Jetzt ist die Zeit (Mk 1,15)

So lautet die Kirchentagslosung in diesem Jahr. Manchmal wird sie flankiert von den beiden Worten Hoffen.Machen. Im Februar wird an vielen Stellen in Deutschland Kirchentagssonntag gefeiert. Als Präsidiumsmitglied freue ich mich, zum vom 7.-11. Juni 2023 einzuladen zum gemeinsamen Suchen nach Gott, der Welt und dem Frieden.

Jetzt ist die Zeit! Die Losung des Kirchentags hat einen heiklen Kontext: Markus 1,14-15:

„Nachdem aber Johannes gefangen genommen war, da ging Jesus nach Galiläa und verkündigte die Frohe Botschaft Gottes. Er spricht: ‚Jetzt ist die Zeit! Das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und vertraut der frohen Botschaft!‘“

Nachdem Johannes der Täufer gefangen genommen war – Was für ein Schock für die, die er getauft hat. Was für ein Schock für seine Schüler. Jesus war beides: Täufling und Schüler von Johannes. Nachdem Johannes gefangen genommen war – grundlos, willkürlich. Was für ein Schock für Jesus!

Da ging Jesus nach Galiläa und verkündigte die frohe Botschaft Gottes. Als sein Täufer, Lehrer und Freund dem Tod ins Auge blicken musste, da blieb Jesus nicht sitzen. Als sich seine Hoffnung, dass andere es schon richten würden, zerschlugen, da ging Jesus los. Da verharrte er nicht in Angst und Mutlosigkeit, Verzweiflung oder Selbstvorwürfen, sondern da machte er sich auf. Sich aufmachen, sich öffnen, was für eine verheißungsvolle Bewegung!

Jesus machte sich auf: Nicht nach Jerusalem, sondern nach Galiläa, ins verarmte Niemandsland an den Arsch der Welt. Nicht ins Zentrum der Macht, sondern an den Rand, da, wo noch Bewegung drin ist, wo noch nicht alles auf Konfrontation aus ist. Nicht nach Düsseldorf oder Berlin, sondern nach OWL. Entscheidend ist auf dem Platz, da, wo’s weh tut; da, wo gelebt wird; da, wo geliebt wird. Hier, Jetzt: Da geht Jesus hin und verkündigt die frohe Botschaft Gottes: Es ist noch lange nicht aller Tage Abend! Denn Du bist ein bedingungslos geliebtes Gotteskind! Es ist noch nicht aus mit uns hier und jetzt! Es gibt Hoffnung mit Dir und mir. Fass Vertrauen in diese frohe Botschaft, in dieses eu-angelion, in dieses Evangelium Gottes: Jetzt ist die Zeit! Das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und vertraut der frohen Botschaft!

Oder wie Martin Luther übersetzte: Tut Buße und glaubt an das Evangelium. Mit diesem Bibelvers beginnt Luther seine 95 Thesen. Mit diesem Bibelvers beginnt die Reformation: These 1: „Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: ‚Tut Buße‘ usw. (Mk 1,15), wollte er, dass das ganze Leben der Gläubigen ein Bußetun sein sollte.“

Das ganze Leben ein Bußetun? Ist das nicht ein bisschen weltfremd? Lieber Martin Luther: Besteht der christliche Glaube protestantischer Lesart etwa nur darin, Spaßverderber zu sein? Wie soll und will man denn mit Spaßverderbern – und natürlich auch mit Spaßverderberinnen – die Welt verändern?

Buße ist ein schwieriges Wort für uns. Der Kirchentag übersetzt mit „Umkehren“. Das ist schon deutlich besser. Denn wenn wir auf das Ende einer Sackgasse zulaufen und die Karre an die Wand fahren – und die Klimakatastrophe ist wahrlich eine solche Sackgasse – dann macht es Sinn umzukehren, und zwar schleunigst und gründlich. Völlig egal, ob wir dabei Buße tun, uns schuldig fühlen oder nicht, Umkehren tut echt not, wenn die Welt den Bach abgeht. Doch geht das täglich, Umkehren? Wer ständig umkehrt, dreht sich doch auch nur im Kreis, oder um sich selbst, oder? Was meint Jesus also damit, wenn er die Frohe Botschaft Gottes so einleitet? Hier ist es klug, in den griechischen Text zu schauen:

Das Reich Gottes, die basileia tou theou, die Königsherrschaft Gottes ist engikän, ist ganz eng bei uns, förmlich da, mit den Händen zu greifen, gar nicht mehr aufzuhalten oder abzuwehren. Hört auf, euch dagegen zu wehren und zu verwahren. Fangt an, die Welt mit Gottes Augen der Liebe zu sehen. Denkt doch endlich um, meta-noeite – das ist das Wort, das Luther mit Bußetun und der Kirchentag mit Umkehren übersetzt. Meta – das kennen wir von Metaphysik oder Metamorphose oder Zuckerbergs Metaversum. Meta meint eine Richtungsänderung, eine Volte, eine Bewegung weg von der Wand, an die wir den Karren zu fahren drohen. Und noeite kommt von nous: Verstand, Denken, Einstellung. Also: Meta-noeite! Denkt um! Das ist gemeint. Komm heraus aus Deinen eingefahrenen Denkweisen! Komm heraus aus Deinem Gefängnis, das da lautet: Wir machen das so, weil wir das immer schon so gemacht haben! Lass den Riss der Gnade und den Lichtspalt der Liebe in Deinem Denken zu. Denkt um – und: Vertraut – pisteuete. Vertraut darauf, dass Gottes Königsherrschaft ganz nah ist, da ist – bei Dir und bei mir – mitten unter uns, wie es bei Lukas heißt. Hör auf, Gott, der Welt und den Menschen zu misstrauen. Investiere Dein Vertrauen in Gottes nahe Königsherrschaft. Setz Dich dieser Kraftquelle aus und vertrau darauf, dass sie alle Kräfte des Bösen, des Widrigen und der Feindschaft in Liebe wegschmelzen oder auch verbrennen wird. Glaube dieser Kraft. Sie verwandelt dich und alle Welt. Sie überwindet den Tod. Jetzt ist die Zeit! Dann kommst Du von selbst ins Hoffen.Machen – oder anders gesagt, ins Bußetun – ein Leben lang.

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Harald Schroeter-Wittke ist Professor für Didaktik der Ev. Religionslehre mit Kirchengeschichte an der Universität Paderborn und Mitglied im Präsidium des Kirchentags.

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