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Meidingers 10 Todsünden der Schulpolitik im Licht der Bildungsforschung 4/12 – Teil 4

Todsünde Nr. 3: Zu viele unausgereifte Reformen im Bildungssystem

In einer Artikelreihe beschäftigen wir uns mit dem Buch „Die 10 Todsünden der Schulpolitik – Eine Streitschrift“ von Heinz-Peter Meidinger (2021) aus der Perspektive der empirischen Bildungsforschung. Dabei wird betrachtet, wie Prämissen und Argumentationen im Buch vor dem Hintergrund von Ergebnissen der Bildungsforschung eingeschätzt werden können. Grundsätzlich ist sollte man das entsprechende Buchkapitel zuvor gelesen haben, was ich ausdrücklich empfehlen möchte. Dies ist der vierte Teil eines Beitrags, der sich mit der dritten vom Autoren so bezeichneten Todsünde beschäftigt. Thesen aus dem Buch werden dabei im Konjunktiv wiedergegeben, was keine Zustimmung oder Ablehnung implizieren soll, sondern einfach den Regeln zur indirekten Rede folgt. Die Kernthese des zugehörigen Buchkapitels ist zusammengefasst, dass im Bildungssystem zu viele Veränderungen vorgenommen würden, ohne vorher ausreichend erprobt und/oder danach ausreichend evaluiert zu werden (siehe hierzu den ersten Teil). Heinz-Peter Meidinger begründet dies an drei Beispielen von Reformen genauer, die sich aus seiner Sicht besonders negativ ausgewirkt hätten (1. das Konzept „Lesen lernen durch Schreiben“, siehe den ersten Teil; 2. den frühen Fremdsprachenunterricht, siehe den zweiten Teil). Das dritte Beispiel ist die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen, die ich aufgrund des Umfangs, der von Heinz-Peter Meidinger angesprochenen Aspekte auf zwei eigene Teile aufgeteilt habe. Im dritten Teil wird der Hintergrund der Einführungen genauer beschrieben und die erste These, mit der Heinz-Peter Meidinger begründet, warum er diese Reform für nicht gelungen erachtet, vor dem Hintergrund von Ergebnissen empirischer Untersuchungen betrachtet: die Studienzeiten hätten sich durch die Einführung nicht verkürzt, auch aufgrund schlechter Berufsaussichten Absolvent*innen mit Bacherlorabschluss. In diesem letzten Teil zur Todsünde Nr. 3 geht es um die noch nicht betrachteten drei Gründe aus dem Buchkapitel.

  • Die Mobilität Studierender, einen Teil ihres Studiums im Ausland zu absolvieren (Auslandssemester) hätte nicht zugenommen.
  • In Bachelorstudiengängen würde ein größerer Anteil Studierender ihr Studium abbrechen, als in nicht-gestuften Studiengängen vor dem Bologna-Prozess.
  • Über die Qualität gestufter Studiengänge „gibt es vielfach Klagen“ (Meidinger, 2021, 59).

In die weite Welt hinein…

Die Erhöhung der internationalen Mobilität im Studium ist, anders als eine Veränderung der Studienzeiten (siehe den dritten Teil), explizit ein offizielles Ziel der Maßnahmen des Bologna-Prozesses (Deutscher Bundestag, 2021; Bologna-Erklärung, 1999), das für Deutschland genauer konkretisiert wurde. Gemäß Internationalisierungsstrategie der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK, 2013) werden zwei Mobilitätsziele unterschieden. Zum ersten sollten bis 2020 mindestens 50% aller Hochschulabsolvent*innen studienbezogene Auslandserfahrung gesammelt haben. Zum zweiten sollten bis 2020 mindestens ein Drittel aller Hochschulabsolvent*innen „einen studienbezogenen Auslandsaufenthalt von mindestens drei Monaten und/oder 15 ECTS nachweisen können“ (DAAD, 2024). Bei beidem verbringen Studierende also einen Teil ihrer Studienzeit im Ausland (so genannte temporäre Mobilität oder Credit mobility, vgl. DAAD, 2023). Studierende können aber natürlich auch direkt ein Studium in einem anderen Land aufnehmen und es vollständig dort absolvieren (so genannte abschlussbezogene Mobilität oder Degree mobility, vgl. DAAD, 2023). Diese Ziele beziehen sich auf inländische Studierende aus Deutschland. Natürlich ist es aber auch Ziel des Bologna-Prozesses, dass Studierende aus dem Ausland vermehrt ein Studium oder zumindest Teile davon an deutschen Hochschulen absolvieren. Zur Frage, inwiefern diese Ziele erreicht wurden, können einige empirische Untersuchungen herangezogen werden, auf deren Basis man zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen kann. Zum ersten beruhen diese Unterschiede darauf, welche Daten in der jeweiligen Untersuchung herangezogen werden (z.B. Amtliche Statistiken auf Basis von Meldedaten der Hochschulen, Studierendenbefragungen des Deutschen Akademischen Auslands Dienstes (DAAD), Statistiken des ERASMUS-Programms der Europäischen Kommission, Sozialerhebung des DZHW, eine gute Übersicht bieten Hillmann & Karpenstein, 2018). Zum zweiten kommt es auch darauf, was alles als Auslandsaufenthalt in die oben genannten Zielkategorien einbezogen wird, da dabei beträchtliche Unterschiede bestehen können (z.B. ein zweiwöchiges Praktikum bei einer Firma bis hin zu ganzen Studienjahren an Hochschulen im Ausland). Zum dritten hängt es auch davon ab, welche Schwerpunkte in den vorliegenden Publikationen gesetzt wurden (z.B. wird nicht jeder Kennwert in jedem jährlichen Bericht veröffentlicht).

Nach dem letzten Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung der Ziele des Bologna-Prozesses (Bundestag, 2021) habe sich die Anzahl von deutschen Studierenden im Ausland seit dem Jahr 2000 verdoppelt und 34% der Studierenden im höheren Semester haben studienbezogene Auslandserfahrungen gemäß des ersten Mobilitätsziels sammeln können (temporäre Mobilität). Hierbei bezieht sich der Bericht auf die Mobilitätsstudie des DAAD und des DZHW aus dem Jahr 2017. Andere Quellen nennen für das Jahr 2017 einen Anteil von 38% Studierender mit Erfahrung temporärer Mobilität im Studium (DAAD, 2017), was einer Steigerung entspräche (von 32% im Jahr 2013 und 37% im Jahr 2015; DAAD, 2017). Woisch & Willige (2015) berichten hingegen von 26% für das Jahr 2013 und 30% für das Jahr 2015 (basierend auf anderen Panel-Daten). Für die Jahre zwischen 2000 und 2012 werden an anderer Stelle basierend auf unterschiedlichen Datenquellen temporäre Mobilitätsquoten zwischen 30% und 32% angegeben, für die Zeit vor der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge 20% für das Jahr 1991, 23% für das Jahr 1994 und 29% für das Jahr 1997 (DAAD, 2013). Jahr & Teichler (2007) berichten für Absolvent*innen der Jahrgänge 1994/1995 eine temporäre Mobilitätsquote von 13,6%. Diese Zahlen beziehen sich auf beide formulierte Zielklassen. Für das zweite Ziel (Aufenthalt mindestens drei Monate, 15 ECTS-Punkte) wurde basierend auf gemeldeten Daten der hochschulischen Prüfungsstatistik, die sich auf anerkannte ECTS-Leistungen aus anderen Ländern beziehen, für das Prüfungsjahr 2018 eine temporäre Mobilitätsquote von 7,5% berechnet (DeStatis, 2020), wobei auch hier Unsicherheiten in der Erfassung bestehen: „Offensichtlich sind die in der Statistik abgebildeten Mobilitätsquoten maßgeblich von den Bemühungen der Hochschulen geprägt, die Auslandsmobilität nach den Vorgaben des novellierten Hochschulstatistikgesetzes möglichst vollständig zu erfassen.“ (DeStatis, 2020, 14).

Reifenberg & Philipps (2023) berichten Ergebnisse einer Befragung des DAAD von N=115.100 Studierenden von 74 Hochschulen im Wintersemester 2020/2021 hinsichtlich ihres Mobilitätsverhaltens (Benchmark internationale Hochschule, BintHo). Dabei wurden Studierende in allen Abschnitten des Studienverlaufs befragt. Zum Befragungszeitpunkt gaben 19% der Studierenden an, schon einen studienbezogenen Auslandsaufenthalt absolviert zu haben, 16% einen fest geplant zu haben und 13% wahrscheinlich einen absolvieren zu wollen. Dabei unterscheiden sich diese Mobilitätsangaben stark zwischen Hochschulart, angestrebter Abschlussart (Bachelor oder Master) und studierten Fächern. So gaben bspw. 21,5% der Studierenden an Universitäten einen Auslandsaufenthalt an, an HAWs 15,9%. Der Anteil mit Auslandserfahrung im Master (42,3% an Universitäten) ist höher als im Bachelor (13,7% an Universitäten). Nur bezogen auf die Universitäten reicht zwischen den Fächern der Anteil von 28,4% temporärer Mobilität in den Geisteswissenschaften an Universitäten bis zu 15,2% in Mathematik & Naturwissenschaften. Solche großen Unterschiede zwischen Fächern und angestrebter Abschlussart zeigen sich auch in anderen Untersuchungen (z.B. DAAD, 2023; DAAD, 2017; DeStatis, 2020), wobei Unterschiede zwischen Fächern auch davon abhängen, zu was für Gruppen Studiengänge genau zusammengefasst werden. In der BintHo-Untersuchung wurde auch erfragt, inwiefern die Auslandsaufenthalte als verpflichtender Teil eines Studiengangs absolviert werden mussten. Nur bezogen auf Universitäten betrug der Pflichtanteil der absolvierten Auslandsaufenthalte 16,5%. Der Verpflichtungsanteil ist dabei für Lehramtsstudiengänge am größten (39,5%). Im Bachelor werden temporäre Auslandsaufenthalte primär im fünften Semester absolviert, im Master im dritten Semester. Der Übergang zwischen Bachelor- und Masterstudium wurde nur von 4% der Studierenden als Zeitpunkt angegeben. Häufigste Art der Mobilität ist ein klassisches Auslandssemester (71,2% an Universitäten), gefolgt von Praktika (25,2% an Universitäten) und der Studienreise (8,9% an Universitäten). Die häufigste Dauer des temporären Aufenthalts liegt zwischen drei und sechs Monaten (46,9%). Auch bzgl. der Mobilitätsarten und Aufenthaltsdauern zeigen sich ähnliche Ergebnisse auch in anderen Untersuchungen (z.B. DAAD, 2023; DAAD, 2017).

Wie sieht es spezifisch bei Lehramtsstudiengängen aus, die wir hier im Blog ja besonders in den Fokus nehmen? Je nach Untersuchung werden auch Ergebnisse spezifisch für Lehramtsstudierende ausgewertet. Für den Jahrgang 2016 bspw. wird eine temporäre Mobilitätsquote von insgesamt 26% berichtet (DAAD, 2019), die sich stark zwischen Schularten und Fächergruppen unterscheidet. Studierende für das Lehramt an Gymnasien verfügen am häufigsten über studienbezogene Auslandserfahrung (33%), während Studierende für die anderen Schulformen etwas weniger angeben (18% bis 21%). Die Fachgruppe mit dem höchsten Mobilitätsanteil sind dabei die Sprach- und Kulturwissenschaften mit 35% mit den höchsten Anteilen für Romanistik (78%) und Anglistik (59%). Diese Studiengänge haben meist einen verpflichtenden Anteil von Auslandsaufenthalten. Lehramtsstudierende geben als relevante Schwierigkeit für Auslandsaufenthalte insbesondere den Zeitverlust im Studium an (54%), was im Vergleich zu anderen Studiengängen eher hoch ist (diese liegen bei 33%; DAAD, 2019; vgl. Reifenberg & Philipps, 2023; Woisch & Willige, 2015). Die komplexe Studienstruktur im Lehramt mit mindestens zwei Fächern könnte sich also auch in der etwas geringeren Mobilitätsquote als der Durchschnitt abbilden (vgl. Ahlgrimm et al., 2018).

Bildnachweis: DAAD, 2019, 95, lizensiert unter CC-BY-SA 4.0 DEED

Diese Ergebnisse beziehen sich auf temporäre Mobilität im Studium (Credit mobility). Welche Erkenntnisse liegen für Studierende aus Deutschland vor, die ihr gesamtes Studium im Ausland absolvieren (abschlussbezogene Mobilität, Degree mobility)? Auf Basis von Daten des statistischen Bundesamtes kann zunächst festgestellt werden, dass die Zahl deutscher Studierender im Ausland zwischen 1991 und 2010 kontinuierlich angestiegen ist, mit größerem Zuwachs ab den Jahren 2003 und 2004 (DAAD, 2013). Zwischen 2002 und 2010 stieg der Anteil der Studierenden im Ausland an allen inländischen Studierenden von 3,4% auf 6,0% (DAAD, 2023). Seit 2015 gibt es allerdings keine signifikanten Zuwächse mehr und der Anteil ist im Jahr 2021 sogar leicht gesunken auf 4,9% (was aber auch an der größeren Zahl Personen liegt, die ein Studium im Inland begonnen haben, DAAD, 2023, 9). Die Zahl ausländischer Studierender, die ein Studium in Deutschland absolvieren, ist zwischen 2011 und 2021 um 94% gestiegen. Zwischen 2003 und 2011 gab es hingegen wenig Veränderungen, zuvor stieg die Zahl aber auch zwischen 1997 und 2002 an (DAAD, 2013).

Welches Fazit lässt sich jetzt bzgl. des Einflusses der Einführung gestufter Bachelor- und Masterstudiengänge auf das Mobilitätsverhalten Studierender ziehen? Das hängt ein wenig von der Perspektive ab bzw. welche Art von Mobilität betrachtet wird. Bzgl. abschlussbezogener Mobilität sind im Zeitverlauf definitiv Zuwächse feststellbar, sowohl was die Mobilität von Deutschland ins Ausland und umgekehrt betrifft. Bzgl. temporärer Mobilität fasst der DAAD folgendermaßen zusammen:

„Zwischen 1991 und 2000 stieg der Anteil der Studierenden (in höheren Semestern) mit temporären Auslandsaufenthalten stark an (von 20% auf 32%) und stabilisierte sich bis 2006 auf diesem Niveau. Seitdem ist allerdings ein kontinuierlicher Rückgang zu beobachten, auf 19% bei der bislang letzten Erhebung im Jahr 2021. Anders als bei der abschlussbezogenen Mobilität war die Einführung des zweigliedrigen Studiensystems mit Bachelor- und Masterstudiengängen hier also nicht mit einem Anstieg der temporären studienbezogenen Mobilität verbunden.“

(DAAD, 2023, 9)

Für die Interpretation wichtig sind aus meiner Sicht allerdings die Details. So bestehen große Unterschiede bzgl. Hochschularten, Fächern und sogar teilweise zwischen einzelnen Hochschulen (vgl. z.B. DeStatis, 2020), so dass die reine Umstellung des Systems nicht die einzige ausschlaggebende Ursache zu sein scheint. Es liegt auch daran, wie Auslandsaufenthalte in konkreten Studiengängen an konkreten Hochschulen implementiert werden (z.B. die Pflichtaufenthalte in vielen Lehramtsstudiengängen). Für die Jahre 2020 und 2021 gibt es auch Auswirkungen der COVID-19 Pandemie (vgl. DAAD, 2023). Der teilweise Anstieg der Mobilität auch schon vor der Einführung gestufter Studiengänge in Deutschland ist auch ein Hinweis darauf, dass die Mobilität im Studium stärker mit den Möglichkeiten zur finanziellen Förderung für solche Aufenthalte zusammenhängt, als mit der „reinen“ Studienstruktur auf Systemebene. Schon vor Einführung gab es bspw. eine Ausweitung von Förderprogrammen der Europäischen Union (z.B. das Sokrates-Programm). Generell zeigt sich in empirischen Untersuchungen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Auslandsaufenthalts auch vom sozio-ökonomischen Hintergrund der Studierenden abhängt (z.B. Finger, 2012; vgl. Banscherus, Himpele & Staack, 2011). Teilweise besteht auch eine große Unsicherheit bzw. Varianz der Ergebnisse nach unterschiedlichen Datenquellen (vgl. Lanzendorf, Schomburg & Teichler, 2012) und es sollte auch die Tatsache beachtet werden, dass erst mit Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen überhaupt vertiefte Bemühungen begonnen wurden, aussagekräftige statistische Daten zu erheben (vgl. DAAD; 2017). Insofern hat der Bolognaprozess auch dazu geführt, dass überhaupt analysierbare Daten vorliegen, was für die „alten“ einphasigen Studiengänge nicht im selben Maße gesagt werden kann. Unabhängig von diesen Unsicherheiten lässt sich aber festhalten, dass die konkret beschlossenen Ziele bzw. internationalen Mobilitätsquoten in Deutschland noch nicht erreicht sind (DAAD, 2023). Für diesen Aspekt gibt es aber zumindest eine solche Zieldefinition, die quantitativ prüfbar ist. Zur Frage, wie sich die Mobilität Studierender innerhalb Deutschlands seit der Einführung der gestuften Studiengänge verändert hat, gibt es interessanterweise weniger Erkenntnisse aus empirischen Untersuchungen (z.B. Gareis, Diller & Huchthausen, 2018).

Bei der Stange bleiben

Heinz-Peter Meidinger stellt ebenfalls die These auf, es würde ein größerer Anteil Studierender ihr Studium abbrechen, als in nicht-gestuften Studiengängen vor dem Bologna-Prozess. Je nach Quelle werden unter Studienabbruch verschiedene Phänomene zusammengefasst (Neugebauer et al., 2019). Im engeren Sinne ist ein Studienabbruch das vollständige Beenden eines Studiums bzw. das Verlassen des Hochschulsystems einer Person ohne Abschluss (Heublein & Schmelzer, 2020), unabhängig davon, ob es sich auf ein Diplom-, Bachelor- oder ein angeschlossenes Masterstudium bezieht. Davon zu unterscheiden sind Studienunterbrechungen, bei denen ein Studium für eine zeitlang pausiert und danach wieder aufgenommen wird, und Wechsel zwischen Studiengängen oder -fächern. Bei letzterem wird natürlich ein Studiengang ohne Abschluss verlassen, aber nicht das Hochschulsystem, da ja etwas Anderes weiter studiert wird. Daneben gibt es Phänomene wie das so genannte Parkstudium, bei dem sich Personen in einen Studiengang einschreiben, ohne irgendeine Studienaktivität aufzunehmen. Gründe hierfür können z.B. sein, dass notwendige Wartezeiten überbrückt werden sollen, bis man für einen Studiengang zugelassen wird, den man eigentlich studieren möchte, oder einfach Vorteile des Studierendenstatus nutzen möchte (z.B. Vergünstigungen). Dieses Phänomen tritt häufig in Studiengängen ohne Zulassungsbeschränkung (numerus clausus) wie Physik auf (Düchs & Ingold, 2016). Diese Unterscheidungen sind deshalb wichtig, da zur empirischen Bestimmung von Abbruchquoten meist statistische Daten herangezogen werden, in denen nicht immer klar zwischen diesen Phänomenen unterschieden werden kann, was zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann (Neugebauer et al., 2019). Beim einfachsten Verfahren zur Ermittlung von Abbruchquoten werden bspw. einfach die Anzahlen Studienanfänger*innen und Absolvent*innen mit einem gewissen zeitlichen Abstand zueinander in Beziehung gesetzt (so genanntes Kohortenvergleichsverfahren, Heublein, Richter & Schmelzer, 2020). Bei diesem Verfahren können Abbruchquoten überschätzt werden, weil eben Wechsel oder Unterbrechungen nicht vollständig berücksichtigt werden. Für eine genauere Abschätzung sind längsschnittliche Daten notwendig, die Studierverläufe von Personen individuell betrachten.

Je nach Datenquelle werden unterschiedliche Studienabbruchquoten berichtet. Auf Basis der Prüfungsstatistiken des Statistischen Bundesamts betrugen die Studienabbruchquoten für Studierende mit Ersteinschreibung zwischen 2009 und 2013 zwischen 21,3 und 24,8% (DeStatis, 2023). Betrachtet man nur Bachelorstudierende liegen sie zwischen 22,7% und 26,5%, nur für das Lehramt zwischen 17,4% und 22,4%. Für den Jahrgang 2007 liegt die Gesamtquote bei 21,4% (DeStatis, 2021). Das Statistische Bundesamt verwendet zur Berechnung einen Korrekturfaktor, bei dem versucht wird, Wechsel und Studierende, die noch nicht fertig studiert haben, angemessen zu berücksichtigen. Für die Jahrgänge 1997 bis 2001, die ihr Studium auf jeden Fall vor der Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen begonnen haben, werden Abbruchquoten zwischen 24,5% und 28,7% berichtet. Nur für die einphasigen Diplomstudiengänge liegen sie zwischen 33,2% und 34,7%, nur für das Lehramt zwischen 24,5% und 28,7%. Das DZWH verwendet ein Kohortenvergleichsverfahren ebenfalls auf Basis der amtlichen Statistik (Neugebauer et al., 2019). Für die Studienanfänger*innen zwischen den Jahren 2012 und 2016 liegen die Abbruchquoten nach diesem Verfahren für Bachelorstudierende zwischen 27% und 31% (im Lehramt zwischen 10% und 21%) sowie für Masterstudierende zwischen 17% und 323% (im Lehramt zwischen 9% und 16%) (Heublein, Hutzsch & Schmelzer, 2022). Die Zahlen bewegen sich dabei auch für frühere Jahrgänge auf einem vergleichbaren Niveau (Heublein et al., 2020), wobei kaum Unterschiede zwischen „alten“ und „neuen“ Studiengängen festgestellt wurden (Heublein et al., 2012; Heublein et al., 2008).

Dabei bestehen in allen Jahrgängen und Untersuchungen mehr oder wenige große Unterschiede zwischen Studierenden verschiedener Fachgruppen, Hochschularten und angestrebten Abschlüssen. Diese Studien haben aber die schon angesprochenen Schwächen bzgl. möglicher Verzerrungen. Spezifisch für das Lehramt ermöglichen ein paar Untersuchungen solche Abschätzungen für spezifische Hochschulen bzw. Bundesländer. In der schon angesprochenen Untersuchung von Dietrich (2016) zum Vergleich des Staatsexamensmodells mit dem Bachelor-Master-Modell bei Lehramtsstudierenden an der Universität Leipzig werden auf Basis von Längsschnittdaten für beide Modelle eher niedrige Abschlussquoten von 47,4% (Staatsexamen) und 49,5% (Bachelor/Master) festgestellt. Dabei wurde beobachtet, dass ein möglicher Abbruch im Staatsexamensmodell später erfolgt (Median im vierten Semester) als im gestuften System (Median im zweiten Semester). Für das Land Mecklenburg-Vorpommern untersuchten Radisch et al. (2018) längsschnittliche Verlaufsdaten von Lehramtsstudierenden basierend auf Verwaltungsdaten der Universitäten Rostock und Greifswald. Einbezogen wurden dabei N=5781 Lehramtsstudierende, die zwischen den Wintersemestern 2012/2013 und 2017/2018 für ein Lehramtsstudium eingeschrieben waren. Dabei zeigt sich ein nach Schulformen unterschiedlicher Umfang von „Schwund“ im Studium: „Im Lehramt an Gymnasien sind die Kohorten nach zwei Semestern um etwa 30 Prozent geschrumpft , im Lehramt an Regionalen Schulen teilweise um bis zu 40 Prozent.“ (Güldener et al., 2020). Im Lehramt für die Grundschule und Sonderpädagogik ist der „Schwund“ geringer. Studienabbrüche im engeren Sinn machen allerdings nur einen Teil dieses „Schwunds“ aus (für das Lehramt an Gymnasien z.B. 41% des „Schwunds“). Die Studierenden benötigen tendenziell länger als die Regelstudienzeit bis zum Abschluss. Auf Basis einer längsschnittlichen Teilstichprobe der PaLea-Studie (n=787 Studierende) kann nach einer Bernholt, Zimmermann & Möller (2023) eine grobe Schwundquote von ca. 39,5% abgeschätzt werden, wobei im PaLea-Panel Abbrüche nicht gleichmäßig erfasst wurden. Sind diese Quoten nun höher oder niedriger als für Lehramtsstudiengänge vor der Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen auch im Lehramt? Auf Basis von Kohortenvergleichsstudien berichtet bspw. Gesk (1999) für Lehramtsstudierende der pädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg mit Studienbeginn Anfang der 1990er Jahre eine durchschnittliche Abbruchquote von ca. 40%. Ebenfalls für die pädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg bestimmte Rauin (2007) eine Abbruchquote von ca. 30% für die ersten drei Semester für Studierende mit Studienbeginn 1995.

Vor dem Hintergrund der Ergebnisse vorliegender Untersuchungen scheint sich durch die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen wenig an Studienabbruchquoten verändert zu haben. Auch hier treten ähnliche Schwierigkeiten wie bei der Ermittlung von Mobilitätsquoten auf, da die verfügbaren Datengrundlagen letztendlich eher Abschätzungen von Ober- und Untergrenzen ermöglichen. Auch hier bestehen große Unterschiede zwischen Studiengängen und Fächern. Die Veränderung der Studienstrukturen allein scheint keine direkte Ursache für Veränderungen bei Studienabbrüchen zu sein. Hier sind andere Gründe und Motive ausschlaggebend, die eher die konkrete Gestaltung von Studiengängen betreffen und weniger den Rahmen auf Systemebene (z.B. Theune, 2021; Neugebauer et al., 2019; Heublein & Wolter, 2011; Blüthmann, Lepa & Thiel, 2008).

Qualitätsurteile

Heinz-Peter Meidingers vierte These zur Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen bezieht sich darauf, dass über die Qualität gestufter Studiengänge „vielfach Klagen“ (Meidinger, 2021, 59) gäbe. Leider bleibt diese These unspezifisch darin, wer genau über was genau klagt. Grundsätzlich ist bzw. war der gesamte Bologna-Prozess und die damit verbundene Einführung der gestuften Studiengänge in Deutschland mit vielfältiger Kritik verbunden, die sich auf verschiedenste Aspekte bezieht bzw. bezog (z.B. Winter, 2018; Tegeler, 2010; Wernstedt & John-Ohnesorg, 2010; Hechler & Pasternak, 2009; Belz et al., 2005; Flegel, 2000). So wurde bspw. gerade zu Beginn der Einführungen eine „Verschulung“ des Studiums befürchtet (z.B. Moser, 2021; Kühl, 2018), wobei mit dem Begriff je nach Perspektive unterschiedliche Dinge assoziiert wurden. Häufig wird und wurde damit ein Gegensatz zwischen Lehren und Lernen in den Institutionen Schule und Hochschule ausgedrückt, der sich darauf bezieht, dass das Studieren „freier“ sei als Lernen in der Schule teilweise mit Bezug zum Humboldtschen Bildungsideal (vgl. Tenorth, 2013). „Mit dem Etikett der Verschulung wird dabei eine Vielzahl von Phänomenen erfasst: Fixe Stundenpläne, klassenorientierte Lehr- und Lernorganisation, Anleitung statt selbstorganisiertes Lernen, permanente Anwesenheitspflichten einhergehend mit einer hohen Kontrolldichte und Prüfungsinflation […]“ (Kühl, 2018). Allerdings können natürlich auch einphasige Studiengänge je nach Fach mehr oder weniger Wahlfreiheiten beinhalten (z.B. naturwissenschaftliche Studiengänge hierarchischer aufgebaut als viele Studiengänge der Geisteswissenschaften). Klagen und Kritik sind aber kein Spezifikum für Bachelor- und Masterstudiengänge. Auch vor der Bologna-Reform gab es vielfach Klagen über die Ausgestaltung des Studiums (ein sehr plakatives Beispiel ist die Studentenbewegung der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts). Gemeckert wurde also schon immer ;).

Inwiefern sind Klagen über Bachelor- und Masterstudiengänge vor dem Hintergrund von Ergebnissen empirischer Untersuchungen evtl. doch gerechtfertigt? Eine generelle Schwierigkeit bei der Einordnung von Kritik besteht darin, dass sie für die empirische Prüfung auf die konkrete Implementation von Studiengängen an konkreten Hochschulen bezogen sein muss. Aussagen über die Folgen auf Systemebene sind dadurch erschwert. Auf diese Ebene zielt allerdings die vierte These von Heinz-Peter Meidinger. Es wären also Untersuchungen erforderlich, die kontrolliert möglichst viele Studiengänge an unterschiedlichen Orten mit einbeziehen, und das natürlich vor und nach der Einführung „neuer“ Studiengänge. Solche aufwändigen Studien liegen aber kaum vor bzw. auch hier wurden umfangreichere Daten zur Studierqualität zeitlich erst im Zuge des Bologna-Prozesses erhoben, so dass weniger gute Vergleichsdaten zur Zeit davor vorliegen. Daneben muss natürlich für eine empirische Erhebung genauer definiert werden, welche Qualitätsaspekte des Studiums adressiert werden sollen bzw. was genau untersucht werden soll. Nichtsdestotrotz gibt es natürlich eine Vielzahl von Untersuchungen, die auch verschiedene Perspektiven aufgreifen. Da Heinz-Peter Meidinger allerdings nicht spezifischer wurde, habe ich für diesen Beitrag einfach ein paar exemplarische Beispiele ausgewählt.

Bspw. wurde im Projekt ZEITLast (Schulmeister & Metzger, 2011) ausgehend von Kritik an der Einführung der Bachelor-Studiengänge untersucht, wie groß die Workload und damit auch die Belastung ist, die Studierende erfahren. Methodisch wurden so genannte Zeitbudget-Analysen genutzt. Hierbei mussten teilnehmende Studierende in einem digitalen Tool täglich in gegliederten Zeitintervallen abgeben (kleinste Einheit: 15 Minuten), welche Tätigkeiten sie durchgeführt haben (aus einer Liste von Tätigkeiten). Es wurde relativ strikt vorgegangen, bspw. musste eine Erfassung zeitnah (max. bis 17 Uhr des Folgetags) erfolgen. Der Untersuchungszeitraum erstreckte sich jeweils auf die sechs Monate eines vollen Semesters. Zum Ende des Projekts wurden Daten von N=681 Studierenden aus 29 verschiedenen Studiengängen unterschiedlicher Universitäten und Fächer (erhoben zwischen dem Wintersemester 2009 und 2018) ausgewertet (Schulmeister & Metzger, 2018). Das Vorwort des ersten Zwischenberichts gibt einen guten, aber natürlich durch die Interpretation der Autor*innen gefärbten Eindruck bzgl. der Ergebnisse.

„Selten hat es eine Studie […] gegeben, welche die vorgefassten Meinungen und die vor Beginn aufgestellten Hypothesen in so grundlegender Art und Weise widerlegt hat. Nach aller Kenntnis der kritischen Bologna-Faktoren und den vielen und anhaltenden Studierenden-Protesten waren wir davon ausgegangen, dass im Bachelor-Studium eine fürchterliche Belastung auf die Studierenden zukäme. […] Wir haben in den Zeitbudget-Analysen feststellen müssen, dass die Zeit, die die Studierenden in das Studium investieren, im Mittel viel geringer ist als von früheren Befragungen ermittelt und weit unter den von Bologna und den Modulhandbüchern geforderten Werten liegt.“

(Schulmeister & Metzger, 2011, 7)

Konkreter in Zahlen ausgedrückt, haben die Studierenden basierend auf ihren Zeitbudget-Angaben in einem Semester im Bachelorstudium im Durchschnitt 24 Stunden pro Woche für studienbezogene Tätigkeiten (Metzger & Schulmeister, 2020). Darin sind alle Arten von Tätigkeiten inkludiert (z.B. Veranstaltungsteilnahmen, Selbststudium, Prüfungsvorbereitung). Wichtig ist allerdings, dass eine unheimliche große Varianz zwischen Studierenden, Fächern, Hochschulen und auch Zeitraum besteht (z.B. wird unmittelbar vor Prüfungen sehr viel Zeit investiert, in der vorlesungsfreien Zeit sehr wenig). Es gibt also auch Studierende mit objektiv sehr hohem Workload, aber eben auch einige Studierende mit so gut wie gar keinem Workload. Zwischen Zeitaufwand und Noten bestand so gut wie keine Korrelation (Schulmeister & Metzger, 2018). Studierende in untersuchten Diplomstudien der Stichproben unterschieden sich im Studierverhalten nicht besonders stark von den Studierenden in Bachelor-Studiengängen. Andere Untersuchungen kamen zu ähnlichen Ergebnissen (Kuhlee, 2020). Allerdings kann auch mit der ZEITLast-Studie natürlich kein direkter Einfluss der Einführung der „neuen“ Studiengänge an sich untersucht werden, da leider derartige Analysen für die vorherigen Studiengänge nicht vorliegen.

In einer anderen Untersuchung befragten Sieverding et al. (2013) N=405 Studierende an verschiedenen Universitäten, die zwischen Sommersemester 2009 und 2010 einen klassischen Diplom- oder einen Bachelor-Studiengang im Fach Psychologie absolviert haben, nach ihrem Studieraufwand, empfundenen Anforderungen und Entscheidungsspielräumen im Studium, der subjektiv empfundenen Belastung und ihrer Lebens- und Studierzufriedenheit. In Regressionsanalysen ergaben sich Unterschiede zwischen den Studienformen dahingehend, dass Bachelor-Studierende eine höhere Belastung und etwas geringere Studienzufriedenheit berichteten, der aber allerdings im Wesentlichen über Anforderungen mediiert wird. Der Grund für die Unterschiede zwischen den Studiengängen lag also darin, dass Bachelor-Studierende im Vergleich höhere Anforderungen berichtet haben (die Autor*innen vermuten aufgrund eines größeren Notendrucks). Entscheidungsspielräume spielten für die Studienzufriedenheit, aber nicht für das Belastungserleben eine Rolle. Die Ergebnisse werden allerdings dadurch eingeschränkt, dass zum Studienzeitpunkt kaum Diplom-Studierende unterer Semester einbezogen werden konnten. In anderen Untersuchungen wurden ebenfalls die Einschätzungen von Bachelor- und Diplomstudierenden verglichen. In der Analyse der erziehungswissenschaftlichen Studiengänge der Universität Gießen von Kaufmann & Fraij (2013) ergab sich bspw., dass Studierende beider Studiengänge, die Studierqualität hinsichtlich Studierbarkeit, Wissenschaftlichkeit und Lehrqualität sehr ähnlich beurteilten. Signifikante Unterschiede ergaben sich nur darin, dass Diplom-Studierende die Betreuung durch Dozierende schlechter und den Praxisbezug besser bewertete. Eine Untersuchung an der Universität Bern ergab ebenfalls kaum Unterschiede in den Einschätzungen Studierender in gestuften oder einphasigen Studiengängen (Franzen & Poitner, 2013). Zlatkin-Troitschanskaia et al. (2012) untersuchten, inwiefern sich die Entwicklung des wirtschaftswissenschaftlichen Fachwissens bei Diplom- und Bachelor-Studierenden der Wirtschaftswissenschaften und Wirtschaftspädagogik an einer Universität und einer Fachhochschule (N=771-1198 Studierende, je nach Erhebungszeitpunkt) unterschied. Sie resümieren, „dass seitens des Studienmodells kein eindeutiger Effekt nachgewiesen werden kann.[…] Von allen im Projekt ILLEV erhobenen strukturellen Merkmalen erweisen sich die Faktoren aus der Mesoebene, insbesondere die Anzahl und Art der besuchten Lehrveranstaltungen, als bedeutende Prädiktoren.“ (Zlatkin-Troitschanskaia et al., 2012, 431). Süß, Siewek & Köllner (2011) analysierten sogar, ob sich durch die Bologna-Reform Veränderungen beim ehrenamtlichen Engagement von Studierenden ergaben, was nicht der Fall war.

Hat die Qualität von Studiengängen durch die Einführung des Bachelor- und Master-Systems abgenommen? Hat die Belastung der Studierenden zugenommen? An diesen exemplarischen Beispielen wird deutlich, dass sich dies pauschal nicht beantworten lässt. Es kommt eben auf die konkrete Implementation vor Ort an. An manchen Hochschulen trifft es zu, an manchen nicht. Das liegt aber nicht direkt an der Einführung auf der Systemebene, sondern eher an den agierenden Personen. Dadurch, dass in vielen Fällen das gleiche Lehrpersonal für alle Studienformen zuständig war, ist auch eigentlich erwartbar, dass sich studentische Qualitätseinschätzungen zwischen den Studiengängen eher weniger unterscheiden sollten.

Wie schlimm war denn nun die Reform?

Ist die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen im Zuge des Bologna-Prozess nun ein Beispiel für eine – nach Ansicht von Heinz-Peter Meidinger – „misslungene Reform“ (Meidinger, 2021, 58)? Vor dem Hintergrund der vorliegenden Ergebnisse empirischer Bildungsforschung ist dies wie bei vielen Aspekten des Bildungssystems auf struktureller Ebene nicht eindeutig entscheidbar bzw. nur differenziert nach bestimmten Aspekten. Grundsätzlich sind die Vergleiche zwischen einphasigen und gestuften Studiengängen immer dadurch erschwert, dass sich Studiengänge einzelner Hochschulen zwischen Fachdisziplinen stark unterscheiden, was sich auch in den Untersuchungsergebnissen widerspiegelt. Zum zweiten besteht, ähnlich wie bei Untersuchungen zum Schulsystem, auch hier die Schwierigkeit der Eingangsselektivität (vgl. den zweiten Beitrag zu dieser Todsünde). Neben Änderungen an der formalen Struktur von Studiengängen veränderte sich bspw. auch die Zusammensetzung der Studierenden im Zeitverlauf. So nahmen im Jahr 2022 54,7% eines Altersjahrgangs ein Studium auf, im Jahr 2003 waren es 39,3% (vgl. Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2022). Im Zuge dessen haben sich auch die Voraussetzungen verändert, mit denen Studierende ihr Studium beginnen (z.B. die durchschnittliche Abiturnote, sozio-ökonomischer Hintergrund), was sich auch auf viele der in Heinz-Peter Meidingers Thesen angesprochenen Aspekte auswirken könnte (vgl. Finger, 2012; Banscherus et al., 2009). Daher sind Unterschiede zwischen „alten“ und „neuen“ Studiengängen nicht nur auf die Gestaltung der Studiengänge selbst zurückführbar. Zum dritten muss bei einem Vergleich auch beachtet werden, welche Zeiträume betrachtet werden. Die ersten entwickelten Studiengänge kurz nach der Jahrtausendwende unterscheiden sich natürlich von den Studiengängen, die im Jahr 2024 an Hochschulen angeboten werden.

Generell ist es immer schwierig, eine Systemumstellung gut zu untersuchen, da eine solche Umstellung eben Veränderungen im System, also für alle Akteur*innen bedeutet. Empirische Untersuchungen sind daher zu einem gewissen Grad so etwas wie eine Operation am offenen Herzen. Auffällig ist bezogen auf den Bologna-Prozess, dass erst im Zuge dieser Neuausrichtungen überhaupt systematisch Daten zu Studienstrukturen, -qualität und -wirkungen erhoben wurden. Insofern ist ein Argument wie „Früher waren die Studiengänge besser!“ kaum prüfbar und auch etwas unfair, weil dadurch die „neuen“ Studiengänge einem stärkeren Rechtfertigungsdruck ausgesetzt werden als die „älteren“. Zusammenfassend lässt sich aber sagen, dass die Bologna-Reform in vielen Aspekten keine bis wenige negative Auswirkungen hatte, sondern eher dazu beigetragen hat, auch negative Aspekte der einphasigen Studiengänge explizit zu machen. Wie bei vielem im Bildungssystem kommt es auch im Studium eher auf die Qualität der Tiefenstruktur (Fauth et al., 2020; vgl. Oppermann, 2020) von Lehr-Lern-Umgebungen an, als den formalen, organisatorischen Rahmen. Und diese hängt vom Handeln der lehrenden Personen ab, die auf dafür viele Freiheiten haben, egal, ob sie in einphasigen oder gestuften Studiengängen tätig sind. Und diese Freiheit ist an Hochschulen noch größer, als an Schulen. Generell lässt sich festhalten, das vieles an Kritik, die im Zuge des Bologna-Prozess geäußert wird bzw. wurde sehr normativ gefärbt ist und häufig die Ansichten und Erfahrungen einzelner Kritker*innen widergibt, die manchmal schon, aber auch häufig nicht mit den Ergebnissen systematischerer empirischer Untersuchungen übereinstimmen. Das ist aber auch erwartbar, schließlich betrifft gerade die Umstellung des Studiensystems die meisten Wissenschaftler*innen unmittelbar, weshalb sich häufig die Rolle der*des Forschenden mit der Rolle der*des Betroffenen vermischt.

Unausgereifte Reformen als Todsünde

Die dritte von Heinz-Peter Meidinger so genannte Todsünde der Schulpolitik bezieht sich darauf, dass zu viele unausgereifte Veränderungen des Bildungssystems vorgenommen und diese zugleich einen negativen Einfluss auf die Beteiligten haben würden. Für eine bessere Einschätzung, ob die für die drei genannten Beispiele für derartigen Reformen genannten Prämissen und Schlussfolgerungen auch im Einklang mit Ergebnissen empirischer Bildungsforschung stehen, haben wir uns mit ihnen in vier Beiträgen hier im Blog etwas ausführlicher beschäftigt. Anmerken möchte ich zum Ende dieser Beitragsreihe, dass das zugehöriger Kapitel zu dieser Todsünde im Buch neun DIN A6-Seiten umfasst. Aber gut, es ist ja auch als Streitschrift formuliert.

Zum Ende des Kapitels verweist Heinz-Peter Meidinger darauf, dass Olaf Köller auf die Frage, „was bei Schulleistungsvergleichen erfolgreiche Bundesländer […] anders machen als die Rankingschlusslichter“ (Meidinger, 2021, 60) gesagt hätte, dass es die Kontinuität in der Schulpolitik wäre (wahrscheinlich gemeint als Gegensatz zu zu vielen, schlechten Veränderungen, das ist aber meine Interpretation und wird nicht so explizit ausgeführt). Ich kann mir persönlich gut vorstellen, dass Olaf Köller so etwas oder zumindest etwas Ähnliches gesagt hat. Leider gibt es im Buch keine Quelleangabe zu dieser Aussage und auch meine (vielleicht auch nicht genügend tiefgehende Suche) hat kein entsprechendes Zitat gefunden. Grundsätzlich stimme ich zu, dass eine abgestimmte, systematische Strukturierung eines Bildungssystems mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für gute Lernleistungen einhergeht. Das kann aber auch Reformen umfassen, die natürlich gut umgesetzt sein sollten. Da stimme ich Heinz-Peter Meidinger explizit zu, aber ob eine spezifische Reform dieses Merkmal erfüllt, sollte durch systematische empirische Untersuchungen geprüft werden und nicht allein auf Einschätzungen individueller Akteur*innen. Die vierte Todsünde der Bildungspolitik wird Gegenstand des nächsten Beitrags in dieser Artikelreihe sein. Er wird an dieser Stelle verlinkt, sobald er online zugänglich ist.

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Meidingers 10 Todsünden der Schulpolitik im Licht der Bildungsforschung 4/12 – Teil 3

Todsünde Nr. 3: Zu viele unausgereifte Reformen im Bildungssystem

In einer Artikelreihe beschäftigen wir uns mit dem Buch „Die 10 Todsünden der Schulpolitik – Eine Streitschrift“ von Heinz-Peter Meidinger (2021) aus der Perspektive der empirischen Bildungsforschung. Dabei wird betrachtet, wie Prämissen und Argumentationen im Buch vor dem Hintergrund von Ergebnissen der Bildungsforschung eingeschätzt werden können. Grundsätzlich ist daher hilfreich, das entsprechende Buchkapitel gelesen zu haben, was ich auch an dieser Stelle ausdrücklich empfehlen möchte. Dies ist der dritte Teil eines Beitrags, der sich mit der dritten vom Autoren so bezeichneten Todsünde beschäftigt. Thesen aus dem Buch werden im Konjunktiv wiedergegeben, was keine Zustimmung oder Ablehnung implizieren soll, sondern einfach den Regeln zur indirekten Rede folgt. Im ersten Teil wurde die Kernthese des zugehörigen Buchkapitels genauer beschrieben: zusammengefasst würden im Bildungssystem zu viele Veränderungen vorgenommen , ohne vorher ausreichend erprobt und/oder danach ausreichend evaluiert zu werden. Heinz-Peter Meidinger beschreibt hierfür drei Beispiele von Reformen näher, die sich aus seiner Sicht besonders negativ ausgewirkt hätten. Im ersten Teil ging es um das Konzept „Lesen lernen durch Schreiben“, im zweiten Teil um den frühen Fremdsprachenunterricht in der Grundschule. In diesem dritten und dem noch folgenden vierten Teil geht es um die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen in Deutschland im Zuge des so genannten Bologna-Prozesses. Die von Heinz-Peter Meidinger hierzu angesprochenen Aspekte sind so umfangreich, dass ich sie für eine bessere Lesbarkeit in zwei Blogbeiträge aufgeteilt habe.

Worum geht es eigentlich genau?

Bildnachweis: Bologna-Kommission, gemeinfrei

1997 schlossen der Europarat und die UNESCO einen ersten völkerrechtlichen Vertrag, in dem vereinbart wurde, Hochschulzugangsberechtigungen, Studienabschlüsse und Studienleistungen, die in den Unterzeichnerstaaten erworben wurden, prinzipiell gegenseitig anerkennen zu wollen (zusammenfassend als Lissabon-Konvention bezeichnet). Bei solchen Anerkennungen stecken aufgrund unterschiedlicher Bildungssysteme die Schwierigkeiten natürlich im Detail. Eine zentrale Einschränkung ist bspw., dass die zuständigen Behörden eines Landes sich vorbehalten dürfen, erbrachte Leistungen selbst zu bewerten und auch nur diese Bewertung anerkennen müssen. So kann z.B. entschieden werden, dass vor der Einschreibung in einen Studiengang in einem anderen Land erst noch weitere Zusatzqualifikationen erbracht werden müssen (z.B. vorbereitende Kurse, Aufnahmeprüfungen). Um die Vergleichbarkeit von Leistungen zu erleichtern, beschlossen 1999 29 europäische Länder, die Hochschulstrukturen in Europa zu harmonisieren bzw. besser aneinander anzupassen (zusammenfassend als Bologna-Prozess bezeichnet; Bologna-Erklärung, 1999). Das stieß eine ganze Reihe an Entwicklungen an, die sich natürlich je nach Ausgangslage zwischen den europäischen Ländern unterschieden.

Eine zentrale Veränderung ist, dass europaweit eine Studienstruktur umgesetzt wurde bzw. immer noch wird, die drei Zyklen der Hochschulbildung umfasst (KMK, 2016, 2003; HRK, 2004): im ersten Schritt den Erwerb einer Bachelor-Qualifikation, im zweiten eine Master-Qualifikation und im dritten Schritt ein Promotionsstudium. Jeder Zyklus endet mit einem definierten, eigenen Abschluss. Um den nötigen Umfang für die ersten beiden Abschnitte zu definieren, wurde das European Credit Transfer System entwickelt (dies ist der Ursprung der ECTS-Punkte an Hochschulen). Für deutsche Hochschulen bedeutete dies eine relativ große Umstellung, die nun – für die meisten Hochschulen erstmals – neue, zwei-stufige Studienprogramme entwickeln mussten, eben die besagten Bachelor- und Masterstudiengänge (Pietzonka, 2014; vgl. Klomfaß, 2011; Brändle, 2010). Zuvor existierten bspw. mit den Diplom-Studiengängen an vielen Universitäten Programme, in denen ein Abschluss erst am Ende eines längeren einphasigen Studienverlaufs erworben werden konnte (in diesem Sinne waren sie also nicht gestuft) und die auch nicht unbedingt kompatibel mit den beschlossenen Studienumfängen nach dem ECTS-System waren. Auch, wenn man sagen kann, dass der Großteil aktueller Studienprogramme in Deutschland diesem Zyklus-Modell entspricht (HRK, 2023), gibt es noch einige Bereiche, in denen bisher nur wenige Umstellungen erfolgt sind (vgl. Schütz & Röbken, 2019). Das gilt z.B. für Jura- und Medizin-Studiengänge, die immer noch weitestgehend dem Staatsexamensmodell folgen (HRK, 2023; vgl. Konzen, 2010). Hauptziel dieser Veränderungen auf formaler Ebene war natürlich, dass die Anerkennung von Hochschulqualifikationen vereinfacht wird. Damit verbunden waren und sind allerdings auch eine Reihe weiterer, damit zusammenhängender Ziele, wie die Erleichterung der Mobilität von Studierenden und Absolvent*innen (z.B. Wechsel des Studienorts in ein anderes Land, Auslandssemester), die europaweit gemeinsame Entwicklung und Arbeit an Qualitätsstandards für Studiengänge oder auch das Ziel, mehr Personen außerhalb Europas als Studierende zu gewinnen (vgl. Gehmlich, 2013; Brändle, 2010).

Was wird kritisiert?

Heinz-Peter Meidinger bezieht sich in seiner so bezeichneten dritten Todsünde der Schulpolitik auf diesen Veränderungsprozess im Hochschulbildungssystem, auch wenn dies streng genommen keinen direkten Einfluss auf das Schulsystem in Deutschland hat (ob es einen indirekten Einfluss hat bzw. haben sollte, ist allerdings eine diskutierte Streitfrage, vgl. Klomfaß, 2013). Er nennt die Einführung als Beispiel für eine „weitgehend misslungene Reform“ (Meidinger, 2021, 58) und gibt hierfür folgende Gründe an:

  1. Die Studienzeiten von Studierenden hätten sich nicht verkürzt, weil die meisten Bachelorabsolvent*innen auch ein Masterstudium begönnen. Dies läge auch an schlechten Berufs- und Verdienstaussichten nur mit einem Bachelorabschluss.
  2. Die Mobilität Studierender, einen Teil ihres Studiums im Ausland zu absolvieren (Auslandssemester) hätte nicht zugenommen.
  3. In Bachelorstudiengängen würde ein größerer Anteil Studierender ihr Studium abbrechen, als in nicht-gestuften Studiengängen vor dem Bologna-Prozess.
  4. Über die Qualität gestufter Studiengänge „gibt es vielfach Klagen“ (Meidinger, 2021, 59).

Anzumerken ist, dass die Verkürzung der Studienzeiten (Grund 1) und die Verringerung von Studienabbrüchen (Grund 3) kein offizielles Ziel des Bologna-Prozesses sind, mit dem ja primär die verbesserte gegenseitige Anerkennung und Harmonisierung von Hochschulqualifikationen angestrebt wird. Sie finden sich zumindest nicht als Zielformulierungen in der Bologna-Erklärung selbst (Bologna-Erklärung, 1999) und auch nicht in den selbst formulierten Zielen der (jeweiligen) Bundesregierungen, die die Umsetzung jeweils fortgeführt haben (vgl. Deutscher Bundestag, 2021). Das hat auch mich zunächst überrascht, da in Presseberichten über den Bologna-Prozess zu verschiedenen Zeiten insbesondere die Verkürzung der Studienzeit wie selbstverständlich als Ziel genannt wird (vgl. Winter, 2018; Zeit Online, 2014). Diese Diskrepanz lässt sich wahrscheinlich durch zwei Aspekte erklären, wie die Einführung der gestuften Studiengänge in Deutschland ausgestaltet wurde (HRK, 2008; 2004). Der erste Aspekt ist die vereinbarte Rahmenkonzeption der für Deutschland damals neuen Bachelor-Studiengänge. Bspw. wurde in einem Beschluss der KMK (2003) (bezeichnet als „10 Thesen zur Bachelor- und Masterstruktur in Deutschland“) formuliert:

„Als Regelabschluss eines Hochschulstudiums setzt der Bachelor ein eigenständiges
berufsqualifizierendes Profil voraus, das durch die innerhalb der Regelstudienzeit zu
vermittelnden Inhalte deutlich werden muss.“

KMK (2003, 2)

Ein Bachelor wurde also konzeptuell als Abschluss für ein eigenständig qualifizierendes Studienprogramm gedacht. Kombiniert mit den europäisch beschlossenen ECTS-Vorgaben zum Umfang, die einer Regelstudienzeit von drei bis maximal vier Jahren entsprechen, wurde dies im Vergleich zu den vorher an den Universitäten verbreiteten Abschlüssen, die erst nach längeren Regelstudienzeiten erworben werden sollten, als Verkürzungsziel interpretiert (z.B. Banscherus et al., 2009). Dabei wird aber implizit angenommen, dass ein Bachelorstudium genau die gleichen Qualifikationen ermöglichen müsste, wir z.B. ein Diplomstudiengang. Der zweite Aspekt könnte darin liegen, dass in Deutschland schon vor dem Bologna-Beschluss die Einrichtung konsekutiver, also gestufter Studiengänge vorgeschlagen wurde, und die Verkürzung der Studienzeit und damit verbunden, die frühere Verfügbarkeit von Absolvent*innen auf dem Arbeitsmarkt, dabei als potentieller Vorteil benannt wurde (vgl. Brändle, 2010; Terbuyken, 2002). An diese Argumentationen schloss sich bspw. auch die KMK (2003) an, indem formuliert wurde, dass gestufte Studiengänge „zu kürzeren Studienzeiten, deutlich höheren Erfolgsquoten sowie zu einer nachhaltigen Verbesserung der Berufsqualifizierung und der Arbeitsmarktfähigkeit der Absolventen bei[tragen]“ (KMK, 2003, 2) würden. Direkt als Ziel oder Gestaltungsbedingung formuliert wird aber einer Verkürzung nicht. Auch eine Verringerung von Abbruchquoten als Ziel wird nur indirekt angedeutet. Generell gilt aber, dass – wie es für komplexe Veränderungsprozesse auf Systemebene typisch ist – Ziele generell eher weit und diffus formuliert werden (vgl. Klomfaß, 2011; Brändle, 2010). Der ökonomische Fokus auf den Erwerb von Berufsfähigkeit und schnelleren Abschlüssen ist an sich kein primäres Ziel des Bologna-Prozesses, sondern wurde eher in konkreten der Ausgestaltung in Deutschland zum Thema (vgl. Teichler, 2011). Da mit der Entwicklung von Bachelorstudiengängen, auch eine große inhaltliche Neu-Konzeption angestrebt wurde, ist aber zumindest diskutierbar, inwiefern ein Vergleich von Studienzeiten und Abbruchquoten ein geeignetes Maß für den Erfolg von Veränderungen im Hochschulsystem ist.

Die Erhöhung der Mobilität im (und nach) dem Hochschulstudium (Grund 3) ist hingegen auch ein offizielles Ziel des Bologna-Prozess (vgl. Deutscher Bundestag, 2021). Dass über die Qualität von Studiengängen geklagt würde (Grund 4), ist aus meiner Sicht kein besonderes Merkmal für gestufte Studiengänge. Klagen über die Qualität von Studiengängen treten unabhängig von der Struktur auf Systemebene so gut wie immer auf und Klagen können sich auf die unterschiedlichsten Aspekte beziehen. Sind es die z.B. Breite des Veranstaltungsangebots, die Prüfungs-Belastung oder die Studienbedingungen (vgl. Schulmeister & Metzger, 2011)? Trotz dieser Unklarheiten bzgl. der vier genannten Gründe, lässt sich zusammenfassend festhalten, dass die von Heinz-Peter Meidinger genannten Kritikpunkte im Zuge des Bologna-Prozesses auch schon vielfach genannt wurden bzw. an verschiedenen Stellen in ähnlicher Form aufgetreten sind (z.B. Winter, 2018; Kühl, 2018; Banscherus et al., 2009). Im Folgenden werden wir daher einen Blick darauf werfen, welche Erkenntnisse aus der empirischen Bildungsforschung die genannten Vermutungen stützen oder nicht. Dabei konzentrieren wir uns auf Forschungen für den deutschen Hochschulkontext, auf den sich auch Heinz-Peter Meidinger bezieht. Anzumerken ist zunächst, dass die Forschungs- und Quellenlage zum Bologna-Prozess eher unübersichtlich und diffus ist. Im Folgenden kann daher auch nur ein kurzer Überblick gegeben werden. Dabei orientiere ich mich in der Reihenfolge an den Thesen von Heinz-Peter Meidinger. Sollten Untersuchungen nicht dabei sein, die aber zur Beurteilung der angesprochenen Kritikpunkte zentral sein, freue ich mich über eine kurze Benachrichtigung per E-Mail..

Gut Ding will Weile haben

Welchen Einfluss hatte die Einführung gestufter Studiengänge auf die Zeit, die Studierende bis zum Studienabschluss aufwenden? Um diese Frage zu beantworten, muss zunächst festgelegt werden, was genau mit Studienzeit gemeint ist. Zum einen kann damit der Zeitraum betrachtet werden, die Studierende in einem Studiengang verbringen, bspw. wie lange sie von Beginn eines Studiums bis zum Erwerb des Abschlusses benötigen. Aus dieser Perspektive wird Studienzeit innerhalb eines Studiengangs betrachtet (z.B. ob Studierende einen Bachelorabschluss in kürzerer oder längerer Zeit als die Regelstudienzeit erwerben). Zum anderen kann damit der Zeitraum gemeint sein, den eine Person insgesamt benötigt, bis sie die gesamte, individuelle Hochschulausbildung abgeschlossen hat. Nach dieser Perspektive könnte die Studienzeit bspw. die gesamte benötigte Zeit für ein Bachelor- und ein zusätzliches nachfolgendes Masterstudium bis zum Abschluss umfassen. Personen, die nach dem Bachelorstudium kein Masterstudium anschließen, hätten in dieser Perspektive also eine kürzere Studienzeit. Je nach Perspektive, würde ein Vergleich der „neuen“ gestuften Studiengänge mit den „alten“ einphasigen Studiengängen ein etwas anderes Vorgehen erfordern. Bzgl. der ersten Perspektive könnte man für einen Vergleich prüfen, wie stark die Studierenden im Durchschnitt von der jeweils vorgesehenen Studienzeit abweichen. Bzgl. der zweiten Perspektive könnte man die durchschnittliche Gesamtzeit der individuellen Hochschulausbildung betrachten und prüfen, inwiefern sie sich zwischen den Strukturen unterscheiden.

Welche Erkenntnisse zur Studienzeit bzgl. der Veränderungen der Studienstrukturen liegen vor? Laut dem aktuellsten nationalen Bildungsbericht von 2022, der sich auf Daten der amtlichen Statistik bezieht, schließt ein Drittel der Studierenden ein Studium in Regelstudienzeit ab (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2022). Die meisten Bachelorstudiengänge an Universitäten haben eine Regelstudienzeit von sechs Semestern (vgl. HRK, 2023), der Abschluss wird allerdings nach durchschnittlich 7,9 Semestern erreicht. Dabei hat sich die durchschnittliche Studiendauer bis zum Bachelorabschluss hin zu längeren Zeiten entwickelt. Von im Jahr 2006 im Durschnitt 6,9 Semestern, über 6,5 Semester in 2010, 7,2 im Jahr 2014 und 7,8 Semester im Jahr 2014 (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2022; 2020; 2018; 2016). An Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) erwerben Studierende nach durchschnittlich 7,5 Semestern einen Bachelorabschluss, dort beträgt die Regelstudienzeit aber meist zwischen sieben und acht Semestern (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2022; vgl. HRK, 2023). Dabei bestehen große Unterschiede zwischen den Studierenden unterschiedlicher Fächergruppen. So ist bspw. der Anteil an Studierenden in Regelstudienzeit in den Fächergruppen Medizin und Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften höher (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2022; Online-Anhang). Bspw. untersuchte Dietrich (2016) bspw. den längsschnittlichen Studienverlauf von Lehramtsstudierenden an der Universität Leipzig mit Studienbeginn ab Wintersemester 2006/2007 (n=342, Staatsexamen) und 2007/2008 (n=208, Bachelor- und Masterstudiengänge). Dabei ergab sich, dass 46,6% der Studierenden der Bachelor- und Masterstudiengänge ihr Studium in Regelstudienzeit absolvierten, im Vergleich zu 1,2% der Studierenden in den Staatsexamensstudiengängen. Die durchschnittliche Überschreitung betrug im Staatsexamen 3,3 Semester, im Bachelor-Master-System 1,1 Semester.

Hat sich durch die Einführung von gestuften Bachelor- und Masterstudiengängen nun die Zahl von Studierenden erhöht, die länger als die geplante Regelstudienzeit brauchen? Grundsätzlich war es auch vor der Bologna-Reform so, dass ein hoher Anteil Studierender für die einphasigen Studiengänge eine längere Zeit benötigte, als in den Studienplänen vorgesehen. In einer Untersuchung des Wissenschaftsrates zur Entwicklung der Fachstudiendauer an Universitäten von 1990 bis 1998 wird bspw. konstatiert, „daß unter den 132 Diplom- (U), Diplom- (KH) und
Magisterstudiengängen […], nur 11 Studiengänge einen Absolventenanteil innerhalb der Höchstförderungsdauer des BAföG von über 50 % erreichen. In 74 Studiengängen hat auch 2 Semester später noch nicht die Hälfte der Absolventen ihr Studium beendet. In 76 Studiengängen liegt der Median der Fachstudiendauer um mehr als 2 Semester über der Höchstförderdauer.“
(Wissenschaftsrat, 2001, 10f.). Anzumerken ist, dass als Höchstförderungsdauer gemäß BAföG (Bundesausbildungsförderungsgesetz) zum damaligen Zeitpunkt meist die Regelstudienzeit inklusive einem weiteren Semester angenommen wurde. Bzgl. der Studiendauer bezogen auf die Regelstudienzeit hat sich also durch die Einführung der „neuen“ Studiengänge grundsätzlich eher wenig verändert. Dass Studiengänge nicht in der formal geplanten Zeit beendet werden, ist also ein Phänomen, dass auch vor der Bolognareform schon verbreitet war.

Wie hat sich durch die Einführung der gestuften Studiengänge aber auf die Gesamtstudierdauer ausgewirkt? Generell gilt: an Universitäten nehmen gut zwei Drittel der Studierenden nach dem Bachelorabschluss ein Masterstudium auf (eine so genannte Übergangsquote von ca. 66% für den Prüfungsjahrgang 2018; Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2022). Auf Basis von Daten der amtlichen Statistik haben Studierende an Universitäten im Jahr 2000 ein Diplomstudium nach durchschnittlich 12,7 Semestern abgeschlossen (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2016), für den Abschluss eines Masters betrug die gesamte durchschnittliche Studiendauer bspw. 11,2 Semester im Jahr 2012, 12,1 Semester im Jahr 2016 und 13,3 Semester im Jahr 2020 (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2016; 2020; 2022). Für noch bestehende Diplomstudiengänge betrug die Studiendauer im Jahr 2018 im Durchschnitt übrigens 12,7 Semester (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2020). Ähnliches gilt auch spezifisch nur für Lehramtsstudiengänge. Im Jahr 2000 machten Lehramtsstudiengänge im Durchschnitt nach 11,4 Semestern einen Abschluss, im Jahr 2014 nach 11,2 Semestern (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2016) und 11,6 Semester im Jahr 2018 (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2020), wobei hier natürlich Lehramtsstudiengänge für alle Zielschulformen zusammengefasst sind (z.B. Grundschule und berufliche Schulen). Auch ältere Untersuchungen zeigen schon ähnliche Studienzeiten für die einphasigen Studiengänge (z.B. Wissenschaftsrat, 2001).

Bildnachweis: Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2022, 212; lizenziert unter CC-BY-SA 3.0 DE

Generell ist es also so, dass sich nach der Einführung der „neuen“ Studiengänge, die Gesamtstudiendauern kaum verändert haben, mit einer Tendenz zu längeren Zeiten in den letzten sechs Jahren. Die Unterschiede zwischen Studiengängen und Fächern innerhalb der einzelnen Studienformen sind meist größer, als die Unterschiede zwischen der Studienzeit verschiedener Abschlussarten. Wie man diesen Umstand bewertet, ist eine Frage der Erwartung. Die Studiendauer bis zum Bachelorabschluss ist kürzer als z.B. zum Diplom. Heinz-Peter Meidinger stimme ich insofern zu, als dass zumindest an Universitäten die meisten Studierenden auch einen Masterabschluss zusätzlich anstreben und sich kombiniert keine Veränderung der mittleren Studienzeit ergeben hat. Das war aber auch zumindest kein offizielles Ziel des Bologna-Prozesses.

Was bringt der Bachelor?

Liegen die Gründe dafür, dass die meisten Studierenden mit einem Bachelorabschluss auch ein Master-Studium beginnen an schlechten Berufs- und Verdienstaussichten? Auch zu dieser Frage liegen einige Ergebnisse empirischer Untersuchungen vor. Auch hier können zunächst Analysen auf Basis amtlicher statistischer Daten herangezogen werden. Grundsätzlich ist es so, dass Personen mit einem Hochschulabschluss (egal welcher), im Durchschnitt höhere Einkommen erzielen, seltener von Arbeitslosigkeit betroffen sind und häufiger Führungspositionen ausüben als Personen mit einem anderen beruflichen Qualifikationsnachweis (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2018). Um Unterschiede im beruflichen Verbleib nach Abschlussart abzubilden, wird bspw. im Bildungsbericht 2022 unterschieden, welches Anforderungsniveau ausgeübte Berufe erfordert. Dabei wird zwischen Expert*in, Spezialist*in, Fachkraft und Helfer*in differenziert. Das Anforderungsniveau Expert*in und Spezialist*in werden dabei als ausbildungsadäquate Berufsplatzierung für Personen mit Hochschulabschluss betrachtet. Dabei zeigt sich, dass 85% der Absolvent*innen in einem Beruf arbeiten, die dem ausbildungsadäquaten Anforderungsniveau entspricht, mit Masterabschluss sind es 89%, mit „nur“ Bachelorabschluss sind es 80% (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2022, 217). Es gibt also bzgl. dieses Maßstabs einen, allerdings kleinen, Unterschied.

Unterschiede zeigen sich auch bzgl. des von Absolvent*innen mit verschiedenen Studienabschlüssen erzielten Einkommens. Bspw. nutzten Neugebauer & Weiss (2017) Daten des Mikrozensus 2010 und 2013 und betrachteten insbesondere Berufseinsteiger*innen, also Hochschulabsolvent*innen, deren Abschluss maximal sechs Jahre zurücklag. Diese Gruppen wurden auch mit Personen verglichen, die anderweitig Qualifikationen erworben haben (z.B. Ausbildung, Meister). Je nach Analyseschwerpunkt ergab sich eine Stichprobe zwischen von N =30.137 bis 34.940 Personen. In Regressionsanalysen zeigte sich, dass Masterabsolvent*innen unter Kontrolle der Fachdomäne ein signifikante höheres monatliches Einkommen angaben als Bachelorabsolvent*innen (ca. 14%). Diese gaben aber ein höheres Einkommen als Personen mit Ausbildungsabschlüssen an, mit Meisterabschluss war das Einkommen ähnlich hoch. Abschlüsse von HAWs gingen mit etwas höheren Einkommen einher als die Äquivalente von Universitäten. Ein ähnliches Muster ergab sich bzgl. des empfundenen Berufsprestiges mit etwas geringeren Unterschieden. Bachelorabsolvent*innen von Universitäten hatten aber die größte Wahrscheinlichkeit, von Arbeitslosigkeit betroffen zu sein und befristete Arbeitsverträge zu erhalten.

Trennt (2019) untersuchte anhand von Daten der ersten Befragungswelle des Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), inwiefern sich Unterschiede im nach Angaben der Absolvent*innen (N=2043) im weiteren Berufsverlauf erzielten Einkommen durch die Art ihres Studienabschlusses (Bachelor- oder Masterabschluss) erklären lassen. Im Nullmodell der Regressionsanalysen ergab sich, dass die Art des Abschlusses ein signifikanter Prädiktor ist (MA-Absolvent*innen verdienten nach Eigenangabe ca. 14% mehr), aber allein nur 2,8% der Varianz aufklärt. Werden weitere Variablen kontrolliert, die das erzielte Einkommen ebenfalls erklären können (z.B. Arbeitsort, Branche, vorherige Ausbildung, BA- bzw- MA-Note, Arbeitsmarktstruktur, Ausbildungsadäquanz, Fach u.v.a.), vergrößert sich der Unterschied zwischen den Absolvent*innengruppen sogar noch etwas (ca. 16% Einkommensunterschied). Insgesamt werden durch alle einbezogenen Variablen 36,7% der Unterschiede erklärt. Dabei wird deutlich, dass Einkommensunterschied durch ein komplexes Zusammenwirken vieler Faktoren erklärt werden kann. „Demnach verdienen Bachelorabsolventinnen und -absolventen auch deswegen weniger, weil sie häufiger Tätigkeiten ausüben, für die sie überqualifiziert sind.“ (Trennt, 2019, 391; vgl. auch Grotheer, 2019). Ob dies aber z.B. daran liegt, dass BA-Absolvent*innen ihre Tätigkeiten eher zur Überbrückung zum Masterstudium ausüben, konnte durch die Daten nicht geklärt werden.

Ähnliche Unterschiede zwischen beiden Absolvent*innengruppen werden auch in anderen Untersuchungen berichtet (Hall, 2021; Fabian et al., 2016; Spangenberg & Quast, 2016; Konegen-Grenier, Placke & Schröder-Kralemann, 2015). Auch Analysen, in denen Studierenge mit „alten“, einphasigen Diplomabschlüssen einbezogen wurden, zeigen, dass Bachelorabsolvent*innen im Vergleich geringere Einkommen erzielen (Rehn et al., 2011), wobei die Größe des Unterschieds stark von den studierten Fächern abhing (Müller & Reimer, 2015). Zu beachten ist bei diesen Ergebnissen allerdings auch, dass im Zeitverlauf zum anderen der Anteil von Berufsanfänger*innen, die einen Hochschulabschluss erworben hat, insgesamt gestiegen ist (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2022, 77f.), also insgesamt mehr Personen mit einem solchen Abschluss auf dem Arbeitsmarkt nach Stellen suchen. Dementsprechend werden nun auch vermehrt Personen mit „neuen“ Abschlüssen eingestellt (Briedis et al., 2011). Daher können sich Ergebnisse auch im Zeitverlauf ändern bzw. Erkenntnisse zum „Wert“ von Abschlüssen hängen natürlich auch davon ab, in welchen Jahren der Abschluss erworben wurde. Basierend auf den vorliegenden Untersuchungen sind die Verdienst- und Beschäftigungsaussichten von reinen Bachelorabsolvent*innen aber tatsächlich etwas schlechter als von Absolvent*innen mit anderen Hochschulabschlüssen, wie auch Heinz-Peter Meidinger impliziert.

Ist dieser Unterschied aber auch ein Grund für Studierende, nach dem Bachelorabschluss eher ein Masterstudium aufzunehmen (vgl. Johnson, 2013)? Zur Frage, aus welchen Motiven heraus Studierende ein Studium aufnehmen, liegen auch einige empirische Erkenntnisse vor. Lörz et al. (2019) untersuchten mit Hilfe von Daten des DHZW-Studienberechtigtenpanels (N=2667 Personen, die 2010 die Studienberichtigung erworben haben), wie bestimmte motivationale Orientierungen, Zielvorstellungen und die Entscheidung, nach einem Bachelorabschluss ein Masterstudium aufzunehmen zusammenhängen. Dabei wurde zu verschiedenen Zeitpunkten eine Reihe von Variablen erfasst (z.B. Schul- und Studienleistungen, eingeschätzte Kosten, erwartete immaterielle und materielle Erträge, Merkmale der Bildungsbiografie, familiäre Rahmenbedingungen etc.). In logistischen Regressionsanalysen ergab sich, dass viele dieser Merkmale signifikante Prädiktoren für die Entscheidung für ein Masterstudium bilden, allerdings meist mit einem ähnlich kleinen Effekt. Die größten Effekte hatten das studierte Fach (Lehramt, Natur- und Ingenieurswisseschaften) und ob der Bachelor an einer Universität erworben wurde. Erwartete Opportunitätskosten hatten nur einen eher kleinen Effekt auf die Entscheidung gegen ein Masterstudium im Anschluss (β=-0,02). Diese komplexe Motivlage für das Aufnehmen eines Masterstudiums wird auch in anderen Untersuchungen herausgestellt (z.B. Köck & Zach, 2022; Kretschmann et al., 2017; Lörz et al., 2015; Auspurg & Hinz, 2011). Die geringen Verdienstaussichten allein sind für die meisten Studierenden daher anscheinend nicht der ausschlaggebendste Grund bzw. es hängt sehr stark vom studierten Fach ab, wie sehr dieses Motiv ein Grund ist.

Für das Lehramtsstudium, mit dem wir uns hier im Blog hauptsächlich beschäftigen, ist es relativ klar, warum sich die meisten Studierenden mit einem Bachelorabschluss auch für ein Masterstudium entscheiden (ca. 90%; Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2018). In allen Bundesländern berechtigt schlicht nur ein Masterabschluss zur Aufnahme des Vorbereitungsdiensts bzw. des Referendariats (vgl. Möller, Bauer & Zimmermann, 2023). Aufgrund dieses Umstands wurde und wird auch für das Lehramtsstudium weiterhin diskutiert, wie eine gestufte Studienstruktur am besten ausgestaltet werden, wie diese verändert werden sollte (vgl. Schmees, 2020; Helsper & Kolbe, 2002; Herrmann, 2001). Übrigens nehmen auch nach erfolgreichem Masterstudium nicht alle Lehramtsstudierenden den Vorbereitungsdienst auf. Bei Analysen auf Basis des Nationalen Bildungspanels konnten Gülen, Müller & Schmid-Kühn (2023) feststellen, dass nach dem Masterabschluss 16% der Lehramtsabsolvent*innen einen Beruf außerhalb des Lehramtes ausüben oder ein Promotionsstudium aufnehmen.

So weit, so gut…

In diesem Beitrag haben wir uns mit der ersten Begründung Heinz-Peter Meidingers, warum er die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen als eine nicht gelungene Reform nennt, aus der Perspektive der empirischen Bildungsforschung beschäftigt. Aus Gründen des Umfangs und für eine bessere Lesbarkeit werden die übrigen drei Gründe bzw. Thesen (keine Erhöhung der internationalen Mobilität im Studium, höhere Abbruchquoten, Klagen über Qualität) im vierten und letzten Teil zu seiner Todsünde der Schulpolitik Nr. 3 betrachtet. Er findet sich hier.

Literatur:

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  • Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung (2020). Bildung in Deutschland 2020 – Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung in einer digitalisierten Welt. wbv. (Online)
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