Die prekären Folgen und irreversiblen Auswirkungen der anthropogenen Veränderungen globaler Ökosysteme haben ein neues geologisches Erdzeitalter eingeleitet. Dass diese Entwicklungen verheerende Folgen haben werden, lässt sich schon lange nicht mehr durch politische Rhetorik oder posthumanistische Technik-Fantasien kaschieren. Auch wenn weltweit immer mehr Menschen immer deutlicher konsequentes, umfassendes und rasches politisches Handeln fordern und gemeinsam mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen auch hier in Deutschland das zivilgesellschaftliche Rückgrat einer grünen Bundesregierung bilden, verändert sich die reale Praxis jedoch nur schleppend, verbleiben rechtliche (Neu-)Regelungen häufig auf der Symptomebene oder missen trans- und internationale Geltungskraft.
So hat Deutschland abermals (!) bereits Anfang Mai seinen Earth Overshoot Day erreicht, d.h. durch Konsumgewohnheiten, Lebensstil und Wirtschaftsweise die natürlichen Ressourcen einer ganzen Erde aufgebraucht. Trotz zahlreicher Erfolge in Einzelbereichen muss also festgehalten werden, dass die Komplexität und Größendimension der ökologischen Probleme die planetaren Kompensationsmechanismen zunehmend destabilisieren und zusammen mit persistenter Umweltzerstörung die Ökosysteme immer schneller zu einem point of no return treiben. Ab diesem Kipppunkt, eine Art ökologischer Singularität, verändern kaum berechenbare Rückkopplungseffekte die natürlichen Ordnungsmuster und zerstören die Grundlagen bisheriger Lebensformen. Die fehlende Kohärenz und Durchsetzung von klima-, wirtschafts- und entwicklungspolitischen Maßnahmen, aber auch kulturell internalisierte fossile Identitätspraktiken und aneignende Weltbeziehungen gefährden den Erhalt planetarer Ökosysteme als Lebensgrundlage und wirken wie ein Brandbeschleuniger für soziale Ungerechtigkeit und globale Armut. Auch die ökologische Krise trifft wieder einmal diejenigen zuerst, deren Lebensumstände bereits als prekär gelten.
Es fühlt sich vor diesem Hintergrund an – so formuliert die Klimawissenschaftlerin Kathrine Marvel lakonisch – als nehme man an einem Slow-Motion-Horrorfilm teil. Die Beharrungskräfte gelebter Gewohnheiten, strukturell verankerte Externalisierungsdynamiken und schließlich die Destabilisierung friedlicher, internationaler Kooperationen erzeugen ein Ohnmachtsgefühl und münden bei vielen Menschen in eine Apokalypsen-Blindheit.
Und ja, es gehört sicherlich Mut dazu, sich ohne Happy-Ending-Gewissheit den herausfordernden Zukunftsprognosen zu stellen, anstelle in einen hedonistischen Eskapismus oder ethische Gleichgültigkeit zu flüchten. Und ebenso gehört Mut dazu, die strukturellen und kulturellen, notwendigen Schritte für eine sozioökologische Wende zu veranlassen und auch gegen öffentliche Hasstiraden, alltägliche Bequemlichkeit oder materielle Vorteile durchzuhalten. Auch wenn meine Unvertretbarkeit vor Gott mich dazu anhält, das Engagement für eine gerechte und lebensfreundliche Welt als empathisch-sensible Schöpfungsverantwortung zu leben und im eigenen Handeln zu bezeugen, gewinnt dieses Handeln nur durch eine entsprechende strukturelle Verankerung an Wirksamkeit. Diese strukturelle Verankerung wiederum basiert auf dem ausdauernden Einsatz politischer und wissenschaftlicher Verantwortungsträgerinnen, die ökologischen, sozialen, technischen und ökonomischen Fragen in ihren Zusammenhängen zu adressieren und in geltendes EU-Recht zu übersetzen.
Diesen Politikerinnen möchte ich ebenso danken, wie den Klimaaktivistinnen, die im Rahmen ihrer zivilen Möglichkeiten handeln und dadurch die Unaufschiebbarkeit einer „Revolution für das Leben“ (Eva von Redecker) immer wieder wie einen Sprengsatz in die Mitte unserer Gesellschaft tragen. Für uns als Theologinnen gilt es derweil in Theorie und Praxis mutig zu bleiben und darauf zu setzen, dass Gott diese Schöpfung nicht aufgegeben wird, solange wir sie nicht aufgeben.
* https://handeln-statt-kriminalisieren.com/
Dr. Anne Weber ist Stipendiatin am Graduiertenkolleg „Kirche in Zeiten der Veränderung“ an der Theologischen Fakultät Paderborn und Lehrbeauftragte für das Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften.
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