium ist, anders als eine Veränderung der Studienzeiten (siehe den dritten Teil), explizit ein offizielles Ziel der Maßnahmen des Bologna-Prozesses (Deutscher Bundestag, 2021; Bologna-Erklärung, 1999), das für Deutschland genauer konkretisiert wurde. Gemäß Internationalisierungsstrategie der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK, 2013) werden zwei Mobilitätsziele unterschieden. Zum ersten sollten bis 2020 mindestens 50% aller Hochschulabsolvent*innen studienbezogene Auslandserfahrung gesammelt haben. Zum zweiten sollten bis 2020 mindestens ein Drittel aller Hochschulabsolvent*innen „einen studienbezogenen Auslandsaufenthalt von mindestens drei Monaten und/oder 15 ECTS nachweisen können“ (DAAD, 2024). Bei beidem verbringen Studierende also einen Teil ihrer Studienzeit im Ausland (so genannte temporäre Mobilität oder Credit mobility, vgl. DAAD, 2023). Studierende können aber natürlich auch direkt ein Studium in einem anderen Land aufnehmen und es vollständig dort absolvieren (so genannte abschlussbezogene Mobilität oder Degree mobility, vgl. DAAD, 2023). Diese Ziele beziehen sich auf inländische Studierende aus Deutschland. Natürlich ist es aber auch Ziel des Bologna-Prozesses, dass Studierende aus dem Ausland vermehrt ein Studium oder zumindest Teile davon an deutschen Hochschulen absolvieren. Zur Frage, inwiefern diese Ziele erreicht wurden, können einige empirische Untersuchungen herangezogen werden, auf deren Basis man zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen kann. Zum ersten beruhen diese Unterschiede darauf, welche Daten in der jeweiligen Untersuchung herangezogen werden (z.B. Amtliche Statistiken auf Basis von Meldedaten der Hochschulen, Studierendenbefragungen des Deutschen Akademischen Auslands Dienstes (DAAD), Statistiken des ERASMUS-Programms der Europäischen Kommission, Sozialerhebung des DZHW, eine gute Übersicht bieten Hillmann & Karpenstein, 2018). Zum zweiten kommt es auch darauf, was alles als Auslandsaufenthalt in die oben genannten Zielkategorien einbezogen wird, da dabei beträchtliche Unterschiede bestehen können (z.B. ein zweiwöchiges Praktikum bei einer Firma bis hin zu ganzen Studienjahren an Hochschulen im Ausland). Zum dritten hängt es auch davon ab, welche Schwerpunkte in den vorliegenden Publikationen gesetzt wurden (z.B. wird nicht jeder Kennwert in jedem jährlichen Bericht veröffentlicht).
Nach dem letzten Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung der Ziele des Bologna-Prozesses (Bundestag, 2021) habe sich die Anzahl von deutschen Studierenden im Ausland seit dem Jahr 2000 verdoppelt und 34% der Studierenden im höheren Semester haben studienbezogene Auslandserfahrungen gemäß des ersten Mobilitätsziels sammeln können (temporäre Mobilität). Hierbei bezieht sich der Bericht auf die Mobilitätsstudie des DAAD und des DZHW aus dem Jahr 2017. Andere Quellen nennen für das Jahr 2017 einen Anteil von 38% Studierender mit Erfahrung temporärer Mobilität im Studium (DAAD, 2017), was einer Steigerung entspräche (von 32% im Jahr 2013 und 37% im Jahr 2015; DAAD, 2017). Woisch & Willige (2015) berichten hingegen von 26% für das Jahr 2013 und 30% für das Jahr 2015 (basierend auf anderen Panel-Daten). Für die Jahre zwischen 2000 und 2012 werden an anderer Stelle basierend auf unterschiedlichen Datenquellen temporäre Mobilitätsquoten zwischen 30% und 32% angegeben, für die Zeit vor der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge 20% für das Jahr 1991, 23% für das Jahr 1994 und 29% für das Jahr 1997 (DAAD, 2013). Jahr & Teichler (2007) berichten für Absolvent*innen der Jahrgänge 1994/1995 eine temporäre Mobilitätsquote von 13,6%. Diese Zahlen beziehen sich auf beide formulierte Zielklassen. Für das zweite Ziel (Aufenthalt mindestens drei Monate, 15 ECTS-Punkte) wurde basierend auf gemeldeten Daten der hochschulischen Prüfungsstatistik, die sich auf anerkannte ECTS-Leistungen aus anderen Ländern beziehen, für das Prüfungsjahr 2018 eine temporäre Mobilitätsquote von 7,5% berechnet (DeStatis, 2020), wobei auch hier Unsicherheiten in der Erfassung bestehen: „Offensichtlich sind die in der Statistik abgebildeten Mobilitätsquoten maßgeblich von den Bemühungen der Hochschulen geprägt, die Auslandsmobilität nach den Vorgaben des novellierten Hochschulstatistikgesetzes möglichst vollständig zu erfassen.“ (DeStatis, 2020, 14).
Reifenberg & Philipps (2023) berichten Ergebnisse einer Befragung des DAAD von N=115.100 Studierenden von 74 Hochschulen im Wintersemester 2020/2021 hinsichtlich ihres Mobilitätsverhaltens (Benchmark internationale Hochschule, BintHo). Dabei wurden Studierende in allen Abschnitten des Studienverlaufs befragt. Zum Befragungszeitpunkt gaben 19% der Studierenden an, schon einen studienbezogenen Auslandsaufenthalt absolviert zu haben, 16% einen fest geplant zu haben und 13% wahrscheinlich einen absolvieren zu wollen. Dabei unterscheiden sich diese Mobilitätsangaben stark zwischen Hochschulart, angestrebter Abschlussart (Bachelor oder Master) und studierten Fächern. So gaben bspw. 21,5% der Studierenden an Universitäten einen Auslandsaufenthalt an, an HAWs 15,9%. Der Anteil mit Auslandserfahrung im Master (42,3% an Universitäten) ist höher als im Bachelor (13,7% an Universitäten). Nur bezogen auf die Universitäten reicht zwischen den Fächern der Anteil von 28,4% temporärer Mobilität in den Geisteswissenschaften an Universitäten bis zu 15,2% in Mathematik & Naturwissenschaften. Solche großen Unterschiede zwischen Fächern und angestrebter Abschlussart zeigen sich auch in anderen Untersuchungen (z.B. DAAD, 2023; DAAD, 2017; DeStatis, 2020), wobei Unterschiede zwischen Fächern auch davon abhängen, zu was für Gruppen Studiengänge genau zusammengefasst werden. In der BintHo-Untersuchung wurde auch erfragt, inwiefern die Auslandsaufenthalte als verpflichtender Teil eines Studiengangs absolviert werden mussten. Nur bezogen auf Universitäten betrug der Pflichtanteil der absolvierten Auslandsaufenthalte 16,5%. Der Verpflichtungsanteil ist dabei für Lehramtsstudiengänge am größten (39,5%). Im Bachelor werden temporäre Auslandsaufenthalte primär im fünften Semester absolviert, im Master im dritten Semester. Der Übergang zwischen Bachelor- und Masterstudium wurde nur von 4% der Studierenden als Zeitpunkt angegeben. Häufigste Art der Mobilität ist ein klassisches Auslandssemester (71,2% an Universitäten), gefolgt von Praktika (25,2% an Universitäten) und der Studienreise (8,9% an Universitäten). Die häufigste Dauer des temporären Aufenthalts liegt zwischen drei und sechs Monaten (46,9%). Auch bzgl. der Mobilitätsarten und Aufenthaltsdauern zeigen sich ähnliche Ergebnisse auch in anderen Untersuchungen (z.B. DAAD, 2023; DAAD, 2017).
Wie sieht es spezifisch bei Lehramtsstudiengängen aus, die wir hier im Blog ja besonders in den Fokus nehmen? Je nach Untersuchung werden auch Ergebnisse spezifisch für Lehramtsstudierende ausgewertet. Für den Jahrgang 2016 bspw. wird eine temporäre Mobilitätsquote von insgesamt 26% berichtet (DAAD, 2019), die sich stark zwischen Schularten und Fächergruppen unterscheidet. Studierende für das Lehramt an Gymnasien verfügen am häufigsten über studienbezogene Auslandserfahrung (33%), während Studierende für die anderen Schulformen etwas weniger angeben (18% bis 21%). Die Fachgruppe mit dem höchsten Mobilitätsanteil sind dabei die Sprach- und Kulturwissenschaften mit 35% mit den höchsten Anteilen für Romanistik (78%) und Anglistik (59%). Diese Studiengänge haben meist einen verpflichtenden Anteil von Auslandsaufenthalten. Lehramtsstudierende geben als relevante Schwierigkeit für Auslandsaufenthalte insbesondere den Zeitverlust im Studium an (54%), was im Vergleich zu anderen Studiengängen eher hoch ist (diese liegen bei 33%; DAAD, 2019; vgl. Reifenberg & Philipps, 2023; Woisch & Willige, 2015). Die komplexe Studienstruktur im Lehramt mit mindestens zwei Fächern könnte sich also auch in der etwas geringeren Mobilitätsquote als der Durchschnitt abbilden (vgl. Ahlgrimm et al., 2018).
Diese Ergebnisse beziehen sich auf temporäre Mobilität im Studium (Credit mobility). Welche Erkenntnisse liegen für Studierende aus Deutschland vor, die ihr gesamtes Studium im Ausland absolvieren (abschlussbezogene Mobilität, Degree mobility)? Auf Basis von Daten des statistischen Bundesamtes kann zunächst festgestellt werden, dass die Zahl deutscher Studierender im Ausland zwischen 1991 und 2010 kontinuierlich angestiegen ist, mit größerem Zuwachs ab den Jahren 2003 und 2004 (DAAD, 2013). Zwischen 2002 und 2010 stieg der Anteil der Studierenden im Ausland an allen inländischen Studierenden von 3,4% auf 6,0% (DAAD, 2023). Seit 2015 gibt es allerdings keine signifikanten Zuwächse mehr und der Anteil ist im Jahr 2021 sogar leicht gesunken auf 4,9% (was aber auch an der größeren Zahl Personen liegt, die ein Studium im Inland begonnen haben, DAAD, 2023, 9). Die Zahl ausländischer Studierender, die ein Studium in Deutschland absolvieren, ist zwischen 2011 und 2021 um 94% gestiegen. Zwischen 2003 und 2011 gab es hingegen wenig Veränderungen, zuvor stieg die Zahl aber auch zwischen 1997 und 2002 an (DAAD, 2013).
Welches Fazit lässt sich jetzt bzgl. des Einflusses der Einführung gestufter Bachelor- und Masterstudiengänge auf das Mobilitätsverhalten Studierender ziehen? Das hängt ein wenig von der Perspektive ab bzw. welche Art von Mobilität betrachtet wird. Bzgl. abschlussbezogener Mobilität sind im Zeitverlauf definitiv Zuwächse feststellbar, sowohl was die Mobilität von Deutschland ins Ausland und umgekehrt betrifft. Bzgl. temporärer Mobilität fasst der DAAD folgendermaßen zusammen:
„Zwischen 1991 und 2000 stieg der Anteil der Studierenden (in höheren Semestern) mit temporären Auslandsaufenthalten stark an (von 20% auf 32%) und stabilisierte sich bis 2006 auf diesem Niveau. Seitdem ist allerdings ein kontinuierlicher Rückgang zu beobachten, auf 19% bei der bislang letzten Erhebung im Jahr 2021. Anders als bei der abschlussbezogenen Mobilität war die Einführung des zweigliedrigen Studiensystems mit Bachelor- und Masterstudiengängen hier also nicht mit einem Anstieg der temporären studienbezogenen Mobilität verbunden.“
(DAAD, 2023, 9)
Für die Interpretation wichtig sind aus meiner Sicht allerdings die Details. So bestehen große Unterschiede bzgl. Hochschularten, Fächern und sogar teilweise zwischen einzelnen Hochschulen (vgl. z.B. DeStatis, 2020), so dass die reine Umstellung des Systems nicht die einzige ausschlaggebende Ursache zu sein scheint. Es liegt auch daran, wie Auslandsaufenthalte in konkreten Studiengängen an konkreten Hochschulen implementiert werden (z.B. die Pflichtaufenthalte in vielen Lehramtsstudiengängen). Für die Jahre 2020 und 2021 gibt es auch Auswirkungen der COVID-19 Pandemie (vgl. DAAD, 2023). Der teilweise Anstieg der Mobilität auch schon vor der Einführung gestufter Studiengänge in Deutschland ist auch ein Hinweis darauf, dass die Mobilität im Studium stärker mit den Möglichkeiten zur finanziellen Förderung für solche Aufenthalte zusammenhängt, als mit der „reinen“ Studienstruktur auf Systemebene. Schon vor Einführung gab es bspw. eine Ausweitung von Förderprogrammen der Europäischen Union (z.B. das Sokrates-Programm). Generell zeigt sich in empirischen Untersuchungen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Auslandsaufenthalts auch vom sozio-ökonomischen Hintergrund der Studierenden abhängt (z.B. Finger, 2012; vgl. Banscherus, Himpele & Staack, 2011). Teilweise besteht auch eine große Unsicherheit bzw. Varianz der Ergebnisse nach unterschiedlichen Datenquellen (vgl. Lanzendorf, Schomburg & Teichler, 2012) und es sollte auch die Tatsache beachtet werden, dass erst mit Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen überhaupt vertiefte Bemühungen begonnen wurden, aussagekräftige statistische Daten zu erheben (vgl. DAAD; 2017). Insofern hat der Bolognaprozess auch dazu geführt, dass überhaupt analysierbare Daten vorliegen, was für die „alten“ einphasigen Studiengänge nicht im selben Maße gesagt werden kann. Unabhängig von diesen Unsicherheiten lässt sich aber festhalten, dass die konkret beschlossenen Ziele bzw. internationalen Mobilitätsquoten in Deutschland noch nicht erreicht sind (DAAD, 2023). Für diesen Aspekt gibt es aber zumindest eine solche Zieldefinition, die quantitativ prüfbar ist. Zur Frage, wie sich die Mobilität Studierender innerhalb Deutschlands seit der Einführung der gestuften Studiengänge verändert hat, gibt es interessanterweise weniger Erkenntnisse aus empirischen Untersuchungen (z.B. Gareis, Diller & Huchthausen, 2018).
Bei der Stange bleiben
Heinz-Peter Meidinger stellt ebenfalls die These auf, es würde ein größerer Anteil Studierender ihr Studium abbrechen, als in nicht-gestuften Studiengängen vor dem Bologna-Prozess. Je nach Quelle werden unter Studienabbruch verschiedene Phänomene zusammengefasst (Neugebauer et al., 2019). Im engeren Sinne ist ein Studienabbruch das vollständige Beenden eines Studiums bzw. das Verlassen des Hochschulsystems einer Person ohne Abschluss (Heublein & Schmelzer, 2020), unabhängig davon, ob es sich auf ein Diplom-, Bachelor- oder ein angeschlossenes Masterstudium bezieht. Davon zu unterscheiden sind Studienunterbrechungen, bei denen ein Studium für eine zeitlang pausiert und danach wieder aufgenommen wird, und Wechsel zwischen Studiengängen oder -fächern. Bei letzterem wird natürlich ein Studiengang ohne Abschluss verlassen, aber nicht das Hochschulsystem, da ja etwas Anderes weiter studiert wird. Daneben gibt es Phänomene wie das so genannte Parkstudium, bei dem sich Personen in einen Studiengang einschreiben, ohne irgendeine Studienaktivität aufzunehmen. Gründe hierfür können z.B. sein, dass notwendige Wartezeiten überbrückt werden sollen, bis man für einen Studiengang zugelassen wird, den man eigentlich studieren möchte, oder einfach Vorteile des Studierendenstatus nutzen möchte (z.B. Vergünstigungen). Dieses Phänomen tritt häufig in Studiengängen ohne Zulassungsbeschränkung (numerus clausus) wie Physik auf (Düchs & Ingold, 2016). Diese Unterscheidungen sind deshalb wichtig, da zur empirischen Bestimmung von Abbruchquoten meist statistische Daten herangezogen werden, in denen nicht immer klar zwischen diesen Phänomenen unterschieden werden kann, was zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann (Neugebauer et al., 2019). Beim einfachsten Verfahren zur Ermittlung von Abbruchquoten werden bspw. einfach die Anzahlen Studienanfänger*innen und Absolvent*innen mit einem gewissen zeitlichen Abstand zueinander in Beziehung gesetzt (so genanntes Kohortenvergleichsverfahren, Heublein, Richter & Schmelzer, 2020). Bei diesem Verfahren können Abbruchquoten überschätzt werden, weil eben Wechsel oder Unterbrechungen nicht vollständig berücksichtigt werden. Für eine genauere Abschätzung sind längsschnittliche Daten notwendig, die Studierverläufe von Personen individuell betrachten.
Je nach Datenquelle werden unterschiedliche Studienabbruchquoten berichtet. Auf Basis der Prüfungsstatistiken des Statistischen Bundesamts betrugen die Studienabbruchquoten für Studierende mit Ersteinschreibung zwischen 2009 und 2013 zwischen 21,3 und 24,8% (DeStatis, 2023). Betrachtet man nur Bachelorstudierende liegen sie zwischen 22,7% und 26,5%, nur für das Lehramt zwischen 17,4% und 22,4%. Für den Jahrgang 2007 liegt die Gesamtquote bei 21,4% (DeStatis, 2021). Das Statistische Bundesamt verwendet zur Berechnung einen Korrekturfaktor, bei dem versucht wird, Wechsel und Studierende, die noch nicht fertig studiert haben, angemessen zu berücksichtigen. Für die Jahrgänge 1997 bis 2001, die ihr Studium auf jeden Fall vor der Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen begonnen haben, werden Abbruchquoten zwischen 24,5% und 28,7% berichtet. Nur für die einphasigen Diplomstudiengänge liegen sie zwischen 33,2% und 34,7%, nur für das Lehramt zwischen 24,5% und 28,7%. Das DZWH verwendet ein Kohortenvergleichsverfahren ebenfalls auf Basis der amtlichen Statistik (Neugebauer et al., 2019). Für die Studienanfänger*innen zwischen den Jahren 2012 und 2016 liegen die Abbruchquoten nach diesem Verfahren für Bachelorstudierende zwischen 27% und 31% (im Lehramt zwischen 10% und 21%) sowie für Masterstudierende zwischen 17% und 323% (im Lehramt zwischen 9% und 16%) (Heublein, Hutzsch & Schmelzer, 2022). Die Zahlen bewegen sich dabei auch für frühere Jahrgänge auf einem vergleichbaren Niveau (Heublein et al., 2020), wobei kaum Unterschiede zwischen „alten“ und „neuen“ Studiengängen festgestellt wurden (Heublein et al., 2012; Heublein et al., 2008).
Dabei bestehen in allen Jahrgängen und Untersuchungen mehr oder wenige große Unterschiede zwischen Studierenden verschiedener Fachgruppen, Hochschularten und angestrebten Abschlüssen. Diese Studien haben aber die schon angesprochenen Schwächen bzgl. möglicher Verzerrungen. Spezifisch für das Lehramt ermöglichen ein paar Untersuchungen solche Abschätzungen für spezifische Hochschulen bzw. Bundesländer. In der schon angesprochenen Untersuchung von Dietrich (2016) zum Vergleich des Staatsexamensmodells mit dem Bachelor-Master-Modell bei Lehramtsstudierenden an der Universität Leipzig werden auf Basis von Längsschnittdaten für beide Modelle eher niedrige Abschlussquoten von 47,4% (Staatsexamen) und 49,5% (Bachelor/Master) festgestellt. Dabei wurde beobachtet, dass ein möglicher Abbruch im Staatsexamensmodell später erfolgt (Median im vierten Semester) als im gestuften System (Median im zweiten Semester). Für das Land Mecklenburg-Vorpommern untersuchten Radisch et al. (2018) längsschnittliche Verlaufsdaten von Lehramtsstudierenden basierend auf Verwaltungsdaten der Universitäten Rostock und Greifswald. Einbezogen wurden dabei N=5781 Lehramtsstudierende, die zwischen den Wintersemestern 2012/2013 und 2017/2018 für ein Lehramtsstudium eingeschrieben waren. Dabei zeigt sich ein nach Schulformen unterschiedlicher Umfang von „Schwund“ im Studium: „Im Lehramt an Gymnasien sind die Kohorten nach zwei Semestern um etwa 30 Prozent geschrumpft , im Lehramt an Regionalen Schulen teilweise um bis zu 40 Prozent.“ (Güldener et al., 2020). Im Lehramt für die Grundschule und Sonderpädagogik ist der „Schwund“ geringer. Studienabbrüche im engeren Sinn machen allerdings nur einen Teil dieses „Schwunds“ aus (für das Lehramt an Gymnasien z.B. 41% des „Schwunds“). Die Studierenden benötigen tendenziell länger als die Regelstudienzeit bis zum Abschluss. Auf Basis einer längsschnittlichen Teilstichprobe der PaLea-Studie (n=787 Studierende) kann nach einer Bernholt, Zimmermann & Möller (2023) eine grobe Schwundquote von ca. 39,5% abgeschätzt werden, wobei im PaLea-Panel Abbrüche nicht gleichmäßig erfasst wurden. Sind diese Quoten nun höher oder niedriger als für Lehramtsstudiengänge vor der Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen auch im Lehramt? Auf Basis von Kohortenvergleichsstudien berichtet bspw. Gesk (1999) für Lehramtsstudierende der pädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg mit Studienbeginn Anfang der 1990er Jahre eine durchschnittliche Abbruchquote von ca. 40%. Ebenfalls für die pädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg bestimmte Rauin (2007) eine Abbruchquote von ca. 30% für die ersten drei Semester für Studierende mit Studienbeginn 1995.
Vor dem Hintergrund der Ergebnisse vorliegender Untersuchungen scheint sich durch die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen wenig an Studienabbruchquoten verändert zu haben. Auch hier treten ähnliche Schwierigkeiten wie bei der Ermittlung von Mobilitätsquoten auf, da die verfügbaren Datengrundlagen letztendlich eher Abschätzungen von Ober- und Untergrenzen ermöglichen. Auch hier bestehen große Unterschiede zwischen Studiengängen und Fächern. Die Veränderung der Studienstrukturen allein scheint keine direkte Ursache für Veränderungen bei Studienabbrüchen zu sein. Hier sind andere Gründe und Motive ausschlaggebend, die eher die konkrete Gestaltung von Studiengängen betreffen und weniger den Rahmen auf Systemebene (z.B. Theune, 2021; Neugebauer et al., 2019; Heublein & Wolter, 2011; Blüthmann, Lepa & Thiel, 2008).
Qualitätsurteile
Heinz-Peter Meidingers vierte These zur Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen bezieht sich darauf, dass über die Qualität gestufter Studiengänge „vielfach Klagen“ (Meidinger, 2021, 59) gäbe. Leider bleibt diese These unspezifisch darin, wer genau über was genau klagt. Grundsätzlich ist bzw. war der gesamte Bologna-Prozess und die damit verbundene Einführung der gestuften Studiengänge in Deutschland mit vielfältiger Kritik verbunden, die sich auf verschiedenste Aspekte bezieht bzw. bezog (z.B. Winter, 2018; Tegeler, 2010; Wernstedt & John-Ohnesorg, 2010; Hechler & Pasternak, 2009; Belz et al., 2005; Flegel, 2000). So wurde bspw. gerade zu Beginn der Einführungen eine „Verschulung“ des Studiums befürchtet (z.B. Moser, 2021; Kühl, 2018), wobei mit dem Begriff je nach Perspektive unterschiedliche Dinge assoziiert wurden. Häufig wird und wurde damit ein Gegensatz zwischen Lehren und Lernen in den Institutionen Schule und Hochschule ausgedrückt, der sich darauf bezieht, dass das Studieren „freier“ sei als Lernen in der Schule teilweise mit Bezug zum Humboldtschen Bildungsideal (vgl. Tenorth, 2013). „Mit dem Etikett der Verschulung wird dabei eine Vielzahl von Phänomenen erfasst: Fixe Stundenpläne, klassenorientierte Lehr- und Lernorganisation, Anleitung statt selbstorganisiertes Lernen, permanente Anwesenheitspflichten einhergehend mit einer hohen Kontrolldichte und Prüfungsinflation […]“ (Kühl, 2018). Allerdings können natürlich auch einphasige Studiengänge je nach Fach mehr oder weniger Wahlfreiheiten beinhalten (z.B. naturwissenschaftliche Studiengänge hierarchischer aufgebaut als viele Studiengänge der Geisteswissenschaften). Klagen und Kritik sind aber kein Spezifikum für Bachelor- und Masterstudiengänge. Auch vor der Bologna-Reform gab es vielfach Klagen über die Ausgestaltung des Studiums (ein sehr plakatives Beispiel ist die Studentenbewegung der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts). Gemeckert wurde also schon immer ;).
Inwiefern sind Klagen über Bachelor- und Masterstudiengänge vor dem Hintergrund von Ergebnissen empirischer Untersuchungen evtl. doch gerechtfertigt? Eine generelle Schwierigkeit bei der Einordnung von Kritik besteht darin, dass sie für die empirische Prüfung auf die konkrete Implementation von Studiengängen an konkreten Hochschulen bezogen sein muss. Aussagen über die Folgen auf Systemebene sind dadurch erschwert. Auf diese Ebene zielt allerdings die vierte These von Heinz-Peter Meidinger. Es wären also Untersuchungen erforderlich, die kontrolliert möglichst viele Studiengänge an unterschiedlichen Orten mit einbeziehen, und das natürlich vor und nach der Einführung „neuer“ Studiengänge. Solche aufwändigen Studien liegen aber kaum vor bzw. auch hier wurden umfangreichere Daten zur Studierqualität zeitlich erst im Zuge des Bologna-Prozesses erhoben, so dass weniger gute Vergleichsdaten zur Zeit davor vorliegen. Daneben muss natürlich für eine empirische Erhebung genauer definiert werden, welche Qualitätsaspekte des Studiums adressiert werden sollen bzw. was genau untersucht werden soll. Nichtsdestotrotz gibt es natürlich eine Vielzahl von Untersuchungen, die auch verschiedene Perspektiven aufgreifen. Da Heinz-Peter Meidinger allerdings nicht spezifischer wurde, habe ich für diesen Beitrag einfach ein paar exemplarische Beispiele ausgewählt.
Bspw. wurde im Projekt ZEITLast (Schulmeister & Metzger, 2011) ausgehend von Kritik an der Einführung der Bachelor-Studiengänge untersucht, wie groß die Workload und damit auch die Belastung ist, die Studierende erfahren. Methodisch wurden so genannte Zeitbudget-Analysen genutzt. Hierbei mussten teilnehmende Studierende in einem digitalen Tool täglich in gegliederten Zeitintervallen abgeben (kleinste Einheit: 15 Minuten), welche Tätigkeiten sie durchgeführt haben (aus einer Liste von Tätigkeiten). Es wurde relativ strikt vorgegangen, bspw. musste eine Erfassung zeitnah (max. bis 17 Uhr des Folgetags) erfolgen. Der Untersuchungszeitraum erstreckte sich jeweils auf die sechs Monate eines vollen Semesters. Zum Ende des Projekts wurden Daten von N=681 Studierenden aus 29 verschiedenen Studiengängen unterschiedlicher Universitäten und Fächer (erhoben zwischen dem Wintersemester 2009 und 2018) ausgewertet (Schulmeister & Metzger, 2018). Das Vorwort des ersten Zwischenberichts gibt einen guten, aber natürlich durch die Interpretation der Autor*innen gefärbten Eindruck bzgl. der Ergebnisse.
„Selten hat es eine Studie […] gegeben, welche die vorgefassten Meinungen und die vor Beginn aufgestellten Hypothesen in so grundlegender Art und Weise widerlegt hat. Nach aller Kenntnis der kritischen Bologna-Faktoren und den vielen und anhaltenden Studierenden-Protesten waren wir davon ausgegangen, dass im Bachelor-Studium eine fürchterliche Belastung auf die Studierenden zukäme. […] Wir haben in den Zeitbudget-Analysen feststellen müssen, dass die Zeit, die die Studierenden in das Studium investieren, im Mittel viel geringer ist als von früheren Befragungen ermittelt und weit unter den von Bologna und den Modulhandbüchern geforderten Werten liegt.“
(Schulmeister & Metzger, 2011, 7)
Konkreter in Zahlen ausgedrückt, haben die Studierenden basierend auf ihren Zeitbudget-Angaben in einem Semester im Bachelorstudium im Durchschnitt 24 Stunden pro Woche für studienbezogene Tätigkeiten (Metzger & Schulmeister, 2020). Darin sind alle Arten von Tätigkeiten inkludiert (z.B. Veranstaltungsteilnahmen, Selbststudium, Prüfungsvorbereitung). Wichtig ist allerdings, dass eine unheimliche große Varianz zwischen Studierenden, Fächern, Hochschulen und auch Zeitraum besteht (z.B. wird unmittelbar vor Prüfungen sehr viel Zeit investiert, in der vorlesungsfreien Zeit sehr wenig). Es gibt also auch Studierende mit objektiv sehr hohem Workload, aber eben auch einige Studierende mit so gut wie gar keinem Workload. Zwischen Zeitaufwand und Noten bestand so gut wie keine Korrelation (Schulmeister & Metzger, 2018). Studierende in untersuchten Diplomstudien der Stichproben unterschieden sich im Studierverhalten nicht besonders stark von den Studierenden in Bachelor-Studiengängen. Andere Untersuchungen kamen zu ähnlichen Ergebnissen (Kuhlee, 2020). Allerdings kann auch mit der ZEITLast-Studie natürlich kein direkter Einfluss der Einführung der „neuen“ Studiengänge an sich untersucht werden, da leider derartige Analysen für die vorherigen Studiengänge nicht vorliegen.
In einer anderen Untersuchung befragten Sieverding et al. (2013) N=405 Studierende an verschiedenen Universitäten, die zwischen Sommersemester 2009 und 2010 einen klassischen Diplom- oder einen Bachelor-Studiengang im Fach Psychologie absolviert haben, nach ihrem Studieraufwand, empfundenen Anforderungen und Entscheidungsspielräumen im Studium, der subjektiv empfundenen Belastung und ihrer Lebens- und Studierzufriedenheit. In Regressionsanalysen ergaben sich Unterschiede zwischen den Studienformen dahingehend, dass Bachelor-Studierende eine höhere Belastung und etwas geringere Studienzufriedenheit berichteten, der aber allerdings im Wesentlichen über Anforderungen mediiert wird. Der Grund für die Unterschiede zwischen den Studiengängen lag also darin, dass Bachelor-Studierende im Vergleich höhere Anforderungen berichtet haben (die Autor*innen vermuten aufgrund eines größeren Notendrucks). Entscheidungsspielräume spielten für die Studienzufriedenheit, aber nicht für das Belastungserleben eine Rolle. Die Ergebnisse werden allerdings dadurch eingeschränkt, dass zum Studienzeitpunkt kaum Diplom-Studierende unterer Semester einbezogen werden konnten. In anderen Untersuchungen wurden ebenfalls die Einschätzungen von Bachelor- und Diplomstudierenden verglichen. In der Analyse der erziehungswissenschaftlichen Studiengänge der Universität Gießen von Kaufmann & Fraij (2013) ergab sich bspw., dass Studierende beider Studiengänge, die Studierqualität hinsichtlich Studierbarkeit, Wissenschaftlichkeit und Lehrqualität sehr ähnlich beurteilten. Signifikante Unterschiede ergaben sich nur darin, dass Diplom-Studierende die Betreuung durch Dozierende schlechter und den Praxisbezug besser bewertete. Eine Untersuchung an der Universität Bern ergab ebenfalls kaum Unterschiede in den Einschätzungen Studierender in gestuften oder einphasigen Studiengängen (Franzen & Poitner, 2013). Zlatkin-Troitschanskaia et al. (2012) untersuchten, inwiefern sich die Entwicklung des wirtschaftswissenschaftlichen Fachwissens bei Diplom- und Bachelor-Studierenden der Wirtschaftswissenschaften und Wirtschaftspädagogik an einer Universität und einer Fachhochschule (N=771-1198 Studierende, je nach Erhebungszeitpunkt) unterschied. Sie resümieren, „dass seitens des Studienmodells kein eindeutiger Effekt nachgewiesen werden kann.[…] Von allen im Projekt ILLEV erhobenen strukturellen Merkmalen erweisen sich die Faktoren aus der Mesoebene, insbesondere die Anzahl und Art der besuchten Lehrveranstaltungen, als bedeutende Prädiktoren.“ (Zlatkin-Troitschanskaia et al., 2012, 431). Süß, Siewek & Köllner (2011) analysierten sogar, ob sich durch die Bologna-Reform Veränderungen beim ehrenamtlichen Engagement von Studierenden ergaben, was nicht der Fall war.
Hat die Qualität von Studiengängen durch die Einführung des Bachelor- und Master-Systems abgenommen?Hat die Belastung der Studierenden zugenommen?An diesen exemplarischen Beispielen wird deutlich, dass sich dies pauschal nicht beantworten lässt. Es kommt eben auf die konkrete Implementation vor Ort an. An manchen Hochschulen trifft es zu, an manchen nicht. Das liegt aber nicht direkt an der Einführung auf der Systemebene, sondern eher an den agierenden Personen. Dadurch, dass in vielen Fällen das gleiche Lehrpersonal für alle Studienformen zuständig war, ist auch eigentlich erwartbar, dass sich studentische Qualitätseinschätzungen zwischen den Studiengängen eher weniger unterscheiden sollten.
Wie schlimm war denn nun die Reform?
Ist die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen im Zuge des Bologna-Prozess nun ein Beispiel für eine – nach Ansicht von Heinz-Peter Meidinger – „misslungene Reform“ (Meidinger, 2021, 58)? Vor dem Hintergrund der vorliegenden Ergebnisse empirischer Bildungsforschung ist dies wie bei vielen Aspekten des Bildungssystems auf struktureller Ebene nicht eindeutig entscheidbar bzw. nur differenziert nach bestimmten Aspekten. Grundsätzlich sind die Vergleiche zwischen einphasigen und gestuften Studiengängen immer dadurch erschwert, dass sich Studiengänge einzelner Hochschulen zwischen Fachdisziplinen stark unterscheiden, was sich auch in den Untersuchungsergebnissen widerspiegelt. Zum zweiten besteht, ähnlich wie bei Untersuchungen zum Schulsystem, auch hier die Schwierigkeit der Eingangsselektivität (vgl. den zweiten Beitrag zu dieser Todsünde). Neben Änderungen an der formalen Struktur von Studiengängen veränderte sich bspw. auch die Zusammensetzung der Studierenden im Zeitverlauf. So nahmen im Jahr 2022 54,7% eines Altersjahrgangs ein Studium auf, im Jahr 2003 waren es 39,3% (vgl. Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2022). Im Zuge dessen haben sich auch die Voraussetzungen verändert, mit denen Studierende ihr Studium beginnen (z.B. die durchschnittliche Abiturnote, sozio-ökonomischer Hintergrund), was sich auch auf viele der in Heinz-Peter Meidingers Thesen angesprochenen Aspekte auswirken könnte (vgl. Finger, 2012; Banscherus et al., 2009). Daher sind Unterschiede zwischen „alten“ und „neuen“ Studiengängen nicht nur auf die Gestaltung der Studiengänge selbst zurückführbar. Zum dritten muss bei einem Vergleich auch beachtet werden, welche Zeiträume betrachtet werden. Die ersten entwickelten Studiengänge kurz nach der Jahrtausendwende unterscheiden sich natürlich von den Studiengängen, die im Jahr 2024 an Hochschulen angeboten werden.
Generell ist es immer schwierig, eine Systemumstellung gut zu untersuchen, da eine solche Umstellung eben Veränderungen im System, also für alle Akteur*innen bedeutet.Empirische Untersuchungen sind daher zu einem gewissen Grad so etwas wie eine Operation am offenen Herzen. Auffällig ist bezogen auf den Bologna-Prozess, dass erst im Zuge dieser Neuausrichtungen überhaupt systematisch Daten zu Studienstrukturen, -qualität und -wirkungen erhoben wurden. Insofern ist ein Argument wie „Früher waren die Studiengänge besser!“ kaum prüfbar und auch etwas unfair, weil dadurch die „neuen“ Studiengänge einem stärkeren Rechtfertigungsdruck ausgesetzt werden als die „älteren“. Zusammenfassend lässt sich aber sagen, dass die Bologna-Reform in vielen Aspekten keine bis wenige negative Auswirkungen hatte, sondern eher dazu beigetragen hat, auch negative Aspekte der einphasigen Studiengänge explizit zu machen.Wie bei vielem im Bildungssystem kommt es auch im Studium eher auf die Qualität der Tiefenstruktur (Fauth et al., 2020; vgl. Oppermann, 2020) von Lehr-Lern-Umgebungen an, als den formalen, organisatorischen Rahmen. Und diese hängt vom Handeln der lehrenden Personen ab, die auf dafür viele Freiheiten haben, egal, ob sie in einphasigen oder gestuften Studiengängen tätig sind. Und diese Freiheit ist an Hochschulen noch größer, als an Schulen. Generell lässt sich festhalten, das vieles an Kritik, die im Zuge des Bologna-Prozess geäußert wird bzw. wurde sehr normativ gefärbt ist und häufig die Ansichten und Erfahrungen einzelner Kritker*innen widergibt, die manchmal schon, aber auch häufig nicht mit den Ergebnissen systematischerer empirischer Untersuchungen übereinstimmen. Das ist aber auch erwartbar, schließlich betrifft gerade die Umstellung des Studiensystems die meisten Wissenschaftler*innen unmittelbar, weshalb sich häufig die Rolle der*des Forschenden mit der Rolle der*des Betroffenen vermischt.
Unausgereifte Reformen als Todsünde
Die dritte von Heinz-Peter Meidinger so genannte Todsünde der Schulpolitik bezieht sich darauf, dass zu viele unausgereifte Veränderungen des Bildungssystems vorgenommen und diese zugleich einen negativen Einfluss auf die Beteiligten haben würden. Für eine bessere Einschätzung, ob die für die drei genannten Beispiele für derartigen Reformen genannten Prämissen und Schlussfolgerungen auch im Einklang mit Ergebnissen empirischer Bildungsforschung stehen, haben wir uns mit ihnen in vier Beiträgen hier im Blog etwas ausführlicher beschäftigt. Anmerken möchte ich zum Ende dieser Beitragsreihe, dass das zugehöriger Kapitel zu dieser Todsünde im Buch neun DIN A6-Seiten umfasst. Aber gut, es ist ja auch als Streitschrift formuliert.
Zum Ende des Kapitels verweist Heinz-Peter Meidinger darauf, dass Olaf Köller auf die Frage, „was bei Schulleistungsvergleichen erfolgreiche Bundesländer […] anders machen als die Rankingschlusslichter“ (Meidinger, 2021, 60) gesagt hätte, dass es die Kontinuität in der Schulpolitik wäre (wahrscheinlich gemeint als Gegensatz zu zu vielen, schlechten Veränderungen, das ist aber meine Interpretation und wird nicht so explizit ausgeführt). Ich kann mir persönlich gut vorstellen, dass Olaf Köller so etwas oder zumindest etwas Ähnliches gesagt hat. Leider gibt es im Buch keine Quelleangabe zu dieser Aussage und auch meine (vielleicht auch nicht genügend tiefgehende Suche) hat kein entsprechendes Zitat gefunden. Grundsätzlich stimme ich zu, dass eine abgestimmte, systematische Strukturierung eines Bildungssystems mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für gute Lernleistungen einhergeht.Das kann aber auch Reformen umfassen, die natürlich gut umgesetzt sein sollten. Da stimme ich Heinz-Peter Meidinger explizit zu, aber ob eine spezifische Reform dieses Merkmal erfüllt, sollte durch systematische empirische Untersuchungen geprüft werden und nicht allein auf Einschätzungen individueller Akteur*innen. Die vierte Todsünde der Bildungspolitik wird Gegenstand des nächsten Beitrags in dieser Artikelreihe sein. Er wird an dieser Stelle verlinkt, sobald er online zugänglich ist.
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Diesen März fand die jährliche Konferenz der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung in Potsdam statt. Dabei handelte es sich um einen Nachholtermin, da eigentlich schon 2020 in Potsdam getagt werden sollte, was aber aufgrund der COVID 19-Pandemie leider kurzfristig nicht möglich war. Insofern war es umso schöner, dass sich das Tagungsteam bereit erklärt hat, die Konferenz 2024 wieder auszurichten. Als Repräsentant unseres Teams war diesmal nur Christoph (also ich 😉 ) vor Ort. Der Tagungsort war derselbe wie schon auf der Tagung der AEPF 2023. Insofern war es auch gleichzeitig ein Wiedersehen mit dem schönen Campus Griebnitzsee (mit vielen Bäumen im Innenhof und es wurde auch wieder sonnig).
Unsere Beiträge
In diesem Jahr hatten wir die Gelegenheit, uns im Symposium Handlungsnahe Kompetenzmessung mit Simulationen in der Lehrkräftebildung: Potentiale und Herausforderungen zu beteiligen, das von Stephanie Kron und Prof. Dr. Stefan Ufer von der LMU München organisiert wurde. Christoph eröffnete das Symposium mit einem Vortrag über die Entwicklung und Ergebnisse aus der Validierung von Thomas‘ Performanztest für die rollenspielbasierte Prüfung von Feedbackkompetenz angehender Lehrkräfte im Fach Englisch. Dabei konnten wir auch aktuelle Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen Performanz in der Simulation und dem Ausmaß von fachdidaktischen Wissen, Feedbackwissen und Sprachkompetenz berichten (Danke dir, Thomas, für die Auswertungen!). Danach berichtete Johannes Poser vom IPN in Kiel über die Erfassung der Diagnosekompetenz zum Experimentieren im Fach Biologie mit Hilfe eines virtuellen Klassenraums. In diesem virtuellen Klassenraum werden Gespräche mit einzelnen Schüler*innen simuliert, denen Fragen gestellt werden müssen (ausgewählt aus vorgegebenen Listen). Je nach Antwort, können weitere Fragen gestellt werden. Während dieses Prozesses müssen die Studierenden das Kompetenzniveau und das Wissen der simulierten Schüler*innen zum Experimentieren einschätzen und am Ende auch nochmals eine abschließende Einstufung der Kompetenz jedes*r Lernenden vornehmen. Daten aus einer Onlineuntersuchung mit N=86 Studierenden zeigte, dass diese die Niveaustufe in ca. 48% der Fälle korrekt diagnostizieren konnten. Im dritten Vortrag sprach Stephanie Kron über die Messung von und Beziehungen zwischen einzelnen Indikatoren der diagnostischen Kompetenz angehender Mathematiklehrkräfte. Zur Erfassung der Diagnosekompetenz wurde eine rollenspielbasierte Simulation genutzt, in der Lehramtsstudierende mit von trainierten Schauspieler*innen verkörperten Schüler*innen zwei diagnostische Einzelgespräche führen mussten. Zentrales Steuerungsinstrument dieser Simulationen ist dabei die Auswahl von Aufgaben, die sie den Schüler*innen im Verlauf verschiedene vorlegen müssen, die die Schüler*innen wiederum bearbeiten. Aus Ergebnis und der Beobachtung des Bearbeitungsprozesses wiederum sollte am Ende der Lernstand der Schüler*innen bzgl. neun Facetten der Dezimalbruchrechnung beurteilt werden. Als Indikator der Diagnosekompetenz wurde unter anderem der Anteil an Aufgaben berechnet, die ein hohes diagnostisches Potential innerhalb des Gesprächs aufweisen. Dabei zeigte sich in einer Untersuchung mit N=63 Studierenden, dass so gut wie keine Anpassung der Aufgabenauswahl anhand der Schüler*innenantworten stattfindet. Alle unsere Vorträge wurden aus einer medizindidaktischen Perspektive von Prof. Dr. med Harm Peters von der Charité Berlin diskutiert, was sehr bereichernd war und mir einige Anregungen für unsere weitere Arbeit im Projekt gegeben hat. Vielen Dank auch nochmal an dieser Stelle an Stephanie und Stefan für die Einladung und die Organisation! Daneben waren Jana und Christoph auch als Co-Autoren am Beitrag Pedagogical reasoning bei der Unterrichtsplanung – Eine netzwerkanalytische Untersuchung des Planungsentscheidens beteiligt, in dem Prof. Dr. Daniel Scholl unsere gemeinsamen Arbeiten zur Darstellung von Unterrichtsplanungen mit netzwerkanalytischen Methoden vorstellte. Danke auch dir Daniel!
Daneben gab es auch dieses Jahr wieder viele interessante Vorträge und Poster zu unterschiedlichsten Aspekten der empirischen Bildungsforschung. Besonders interessant für uns war natürlich die (virtuelle) Keynote von Prof. Dr. Pam Grossman von der Penn GSE – University of Pennsylvania, die unter dem Titel Core Practices for Teaching: A Language for Developing and Improving Professional Practice einen Ansatz vorstellte, den auch wir für die Entwicklung unserer simulationsbasierten Prüfungen verwenden. Im Zentrum stehen so genannten Core Practices, also professionelle Praktiken, die prototypisch und fundamental für den Lehrkräfteberuf sind. Zum Erwerb von Kompetenzen bzgl. dieser Kernpraktiken entwickelte und erprobte sie zusammen mit Anderen auch spezifische Ansätze für die Lehre (vgl. Grossman, 2018). In einer weiteren Keynote sprach Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek zum Transfer sprachlicher Förderkonzepte. Nach einem Überblick über aktuelle Lernstandserhebungen zu Lesefähigkeiten deutscher Schüler*innen berichtete er unter anderem am Beispiel des Hamburger Lesebands, welche Bedingungen notwendig sind, damit empirisch abgesicherte, lernwirksame Intervention zur Förderung der Lesekompetenz auch in der Breite des Schulsystems implementiert werden können.
Auch neben den Keynotes gab es natürlich einige Highlights. Bspw. berichtete Madlena Kirchhoff über die Entwicklung und Evaluation eines Seminars zur Förderung der Core Practices „Ziele festlegen“ und „Unterrichtseinstiege erstellen“. Dabei orientierte sie sich mit ihren Kolleg*innen am oben schon erwähnten Ansatz zur Förderung von Core Practices (Grossman, 2018), wobei die Studierenden ihre geplanten Unterrichtseinstiege auch in Microteaching-Simulationen erprobt haben. Zur Evaluation entwickelten sie Instrumente zur Erfassung der Core Practices, die sich zumindest für das Festlegen von Zielen auch in der theoretisch erwarteten Struktur empirisch abbilden ließen. Holger Futterbleib präsentierte Ergebnisse experimenteller Studien zur Frage, inwiefern Personen der empirischen Bildungsforschung die Fähigkeit und Zuständigkeit zuschreiben, relevante Beiträge für gesellschaftliche Entscheidungen bzgl. Fragen der Bildung liefern. In quotenrepräsentierten Stichproben aus der deutschen Bevölkerung konnten dabei die Ergebnisse früherer Laboruntersuchungen bestätigt werden. Wurden Personen Ergebnisse der Bildungsforschung präsentiert, die ihren Vorüberzeugungen widersprach (hier: Wirksamkeit von Klassenwiederholungen), schrieben sie der Bildungsforschung geringere Fähigkeit und Zuständigkeit zu. Dieser Effekt bliebt aber auf den konkreten Kontext beschränkt und wurde nicht auf andere Themen generalisiert.
Insgesamt war es auch dieses Jahr eine gelungene Konferenz, die auch sehr nachhaltig geplant und durchgeführt wurde (z.B. mit Mehrwegbechern, vegetarisch/veganem Catering und vielen weiteren kleinen Ideen). Herzlichen Dank an das Tagungsteam! Wir freuen uns schon auf das nächste Jahr.
Vorträge:
Becker-Mrotzek, M. (2024, 20. März). Transfer sprachlicher Förderkonzepte gestalten. 11. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF), Potsdam.
Futterleib, H., Thomm, E., & Bauer, J. (2024, 18. März). Das kann man gar nicht untersuchen! Abwertung der Fähigkeit und Zuständigkeit von Bildungswissenschaft in der Öffentlichkeit. 11. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF), Potsdam.
Grossman, P. (Ed.). (2018). Teaching core practices in teacher education. Harvard Education Press.
Grossman, P. (2024, 18. März). Core Practices for Teaching: A Language for Developing and Improving Professional Practice. 11. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF), Potsdam.
Kirchhoff, M., Telgmann, L., & Müller, K. (2024, 19. März). Zur Messung der Core Practices „Ziele festlegen“ und „Unterrichtseinstiege erstellen“. 11. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF), Potsdam.
Kron, S., Sommerhoff, D., Stürmer, K., & Ufer, S. (2024, 18. März). Messung von und Beziehungen zwischen einzelnen Indikatoren der diagnostischen Kompetenz angehender Mathematiklehrkräfte. 11. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF), Potsdam.
Poser, J., Fiedler, D., Schönle, D., Reich, C., & Harms, U. (2024, 18. März). Messung der Diagnosekompetenz zum Experimentieren mit der Klassenraumsimulation SKRBio. 11. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF), Potsdam.
Scholl., D., Küth, S., Vogelsang, C. Meier, J., & Seifert, A. (2024, 19. März). Pedagogical reasoning bei der Unterrichtsplanung – Eine netzwerkanalytische Untersuchung des Planungsentscheidens. 11. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF), Potsdam.
Vogelsang, C., Janzen, T., Wotschel, P., & Grotegut, L. (2024, 18. März). Entwicklung und Validierung einer rollenspielbasierten Simulation als Prüfungsverfahren für das Lehramtsstudium im Fach Englisch. 11. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF), Potsdam.