Archiv der Kategorie: ABSCHLUSSARBEITEN

KUNSTPRAKTISCHE MASTERARBEIT VON JASMIN MIDDEKE

Zuhause – Das Interieur als Darstellung intimer Alltagsszenen

Küche 2, 2023, Acryl auf Leinwand, 70 x 50 cm

Wie kein anderer wird der private Wohnraum maßgeblich durch alltägliche Erfahrungen bestimmt und dient Künstler:innen als besonders bedeutsamer Bezugsrahmen für die kritische Befragung grundlegender, vielfältiger und widersprüchlicher Phänomene der Gegenwartskultur.1 Die Wohnung bietet Schutz und Zuflucht und wird lange als Gegenpol zu der Arbeitswelt und den Begegnungen im öffentlichen Raum wahrgenommen.Doch dies hat sich spätestens durch die Corona-Pandemie grundlegend verändert: Ein Arbeiten war nur noch von zuhause möglich und soziale Kontakte konnten nur über Onlineplattformen gepflegt werden, sodass sich das ganze Leben auf einen Schlag fast ausschließlich in den eigenen vier Wänden abspielte. Die Welt, in der wir uns bewegen, hat sich verändert und auch unser Leben bewegt. Der Blick in den privaten Raum scheint allgegenwertig zu sein. In diesem Zusammenhang fragte ich mich, in welchem Verhältnis ich heute zu meinem eigenen Wohnraum stehe: Was bedeutet zuhause für mich? Inwiefern werden Individualität sichtbar und Intimität erzeugt? Bietet mir meine Wohnung Privatsphäre, Schutz und Geborgenheit oder kommt auch in den eigenen vier Wänden Unheimliches zum Vorschein? Und wie kann man die sich bewegende, dreidimensionale Welt, von der auch wir bewegt werden, bildlich auf dem planen Malgrund wiedergeben?Diese Fragen sind Ausgangspunkt für diese künstlerische Auseinandersetzung mit dem eigenen Wohnraum.  

 Wohnzimmer 1, 2023, Acryl auf Leinwand, 100 x 80 cm

10.10.2022, 20:13, Filzstift auf Papier, 30 x 20 cm

04.11.2022, 14:53, Pastell-Ölkreide auf Papier, 30 x 20 cm

08.11.2022, 12:17, Pastell-Ölkreide auf Papier, 30 x 20 cm

12.10.2022, 18:09, Filzstift auf Papier, 20 x 30 cm

1 Vgl. Sprenger, Lars (2011). Bilder des Privaten. Das fotografische Interieur in der Gegenwartskunst. Bielefeld: Transcript, S. 321. 

2 Vgl. Zilch, Harriet (2015). Über das Interieur im digitalen Zeitalter. In: Marion Eisele; Ludwig Seyfarth & Harriet Zilch (Hrsg.). Homebase: das Interieur in der Gegenwartskunst: the interior in contemporary art. Bielefeld: Kerber Art, S. 45. 

3 Vgl. Hockney, David (2004). Probleme der Darstellung. In: David Hockney (Hrsg.). David Hockney – die Monogarfie. München: Knesebeck, S. 9. 

KUNSTPRAKTISCHE MASTERARBEIT VON SUSANNE JANZEN

Zug um Zug – Eine malerische Auseinandersetzung mit Spiellandschaften

Winzul II, 21 x 14,8 cm, Aquarellstifte und Acrylmarker auf Papier

Sons of Faeriell, 30 x 24 cm, Acryl auf Leinwandpappe

Niagara, 150 x 100 cm, Acryl und Lack auf Leinwand

Spiel des Lebens, 100 x 90 cm, Acryl und Lack auf Leinwand

Das Risiko des Untergangs eines harmonischen Imperiums in einer pandemischen Lage (Pandemic – Fall of Rome, Concordia (Harmonie), Imperial, Risiko), je 50 x 50 cm, Acryl und Lack auf Leinwand

„Das gemeinsame Spielen mit Brettspielen stellt eine weit verbreitete kulturelle Praxis dar, in der neben der Unterhaltung Regeln eingeübt und vermittelt werden, die auch im Zusammenhang mit sozialen Aushandlungen stehen.“1 Mit diesem Satz wurde die Anerkennung des Antrags auf „Förderung von Brettspielen“ als Immaterielles Kulturgut im Jahr 2019 begründet, sodass Brettspiele und das Spielen davon nun im Register Guter Praxisbeispiele zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes im Sinne der UNESCO in das Landesverzeichnis in Bayern aufgenommen wurden.2 

Brettspiele sind nun anerkanntes Kulturgut, und das in einer digitalisierten und technisierten Welt. Trotz hochentwickelter Computerspiele im Zeitalter der digitalen Medien werden dennoch analoge und klassische Brettspiele als Kulturgut hervorgehoben. Was in den letzten Jahren erst anerkannt und ausgezeichnet wurde, kennzeichnet die Menschheit schon seit Jahrhunderten: Das Spielen. „Spielen ist eine unverzichtbare Betätigung des Menschen. Unsere Persönlichkeitsentwicklung, unsere Charakterbildung findet im Spiel statt, ein Leben lang. Die Spiele sind unser Weg, mit der Welt und ihren Erscheinungen in einen Dialog zu treten.“3 Nicht nur das Spielen an sich ermöglicht es in einen Dialog mit der Welt und den Dingen darin zu treten, auch die Kunst und die Kunstwissenschaft bieten eine große Austauschfläche an. 

Der künstlerischen Masterarbeit von Susanne Janzen liegt die Auseinandersetzung mit dem Brettspiel und hier im Speziellen der Spiellandschaft zu Grunde. Welches Potential verbirgt sich hinter den, für einen bestimmten Zweck gestalteten Spielbrettern der letzten Jahrzehnte für eine aktuelle Malerei? Welche Möglichkeiten bietet die Überführung dieser Bilderwelten in die Dimensionen eines Leinwandbildes? Welche Parallelen bestehen zwischen dem Spiel und der Kunst oder dem Spielen und dem künstlerischen Arbeiten?

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1 Immaterielles Kulturerbe Bayern, Förderung von Brettspielen 2019. 
2 Junge, Dr. Jens: „Immaterielles Kulturerbe der UNESCO. Brettspiele im Landesverzeichnis Bayern“. 23.09.2021, Institut für Ludologie: https://www.ludologie.de/blog/artikel/news/immaterielles-kultur-erbe-der-unesco-brettspiele-im-landesverzeichnis-bayern/  (Letzter Zugriff: 14.06.2022)
3 Junge, Dr. Jens: „Quo vadis Brettspielbranche?“. 12.08.2021, Institut für Ludologie: https://www.lu-dologie.de/blog/artikel/news/quo-vadis-brettspielbranche/ (Letzter Zugriff: 16.06.2022)

KUNSTPRAKTISCHE BACHELORARBEIT VON LENA KELLER

<< явлада >> Persönliche Erinnerungen einer Spätaussiedlerin aus Kasachstan – Eine künstlerische Identitätsfindung

In der Kunst ist die Selbstdarstellung von Künstler*innen ein oft benutztes Thema um aus individuellen Gründen mit den Rezipient*innen einen Austausch einzugehen. Nicht nur der Dialog zwischen Künstler*innen und Rezipient*innen kann einen fruchtbaren Austausch auslösen, sondern die künstlerische Arbeit an sich kann für die schaffende Person hilfreich sein. Sei es zum Beispiel um verlorene Erinnerungen hervorzurufen, eine Beichte abzulegen oder um Gleichgesinnte zu finden und sich somit weniger alleine auf der Welt zu fühlen. Schon immer beschäftigen sich Kunstschaffende mit der eigenen Person, dabei sind autobiografische Arbeiten ein oft genutztes Medium. 

In dieser Arbeit beschäftigte sich Lena Keller mit den verlorenen Erinnerung der eigenen Kindheit, die geprägt ist von zwei Kulturen. Durch die Arbeit erfolgte eine persönliche Spurensuche nach Lückenfüllern für eine eigene Ordnung des frühen Leben. Nicht nur Erinnerungen spielen eine große Rolle, sondern auch die Frage nach kulturellen Merkmalen, die Erinnerungen hervorrufen können. Bei der Erstellung der Arbeit stellte Lena Keller sich die Frage, inwieweit es möglich ist, in einem künstlerischen Prozess, durch persönliche Erinnerungen, der eigenen kindlichen Identität nahe zu kommen. 

In der praktischen Arbeit я влада sind neben Fotografien und Collagen, auch Zeichnungen und Schriftstücke zu finden, die diverse Fragmente der persönlichen Kindheit aufzeigen. Für Kellers Verständnis ist Kultur durch meist kollektive Erinnerungen und Ereignisse geprägt. Aber was passiert auf der persönlichen Ebene? Was passiert, wenn ein Individuum einzelne Fragmente aufnimmt, diese wie Puzzleteile zusammensetzt und ein eigenes Bild erschaffen möchte?

KUNSTPRAKTISCHE BACHELORARBEIT VON QUANG TRAN

Enter the Qu-Tran (36 Chambers). Vernebelte Erinnerungen, Symbole, Vergangenheit. Der Versuch einer malerischen Rekonstruktion

Quang Tran: Purple Haze. Acryl und Sprühfarben auf Leinwand, 100 x 80 cm

Quang Tran: Feather. Acryl und Sprühfarbe auf Leinwand, 50 x 70 cm

Quang Tran: Lithium. Acryl und Ölkreide auf Leinwand, 60 x 70 cm

Quang Tran: Ohmygodiloveyoupleasedontleaveme, Acryl auf Leinwand, 40 x 50 cm

Quang Tran: Unknown Pleasures, Acryl und Ölkreide auf Leinwand, 130 x 100 cm

Quang Tran: Wu-Tang Clan Ain’t Nuthing Ta F‘ Wit, Acryl auf Leinwand, 60 x 80 cm

In den Bildern, die im Rahmen der Bachelorarbeit Enter the Qu-Tran (36 Chambers) entstanden sind, betreibt Quang Tran einen malerischen Rekonstruktionsversuch einer zeitlich definierten Phase der Jugend. Ziel der Arbeit ist es, die verrauchte Umgebung, die durch den Rausch getrübte Wahrnehmung, die undurchsichtige und ungreifbare Emotionslage und Existenz und schließlich die vernebelten Erinnerungen an diese Zeit einzufangen und zu rekonstruieren.

Wu-Tang Clans Enter the Wu-Tang (36 Chambers) ist für das Musikgenre Hip-Hop ein äußerst einflussreiches Werk, das durch seine unmittelbare und rohe Akustik, seinen direkten, ranzigen und weder verschönenden noch übertreibenden lyrischen Inhalt einen staken Einfluss auf Quang Tran hat. Er ist zwar weder in den Sozialbausiedlungen in Staten Island, New York, aufgewachsen, noch stand er mit struktureller Diskriminierung gegen afroamerikanische Menschen in Verbindung. Er befand sich auch nicht in einer prekären Lebenssituation, in der er sich der Kriminalität hätte hingeben können. Doch sind es die Ehrlichkeit und Direktheit ihrer Lyrik, die für ihn beim Anhören ein spezifisches Bild malten, dass sich zwar nicht eindeutig nachvollziehen lässt, aber genug explizite als auch abstrahierte Informationen hergibt, um der Zuhörer*in die Lebensrealität der Mitglieder des Wu-Tang Clans auch auf emotionaler Ebene zu geben. Es werden keine Gewalttaten und Drogenkriminalität glorifiziert, obgleich Gewalt und Drogen sehr wohl Teil ihres Alltags waren und somit auch Teil der Bilder in ihrer Lyrik sind. In diesem Aspekt der persönlichen und teilweise intimen Darstellung einer Lebensrealität ähnelt sich das Vorhaben dieser Bachelorarbeit dem Konzept des Albums, weswegen die Anlehnung an den Albumtitel einen tiefergehenden Wert hat, als es das platte Wortspiel zunächst vermuten lässt.

KUNSTPRAKTISCHE MASTERARBEIT VON JESSICA KLEIN

Collageereignis – Künstlerische Collagen zwischen täglichem Konsumwahn und gesellschaftlich-politischen Krisen

Jessica Klein: Cover The Real Cosmopolitan / Februar 2022 / Simultan Pictures I, digital collage, 21 x 29,7 cm

Jessica Klein: Wiederaufbau bis zur Erschöpfung – Material Love. Perfekt fürs Upcycling, handmade collage with printed paper, 20,5 x 28 cm / Zu viel Regen und wenig Sonne – Essie. Leggy legend, handmade collage on hydro dipped coating paper, 21 x 29,5 cm

Jessica Klein: Ohne Titel (Hochwasser II), digital collage, 42 x 29,7 cm

Jessica Klein: Vulkan nach kurzer Pause wieder zum Leben erwacht – Hot Bikini Season, handmade collage with printed paper, 20 x 28 cm 

Jessica Klein: Cousine bangt um Zwangsheirat in Herat – Versace Eros, handmade collage with printed paper, 20 x 27,5 cm / Ohne Titel (Afghanistan II), digital collage, 42 x 29,7 cm

Die kunstpraktische Masterarbeit „Collageereignis – Künstlerische Collagen zwischen täglichem Konsumwahn und gesellschaftlich-politischen Krisen“ ist eine kritische Auseinandersetzung mit der gleichzeitigen, collageartigen Rezeption von Alltagsbildern.

Den Ausgangspunkt der Arbeit bildet die Beobachtung, dass Bildwelten der Nachrichten und der Werbung sowohl in der Rezeption wie auch in der Vermittlung simultan auftreten. Dadurch entsteht eine Gleichzeitigkeit und ein Nebeneinander verschiedener Themen, Bilder und Texte. Die medial vermittelten Bilder kennzeichnen sich durch Konsumprodukte und gesellschaftlich-politische Krisen. Sie fungieren als Spiegel der gesellschaftlichen Lebensverhältnisse.

Die künstlerische Arbeit treibt die bereits vorhandenen Collageereignisse der Alltagswelt auf die Spitze, indem sie das vorhandene Nebeneinander von Themen in der Werbung und in den Nachrichten durch die Collagetechnik visualisiert. Dabei wird die Natürlichkeit dieser alltäglichen Collageereignisse aus täglichem Konsumwahn und gesellschaftspolitischen Krisen vorgeführt und die Absurdität dieser Gleichzeitigkeit dieser aufgezeigt. Die angefertigten Werke spiegeln auf überspitzte, humoristische und schockierende Weise die gesellschaftliche Wirklichkeit. Die Kunstwerke offenbaren dabei (vermeintliche) Zusammenhänge zwischen den Bildwelten, indem sie diese assoziativ zusammenführen und neue Beziehungen zwischen den konträren Welten herstellen. Dadurch vermittelt die künstlerische Arbeit höchst politisch relevante Aussagen und transportiert wichtige Denkanstöße zur Reflexion der gesellschaftlichen Wirklichkeit.

Das Ziel der Arbeit ist es darauf aufmerksam zu machen, welche Nichtigkeiten unseren Konsumalltag prägen, während auf der ganzen Welt Schreckliches passiert. Dabei wird der alltägliche (Bilder-)Konsum von Luxusgütern (Mode, Beautyprodukte), vor dem Hintergrund tagesaktueller Krisen, kritisch hinterfragt. Es geht um eine Kritik an der westlichen Konsumgesellschaft. Sie soll dazu anregen, über die eigenen essentiellen Bedürfnisse nachzudenken. Vor dem Hintergrund der gleichzeitigen Wahrnehmung der werbegeprägten Bilder und den Bildern der aktuellen gesellschaftlichen Krisen, drängt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit der ganzen Waren auf, die durch die Werbebilder vorgeführt und angepriesen werden. Radikaler lässt sich die Frage angesichts der aktuellen Berichterstattungen rund um Flucht aus Kriegsgebieten (Afghanistan), Naturkatastrophen (Vulkanausbruch La Palma, Flutkatastrophe in Deutschland oder Öl-Pest in Kalifornien) und pandemischen Virusmutationen (Corona-Krise) formulieren: Was brauche ich zum (Über-)Leben? Die Arbeit kann sowohl als eine künstlerische Auseinandersetzung mit den aktuellen gesellschaftspolitischen Lebensverhältnissen, als auch als eine kritische Beschäftigung mit der heutigen Konsumgesellschaft bezeichnet werden. Aus diesem Grund kann sie als künstlerisch-politische Praxis verstanden werden.

KUNSTPRAKTISCHE BACHELORARBEIT VON MELISSA JASMIN THIEHOFF

Invasion der Wirbellosen. Eine malerische Auseinandersetzung mit dem Ekel vor niederen Tieren

Melissa Jasmin Thiehoff: Ohne Titel (Bild zum Ekel vor Mücken), 2021, Acryl auf Leinwand, 84 x 60 cm

Melissa Jasmin Thiehoff: Ohne Titel (Bild zum Ekel vor Kleidermotten), 2021, Acryl auf Leinwand, 105 x 110 cm

Melissa Jasmin Thiehoff: Ohne Titel (Bild zum Ekel vor der Gemeinen Florfliege), 2021, Acryl auf Leinwand, 118 x 84 cm

Melissa Jasmin Thiehoff: Ohne Titel (Bild zum Ekel vor der Gemeinen Florfliege), 2021, Acryl auf Leinwand (Detail)

Melissa Jasmin Thiehoff: Ohne Titel (Bild zum Ekel vor den Raupen der Apfelgespinstmotte), 2021, Acryl auf Leinwand (Detail)

Während die einen als wahre Helden der Natur gefeiert werden und die anderen rundum unser Wohlgefallen genießen, gibt es viele verschiedene Arten, die von uns Menschen gefürchtet und verabscheut werden.¹ Der Ekel vor sogenannten „Krabbeltieren“ wurde und wird in der Kunst immer wieder und in unterschiedlichsten Formen behandelt und verarbeitet. Oft widmen sich Künstler:innen dem Thema ausgehend von der eigenen Angst oder einer erlebten Situationen heraus. So entstand auch mein Interesse, spezielle Aversionen von Menschen gegen Insekten und anderen niederen Tieren näher zu betrachten, aus meinem eigenen Ekel vor Raupen. Warum genau ich mich vor Raupen ekel, weiß ich nicht. Es liegt, wie es das folgende Zitat deutlich macht, wahrscheinlich in der Sache selbst: 

Was nun die Ekelhaftigkeit des Ungeziefers im allgemeinen [sic!] bedingt, ist ein Zusammenwirken mehrerer Motive […]. Es sind dies: Das Kriechen, Kleben, »Bekleben« der Umgebung […]; das Gewimmel und Gekribbel, das Phänomen eines zusammenhängend wimmelnden Gemisches […]; überhaupt der merkwürdig »kalte« Zug dieser ruhelosen, nervösen, sich windenden, zuckenden Vitalität, als wäre das alles ein abstrakter, irgendwie demonstrativer »Lebenstanz« ohne angemessene »Lebenswärme«, ohne inneren Gehalt des Lebens; endlich aber der tückisch-aggressive Zug bei den meisten der besagten Lebewesen. […] Das besondere Scharfe, Lebhafte dieser Ekelsart stammt wohl aus der Tatsache der Beweglichkeit, Aggressivität (nicht aber: Gefährlichkeit) des Gegenstandes, dem Bewußtsein [sic!] »Es könne leicht zur Berührung damit kommen«.² 

Während das Betrachten eines ekelerregenden Tieres schon oft Herausforderung genug ist, ist die Vorstellung von der Berührung unvorstellbar. Die Imagination, Raupen würden auf meiner nackten Haut herumkrabbeln, war Ausgangspunkt für meine malerische Arbeit Feindliche Übernahme. Anknüpfend an jene Arbeit, die meinen Ekel für andere zugänglich und nachvollziehbar machen sollte, werden in dieser malerischen Auseinandersetzung Menschen aus meinem Umfeld sowie erneut ich selbst mit verschiedenen, ganz persönlichen Ängsten und ekelhervorrufenden Tieren konfrontiert. 

Entstanden sind elf Acrylgemälde, in denen die dargestellten Personen der schutzlosen Invasion der wirbellosen Tiere ausgesetzt sind.  Die entstandenen Werke der Serie Invasion der Wirbellosen lassen sich dazu in „vier Phasen der Invasion“ unterteilen: das unwissende Opfer, Einschleichen & Verstecken, Eindringen & Angriff und Invasion des Feindes. 

¹ Vgl. Baumann 2012  – Baumann, Günter (2012): Von Schmetterlingen und Donnerdrachen: Insekten in der Gegen-wartskunst. Portal Kunstgeschichte. Abgerufen von https://www.portalkunstgeschichte.de/meldung/von_schmetterlingen_und_donnerdr-5107.html am 19.08.21. 

² Kolnai 2008, S.34f.  – Kolnai, Aurel (2008): Ekel, Hochmut, Haß: zur Phänomenologie feindlicher Gefühle (Orig.-Ausg., 1. Auflage). Frankfurt am Main: Suhrkamp. 

MASTERARBEIT 2020

Svenja Langer: Chrome-Crack. Acrylfarbe auf Leinwand. 75 x 115 cm.

Svenja Langer: Agavenblattrisse. Holzschnitt und Hochdruck verschiedenen Formats.

Svenja Langer: Metal-Kutten. Mit Patches (Hochdruck) benähte Stoff- und Lederjacken.

Svenja Langer: Gelehrtenstein #12. Schneiden in Sand. Gipsguss, glasierter Tonsockel. 55 x 21 x 30 cm.

Svenja Langer: Sammlung / Archiv. Spuren aus dem Arbeitsprozess.

Kunstpraktische Masterarbeit von Svenja Langer

Diese kunstpraktische Masterarbeit befasst sich mit dem Thema ‚Spuren‘ und befragt insbesondere den Untersuchungsgegenstand des ‚Risses‘ mit medienübergreifenden Mitteln aus unterschiedlichen Perspektiven heraus. Der Beitrag zeigt eine repräsentative Auswahl der entstandenen künstlerisch-praktischen Arbeit. Es stehen zwei Untersuchungsebenen im Vordergrund: zum einen die künstlerische Auseinandersetzung mit der gefundenen Spur als Motivspender für künstlerische Transformationsprozesse und zum anderen die Auseinandersetzung mit der selbst erzeugten Spur durch plastische Handlungsformen wie ‚Schneiden‘ und ‚Reißen‘. Malereien, großformatige Holzschnitte und -drucke und eine textile Arbeit in Form eines Arrangements vier entworfener ‚Metalkutten‘ basieren auf dem Motiv von Rissen in Agavenblättern und verbinden Kunst mit der Ästhetik und Kultur des Heavy Metals. Sandguss-Objekte aus Gips hingegen materialisieren die Agitation des ‚Schneidens‘ in das Material ‚Sand‘ und thematisieren dabei die Frage nach der Negativform von Schnitten und Rissen, indem sie den unsichtbaren Luftraum zu einem Objekt mit autonomer, plastischer Qualität transformieren.