Erinnern Sie sich noch an Udo Jürgens? Eines der bedeutendsten Lieder des großen Entertainers war „Ich war noch niemals in New York“. Frank Sinatra singt ebenfalls über die Stadt, die niemals schläft: „New York, New York“. Das sind nur zwei Beispiele, aber sicher ist: Die Weltstadt an der Ostküste der USA ist der Sehnsuchtsort der internationalen Popmusik. Zugleich bleiben Orte der Sehnsucht aber immer etwas ganz Persönliches – sei es wie bei uns São Luís (Brasilien) oder Santa Cruz de Tenerife (Spanien).
Auch die Heiligen Schriften von Judentum und Christentum kennen den einen großen irdischen Sehnsuchtsort, der seit dem vergangenen Jahr sogar auch in der Popmusik hohe Popularität erlangte und durch den international gehypten Song „Jerusalema“ zu weltweiten Dance-Challenges anregte. Alt oder jung, Arzt oder Nonne, Lehrer oder Schülerin: Alle wollten ein Teil der vielfältigen interkulturellen und interreligiösen Gemeinschaft sein. Jerusalem erscheint als endzeitliche Sehnsucht, als ein Ort des Heils und der Hoffnung.
In der Bibel kommt Jerusalem über 900 Mal vor. Bereits Jesaja, der erste große Schriftprophet des Tanach, befasst sich mit dieser Stadt. Bei ihm heißt es: „O Jerusalem, ich habe Wächter über deine Mauern bestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen sollen. Die ihr den Herrn erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen“ (Jes 62,6a). Und später: „Gehet ein, gehet ein durch die Tore! Bereitet dem Volk den Weg! Machet Bahn, machet Bahn, räumt die Steine weg! Richtet ein Zeichen auf für die Völker!“ (Jes 62,10).
Die Realität sieht leider anders aus. Es werden keine Steine aus dem Weg geräumt, stattdessen ist eine Betonmauer quer durch die Stadt gezogen. Nirgendwo sonst liegen die heiligen Stätten der drei großen Religionen so nah beieinander, doch der politische Status ist umstritten, der Nahostkonflikt tobt vor allem auch um Jerusalem. Ausgerechnet eine Teilung könnte zur Lösung des Konfliktes beitragen, so wie die Resolution der Vereinten Nationen von 1947 es ursprünglich vorgesehen hatte. Und so war es internationaler Konsens, dass der politische Status der Stadt in einem Friedensabkommen mit den Palästinensern festgelegt werden soll.
Die Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt entgegen aller internationalen Warnungen durch den mittlerweile abgewählten US-Präsidenten Donald Trump und der Umzug der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem haben einen positiven Ausgang des Friedensprozesses in noch weitere Ferne rücken lassen. Trumps Schritt war die Einlösung eines teuren Wahlversprechens an eine seiner wichtigsten Wählergruppen, die evangelikalen und wiedergeborenen Christen in den USA. Sie nennen seinen Beschluss eine „biblische Wahrheit“, schließlich brauchen sie das eine, ungeteilte Jerusalem zur Erfüllung ihres apokalyptischen Fahrplans. Diese biblizistische Auslegung der Johannes-Offenbarung hat jedoch nicht nur schlimme Folgen für die in Jerusalem lebenden Muslime: Auch die Juden bleiben in der Endzeitvorstellung der religiösen Hardliner unerlöst, wenn sie sich nicht zum Christentum bekehren lassen – was proisraelisch scheint, ist in Wahrheit antijudaistisch.
Dabei wären alle Beteiligten gut beraten, noch einmal in das Buch Jesaja zu schauen. In Kapitel 56 heißt es im siebten Vers über Jerusalem: „Mein Haus wird ein Bethaus heißen für alle Völker“. Udo Jürgens glaubte an New York als die Stadt, in der man „richtig frei“ sein kann. Die Hoffnung ist, dass dies auch in Jerusalem gelten kann, für Juden, Christen und Muslime. Sollte das in dieser umkämpften Stadt gelingen, wäre es ein bedeutsames Signal für den Frieden auf der Welt, oder mit Frank Sinatra gesprochen: „If I can make it there, I’ll make it anywhere.“ Nicht von ungefähr ist bis heute eine Deutung des Stadtnamens Jerusalem besonders populär: Ir Shalom, Stadt des Friedens.
Stephanie Lerke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Evangelische Theologie der Technischen Universität Dortmund und Lehrbeauftragte am Institut für Evangelische Theologie der Universität Paderborn, Jan Christian Pinsch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Evangelische Theologie der Universität Paderborn.
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