Mündliche Befragung

Stefanie Meier

Eine mündliche Befragung ist durch die Kommunikation zwischen zwei oder mehreren Personen  definiert, aufgrund dessen zwischen Einzel- und Gruppeninterviews unterschieden werden kann (für die Gruppendiskussion als eine Art des Gruppeninterviews siehe Gruppendiskussion). Durch gezielte verbale Stimuli bzw. Fragen werden verbale Reaktionen bzw. Antworten hervorgerufen. Dies geschieht in ganz bestimmten (geplanten) Situationen und wird durch gegenseitige Erwartungen der beteiligten Personen geprägt. Die Antworten des Befragten beziehen sich auf erlebte sowie erinnerte soziale Erlebnisse und stellen Beschreibungen, Meinungen und Bewertungen dar (vgl. Atteslander 2008, S. 101). Die Methode des Interviews ist daher als eine verabredete Zusammenkunft mit wissenschaftlicher Zielsetzung gekennzeichnet. Der Informationsfluss ist zumeist einseitig, da das Interview der Erhebung von Daten dient, welche nur den Befragten und nicht den Interviewer betreffen.

Im Fokus qualitativer Interviews stehen in Abgrenzung zu quantitativen Forschungsmethoden die soziale Wirklichkeit sowie die Definition dieser durch die Befragten selbst. Die subjektiven Sichtweisen der Befragten bilden den inhaltlichen und strukturellen Rahmen des Gesprächs, in welchem die Zielsetzung die Genese von Hypothesen darstellt. Bei quantitativen Befragungen steht eher die Überprüfung von vorab formulierten Hypothesen im Vordergrund. Im Gegensatz zu quantitativen Interviews zeichnet sich das qualitative Verfahren durch eine offene und flexible Gesprächsgestaltung aus, dessen Verlauf keiner Standardisierung unterliegt und einen Anspruch auf Vergleichbarkeit und Kontrollierbarkeit ablehnt. Die Rolle der Interviewerin/des Interviewers ähnelt während der Befragung eher der einer Gesprächspartnerin/eines Gesprächspartners im Alltag. Bedenken Sie jedoch, dass Sie als Interviewer die Aussagen der Befragten unbeabsichtigt lenken und somit eine beeinflussende Wirkung auf den Verlauf des Gesprächs und den Inhalt haben könnten. Informieren Sie sich deshalb im Vorfeld des Interviews über die das Stichwort ,Interviewereffekte`.

 

Interviewformen

Die folgende Zusammenstellung bildet einige bekannte Interviewformen ab. Es existieren zahlreiche weitere unterschiedliche Variationen, welche sich u. a. durch den Grad der Standardisierung, somit ihrer Orientierung an einem Leitfaden bzw. ihrer Offenheit, unterscheiden. Ferner variieren Interviews nach der Art der Durchführung: im direkten Face-to-Face-Gespräch, per Telefon oder computergestützt. Eine umfangreiche Übersicht von Varianten mündlicher Einzelinterviews finden Sie bspw. in Bortz, J./Döring, N. (2006). Die Entscheidung für eine bestimmte Interviewform ist von der Fragestellung, dem Erkenntnisinteresse und der zu befragenden Zielgruppe der Studie abhängig.

Standardisierte Interviews

Bei dieser Interviewform sind die Formulierung und die Reihenfolge der Fragen für den Interviewenden bei jeder Befragung obligatorisch und nicht veränderbar (Standardisierung). Im Vorfeld müssen daher die Frageformulierungen exakt verfasst werden. Das Erhebungsinstrument bedarf reiflicher Vorüberlegungen und Erprobungen (Pretests) im Forschungsfeld, um die Eignung vorab zu prüfen und ggf. eine Modifizierung vornehmen zu können. Standardisierte Interviews bieten sich für präzise abgegrenzte Themenbereiche an, bezüglich derer der Forschende bereits über umfassende Kenntnisse verfügt (vgl. Bortz/Döring 2006, S. 237ff.).

Teilstandardisierte Interviews

Wie Sie der Bezeichnung bereits entnehmen können, haben teilstandardisierte Interviews einen (mehr oder weniger) offenen Leitfaden gemeinsam. Zu den populäreren Varianten zählen bspw.:

  • das problemzentrierte Interview, bei welchem der Ausgangspunkt eine vom Forscher wahrgenommene gesellschaftliche Problemstellung darstellt (z. B. Hürden beim Übergang Kita Grundschule). Diese Interviewform könnte geeignet sein, wenn Sie bereits über ein vertieftes theoretisches Vorwissen bezüglich des Forschungsgegenstandes verfügen.
  • das fokussierte Interview, das bedingt durch seinen Ursprung in der Medienforschung eher auf die Überprüfung vorab generierter Hypothesen abzielt. Der Fokus liegt bei dieser Interviewform auf einer gemeinsamen Erfahrung aller Befragten (bspw. der Bezug auf einen gemeinsam angesehen Film in der Schulklasse, Bücher, Fotos, Zeichnung etc.). Das Ziel ist die Erforschung der subjektiven Deutungen der Befragten hinsichtlich der gemeinsam erlebten Situationen oder Objekte.
  • das Experteninterview, bei welchem die Deutung spezialisierter Kenntnisse im Mittelpunkt steht. Die Zielgruppe stellen Personen mit hoher Expertise dar wie Inhaber von Führungspositionen, erfahrene und fachkundige Praktiker sowie Experten in jeglichen Fachbereichen. Durch diese Interviewform können praxisrelevantes Wissen, bewährte Routinen und erprobte Prinzipien bzw. Richtlinien ergründet werden.

 

Das narrative Interview

Das geringer vorstrukturierte narrative (erzählende) Interview steht in der Tradition von Fritz Schütze und findet seinen Einsatz im Rahmen lebensgeschichtlicher Fragestellungen. Durch eine erzählgenerierende Frage bzw. einen Erzählstimulus sollen beim Interviewten eine biografische Erzählung, eine sogenannte Stegreiferzählung, angeregt werden. An die Haupterzählung des Befragten, dem wichtigsten Interviewabschnitt, gliedert sich eine Phase für offen gebliebene Fragen und Bilanzierungen an. Für die Befragung von Personen unter 10 Jahren ist die Eignung des narrativen Interviews umstritten, achten Sie in diesem Fall besonders auf die kindgerechte Auswahl und Formulierung des Erzählstimulus (vgl. Heinzel 2003, S. 403).

Das psychoanalytische Tiefeninterview

Dieses bildet die offenste und am geringsten vorstrukturierte Interviewvariante. Psychologisch orientierte Gespräche mit therapeutischen bzw. diagnostischen Zielen sollen unbewusste Ängste, Konflikte oder Bedeutungsstrukturen der Interviewten offenlegen. Dabei werden alle Äußerungen oder Interaktionen als Mittelungen angesehen. Insbesondere bei Kindern eignet sich die Nutzung von Traumreisen oder selbsterstellten Bildern (vgl. Heinzel 2003, S. 404).

 

Besonderheiten und Herausforderungen bei Interviews mit Kindern

Interviews mit Kindern unterliegen anderen Anforderungen als Interviews mit Erwachsenen. Die Notwendigkeit einer adressatengerechten Befragung ist somit unerlässlich.  Auf folgende Aspekte sollten Sie besonders achten:

  • Es besteht ein Dilemma in der Kindheitsforschung: Jede Form der kindgerechten Methode setzt ein bestimmtes Kindheitsbild voraus und läuft damit Gefahr, dieses zu reproduzieren (vgl. Fuhs 2000, S.92). Sie sollten daher Ihre eigenen Annahmen und impliziten Theorien über das Kind/die Kindheit während des Forschungsprozesses offenlegen und so weit wie möglich reflektieren.
  • Sprachliche Fähigkeiten sind bei Kindern von der Entwicklung abhängig und individuell unterschiedlich ausgeprägt. Das Sprachverstehen geht der Sprachproduktion voraus. Beachten Sie daher Geschlechts-,  kulturelle und milieuspezifische Unterschiede. Durch den kindlichen Egozentrismus erscheinen kindliche Aussagen teilweise fragmentarisch oder unvollständig. Kinder gehen zudem von einem allwissenden Erwachsenen aus, aufgrund dessen die Kinder viele Informationen als überflüssig einschätzen und diese den Erwachsenen vorenthalten (vgl. Delfos 2008, S. 52f.).
  • Ein Interview stellt komplexe Anforderung an das Arbeitsgedächtnis von Kindern (Frage merken, Inhalte aus dem Langzeitgedächtnis erinnern, Antworten überlegen und formulieren). Die Erinnerungsdauer von zeitlich zurückliegenden Ereignissen ist abhängig von der subjektiven Bedeutsamkeit, der Intensität des Erlebens (positiv oder negativ), der Auftretenshäufigkeit des Ereignisses sowie dem Alter der Kinder (vgl. Schneider & Lindenberger 2012, S. 420). Berücksichtigen Sie dies bei Ihrer Frageformulierung.
  • Bei irreführenden Fragen sinkt die Validität der Aussagen. Besonders junge Kinder sind empfänglich für Suggestibilität, diese nimmt bei persönlich erlebten und bedeutsamen Erlebnissen jedoch ab. Die Möglichkeit zu „weiß-nicht“-Antworten und die Vermeidung von Suggestivfragen steigern die Aussagegenauigkeit und die Glaubwürdigkeit (vgl. Schneider & Lindenberger 2012, S. 420).
  • Das Generationenverhältnis: Als Erwachsene haben fast alle Interviewer/-innen neben ihrer Rolle als Informationsermittler eine weitere – die von Erziehern. Hier liegt der zentrale Unterschied zwischen dem Kinderinterview und Erwachseneninterview. Über dem Informationsaustausch im Kinderinterview schwebt ein „didaktisches Weltbild“ (Lothar Klingberg 1987). Danach haben Erwachsene subjektive Theorien, wie mit Heranwachsenden lehrend und lernend umzugehen sei. Um die Gefahr der Pädagogisierung zu vermeiden, streben Sie ein Gespräch auf Augenhöhe an (vgl. Trautmann 2010, S. 3f.).
  • Die Bedeutung von Metakommunikation: Schaffen Sie Transparenz und versuchen Sie, die Ängste der Kinder abzubauen. Behalten Sie die Dauer des Interviews im Blick und bauen Sie falls nötig Pausen ein. Schaffen Sie zudem eine vertrauensvolle Atmosphäre, um eine adressatengerechte Befragung zu ermöglichen.
  • Systematisierungen vorfindbarer Interviewvarianten in der Kindheitsforschung leisteten bislang u. a. Frederike Heinzel (Kategorisierung nach dem Grad der Standardisierung (vgl. Heinzel 2003)) sowie Burkhard Fuhs (nach der Art des Erinnerns (vgl. Fuhs 2000)).

 

 

Softwareempfehlungen

Sofern eine – auf Basis forschungsethischer und datenschutzrechtlicher Grundlagen – formulierte Einverständniserklärung von den Befragten bzw. den Erziehungsberechtigten unterschrieben vorliegt, sollten Sie das Interview in Ton und/oder Bild aufzeichnen. Für eine Tonaufnahme können sie ein herkömmliches Diktiergerät oder eine derartige Funktion auf Ihrem Mobilfunkgerät nutzen. Für die Aufzeichnung mithilfe eines Laptops empfehlen sich kostenlose Audioeditoren und –recorder wie bspw. Audacity. Der darauffolgende Schritt besteht in der Transkription der Aufnahmen (Transkription).

 

Ausgewählte Beispiele für den Einsatz qualitativer Interviews

Weltzien, D. (2012): Gedanken im Dialog entwickeln und erklären: Die Methode dialoggestützter Interviews mit Kindern. Frühe Bildung, 1 (3), 143 – 149.

 

World Vision Deutschland e.V. (Hrsg.) (2013): Wie gerecht ist unsere Welt. Kinder in Deutschland 2013. 3. World Vision Kinderstudie. Beltz Verlag.

 

Kinder rechnen anders. Ein Projekt zur Weiterentwicklung der Grundschullehrerausbildung: Auf der Homepage befinden sich Videomitschnitte klinischer Interviews mit Kindern. http://www.kira.uni-dortmund.de/front_content.php

Weise, M. (2008): Der Kindergarten wird zum „Forschungsort“ – Das Puppet Interview als Forschungsmethode für die Frühe Bildung. Ludwigsburger Beiträge zur Medienpädagogik. Ausgabe 11.

 

Literatur

Grundlagenliteratur

Atteslander, Peter (2008): Methoden der empirischen Sozialforschung. 12., durchges. Aufl. Berlin: Erich Schmidt (ESV basics).

Bortz, J./Döring, N. (2006): Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler, Berlin: Springer, S. 115.

Friebertshäuser, Babara/ Langer, Antje (2010): Interviewformen und Interviewpraxis. In: Friebertshäuser, Babara/ Langer, Antje/ Prengel, Annedore (Hrsg.): Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. 3., vollständig überarbeitete Auflage. Weinheim/ München: Juventa Verlag, S. 437- 455.

Helfferich, C. (2009). Die Qualität qualitativer Daten. Kapitel 1.1: Der Gegenstand qualitativer Forschung und Grundprinzipien (S.21-25). Wiesbaden: VS.

Trautmann, T. (2010). Interviews mit Kindern. Grundlagen, Techniken, Besonderheiten, Beispiele. Wiesbaden: VS. (Online Ressource der UB)

Weiterführende Literatur

Andresen, S. (2012). Was und wie Kinder erzählen. Potenzial und Grenzen qualitativer Interviews. Frühe Bildung, 1 (3), 137 – 142.

Delfos, M. F. (2013). Sag mir mal … Gesprächsführung mit Kindern (4 bis 12 Jahre). Weinheim und Basel: Beltz.

Fuhs, B. (2000). Qualitative Interviews mit Kindern. In Frederike Heinzel (Hrsg.)(2000):  Methoden der Kindheitsforschung. Ein Überblick über Forschungszugänge zur kindlichen Perspektive. Weinheim und München: Juventa Verlag, S. 87-103.

Fuhs, B./Schneider, S. (2012): Normalisierungsvorstellungen und Adultismus als Probleme für die erzählerische Erschließung frühkindlicher Lebenswelten. Frühe Bildung, 1 (3), 125 – 130.

Heinzel, F. (Hrsg.) (2000). Methoden der Kindheitsforschung . Ein Überblick über Forschungszugänge zur kindlichen Perspektive. Weinheim und München: Juventa.

Heinzel, F. (2003). Qualitative Interviews mit Kindern. In B. Friebertshäuser & A. Prengel (Hrsg.), Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft (S. 396-413). Weinheim: Juventa.

Nentwig-Gesemann, I./Mackowiak, K. (2012). Schwerpunkt: Interviews mit Kindern – methodische Herausforderungen und Potenziale. Frühe Bildung, 1 (3), 121 – 124.

Schneider, W./Lindenberger, U. (2012). Gedächtnis. In Wolfgang Schneider und Ulman Lindenberger (Hrsg.), Entwicklungspsychologie (S.413-431). Weinheim: Belz.