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Täuschen, Schummeln und Betrügen an der Hochschule im Licht der Bildungsforschung 4/7 – Teil 2

Das ist kein guter Einfluss für dich, mein Kind…

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In unserer Artikelreihe zum Täuschen und Betrügen bei Prüfungen im Studium – auch als akademisches Fehlverhalten bezeichnet (zum Beginn der Reihe geht es hier) – setzen wir uns in diesem Beitrag weiter mit der Frage auseinander, aus welchen Gründen Studierende Täuschen bzw. welche Faktoren wissenschaftliches Fehlverhalten begünstigen. Auch mit dem Ziel, um in einem nächsten Schritt mögliche Maßnahmen zur Vermeidung von Fehlverhalten fundierter einschätzen zu können. Weil in der empirischen Bildungsforschung hierzu eine sehr große Anzahl an Untersuchungen und Erkenntnissen vorliegen, haben wir ihn in zwei Teile unterteilt. Im ersten Teil haben wir drei unterschiedliche Merkmalskategorien unterschieden und zunächst Ergebnisse zu Einflussfaktoren betrachtet, die sich auf Merkmale der Studierenden beziehen. In diesem Beitrag werden wir einen genaueren Blick auf Merkmale der Institution und Merkmale des sozialen Umfelds werfen, die in einem Zusammenhang mit dem Ausmaß akademischen Fehlverhaltens von Studierenden bezogen auf Prüfungsleistungen stehen.

Ein paar Hinweise

Wie auch für die dargestellten empirischen Untersuchungen im ersten Teil des Beitrags müssen auch hier die Unterschiede in der theoretischen und methodischen Ausrichtung der einzelnen Studien bei der Interpretation beachtet werden (Näheres haben wir im ersten Teil beschrieben). Wir stellen daher Ergebnisse auch hier eher überblicksartig dar. Auch in diesem zweiten Teil handelt es sich bei den meisten Untersuchungen um Querschnittsbefragungen, bei denen die Studierenden zu einem festen Zeitpunkt befragt wurden. Die gefundenen korrelativen Zusammenhänge liefern auch hier meist nur einen Hinweis auf mögliche Ursachen und können für sich allein keine Kausalität begründen. Hierzu wären bspw. Längsschnittstudien notwendig (vgl. Reinders, 2006).

2. Merkmale der Institution

Hiermit sind Faktoren gemeint, die sich auf die jeweilige Hochschule bzw. die konkrete Lernumgebung beziehen, in der Prüfungen stattfinden (müssen). Allerdings geht es weniger allein darum, über welche beobachtbaren, objektiven Merkmale ein Studium oder eine Lernumgebung an sich verfügt (z.B. den rein zeitlichen Umfang von Lehrveranstaltungen). Um den Einfluss auf akademisches Fehlverhalten zu betrachten, geht es eher darum, wie die Merkmale einer Institution von den in ihr studierenden Studierenden (ein Smiley 😉 für das Wortspiel) wahrgenommen werden (vgl. Sattler & Diewald, 2013). Erst die Interpretation dieser Merkmale durch die Studierenden kann dann einen Einfluss auf mögliches Verhalten der Studierenden haben. Daher wird in den meisten Untersuchungen auch meist erfragt, wie Studierende die Merkmale ihrer Institution einschätzen und weniger, welche Merkmale auch für Außenstehende beobachtbar vorliegen. Streng genommen könnte man also sagen, dass dies auch Merkmale der Studierenden sind (in diesem Fall ihre Einschätzungen zur Lernumgebung), wie wir sie schon im ersten Teil dieses Beitrags betrachtet haben. Eine genauere Unterscheidung ist aber dennoch hilfreich, um einzelne Einflussfaktoren besser betrachten zu können.

Konsequenzen von Fehlverhalten: Ein wichtiges Merkmal der Institution, dass sich auf die Häufigkeit akademischen Fehlverhaltens bzw. die Neigung Studierender zu akademischem Fehlverhalten auswirkt, sind die Folgen, die ein Aufdecken für die Studierenden haben. Dies wurde in einigen Untersuchungen mit Hilfe von Wert-Erwartungs-Theorien modelliert (vgl. Moss et al., 2018; Eccles & Whigfield, 2002). Im Prinzip kann Täuschen für Studierende als Kosten-Nutzen-Abwägung interpretiert werden. Sind die wahrgenommenen Kosten für Fehlverhalten im Vergleich zum Nutzen hoch, also die Konsequenzen eher schwer (z.B. Exmatrikulation im Gegensatz zu einem „einfachen“ Durchfallen durch eine Prüfung), dann ist die Häufigkeit von bzw. Bereitschaft zu Fehlverhalten geringer (z.B. Yu et al., 2017; Schuhmann et al., 2013; Teixeira & Rocha, 2010; Crown & Spiller, 1998; vgl. Gama et al., 2013). Dabei kommt es zusätzlich darauf an, wie die Studierenden die Wahrscheinlichkeit einschätzen, dass ein Fehlverhalten aufgedeckt wird, sie also beim „Schummeln“ erwischt werden (Sattler et al., 2013; Sattler & Diewald, 2013; Teixeira & Rocha, 2010; Grimes et al., 2004; Crown & Spiller, 1998; vgl. Davy et al., 2007). Es geht also darum, inwiefern Studierende die Möglichkeit sehen, sich überhaupt Vorteile durch Täuschungsverhalten in Prüfungen zu verschaffen. Wird diese Möglichkeit als höher eingeschätzt, ist Fehlverhalten häufiger (Sattler et al., 2013). Die Konsequenzen von Fehlverhalten unterscheiden sich an Hochschulen meist in Abhängigkeit von der Prüfungsform. Für den Umgang mit Plagiaten (bspw. in Abschlussarbeiten) gibt es an vielen Hochschulen festgelegte Sanktionen, die eher als schwere Konsequenz interpretiert werden können. Für das Abschreiben in Klausuren sind solche Sanktionen meist weniger festgelegt. Die Zusammenhänge von Fehlverhalten und Konsequenzen bzw. erwarteter Entdeckungswahrscheinlichkeit unterscheiden sich daher in Untersuchungen auch ein wenig in Abhängigkeit davon, welche Prüfungsformate betrachtet werden. So werden bspw. Konsequenzen für das Plagiieren in Haus- oder Abschlussarbeiten von Studierenden höher bzw. schlimmer eingeschätzt als für das Betrügen in Klausuren (vgl. Sattler & Diewald, 2013).

Druck und Studienbelastung: Ein weiterer Faktor, der sich auf die Häufigkeit akademischen Fehlverhaltens bei Studierenden auswirken kann, ist, wie belastend der Umfang des Studiums wahrgenommen wird. Haben Studierende das Gefühl im Studium stärker unter Zeitdruck und Stress zu stehen, geben sie auch eher Fehlverhalten an (z.B. Waltzer & Dahl, 2022; Brimble, 2016; Sattler & Diewald, 2013; Whitley, 1998). Ebenso hängt eine hohe wahrgenommene Workload, also ein hoher zeitlicher Umfang für das Studieren, mit akademischem Fehlverhalten zusammen (Gama et al., 2013; Devlin & Gray, 2007; vgl. Peters et al., 2022). Diese Gründe für Fehlverhalten werden auch insbesondere von Lehramtsstudierenden angegeben (Erek & Ok, 2014). Hierbei geht es primär um die empfundene Workload bzw. die damit verbundene Belastung. Studierende, die zum Prokrastinieren neigen (vgl. Patrzek et al., 2015, siehe auch den ersten Teil dieses Beitrags), können auch dazu neigen, den zeitlichem Umfang als höher einzuschätzen. Welcher Faktor die Ursache für den jeweils anderen ist, sei einmal dahin gestellt. Auch wenn Studierende sich selbst stärker unter Druck setzen oder von ihrem Umfeld (z.B. den Eltern) unter Druck gesetzt werden, akademisch erfolgreich sein zu müssen, kann dies mit einer höher wahrgenommenen Belastung zusammenhängen, was wiederum Fehlverhalten wahrscheinlicher machen kann (Tremayne & Curtis, 2021; Fatima et al., 2020; vgl. Brimble, 2016; vgl. Eret & Ok, 2014). Es bietet dann einen (vermeintlich) leichteren Ausweg. Lehrorganisatorische Entscheidungen können ebenfalls einen ungünstigen Einfluss auf diese Prozesse haben und dabei ungewollt Fehlverhalten fördern. Ist z.B. eine bestimmte Leistung im Studium notwendig, damit Studierende überhaupt zu der eigentlichen (benoteten) Prüfung zugelassen werden, dann steigt natürlich der Erfolgsdruck für Studierende, was wiederum wie oben beschrieben Fehlverhalten begünstigen kann. Dieser Effekt zeigt sich z.B. sehr deutlich beim Abschreiben von Übungszetteln im Mathematikstudium (Liebendörfer & Göller, 2014).

Merkmale der konkreten Lernumgebung: Weitere Einflussfaktoren beziehen sich darauf, wie konkrete Lernumgebungen im Studium von den Studierenden wahrgenommen werden, in denen eine Prüfung zu erbringen ist. Lag der Fokus im vorherigen Merkmalsbereich, Konsequenzen von Fehlverhalten, also eher auf der Ebene der Gesamtinstitution, die Sanktionen ausspricht, liegt er nun eher auf einzelnen Lehrveranstaltungen. Hierzu liegen ebenfalls Ergebnisse aus unterschiedlichsten Untersuchungen vor. Generell ist es in der Tendenz so, dass Studierende, die die Qualität einer oder mehrerer Lehrveranstaltungen eher schlecht bewerten (z.B. als langweilig), auch eher akademisches Fehlverhalten angeben (Chow et al., 2021; Whitley, 1998; vgl. Sattler & Diewald, 2013). Dieser Zusammenhang gilt in ähnlicher Weise auch für die wahrgenommene Breite des Lehrangebots (Sattler & Diewald, 2013) und für die von Studierenden angegebene Studienzufriedenheit insgesamt (vgl. Brimble, 2016; Sattler & Diewald, 2013). Ob ein Faktor hierbei die Ursache des jeweils anderen ist, ist empirisch bisher nicht geklärt; also, ob bspw. eine hohe Studienzufriedenheit Fehlverhalten verhindert oder eine geringe Zufriedenheit und Fehlverhalten evtl. auf eine gemeinsame Ursache zurückgeführt werden könnten. Es zeigt sich auch ein Zusammenhang zur Gestaltung von Lehrveranstaltungen. Liegt der Fokus in der Gestaltung stärker auf Aktivitäten wie Auswendiglernen, geben Studierende eine höhere Fehlverhaltensbereitschaft an, im Vergleich zu Veranstaltungen, in denen der Fokus eher auf Lernprozessen mit dem Ziel des Verstehens liegt (Sattler & Diewald, 2013). Nehmen Studierende Lehrinhalte und Inhalte von Prüfungen als weniger relevant für ihre spätere berufliche Praxis wahr (z.B. in Ingenieursstudiengängen), scheint dies allerdings nicht zwingend mit einer niedrigeren Täuschungsakzeptanz zusammenzuhängen (Gama et al., 2013; vgl. Eret & Ok, 2014). Auch die Einschätzungen des Dozierendenverhaltens hängen mit dem Ausmaß von angegebenem Fehlverhalten zusammen. Geben Studierende an, dass sie von Dozierenden ausreichend unterstützt werden, geben sie auch weniger Fehlverhalten an (Brimble, 2016; Sattler & Diewald, 2013; vgl. Gama et al., 2013). Dieser Zusammenhang gilt analog auch dafür, wie fair die Bewertungsmaßstäbe bzw. die Bewertung generell wahrgenommen werden (Brimble, 2016; Sattler & Diewald, 2013). Beobachten Studierende, dass Dozierende eine hohe akademische Integrität zeigen und diese vorleben, dass akademisches Fehlverhalten von ihnen negativ gesehen wird, dann geben Studierende auch weniger Fehlverhalten an, wobei die Ergebnisse hier nicht eindeutig sind (vgl. Moss et al, 2018; Whitley, 1998).

3. Merkmale des sozialen Umfelds

Hiermit sind Faktoren gemeint, die sich auf den weiteren sozialen Kontext beziehen, in dem akademisches Fehlverhalten an Hochschulen auftreten kann. Ähnlich wie bei den Merkmalen zur Institution ist aber auch hier eher entscheidend, wie diese von Studierenden subjektiv wahrgenommen werden, und nicht wie es vielleicht objektiv beobachtbar ist.

Täuschungsverhalten der Mitstudierenden: Ein wichtiger Einflussfaktor auf die Bereitschaft für akademisches Fehlverhalten besteht darin, wie das Täuschungsverhalten der Peers, wahrgenommen bzw. eingeschätzt wird. Erleben Studierende vermehrt erfolgreiche Täuschungshandlungen von Mitstudierenden, geben Sie auch eher eine höhere Bereitschaft für eigene Täuschungen an (Peters et al., 2022; Chow et al., 2021; Kroher et al., 2020; Moss et al., 2018; Brimble, 2016; Teixeira & Rocha, 2010; vgl. Warr & Stafford, 1991). Dabei müssen sie nicht unbedingt eine hohe Anzahl von Täuschungshandlungen tatsächlich mitbekommen haben, sondern die Einschätzung über das Ausmaß des Täuschungshandelns Anderer ist der entscheidende Einflussfaktor (DiPaulo, 2022; vgl. Hard et al., 2006). Generell hängt eine sozial geteilte Norm, dass bspw. bestimmte Täuschungshandlungen (z.B. Abschreiben) akzeptabel – und in diesem Sinne sogar sozial erwünscht – sind, mit eine höheren Akzeptanz und höheren Bereitschaft für eigenes Täuschungshandeln zusammen (Peters et al., 2022; Eret & Ok, 2014; Whitley, 1998). Hierbei zeigen sich leichte Unterschiede zwischen bestimmten Prüfungsformen. So scheint die wahrgenommene Täuschungshäufigkeit von Mitstudierenden einen etwas größeren Effekt auf eigene Absichten zum Täuschen in Klausuren zu haben, im Vergleich zum Täuschen bei Hausarbeiten (Kroher et al., 2020; vgl. Tremayne & Curtis, 2021). Ein Rückgriff auf eine solche geteilte Norm kann auch ein Mechanismus sein, wie Studierende ihr eigenes Verhalten vor sich selbst rechtfertigen, also es für sich rationalisieren, wenn sie aus individuellen moralischen Gründen dieses Verhalten eigentlich ablehnen (z.B. Waltzer & Dahl, 2022; Grimes et al., 2004). Dabei wird in Untersuchungen ebenfalls festgestellt, dass Studierende das Täuschungsverhalten Anderer selbst nicht bei der Institution anzeigen, wenn sie davon Kenntnis erhalten (Waltzer et al., 2022; Yachison et al., 2018). Es gibt unter Studierenden daher eine Art geteilte „Nicht-Petzen-Norm“, wobei auch hier Unterschiede je nach wahrgenommener Schwere des Fehlverhaltens beobachtet werden können (Waltzer et al., 2022).

Weitere soziale Kontextfaktoren: Neben dem Täuschungsverhalten der Mitstudierenden wurden auch noch einige wenige weitere Kontextmerkmale des sozialen Umfelds untersucht. Schätzen Studierenden bspw. ein, dass unter den Studierenden ihres Studiengangs eine hohe kompetetive Konkurrenz um gute Prüfungsleistungen herrscht (z.B. in Jura-Studiengängen, bei denen die Abschlussnoten sehr entscheidend für die weitere Laufbahn sind), dann geben sie auch eher Fehlverhalten an (Sattler & Diewald, 2013; McCabe et al., 2001; vgl. Moss et al., 2018). Teilweise wurde vermutet, dass Gefühle der sozialen Isolation von den Peers (alienation, Seeman, 2001), ähnlich wie bei anderem nicht normgerechten Verhalten, auch mit häufigerem akademischen Fehlverhalten zusammenhängt. Die Forschungslage ist für Studierende allerdings bisher uneindeutig (Davy et al., 2007; Whitley, 1998).

Und was kann man jetzt damit anfangen?

Blickt man auf beide Teile des Beitrags zurück, dann ist auf den ersten Blick überwältigend, zu wie vielen möglichen Gründen für Täuschungen bei Prüfungen an der Hochschule empirische Erkenntnisse vorliegen. Das zeigt sich auch an der sehr langen Literaturliste für diese Blogbeiträge ;). Was lässt sich daraus nun lernen? Zum einen: Es ist wie immer kompliziert. Die meisten Ergebnisse beziehen sich auf große Gruppen von Studierenden. Für individuelle Studierende wirken natürlich immer mehrere Faktoren zusammen, die sich je nach Situation auch unterschiedlich auswirken können. Dies wurde zwar in einigen Studien versucht in komplexen Modellen abzuschätzen (z.B. Yu et al., 2017), ist aber nicht vollständig mit den gewählten Methoden abbildbar. Zum anderen: Was sich auf jeden Fall festhalten lässt, ist, dass Studierende des Lehramts sich auch in ihren Gründen für Täuschungen bei Prüfungen im Studium nicht von Studierenden anderer Studiengänge unterscheiden (z.B. DiPaulo, 2022; Peters et al., 2022; Sattler & Diewald, 2013). Dies ist vor dem Hintergrund, dass gerade sie es sind, die die nächste Schüler*innengeneration auf korrektes akademisches Verhalten vorbereiten müssen, natürlich etwas ernüchternd. Wir kommen auf diese spezifische Herausforderung aber noch im letzten Beitrag zu dieser Artikelreihe zurück. Der nächste Beitrag wird sich um die Frage drehen, was man denn nun tun kann, um akademischem Fehlverhalten im Studium zu begegnen, es zu verringern und welche Maßnahmen wie wirksam sind. Auch hierzu liegt eine Reihe empirischer Untersuchungen vor. Der Beitrag wird an dieser Stelle verlinkt, sobald er online ist.

Literatur:

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  • Crown, D. F., & Spiller, M. S. (1998). Learning from the literature on collegiate cheating: A review of empirical research. Journal of Business Ethics, 17(6), 683-700. (Online)
  • Davy, J. A., Kincaid, J. F., Smith, K. J., & Trawick, M. A. (2007). An examination of the role of attitudinal characteristics and motivation on the cheating behavior of business students. Ethics & Behavior17(3), 281-302. (Online)
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