Der Religionsunterricht hat laut Lehrplan die Aufgabe die religiöse Dialog- und Urteilsfähigkeit zu entwickeln und zu fördern. Damit einher geht auch, dass die Schüler*innen lernen sollen, ihren Glauben zu reflektieren. Dies ist ein Lernprozess, der von den Lehrkräften aktiv mitgestaltet werden muss. Wer wird aber heute noch Religionslehrer*in? Aufgrund der Säkularisierung und dem Missbrauchsskandal sinken die Zahlen der Studierenden für das Fach Katholische Religionslehre dramatisch. Man entscheidet sich für dieses Fach nicht mehr, weil es „leicht“ ist. Wer dieses Studium wählt, bringt eine gewisse Passion mit und trifft ganz bewusst eine Entscheidung dafür. Wer aber sind diese Studierende, die trotz aller Unruhe Katholische Religionslehre studieren?
Im Rahmen meines Seminars an der Uni habe ich den Theologiestudierenden mehrere soziologische Fragen gestellt: Kommen Sie vom Land oder aus der Stadt? Haben Sie Geschwister? Sind Sie in einem behüteten Elternhaus aufgewachsen? Haben Sie ein Ehrenamt ausgeführt? Sind Sie als Kind regelmäßig in die Kirche gegangen? Meine Fragen zielten eindeutig darauf hin, dass der Großteil der Studierenden dem Milieu der Konservativ-Bürgerlichen zugeordnet werden kann und das Ergebnis ließ kaum Zweifel offen: Über 80% der Studierenden kamen vom Land, waren in der Kindheit regelmäßig in der Kirche und hatten ein behütetes Elternhaus. Sogar 100% der Studierenden haben Geschwister und fast 70% führten ein Ehrenamt aus. Das Theologiestudium scheint somit eine ganz gewisse Klientel anzusprechen. Wenn man die Sinus-Milieu-Studie hinzuzieht, würde bei diesen Studierenden vom konservativ-bürgerlichen Milieu gesprochen werden. Dies beeinflusst auch die Religionspädagogik und den Religionsunterricht in nicht unerheblichem Maße, da viele Schüler*innen den Anschluss an die Religionen verloren zu haben scheinen. Die (angehenden) Religionslehrkräfte und auch die Religionspädagog*innen müssen dies vor Augen haben. Gerade wenn sie aus dem konservativ-bürgerlichen Milieu kommen, müssen sie immer wieder auf die Bedürfnisse der Schüler*innen eingehen, die sich größtenteils nicht mehr mit den klassischen religiösen Weltbildern identifizieren können oder zum Beispiel aus prekären Verhältnissen kommen. Herausfordernd ist das für die Lehrkräfte insbesondere auch, da Schulbücher ebenfalls oft noch klare konservativ-bürgerliche Rollenbilder vertreten und somit Schüler*innen aus anderen Milieus gar nicht abgeholt werden. Wenn im Religionsunterricht beispielsweise die Familie als Thema behandelt wird, müssen sich die Religionslehrkräfte bewusst sein, dass ein Großteil der Schülerschaft eben nicht aus einer ländlichen Familie mit mehreren Kindern mit regelmäßigen Kirchbesuchen kommt. Vielmehr muss der Religionsunterricht so konzipiert werden, dass gerade auch die Schüler*innen, die noch keine oder kaum Erfahrungen mit Religion gemacht haben, Zugang zu den religiösen Themen finden und sprachfähig in der Religion gemacht werden. Dies ist ein komplexer Prozess, der die eigene Reflexion des Handelns als Lehrkraft immer wieder erfordert und daher so herausfordernd ist.
Julian Heise ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich für Religionspädagogik unter besonderer Berücksichtigung von Inklusion an der Universität Paderborn.
#Schule #Religionsunterricht #Milieu #Religion #Reflexion