Gruppendiskussionen

Tamara Ihln

Was kennzeichnet Gruppendiskussionen und wie kann man sie in der Forschung durchführen?

Durch Gruppendiskussionen können Sie den Aufwand an Zeit und Geld reduzieren, indem Sie eine Gruppe von Menschen zu einem Zeitpunkt befragen, statt mehrerer Individuen zu verschiedenen Zeitpunkten. So soll Ihnen nun dargestellt werden, was eine Gruppendiskussion ausmacht, welche Ziele mit ihr verfolgt werden und welche verschiedenen Formen es gibt. Anschließend wird kurz auf die Probleme bei der Umsetzung hingewiesen, ihre Einordung in den Forschungsprozess erläutert und abschließend die Grenzen der Methode offen gelegt.
Außerdem werden sowohl der Gruppendynamik als auch der Diskussion unter den Teilnehmern und Teilnehmerinnen bei der Durchführung von Gruppendiskussionen besondere Bedeutung beigemessen (vgl. FLICK 2002, 250). Als Erkenntnisquelle dienen Ihnen die Stimulierung einer Diskussion sowie die Dynamik, welche sich in ihr entwickelt. Zur Stimulierung einer Diskussion können Sie beispielweise auf die in der  Dokumentenanalyse dargelegten Optionen zurückgreifen, wie bspw. Kinderzeichnungen, Concept Cartoons®/ Konzeptdialoge®, o.Ä.

Zielsetzung bei der Durchführung von Gruppendiskussionen:

Sie sollten sich vor einer Umsetzung ein Ziel überlegen, das Sie erreichen möchten, da das Ziel einer Gruppendiskussion nicht immer gleich ist:
So zieht POLLOCK (1955, 34) die Gruppendiskussion dem Interview vor, da es vermieden werden sollte, Einstellungen, Meinungen und Verhaltensweisen der Menschen isoliert voneinander zu betrachten. Ausgangspunkt der Gruppendiskussion ist daher die Weise, wie Meinungen im Alltag gebildet, geäußert und ausgetauscht werden. Die Gruppe ist Ihr Mittel für die Datenerhebung, um individuelle Meinungen angemessener rekonstruieren zu können (vgl. ebd., 251).
Bei MANGOLD (1973) wird die jeweils von der Situation abhängende Gruppenmeinung zum Gegenstand der Untersuchung.
Ein weiteres Ziel kann die Analyse gemeinsamer Problemlösungsprozesse innerhalb der Gruppe sein, weshalb ein konkretes Problem vorgegeben wird und die Gruppe in der Diskussion über die verschiedenen Wege zu einer Lösung die beste Strategie herausfinden soll (DREHER & DREHER 1994).
Es ist zu unterscheiden zwischen Ansätzen, welche die Gruppendiskussion als Medium zur besseren Analyse von Einzelmeinungen oder als Träger einer eigenen, über Individuen hinausgehenden Meinung versteht (vgl. ebd., 252). Deshalb sollten Sie Ihr Ziel bzw. Ihre Fragestellung möglichst konkret formulieren, damit es Ihnen die Fokussierung für eine Umsetzung erleichtert.

Zusammenstellung Ihrer Gruppe:

Die von Ihnen ausgewählte Gruppe kann natürlich (d.h. auch im Alltag bestehenden) oder künstlich (d.h. zu Forschungszwecken kriteriengeleitet) zusammengestellt werden. Des Weiteren wird zwischen homogenen und heterogenen Gruppen unterschieden (vgl. ebd.). Bei heterogenen Gruppen unterscheiden sich die Teilnehmer/-innen in den für die Fragestellung relevanten Eigenschaften. Dadurch wird die Dynamik der Gruppe verstärkt und verfolgt das Ziel, dass sowohl möglichst unterschiedliche Perspektiven geäußert werden als auch die einzelnen Teilnehmer/-innen – aufgrund ihres Aufeinandertreffens – stärker aus der Reserve gelockt werden.

Die Rolle eines Leiters/einer Leiterin während der Gruppendiskussion:

In nur seltenen Fällen wird auf die Eigendynamik der Gruppe gesetzt und auf eine Steuerung durch einen Leiter oder eine Leiterin verzichtet. Doch: Was genau ist die Rolle eines Leiters oder einer Leiterin während der Gruppendiskussion?
Damit schließen Sie aus, dass die Interventionen den Ablauf und Inhalt der Diskussion beeinflussen (vgl. ebd., 254). Deshalb ist es ratsamer, wenn die Steuerung der Diskussion durch einen Leiter oder eine Leiterin übernommen wird. Funktionen eines Leiters/einer Leiterin sind Folgende: Die formale Leitung beschränkt sich auf das Führen einer Rednerliste, die Festlegung des Gesprächsbeginns,- ablaufs und –endes. Die thematische Steuerung umfasst zusätzlich die Einführung neuer Fragen und Lenkung der Diskussion in Richtung der Vertiefung und/oder Ausdehnung bestimmter Themen und/oder Teilbereiche.
Wenn Sie reale oder natürliche Gruppen bilden, kennen sich die Mitglieder/-innen bereits und haben ggf. schon Bezüge zum Thema der Diskussion (vgl. ebd., 255). Bei künstlich zusammen gestellten Gruppen hingegen sollten Sie zunächst eine Phase der Vorstellung und des Kennenlernens der Mitglieder/-innen einplanen. So ist beispielsweise folgender Ablauf bei der Durchführung einer Gruppendiskussion denkbar:
– Erklärung/Verdeutlichung des (formalen) Vorgehens
– Vorstellungsrunde der einzelnen Gruppenmitglieder
– Diskussion beginnt mit einem Diskussionsanreiz bzw. einem Impuls

  • z.B.: ein Bild/Foto, Aussage/Frage, einer Audiodatei
  • z.B.: einem Zitat, einer Hypothese, o.Ä.

Denn: Vor allem in Gruppen, deren Teilnehmer/-innen sich zuvor nicht kannten, werden in Gruppendiskussionen Phasen der Fremdheit, Orientierung, Anpassung und Vertrautheit mit der Gruppe sowie der Übereinstimmung und des Abklingens der Diskussion durchlaufen (vgl. MANGOLD 1973, 216; SPÖHRING 1989, 223)

Welche Probleme können Ihnen bei der Durchführung einer Gruppendiskussion begegnen?

Die Gruppendynamik erschwert sich durch die klare Formulierung von Ablaufmustern für Diskussionen sowie auch von eindeutigen Vorgaben bzgl. der Aufgaben und des Verhaltens des Diskussionsleiters/der Diskussionsleiterin. Dadurch wird jedoch die Gestaltung relativ einheitlicher Bedingungen für Ihre Datenerhebung in verschiedenen Gruppen nur äußerst begrenzt möglich. Welche Wendungen die Diskussion in ihrem Verlauf nimmt, ist kaum vorhersagbar. Ähnlich ist dies mit der Entscheidung darüber, wann sich die Gruppe in der Diskussion über ein Thema erschöpft hat (vgl. ebd.).
Vor allem steht die Entwicklung von Theorien im Fokus der Gruppendiskussionen (vgl. ebd., 258). Bei der Interpretation der Daten sind die einzelnen Gruppen für Sie als Forscher/-in die Einheit, an der Sie ansetzen sollten. Dafür bieten sich beispielsweise sequenzielle Analysen an. Bei der Verallgemeinerung der Ergebnisse stellt sich jedoch das Problem, wie die verschiedenen Gruppen zusammengefasst werden können (vgl. ebd., 259).

Zur Auswertung Ihrer erhobenen Daten:

Bei der Auswertung Ihrer erhobenen Daten ergeben sich oftmals Probleme bzgl. der Unterschiedlichkeit der Gruppendynamik und damit entsteht sowohl die Problematik der Vergleichbarkeit untereinander als auch die Schwierigkeit, Meinungen und Sichtweisen des einzelnen Gruppenmitgliedes auszumachen. Der hohe Aufwand bei der Durchführung, Aufzeichnung, Transkription und Interpretation von Gruppendiskussionen lässt ihre Verwendung besonders bei Fragestellungen sinnvoll erscheinen, bei denen es gerade um die Nachzeichnung der sozialen Dynamik der Meinungsbildung in Gruppen geht. Des Öfteren wird die Gruppendiskussion mit anderen Methoden kombiniert, z.B. mit ergänzenden Einzelinterviews (siehe Interviews) oder Beobachtungen (siehe bspw. auch Befragung).
Wenn Sie Gruppendiskussionen durchgeführt haben, werden die aufgezeichneten Daten (Audiodateien, Videoaufnahmen, o.Ä.) von Ihnen transkribiert (siehe Transkription) und anschließend ausgewertet (siehe bspw.Qualitative Inhaltsanalyse; Dokumentarische Methode; o. Ä.).

Weiterführende Literatur

  • Bohnsack, Ralf (2000): Gruppendiskussion. In: Flick, Uwe; Kardorff, Ernst von; Steinke, Ines (Hrsg.). Qualitative Forschung – ein Handbuch. Reinbek: Rowohlt, S. 369-384.
  • Bohnsack, Ralf (2010): Gruppendiskussionsverfahren und dokumentarische Methode. In: Friebertshäuser, Barabara; Langer, Antje; Prengel, Anndedore: Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. Weinheim und München: Juventa. S. 205-218.
  • Bohnsack, Ralf (2014): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden. 2. überarb. Aufl. Opladen u.a.: Barbara Budrich Verlag.
  • Dreher, M. & Dreher, E. (1994): Gruppendiskussion. In: Huber, Günter L. & Mandl, Heinz (Hrsg.). Verbale Daten: Eine Einführung in die Grundlagen und Methoden der Erhebung und Auswertung. 2. überarb. Aufl. Beltz Verlag. S. 141-164.
  • Flick, Uwe (2002): Qualitative Sozialforschung: eine Einführung. 6. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag.
  • Loos, Peter; Schäffer Burkhard (2001): Das Gruppendiskussionsverfahren: theoretische Grundlagen und empirische Anwendung. Opladen: Leske & Budrich.
  • Mangold, Werner (1973): Gruppendiskussionen. In: König, R. (Hrsg.): Handbuch der empirischen Sozialforschung. Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag. S. 228-259.
  • Pollock, Friedrich (1955): Gruppenexperiment. Ein Studienbericht. Frankfurter Beiträge zur Soziologie, Bd. 2. Frankfurt a.M.
  • Spöhring, Walter (1989): Qualitative Sozialforschung. Stuttgart: Teubner Verlag.

Dokumentarische Methode

Dr. Anna Maria Kamin

Eine methodische Herangehensweise, um audiovisuell erzeugtes und transkribiertes Material auszuwerten (vgl. Auswertung quantitativ; Auswertung qualitativ), bietet Ihnen die dokumentarische Methode, welche im Folgenden in aller Kürze erläutert werden soll. Darauffolgend werden Sie auf die Grenzen und Chancen der Methode hingewiesen, um Ihnen abschließend beispielhaft das vierstufige Verfahren vorzustellen, mit welchem Sie die erhobenen – und transkribierten – Daten auswerten können.
Es handelt sich bei der Methode um ein verstehendes Verfahren. Im Vordergrund steht die Rekonstruktion und Interpretation immanenter (vorstellbarer) Sinngehalte von Erzähl-, Interaktions- und Diskursverläufen. Die Methode eignet sich, um qualitative Interviews, Gruppendiskussionen oder Videoaufzeichnungen auszuwerten, insbesondere wenn diese längere narrative Phasen beinhalten und damit über die reine Beschreibung (bspw. im Vergleich zur Qualitativen Inhaltsanalyse) hinaus vertiefend analysiert werden sollen. Leitgedanke des Begründers des Verfahrens – RALF BOHNSACK – ist, dass ein deutlicher Unterschied zwischen Verstehen und Interpretieren existiert, welcher durch die Rekonstruktion überwunden werden soll. BOHNSACK vertritt den Ansatz, dass sich Verstehen intuitiv und a-theoretisch aus der unmittelbaren Logik des Alltags heraus ergibt. Die Interpretation hingegen bezieht sich auf den zweckrationalen Zusammenhang einer Handlung, bzw. dem Motiv oder der Absicht, die sich hinter einer Handlung verbirgt (vgl. BOHNSACK 2003, S. 59 f.). Diese Differenz bezeichnet BOHNSACK als kommunikativen oder immanenten Sinngehalt und konjunktiven bzw. dokumentarischen Sinngehalt. Verstehen ist nach dieser Sichtweise die Explikation des Verstandenen bzw. die Spanne zwischen den beiden Sinnebenen. Somit muss es Ziel der Auswertung sein, implizites Wissen begrifflich zu erläutern (vgl. BOHNSACK/NENTWIG-GESEMANN/NOHL 2007, S. 12).

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Verstehen = ergibt sich rein intuitiv aus dem alltäglichen Verständnis heraus

Interpretation = bezeichnet ein an bestimmten Zwecken und Motiven ausgerichtetes Denken und Handeln

Unterschied zwischen Verstehen und Interpretation = basiert auf einem kommunikativen und immanenten Sinngehalt (Verstehen) und einem konjunktiven bzw. dokumentarischen Sinngehalt (Interpretation). Diese Differenz soll durch die Rekonstruktion überwunden werden.

Verstehen ist die Erläuterung des Verstandenen. Ziel der Auswertung: implizites Wissen begrifflich darzustellen.

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Dokumentarische Methode_Abb. TI

Abb. 1.: verkürzte Darstellung IHLN (2014)
BOHNSACK schlägt dazu ein vierstufiges Verfahren vor: eine formulierende Interpretation, eine reflektierende Interpretation, eine Fallbeschreibung und einen Vergleich, der eine Typenbildung mit theorieorientierten Hinweisen anstrebt.
Doch: Da die Methode sehr komplex ist, ist sie in vollem Umfang und mit allen Auswertungsschritten für kleinere Forschungsarbeiten, wie bspw. einer B.A.-Arbeit o.Ä., ungeeignet. Dennoch bietet die dokumentarische Methode mit ihrer alternativen Sichtweise auf qualitative Daten die Chance, vertiefende Erkenntnisse zu den erhobenen Daten zu erhalten. Vielfach werden für Qualifikationsarbeiten, wie bspw. auch Dissertationen o.Ä., lediglich die ersten beiden bzw. drei Auswertungsschritte durchgeführt.
Wie die nachfolgende Beschreibung der Vorgehensweise sowie das angeführte Beispiel Ihnen verdeutlichen soll, birgt die Methode die Gefahr, dass die Ergebnisse in erster Linie an die Interpretation des Forschers/der Forscherin – also Ihre eigene Interpretation – gebunden (s.u.) und damit nicht ausreichend valide (gültig) sind. Alle Protagonisten der dokumentarischen Methode empfehlen daher zwingend, die Diskussion Ihrer Ergebnisse in einer Interpretationsgruppe (z.B. in Kolloquien oder Forschungswerkstätten).

I Formulierende Interpretation

Im ersten Schritt der dokumentarischen Methode geht es darum herauszuarbeiten, welche Themen und Unterthemen in Ihrem Interview/Ihrer Gruppendiskussion angesprochen werden. Da Sie im Zuge dieser Untergliederung des Textes – Ihres Transkripts – zusammenfassende Formulierungen leisten, nennt BOHNSACK diesen Schritt ‚formulierende Interpretation‘. In diesem Schritt verbleiben Sie noch innerhalb des Orientierungsrahmens, den Ihnen der/die Interviewte vorgibt, und machen diesen noch nicht zum Gegenstand begrifflich-theoretischer Explikation, d.h. Sie beginnen an dieser Stelle noch nicht, die Aussagen begrifflich-theoretisch sowie theoriegeleitet zu erläutern.
Die formulierende Interpretation kann somit als Rekonstruktion der thematischen Gliederung Ihrer erstellten Transkripte gesehen werden.
Darüber hinaus werden zur Vorbereitung auf den nächsten Interpretationsschritt Passagen innerhalb Ihrer Transkripte gekennzeichnet, die durch thematische Relevanz in Bezug auf Ihre formulierte Fragestellung für eine komparative Analyse (d.h. Untersuchung Ihrer Fälle nach dem Kriterium der Vergleichbarkeit) geeignet sind.
Ebenso werden von Ihnen weitere Passagen aus dem Skript ausgewählt, die sich unabhängig von der Fragestellung durch eine besondere interaktive und metaphorische Dichte auszeichnen (z.B. Passagen, in denen ein häufiger Sprecherwechsel stattfindet, in denen das Thema ausführlich behandelt wird oder Sequenzen, die in sich eine Intensität aufweisen).
So wird an dieser Stelle die Frage beantwortet, was innerhalb des Interviews und/oder der Gruppendiskussion gesagt wird und der Inhalt des Transkripts wird paraphrasiert, so dass die thematische Struktur und Gliederung des Textes nachgezeichnet werden können.

Beispiel: Interview mit 13-jähriger Schülerin zu Medienhandeln in der Familie
Also ich (.) tipp die einfach bei Google ein die Sachen die ich suche und dann (.) zum Beispiel Wikipedia oder so. //mhm// Da kann man ja immer sowas reinschreiben was man will. //mhm// Es stimmt ja nicht immer //genau// und dann guck ich immer (.) wenn (.) richtig viele Seiten wenn immer das Gleiche da st=drin steht dann nehm ich das einfach raus. Z.312-315

Oberthema: Internetnutzung
Unterthema: Strategien bei der Internetrecherche für die Schule Z. 312-315
312 Eingabe des Suchbegriffs in die Suchmaschine Google
313 Verwendung der Enzyklopädie Wikipedia
313-314 In Wikipedia kann jeder reinschreiben, daher stimmt nicht alles
314-315 Wenn auf vielen Seiten das Gleiche steht, verwendet sie die Informationen

Wenn Sie nun Ober- und Unterthemen für Ihre Passagen formuliert haben, erhalten Sie gleichzeitig eine thematische Feingliederung.

II Reflektierende Interpretation

Im zweiten Interpretationsschritt erfolgt eine Rekonstruktion und Explikation (Erläuterung) des Rahmens, innerhalb dessen das Thema abgehandelt wird. Diese Identifizierung von Bedeutungszusammenhängen wird als ‚reflektierende Interpretation‘ bezeichnet. Voraussetzung für diese empirisch-methodisch kontrollierte Reflexion ist für BOHNSACK der Bezug auf empirisch fundierte und nachvollziehbare Gegenhorizonte (vgl. ebd., S. 38). Die Identifikation von Gegenhorizonten, bspw. die Abgrenzung von Personen oder Gruppen, bilden die wesentlichen Bezugspunkte der reflektierenden Interpretation. Ihre eigenen Vorstellungen oder Entwürfe, die den Gegenhorizont bilden, können entweder gedankenexperimentell sein oder auf hypothetischen Vorstellungen beruhen, sind also abhängig vom Standort des Interpreten/der Interpretin. Demzufolge ist es notwendig, dass Sie nun durch empirische Fundierung der Vergleichshorizonte die Untersuchung methodisch kontrollierbar und intersubjektiv nachvollziehbar machen.

Beispiel:
Zeilennummern
312-315 Oberthema
Internetnutzung Unterthema
Internetrecherche für die Schule
Orientierungsmuster
Schematisches Vorgehen bei der Informationssuche im Netz

Horizont
Eingabe des Suchbegriffs in Google

Informationen werden als valide erachtet, wenn sie mehrfach identisch im Netz auftauchen. Gegenhorizont
Zielgerichtete Vorgehensweise mit der Anwendung von erweiterten Suchoptionen und Werkzeugen.
Kriterien geleitete Bewertung von Internetquellen.

Analytisches Fazit
Die Passage deutet auf eine wenig ausgeprägte Reflexivität im Umgang mit Internetquellen und mangelnde medienkritische Fähigkeiten der Schülerin hin.

So könnten Sie für diesen Schritt Fragen unterstützen, wie bspw.:
– Welche Bemühungen, Wünsche und Gedanken enthält die vorliegende Passage?
– Welcher Sinngehalt kann als Grundlage dieser Aussage formuliert werden?

III Fallbeschreibung

Nachdem Sie den Diskursverlauf im Zuge der formulierenden Interpretation und der reflektierenden Interpretation in seine Komponenten zergliedert haben, wird in der so genannten Fallbeschreibung (manchmal auch als Diskursbeschreibung bezeichnet) all dies wieder zusammengesetzt und eingebunden. An dieser Stelle entwickeln Sie nun eine Art Nacherzählung des Diskursverlaufs. (BOHNSACK 2003, S. 51). Primäre Aufgabe ist es, die Ergebnisse im Zuge einer Veröffentlichung darzustellen. Dabei fügen Sie ausgewählte Textpassagen als Zitate ein.

Beispiel:
Bei der Internetrecherche geht die Interviewpartnerin wenig zielgerichtet vor. Die Aussage tipp die einfach bei Google ein lässt den Schluss zu, dass sie keine erweiterten Suchoptionen oder alternative Suchmaschinen kennt. Gleichwohl weiß sie, dass Internetquellen, wie Wikipedia, nicht immer glaubhaft sind. Zur Bewältigung hat sich Shiva eine Strategie angeeignet die nicht auf eine angemessene Quellenkritik im Sinne einer Beurteilung nach validen Kriterien beruht, stattdessen praktiziert sie eine heuristische Herangehensweise, indem sie Informationen verwendet, die mehrfach identisch im Netz auftauchen werden (wenn immer das Gleiche da st=drin steht).

IV Typenbildung

Innerhalb der zuvor beschriebenen Interpretationsschritte wurden die Analyse eines Einzelfalls und der fallinterne Vergleich fokussiert. Im nun abschließenden Auswertungsschritt der dokumentarischen Methode, gerät die fallübergreifende Abstraktion aus all Ihren Fällen in den Fokus. Ziel dessen ist es, eine Typisierung vorzunehmen, d.h. im Zuge der Typenbildung arbeiten Sie aus der Interpretation Bezüge zwischen spezifischen Orientierungen und Erlebnishintergründen heraus. Wesentliches Element der Typenbildung ist die komparative Analyse einzelner Fälle (vgl. ebd. 2003, S. 135).

Softwareempfehlungen:

Keine

Literatur:

  • Bohnsack, Ralf (2003): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden. 5. Aufl. Opladen: Barbara Budrich Verlag.
  • Bohnsack, Ralf; Nentwig-Gesemann, Iris; Nohl, Arnd-Michael (Hg.) (2007): Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis. Grundlagen qualitativer Sozialforschung. 2., erweiterte und aktualisierte Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Nohl, Arnd-Michael (2008): Interview und dokumentarische Methode. Anleitungen für die Forschungspraxis. 2., überarb. Aufl. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwissenschaften.

Weitere Praxisbeispiele:

Dokumentarische Methode: Schulpädagogik, Universität Kassel (Online verfügbar unter: http://www.fallarchiv.uni-kassel.de/lernumgebung/dokumentarische-methode/ November 2014)

Concept Cartoons®/ Konzeptdialoge®

Tamara Ihln

Was sind Concept Cartoons®/ Konzeptdialoge® und wie sind sie einzusetzen?

Mit dem Einsatz der Concept Cartoons®/ Konzeptdialoge® können Sie sowohl Schülervorstellungen erheben („Wie machst du es?“ – „What do you think?“) als auch über kindliche Vorstellungen (Concepts) diskutieren („Ich mache es so!“). Somit eignen sich Concept Cartoons®/Konzeptdialoge® als Erhebungsimpuls für beispielsweise eine mündliche Befragung (siehe Befragung, bspw. Interview oder Gruppendiskussion) als auch als Unterrichtsimpuls (vgl. LEMBENS 2014) .
Nach einer kurzen Beschreibung zur Forschungsmethode der Concept Cartoons®/ Konzeptdialoge® und ihrer Erstellung wird dargestellt, wie Sie die Methode anwenden und entsprechend für eine Umsetzung im Unterricht und/oder der Forschung modifizieren können. Abschließend erfahren Sie, wie sie im Anschluss mit den erhobenen Daten umgehen können.
Beispiel eines Concept Cartoons®

Abb. 1: Concept Cartoons® Talking sport and fitness

Concept Cartoon_Talking about sport and fitness

KEOGH UND NAYLOR entwickelten Concept Cartoons® im Jahre 1991 als ein Aufgabenformat, welches das naturwissenschaftliche Lernen nachhaltig unterstützen sollte. Beide haben u.a. das Lehren und Lernen durch die Entwicklung von Concept Cartoons® im naturwissenschaftlichen Bereich deutlich geprägt.
Bei den von KEOGH UND NAYLOR erstellten Concept Cartoons® steht beispielsweise ein Phänomen im Mittelpunkt, welches ebenso im Alltag von Kindern und Jugendlichen vorkommen kann (vgl. SCHOMAKER 2013, 14). Das Phänomen wird dabei zeichnerisch dargestellt und von Jungen und Mädchen in Form eines Cartoons kommentiert (siehe Abb. 1). Anhand der Kommentare – von Kindern und Jugendlichen – zu dem abgebildeten Phänomen, ergibt sich meist ein Problem oder eine Fragestellung, welche dann von den Kindern und Jugendlichen diskutiert werden soll. Diese Anregung wird in den Concept Cartoons® durch die Frage „What do you think?“ oder das abgebildete „?“ dargestellt (siehe Abb. 1).
Die abgebildeten Äußerungen entsprechen (empirisch erhobenen) Schülervorstellungen, so dass Sie dadurch die Entwicklung einer fachlich tragfähigen Sichtweise von Kindern und Jugendlichen, durch den Ausdruck und die allgemeinen Sichtweisen innerhalb der Cartoons, unterstützen. Kinder und Jugendliche werden durch die Cartoons direkt aufgefordert, im gemeinsamen Gruppengespräch die Ansichten des geschilderten Problems oder der entstandenen Fragestellung zu diskutieren. Anhand des vorgelegten Cartoons können Kinder und Jugendliche nun die Äußerungen der skizzierten Aussagen gegeneinander abwägen und ihre eigenen Vorstellungen zum Ausdruck zu bringen (vgl. SCHOMAKER 2013, 14).
Der Anspruch zur Gestaltung eines eigenen Concept Cartoons® ist es, die jeweils dargestellten Sichtweisen – der im Phänomen involvierten Kinder – so zu formulieren, dass sich nicht zwingend einige der Positionen ausschließen oder als richtig identifizieren lassen. Dadurch leiten Sie die Kinder an, die Äußerungen auf dem Bild gegeneinander abzuwägen und ihre eigenen Vorstellungen zum Ausdruck zu bringen (vgl. SCHOMAKER 2011, 14).

SCHOMAKER/LÜSCHEN (2011) erweiterten die Idee der Concept Cartoons®, indem sie die sich widersprechenden Aussagen/Äußerungen kindlicher Vorstellungen zu einem Thema innerhalb der Cartoons in den Fokus stellten. Diese erweiterte Form nennt sich Konzeptdialog® (siehe Abb. 2).

Beispiel eines Konzeptdialogs® Magnestismus

Konzeptdialog_Magnetismus_Wie kann Paul seine Münze zurückholen

Abb. 2: Quelle: SCHOMAKER (2011, 12)

Den Konzeptdialogen® geht – im Unterschied zu Concept Cartoons® – eine explizite Fragestellung voraus, welche so konzipiert ist, dass sich die Kinder und Jugendlichen der Frage auf unterschiedlichen Ebenen annähern können und daher keine Lösungsvorschläge/-wege vorgegeben werden (siehe Abb. 2).
Mögliche Fragen sind beispielsweise: „Wie hält eine Kette aus Büroklammern?“, „Wo ist ein Magnet am stärksten?“, „Kann ein Nagel einen Magneten anziehen?“ (Schomaker 2013, Material „Bildkarten“).
Die Kinder können frei wählen, auf welche Weise sie sich der Frage annähern und können durch den kommunikativen Austausch miteinander eine Lösung entwickeln (vgl. SCHOMAKER 2011, 15).
Die Aufforderung („Ich mache es so!“ – „Wie machst du es?“) in den Konzeptdialogen® ermöglicht es beispielsweise, eigene Ideen zu formulieren sowie in den Austausch mit anderen zu treten. Concept Cartoons® hingegen legen mit ihrer Frage („What do you think?“) den Fokus auf das Formulieren eigener Lösungswege.
Durch die Umsetzung der Concept Cartoons®/Konzeptdialoge® im Unterricht und/oder in der Forschung besteht für Sie nun die Möglichkeit konkurrierende Theorien aufzugreifen, welche visuell ansprechend wirken und ein Minimum an Text für die verschiedenen Erklärungen bieten.

Durch die Vorlage eines leeren Cartoons bietet sich Ihnen die Möglichkeit, durch die eigene Gestaltung bzw. Ergänzung, Schülervorstellungen zu erheben oder eine Diskussion über kindliche Vorstellungen anzuregen und legen damit Ihren eigenen (thematischen) Schwerpunkt.

Beispiel eines leeren Konzeptdialogs® zur Vorlage

leeres KD

Abb. 3: Quelle: SCHOMAKER (2011, 12), überarb. IHLN (2014)
Wenn Sie Concept Cartoons®/Konzeptdialoge® beispielsweise im Rahmen eines Interviews oder einer Gruppendiskussion zu einem bestimmten Phänomen oder einer konkreten Fragestellung eingesetzt haben, sollten Sie das vorliegende Interview transkribieren (siehe Transkription), um es anschließend zu analysieren und auszuwerten (siehe Qualitative Inhaltsanalyse; siehe Dokumentarische Methode). Haben Sie jedoch Concept Cartoons®/Konzeptdialoge® als schriftliche Erhebung eingesetzt und nun die eingetragenen Überlegungen der Schüler/-innen vorliegen, können Sie diese beispielsweise anhand der dokumentarischen Methoden (siehe Dokumentarische Methode) analysieren. Haben Sie die Präkonzepte Ihrer Schüler und Schülerinnen schriftlich mit dieser Methode erhoben oder die Lernenden mündlich über die Vorstellungen diskutieren lassen, so haben Sie nun die Möglichkeit, mit ihren Kindern und Jugendlichen thematisch inhaltlich im Unterricht, an die neu gewonnenen Vorstellungen, anzuknüpfen.

Literatur zur (Forschungs-)Methode

  • Barke, Hans-Dieter/Yitbarek, Saleshi (2009): Zur Diskussion gestellt. Concept-Cartoons – Hilfen zur Diagnose und Korrektur von Schülervorstellungen. In: MNU (2006), 6, 364-371.
  • Schomaker, Claudia/ Lüschen, Iris (2011): Kinder erkunden die Welt. Zur Rolle von Lernaufgaben in altersübergreifenden Sachlernprozessen im Übergang vom Elementar- in den Primarbereich. In: Kosinar, Julia/ Carle, Ursula (Hrsg.): Aufgabenqualität in Kindergarten und Grundschule. Grundlagen und Praxisbeispiele. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, 185-195.
  • Schomaker, Claudia (2013): „Konzeptdialoge“ als Aufgabenformat im Sachunterricht. In: Grundschule Sachunterricht. (2013), 59, 14-16.
  • Stenzel, Rene/Eilks, Ingo (2005): Gesprächsanlässe schaffen mit Concept Cartoons. In: Praxis der Naturwissenschaften. Chemie in der Schule. 8/2005. Köln: Aulis, 44-47.
  • Naylor, Stuart/Keogh, Brenda (2000): Concept Cartoons. In: Science Education. Cheshire: Printing House.
  • Fenske, Felix/Klee, Andreas/Lutter, Andreas (2011): Concept-Cartoons as a Tool to Evoke and Analyze Pupils Judgments in Social Science Education. In: Journal of Social Science Education 3/2011, 46-52.

exemplarische Arbeiten aus der Sachunterrichtsdidaktik sowie beteiligter Fachdidaktiken

  • Bertsch, Christian (2008): Forschend-begründetes Lernen im naturwissenschaftlichen Unterricht. Wege zu einer naturwissenschaftlichen Grundbildung am Übergang Primar/Sekundarstufe am Beispiel von Unterrichtsmaterialien zum Thema Fotosynthese. Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Geisteswissenschaft an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Innsbruck, (Online verfügbar unter: https://www.imst.ac.at/imst-wiki/images/2/2b/Dissertation_ChristianBertsch.pdf November 2014)
  • Gläser, Eva (2013): „Weil Eisen kann fast alles anmagneten“ – Schülervorstellungen zum Magnetismus. Grundschule Sachunterricht, 59 (3), 4-5.
  • Schomaker, Claudia (2013): Magnetismus – ein faszinierendes (Alltags-)Phänomen. Grundschule Sachunterricht, 59 (3), 2-3.
  • Steininger, Rosina/Lembens, Anja (2011): Concept Cartoons zum Thema Redoxreaktionen. In: PdN Chemie in der Schule (2011), 3/60, 26-31.

Linksammlung