Zur Bedeutung der Kyniker für Gegenwart und Zukunft

Von Sokrates gingen verschiedene philosophische Strömungen aus, die bekannteste und einflussreichste begründete Platon. Zu den weniger bekannten „kleinen Sokratikern“ zählt die Gruppe der Kynikerinnen und Kyniker. Der Name leitet sich entweder vom griechischen Wort „kyon“ ab, was „Hund“ bedeutet, oder vom Gymnaseion Kynosarges, wo der erste Kyniker, Antisthenes von Athen (ca. 445-365 v. Chr.), sich mit seinen Schülerinnen und Schülern traf. Gegenwärtig wird hauptsächlich der Begriff des Zynischen mit den Kynikern assoziiert; kaum wahrgenommen wird hingegen das Potenzial der kynischen Philosophie für die Gegenwart und die Zukunft. 

Die sich zuspitzende Klimakrise zeigt, dass zivilisatorische Annehmlichkeiten nicht nur auf ungerechte Weise errungen und verteilt werden, sondern es erweisen sich auch vermeintliche Güter als Übel. Deshalb ist die kynische radikale Zivilisationskritik wichtig: Die Kyniker lehnten alle zivilisatorischen Errungenschaften, Werte, Normen, Güter und Institutionen ab und ließen nur moralische Normen im strengen sokratischen Sinne gelten. „Sittlichkeit genügt vollkommen zum Glück“ (DL, 6, 11), ist der zentrale kynische Grundsatz. 

„Mein Vermögen ist nicht mein Eigentum. Verwandte, Hausgenossen, Freunde, Ansehen, gewohnte Örtlichkeiten, Beschäftigung: all das sind fremde Dinge“ (Epiktet, dissert. 3, 24, 67). Hipparchia von Maroneia (geb. um 340 v. Chr.) und Krates von Theben (ca. 365-285 v. Chr.) gaben den Reichtum, in den sie jeweils geboren worden waren, auf, um Kyniker zu werden, und sie feierten ihre Hochzeit, nackt, mitten am Tag auf dem Marktplatz in Athen, ohne Geschenke, ohne Gäste, ohne Festmahl, nur auf die Hochzeitsnacht reduziert. Die Kunde von dieser Aktion ging natürlich viral. Mehr als 300 Jahre später, in Rom, waren Hipparchia und Krates noch so bekannt, dass man sie als Wandgemälde verewigte.

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Hipparchia#/media/Datei:Crates_and_Hipparchia_Villa_Farnesina.jpg

„Was ist nun dein? – Der Gebrauch meiner Gedanken. Diesen habe ich […] ungehindert und ungezwungen. Niemand kann mich davon abhalten, niemand mich nötigen, sie anders zu gebrauchen, als ich will“ (Epiktet, dissert. 3, 24, 67).

Die Ansicht, dass Nationalstaaten „Auslaufmodelle“ seien, findet heute zunehmend Zustimmung. Den Kynikern zufolge sind Staaten, Grenzen und allein die Vorstellung, dass ein Mensch über einen anderen Menschen herrscht, generell abzulehnen. „Die einzig richtige Staatsordnung ist die Weltordnung“ (DL 6, 72). 

Was wir uns gegenwärtig durch Quotierungen oder Gleichstellungsprogramme mühsam abzuringen versuchen, war für die Kyniker selbstverständlich. „Die Sittlichkeit des Mannes und der Frau ist dieselbe“ (DL 6, 12), Kindern gebührt derselbe Respekt wie Erwachsenen, jegliche Klassenunterschiede sind falsch. Diogenes von Sinope (ca. 413-323 v. Chr.) bat nicht nur Alexander, den Großen, darum, er möge ihm aus der Sonne gehen (DL 6, 38), sondern er war auch ein bei Kindern wie Eltern beliebter Erzieher (vgl. DL 6, 31-32) und erkannte Kinder als Lehrer an (vgl. DL 6, 37). Wie allen Menschen und auch den Tieren, die den Menschen Vorbilder in der naturgemäßen Lebensweise sind, gebührt der Gesamtheit des Seienden den Kynikern zufolge unterschiedslos Respekt, „[a]lles ist voll von Gott“ (DL 6, 37). 

Literatur:

Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen. Ungekürzte Sonderausgabe, übersetzt und erläutert von Otto Apelt, unter Mitarbeit von Hans Günter Zekl und mit einem Vorwort versehen von Klaus Reich, Hamburg, 1998. 

Epiktet: Dissertationes. Das Buch vom Geglückten Leben, übersetzt von Karl Conz, überarbeitet von Kai Kilian, Köln, 2006.

Dr. Daniela Zumpf ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Didaktik der Philosophie an der Universität Paderborn und zuständig für das Praxissemester im Fach Philosophie.

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