Gerechtigkeitsfragen

Der Talmud diskutiert einen irritierenden Satz aus dem Buch Daniel. Dort ist von Thronen die Rede, obwohl Gott doch Einer ist: „Ich sah immer noch hin; da wurden Throne aufgestellt und ein Hochbetagter nahm Platz.“ (Dan 7,9) Eine faszinierende Lösung bietet der Kommentar, der Rabbi Aqiva zugeschrieben wird: Ein Thron steht für die Gerechtigkeit, der andere für die Barmherzigkeit.[1]

Wie sich diese beiden Eigenschaften Gottes zueinander verhalten, ist ein Grundproblem in den monotheistischen Traditionen. Mal scheint es nötig, sich zu erinnern, dass es – um im Bild zu bleiben – beide Throne gibt, mal wird genau dies angezweifelt. Wir finden uns in einem „Spannungsfeld“[2] wieder: Es könnte gerade eine Verkürzung sein, eine dieser Eigenschaften Gottes zu unterschlagen. 

Es provoziert eine Reihe weiterer Anschlussfragen, wenn Gott als gerecht bekannt wird. Ist Gottes Gerechtigkeit eine andere als die zwischen den Menschen oder wird sie bereits spürbar, wenn Menschen sich für gerechte Verhältnisse einsetzen? Ist sie so zu denken, dass auch die Toten noch von ihr berührt werden? Und wie verhält sich der theologische Gebrauch des Begriffs, über Sprach- und Religionsgrenzen hinweg, zum politischen Einsatz für Gerechtigkeit? 

Mitunter scheint es leichter zu beschreiben, was ungerecht ist, als den Begriff positiv zu bestimmen, der in politischen Debatten zudem in vielen Varianten auftaucht: Generationen-, Leistungs-, Chancen-, Teilhabe-, Steuer-, Verfahrens-, Soziale, Klima-. Die Kirchen äußern sich zu den meisten dieser Fragen ebenfalls und wollen gehört werden. Zugleich finden auch innerkirchlich lautstarke Gerechtigkeitsdebatten statt. Wo also fördern und wo stehen religiöse Gemeinschaften der Verwirklichung von Gerechtigkeit im Weg? 

Es sind solche und ähnliche Fragen, die die Organisatoren des International Meeting on Comparative Theology bewogen haben, den Begriff der Gerechtigkeit in den Mittelpunkt einer Tagung zu rücken. Sie richtet sich vor allem an den „wissenschaftlichen Nachwuchs“, der ebenfalls Gerechtigkeitsfragen adressiert (Stichwort ,Ich bin Hanna‘). 

Wir freuen uns auf spannende Beiträge. 

Informationen zur Tagung finden sich unter: https://kw.uni-paderborn.de/fileadmin/fakultaet/Institute/ZeKK/Dokumente/Aktuelles/CfP_Justice_.pdf


[1] Siehe dazu Schäfer, Peter: Zwei Götter im Himmel. Gottesvorstellungen in der jüdischen Antike, München 2017, 90. 

[2] Vgl. Tatari, Muna: Gott und Mensch im Spannungsfeld von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Versuch einer islamisch begründeten Positionsbestimmung, Münster 2016.

Lukas Wiesenhütter ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn und am International Center for Comparative Theology and Social Issues.

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