Im Erwarten des Ramadans

In zwei Wochen beginnt der Monat Ramadan. In vielen muslimischen Gemeinden und Familien hat die Vorbereitung für diese Zeit längst begonnen. Lokale Imame erinnern in den Predigten, dass der Ramadan keine Feierlichkeit ist, und kein Monat des Wettbewerbs im Vorbereiten des Essens, und insbesondere kein Wettbewerb im Verzehr dieser. Ramadan ist eine Fastenzeit, eine Zeit des Zu-sich-Kommens und die Zeit der Suche nach der Stille, in der ein Gläubiger seine Gedanken in Richtung der Schöpfung und des Schöpfers setzt.

In diesem Beitrag will ich auf vier verschiedene Dimensionen des Fastens kurz erinnern:

(1) Eine physische, in der der Verzicht auf Essen und Trinken die physische Gesundheit und die Funktionalität des Körpers in jeder Hinsicht verbessert. (2) Eine intellektuell-kognitive Dimension, in der durch das Fasten das mentale Wohl des Individuums und seine Selbstkontrolle und Selbstvertrauen gestärkt werden. (3) Eine geistige Dimension, in der der Geist des Menschen Klarheit erfährt und in der sich das Gefühl des Hungrig- und Durstigseins in das Gefühl der Freude und Dankbarkeit umwandelt. Die Fastenden verbringen mehr Zeit zusammen, indem sie in diesem besonderen Zustand das Essen vorbereiten. Die Seele erfährt durch die Gebete mehr Achtsamkeit für sich selbst und – durch die sozialen Aktivitäten in den Familien und den Gemeinden – mehr Achtsamkeit für die nahestehenden Mitmenschen. (4) Eine emotionale Dimension, die sich aus den drei genannten entwickelt: die Liebe, die Freude, das Vergnügen und die Barmherzigkeit den anderen gegenüber sollen im Ramadan durch die Zuwendung an Gott und die intensivere Annäherung an die Offenbarung gestärkt werden. Die gemeinsamen Fastenbrechen in den Familienkreisen tragen dazu maßgeblich bei.

Fasten soll immer ganzheitlich sein und erst indem man es in allen seinen Dimensionen erlebt, kann dem koranischen Gebot der „Gottesbewusstsein“ (taqwā) gefolgt werden: „O ihr, die ihr glaubt! Das Fasten ist euch vorgeschrieben, so wie es denen vor euch vorgeschrieben war, auf dass ihr gottesbewusst werdet.“ (Q 2:183)

Das Fasten im Ramadan soll uns den Weg zu unserer eigenen Bedürfnislosigkeit zeigen. Im Ramadan erkennen wir den positiven Wert des Wortes „Verzicht.“ In seiner inneren Dimension ist Ramadan ein Monat des Verzichtes auf alles, was den Menschen tagtäglich derart beschäftigt, dass er keine Zeit für das selbstreflexive Gespräch mit der eigenen Seele und deren Annäherung an den Schöpfer findet. Durch die intensivierte Hingabe an Gott und die Offenbarung im Ramadan verzichtet man nicht nur auf das Essen und das Trinken, sondern auch – und viel wichtiger – auf alle Nebensachen, die einem im Leben die wertvolle Zeit rauben. In der Suche nach der Nähe Gottes und der Seelenruhe ersetzt man solche Aktivitäten mit sinnstiftenden Inhalten. So heißt das für jeden Serien-Junkie einen (wenn auch anteiligen) Verzicht auf Netflix, für jeden TikTok-Suchtenden einen (wenn auch anteiligen) Verzicht auf das ewige Scrollen durch die kurzen Videos, oder für jeden Fußball-Begeisterten den (wenn auch anteiligen) Verzicht auf das Viertelfinale der Champions League. Machbar, auch wenn es aufs Erste nicht einfach klingelt. Ramadan mubarak!

Ahmed Husić ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Paderborner Institut für Islamische Theologie.

#Ramadan #Verzicht #Hingabe #Fasten