Gruppendiskussionen

Tamara Ihln

Was kennzeichnet Gruppendiskussionen und wie kann man sie in der Forschung durchführen?

Durch Gruppendiskussionen können Sie den Aufwand an Zeit und Geld reduzieren, indem Sie eine Gruppe von Menschen zu einem Zeitpunkt befragen, statt mehrerer Individuen zu verschiedenen Zeitpunkten. So soll Ihnen nun dargestellt werden, was eine Gruppendiskussion ausmacht, welche Ziele mit ihr verfolgt werden und welche verschiedenen Formen es gibt. Anschließend wird kurz auf die Probleme bei der Umsetzung hingewiesen, ihre Einordung in den Forschungsprozess erläutert und abschließend die Grenzen der Methode offen gelegt.
Außerdem werden sowohl der Gruppendynamik als auch der Diskussion unter den Teilnehmern und Teilnehmerinnen bei der Durchführung von Gruppendiskussionen besondere Bedeutung beigemessen (vgl. FLICK 2002, 250). Als Erkenntnisquelle dienen Ihnen die Stimulierung einer Diskussion sowie die Dynamik, welche sich in ihr entwickelt. Zur Stimulierung einer Diskussion können Sie beispielweise auf die in der  Dokumentenanalyse dargelegten Optionen zurückgreifen, wie bspw. Kinderzeichnungen, Concept Cartoons®/ Konzeptdialoge®, o.Ä.

Zielsetzung bei der Durchführung von Gruppendiskussionen:

Sie sollten sich vor einer Umsetzung ein Ziel überlegen, das Sie erreichen möchten, da das Ziel einer Gruppendiskussion nicht immer gleich ist:
So zieht POLLOCK (1955, 34) die Gruppendiskussion dem Interview vor, da es vermieden werden sollte, Einstellungen, Meinungen und Verhaltensweisen der Menschen isoliert voneinander zu betrachten. Ausgangspunkt der Gruppendiskussion ist daher die Weise, wie Meinungen im Alltag gebildet, geäußert und ausgetauscht werden. Die Gruppe ist Ihr Mittel für die Datenerhebung, um individuelle Meinungen angemessener rekonstruieren zu können (vgl. ebd., 251).
Bei MANGOLD (1973) wird die jeweils von der Situation abhängende Gruppenmeinung zum Gegenstand der Untersuchung.
Ein weiteres Ziel kann die Analyse gemeinsamer Problemlösungsprozesse innerhalb der Gruppe sein, weshalb ein konkretes Problem vorgegeben wird und die Gruppe in der Diskussion über die verschiedenen Wege zu einer Lösung die beste Strategie herausfinden soll (DREHER & DREHER 1994).
Es ist zu unterscheiden zwischen Ansätzen, welche die Gruppendiskussion als Medium zur besseren Analyse von Einzelmeinungen oder als Träger einer eigenen, über Individuen hinausgehenden Meinung versteht (vgl. ebd., 252). Deshalb sollten Sie Ihr Ziel bzw. Ihre Fragestellung möglichst konkret formulieren, damit es Ihnen die Fokussierung für eine Umsetzung erleichtert.

Zusammenstellung Ihrer Gruppe:

Die von Ihnen ausgewählte Gruppe kann natürlich (d.h. auch im Alltag bestehenden) oder künstlich (d.h. zu Forschungszwecken kriteriengeleitet) zusammengestellt werden. Des Weiteren wird zwischen homogenen und heterogenen Gruppen unterschieden (vgl. ebd.). Bei heterogenen Gruppen unterscheiden sich die Teilnehmer/-innen in den für die Fragestellung relevanten Eigenschaften. Dadurch wird die Dynamik der Gruppe verstärkt und verfolgt das Ziel, dass sowohl möglichst unterschiedliche Perspektiven geäußert werden als auch die einzelnen Teilnehmer/-innen – aufgrund ihres Aufeinandertreffens – stärker aus der Reserve gelockt werden.

Die Rolle eines Leiters/einer Leiterin während der Gruppendiskussion:

In nur seltenen Fällen wird auf die Eigendynamik der Gruppe gesetzt und auf eine Steuerung durch einen Leiter oder eine Leiterin verzichtet. Doch: Was genau ist die Rolle eines Leiters oder einer Leiterin während der Gruppendiskussion?
Damit schließen Sie aus, dass die Interventionen den Ablauf und Inhalt der Diskussion beeinflussen (vgl. ebd., 254). Deshalb ist es ratsamer, wenn die Steuerung der Diskussion durch einen Leiter oder eine Leiterin übernommen wird. Funktionen eines Leiters/einer Leiterin sind Folgende: Die formale Leitung beschränkt sich auf das Führen einer Rednerliste, die Festlegung des Gesprächsbeginns,- ablaufs und –endes. Die thematische Steuerung umfasst zusätzlich die Einführung neuer Fragen und Lenkung der Diskussion in Richtung der Vertiefung und/oder Ausdehnung bestimmter Themen und/oder Teilbereiche.
Wenn Sie reale oder natürliche Gruppen bilden, kennen sich die Mitglieder/-innen bereits und haben ggf. schon Bezüge zum Thema der Diskussion (vgl. ebd., 255). Bei künstlich zusammen gestellten Gruppen hingegen sollten Sie zunächst eine Phase der Vorstellung und des Kennenlernens der Mitglieder/-innen einplanen. So ist beispielsweise folgender Ablauf bei der Durchführung einer Gruppendiskussion denkbar:
– Erklärung/Verdeutlichung des (formalen) Vorgehens
– Vorstellungsrunde der einzelnen Gruppenmitglieder
– Diskussion beginnt mit einem Diskussionsanreiz bzw. einem Impuls

  • z.B.: ein Bild/Foto, Aussage/Frage, einer Audiodatei
  • z.B.: einem Zitat, einer Hypothese, o.Ä.

Denn: Vor allem in Gruppen, deren Teilnehmer/-innen sich zuvor nicht kannten, werden in Gruppendiskussionen Phasen der Fremdheit, Orientierung, Anpassung und Vertrautheit mit der Gruppe sowie der Übereinstimmung und des Abklingens der Diskussion durchlaufen (vgl. MANGOLD 1973, 216; SPÖHRING 1989, 223)

Welche Probleme können Ihnen bei der Durchführung einer Gruppendiskussion begegnen?

Die Gruppendynamik erschwert sich durch die klare Formulierung von Ablaufmustern für Diskussionen sowie auch von eindeutigen Vorgaben bzgl. der Aufgaben und des Verhaltens des Diskussionsleiters/der Diskussionsleiterin. Dadurch wird jedoch die Gestaltung relativ einheitlicher Bedingungen für Ihre Datenerhebung in verschiedenen Gruppen nur äußerst begrenzt möglich. Welche Wendungen die Diskussion in ihrem Verlauf nimmt, ist kaum vorhersagbar. Ähnlich ist dies mit der Entscheidung darüber, wann sich die Gruppe in der Diskussion über ein Thema erschöpft hat (vgl. ebd.).
Vor allem steht die Entwicklung von Theorien im Fokus der Gruppendiskussionen (vgl. ebd., 258). Bei der Interpretation der Daten sind die einzelnen Gruppen für Sie als Forscher/-in die Einheit, an der Sie ansetzen sollten. Dafür bieten sich beispielsweise sequenzielle Analysen an. Bei der Verallgemeinerung der Ergebnisse stellt sich jedoch das Problem, wie die verschiedenen Gruppen zusammengefasst werden können (vgl. ebd., 259).

Zur Auswertung Ihrer erhobenen Daten:

Bei der Auswertung Ihrer erhobenen Daten ergeben sich oftmals Probleme bzgl. der Unterschiedlichkeit der Gruppendynamik und damit entsteht sowohl die Problematik der Vergleichbarkeit untereinander als auch die Schwierigkeit, Meinungen und Sichtweisen des einzelnen Gruppenmitgliedes auszumachen. Der hohe Aufwand bei der Durchführung, Aufzeichnung, Transkription und Interpretation von Gruppendiskussionen lässt ihre Verwendung besonders bei Fragestellungen sinnvoll erscheinen, bei denen es gerade um die Nachzeichnung der sozialen Dynamik der Meinungsbildung in Gruppen geht. Des Öfteren wird die Gruppendiskussion mit anderen Methoden kombiniert, z.B. mit ergänzenden Einzelinterviews (siehe Interviews) oder Beobachtungen (siehe bspw. auch Befragung).
Wenn Sie Gruppendiskussionen durchgeführt haben, werden die aufgezeichneten Daten (Audiodateien, Videoaufnahmen, o.Ä.) von Ihnen transkribiert (siehe Transkription) und anschließend ausgewertet (siehe bspw.Qualitative Inhaltsanalyse; Dokumentarische Methode; o. Ä.).

Weiterführende Literatur

  • Bohnsack, Ralf (2000): Gruppendiskussion. In: Flick, Uwe; Kardorff, Ernst von; Steinke, Ines (Hrsg.). Qualitative Forschung – ein Handbuch. Reinbek: Rowohlt, S. 369-384.
  • Bohnsack, Ralf (2010): Gruppendiskussionsverfahren und dokumentarische Methode. In: Friebertshäuser, Barabara; Langer, Antje; Prengel, Anndedore: Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. Weinheim und München: Juventa. S. 205-218.
  • Bohnsack, Ralf (2014): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden. 2. überarb. Aufl. Opladen u.a.: Barbara Budrich Verlag.
  • Dreher, M. & Dreher, E. (1994): Gruppendiskussion. In: Huber, Günter L. & Mandl, Heinz (Hrsg.). Verbale Daten: Eine Einführung in die Grundlagen und Methoden der Erhebung und Auswertung. 2. überarb. Aufl. Beltz Verlag. S. 141-164.
  • Flick, Uwe (2002): Qualitative Sozialforschung: eine Einführung. 6. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag.
  • Loos, Peter; Schäffer Burkhard (2001): Das Gruppendiskussionsverfahren: theoretische Grundlagen und empirische Anwendung. Opladen: Leske & Budrich.
  • Mangold, Werner (1973): Gruppendiskussionen. In: König, R. (Hrsg.): Handbuch der empirischen Sozialforschung. Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag. S. 228-259.
  • Pollock, Friedrich (1955): Gruppenexperiment. Ein Studienbericht. Frankfurter Beiträge zur Soziologie, Bd. 2. Frankfurt a.M.
  • Spöhring, Walter (1989): Qualitative Sozialforschung. Stuttgart: Teubner Verlag.