Bildungsforschung in Potsdam … again
Diesen März fand die jährliche Konferenz der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung in Potsdam statt. Dabei handelte es sich um einen Nachholtermin, da eigentlich schon 2020 in Potsdam getagt werden sollte, was aber aufgrund der COVID 19-Pandemie leider kurzfristig nicht möglich war. Insofern war es umso schöner, dass sich das Tagungsteam bereit erklärt hat, die Konferenz 2024 wieder auszurichten. Als Repräsentant unseres Teams war diesmal nur Christoph (also ich 😉 ) vor Ort. Der Tagungsort war derselbe wie schon auf der Tagung der AEPF 2023. Insofern war es auch gleichzeitig ein Wiedersehen mit dem schönen Campus Griebnitzsee (mit vielen Bäumen im Innenhof und es wurde auch wieder sonnig).
Unsere Beiträge
In diesem Jahr hatten wir die Gelegenheit, uns im Symposium Handlungsnahe Kompetenzmessung mit Simulationen in der Lehrkräftebildung: Potentiale und Herausforderungen zu beteiligen, das von Stephanie Kron und Prof. Dr. Stefan Ufer von der LMU München organisiert wurde. Christoph eröffnete das Symposium mit einem Vortrag über die Entwicklung und Ergebnisse aus der Validierung von Thomas‘ Performanztest für die rollenspielbasierte Prüfung von Feedbackkompetenz angehender Lehrkräfte im Fach Englisch. Dabei konnten wir auch aktuelle Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen Performanz in der Simulation und dem Ausmaß von fachdidaktischen Wissen, Feedbackwissen und Sprachkompetenz berichten (Danke dir, Thomas, für die Auswertungen!). Danach berichtete Johannes Poser vom IPN in Kiel über die Erfassung der Diagnosekompetenz zum Experimentieren im Fach Biologie mit Hilfe eines virtuellen Klassenraums. In diesem virtuellen Klassenraum werden Gespräche mit einzelnen Schüler*innen simuliert, denen Fragen gestellt werden müssen (ausgewählt aus vorgegebenen Listen). Je nach Antwort, können weitere Fragen gestellt werden. Während dieses Prozesses müssen die Studierenden das Kompetenzniveau und das Wissen der simulierten Schüler*innen zum Experimentieren einschätzen und am Ende auch nochmals eine abschließende Einstufung der Kompetenz jedes*r Lernenden vornehmen. Daten aus einer Onlineuntersuchung mit N=86 Studierenden zeigte, dass diese die Niveaustufe in ca. 48% der Fälle korrekt diagnostizieren konnten. Im dritten Vortrag sprach Stephanie Kron über die Messung von und Beziehungen zwischen einzelnen Indikatoren der diagnostischen Kompetenz angehender Mathematiklehrkräfte. Zur Erfassung der Diagnosekompetenz wurde eine rollenspielbasierte Simulation genutzt, in der Lehramtsstudierende mit von trainierten Schauspieler*innen verkörperten Schüler*innen zwei diagnostische Einzelgespräche führen mussten. Zentrales Steuerungsinstrument dieser Simulationen ist dabei die Auswahl von Aufgaben, die sie den Schüler*innen im Verlauf verschiedene vorlegen müssen, die die Schüler*innen wiederum bearbeiten. Aus Ergebnis und der Beobachtung des Bearbeitungsprozesses wiederum sollte am Ende der Lernstand der Schüler*innen bzgl. neun Facetten der Dezimalbruchrechnung beurteilt werden. Als Indikator der Diagnosekompetenz wurde unter anderem der Anteil an Aufgaben berechnet, die ein hohes diagnostisches Potential innerhalb des Gesprächs aufweisen. Dabei zeigte sich in einer Untersuchung mit N=63 Studierenden, dass so gut wie keine Anpassung der Aufgabenauswahl anhand der Schüler*innenantworten stattfindet. Alle unsere Vorträge wurden aus einer medizindidaktischen Perspektive von Prof. Dr. med Harm Peters von der Charité Berlin diskutiert, was sehr bereichernd war und mir einige Anregungen für unsere weitere Arbeit im Projekt gegeben hat. Vielen Dank auch nochmal an dieser Stelle an Stephanie und Stefan für die Einladung und die Organisation! Daneben waren Jana und Christoph auch als Co-Autoren am Beitrag Pedagogical reasoning bei der Unterrichtsplanung – Eine netzwerkanalytische Untersuchung des Planungsentscheidens beteiligt, in dem Prof. Dr. Daniel Scholl unsere gemeinsamen Arbeiten zur Darstellung von Unterrichtsplanungen mit netzwerkanalytischen Methoden vorstellte. Danke auch dir Daniel!
Inspirationen
Daneben gab es auch dieses Jahr wieder viele interessante Vorträge und Poster zu unterschiedlichsten Aspekten der empirischen Bildungsforschung. Besonders interessant für uns war natürlich die (virtuelle) Keynote von Prof. Dr. Pam Grossman von der Penn GSE – University of Pennsylvania, die unter dem Titel Core Practices for Teaching: A Language for Developing and Improving Professional Practice einen Ansatz vorstellte, den auch wir für die Entwicklung unserer simulationsbasierten Prüfungen verwenden. Im Zentrum stehen so genannten Core Practices, also professionelle Praktiken, die prototypisch und fundamental für den Lehrkräfteberuf sind. Zum Erwerb von Kompetenzen bzgl. dieser Kernpraktiken entwickelte und erprobte sie zusammen mit Anderen auch spezifische Ansätze für die Lehre (vgl. Grossman, 2018). In einer weiteren Keynote sprach Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek zum Transfer sprachlicher Förderkonzepte. Nach einem Überblick über aktuelle Lernstandserhebungen zu Lesefähigkeiten deutscher Schüler*innen berichtete er unter anderem am Beispiel des Hamburger Lesebands, welche Bedingungen notwendig sind, damit empirisch abgesicherte, lernwirksame Intervention zur Förderung der Lesekompetenz auch in der Breite des Schulsystems implementiert werden können.
Auch neben den Keynotes gab es natürlich einige Highlights. Bspw. berichtete Madlena Kirchhoff über die Entwicklung und Evaluation eines Seminars zur Förderung der Core Practices „Ziele festlegen“ und „Unterrichtseinstiege erstellen“. Dabei orientierte sie sich mit ihren Kolleg*innen am oben schon erwähnten Ansatz zur Förderung von Core Practices (Grossman, 2018), wobei die Studierenden ihre geplanten Unterrichtseinstiege auch in Microteaching-Simulationen erprobt haben. Zur Evaluation entwickelten sie Instrumente zur Erfassung der Core Practices, die sich zumindest für das Festlegen von Zielen auch in der theoretisch erwarteten Struktur empirisch abbilden ließen. Holger Futterbleib präsentierte Ergebnisse experimenteller Studien zur Frage, inwiefern Personen der empirischen Bildungsforschung die Fähigkeit und Zuständigkeit zuschreiben, relevante Beiträge für gesellschaftliche Entscheidungen bzgl. Fragen der Bildung liefern. In quotenrepräsentierten Stichproben aus der deutschen Bevölkerung konnten dabei die Ergebnisse früherer Laboruntersuchungen bestätigt werden. Wurden Personen Ergebnisse der Bildungsforschung präsentiert, die ihren Vorüberzeugungen widersprach (hier: Wirksamkeit von Klassenwiederholungen), schrieben sie der Bildungsforschung geringere Fähigkeit und Zuständigkeit zu. Dieser Effekt bliebt aber auf den konkreten Kontext beschränkt und wurde nicht auf andere Themen generalisiert.
Insgesamt war es auch dieses Jahr eine gelungene Konferenz, die auch sehr nachhaltig geplant und durchgeführt wurde (z.B. mit Mehrwegbechern, vegetarisch/veganem Catering und vielen weiteren kleinen Ideen). Herzlichen Dank an das Tagungsteam! Wir freuen uns schon auf das nächste Jahr.
Vorträge:
- Becker-Mrotzek, M. (2024, 20. März). Transfer sprachlicher Förderkonzepte gestalten. 11. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF), Potsdam.
- Futterleib, H., Thomm, E., & Bauer, J. (2024, 18. März). Das kann man gar nicht untersuchen! Abwertung der Fähigkeit und Zuständigkeit von Bildungswissenschaft in der Öffentlichkeit. 11. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF), Potsdam.
- Grossman, P. (Ed.). (2018). Teaching core practices in teacher education. Harvard Education Press.
- Grossman, P. (2024, 18. März). Core Practices for Teaching: A Language for Developing and Improving Professional Practice. 11. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF), Potsdam.
- Kirchhoff, M., Telgmann, L., & Müller, K. (2024, 19. März). Zur Messung der Core Practices „Ziele festlegen“ und „Unterrichtseinstiege erstellen“. 11. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF), Potsdam.
- Kron, S., Sommerhoff, D., Stürmer, K., & Ufer, S. (2024, 18. März). Messung von und Beziehungen zwischen einzelnen Indikatoren der diagnostischen Kompetenz angehender Mathematiklehrkräfte. 11. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF), Potsdam.
- Poser, J., Fiedler, D., Schönle, D., Reich, C., & Harms, U. (2024, 18. März). Messung der Diagnosekompetenz zum Experimentieren mit der Klassenraumsimulation SKRBio. 11. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF), Potsdam.
- Scholl., D., Küth, S., Vogelsang, C. Meier, J., & Seifert, A. (2024, 19. März). Pedagogical reasoning bei der Unterrichtsplanung – Eine netzwerkanalytische Untersuchung des Planungsentscheidens. 11. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF), Potsdam.
- Vogelsang, C., Janzen, T., Wotschel, P., & Grotegut, L. (2024, 18. März). Entwicklung und Validierung einer rollenspielbasierten Simulation als Prüfungsverfahren für das Lehramtsstudium im Fach Englisch. 11. Jahrestagung der Gesellschaft für Bildungsforschung (GEBF), Potsdam.