Lesen und exzerpieren empirischer Forschungsliteratur

Christiane Golombek

Bereits in der Planungsphase sollten Sie sich in die Ihrem Forschungsthema zugrunde liegenden Theorien und Konzepte einarbeiten. Viele davon wurden bereits in der Empirie angewandt und sollten bei der Planung des eigenen Vorgehens berücksichtigt werden. Somit ist es wichtig, sich mit themenspezifischer und aktueller Forschungsliteratur auseinander zu setzen.

Empirische Forschungstexte sind meist nach einem ähnlichen Schema aufgebaut (vgl. DGPs, 2007). Zunächst wird in einer Einleitung (Introduction) die Problemstellung skizziert und der theoretische Hintergrund sowie der gegenwärtige Forschungsstand erläutert. Danach werden häufig die Methoden (Methods) dargestellt und anschließend die Ergebnisse(Results) der Forschung präsentiert. Abschließend werden diese Ergebnisse mit Rückbezug auf Theorie und Methodik sowie auf Implikationen und Grenzen hin diskutiert (and Discussion). Dieses Schema wird auch IMRAD- Schema genannt (Sollaci & Pereira, 2004). Wenn Ihnen dieser spezielle Aufbau bei Texten bekannt ist, ermöglicht dies eine strukturierte Herangehensweise beim Lesen und erleichtert somit das Herausgreifen von wichtigen Informationen.

Die folgende Lesemethode orientiert sich an diesem Schema und zielt darauf ab, systematisches Lesen und Aufbereiten von Studien zu üben, wodurch Forschungsergebnisse gesichtet und gesichert werden können. Darüber hinaus ermöglicht sie eine kritische Auseinandersetzung. Für die Methode benötigen Sie den Forschungstext in gedruckter Form sowie Stift und Papier.

Gehen Sie folgendermaßen vor und beachten Sie, dass es sich bei den angegebenen Zeiten um einen groben Rahmen handelt, der Ihnen dabei helfen soll, sich selbst beim Lesen kennenzulernen.

  1. Überfliegen Sie den ausgewählten Forschungstext, ohne ihn mit Markierungen und Randbemerkungen zu versehen.

 Zeitrahmen: 10 – 15 Minuten.

  1. Lesen Sie den Text nun abschnittsweise erneut und fertigen Sie zu allen vier Abschnitten Notizen an. Die folgenden Fragen können Ihnen dabei als Leitfragen dienen:

Introduction: 

Welche Frage soll durch die Studie beantwortet werden?

Welche Hypothese soll getestet werden?

Warum wurde die Studie durchgeführt bzw. was war das Ziel der Studie?

Welche Theorien, Annahmen, Konzepte liegen der Studie zugrunde?

 @ Schreiben Sie die Frage/Hypothese als vollständigen Satz auf!

Method: 

Was wurde gemacht, um die Frage zu beantworten?

Welche Methoden/welches Material wurde eingesetzt?

Wer/was wurde untersucht?

Results: 

Welche zentrale Antwort/Erkenntnis wurde gefunden?

Durch welche (Teil-)Ergebnisse wird diese gestützt?

@ Schreiben Sie auch hier die zentrale Antwort/Erkenntnis als vollständigen Satz auf!

and Discussion.:

Was bedeuten die Ergebnisse/Antworten/Erkenntnisse der Studie?

Was belegen die Ergebnisse? Wo widersprechen sie anderen Theorien?

Welchen Ausblick geben die Forscher, wo sehen sie Grenzen?

Zeitrahmen: 30 – 45 Minuten.

  1. Verfassen Sie nun einen kurzen Bericht über die Studie! Legen Sie hierfür den Forschungstext beiseite und nutzen Sie lediglich die angefertigten Notizen.
  • Beginnen Sie damit, Ziele und Erkenntnisse der Studie darzustellen.

Tipp zur schnellen Einschätzung:

Passen Frage und Antwort, die Sie in Schritt 2 als vollständige Sätze notiert haben, zueinander?

  • Beschreiben Sie anschließend, wer, was, wie im Rahmen der Studie gemacht hat, um das Ziel der Studie zu erreichen.
  • Bewerten Sie, wie aussagekräftig die (Teil-)Ergebnisse sind, auf denen die Erkenntnisse/Antworten der Studie basieren.
  • Erläutern Sie, wie die Erkenntnisse vor dem Hintergrund Ihres Forschungsberichtes einzuordnen und zu bewerten sind.
  • Überlegen Sie abschließend, was Sie an der Studie kritisch sehen und welche offenen Fragen es noch gibt.

Zeitrahmen: 20 – 30 Minuten.

Sie haben nun – aus einer Vielzahl von Lesemethoden –  eine sehr strukturierte Vorgehensweise kennengelernt. Bedenken Sie jedoch, dass Lesen etwas sehr individuelles ist! Aus diesem Grund ist es sinnvoll, abschließend ein Resümee zu ziehen und sich selbst zu fragen: „Was hat es mir gebracht, den Text auf diese Weise zu lesen? Wie viel Zeit habe ich tatsächlich benötigt? An welchen Stellen brauche ich mehr Zeit zum Lesen? Welche Schritte möchte ich (auch beim Lesen anderer Texte) beibehalten?“. Durch das aktive Lesen und die anschließende Reflexion können Sie sich und Ihre Stärken beim Lesen kennenlernen und erweitern (Kruse, 2010). Weitere Lesemethoden und Tipps finden Sie beispielsweise auch bei Lange (2013).

Literatur:

DGPs (2007). Richtlinien zur Manuskriptgestaltung (3., überarb. und erw. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.

Kruse, O. (2010). Lesen und Schreiben. Stuttgart: UTB.

Lange, U. (2013). Fachtexte lesen, verstehen, wiedergeben. Stuttgart: UTB.

Sollaci, L.B. & Pereira, M.G. (2004). The introduction, methods, results, and discussion (IMRAD) structure: a fifty-year survey. Journal of the Medical Library Association, 92 (3), 364-371.