Ich befinde mich auf dem Rückweg meines Wanderurlaubes aus Österreich, lasse die Gedanken schweifen und meine Erlebnisse, Erfahrungen sowie zugegebenermaßen Anstrengungen gedanklich Revue passieren. Der durchaus vorhandene Muskelkater und die Druckstellen der Wanderschuhe lassen mich an verschwitzte und mühsame Aufstiege denken, was mich zu der Frage kommen lässt: Warum mache ich das überhaupt? „Der Weg ist das Ziel.“ Aber warum habe ich es mir dann zum Ziel gemacht, bergauf zu gehen, obwohl ich zeitgleich auch einfach in der Sauna schwitzen und entspannen könnte, mit der Verlockung eines kalten Eisbades? Trotz der Anstrengung ist es ein Leichtes für mich, diese Frage zu beantworten. In Gedanken bin ich wieder am Berg, ich atme die frische Luft ein, lasse meinen Blick über die gletscherbedeckten Gipfel schweifen, ich höre den Flügelschlag und Ruf eines Greifvogels, wo mir definitiv das ornithologische Knowhow fehlt, um ihn genauer zu bestimmen. Die Sonne küsst mein Gesicht, ich schließe kurz die Augen, in weiter Ferne höre ich das Leuten der Glocken von Bergziegen und den Pfiff eines Murmeltieres. Begleitet vom Rauschen eines Baches und vom Wind, der sich den Weg durch Sträucher bahnt, öffne ich wieder meine Augen und mir erschließt sich dieses einzigartige Naturschauspiel des österreichischen Bergpanoramas. Um mich herum sind so viele Eindrücke und Geräusche, aber in meinem Inneren spüre ich eine angenehme Stille. Diese pure Gelassenheit und Ausgeglichenheit spüre ich nur hier in der Natur. Nicht der Gipfel, das Holunderwasser oder der Kaiserschmarren auf der Berghütte sind die Belohnung für meine strapazierten Beine, sondern das Innehalten, das Unterwegssein, das Hineingeschaffensein in dieses wunderbare, einzigartige und majestätische Naturschauspiel. Mich durchfährt ein Gefühl der Dankbarkeit, nicht nur dafür, diese großartigen Aussichten und Naturspektakel erleben zu dürfen, sondern dafür, inmitten dieser Natur und dem Himmel so nah meinen inneren Frieden finden zu können. Dieses spirituelle Ergriffensein durch den Berg ist weder ein Phänomen, was mich allein betrifft, noch eine Erfindung durch die Influencer-Bubble, die nur nach dem perfekten Fotopoint zu streben scheint. Vielmehr scheint das göttliche und spirituelle Potential des Berges die Menschheit seit jeher zu beschäftigen, wodurch der Berg einen bedeutenden und zentralen Platz in vielen Religionen und Kulturen einnimmt. Unabhängig davon, ob man die Bergpredigt Jesu, den Olymp als griechischen Göttersitz, den Berg Sinai, den Berg Kailash in Tibet als Zuhause Shivas, den Vulkan Fuji in Japan oder die tiefe Bedeutung der Berge, wie z.B. der Uluru in Australien, für indigene Völker heranführt, überall ist die spirituelle Kraft des Berges gegenwärtig. Ich denke an die vielen Kapellen und Gipfelkreuze, denen ich auf meinen Wanderungen begegne und die zum Innehalten, Nachspüren und Entfliehen aus dem Alltag einladen. Besonders in diesen Momenten fühlen sich meine Beine wieder leicht an, die Anstrengung ist vergessen und beflügelt durch die Natur lasse ich mich ein auf neue Abenteuer in der unendlichen Weite der Berge. Schließen möchte ich daher mit einem Plädoyer, die Natur und Berge als Orte zu verstehen, an denen wir als Gäste teilhaben dürfen – nicht als Eroberer/Eroberinnen von Berggipfeln, sondern vielmehr als demütige Geschöpfe, die von der Natur, eingeladen ihre Schönheit bewusst wahrnehmen zu dürfen, geduldet werden.

Jonas Maximilian Hüster ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Katholische Theologie im Bereich Religionsdidaktik an der Universität Paderborn.