Kinderzeichnungen

 

Frauke Raddy

Kinderzeichnungen bieten die Möglichkeit,  den Wahrnehmungen und Ansichten von Kindern näher zu kommen.  Die Bedeutung von Geschwister- oder Freundschaftsbeziehungen sowie die Sicht der Kinder auf die Welt könnten beispielsweise in einer Kinderzeichnung dargestellt werden.

Reiß (1996)  untersuchte 35.000  Zeichnungen von 6-14 jährigen Kindern und gab ihnen die Aufgabe: „Mal  doch mal…wie wir Kinder heute leben. Du siehst die Welt mit deinen eigenen Augen.  Du machst dir deine eigenen Gedanken darüber. Mal, was dir gefällt oder nicht gefällt. Zeig mit deinem Bild wie Kinder heute leben. Mit Pinsel, Bleistift oder Tinte, ganz egal“ (Reiss 1996, S. 137).

Mit dieser Untersuchung konnte ermittelt werden, welche unterschiedliche Bedeutung Umweltzerstörung und Freizeit für die Kinder verschiedenen Alters einnehmen

Bei der Auswertung von Kinderdokumenten kann es allerdings zu starken Verzerrungen kommenda die Auswerter/-innen nicht den Entstehungshintergrund der Kinderbilder und Kindertexte kennen. Um eine Fehlinterpretation zu vermeiden,  ist es notwendig Kenntnisse über die Entwicklungs- und  Entstehungskontexte als auch über die familiären und kulturellen Kontexte in die Interpretation der Dokumente einzubeziehen (vgl. ebd.).  Kinder, die beispielsweise in der frühen Kindheit zu malen beginnen, verfügen über eine größere Handgeschicklichkeit und  experimentieren eher mit Farben und Formen als  Kinder, denen bisher nur wenige Malutensilien zur Verfügung standen.

Für die Auswertung der Bilder gibt es verschiedene Kriterien, die zu Rate gezogen werden können.

Um Ihnen  einen kleinen Einblick in die Kriterien der Bildbeurteilung zu geben sehen Sie hier eine Tabelle (ohne Anspruch auf Vollständigkeit), welche Ihnen die verschiedenen Zugänge zu Kinderzeichnungen aufzeigt.  In dem Literaturverzeichnis finden Sie weitergehende Literatur für die Auswertung von Kinderzeichnungen.

Autor Bereich Interpretation
Blank-Mathieu (2009) Kinderzeichnungen unter entwicklungspsychologischen und persönlichen Fragestellungen
Mittelpunkt
Menschen und Dinge, die den mittleren Bildraum einnehmen, haben eine große Bedeutung für das  Kind. Dagegen werden unwichtige  Dinge klein an den Rand gemalt.
  Größenverhältnisse Unabhängig von den Größenverhältnissen in der Realität malen Kinder Dinge und Menschen, die für sie wichtig sind groß und Unwichtiges klein.
  Schattierungen Malen Kinder Gegenstände oder Menschen schwarz aus, möchten sie damit ausdrücken, dass mit den Gegenständen etwas nicht in Ordnung ist. Allerdings kann es auch sein, dass die Kinder lediglich einen Farbigen malen  oder ihm einen dunkelblauen Pullover anziehen möchten.
Gernhardt (2012) Kindliches Zeichnen im kulturellen KontextGrößenunterschiede Kinder, die in westlichen Kulturkreisen aufwachsen, zeichnen Dinge und Menschen von unterschiedlicher Größe. Kinder aus Kamerun oder türkisch ländlich lebenden Familien malen alle Familienmitglieder etwa gleich groß, da in der Familie eher die Gemeinschaft im Vordergrund steht.
  Gesichtsdetails Kinder aus westlichen Kulturkreisen malen das Gesicht meist aus,  während  in anderen Kulturkreisen die Ausgestaltung des Körpers im Vordergrund steht. Fehlen im Gesicht Details, deutet das in manchen Kulturkreisen  auf ein Zeichen von Respekt hin, wenn älteren Menschen nicht in ihr Gesicht geschaut wird. Des Weiteren werden in manchen Kulturen eher die Gefühle kontrolliert statt zur Schau gestellt.

Ferner ist für die Beurteilung von Kinderzeichnungen die Auseinandersetzung mit den entwicklungsbedingten Reifungsprozessen, welche die Darstellung von Menschen, Tieren und Gegenständen beeinflussen, unabdingbar (vgl. Blank-Mathieu 2009, S. 2).

Im folgenden Abschnitt sehen Sie eine Tabelle, welche Auskunft über die einzelnen Malentwicklungsstufen nach Piaget (1992) gibt und bei der Interpretation von Kinderzeichnungen berücksichtig werden sollte.

 

 

Alter Zeichnung Kognition
0-1 Reflexreaktionauf visuelle Stimuli. Stift wird an den Mund geführt. Kind zeichnet nicht. Sensorisch-motorische Phase:Kind handelt reflexhaft. Denkt motorisch. Bewegung wird mit der Errichtung kortikaler Kontrolle allmählich zielgerichtet
1-2 Im Alter von 13 Monaten erstes Kritzeln: Zick-Zack Linie. Kind beoabachtet die Markierungen der auf der Oberfläche zurückgelassenen Bewegung. Kinästhetische Zeichnung.
2-4 Kreise werden vorherrschend, dann einzeln gezeichnet. In einem zufällig gezeichneten Kreis sieht das Kind einen Gegenstand. Das erste graphische Symbol wird gewöhnlich im Alter von drei bis vier Jahren gekennzeichnet. Das Kind beginnt symbolisch zu denken. Sprache und andere Formen symbolischer Kommunikation spielen eine wichtige Rolle. Die Sicht des Kindes ist stark egozentrisch So-tun-als-ob-Spiele
4-7 Intellektueller RealismusZeichnet ein inneres Modell, nicht was tatsächlich gesehen wird. Zeichnet Teile, von denen es weiß, dass sie da sind. Zeigt Menschen durch Schiffsrümpfe hindurch. Transparenzen, Expressionistisch, Subjektiv. Präoperationale Phase(intuitive Phase)Egozentrisch. Sieht die Welt subjektiv. Lebhaftes Vorstellungsvermögen, Phantasie, Neugier, Kreativität. Konzentriert sich auf jeweils nur ein Merkmal. Arbeitet intuitiv, nicht logisch.
7-12 Visueller RealismusSubjektivität nimmt ab. Zeichnet, was tatsächlich da ist. Keine Röntgen-Technik (Transparenzen) mehr. Menschliche Figuren sind realistischer, proportionierter. Realistischere Farben. Unterscheidet rechter von linker Seite der gezeichneten Figur. Phase konkreter OperationenDenkt logisch. Nicht mehr von unmittelbaren Wahrnehmungen beherrscht. Konzept der Umkehrbarkeit: Gleiche Dinge bleiben gleich, auch wenn sich ihre Erscheinung verändert haben mag.

Die Entwicklung des Zeichnens bezogen auf die kognitiven Entwicklungsphasen nach Piaget (aus: Di Leo, Joseph: Die Deutung der Kinderzeichnung, 1992, S. 43)

 

Literatur

 Blank-Mathieu, M. (2009).  Was eine Kinderzeichnung verrät. Aus: Handbuch für ErzieherInnen. Mit freundliche Genehmigung des mvg-Verlages. Landsberg am Lech. (online). URL:htto//www.kindergartenpaedagogik.de/425.html.

Di Leo, J.(1992). Die Deutung von Kinderzeichnungen, Gerardi-Verlag: Karlsruhe.

Gernhardt, A. (2012).  Kinderzeich(n)en. Kindliches Zeichnen im kulturellen Kontext. Osnabrück: Eigenverlag (nifbeThemenheft: Nr. 10).

 Krüger, H.H. (2012).  Freie Texte als Quelle der Kindheitsforschung. In: Heinzel, F. (Hrsg.). Methoden der Kindheitsforschung – Ein Überblick über Forschungszugänge zur kindlichen Perspektive. (S.154.170). Weinheim und Basel: Juventa.

 Reiß, W. (1996). Die Kinderzeichnung. Wege zum Kind durch seine Zeichnung. Neuwied, Kriftel und Berlin

 Reiß, W. (2000).  Zur Produktion und Analyse von Kinderzeichnungen. In: Heinzel, F. (Hrsg.). Methoden der Kindheitsforschung –  Ein Überblick über Forschungszugänge zur kindlichen Perspektive. (S. 231-244).Weinheim und Basel: Juventa

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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