Standardisierung

Sabrina Wiescholek

 

Standardisierung im Forschungsprozess:

Ob eine Erhebung, d.h. eine Fragebogenerhebung, ein Leistungstest, eine Beobachtungsstudie oder Interviews etc. standardisiert oder nicht standardisiert durchgeführt wird, betrifft in erster Linie das hier besprochene Gütekriterium der Objektivität. Bevor im Rahmen der Standardisierung auf verschiedene Arten von Objektivität eingegangen wird, ist jedoch die Frage zu klären, was es überhaupt bedeutet, wenn etwas als „standardisiert“ bezeichnet wird. Eine Erhebung ist standardisiert, wenn sie auf eine Art und Weise geplant ist, dass in der Durchführung der Erhebung möglichst viel vorgeschrieben und festgelegt ist. Warum ist dies für die empirische Forschung so wichtig? Mit der Beantwortung dieser Frage sind wiederum Güterkriterien angesprochen, mit welchen die empirische Forschung versucht, sich von unsystematischen alltäglichen Beobachtungen abzugrenzen. Wie eben schon erwähnt, hat hinsichtlich der Standardisierung das Gütekriterium der Objektivität die meiste Relevanz. Objektivität kann unterteilt werden in Durchführungsobjektivität, Auswertungsobjektivität und Interpretationsobjektivität. Diese drei Aspekte begleiten den gesamten Forschungsprozess. Die folgende Tabelle erklärt kurz den jeweiligen Aspekt von Objektivität und veranschaulicht ihn anhand eines Beispiels.

Erklärung Beispiel
Ziel der Beachtung von Durchführungsobjektivität ist es, dass Testergebnisse nicht von der Person beeinflusst werden, welche den Test durchführt. Deswegen soll ein Test so gut wie möglich standardisiert werden. Sie wollen in mehreren Klassen gleichzeitig einen Lesetest durchführen. Fest steht, dass Sie nicht gleichzeitig in allen Klassen präsent sein können. Sie müssen also mehrere Testleiter/-innen bestimmen. Wichtig für die Durchführungsobjektivität ist nun, dass Sie allen Teilnehmer/-innen ähnliche, wenn nicht sogar gleiche Testbedingungen ermöglichen müssen. Dies betrifft zum Beispiel folgende Aspekte:

  • Die Erklärung der Testaufgaben.
  • Die Bearbeitungszeit für die einzelnen Testaufgaben.
  • Die Hilfestellung bei Fragen hinsichtlich der einzelnen Aufgaben.
  • u.v.m.
Hinsichtlich der Auswertungsobjektivität ist ebenso wie bei der Durchführung zu beachten, dass das Ergebnis der Auswertung eines Tests nicht von derjenigen Person abhängt, welche den Test auswertet. Auswertungsobjektivität kann zum einen durch sehr genaue Auswertungsregeln erzeugt und zum anderen durch die Bestimmung der Übereinstimmung von mehreren Testauswertern überprüft werden. Lesetests können in verschiedenen Varianten durchgeführt werden. Geringe Probleme hinsichtlich der Auswertungsobjektivität gibt es, wenn wir einen Lesetest im Multiple-Choice-Format (Bsp. ELFE) durchführen. In einem solchen Test kann ganz einfach die richtige Anzahl der Kreuze/Antworten gezählt werden. Problematischer wird es jedoch, wenn wir zum Beispiel bei der Untersuchung von Leseverständnis, Schülerinnen und Schüler auf die Aufgabe „Bitte fasst die wichtigsten Aspekte des Textes zusammen“ frei beantworten lassen, also ein offenes Antwortformat vorliegt. In diesem Fall müssen detaillierte Auswertungsregeln festgelegt werden. Im vorliegenden Beispiel muss für die Auswertung in jedem Fall bestimmt werden, welche Inhalte des Textes wichtig und welche unwichtig sind.
Interpretationsobjektivität ist dann erreicht, wenn verschiedene Wissenschaftler/-innen über Personen mit demselben Testergebnis dieselben Schlussfolgerungen ziehen. In standardisierten Tests hilft hier meist das Testmanual weiter, in dem durch Normtabellen der Vergleich einer Testperson mit z.B. gleichaltrigen Bezugspersonen möglich ist. Haben zwei Schüler im Lesetest dasselbe Ergebnis, also z.B. dieselbe Punktzahl erreicht, müssen wir, die Testleiter, zu denselben Schlussfolgerungen über diese Personen gelangen. Wir können hier also nicht sagen, dass der Schüler A eine gute Leistung und Schülerin B eine schlechte Leistung im Lesetest erbracht hat, obwohl beide denselben Testwert aufweisen.

Im ersten Teil dieses Kapitels wurde beschrieben, warum die Standardisierung einer Erhebung wichtig ist und welche Vorteile sie mit sich bringt. Keine oder geringe Standardisierung hat aber auch Vorteile. Zum Beispiel werden häufig nicht standardisierte oder halb standardisierte Interviews in Themenfeldern geführt, in denen es noch relativ wenig Forschung gibt. Ein eher offenes Erhebungsverfahren mit nur erzählgenerierenden Fragen bietet Raum für neue, unerwartete Informationen, also für die Erweiterung des Blickwinkels und für Flexibilität.

 

Literatur:

Beller, S. (2008). Empirisch forschen lernen. Konzepte, Methoden, Fallbeispiele, Tipps. 2. überarb. Aufl. Bern: Huber.

Moosburger, H. & Kelava, A. (2012). Qualitätsanforderungen an einen psychologischen Test (Testgütekriterien). In: H. Moosbrugger, A. Kelava (Hrsg.), Testtheorie und Fragebogenkonstruktion. Berlin: Springer