Sterben wollen – Leben müssen – Sterben dürfen?[1] – Gedanken zur Debatte um den assistierten Suizid

Wir nähern uns mit großen Schritten dem Feiertag und röm.-kath. Hochfest Allerheiligen (lat. Festum Omnium Sanctorum). Traditionell am 1. November begangen, verrät bereits der Name, worum es sich dabei handelt: Die katholische Kirche gedenkt an ihm aller Heiligen, also den bekannten wie auch unbekannten Personen, die ihren Glauben (im Verborgenen) gelebt, verteidigt und die die christliche Botschaft verkündet haben. Dazu gehören auch jene, die nicht offiziell in den Kreis der Heiligen aufgenommen wurden.[2] An Allerheiligen schließt jährlich am 2. November ein zweiter Totengedenktag an, das Fest zu Ehren aller Verstorbenen: Allerseelen. Beide Feste haben ihren Ursprung im Glauben bzw. der Überzeugung, dass durch Jesu Sterben und Auferstehung als Erstlingsgabe auch der eigene Tod nicht das Ende, sondern der Anfang des ewigen Lebens ist.[3]

In der Besinnung auf diese Tage, mit dem Gedenken an die bereits Verstorbenen rücken auch die nach wie vor tabuisierten Themen von Tod und Sterben in den Vordergrund. Gedanken um den eigenen Tod und das Sterben lassen Erinnerungen an die jüngeren und jüngsten Debatten im Deutschen Bundestag zu den Regelungen am Lebensende wach werden: Am 26. Februar 2020 sprach das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil zum Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid (BVerfGE 153, 182) mit sofortiger Wirkung jedem Menschen das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ohne Bedingungen zu. Zugleich wurde der Reformbedarf bekannt gegeben: „Der Staat sei verpflichtet, für die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Durchsetzung dieses Anspruchs zu sorgen.“[4] Dieses Jahr wurde im Bundestag darüber – teils heftig – debattiert und noch vor der Sommerpause dann zwei Vorschläge eingereicht, die am 6. Juli zur Abstimmung gestellt wurden. Die beiden Abgeordneten der SPD und CDU, Lars Castellucci und Ansgar Heveling, schlugen eine Regelung ähnlich dem Schwangerschaftsabbruch vor, nämlich Sterbehilfe grundsätzlich unter Strafe zu stellen und diese nur in Ausnahmefällen zu erlauben. Der zweite Vorschlag um die Grünen-Abgeordnete Renate Künast und die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr war liberaler: Sterbewilligen solle der Zugang zu tödlichen Medikamenten ermöglicht werden, nachdem sie eine (ergebnisoffene) Beratung durch eine anerkannte Beratungsstelle in Anspruch genommen haben. Letztlich sind beide Vorschläge im Bundestag gescheitert.

Dass auch drei Jahre nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch kein Gesetz zum assistierten Suizid verabschiedet worden ist, zeigt neben den Debatten im Bundestag an, wie kontrovers das Thema diskutiert wird und wie stark professionelle Haltung mit persönlicher Einstellung verknüpft ist. Im Kern geht es um eine Auseinandersetzung, in der das zugrunde liegende Menschenbild eine zentrale Rolle spielt: Verstehe ich (verkürzt und vereinfacht gesagt) den Menschen entsprechend dem Menschenbild der Moderne ausschließlich als autonomes Subjekt, das selbstbestimmt auch über seinen Tod verfügen kann, oder sehe ich ihn dem christlichen Verständnis entsprechend als Beziehungswesen – auch in seiner transzendenten Dimension. Mit letzterem verbindet sich ein Gottesbild, das Gott als Schöpfergott versteht (vgl. u.a. Gen 1; 2), der den Menschen als Imago Dei, als Bild Gottes, geschaffen hat (vgl. Gen 1,26f.) und für diesen sorgt (vgl. Gen 1,29). Haucht Gott dem Menschen in Gen 2,7 Lebensatem ein, so wird überdies der Geschenkcharakter des Lebens deutlich. Als Geschenk Gottes an den Menschen, zu dem Gott in Beziehung tritt, gilt es das Leben zu schützen und zu wahren.[5] Als Beziehungswesen ist der Mensch zudem angewiesen auf seine Mitmenschen (vgl. Gen 2,21-23).

Darin, den Mitmenschen mitzudenken, liegt eine Stärke dieses Menschenbildes in der Diskussion um den assistierten Suizid. Denn über die Frage der Selbsttötung hinaus liegt eine Problematik m.E. auch darin, diejenigen nicht zu vergessen, denen die Suizidassistenz zugemutet wird: Wie können Pflegekräfte und Angehörige damit in ihrem Leben zurechtkommen? Mascha Kaléko verdichtet in Memento[6]: Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang,/ Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind./ Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind? […] Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,/ Doch mit dem Tod der andern muß man leben. Und, so ist in diesem Sinne hinzuzufügen: mit dem Tod derer, denen ich Beihilfe geleistet habe.

Unter Berücksichtigung dessen wäre anzufragen, ob das Menschenbild der Moderne den Menschen nicht zu sehr darauf reduziert, ein autonomes Subjekt zu sein… So oder so tritt ein m.E. zentraler Aspekt in der Debatte noch zu wenig in den Fokus: die Suizid-Prävention. Im oben genannten Vorschlag von Künast und Helling-Plahr wird die ergebnisoffene Beratung vorgeschlagen, die jedoch erst an dem Punkt einsetzt, wenn ein Suizidvorhaben bereits (fix) besteht. Präventive Maßnahmen werden nicht in den Blick genommen; z.B. Sozialstationen mit ihren Hilfswerken ebenso zu stärken wie die zumeist auf Spenden angewiesenen Hospize und Hospizdienste, die palliativen Hilfen, die Trauerarbeit u.a., um stärker vorbeugend tätig werden zu können. Zu diesem Schluss kommt auch die Ärztekammer Hamburg, die „bei beiden Vorschlägen ausreichende Maßnahmen zur Suizid-Prävention [vermisst]. ‚Sowohl der restriktive Ansatz der Gruppe um die Abgeordneten Castellucci und Heveling als auch der offenere Vorschlag von Künast und Helling-Plahr äußern sich nur unzureichend zur Suizidprävention. Das ist umso schwerwiegender, wenn man bedenkt, dass die überwiegende Mehrzahl der Suizide hierzulande Folge einer psychischen Erkrankung, etwa einer Depression, sind. Flächendeckende und gut erreichbare Präventionsangebote müssten daher eigentlich vor einer Neuregelung der Sterbehilfe aufgebaut werden, mindestens aber parallel dazu.‘“[7]

[1] Titel und Thema der Veranstaltung des Instituts für Kirche und Gesellschaft an der Evangelischen Akademie Villigst am 20.-21. Oktober 2023.

[2] Art. Allerheiligen; verfügbar unter: https://www.vivat.de/magazin/jahreskreis/weitere-gedenk-und-feiertage/allerheiligen-bedeutung/ [Stand: 10.10.23].

[3] Art. Allerseelen; verfügbar unter: https://www.vivat.de/magazin/jahreskreis/weitere-gedenk-und-feiertage/allerseelen-bedeutung/ [Stand: 10.10.23].

[4] Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 828/21, Abs. 4; verfügbar unter: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/11/rk20211103_2bvr082821.html [Stand: 14.10.23].

[5] Dementsprechend positioniert sich der Fuldaer Bischof Michael Gerber: „Der assistierte Suizid ist für uns auf der Basis unseres Gottes- und Menschenbildes keine Option“, verfügbar unter: https://katholisch.de/artikel/45910-suizidbeihilfe-debatte-bischof-baetzing-fordert-neues-schutzkonzept [Stand: 10.10.23].

[6] Mascha Kaléko, Verse für Zeitgenossen, München 42017, 12.

[7] Bundesärztekammer, Assistierter Suizid: Prävention sollte im Vordergrund stehen (Hamburg, 6.7.23), verfügbar unter:

https://www.bundesaerztekammer.de/presse/aktuelles/detail/assistierter-suizid-praevention-sollte-im-vordergrund-stehen [Stand: 10.10.23].

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Dr. Saskia Breuer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Katholischen Institut der Universität Paderborn im Bereich Biblische Theologie.