Wer lehren will, muss lernen – und sich selbst aushalten

Wer lehrt, tritt nicht nur vor eine Gruppe von Lernenden, er oder sie tritt auch immer ein Stück weit vor sich selbst. In der islamischen Religionspädagogik, deren Selbstverständnis tief im Dialog zwischen Tradition, Gegenwart und biografischer Verwobenheit wurzelt, ist diese Erkenntnis nicht neu. Und doch bleibt sie herausfordernd. Denn die Frage nach dem eigenen Rollenverständnis stellt sich nicht nur einmal, zu Beginn der akademischen Laufbahn, sondern immer wieder, zwischen den Zeilen einer Seminarsitzung oder in einer konstruktiven Diskussion mit kritischen Studierenden.

So stellt sich weniger die Frage, ob reflektiert wird, sondern wie bewusst und wie dauerhaft dies geschieht. Die Professionalisierung von Lehrpersonen, gerade im Fachbereich Religion, ist auf eine fortlaufende Selbstklärung angewiesen. Reflexion, das zeigen uns kompetenzorientierte Modelle religionspädagogischer Lehrer*innenbildung, ist nicht Beiwerk, sondern Herzstück professionellen Handelns. Die Lehrperson wird nicht (nur) als Wissensvermittelnde gedacht, sondern als reflektierende, dialogoffene, zugleich selbstverortete und stets lernende Persönlichkeit.

In dieser Rolle zu stehen, bedeutet auch, sich in Spannungen auszuhalten: zwischen Nähe und Distanz, zwischen dem Anspruch theologischer Tiefe und der Notwendigkeit didaktischer Zugänglichkeit, zwischen fachlicher Autorität und persönlicher Lernbereitschaft. In diesen Spannungen entstehen Reibungsflächen. Und wie es eine erfahrene Kollegin einmal formulierte: „Reibung ist gut. Wo Reibung entsteht, gibt es neue Energien.“

Solche Momente sind nicht angenehm, aber fruchtbar. In ihnen bildet sich das berufliche Selbstverständnis aus. Was lief gut? Was ist zu überdenken? Und: Was sagt diese Situation über mein theologisches wie pädagogisches Profil aus? Solche Fragen markieren einen Denkprozess, der die Fachpersonalisierung mit der Persönlichkeitsentwicklung verbindet. Ein zentrales Anliegen der Religionspädagogik.

Die Haltung, sich stets auch als Lernende zu begreifen, ist dabei nicht allein pädagogisch motiviert, sie ist zutiefst islamtheologisch verankert. Der Status des Lernens und Lehrens ist eng verknüpft mit dem Ethos der Amāna. Jenem anvertrauten Gut, das mit jedem Erkenntnisgewinn auch eine sittliche Verpflichtung mit sich bringt. Wissen wird dabei nicht als Besitzstand verstanden, sondern als Gabe, die auch den Charakter formt. Lehren wird in diesem theologischen Horizont zu einem wechselseitigen Prozess, in dem sich das Subjekt stets auch selbst belehrt: durch die Begrenztheit des eigenen Wissens, durch die Rückfragen der Lernenden und durch die feinen Korrekturen, die das gemeinsame Ringen um Wahrheit ermöglicht. In diesem Sinn ist die Lehrperson nicht nur Übermittlende von Inhalten, sondern eine Existenz im ständigen Lernen vor Gott. Ein Dienst, der weder abgeschlossen noch autoritativ, sondern stets relational, vorläufig und gottesdienstlich zu begreifen ist. Was religionspädagogisch reflektiert wird, spiegelt sich auch in psychologischen Theorien des Lernens wider. So beschreibt das Konzept des Growth Mindset, geprägt von Carol Dweck, die Haltung, Fähigkeiten und Kompetenzen nicht als statisch, sondern als entwickelbar zu betrachten. Diese Denkweise findet sich in überraschender Nähe zur islamischen Vorstellung von lebenslangem Lernen, das in zahlreichen Hadithen als durchgehende spirituelle und ethische Pflicht beschrieben wird. Der Mensch wird dabei nicht als fertiges Wesen, sondern als kontinuierlich Suchender verstanden.

So lässt sich die eigene Rolle in der Lehre wohl nie endgültig bestimmen. Sie entsteht im Tun, verändert sich im Widerspruch, gewinnt Schärfe durch Erfahrung und bleibt zugleich offen. Der Weg zur professionellen Lehrer*innenidentität führt nicht zur Klarheit im Sinne von Eindeutigkeit, sondern zu einem Bewusstheit im Sinne von Transparenz gegenüber sich selbst.

Lehren heißt also auch immer lernen. Und wer lehren will, muss auch lernen, sich selbst auszuhalten – in der Spannung zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Überzeugung und Korrektur, zwischen Bild und Spiegel.

Schröder, K. (2007). Professionalisierung im Lehrerberuf: Kompetenzentwicklung zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Beltz.

Terhart, E. (2011). Lehrerprofessionalität: Was ist das? In E. Terhart, H. Bennewitz & M. Rothland (Hrsg.), Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf (S. 207–232). Waxmann.

Vgl. Al-Bukhari, Ṣaḥīḥ al-Bukhārī, Hadith Nr. 71; sowie die Sammlung von Imam al-Nawawi, Riyāḍ aṣ-Ṣāliḥīn, Kapitel „Wissenssuche“.

Dweck, C. S. (2006). Mindset: The New Psychology of Success. Random House