Google hat Safiye Ali nicht vergessen

Als ich am 02. Februar wieder einmal auf Google gehe, weil meine Bäume pflanzende Suchmaschine mir mit ihren Ergebnissen nicht weiterhelfen kann, sehe ich dort ein Doodle: In der Mitte eine Frau in einem Kittel, rechts und links von ihr medizinische Geräte. Google erinnert wohl an eine Ärztin, denke ich und widme mich meiner Recherche. Später, vor dem Herunterfahren des Rechners entdecke ich in der Online-Ausgabe meiner Tageszeitung eine Überschrift, die lautet, dass Google der ersten türkischen Ärztin zu ihrem 127. Geburtstag gedenkt; sie wurde im Jahre 1952 in Dortmund, meinem Wohnort, beigesetzt. Meine Neugierde ist nun entfacht: Wer war diese Frau und was hat sie in Dortmund gemacht? Auch noch in einer Zeit, in der noch gar keine Muslim*innen in Deutschland lebten und noch mindestens ein Jahrzehnt vergehen würde, bis die ersten Gastarbeiter aus der Türkei ins Ruhrgebiet kommen. Nun gebe ich in Google „Safiye Ali“ als Suchbegriff ein. Ich trage für mich die Ergebnisse zusammen: Safiye Ali, geboren am 02. Februar 1894 in Istanbul, war die erste türkische Ärztin. Ihrem Wunsch, Medizin zu studieren, konnte sie im damaligen Osmanischen Reich nicht nachgehen, weil damals trotz des großen Bedarfs an Ärztinnen das Studium nur Männern vorbehalten war. Erst eine Gesetzesänderung öffnete ihr und einigen wenigen jungen Frauen den Weg ins Studium im Ausland. Safiye Ali kam während des ersten Weltkrieges nach Würzburg, lernte schnell Deutsch und beendete ihr Studium mit Auszeichnung. Sie spezialisierte sich auf die Gynäkologie, heiratete ihren Kommilitonen Ferdinand Krekeler und ging 1923 mit ihm zusammen nach Istanbul zurück. In diesem Jahr wurde die moderne türkische Republik gegründet. Safiye Ali Krekeler eröffnete die erste gynäkologische Praxis der Türkei, die von einer Frau geführt wurde. Später wurde sie zur ersten Dozentin an einer medizinischen Fakultät, die Studierende, mittlerweile auch Frauen, ausbildete. Sie spezialisierte sich auf die Mutter-Kind-Gesundheit und schrieb wissenschaftliche Abhandlungen über die Bedeutung des Stillens. Als Frauenrechtlerin gründete sie sogar eine Partei für Frauen, die aufgrund der fehlenden Zulassung in eine Frauenorganisation umgewandelt wurde. Auch wenn die politische Führung der jungen türkischen Republik die Bildungschancen von Frauen stark förderte und gebildete Frauen als Vorbilder idealisierte und stilisierte, blieb ihr die gesellschaftliche Anerkennung verwehrt: Die meisten der Patientinnen von Dr. Ali gehörten der Unterschicht an. Frauen aus gehobeneren Schichten unterstellten ihr allein aufgrund des Geschlechts fachliche Inkompetenz und bevorzugten männliche Ärzte. Auch von männlichen Kollegen wurde ihr der Erfolg nicht gegönnt, sodass sie immer wieder Anfeindungen ausgesetzt war.
1928 kamen sie und ihr Mann zurück nach Deutschland, genauer nach Dortmund, wo sie bis zu ihrem Tod eine eigene Praxis führte. An Krebs erkrankt, starb sie 1952 und wurde auf dem Hauptfriedhof in Dortmund beigesetzt. 
Ich bin beeindruckt von Frau Ali: Eine großartige Feministin, die ihrer Zeit in so vielen Punkten voraus war: Gesetze ihres Landes konnten sie nicht davon abhalten, ihren Traumberuf auszuüben – auch wenn sie sogar eine neue Sprache im ihr kulturell und religiös fremden deutschen Kaiserreich lernen musste. Anscheinend waren weder Religion noch die Herkunft ihres Partners ein Hinderungsgrund für die Ehe. Ihr Mann Ferdinand scheint, was Rollenbilder anbelangt, auch seiner Zeit voraus gewesen zu sein, wenn er aus Liebe seine Karriere an der Universität aufgibt, nach Istanbul geht und eine Praxis unter dem Namen Ferdi Ali, seinem abgekürzten Vornamen und dem Nachnamen seiner Frau führte. Frau Ali und ihr Mann sind nicht nur ein bikulturelles Paar, sie sind auch Symbole für die historische Freundschaft und Verbundenheit der Türk*innen und Deutschen.
In der Zwischenzeit hat der Dortmunder Ratsherr Emre Gülec ihre Grabstelle ausfindig gemacht und Gespräche mit der Stadt Dortmund aufgenommen, um an dieser Stelle einen Gedenkstein anbringen zu lassen. 
In dieser Woche, in der am 8. März der Internationale Weltfrauentag begangen wird, kann die Geschichte von Safiye Ali jungen Frauen Mut machen, sich trotz Widerständen von ihrem Streben nach mehr Autonomie und Selbstbestimmung nicht abhalten zu lassen, ihren eigenen Weg zu gehen. 

Dr. Naciye Kamcili-Yildiz ist Mitarbeiterin am Seminar für Islamische Theologie der Universtität Paderborn.

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