Testverfahren/Tests

Katrin Klingsieck

Für einige Ihrer Fragestellungen wird es sich anbieten, ein bestimmtes Testverfahren auszuwählen und durchzuführen. Testverfahren oder Tests stellen neben beispielsweise dem Interview und der Beobachtung eine weitere Methode dar, um systematisch Informationen zu sammeln. Auf diese Weise können sie Sie bei der Beantwortung einer Fragestellung unterstützen. Für viele dieser Fragestellungen existieren bereits Testverfahren, für andere müssen neue Testverfahren entwickelt werden. Für alle Testverfahren existieren Handbücher (auch: Manual), für manche auch Anwenderseminare. An der Universität Paderborn gibt es verschiedene Stellen, an denen unterschiedliche Testverfahren systematisch gesammelt sind. In der Forschungsstelle „Diagnostik und Förderung“ des Deutsch-Treffs finden Sie zum Beispiel eine größere Anzahl einschlägiger Tests zur Erfassung von Lese- und Rechtschreibleistungen sowie Sprachtests (z.B. BISC, LiSe-DaZ, HSP, ELFE 1-6). Eine größere Bandbreite an Tests deckt die Testothek des Fachs Psychologie (Anlaufstelle: Sekretariat des Fachs Psychologie) ab.

Was zeichnet ein Testverfahren aus?

Bei Testverfahren oder Tests handelt es sich um wissenschaftlich fundierte Routineverfahren, mit denen eines oder mehrere empirisch abgrenzbare Persönlichkeitsmerkmale (z. B. Intelligenz) erfasst bzw. gemessen werden. Das Ziel ist es, quantitative aber auch qualitative Aussagen über den relativen Grad der individuellen Merkmalsausprägung treffen zu können. Daher eignen sich Testverfahren immer dann, wenn Sie ein klar umrissenes Merkmal (z. B. Fachkompetenz) erfassen wollen und die Ausprägung einer Einzelperson oder einer Gruppe auf diesem Merkmal in Bezug zu einer Referenz (z. B. Referenzgruppe, Ausprägung in der Vergangenheit) setzen möchten.

Ein Test setzt sich aus unterschiedlichen Aufgaben oder Fragen (Items) zusammen, die die Testperson bearbeiten muss. Aus den Bewertungen der Antworten (oft auch Reaktionen) wird pro Merkmal ein Rohwert errechnet. Für die Interpretation dieses Rohwertes muss er in einen Normwert umgewandelt werden (s. Normierung). Tests unterscheiden sich darin, wie stark sie standardisiert sind. Ist ein Test vollständig standardisiert, so sind die folgenden Aspekte bei allen Testanwendungen gleich: (1) Anleitung vor und während der Testdurchführung (Instruktion); (2) Menge, Reihenfolge und Formulierung der Items; (3) Art der Antwortmöglichkeiten; (4) Auswertung (z. B. mit Hilfe von Schablonen) und (5) Interpretation. Bei teil- oder halbstandardisierten Tests kann der Durchführende, Auswertende und Interpretierende einige dieser Aspekte frei(er) gestalten. Auch einige Fragebögen (z. B. Persönlichkeitsfragebögen) fallen in die Kategorie „Tests“, wenn sie die Kriterien wie wissenschaftliche Fundierung, Standardisierung, empirische Abgrenzbarkeit und Normierung erfüllen.

Welcher Test passt zur Ihrer Fragestellung?

Die unterschiedlichen Arten von Tests lassen sich anhand dessen, was sie erfassen, kategorisieren. Meist wird die Unterscheidung in Leistungstests, psychometrische Persönlichkeitstests und Persönlichkeitsentfaltungsverfahren gewählt.

Zu den Leistungstests gehören Entwicklungstests, Intelligenztests, allgemeine Leistungstests (z. B. Konzentration, Aufmerksamkeit) und Schultests, aber auch spezielle Funktionsprüfungs- und Eignungstests. Um die Leistung im Rahmen dieser Tests messen zu können, müssen die Antworten der getesteten Personen eindeutig als richtig oder falsch klassifiziert werden. Die Leistungstests lassen sich in Speedtests (wie viele leichte und mittelschwere Aufgaben lassen sich innerhalb einer vorgegebenen Zeit lösen?) und Powertests (bis zu welchem Schwierigkeitsgrad werden die Aufgaben richtig gelöst?) unterteilen. Zu den psychometrischen Persönlichkeitstests gehören die Persönlichkeitsstrukturtests, die Einstellungstests, die Interessentests und die klinischen Tests, während die Persönlichkeitsentfaltungsverfahren die Formdeuteverfahren, verbal-thematische Verfahren sowie zeichnerische und Gestaltungsverfahren umfassen (für Beispiele s. Bühner, 2007). Im Rahmen Ihrer Fragestellungen im Praxissemester werden Sie vermutlich eher Tests aus dem Bereich der Leistungstests auswählen, zum Beispiel Tests zur Erfassung der Leseleistung, Tests zur Erfassung der Rechtschreibleistung, Tests zur Erfassung der Rechenleistung aber auch Konzentrationstests, Aufmerksamkeitstests und Gedächtnistests.

Sie können einen Test sowohl für Fragestellungen der Statusdiagnostik als auch der Prozessdiagnostik (auch Verlaufsdiagnostik) einsetzen. Geht es Ihnen zum Beispiel darum, die Rechtschreibleistung einer Klasse zu bestimmen, können Sie einen Rechtschreibtest (z. B. die Hamburger Schreibprobe; HSP) einsetzen. Wollen Sie ferner überprüfen, wie sich die Rechtschreibleistung über einen gewissen Zeitraum verändert, können Sie diesen Test noch einmal einsetzen, um durch die Differenz zwischen den beiden Testleistungen die Veränderungen über die Zeit bestimmen zu können.

Was, wenn Sie einen Test selbstständig erstellen müssen?

Bevor Sie einen Test für Ihre Fragestellung selbst konstruieren, sollten Sie gründlich recherchieren, ob bereits ein Testverfahren dafür existiert. Bei der Entwicklung eines Tests durchlaufen Sie ähnliche Schritte wie bei der Entwicklung eines Fragebogens. Besonders wichtig ist in diesem Rahmen die Überprüfung der Qualität des Tests und die Normierung des Tests. Für Letzteres stellen Sie eine ausreichend große, repräsentative Stichprobe zusammen und lassen den Test von dieser Stichprobe bearbeiten. Wenn der Test z. B. die Methodenkompetenz von Schülern der 12. Jahrgangsstufe erfassen soll, müssen Sie eine Stichprobe von Zwölftklässlern zusammenstellen, die für alle Bundesländer Deutschlands, für alle Ebenen des sozial-ökonomischen Status der Eltern, für alle Altersstufen in der zwölften Klasse, für beide Geschlechter usw. repräsentativ ist. Sie ermitteln statistische Maße wie den Mittelwert und die Standardabweichung mit dem Ziel, die späteren Testergebnisse von Einzelpersonen mit der Normstichprobe (auch Eichstichprobe) in Beziehung zu setzen. So können Sie später beispielsweise feststellen, ob die mit dem Test getestete Person über oder unter dem Durchschnitt ihrer Altersgruppe liegt. Normierte Tests erlauben somit den Vergleich der individuellen Leistung mit einer Referenzgruppe.

Wie garantieren Sie für wissenschaftliche Qualität bei der Auswahl und der Durchführung des Tests?

Sowohl bei der Auswahl des geeigneten Tests für Ihre Fragestellung als auch bei der anschließenden Durchführung des Tests sollten Sie ein besonderes Augenmerk auf die Gütekriterien legen (s.a. im Kapitel Planung). Dafür sollten Sie sich bei der Auswahl des Tests nicht nur den eigentlichen Test, d.h. die Testhefte, anschauen, sondern das Handbuch dazu besonders gründlich studieren. Dort finden Sie Hinweise auf die Objektivität, Reliabilität, Validität und Normierung des Tests. Außerdem lohnt sich ein Blick in Untersuchungen, in deren Rahmen der Test bereits angewandt wurde. Häufig werden dort, insbesondere im Teil „Diskussion“ Probleme genannt, die sich in dieser Untersuchung mit dem betreffenden Test ergaben. Dies können wichtige Hinweise für Ihre eigene Untersuchung sein.

Informationen zur Reliabilität des Tests können Sie ebenfalls im Handbuch nachlesen. Ist ein Testverfahren reliabel, wird der wahre Wert des Merkmals durch den Test genau und zuverlässig erfasst, d. h. Messfehler sind minimal. Sie werden im Handbuch wahrscheinlich unterschiedliche Kennwerte für die Reliabilität eines Tests finden, da unterschiedliche Möglichkeiten zur Feststellung der Reliabilität existieren. So kann ein Test zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten an ein und derselben Stichprobe durchgeführt werden. Kommen beide Testungen zu ähnlichen Ergebnissen, liegt eine hohe Stabilität des Tests (und auch des damit erfassten Merkmals) vor (Test-Retest-Reliabilität). Diese Form der Reliabilität wird in Form des statistischen Zusammenhangs (Korrelation) zwischen den beiden Testungen angegeben. Ein Test kann aber auch in zwei sich sehr ähnlichen Fassungen vorliegen. Werden diese beiden Fassungen an ein und derselben Stichprobe durchgeführt und führen beide zu ähnlichen Ergebnissen, so liegt Paralleltest-Reliabilität vor. Oft finden Sie auch die Angabe von Cronbach’s Alpha, einem statischen Kennwert, der aussagt, wie stark die Items des Tests untereinander zusammenhängen (interne Konsistenz). Cronbach’s Alpha können Sie für Ihre eigene Untersuchung ebenfalls berechnen und sollten diesen Wert auch bei der Vorstellung des Tests nennen.

Auch zur Validität des Tests werden Sie Aussagen im Testhandbuch finden. Ist ein Test valide, dann misst er das, was er messen soll (z. B. ein Intelligenztest misst auch wirklich Intelligenz und nicht ausschließlich Aufmerksamkeit). Auch hier unterscheidet man unterschiedliche Arten von Validität: Inhaltsvalidität, Konstruktvalidität und Kriteriumsvalidität. Die Inhaltsvalidität heißt auch Augenscheinvalidität, weil man überprüft, ob die Items und der Tests als Ganzes das Merkmal abbilden, welches man mit dem Test erfassen möchte. Für die Konstruktvalidität wird der Test (z. B. neu entwickelter Intelligenztest) gemeinsam mit anderen Tests, die dasselbe Merkmal erfassen sollen (z. B. bereits etablierte Verfahren zur Intelligenzmessung), durchgeführt. Ist der statistische Zusammenhang, die Korrelation, zwischen den Testergebnissen hoch, ist dies ein Hinweis auf die Konstruktvalidität des Tests (konvergente Validität). Ferner wird der Test (z. B. neu entwickelter Intelligenztest) aber auch gemeinsam mit Tests, die ein anderes Merkmal messen (z. B. Verfahren zur Messung der Leseleistung) durchgeführt. Ist der statistische Zusammenhang, die Korrelation, zwischen den Testergebnissen nicht hoch, ist dies ein weiterer Hinweis auf die Konstruktvalidität des Tests (diskriminante Validität). Für die Kriteriumsvalidität hingegen wird der Grad der Überstimmung (Korrelation) der Testwerte mit bestimmten Außenkriterien, die mit dem Test zusammenhängen sollten, bestimmt.  Der Testwert eines Tests zur Bestimmung der Leistungsmotivation in der Schule sollte zum Beispiel hoch mit der Motivation im Unterricht zusammenhängen (konkurrente Validität), aber auch hoch mit der Leistungsmotivation im Studium (prognostische Validität). Für die Konstrukt- und Kriteriumsvalidität gehen Sie also im Handbuch auf die Suche nach den Ergebnissen von Studien, in denen der Test mit anderen Verfahren eingesetzt wurde.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass ein Test eine Methode der Datenerhebung ist, welche sich insbesondere durch die Strukturiertheit (z. B. klare und eindeutige Aufgabenstellung, es ist klar, welche Antwort richtig und welche falsch ist) und Normierung (dem Vergleich der individuellen Leistung mit einer Referenzgruppe) von anderen Methoden der Datenerhebung abhebt. Das Ziel eines Tests ist immer die exakte und fehlerfreie Messung des Merkmals oder der Merkmale. Jede Messung kann jedoch fehlerbehaftet sein (z. B. aufgrund von Störvariablen wie Müdigkeit). Daher müssen Sie bei der Auswahl und der Durchführung des Tests die Gütekriterien heranziehen, um die Qualität eines Tests einschätzen zu können.

 Literatur

Bühner, M. (2007). Einführung in die Test- und Fragebogenkonstruktion. (2., aktualisierte und erweiterte Aufl.). München: Pearson Studium.

Sedlmeier, P. & Renkewitz, F. (2008). Forschungsmethoden und Statistik in der Psychologie. München: Pearson Studium.

Fragebögen

Carla Bohndick

Schriftliche Befragungen werden meist mit Hilfe von Fragebögen durchgeführt. Unter einem Fragebogen kann eine sinnvolle Sammlung von Fragen, entweder auf Papier oder auch digital verstanden werden, die von den Untersuchungsteilnehmenden selbstständig und schriftlich beantwortet werden. Ein Vorteil ist, dass Fragebogenuntersuchungen sowohl in Ihrem Beisein, als auch auf postalischem Wege oder online durchgeführt werden können. Je nach Zweck können die Antwortmöglichkeiten in Fragebögen unterschiedlich stark standardisiert sein. Typischerweise geht mit einer stärkeren Standardisierung eine schnellere und einfachere Auswertung einher. Schwach standardisierte Befragungen sind dementgegen für gewöhnlich in neuen und schlecht strukturierten Forschungsfeldern angezeigt, in denen der explorative Charakter der Untersuchung im Vordergrund steht (s. Kapitel Standardisierung).

Ein Fragebogen besteht meist aus mehreren Teilen: In einer Einführung wird zunächst der Zweck der Untersuchung dargestellt. Darauf folgen häufig allgemeine Fragen zur Person, z. B. zum Geschlecht und Alter (soziodemographische Angaben) und schließlich werden die für die Forschungsfrage relevanten Themenbereiche behandelt. Am Schluss des Fragebogens können auch Fragen zur Nachbereitung, z. B. Evaluationsfragen zur Befragung selbst gestellt werden.

In einem Fragebogen können unterschiedliche Antwortmodalitäten eingesetzt werden. Dabei kann zwischen offener Beantwortung und der Auswahl von Antwortvorgaben unterschieden werden:

Bei der offenen Beantwortung erfolgt die Beantwortung frei, d.h. es sind keine Antwortauswahlmöglichkeiten vorgegeben. Ein Beispiel für eine offene Beantwortung wäre die Frage: In welchen Momenten liest du gerne? Hier ist zu erwarten, dass die Antworten sehr wenig durch Vorgaben der Forschenden begrenzt werden. Dies ist für explorative Zwecke sehr günstig, stellt aber hohe Anforderungen an die Auswertung. Ein anderes Beispiel wäre das Alter, welches mit folgender Frage ohne Antwortvorgaben erhoben werden kann: Wie alt bist du? Hier sind (von der Leserlichkeit der Antworten abgesehen) weder für das Antwortspektrum noch für die Auswertung besondere Vor- oder Nachteile im Vergleich zur Vorgabe von Antwortmöglichkeiten zu erwarten.

Bei Fragen mit Antwortvorgaben sind die Antwortmöglichkeiten vorgegeben, es handelt sich also um ein standardisiertes Fragenformat. Ein Beispiel für eine Frage mit Antwortvorgaben wäre also:
Besitzt du einen eBook-Reader? □ ja       □ nein

Hierbei lassen sich Fragen mit Einfachauswahl und mit Mehrfachauswahl unterscheiden. Bei der Einfachauswahl soll unter verschiedenen Antwortmöglichkeiten die am besten passende ausgesucht werden (wie z. B. die Frage nach dem Geschlecht). Bei der Mehrfachauswahl können mehrere Antwortalternativen ausgewählt werden. Ein Beispiel ist:

Aus welchen Gründen liest du?
□ Interesse am Inhalt des Textes
□ Interesse an der Sprache des Textes
□ Gewohnheit
□ Langeweile
□ Sonstige Gründe

Häufig sind Fragebögen so aufgebaut, dass verschiedene Aussagen vorgelegt werden, die auf einer Antwortskala, beispielsweise von 1 (trifft überhaupt nicht zu) bis 5 (trifft voll und ganz zu) bewertet werden sollen. Deshalb werden solche Antwortskalen auch als Ratingskala bezeichnet. Meist wird davon ausgegangen, dass die Abstände zwischen den Auswahlmöglichkeiten gleich sind und daher als metrisch betrachtet werden können (vgl. Beitrag zur Deskriptiven Statistik). Die Kombination aus Frage und Antwortmöglichkeit wird als Item bezeichnet.

Schritte bei der Erstellung eines Fragebogens

Im Folgenden können Sie die Erstellung eines Fragebogens schrittweise nachvollziehen. Der Fokus liegt dabei auf der Formulierung von Items zur Selbsteinschätzung. Die Auflistung kann auch für die Erstellung anderer Items nützlich sein, weitergehende Informationen finden Sie in der unten angegebenen Literatur.

Schritt 1: Festlegung der zu messenden Merkmale
Bei der Erstellung eines Fragebogens müssen Sie sich zunächst genau überlegen, welche Merkmale Sie messen wollen. Gehen wir davon aus, dass Sie den Zusammenhang zwischen dem Leseselbstkonzept und der Lesemotivation untersuchen wollen. Daraus ergibt sich, dass Sie das Merkmal Leseselbstkonzept und das Merkmal Lesemotivation erheben müssen.

Schritt 2: Recherche
Zu vielen Merkmalen existieren Fragebögen, die bereits eingesetzt wurden und zu denen Kennzahlen zur Qualitätsbestimmung vorliegen. Sie sollten also zunächst recherchieren, ob Sie auf der Arbeit von anderen aufbauen und sich damit selbst einige Mühe ersparen und besser an bereits bestehende Forschung anschließen können. Sollten Sie für Ihre Merkmale passende Fragebögen finden, rate ich Ihnen sehr, diese auch zu nutzen, besonders wenn diese schon mehrfach eingesetzt und damit getestet wurden. Auch hinsichtlich der vorliegenden Fragestellung existieren bereits Fragebögen. Für Demonstrationszwecke gehen wir im Weiteren allerdings davon aus, dass unsere Recherche erfolglos war und keine Vorarbeiten vorliegen, so dass wir einen neuen Fragebogen entwickeln müssen.

Schritt 3: Formulierung von Items
Zunächst müssen Sie sich überlegen (und dabei aktuelle Forschungsliteratur beachten), welche Indikatoren auf die Ausprägung dieser Merkmale hinweisen. Überlegen Sie sich dazu, woran eine niedrige oder hohe Ausprägung des Merkmals, welches Sie messen wollen, erkannt werden kann. Da Sie einen Fragebogen entwickeln wollen, müssen Sie sich im Weiteren auf solche Indikatoren beschränken, die über (Selbst)Auskünfte erfasst werden können. Für jedes Merkmal sollten Sie mehrere Items entwickeln. Für das Leseselbstkonzept könnten Sie beispielsweise folgende Aussage formulieren: Lesen fällt mir leicht. Für die Lesemotivation wäre eine Möglichkeit: Lesen macht mir Spaß. Zusätzlich müssen Sie sich für Antwortskalen entscheiden. Im vorliegenden Fall ist die schon vorgestellte Antwortskala von 1 (trifft überhaupt nicht zu) bis 5 (trifft voll und ganz zu) vorstellbar. Grundsätzlich sind auch andere Antwortskalen denkbar, z. B. zur Häufigkeit von 1 (nie) bis 5 (häufig).

Bei der Formulierung der Items sollten Sie Folgendes beachten: Grundsätzlich gilt, dass Sie sich bemühen sollten, die Aussagen möglichst klar, einfach und eindeutig zu formulieren. Sie sollten sich immer überlegen, ob Ihre Fragen wohl so verstanden werden, wie es von Ihnen intendiert ist. Weitere Hinweise zur Formulierung finden Sie bei Kallus (2010):

  • Ist das Sprachniveau angemessen?
    • Überprüfen Sie, ob Ihre Formulierungen für Ihre Zielgruppe verständlich sind. Fachbegriffe sollten Sie vermeiden, z. B. Ich bin intrinsisch motiviert.
  • Sind die Bezüge klar und eindeutig?
    • Ein problematisches Beispiel wäre: In meiner Schule gehöre ich zu den Besten im Lesen. Hier ist nicht eindeutig, auf wen sich der Vergleich bezieht. Es könnten sowohl ältere Schüler/-innen als auch die Lehrpersonen in den Vergleich einbezogen werden. Eine klarere Formulierung wäre: Im Vergleich mit den Mitschüler/-innen in meiner Klasse lese ich gut.
  • Entspricht jedes Item einem Aspekt?
    • Items, die mehrere Aspekte abfragen, können nicht eindeutig beantwortet werden, z. B.: Ich lese gerne Zeitung und Romane. Solche Items sollten Sie trennen und dafür zwei Items formulieren.
    • Auch Bedingungen innerhalb eines Items oder zwischen Items sollten Sie vermeiden, z. B. Wenn es Winter ist und ich ein gutes Buch zur Hand habe, lese ich manchmal den ganzen Tag.
  • Sind die Antwortkategorien passend?
    • Beispielsweise passt die Antwortskala von 1 (nie) bis 5 (häufig) nicht zu dem Item Meistens macht mir lesen Spaß.

Schritt 4: Formatierung des Fragebogens und Formulierung des Begleitschreibens
Auf die Formatierung sollten Sie einige Mühe verwenden, da eine eindeutige grafische Gestaltung die Verständlichkeit erhöht. Überprüfen Sie, ob alle Fragen gut lesbar sind und ob jeweils klar ist, welche Antworten zu welcher Frage gehören. Zusätzlich sollten Sie ein Begleitschreiben formulieren, das über die Ziele Ihrer Studie aufklärt und die Teilnehmenden motiviert, den Fragebogen auszufüllen. Hier sollte auch eine Instruktion zur Beantwortung des Fragebogens erfolgen. Das Begleitschreiben setzen Sie an den Anfang des Fragebogens. Wenn Sie minderjährige Personen befragen wollen, benötigen Sie eine Einverständniserklärung von den Eltern (s.a. Kapitel Forschung und Ethik). Der Einverständniserklärung sollten Sie ein Informationsschreiben beifügen.

Schritt 5: Erprobung des Fragebogens
Bevor Sie den Fragebogen einsetzen, sollten Sie ihn einigen Personen Ihrer Zielgruppe vorlegen, um zu überprüfen, ob alles verständlich ist. Dabei können Sie ausgefeilte Verfahren (diese finden Sie z. B. unter Stichwörtern wie kognitive Pretest) verwenden oder den Fragebogen einfach von 5-7 Personen ausfüllen lassen. Das Wichtigste ist, dass Sie sich Rückmeldung von Ihrer Zielgruppe holen. Tun Sie dies so frühzeitig, dass Sie notwendige Änderungen einarbeiten und den modifizierten Fragebogen erneut erproben können.

Nachdem mit Hilfe der kleinen Stichprobe die erste Einsatzfähigkeit sichergestellt ist, sollte der vorläufige Fragebogen an einer etwas größeren Stichprobe unter Echtbedingungen eingesetzt werden. Die dabei erhobenen Daten werden unter der Perspektive quantitativer Qualitätsindikatoren ausgewertet, um mangelhafte Items zu identifizieren. Vor dem eigentlichen Einsatz empfiehlt sich ein weiterer Probelauf mit der verbesserten Version.

Auswertung

Nachdem Sie Ihren Fragebogen eingesetzt haben, geht es an die Auswertung. Je nach Erkenntnisinteresse und Fragenform bieten sich hier verschiedene Verfahren an. Offene Fragen können Sie beispielsweise mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse auswerten, bei geschlossenen Fragen werden Sie vermutlich die deskriptiven Statistiken, Zusammenhänge oder Unterschiede interessieren. Insbesondere bei selbstentwickelten Fragebögen steht die Analyse der Qualitätseigenschaften des eigenen Fragebogens am Beginn der Auswertung.

Software

Zur Erstellung eines Papier-Fragebogens können Textbearbeitungsprogramme wie z. B. Word o.Ä. genutzt werden. Für Onlinebefragungen bieten sich Dienste wie Limesurvey (kostenfrei) oder Questback an.

Literatur

Aeppli, J. & Gasser, L. (2014). Empirisches wissenschaftliches Arbeiten. Ein Studienbuch für die Bildungswissenschaften (3. Aufl.). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. (Kapitel 7)

Bortz, J. & Döring, N. (2006). Forschungsmethoden und Evaluation. Für Human- und Sozialwissenschaftler. Heidelberg: Springer.

Kallus, K. W. (2010). Erstellung von Fragebogen. Wien: Facultas. WUV.

Gruppendiskussionen

Tamara Ihln

Was kennzeichnet Gruppendiskussionen und wie kann man sie in der Forschung durchführen?

Durch Gruppendiskussionen können Sie den Aufwand an Zeit und Geld reduzieren, indem Sie eine Gruppe von Menschen zu einem Zeitpunkt befragen, statt mehrerer Individuen zu verschiedenen Zeitpunkten. So soll Ihnen nun dargestellt werden, was eine Gruppendiskussion ausmacht, welche Ziele mit ihr verfolgt werden und welche verschiedenen Formen es gibt. Anschließend wird kurz auf die Probleme bei der Umsetzung hingewiesen, ihre Einordung in den Forschungsprozess erläutert und abschließend die Grenzen der Methode offen gelegt.
Außerdem werden sowohl der Gruppendynamik als auch der Diskussion unter den Teilnehmern und Teilnehmerinnen bei der Durchführung von Gruppendiskussionen besondere Bedeutung beigemessen (vgl. FLICK 2002, 250). Als Erkenntnisquelle dienen Ihnen die Stimulierung einer Diskussion sowie die Dynamik, welche sich in ihr entwickelt. Zur Stimulierung einer Diskussion können Sie beispielweise auf die in der  Dokumentenanalyse dargelegten Optionen zurückgreifen, wie bspw. Kinderzeichnungen, Concept Cartoons®/ Konzeptdialoge®, o.Ä.

Zielsetzung bei der Durchführung von Gruppendiskussionen:

Sie sollten sich vor einer Umsetzung ein Ziel überlegen, das Sie erreichen möchten, da das Ziel einer Gruppendiskussion nicht immer gleich ist:
So zieht POLLOCK (1955, 34) die Gruppendiskussion dem Interview vor, da es vermieden werden sollte, Einstellungen, Meinungen und Verhaltensweisen der Menschen isoliert voneinander zu betrachten. Ausgangspunkt der Gruppendiskussion ist daher die Weise, wie Meinungen im Alltag gebildet, geäußert und ausgetauscht werden. Die Gruppe ist Ihr Mittel für die Datenerhebung, um individuelle Meinungen angemessener rekonstruieren zu können (vgl. ebd., 251).
Bei MANGOLD (1973) wird die jeweils von der Situation abhängende Gruppenmeinung zum Gegenstand der Untersuchung.
Ein weiteres Ziel kann die Analyse gemeinsamer Problemlösungsprozesse innerhalb der Gruppe sein, weshalb ein konkretes Problem vorgegeben wird und die Gruppe in der Diskussion über die verschiedenen Wege zu einer Lösung die beste Strategie herausfinden soll (DREHER & DREHER 1994).
Es ist zu unterscheiden zwischen Ansätzen, welche die Gruppendiskussion als Medium zur besseren Analyse von Einzelmeinungen oder als Träger einer eigenen, über Individuen hinausgehenden Meinung versteht (vgl. ebd., 252). Deshalb sollten Sie Ihr Ziel bzw. Ihre Fragestellung möglichst konkret formulieren, damit es Ihnen die Fokussierung für eine Umsetzung erleichtert.

Zusammenstellung Ihrer Gruppe:

Die von Ihnen ausgewählte Gruppe kann natürlich (d.h. auch im Alltag bestehenden) oder künstlich (d.h. zu Forschungszwecken kriteriengeleitet) zusammengestellt werden. Des Weiteren wird zwischen homogenen und heterogenen Gruppen unterschieden (vgl. ebd.). Bei heterogenen Gruppen unterscheiden sich die Teilnehmer/-innen in den für die Fragestellung relevanten Eigenschaften. Dadurch wird die Dynamik der Gruppe verstärkt und verfolgt das Ziel, dass sowohl möglichst unterschiedliche Perspektiven geäußert werden als auch die einzelnen Teilnehmer/-innen – aufgrund ihres Aufeinandertreffens – stärker aus der Reserve gelockt werden.

Die Rolle eines Leiters/einer Leiterin während der Gruppendiskussion:

In nur seltenen Fällen wird auf die Eigendynamik der Gruppe gesetzt und auf eine Steuerung durch einen Leiter oder eine Leiterin verzichtet. Doch: Was genau ist die Rolle eines Leiters oder einer Leiterin während der Gruppendiskussion?
Damit schließen Sie aus, dass die Interventionen den Ablauf und Inhalt der Diskussion beeinflussen (vgl. ebd., 254). Deshalb ist es ratsamer, wenn die Steuerung der Diskussion durch einen Leiter oder eine Leiterin übernommen wird. Funktionen eines Leiters/einer Leiterin sind Folgende: Die formale Leitung beschränkt sich auf das Führen einer Rednerliste, die Festlegung des Gesprächsbeginns,- ablaufs und –endes. Die thematische Steuerung umfasst zusätzlich die Einführung neuer Fragen und Lenkung der Diskussion in Richtung der Vertiefung und/oder Ausdehnung bestimmter Themen und/oder Teilbereiche.
Wenn Sie reale oder natürliche Gruppen bilden, kennen sich die Mitglieder/-innen bereits und haben ggf. schon Bezüge zum Thema der Diskussion (vgl. ebd., 255). Bei künstlich zusammen gestellten Gruppen hingegen sollten Sie zunächst eine Phase der Vorstellung und des Kennenlernens der Mitglieder/-innen einplanen. So ist beispielsweise folgender Ablauf bei der Durchführung einer Gruppendiskussion denkbar:
– Erklärung/Verdeutlichung des (formalen) Vorgehens
– Vorstellungsrunde der einzelnen Gruppenmitglieder
– Diskussion beginnt mit einem Diskussionsanreiz bzw. einem Impuls

  • z.B.: ein Bild/Foto, Aussage/Frage, einer Audiodatei
  • z.B.: einem Zitat, einer Hypothese, o.Ä.

Denn: Vor allem in Gruppen, deren Teilnehmer/-innen sich zuvor nicht kannten, werden in Gruppendiskussionen Phasen der Fremdheit, Orientierung, Anpassung und Vertrautheit mit der Gruppe sowie der Übereinstimmung und des Abklingens der Diskussion durchlaufen (vgl. MANGOLD 1973, 216; SPÖHRING 1989, 223)

Welche Probleme können Ihnen bei der Durchführung einer Gruppendiskussion begegnen?

Die Gruppendynamik erschwert sich durch die klare Formulierung von Ablaufmustern für Diskussionen sowie auch von eindeutigen Vorgaben bzgl. der Aufgaben und des Verhaltens des Diskussionsleiters/der Diskussionsleiterin. Dadurch wird jedoch die Gestaltung relativ einheitlicher Bedingungen für Ihre Datenerhebung in verschiedenen Gruppen nur äußerst begrenzt möglich. Welche Wendungen die Diskussion in ihrem Verlauf nimmt, ist kaum vorhersagbar. Ähnlich ist dies mit der Entscheidung darüber, wann sich die Gruppe in der Diskussion über ein Thema erschöpft hat (vgl. ebd.).
Vor allem steht die Entwicklung von Theorien im Fokus der Gruppendiskussionen (vgl. ebd., 258). Bei der Interpretation der Daten sind die einzelnen Gruppen für Sie als Forscher/-in die Einheit, an der Sie ansetzen sollten. Dafür bieten sich beispielsweise sequenzielle Analysen an. Bei der Verallgemeinerung der Ergebnisse stellt sich jedoch das Problem, wie die verschiedenen Gruppen zusammengefasst werden können (vgl. ebd., 259).

Zur Auswertung Ihrer erhobenen Daten:

Bei der Auswertung Ihrer erhobenen Daten ergeben sich oftmals Probleme bzgl. der Unterschiedlichkeit der Gruppendynamik und damit entsteht sowohl die Problematik der Vergleichbarkeit untereinander als auch die Schwierigkeit, Meinungen und Sichtweisen des einzelnen Gruppenmitgliedes auszumachen. Der hohe Aufwand bei der Durchführung, Aufzeichnung, Transkription und Interpretation von Gruppendiskussionen lässt ihre Verwendung besonders bei Fragestellungen sinnvoll erscheinen, bei denen es gerade um die Nachzeichnung der sozialen Dynamik der Meinungsbildung in Gruppen geht. Des Öfteren wird die Gruppendiskussion mit anderen Methoden kombiniert, z.B. mit ergänzenden Einzelinterviews (siehe Interviews) oder Beobachtungen (siehe bspw. auch Befragung).
Wenn Sie Gruppendiskussionen durchgeführt haben, werden die aufgezeichneten Daten (Audiodateien, Videoaufnahmen, o.Ä.) von Ihnen transkribiert (siehe Transkription) und anschließend ausgewertet (siehe bspw.Qualitative Inhaltsanalyse; Dokumentarische Methode; o. Ä.).

Weiterführende Literatur

  • Bohnsack, Ralf (2000): Gruppendiskussion. In: Flick, Uwe; Kardorff, Ernst von; Steinke, Ines (Hrsg.). Qualitative Forschung – ein Handbuch. Reinbek: Rowohlt, S. 369-384.
  • Bohnsack, Ralf (2010): Gruppendiskussionsverfahren und dokumentarische Methode. In: Friebertshäuser, Barabara; Langer, Antje; Prengel, Anndedore: Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. Weinheim und München: Juventa. S. 205-218.
  • Bohnsack, Ralf (2014): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden. 2. überarb. Aufl. Opladen u.a.: Barbara Budrich Verlag.
  • Dreher, M. & Dreher, E. (1994): Gruppendiskussion. In: Huber, Günter L. & Mandl, Heinz (Hrsg.). Verbale Daten: Eine Einführung in die Grundlagen und Methoden der Erhebung und Auswertung. 2. überarb. Aufl. Beltz Verlag. S. 141-164.
  • Flick, Uwe (2002): Qualitative Sozialforschung: eine Einführung. 6. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag.
  • Loos, Peter; Schäffer Burkhard (2001): Das Gruppendiskussionsverfahren: theoretische Grundlagen und empirische Anwendung. Opladen: Leske & Budrich.
  • Mangold, Werner (1973): Gruppendiskussionen. In: König, R. (Hrsg.): Handbuch der empirischen Sozialforschung. Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag. S. 228-259.
  • Pollock, Friedrich (1955): Gruppenexperiment. Ein Studienbericht. Frankfurter Beiträge zur Soziologie, Bd. 2. Frankfurt a.M.
  • Spöhring, Walter (1989): Qualitative Sozialforschung. Stuttgart: Teubner Verlag.

Mündliche Befragung

Stefanie Meier

Eine mündliche Befragung ist durch die Kommunikation zwischen zwei oder mehreren Personen  definiert, aufgrund dessen zwischen Einzel- und Gruppeninterviews unterschieden werden kann (für die Gruppendiskussion als eine Art des Gruppeninterviews siehe Gruppendiskussion). Durch gezielte verbale Stimuli bzw. Fragen werden verbale Reaktionen bzw. Antworten hervorgerufen. Dies geschieht in ganz bestimmten (geplanten) Situationen und wird durch gegenseitige Erwartungen der beteiligten Personen geprägt. Die Antworten des Befragten beziehen sich auf erlebte sowie erinnerte soziale Erlebnisse und stellen Beschreibungen, Meinungen und Bewertungen dar (vgl. Atteslander 2008, S. 101). Die Methode des Interviews ist daher als eine verabredete Zusammenkunft mit wissenschaftlicher Zielsetzung gekennzeichnet. Der Informationsfluss ist zumeist einseitig, da das Interview der Erhebung von Daten dient, welche nur den Befragten und nicht den Interviewer betreffen.

Im Fokus qualitativer Interviews stehen in Abgrenzung zu quantitativen Forschungsmethoden die soziale Wirklichkeit sowie die Definition dieser durch die Befragten selbst. Die subjektiven Sichtweisen der Befragten bilden den inhaltlichen und strukturellen Rahmen des Gesprächs, in welchem die Zielsetzung die Genese von Hypothesen darstellt. Bei quantitativen Befragungen steht eher die Überprüfung von vorab formulierten Hypothesen im Vordergrund. Im Gegensatz zu quantitativen Interviews zeichnet sich das qualitative Verfahren durch eine offene und flexible Gesprächsgestaltung aus, dessen Verlauf keiner Standardisierung unterliegt und einen Anspruch auf Vergleichbarkeit und Kontrollierbarkeit ablehnt. Die Rolle der Interviewerin/des Interviewers ähnelt während der Befragung eher der einer Gesprächspartnerin/eines Gesprächspartners im Alltag. Bedenken Sie jedoch, dass Sie als Interviewer die Aussagen der Befragten unbeabsichtigt lenken und somit eine beeinflussende Wirkung auf den Verlauf des Gesprächs und den Inhalt haben könnten. Informieren Sie sich deshalb im Vorfeld des Interviews über die das Stichwort ,Interviewereffekte`.

 

Interviewformen

Die folgende Zusammenstellung bildet einige bekannte Interviewformen ab. Es existieren zahlreiche weitere unterschiedliche Variationen, welche sich u. a. durch den Grad der Standardisierung, somit ihrer Orientierung an einem Leitfaden bzw. ihrer Offenheit, unterscheiden. Ferner variieren Interviews nach der Art der Durchführung: im direkten Face-to-Face-Gespräch, per Telefon oder computergestützt. Eine umfangreiche Übersicht von Varianten mündlicher Einzelinterviews finden Sie bspw. in Bortz, J./Döring, N. (2006). Die Entscheidung für eine bestimmte Interviewform ist von der Fragestellung, dem Erkenntnisinteresse und der zu befragenden Zielgruppe der Studie abhängig.

Standardisierte Interviews

Bei dieser Interviewform sind die Formulierung und die Reihenfolge der Fragen für den Interviewenden bei jeder Befragung obligatorisch und nicht veränderbar (Standardisierung). Im Vorfeld müssen daher die Frageformulierungen exakt verfasst werden. Das Erhebungsinstrument bedarf reiflicher Vorüberlegungen und Erprobungen (Pretests) im Forschungsfeld, um die Eignung vorab zu prüfen und ggf. eine Modifizierung vornehmen zu können. Standardisierte Interviews bieten sich für präzise abgegrenzte Themenbereiche an, bezüglich derer der Forschende bereits über umfassende Kenntnisse verfügt (vgl. Bortz/Döring 2006, S. 237ff.).

Teilstandardisierte Interviews

Wie Sie der Bezeichnung bereits entnehmen können, haben teilstandardisierte Interviews einen (mehr oder weniger) offenen Leitfaden gemeinsam. Zu den populäreren Varianten zählen bspw.:

  • das problemzentrierte Interview, bei welchem der Ausgangspunkt eine vom Forscher wahrgenommene gesellschaftliche Problemstellung darstellt (z. B. Hürden beim Übergang Kita Grundschule). Diese Interviewform könnte geeignet sein, wenn Sie bereits über ein vertieftes theoretisches Vorwissen bezüglich des Forschungsgegenstandes verfügen.
  • das fokussierte Interview, das bedingt durch seinen Ursprung in der Medienforschung eher auf die Überprüfung vorab generierter Hypothesen abzielt. Der Fokus liegt bei dieser Interviewform auf einer gemeinsamen Erfahrung aller Befragten (bspw. der Bezug auf einen gemeinsam angesehen Film in der Schulklasse, Bücher, Fotos, Zeichnung etc.). Das Ziel ist die Erforschung der subjektiven Deutungen der Befragten hinsichtlich der gemeinsam erlebten Situationen oder Objekte.
  • das Experteninterview, bei welchem die Deutung spezialisierter Kenntnisse im Mittelpunkt steht. Die Zielgruppe stellen Personen mit hoher Expertise dar wie Inhaber von Führungspositionen, erfahrene und fachkundige Praktiker sowie Experten in jeglichen Fachbereichen. Durch diese Interviewform können praxisrelevantes Wissen, bewährte Routinen und erprobte Prinzipien bzw. Richtlinien ergründet werden.

 

Das narrative Interview

Das geringer vorstrukturierte narrative (erzählende) Interview steht in der Tradition von Fritz Schütze und findet seinen Einsatz im Rahmen lebensgeschichtlicher Fragestellungen. Durch eine erzählgenerierende Frage bzw. einen Erzählstimulus sollen beim Interviewten eine biografische Erzählung, eine sogenannte Stegreiferzählung, angeregt werden. An die Haupterzählung des Befragten, dem wichtigsten Interviewabschnitt, gliedert sich eine Phase für offen gebliebene Fragen und Bilanzierungen an. Für die Befragung von Personen unter 10 Jahren ist die Eignung des narrativen Interviews umstritten, achten Sie in diesem Fall besonders auf die kindgerechte Auswahl und Formulierung des Erzählstimulus (vgl. Heinzel 2003, S. 403).

Das psychoanalytische Tiefeninterview

Dieses bildet die offenste und am geringsten vorstrukturierte Interviewvariante. Psychologisch orientierte Gespräche mit therapeutischen bzw. diagnostischen Zielen sollen unbewusste Ängste, Konflikte oder Bedeutungsstrukturen der Interviewten offenlegen. Dabei werden alle Äußerungen oder Interaktionen als Mittelungen angesehen. Insbesondere bei Kindern eignet sich die Nutzung von Traumreisen oder selbsterstellten Bildern (vgl. Heinzel 2003, S. 404).

 

Besonderheiten und Herausforderungen bei Interviews mit Kindern

Interviews mit Kindern unterliegen anderen Anforderungen als Interviews mit Erwachsenen. Die Notwendigkeit einer adressatengerechten Befragung ist somit unerlässlich.  Auf folgende Aspekte sollten Sie besonders achten:

  • Es besteht ein Dilemma in der Kindheitsforschung: Jede Form der kindgerechten Methode setzt ein bestimmtes Kindheitsbild voraus und läuft damit Gefahr, dieses zu reproduzieren (vgl. Fuhs 2000, S.92). Sie sollten daher Ihre eigenen Annahmen und impliziten Theorien über das Kind/die Kindheit während des Forschungsprozesses offenlegen und so weit wie möglich reflektieren.
  • Sprachliche Fähigkeiten sind bei Kindern von der Entwicklung abhängig und individuell unterschiedlich ausgeprägt. Das Sprachverstehen geht der Sprachproduktion voraus. Beachten Sie daher Geschlechts-,  kulturelle und milieuspezifische Unterschiede. Durch den kindlichen Egozentrismus erscheinen kindliche Aussagen teilweise fragmentarisch oder unvollständig. Kinder gehen zudem von einem allwissenden Erwachsenen aus, aufgrund dessen die Kinder viele Informationen als überflüssig einschätzen und diese den Erwachsenen vorenthalten (vgl. Delfos 2008, S. 52f.).
  • Ein Interview stellt komplexe Anforderung an das Arbeitsgedächtnis von Kindern (Frage merken, Inhalte aus dem Langzeitgedächtnis erinnern, Antworten überlegen und formulieren). Die Erinnerungsdauer von zeitlich zurückliegenden Ereignissen ist abhängig von der subjektiven Bedeutsamkeit, der Intensität des Erlebens (positiv oder negativ), der Auftretenshäufigkeit des Ereignisses sowie dem Alter der Kinder (vgl. Schneider & Lindenberger 2012, S. 420). Berücksichtigen Sie dies bei Ihrer Frageformulierung.
  • Bei irreführenden Fragen sinkt die Validität der Aussagen. Besonders junge Kinder sind empfänglich für Suggestibilität, diese nimmt bei persönlich erlebten und bedeutsamen Erlebnissen jedoch ab. Die Möglichkeit zu „weiß-nicht“-Antworten und die Vermeidung von Suggestivfragen steigern die Aussagegenauigkeit und die Glaubwürdigkeit (vgl. Schneider & Lindenberger 2012, S. 420).
  • Das Generationenverhältnis: Als Erwachsene haben fast alle Interviewer/-innen neben ihrer Rolle als Informationsermittler eine weitere – die von Erziehern. Hier liegt der zentrale Unterschied zwischen dem Kinderinterview und Erwachseneninterview. Über dem Informationsaustausch im Kinderinterview schwebt ein „didaktisches Weltbild“ (Lothar Klingberg 1987). Danach haben Erwachsene subjektive Theorien, wie mit Heranwachsenden lehrend und lernend umzugehen sei. Um die Gefahr der Pädagogisierung zu vermeiden, streben Sie ein Gespräch auf Augenhöhe an (vgl. Trautmann 2010, S. 3f.).
  • Die Bedeutung von Metakommunikation: Schaffen Sie Transparenz und versuchen Sie, die Ängste der Kinder abzubauen. Behalten Sie die Dauer des Interviews im Blick und bauen Sie falls nötig Pausen ein. Schaffen Sie zudem eine vertrauensvolle Atmosphäre, um eine adressatengerechte Befragung zu ermöglichen.
  • Systematisierungen vorfindbarer Interviewvarianten in der Kindheitsforschung leisteten bislang u. a. Frederike Heinzel (Kategorisierung nach dem Grad der Standardisierung (vgl. Heinzel 2003)) sowie Burkhard Fuhs (nach der Art des Erinnerns (vgl. Fuhs 2000)).

 

 

Softwareempfehlungen

Sofern eine – auf Basis forschungsethischer und datenschutzrechtlicher Grundlagen – formulierte Einverständniserklärung von den Befragten bzw. den Erziehungsberechtigten unterschrieben vorliegt, sollten Sie das Interview in Ton und/oder Bild aufzeichnen. Für eine Tonaufnahme können sie ein herkömmliches Diktiergerät oder eine derartige Funktion auf Ihrem Mobilfunkgerät nutzen. Für die Aufzeichnung mithilfe eines Laptops empfehlen sich kostenlose Audioeditoren und –recorder wie bspw. Audacity. Der darauffolgende Schritt besteht in der Transkription der Aufnahmen (Transkription).

 

Ausgewählte Beispiele für den Einsatz qualitativer Interviews

Weltzien, D. (2012): Gedanken im Dialog entwickeln und erklären: Die Methode dialoggestützter Interviews mit Kindern. Frühe Bildung, 1 (3), 143 – 149.

 

World Vision Deutschland e.V. (Hrsg.) (2013): Wie gerecht ist unsere Welt. Kinder in Deutschland 2013. 3. World Vision Kinderstudie. Beltz Verlag.

 

Kinder rechnen anders. Ein Projekt zur Weiterentwicklung der Grundschullehrerausbildung: Auf der Homepage befinden sich Videomitschnitte klinischer Interviews mit Kindern. http://www.kira.uni-dortmund.de/front_content.php

Weise, M. (2008): Der Kindergarten wird zum „Forschungsort“ – Das Puppet Interview als Forschungsmethode für die Frühe Bildung. Ludwigsburger Beiträge zur Medienpädagogik. Ausgabe 11.

 

Literatur

Grundlagenliteratur

Atteslander, Peter (2008): Methoden der empirischen Sozialforschung. 12., durchges. Aufl. Berlin: Erich Schmidt (ESV basics).

Bortz, J./Döring, N. (2006): Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler, Berlin: Springer, S. 115.

Friebertshäuser, Babara/ Langer, Antje (2010): Interviewformen und Interviewpraxis. In: Friebertshäuser, Babara/ Langer, Antje/ Prengel, Annedore (Hrsg.): Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. 3., vollständig überarbeitete Auflage. Weinheim/ München: Juventa Verlag, S. 437- 455.

Helfferich, C. (2009). Die Qualität qualitativer Daten. Kapitel 1.1: Der Gegenstand qualitativer Forschung und Grundprinzipien (S.21-25). Wiesbaden: VS.

Trautmann, T. (2010). Interviews mit Kindern. Grundlagen, Techniken, Besonderheiten, Beispiele. Wiesbaden: VS. (Online Ressource der UB)

Weiterführende Literatur

Andresen, S. (2012). Was und wie Kinder erzählen. Potenzial und Grenzen qualitativer Interviews. Frühe Bildung, 1 (3), 137 – 142.

Delfos, M. F. (2013). Sag mir mal … Gesprächsführung mit Kindern (4 bis 12 Jahre). Weinheim und Basel: Beltz.

Fuhs, B. (2000). Qualitative Interviews mit Kindern. In Frederike Heinzel (Hrsg.)(2000):  Methoden der Kindheitsforschung. Ein Überblick über Forschungszugänge zur kindlichen Perspektive. Weinheim und München: Juventa Verlag, S. 87-103.

Fuhs, B./Schneider, S. (2012): Normalisierungsvorstellungen und Adultismus als Probleme für die erzählerische Erschließung frühkindlicher Lebenswelten. Frühe Bildung, 1 (3), 125 – 130.

Heinzel, F. (Hrsg.) (2000). Methoden der Kindheitsforschung . Ein Überblick über Forschungszugänge zur kindlichen Perspektive. Weinheim und München: Juventa.

Heinzel, F. (2003). Qualitative Interviews mit Kindern. In B. Friebertshäuser & A. Prengel (Hrsg.), Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft (S. 396-413). Weinheim: Juventa.

Nentwig-Gesemann, I./Mackowiak, K. (2012). Schwerpunkt: Interviews mit Kindern – methodische Herausforderungen und Potenziale. Frühe Bildung, 1 (3), 121 – 124.

Schneider, W./Lindenberger, U. (2012). Gedächtnis. In Wolfgang Schneider und Ulman Lindenberger (Hrsg.), Entwicklungspsychologie (S.413-431). Weinheim: Belz.

 

Lautes Denken

Elke Düsing

 

Wenn Sie Einblicke in die mentalen Aktivitäten eines Schülers oder einer Schülerin beispielsweise während der Bearbeitung von Aufgaben oder der Rezeption von Texten bekommen möchten, bietet sich die qualitative Forschungsmethode des „Lauten Denkens“ (thinking aloud protocol) an. Lautes Denken bedeutet, dass das Individuum eine handlungsbegleitende, mündliche Beschreibung seiner gedanklichen Planungen und Vorgehensweisen formulieren soll. Da Sie die Untersuchung in der Regel nur mit jeweils einem Probanden oder einer Probandin durchführen können, ist diese Methode den empirisch-induktiven Verbalisierungsverfahren zuzuordnen. Das heißt, dass Sie vom einzelnen Fallbeispiel Schlussfolgerungen ableiten. Sie werden als Untersucher/in feststellen, dass das Laute Denken nicht nur eine Verbalisierung kognitiver Prozesse, sondern ggf. auch von Gefühlen ist.

Grundsätzlich kann allerdings die Verbalisierung mentaler Prozesse nicht mit dem ursprünglichen Denkprozess gleichgesetzt werden, da die Versprachlichung und die zeitliche Differenz der Vorgänge bereits eine Weiterverarbeitung darstellen. Der zeitnahe Einblick in die mentalen Aktivitäten, die im Kurzzeitgedächtnis abgelegt sind mittels der handlungsbegleitenden Verbalisierung nennt sich Introspektion.  Die Beschreibung der Gedankengänge nach Abschluss der Aufgabenbearbeitung wird hingegen als verzögerte Retrospektion bezeichnet. Je zeitnaher die Gedanken versprachlicht werden, desto eher ist eine Abbildung der ursprünglichen Gedankengänge gewährleistet.

Manchmal neigt der laut Denkende dazu, seine Handlungen zu rechtfertigen oder zu reflektieren, was nur Sie als Untersuchende/r durch entsprechende Anweisungen beeinflussen können oder aber in der Auswertungsphase mit berücksichtigen müssen. Ihr Verhalten ist während der Erhebungssituation grundsätzlich von großer Bedeutung.

Verhalten des Forschenden

Es ist wichtig, dass Sie dem Schüler/der Schülerin als Versuchsperson mit Sympathie und hoher Sensibilität begegnen. Dadurch kann die Gefahr reduziert werden, dass er/sie Aussagen formuliert, die lediglich der sozialen Erwünschtheit entsprechen. Verzichten Sie auf persönliche Kommentare. Ein Video- oder Audiomitschnitt ist ergänzend oder alternativ zum schriftlichen Protokoll zu empfehlen, um alle Äußerungen nachträglich auswerten zu können.

Selbstverständlich sollten Sie die Dokumentationsvariante und den verantwortungsvollen  Umgang mit den gewonnenen Daten adressatengerecht erläutern. Vor der Untersuchung notieren Sie sich die persönlichen Angaben der Versuchsperson (Name, Alter, Jahrgangsstufe, Geschlecht etc.). Neben den Personendaten kann auch das Interesse und die Motivation bzgl. der Aufgabenstellung erfragt werden, falls dies für die Untersuchungsfrage hilfreich ist. Nicht nur sozial erwünschte Aussagen können die Untersuchung verfälschen, sondern ebenfalls die besonderen Bedingungsfaktoren der Gesprächssituation. Häufig neigt der/die Proband/in dazu, den/die Untersucher/in anzusprechen, da dies in der Kommunikation zwischen zwei Personen natürlich ist. Bei der Methode des Lauten Denkens müssen Sie als Untersuchungsleiter/in dem Gegenüber jedoch vorab erläutern, dass Sie zwar interessiert zuhören werden, aber kein Gespräch führen wollen. Betonen Sie, dass die Versuchsperson sich auf sich selber konzentrieren und nicht sozial interagieren soll.

Hier ein Beispiel für einen möglichen Anweisungstext:

„Sprich bitte alles aus, was dir in den Sinn kommt und durch den Kopf geht, während du die Aufgabe löst. Dabei ist es wichtig, dass du nicht versuchst, zu erklären oder zu strukturieren, was du tust. Stell dir einfach vor, du bist allein im Raum und sprichst mit dir selbst.“[1]

Es ist sehr sinnvoll, das Laute Denken vor Untersuchungsbeginn anhand anderer Aufgabenstellungen zu üben. Dies ist besonders wichtig, wenn die Probanden noch sehr jung sind. Planen Sie also am besten eine Aufwärmphase ein.

Alter der Probanden

Insbesondere jüngeren Schülerinnen und Schülern wird es schwer fallen, keinen Kontakt zu Ihnen als Untersuchungsperson aufzubauen. Die Verbalisierungsfähigkeit eigener Gedankengänge hängt vom Entwicklungsstand und von den sprachlichen Kompetenzen des/der Probanden/in ab. Deshalb kann die Methode nicht immer erfolgreich in der Grundschule eingesetzt werden.

Zusammenfassend werden im Folgenden die wichtigsten Verhaltensaspekte des/der Untersuchers/in genannt.

1) Vor Versuchsbeginn Erhebung der persönlichen Daten

2) Vorab Übung des Lauten Denkens anhand anderer Aufgabenstellungen

3) Klare Aufgabenstellung, ggf. schriftliche Präsentation der Aufgabenstellung

4) Freundliche und ungezwungene Untersuchungsatmosphäre

Entwicklungsgeschichte der Methode

Zu Beginn des 20. Jhs. begann die Psychologie sich für die kognitiven Prozesse des Individuums zu interessieren, wofür die Methode der Selbstbeobachtung in Form eines Berichts genutzt wurde. Laut-Denk-Protokolle kamen zunehmend zu Beginn der 1970er Jahre zum Einsatz. Seit der kognitiven Wende, die u.a. die Abkehr vom Behaviorismus zum Kognitivismus bezeichnet, und ungefähr den 1970/80er Jahren zugeordnet werden kann, rückten die Prozesse des Denkens in zahlreichen Wissenschaftsdisziplinen in den Vordergrund, so dass nach einer Forschungsmethode gesucht wurde, diese individuellen Vorgänge nachvollziehen zu können. Das Laute Denken stellt hierfür eine geeignete Möglichkeit dar.

Mittlerweile findet diese Methode auch Einsatz in didaktischen Zusammenhängen, beispielsweise wenn die Lehrkraft im Deutschunterricht Lesestrategien vermittelt, indem sie den Schülerinnen und Schülerinnen die eigenen Denkprozesse und Umgangsweisen mit einem Text handlungsbegleitend verbalisiert.[2] Hierbei handelt es sich um eine Variante des Lauten Denkens, die ausdrücklich den kommunikativen Austausch in einem spezifischen sozialen Kontext mit berücksichtigt.

Die Verbalisierung der Denkprozesse, die von einem Schüler/in formuliert werden, kann auch als informative Grundlage für die Diagnostik des persönlichen Lernstands dienen. In ritualisierten Rechtschreibgesprächen wird diese Methode beispielsweise implizit angewandt. So sollen einzelne Schüler/innen beschreiben, wie sie bei der Lösung eines Rechtschreibproblems vorgehen. Dadurch kann ggf. das Vorgehen durch die Hinweise der Mitschülerinnen und Mitschüler optimiert werden oder als lösungsrelevante Möglichkeit präsentiert und diskutiert werden.

Anwendungsbeispiel

Kompetenzbereich: Lesekompetenz

Untersuchungsziel: Sie möchten herausfinden, wie die Schülerin bzw. der Schüler vorgeht, um eine Tabelle zu verstehen.

Vorgehen:

1) Dokumentation der Personendaten

2) Zusätzliche Informationen können über einen Fragebogen erfasst werden z.B. zum Selbstwertkonzept im Umgang mit Tabellen über eine kurze Selbsteinschätzung:

  • z.B. „Ich kann einen Zugfahrplan gut lesen.“ – Kreuze an: „Trifft zu –Trifft weniger zu – Trifft gar nicht zu.“
  • Zusätzliche Fragen zur Lesepräferenz (Was liest du gerne?) oder Lesequantität (Wie oft liest du in deiner Freizeit?) könnten ggf. ebenfalls hilfreich sein.

3) Kurze Erläuterung des Vorgehens: Aufwärmphase – Dokumentationsmedium (z.B. Video, Audio, Protokoll)

4) Kurzes Training der Methode (Aufwärmphase)

  • „Ich zeige dir jetzt gleich ein Bild. Du sollst dem Bild einen Titel geben.

Sprich bitte alles aus, was dir durch den Kopf geht, wenn du das Bild betrachtest, um deinen Titel zu finden. Dabei ist es wichtig, dass du nicht versuchst, zu erklären, was du tust. Stell dir einfach vor, du bist allein im Raum und sprichst mit dir selbst.“

Hinweis:

Bestärken Sie die Schülerin bzw. den Schüler, die Gedanken zu verbalisieren. Ggf. müssen Sie kurze Erinnerungsimpulse geben wie „Lautes Denken nicht vergessen“.

5) Hauptuntersuchung

Aufgabenstellung: Welche Informationen kannst du dieser Tabelle entnehmen?

Anweisung der Versuchsleitung:

„Ich zeige dir jetzt gleich die Aufgabenstellung.

Sprich bitte alles aus, was dir durch den Kopf geht, während du die Aufgabe bearbeitest. Dabei ist es wichtig, dass du nicht versuchst, zu erklären, was du tust. Stell dir einfach vor, du bist allein im Raum und sprichst mit dir selbst.“

6) Dokumentationsmöglichkeiten

Falls Sie einen Audio- oder Videomitschnitt machen, können Sie selber zusätzliche Notizen zum Beispiel zur Mimik, Gestik oder Verbalisierungsgeschwindigkeit und Pausensetzung machen.

Als Audioaufnahmesoftware bietet sich das kostenlose Programm „Audacity“ an.

7) Auswertung der Daten

Das aufgezeichnete Laute Denken muss zunächst transkribiert werden (s.a. Transkription). Hierzu eignet sich das Gesprächsanalytische Transkriptionssystem (GAT).

Reduzieren Sie das Datenmaterial auf die Untersuchungsperspektive „Wie geht der Proband vor, um die Tabelle zu verstehen?“

8) Nutzung der Daten

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diese Ergebnisse zu verwenden. Die Antwort auf Ihre Forschungsfrage kann z.B. Grundlage für die Individualdiagnostik sein. Falls Ihnen die Daten mehrerer Probanden vorliegen, werden Schlussfolgerungen auf unterschiedliche oder ähnliche Vorgehensweisen möglich.

Literatur:

  • Göpferich, Susanne (2007): Praktische Handreichung für Studien mit lautem Denken und Translog (2000 und 2006). Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft (ITAT). Karl-Franzens-Universität Graz. (Stand Februar 2007). http://www.susanne-goepferich.de/Handreichung.pdf (25.02.2007). Abrufdatum: 18.10.2014.
  • Heine, Lena (2014): Introspektion. In: Settinieri, Julia u.a. (Hrsg.): Empirische Forschungsmethoden für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Paderborn,123-135.
  • Heine, Lena/Schramm, Karen (2007): Lautes Denken in der Fremdsprachenforschung: Eine Handreichung für die empirische Praxis. In: Vollmer, Helmut J. (Hrsg.): Synergieeffekte in der Fremdsprachenforschung. Empirische Zugänge, Probleme, Ergebnisse. Frankfurt: Peter Lang Verlag, 167-206.
  • Konrad, Klaus (2010): Lautes Denken. In: Mey, Günter/ Mruck, Katja (Hrsg.): Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie. Wiesbaden: VS Verlag, 476-490.
  • Schreier, Margit (2006): Qualitatives Untersuchungsdesign. In: Groeben, Norbert (Hrsg.): Empirische Unterrichtsforschung in der Literatur- und Lesedidaktik. Weinheim München: Iuventa Verlag, 343-359.
  • Steen, Gerard J. (1994): Lautes Denken zwischen Validität und Reliabilität. In: Barsch, Achim (Hrsg.): Empirische Literaturwissenschaft in der Diskussion. Frankfurt: Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 297-305.

[1] Heine/Schramm ( 2007, 178)

[2] Vgl. Willenberg, Heiner (2007): Der Lehrer als Meisterleser. In: Willenberg, Heiner (Hrsg.) Kompetenzhandbuch für den Deutschunterricht. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 182.