Ein gemeinsames Wort

Die Haltung der Kirche zum Islam zeichnet sich seit dem Zweiten Vatikanum durch „Hochachtung“ aus. So hat es die Erklärung Nostra Aetate formuliert und dort eine Reihe von Gemeinsamkeiten aufgelistet, die beide Traditionen eng miteinander verbindet. Ohne diese Grundlage wäre es undenkbar, dass sich heute sogar ein Papst von muslimischen Gesprächspartnern in seinen Schriften inspirieren lässt und dies explizit herausstellt.[1] Dabei verläuft der Dialog auf höchster kirchlicher Ebene nicht ohne Irritationen. Im Jahr 2006 war es die Erinnerung an ein Gespräch zwischen zwei Protagonisten des 14. Jahrhunderts, die diese wertschätzende Gesprächsgrundlage auf die Probe stellte. In seiner berühmten Regensburger Rede hatte Benedikt XVI. sich darauf bezogen, um das Verhältnis von Glaube und Vernunft zu illustrieren. Dabei ging es ihm offenkundig weniger um interreligiöse Fragen, und er selbst hat im Rückblick deutlich gemacht, dass die Zitate nicht seine eigene Position spiegeln sollten. Dennoch ist es kaum verwunderlich, dass die Rede Benedikts XVI., der zu diesem Zeitpunkt nicht länger Regensburger Professor, sondern Papst war, zu Empörung führte.

Unter den vielen deutlichen, teils protestierenden, teils erklärenden Reaktionen ragte eine heraus, die bis heute Früchte trägt. Ein Jahr nach der Papstrede, im Herbst 2007, unterzeichneten 138 muslimische Gelehrte einen Offenen Brief an Benedikt XVI. und andere Kirchenführer unter dem koranisch inspirierten Titel „A Common Word Between Us and You“. Der Text ist keine polemische Erwiderung, sondern eine Einladung, sich an einen gemeinsamen Grund zu erinnern, ohne Unterschiede zwischen den Religionen zu verwischen. Er tut dies, indem er das Thema prominent in den Mittelpunkt rückt, das auch Benedikt XVI. in seiner viel beachteten ersten Enzyklika Deus Caritas Est als „Mitte des christlichen Glaubens“ herausgestellt hatte: Liebe. So erinnert das Dokument an die Verpflichtung aller Gläubigen, sich für den Frieden zu engagieren und hält fest: „The basis for this peace and understanding already exists. It is part of the very foundational principles of both faiths: love of the One God, and love of the neighbour.“[2] Das „A Common Word“-Dokument nimmt dabei auch das Judentum in den Blick und ist weit davon entfernt, Unterschiede zwischen den Religionen weichzuspülen: „Whilst Islam and Christianity are obviously different religions – and whilst there is no minimising some of their formal differences – it is clear that the Two Greatest Commandments are an area of common ground and a link between the Qur’an, the Torah and the New Testament.“[3] Gerade bleibenden Differenzen wertschätzend begegnen zu können, ist ein Grundanliegen Komparativer Theologie, und auch hier kann die vom Offenen Brief betonte Liebe geeignete Erinnerung sein, nicht vorschnelle Vereinnahmung, sondern Anerkennung des Anderen anzuzielen.[4]

Es ist wohl kein Zufall, dass der Hauptautor des Offenen Briefes Offenen Briefes, H.R.H. Prinz Ghazi bin Muhammad, Philosophieprofessor und Berater des jordanischen Königs in religiösen Fragen, bereits seine Doktorarbeiten dem Thema der Liebe gewidmet hat. Vom 12. Bis 14. Juni wird er in den Bonner Annemarie-Schimmel-Lectures seine jüngsten Forschungen dazu einer breiten Öffentlichkeit vorstellen. Anmeldungen sind noch möglich. Für die Paderborner und Bonner Zentren der Komparativen Theologie kann dies eine Inspiration sein, die Zusammenarbeit zu vertiefen und sich vom Geist des Offenen Briefes anregen zu lassen. Dessen Schlusssatz lautet: „So let our differences not cause hatred and strife between us. Let us vie with each other only in righteousness and good works. Let us respect each other, be fair, just and kind to another and live in sincere peace, harmony and mutual goodwill.“


[1] So Papst Franziskus in seiner Enzyklika Fratelli Tutti (https://www.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/papa-francesco_20201003_enciclica-fratelli-tutti.html), 5. 

[2] A Common Word, Summary and Abridgement.

[3] A Common Word, III.

[4] Vgl. dazu Klaus von Stosch, Komparative Theologie als Wegweiser in der Welt der Religionen, Paderborn 2012, 97f. 

Lukas Wiesenhütter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Systematische Theologie unter besonderer Berücksichtigung gesellschaftlicher Herausforderungen der Katholisch-Theologischen Fakultät Bonn.

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