Auszeit

Was ist eine Auszeit? Diese Frage stelle ich mir im universitären Kontext manchmal, z. B. wenn mich Abgabetermine für Aufsätze auch in Zeiten jenseits von Kernarbeitszeiten einer Fünftagewoche an den Computer treiben oder wenn Studierende sehr besorgt sind, weil sie per Email darum bitten, eine Frist für eine Hausarbeitsbegutachtung ausnahmsweise um wenige Tage nach hinten zu verschieben. Wann schalten wir Menschen im leistungsorientierten System Universität im wahrsten Sinne des Wortes ab? Gelingt es, dass Handy, Laptop, Tablet etc. ein Time Out haben und Lehrende, Forschende, Verwaltungskräfte und Studierende nicht erreichbar sind?

Dabei möchte ich nicht kulturpessimistisch verstanden werden, im Sinne von „Wo soll das nur alles noch hinführen?!“, auch wenn soziologisch die Entgrenzung von Arbeit und Freizeit mit teils negativen Folgen für Gesundheit und Wohlbefinden beobachtet werden kann und theologisch Fragen der Endlichkeit der menschlichen Leistungsfähigkeit und des Perfektionsdrucks diskutiert werden. Dass Universitäten Orte des Strebens nach Höchstleistungen sind, macht sie für mich besonders reizvoll. Die hohe Taktzahl an Aufgaben für alle Beteiligten führt vor Augen, was Individuen und Arbeits- und Studiengruppen zu leisten im Stande sind.

Gleichwohl bin ich überzeugt, dass es Auszeiten zum Atemholen und Innehalten braucht. Mit dieser Überzeugung, dass Ruhephasen ein existenzielles menschliches Bedürfnis sind, bin ich nicht alleine, sondern das ist theologisch common sense. Bereits im biblischen Schöpfungskontext wird der Schabbat als Ruhe- und Besinnungstag als göttliche Gabe eingeführt (vgl. Gen 2,2f.) und spätestens in den Zehn Geboten (Ex 20,8f.) wird die Heiligung des arbeitsfreien Tages für alle als religiöse Pflicht verankert. Nicht zuletzt steht auch der Text „Alles hat seine Zeit“ aus dem Buch Kohelet (Koh 3,1-11) für die Phasierung des Lebens. In der christlichen Theologie hat sich daraus ein Nachdenken über Zeit und Rhythmen entwickelt. Bieritz oder Fechtner als etablierte Stimmen des theologischen Zeitdiskurses prägten dabei u.a. die evangelische Perspektive auf zyklisch wiederkehrende religiöse Festzeiten als Auszeiten vom Alltag, vom Arbeiten.[1]

Nun sind die umgangssprachlichen „Semesterferien“ oder korrekter die vorlesungsfreie Zeit von Mitte Juli bis Anfang Oktober keine quasireligiöse Festzeit, geschweige denn eine andauernde arbeitsfreie Ruhepause.[2] Dennoch möchte ich mit theologischer Begründung dafür plädieren, dass Arbeits- und Ruhezeiten sich abwechseln dürfen – nicht nur, aber auch im universitären Kosmos – und wir bei aller Freude am wissenschaftlichen Arbeiten bewusst ausruhen, um Atem zu holen (im ganzheitlichen Sinne des griechischen pneuma) und sich zu besinnen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen während der vorlesungsfreien Zeit, im sogenannten Sommerloch immer wieder AUS-Zeiten für bereichernde Gedanken, Müßiggang, gute Lektüre und wohltuende Begegnungen, die anschließend wieder leistungsbereit werden lassen.


[1] Vgl. u.a. Bieritz, Karl-Heinrich (2014): Das Kirchenjahr. Feste, Gedenk- und Feiertage in Geschichte und Gegenwart. Neu bearbeitet und erweitert von Christian Albrecht. 9. Aufl. München: C.H.Beck. Ebenso: Fechtner, Kristian (2007): Im Rhythmus des Kirchenjahres. Vom Sinn der Feste und Zeiten. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Neuere Veröffentlichungen greifen das theologische Thema Auszeit nach wie vor auf, z. B. Grießer-Birnmeyer, Franziska Lisa (2020): Auszeit als heilsame Unterbrechung. Entwicklungslinien von Sonntag und Sabbatical und deren Gestaltung in der Spätmoderne aus praktisch-theologischer Perspektive. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt. Außerdem: Rahmsdorf, Olivia L. (2019): Zeit und Ethik im Johannesevangelium. Theoretische, methodische und exegetische Annäherungen an die Gunst der Stunde. Tübingen: Mohr Siebeck.

[2] Das ist nicht in allen Universitätskulturen und Mentalitäten gleich: Die frankophonen westeuropäischen Länder zelebrieren nach wie vor ‚les grandes vacances‘ als Zeit des Aufatmens, Unverfügbarseins und des Reflektierens.

Anne Breckner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Evangelische Theologie.

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