Qualitative Inhaltsanalyse

Stefanie Meier

Nachdem Sie nun Ihre Daten erhoben haben, besteht der nächste Schritt in der Auswertung eben dieser. Eine mögliche Auswertungsmethode stellt die Kodierung durch die qualitative Inhaltsanalyse dar, welche Ihnen im Folgenden in ihren Grundzügen näher vorgestellt werden soll. Das Ziel besteht darin, fixierte Kommunikation (Ihre Transkripte, Texte, Bilder, Noten, symbolisches Material etc.) zu analysieren, um infolgedessen Rückschlüsse zur Beantwortung der Forschungsfrage ziehen zu können. Angestrebt wird somit eine Reduzierung der Komplexität des Materials. Diese können Sie mithilfe eines Kategoriensystems erreichen, in welchem Sie diejenigen Aspekte festlegen, die für die Auswertung relevant erscheinen und aus dem Material herausgefiltert werden sollen. Eine präzise Beschreibung für den Begriff der Kategorie zu finden, ist alles andere als trivial: In der qualitativen Inhaltsanalyse wird eine Kategorie als ein Bezeichner (oder etwas Bezeichnendes) verstanden, dem Textstellen zugeordnet werden (vgl. Kuckartz 2007, S. 57). Teile des Textes werden also nach bestimmten Kriterien geordnet und durch Kategorien beschrieben. Es kann sich bei der Benennung dieser um ein einzelnes Wort (z. B. „Kompetenzentwicklung“) oder aber auch um eine Mehrwortkombination (z. B. Einstellungen zum Muttersprachenunterricht) handeln. Die Herangehensweise und die konkreten Schritte der Kategorienbildung sowie die Anzahl und der Aufbau des Kategoriensystems variieren je nach Forschungsgegenstand und –frage, sodass keine allgemeingültigen Richtangaben gemacht werden können.

Grundlegend bestehen zwei Möglichkeiten der Kategorienbildung: die deduktive und die induktive Vorgehensweise. Ihre Entscheidung für die eine oder die andere Vorgehensweise hängt von dem Umfang Ihres theoretischen Vorwissens und Ihres gewählten Erhebungsinstruments ab. Beiden gemein ist eine kontrollierte und regelgeleitete Vorgehensweise. Dabei schließen sich die zwei Strategien nicht gegenseitig aus, sodass auch eine Kombination beider möglich ist.

 

Deduktive Kategorienbildung:

Bei diesem von Mayring als Strukturierung bezeichnetem Verfahren werden die Kategorien vor der Analyse des Datenmaterials aufgestellt und definiert. Das Ziel ist die Extrahierung festgelegter Elemente aus dem Material. Es erfolgt ein Durchlauf durch die gesamten Daten hinsichtlich vorab beschlossener Strukturen. Aufgrund dieser Ordnungskriterien soll die Grundgestalt, das Profil des Materials, beurteilt werden (vgl. Mayring 2010, S. 65). Es bietet sich dann an, wenn Sie bereits über ein umfassendes Vorwissen verfügen, bereits Hypothesen bezüglich Ihres Forschungsgegenstandes aufgestellt haben oder aber ein (teil-)standardisiertes Erhebungsinstrument, wie beispielsweise einen Interviewleitfaden, verwendet haben. Die Kategorien können dann durch wichtige Aspekte aus der bereits bekannten Literatur zu dem jeweiligen Forschungsgegenstand und/oder anhand des verwendeten Datenerhebungsinstruments gebildet werden.

Im Folgenden sehen Sie einen Interviewleitfaden, welcher im Rahmen einer Staatsexamensarbeit zum Thema „Chancen und Grenzen des Erwerbs von interkulturellen Kompetenzen“ entstanden ist.

  1. Was verstehst Du unter dem Begriff interkulturelle Kompetenz?
  2. Welche Erfahrungen konntest Du bereits zum Thema ‚interkulturelle Kompetenz‘ an der Universität machen?
  3. Welche Möglichkeiten zum Erwerb interkultureller Kompetenz an der Universität kennst Du noch?
  4. Welche Wünsche/Anregungen/Verbesserungsvorschläge hast Du für die Uni in dem Bereich Förderung von interkultureller Kompetenz?
  5. Welche Bedeutung hat für Dich interkulturelle Kompetenz in deiner zukünftigen Lehrerrolle?
  6. Was bedeutet es für Dich, wenn eine Klasse von vielen Schüler/innen mit Migrationshintergrund besucht wird?

 

 

Im Falle dieses Leitfadens lassen sich nun deduktiv unter anderem die folgenden Oberkategorien ableiten:

  • Begriffsverständnis interkulturelle Kompetenz
  • Thematische Erfahrungen
  • Möglichkeiten zum Erwerb interkultureller Kompetenz

 

Nachdem Sie nun deduktiv einige Kategorien erstellt haben, sichten Sie Ihr Datenmaterial und ordnen alle relevanten Textstellen den passenden Kategorien zu. Diesen Vorgang nennt man Kodierung. Hierfür existiert entsprechende Software (s. u.), allerdings eignet sich für schmalere Datenmengen ebenso die Arbeit mit Papier und farbigen Stiften für die verschiedenen Kategorien. Die Kodierung eines Textabschnittes mit mehreren Kategorien ist zulässig, da in ein und derselben Textstelle verschiedene Themen angesprochen werden können.

Im nächsten Schritt halten Sie Ihr Vorgehen in einem Kodierleitfaden fest, um eine möglichst präzise Formulierung der Kategorien zu erreichen und unnötige Überschneidungen zu vermeiden.

  1. Definition der Kategorien: Es wird definiert, welche Bestandteile unter eine Kategorie fallen sollen.
  2. Ankerbeispiele: Es werden konkrete Textstellen aus dem Protokoll oder Transkript des Interviews als Musterbeispiele für die Kategorie angeführt.
  3. Kodierregeln: Dort, wo Abgrenzungsprobleme zwischen einzelnen Kategorien bestehen, werden Regeln formuliert, um eindeutige Zuordnungen sicherzustellen (vgl. Mayring 2010, S. 106).

Dieser Kodierleitfaden dient als Handreichung sowohl für Sie selbst als auch für alle anderen Forschenden, welche in die Auswertung der Daten involviert sind oder es zukünftig sein könnten. Um eine hinreichende Güte bei der Anwendung der Kategorien zu erreichen, sollten die Kodierungen der verschiedenen Forscherinnen und Forscher unabhängig voneinander weitestgehend übereinstimmen. Diese Forderung entspricht dem Gütekriterium der Intercoder-Reliabilität.

 

Beispiel für einen Kodierleitfaden aus der oben genannten Staatsexamensarbeit:

Kategorie Definition Ankerbeispiel Kodierregeln
Begriffsverständnis interkulturelle Kompetenz Alle Textstellen, die auf eine Deutung des Begriffs interkulturelle Kompetenz hinweisen B1: „Dass man weiß, wo es vielleicht so Schwächen gibt, die nur von bestimmten Ländern, also wie sagt man das, also dass die Leute aus einem bestimmten Land eben genau diese Schwäche haben.“B2: „Dass man im Lehrerberuf eben kompetent ist, […] sich eben Kindern aus verschiedenen Migrationen, […] auseinanderzusetzen und ja, versucht, sag ich mal, deren Verhaltensweisen nachzuvollziehen und irgendwie vor diesem Hintergrund einordnen zu können.“ Nur inhaltliches Verständnis des Begriffs, keine wertenden Äußerungen
ThematischeErfahrungen

 

 

Induktive Kategorienbildung:

Bei der induktiven Vorgehensweise werden die Kategorien nicht vor der Sichtung des Materials erstellt, sondern direkt aus dem Material abgeleitet, ohne sich auf vorab verwendete Theoriekonzepte zu beziehen. Mayring bezeichnet diese Art der Kategorienbildung als zusammenfassende Inhaltsanalyse. Das Ziel besteht in der Eingrenzung der Textelemente, ohne den inhaltlichen Kern und die Essenz des Materials zu verfälschen. Durch diese Reduzierung soll eine Übersichtlichkeit der Daten erzeugt werden, welche immer noch der Grundform des Materials entspricht (vgl. Mayring 2010, S. 65). Für diesen Typ der Analyse sollten Sie zunächst die einzelnen verschriftlichten Interviewaussagen aus Ihren Transkripten in eine reduzierte Form bringen, indem Sie nur die inhaltstragenden Bestandteile beibehalten und Ausschmückendes fallen lassen. Sich aufeinander beziehende oder inhaltsgleiche Aspekte werden zusammengefasst und durch eine neue Aussage (Kategorie) wiedergegeben. Entsprechende Stellen im Material werden nun der neu gebildeten Kategorie zugeordnet, also kodiert. Stoßen Sie auf Stellen im Datenmaterial, welche nicht in die zuvor gebildete Kategorie passen, bilden Sie eine neue Kategorie. Wiederholen Sie dieses Vorgehen mit Ihren restlichen Daten. Nachdem Sie nun auf diesem Wege ein Kategoriensystem entwickelt haben, empfiehlt sich eine Rücküberprüfung der entworfenen Struktur durch einen zweiten Materialdurchlauf.

 

Fall Zitat Paraphrase Generalisierung Kategorie
B9Zeile 40-43 „Ganz wichtig natürlich als Lehrer ist diese Offenheit, nicht dieses von oben herab, sondern wirklich auch den Eltern das Gefühl zu geben, hier ist es auch wichtig bei uns in Deutschland, für uns wichtig an Erfahrung mit den Eltern zusammenzuarbeiten, um den Kindern das Bestmögliche für die Zukunft mitzugeben.“ Für eine Lehrperson ist die Offenheit zur Zusammenarbeit mit den Eltern wichtig für die Zukunft der Kinder. Bereitschaft der Lehrperson für die Partizipation der Eltern. Verhalten der Lehrperson
B9Zeile 44-52

 

Verbindung von deduktivem und induktivem Vorgehen

Innerhalb von Forschungsprojekten werden häufig beide Formen kombiniert und nicht immer in Reinform vollzogen. Wenn Sie zunächst die deduktive Kategorienbildung gewählt haben, bilden Sie neben den aus der Theorie oder dem Erhebungsinstrument erstellten Kategorien eine „Restekategorie“. Unter diese fällt das Datenmaterial, welches keiner der deduktiv erstellten Kategorien zugeordnet werden kann. Durch eine Reduktion des Materials aus der Restekategorie auf die zentralen bedeutungstragenden Aussagen (im Sinne der zusammenfassenden Inhaltsanalyse) werden neue Kategorien und Subkategorien induktiv gebildet.

Das gesamte Kategoriensystem kann nun in Bezug auf die Fragestellung und die einbezogene Theorie interpretiert werden. Zudem können Sie auch quantitative Aspekte bei der Auswertung berücksichtigen und analysieren, welche Kategorien sehr oft kodiert werden, für welche es weniger Fundstellen gibt und welche Rückschlüsse aus diesen Ergebnisse gezogen werden können.

 

Softwareempfehlungen:

Für geringere Datenmengen eignen sich übliche Textverarbeitungsprogramme wie Microsoft Word, OpenOffice und andere Open Source-Software. Umfangreichere Möglichkeiten zur Kodierung Ihrer Daten bieten Analyseprogramme wie f4analyse oder MAXQDA. Die direkte Einbindung von Audio- oder Videodokumenten sowie der Export in weitere Programme wie Excel oder SPSS sind hier möglich. Informieren Sie sich über kostenfreie Testversionen oder Studierendenlizenzen an Ihrer Universität.

 

Literatur:

Kuckartz, Udo (2012): Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.

Kuckartz, Udo (2007): Einführung in die computergestützte Analyse qualitativer Daten. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Mayring, Philipp (2010): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 11., aktualisierte und überarb. Aufl. Weinheim: Beltz.

Mayring, Philipp; Gläser-Zikuda, Michaela (Hrsg.) (2008): Die Praxis der qualitativen Inhaltsanalyse. 2., neu ausgestattete Aufl. Weinheim und Basel: Beltz.

 

 

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