Grounded Theory

Julia Steinhausen & Tamara Ihln

 

„Die Grounded Theory ist eine qualitative Forschungsmethode bzw. Methodologie, die eine systematische Reihe von Verfahren benutzt, um eine induktiv abgeleitete, gegenstandsverankerte Theorie über ein Phänomen zu entwickeln“ (Strauss/Corbin 1996, S. 8).

 

Wie das Zitat eingangs zeigt, kann mit Grounded Theory Unterschiedliches gemeint sein, denn man unterscheidet hierbei zwischen der Methodologie und der Methode. Die Methodologie, im Sinne eines Forschungsstils, stellt spezielle Anforderungen an den Forschungsprozess, die im Folgenden erörtert werden. Will man die Grounded Theory als Methode der Auswertung verwenden, so bieten sich bestimmte Verfahrensweisen an, auf die ebenfalls eingegangen wird. Nach der Darstellung des Kodierprozesses, werden Ihnen einige Fragen bereitgestellt, die Ihnen dabei helfen können, den Forschungsprozess zur Theorieentwicklung zu überprüfen.

Da es sich bei der Methode der Grounded Theory um eine komplexe Methodologie und eine aufwendige Methode handelt sowie der Kodierprozess nach Strauss/Corbin einige Zeit in Anspruch nimmt, ist sie für Abschlussarbeiten, die auf wenige Monate begrenzt sind, weniger geeignet. Dennoch können der Kodierprozess nach Strauss & Corbin sowie die dahinterliegende Haltung wertvolle Anregungen bieten und stellen damit eine sinnvolle Alternative zu anderen Auswertungsmethoden dar.

Die Grounded Theory wurde in den 60er Jahren von den Soziologen Barney Glaser und Anselm Strauss entwickelt (Originalwerk: 1967, deutsche Fassung: 1998). Im Laufe der Zeit haben sich einige Weiterentwicklungen und Modifikationen dieser Methode ergeben (vgl. Mey/Mruck 2007). Die Grounded Theory als Methodologie (GTM) ist vor allem für explorative Forschungsfragen geeignet und für solche, die eine Prozess- und Handlungsorientierung beinhalten (vgl. Strauss/Corbin 1996, S.23). Ziel der GTM ist die Entwicklung einer gegenstandsverankerten[1] Theorie, womit sie zu den theoriegenerierenden Methoden zählt, bspw. im Gegensatz zur Qualitativen Inhaltsanalyse.

Die GTM gibt eine bestimmte Systematik vor, die jedoch in Bezug auf die Forschungsfrage angepasst werden kann und somit dem Forscher/der Forscherin Freiheiten und Kreativität ermöglicht (vgl. Mey/Mruck 2007). Die Anwendung der GTM gewährt Ihnen Einblicke in innere Zusammenhänge Ihres Untersuchungsbereichs sowie Wege zur Gewinnung von Hypothesen während des Forschungsprozesses, die wiederum am Material geprüft werden. Somit bleibt der Kontakt zum empirischen Material stets erhalten.

Den Ausgangspunkt stellt ein vorläufig umrissenes Forschungsziel einer undogmatisch-offenen Fragestellung dar, welche unterschiedlich stark skizziert sein kann (vgl. Strauss/Corbin 1996, S. 21ff.) und somit den Rahmen für erste Feldkontakte –unter Anwendung ausgewählter Erhebungstechniken – abdeckt.

Mit der Grounded Theory kann sowohl qualitatives als auch quantitatives Datenmaterial ausgewertet werden. Die wesentlichsten Erhebungstechniken qualitativer Daten bilden nicht-standardisierte oder teilstandardisierte Befragungen, Beobachtungen und non-reaktive Verfahren. Ebenso können Sie bereits vorhandene Dokumente verwenden, wie beispielsweise Tagebücher, Briefe, Dossiers, Texte (vgl. Dokumentenanalyse). Dabei ist es beliebig, an welchen Phänomenen des Forschungsbereichs Ihr Analyseprozess ansetzt. Jedoch sollten Sie als Forscher/-in Ihr vorhandenes theoretisches Vorwissen über Ihr Forschungsgebiet transparent machen und Theorie eher in Form von sensibilisierenden Konzepten an den Untersuchungsgegenstand anlegen, so dass Sie möglichst offen für viele neue Aspekte des Problemfelds sind und diese kombinatorisch durchspielen können.

Das Verfahren der Grounded Theory Methodologie verläuft zirkulär und besteht in einer ggf. mehrfach zu durchlaufenden analytischen Triade:

  • Theoretisches Sampling: die Erhebung neuer Daten angestoßen durch jeweilige Resultate des Theorieentwicklungsprozesses
  • die Analyse von bereits vorliegendem Datenmaterial und der Prozess des theoretischen Kodierens,
  • die systematische Entwicklung von Theoriebausteinen wie Konzepten, Kategorien und daraus konstruierten Theorien sowie der Reflexionsprozess des Verfahrens.

Zentrale und parallel ablaufende Schritte der GTM nach Strauss und Corbin (1996) sind: das Stellen von generativen Fragen an das Material (Wer? Wann? Wo? Was? Wie? Wieviel? Warum?), Herstellen von Zusammenhängen zwischen den sich entwickelnden Kategorien im Hinblick auf eine konzeptuell dichte Theorie, kontrastive Vergleiche von Phänomenen, Beachten der Relevanz des Kodierens, Anstreben einer Integration (Was ist der Kern der Theorie? Identifizierung der Schlüsselkategorie(n)), Erstellen von Theorie-Memos sowie das Nutzen des Kodierparadigmas.

Das systematische Anfertigen von Memos im Verlauf Ihres Forschungsprozesses stellt für Sie eine wertvolle Hilfe zur Theoriebildung dar. Das Schreiben der Memos ist unerlässlich, denn es zwingt Sie dazu, Ihre eigenen Ideen, Assoziationen und Hypothesen in Bezug zur Theoriebildung und den Planungsschritten der Auswertung festzuhalten und diese zu ordnen.

Sie haben Ihre Daten erhoben (vgl. Durchführung) und transkribiert (vgl. Transkription), so dass Sie nun mit der Auswertung in Form der Kodierung beginnen. Strauss und Corbin (1996) schlagen für den Kodierprozess folgende Schritte vor:

Offenes Kodieren, d.h. die Daten werden „aufgebrochen“ (durch generative W-Fragen, kontrastive Vergleiche, etc.):

  • Texte werden in Segmente (Sinnabschnitte/Analyseeinheiten) unterteilt
  • Entdeckte Phänomene werden mit theoretischen Kodes und in-vivo Kodes bezeichnet
  • Memowriting (z.B. Theoriememos: Was davon kann Element der sich entwickelnden Theorie sein?)
  • Dimensionalisieren (z.B. wie ist das Phänomen ausgeprägt? Hoch oder niedrig? Stark oder schwach?)
  • Bündelung der Kodes zu ersten übergeordneten Kategorien

Axiales Kodieren, d.h. Sie stellen Relationen zwischen den Kategorien her:

  • Verfeinerung und Differenzierung bereits vorhandener Kategorien
  • Suche nach/Systematisierung von möglichen empirischen Zusammenhängen zwischen den Kategorien, wobei ein Kodierparadigma[2] als Hilfsmittel dient (Kodierparadigma in Anlehnung an Strauss in Strübing 2008, S. 28)
  • Ergebnisse: systematisch an Empirie rekonstruierte und probeweise in einem relationalen Modell verknüpfte Kategorien, überarbeitete Kodeliste und erweiterte Memos

Selektives Kodieren, d.h. Sie ermitteln eine Kernkategorie:

  • Kernkategorie als zentrales Phänomen, um das herum alle anderen Kategorien gruppiert werden können
  • Kernkategorie ist die Antwort auf Ihre Forschungsfrage

Nach Entwicklung der Grounded Theory schlagen Strauss und Corbin (2010) einige Kriterien vor, um den Forschungsprozess zu reflektieren und zu prüfen, ob der Theoriebildungsprozess gelungen und die Theorie gegenstandsverankert ist. Sie dienen sozusagen als Gütekriterien (vgl. Strauss/Corbin 2010, S. 217f.):

  • Wie wurde das Sample ausgewählt? Wie wurde diese Auswahl begründet?
  • Welche Hauptkategorien wurden entwickelt?
  • Welche Ereignisse, Vorfälle, Handlungen usw. verwiesen (als Indikatoren) bspw. auf diese Hauptkategorien?
  • Auf der Basis welcher Kategorien fand theoretisches Sampling statt? Wie leiteten theoretische Formulierungen die Datenauswahl an? In welchem Maße erwiesen sich die Kategorien nach dem theoretischen Sampling als nutzbringend für die Studie?
  • Was waren einige der Hypothesen hinsichtlich konzeptueller Beziehungen (zwischen Kategorien) und mit welcher Begründung wurden sie formuliert und überprüft?
  • Gibt es Beispiele, dass Hypothesen gegenüber dem tatsächlich Wahrgenommenen nicht haltbar waren? Wie wurde diesen Diskrepanzen Rechnung getragen?
  • Wie und warum wurde die Kernkategorie ausgewählt? War ihre Auswahl plötzlich oder schrittweise, schwierig oder einfach? Auf welchem Boden wurden diese abschließenden analytischen Entscheidungen getroffen?

Fazit

Die GTM ist ein regelgeleitetes und systematisches Verfahren, das dennoch nach dem Prinzip der Offenheit vorgeht. Durch die Auseinandersetzung mit dem Material in Form von Assoziationen und Vergleichen werden die Forschenden in ihrer Kreativität gefördert und es entsteht eine dem Gegenstand angemessene Theorie.  Da es sich bei der Grounded Theory um eine komplexe Methodologie und eine aufwendige Methode handelt und der Kodierprozess nach Strauss/Corbin einige Zeit erfordert, ist sie für Abschlussarbeiten, die auf wenige Monate begrenzt sind, weniger geeignet. Dennoch können der Kodierprozess nach Strauss und Corbin und die dahinterliegende Haltung wertvolle Anregungen bieten und stellen damit eine sinnvolle Alternative zu anderen Auswertungsmethoden dar. Ratsam ist es, sich während des Forschungsprozesses in einer Forschungsgruppe zusammenzuschließen, um sich über den Forschungs- und Auswertungsprozess austauschen und ggf. auch gemeinsam ausschnittweise kodieren zu können.

Weiterführende Literatur: Grounded Theory-Methodologie

  • Glaser, Barney/Strauss, Anselm L.: The discovery of gounded theory. Chicago: Aldine, 1967, (Originalwerk, deutsche Übersetzung: Grounded Theory. Strategien qualitativer Forschung. Bern: Verlag Hans Huber, 1998.)
  • Mey, Günter/Mruck, Katja (Hrsg.): Grounded Theory Reader. Historische Sozialforschung Supplement 19. Köln: Zentrum für historische Sozialforschung, 2007.
  • Strauss, Anselm L./ Juliet M. Corbin: Grounded Theory: Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Beltz, Psychologie-Verlag-Union, 1996/2010.
  • Strübing, Jörg: Grounded Theory. Zur sozialtheoretischen und epistemologischen Fundierung des Verfahrens der empirisch begründeten Theoriebildung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2004.

[1] Die deutsche Übersetzung ist oft missverständlich. Mit einer „grounded“ Theory meinen Strauss und Glaser eine Theorie, die durch das Wechselspiel von Empirie und Theorieentwicklung entsteht und damit in den Daten gegründet bzw. verankert ist. Im weiteren Verlauf wird daher die englische Originalform verwendet.

[2] Das Kodierparadigma nach Strauss ist ein heuristisches Modell, das dabei hilft Kategorien im Hinblick auf ihre Beziehung untereinander zu strukturieren. So kann im Prozess überprüft werden, ob die entwickelten Kategorien und Kodes ursächliche Bedingungen, Kontextaspekte, Handlungsstrategien, intervenierende Bedingungen oder Konsequenzen in Bezug auf das untersuchte Phänomen darstellen.

Dokumentarische Methode

Dr. Anna Maria Kamin

Eine methodische Herangehensweise, um audiovisuell erzeugtes und transkribiertes Material auszuwerten (vgl. Auswertung quantitativ; Auswertung qualitativ), bietet Ihnen die dokumentarische Methode, welche im Folgenden in aller Kürze erläutert werden soll. Darauffolgend werden Sie auf die Grenzen und Chancen der Methode hingewiesen, um Ihnen abschließend beispielhaft das vierstufige Verfahren vorzustellen, mit welchem Sie die erhobenen – und transkribierten – Daten auswerten können.
Es handelt sich bei der Methode um ein verstehendes Verfahren. Im Vordergrund steht die Rekonstruktion und Interpretation immanenter (vorstellbarer) Sinngehalte von Erzähl-, Interaktions- und Diskursverläufen. Die Methode eignet sich, um qualitative Interviews, Gruppendiskussionen oder Videoaufzeichnungen auszuwerten, insbesondere wenn diese längere narrative Phasen beinhalten und damit über die reine Beschreibung (bspw. im Vergleich zur Qualitativen Inhaltsanalyse) hinaus vertiefend analysiert werden sollen. Leitgedanke des Begründers des Verfahrens – RALF BOHNSACK – ist, dass ein deutlicher Unterschied zwischen Verstehen und Interpretieren existiert, welcher durch die Rekonstruktion überwunden werden soll. BOHNSACK vertritt den Ansatz, dass sich Verstehen intuitiv und a-theoretisch aus der unmittelbaren Logik des Alltags heraus ergibt. Die Interpretation hingegen bezieht sich auf den zweckrationalen Zusammenhang einer Handlung, bzw. dem Motiv oder der Absicht, die sich hinter einer Handlung verbirgt (vgl. BOHNSACK 2003, S. 59 f.). Diese Differenz bezeichnet BOHNSACK als kommunikativen oder immanenten Sinngehalt und konjunktiven bzw. dokumentarischen Sinngehalt. Verstehen ist nach dieser Sichtweise die Explikation des Verstandenen bzw. die Spanne zwischen den beiden Sinnebenen. Somit muss es Ziel der Auswertung sein, implizites Wissen begrifflich zu erläutern (vgl. BOHNSACK/NENTWIG-GESEMANN/NOHL 2007, S. 12).

________________________________________________________________________________________

Verstehen = ergibt sich rein intuitiv aus dem alltäglichen Verständnis heraus

Interpretation = bezeichnet ein an bestimmten Zwecken und Motiven ausgerichtetes Denken und Handeln

Unterschied zwischen Verstehen und Interpretation = basiert auf einem kommunikativen und immanenten Sinngehalt (Verstehen) und einem konjunktiven bzw. dokumentarischen Sinngehalt (Interpretation). Diese Differenz soll durch die Rekonstruktion überwunden werden.

Verstehen ist die Erläuterung des Verstandenen. Ziel der Auswertung: implizites Wissen begrifflich darzustellen.

________________________________________________________________________________________

Dokumentarische Methode_Abb. TI

Abb. 1.: verkürzte Darstellung IHLN (2014)
BOHNSACK schlägt dazu ein vierstufiges Verfahren vor: eine formulierende Interpretation, eine reflektierende Interpretation, eine Fallbeschreibung und einen Vergleich, der eine Typenbildung mit theorieorientierten Hinweisen anstrebt.
Doch: Da die Methode sehr komplex ist, ist sie in vollem Umfang und mit allen Auswertungsschritten für kleinere Forschungsarbeiten, wie bspw. einer B.A.-Arbeit o.Ä., ungeeignet. Dennoch bietet die dokumentarische Methode mit ihrer alternativen Sichtweise auf qualitative Daten die Chance, vertiefende Erkenntnisse zu den erhobenen Daten zu erhalten. Vielfach werden für Qualifikationsarbeiten, wie bspw. auch Dissertationen o.Ä., lediglich die ersten beiden bzw. drei Auswertungsschritte durchgeführt.
Wie die nachfolgende Beschreibung der Vorgehensweise sowie das angeführte Beispiel Ihnen verdeutlichen soll, birgt die Methode die Gefahr, dass die Ergebnisse in erster Linie an die Interpretation des Forschers/der Forscherin – also Ihre eigene Interpretation – gebunden (s.u.) und damit nicht ausreichend valide (gültig) sind. Alle Protagonisten der dokumentarischen Methode empfehlen daher zwingend, die Diskussion Ihrer Ergebnisse in einer Interpretationsgruppe (z.B. in Kolloquien oder Forschungswerkstätten).

I Formulierende Interpretation

Im ersten Schritt der dokumentarischen Methode geht es darum herauszuarbeiten, welche Themen und Unterthemen in Ihrem Interview/Ihrer Gruppendiskussion angesprochen werden. Da Sie im Zuge dieser Untergliederung des Textes – Ihres Transkripts – zusammenfassende Formulierungen leisten, nennt BOHNSACK diesen Schritt ‚formulierende Interpretation‘. In diesem Schritt verbleiben Sie noch innerhalb des Orientierungsrahmens, den Ihnen der/die Interviewte vorgibt, und machen diesen noch nicht zum Gegenstand begrifflich-theoretischer Explikation, d.h. Sie beginnen an dieser Stelle noch nicht, die Aussagen begrifflich-theoretisch sowie theoriegeleitet zu erläutern.
Die formulierende Interpretation kann somit als Rekonstruktion der thematischen Gliederung Ihrer erstellten Transkripte gesehen werden.
Darüber hinaus werden zur Vorbereitung auf den nächsten Interpretationsschritt Passagen innerhalb Ihrer Transkripte gekennzeichnet, die durch thematische Relevanz in Bezug auf Ihre formulierte Fragestellung für eine komparative Analyse (d.h. Untersuchung Ihrer Fälle nach dem Kriterium der Vergleichbarkeit) geeignet sind.
Ebenso werden von Ihnen weitere Passagen aus dem Skript ausgewählt, die sich unabhängig von der Fragestellung durch eine besondere interaktive und metaphorische Dichte auszeichnen (z.B. Passagen, in denen ein häufiger Sprecherwechsel stattfindet, in denen das Thema ausführlich behandelt wird oder Sequenzen, die in sich eine Intensität aufweisen).
So wird an dieser Stelle die Frage beantwortet, was innerhalb des Interviews und/oder der Gruppendiskussion gesagt wird und der Inhalt des Transkripts wird paraphrasiert, so dass die thematische Struktur und Gliederung des Textes nachgezeichnet werden können.

Beispiel: Interview mit 13-jähriger Schülerin zu Medienhandeln in der Familie
Also ich (.) tipp die einfach bei Google ein die Sachen die ich suche und dann (.) zum Beispiel Wikipedia oder so. //mhm// Da kann man ja immer sowas reinschreiben was man will. //mhm// Es stimmt ja nicht immer //genau// und dann guck ich immer (.) wenn (.) richtig viele Seiten wenn immer das Gleiche da st=drin steht dann nehm ich das einfach raus. Z.312-315

Oberthema: Internetnutzung
Unterthema: Strategien bei der Internetrecherche für die Schule Z. 312-315
312 Eingabe des Suchbegriffs in die Suchmaschine Google
313 Verwendung der Enzyklopädie Wikipedia
313-314 In Wikipedia kann jeder reinschreiben, daher stimmt nicht alles
314-315 Wenn auf vielen Seiten das Gleiche steht, verwendet sie die Informationen

Wenn Sie nun Ober- und Unterthemen für Ihre Passagen formuliert haben, erhalten Sie gleichzeitig eine thematische Feingliederung.

II Reflektierende Interpretation

Im zweiten Interpretationsschritt erfolgt eine Rekonstruktion und Explikation (Erläuterung) des Rahmens, innerhalb dessen das Thema abgehandelt wird. Diese Identifizierung von Bedeutungszusammenhängen wird als ‚reflektierende Interpretation‘ bezeichnet. Voraussetzung für diese empirisch-methodisch kontrollierte Reflexion ist für BOHNSACK der Bezug auf empirisch fundierte und nachvollziehbare Gegenhorizonte (vgl. ebd., S. 38). Die Identifikation von Gegenhorizonten, bspw. die Abgrenzung von Personen oder Gruppen, bilden die wesentlichen Bezugspunkte der reflektierenden Interpretation. Ihre eigenen Vorstellungen oder Entwürfe, die den Gegenhorizont bilden, können entweder gedankenexperimentell sein oder auf hypothetischen Vorstellungen beruhen, sind also abhängig vom Standort des Interpreten/der Interpretin. Demzufolge ist es notwendig, dass Sie nun durch empirische Fundierung der Vergleichshorizonte die Untersuchung methodisch kontrollierbar und intersubjektiv nachvollziehbar machen.

Beispiel:
Zeilennummern
312-315 Oberthema
Internetnutzung Unterthema
Internetrecherche für die Schule
Orientierungsmuster
Schematisches Vorgehen bei der Informationssuche im Netz

Horizont
Eingabe des Suchbegriffs in Google

Informationen werden als valide erachtet, wenn sie mehrfach identisch im Netz auftauchen. Gegenhorizont
Zielgerichtete Vorgehensweise mit der Anwendung von erweiterten Suchoptionen und Werkzeugen.
Kriterien geleitete Bewertung von Internetquellen.

Analytisches Fazit
Die Passage deutet auf eine wenig ausgeprägte Reflexivität im Umgang mit Internetquellen und mangelnde medienkritische Fähigkeiten der Schülerin hin.

So könnten Sie für diesen Schritt Fragen unterstützen, wie bspw.:
– Welche Bemühungen, Wünsche und Gedanken enthält die vorliegende Passage?
– Welcher Sinngehalt kann als Grundlage dieser Aussage formuliert werden?

III Fallbeschreibung

Nachdem Sie den Diskursverlauf im Zuge der formulierenden Interpretation und der reflektierenden Interpretation in seine Komponenten zergliedert haben, wird in der so genannten Fallbeschreibung (manchmal auch als Diskursbeschreibung bezeichnet) all dies wieder zusammengesetzt und eingebunden. An dieser Stelle entwickeln Sie nun eine Art Nacherzählung des Diskursverlaufs. (BOHNSACK 2003, S. 51). Primäre Aufgabe ist es, die Ergebnisse im Zuge einer Veröffentlichung darzustellen. Dabei fügen Sie ausgewählte Textpassagen als Zitate ein.

Beispiel:
Bei der Internetrecherche geht die Interviewpartnerin wenig zielgerichtet vor. Die Aussage tipp die einfach bei Google ein lässt den Schluss zu, dass sie keine erweiterten Suchoptionen oder alternative Suchmaschinen kennt. Gleichwohl weiß sie, dass Internetquellen, wie Wikipedia, nicht immer glaubhaft sind. Zur Bewältigung hat sich Shiva eine Strategie angeeignet die nicht auf eine angemessene Quellenkritik im Sinne einer Beurteilung nach validen Kriterien beruht, stattdessen praktiziert sie eine heuristische Herangehensweise, indem sie Informationen verwendet, die mehrfach identisch im Netz auftauchen werden (wenn immer das Gleiche da st=drin steht).

IV Typenbildung

Innerhalb der zuvor beschriebenen Interpretationsschritte wurden die Analyse eines Einzelfalls und der fallinterne Vergleich fokussiert. Im nun abschließenden Auswertungsschritt der dokumentarischen Methode, gerät die fallübergreifende Abstraktion aus all Ihren Fällen in den Fokus. Ziel dessen ist es, eine Typisierung vorzunehmen, d.h. im Zuge der Typenbildung arbeiten Sie aus der Interpretation Bezüge zwischen spezifischen Orientierungen und Erlebnishintergründen heraus. Wesentliches Element der Typenbildung ist die komparative Analyse einzelner Fälle (vgl. ebd. 2003, S. 135).

Softwareempfehlungen:

Keine

Literatur:

  • Bohnsack, Ralf (2003): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden. 5. Aufl. Opladen: Barbara Budrich Verlag.
  • Bohnsack, Ralf; Nentwig-Gesemann, Iris; Nohl, Arnd-Michael (Hg.) (2007): Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis. Grundlagen qualitativer Sozialforschung. 2., erweiterte und aktualisierte Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Nohl, Arnd-Michael (2008): Interview und dokumentarische Methode. Anleitungen für die Forschungspraxis. 2., überarb. Aufl. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwissenschaften.

Weitere Praxisbeispiele:

Dokumentarische Methode: Schulpädagogik, Universität Kassel (Online verfügbar unter: http://www.fallarchiv.uni-kassel.de/lernumgebung/dokumentarische-methode/ November 2014)

Qualitative Inhaltsanalyse

Stefanie Meier

Nachdem Sie nun Ihre Daten erhoben haben, besteht der nächste Schritt in der Auswertung eben dieser. Eine mögliche Auswertungsmethode stellt die Kodierung durch die qualitative Inhaltsanalyse dar, welche Ihnen im Folgenden in ihren Grundzügen näher vorgestellt werden soll. Das Ziel besteht darin, fixierte Kommunikation (Ihre Transkripte, Texte, Bilder, Noten, symbolisches Material etc.) zu analysieren, um infolgedessen Rückschlüsse zur Beantwortung der Forschungsfrage ziehen zu können. Angestrebt wird somit eine Reduzierung der Komplexität des Materials. Diese können Sie mithilfe eines Kategoriensystems erreichen, in welchem Sie diejenigen Aspekte festlegen, die für die Auswertung relevant erscheinen und aus dem Material herausgefiltert werden sollen. Eine präzise Beschreibung für den Begriff der Kategorie zu finden, ist alles andere als trivial: In der qualitativen Inhaltsanalyse wird eine Kategorie als ein Bezeichner (oder etwas Bezeichnendes) verstanden, dem Textstellen zugeordnet werden (vgl. Kuckartz 2007, S. 57). Teile des Textes werden also nach bestimmten Kriterien geordnet und durch Kategorien beschrieben. Es kann sich bei der Benennung dieser um ein einzelnes Wort (z. B. „Kompetenzentwicklung“) oder aber auch um eine Mehrwortkombination (z. B. Einstellungen zum Muttersprachenunterricht) handeln. Die Herangehensweise und die konkreten Schritte der Kategorienbildung sowie die Anzahl und der Aufbau des Kategoriensystems variieren je nach Forschungsgegenstand und –frage, sodass keine allgemeingültigen Richtangaben gemacht werden können.

Grundlegend bestehen zwei Möglichkeiten der Kategorienbildung: die deduktive und die induktive Vorgehensweise. Ihre Entscheidung für die eine oder die andere Vorgehensweise hängt von dem Umfang Ihres theoretischen Vorwissens und Ihres gewählten Erhebungsinstruments ab. Beiden gemein ist eine kontrollierte und regelgeleitete Vorgehensweise. Dabei schließen sich die zwei Strategien nicht gegenseitig aus, sodass auch eine Kombination beider möglich ist.

 

Deduktive Kategorienbildung:

Bei diesem von Mayring als Strukturierung bezeichnetem Verfahren werden die Kategorien vor der Analyse des Datenmaterials aufgestellt und definiert. Das Ziel ist die Extrahierung festgelegter Elemente aus dem Material. Es erfolgt ein Durchlauf durch die gesamten Daten hinsichtlich vorab beschlossener Strukturen. Aufgrund dieser Ordnungskriterien soll die Grundgestalt, das Profil des Materials, beurteilt werden (vgl. Mayring 2010, S. 65). Es bietet sich dann an, wenn Sie bereits über ein umfassendes Vorwissen verfügen, bereits Hypothesen bezüglich Ihres Forschungsgegenstandes aufgestellt haben oder aber ein (teil-)standardisiertes Erhebungsinstrument, wie beispielsweise einen Interviewleitfaden, verwendet haben. Die Kategorien können dann durch wichtige Aspekte aus der bereits bekannten Literatur zu dem jeweiligen Forschungsgegenstand und/oder anhand des verwendeten Datenerhebungsinstruments gebildet werden.

Im Folgenden sehen Sie einen Interviewleitfaden, welcher im Rahmen einer Staatsexamensarbeit zum Thema „Chancen und Grenzen des Erwerbs von interkulturellen Kompetenzen“ entstanden ist.

  1. Was verstehst Du unter dem Begriff interkulturelle Kompetenz?
  2. Welche Erfahrungen konntest Du bereits zum Thema ‚interkulturelle Kompetenz‘ an der Universität machen?
  3. Welche Möglichkeiten zum Erwerb interkultureller Kompetenz an der Universität kennst Du noch?
  4. Welche Wünsche/Anregungen/Verbesserungsvorschläge hast Du für die Uni in dem Bereich Förderung von interkultureller Kompetenz?
  5. Welche Bedeutung hat für Dich interkulturelle Kompetenz in deiner zukünftigen Lehrerrolle?
  6. Was bedeutet es für Dich, wenn eine Klasse von vielen Schüler/innen mit Migrationshintergrund besucht wird?

 

 

Im Falle dieses Leitfadens lassen sich nun deduktiv unter anderem die folgenden Oberkategorien ableiten:

  • Begriffsverständnis interkulturelle Kompetenz
  • Thematische Erfahrungen
  • Möglichkeiten zum Erwerb interkultureller Kompetenz

 

Nachdem Sie nun deduktiv einige Kategorien erstellt haben, sichten Sie Ihr Datenmaterial und ordnen alle relevanten Textstellen den passenden Kategorien zu. Diesen Vorgang nennt man Kodierung. Hierfür existiert entsprechende Software (s. u.), allerdings eignet sich für schmalere Datenmengen ebenso die Arbeit mit Papier und farbigen Stiften für die verschiedenen Kategorien. Die Kodierung eines Textabschnittes mit mehreren Kategorien ist zulässig, da in ein und derselben Textstelle verschiedene Themen angesprochen werden können.

Im nächsten Schritt halten Sie Ihr Vorgehen in einem Kodierleitfaden fest, um eine möglichst präzise Formulierung der Kategorien zu erreichen und unnötige Überschneidungen zu vermeiden.

  1. Definition der Kategorien: Es wird definiert, welche Bestandteile unter eine Kategorie fallen sollen.
  2. Ankerbeispiele: Es werden konkrete Textstellen aus dem Protokoll oder Transkript des Interviews als Musterbeispiele für die Kategorie angeführt.
  3. Kodierregeln: Dort, wo Abgrenzungsprobleme zwischen einzelnen Kategorien bestehen, werden Regeln formuliert, um eindeutige Zuordnungen sicherzustellen (vgl. Mayring 2010, S. 106).

Dieser Kodierleitfaden dient als Handreichung sowohl für Sie selbst als auch für alle anderen Forschenden, welche in die Auswertung der Daten involviert sind oder es zukünftig sein könnten. Um eine hinreichende Güte bei der Anwendung der Kategorien zu erreichen, sollten die Kodierungen der verschiedenen Forscherinnen und Forscher unabhängig voneinander weitestgehend übereinstimmen. Diese Forderung entspricht dem Gütekriterium der Intercoder-Reliabilität.

 

Beispiel für einen Kodierleitfaden aus der oben genannten Staatsexamensarbeit:

Kategorie Definition Ankerbeispiel Kodierregeln
Begriffsverständnis interkulturelle Kompetenz Alle Textstellen, die auf eine Deutung des Begriffs interkulturelle Kompetenz hinweisen B1: „Dass man weiß, wo es vielleicht so Schwächen gibt, die nur von bestimmten Ländern, also wie sagt man das, also dass die Leute aus einem bestimmten Land eben genau diese Schwäche haben.“B2: „Dass man im Lehrerberuf eben kompetent ist, […] sich eben Kindern aus verschiedenen Migrationen, […] auseinanderzusetzen und ja, versucht, sag ich mal, deren Verhaltensweisen nachzuvollziehen und irgendwie vor diesem Hintergrund einordnen zu können.“ Nur inhaltliches Verständnis des Begriffs, keine wertenden Äußerungen
ThematischeErfahrungen

 

 

Induktive Kategorienbildung:

Bei der induktiven Vorgehensweise werden die Kategorien nicht vor der Sichtung des Materials erstellt, sondern direkt aus dem Material abgeleitet, ohne sich auf vorab verwendete Theoriekonzepte zu beziehen. Mayring bezeichnet diese Art der Kategorienbildung als zusammenfassende Inhaltsanalyse. Das Ziel besteht in der Eingrenzung der Textelemente, ohne den inhaltlichen Kern und die Essenz des Materials zu verfälschen. Durch diese Reduzierung soll eine Übersichtlichkeit der Daten erzeugt werden, welche immer noch der Grundform des Materials entspricht (vgl. Mayring 2010, S. 65). Für diesen Typ der Analyse sollten Sie zunächst die einzelnen verschriftlichten Interviewaussagen aus Ihren Transkripten in eine reduzierte Form bringen, indem Sie nur die inhaltstragenden Bestandteile beibehalten und Ausschmückendes fallen lassen. Sich aufeinander beziehende oder inhaltsgleiche Aspekte werden zusammengefasst und durch eine neue Aussage (Kategorie) wiedergegeben. Entsprechende Stellen im Material werden nun der neu gebildeten Kategorie zugeordnet, also kodiert. Stoßen Sie auf Stellen im Datenmaterial, welche nicht in die zuvor gebildete Kategorie passen, bilden Sie eine neue Kategorie. Wiederholen Sie dieses Vorgehen mit Ihren restlichen Daten. Nachdem Sie nun auf diesem Wege ein Kategoriensystem entwickelt haben, empfiehlt sich eine Rücküberprüfung der entworfenen Struktur durch einen zweiten Materialdurchlauf.

 

Fall Zitat Paraphrase Generalisierung Kategorie
B9Zeile 40-43 „Ganz wichtig natürlich als Lehrer ist diese Offenheit, nicht dieses von oben herab, sondern wirklich auch den Eltern das Gefühl zu geben, hier ist es auch wichtig bei uns in Deutschland, für uns wichtig an Erfahrung mit den Eltern zusammenzuarbeiten, um den Kindern das Bestmögliche für die Zukunft mitzugeben.“ Für eine Lehrperson ist die Offenheit zur Zusammenarbeit mit den Eltern wichtig für die Zukunft der Kinder. Bereitschaft der Lehrperson für die Partizipation der Eltern. Verhalten der Lehrperson
B9Zeile 44-52

 

Verbindung von deduktivem und induktivem Vorgehen

Innerhalb von Forschungsprojekten werden häufig beide Formen kombiniert und nicht immer in Reinform vollzogen. Wenn Sie zunächst die deduktive Kategorienbildung gewählt haben, bilden Sie neben den aus der Theorie oder dem Erhebungsinstrument erstellten Kategorien eine „Restekategorie“. Unter diese fällt das Datenmaterial, welches keiner der deduktiv erstellten Kategorien zugeordnet werden kann. Durch eine Reduktion des Materials aus der Restekategorie auf die zentralen bedeutungstragenden Aussagen (im Sinne der zusammenfassenden Inhaltsanalyse) werden neue Kategorien und Subkategorien induktiv gebildet.

Das gesamte Kategoriensystem kann nun in Bezug auf die Fragestellung und die einbezogene Theorie interpretiert werden. Zudem können Sie auch quantitative Aspekte bei der Auswertung berücksichtigen und analysieren, welche Kategorien sehr oft kodiert werden, für welche es weniger Fundstellen gibt und welche Rückschlüsse aus diesen Ergebnisse gezogen werden können.

 

Softwareempfehlungen:

Für geringere Datenmengen eignen sich übliche Textverarbeitungsprogramme wie Microsoft Word, OpenOffice und andere Open Source-Software. Umfangreichere Möglichkeiten zur Kodierung Ihrer Daten bieten Analyseprogramme wie f4analyse oder MAXQDA. Die direkte Einbindung von Audio- oder Videodokumenten sowie der Export in weitere Programme wie Excel oder SPSS sind hier möglich. Informieren Sie sich über kostenfreie Testversionen oder Studierendenlizenzen an Ihrer Universität.

https://www.youtube.com/watch?v=kyAruQIHkjw

 

Literatur:

Kuckartz, Udo (2012): Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.

Kuckartz, Udo (2007): Einführung in die computergestützte Analyse qualitativer Daten. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Mayring, Philipp (2010): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 11., aktualisierte und überarb. Aufl. Weinheim: Beltz.

Mayring, Philipp; Gläser-Zikuda, Michaela (Hrsg.) (2008): Die Praxis der qualitativen Inhaltsanalyse. 2., neu ausgestattete Aufl. Weinheim und Basel: Beltz.