Seit nun zehn Jahren gehört der islamische Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen zum Regelangebot an öffentlichen Schulen. Hinter der Einführung stand der Wille, muslimischen Schüler*innen ein gleichberechtigtes Bildungsangebot zu machen, indem sie in unterrichtlichen Kontexten sich mit ihrer Religion auseinandersetzen. An den Schulen mit dem entsprechenden Angebot gehört es für einige muslimische Schüler*innen der Geschichte an, dass sie gezwungener Maßen entweder Praktische Philosophie, evangelischen oder katholischen Religionsunterricht belegen mussten – ohne in Frage zu stellen, dass die Teilnahme an dem Unterricht einer anderen Religion durchaus auch einen Bildungswert hat. Empirische Untersuchungen zum islamischen Religionsunterricht zeigen, dass das Fach auf große Resonanz bei muslimischen Schüler*innen und Eltern stößt. Auch wenn politische Akteure mit der Einführung des Faches integrationspolitische Überlegungen verbunden haben, verstehen islamische Religionspädagog*innen das Fach als ein Angebot, islamisch-theologische Inhalte reflektiert und gegenwartsbezogen zu behandeln.
Längst hat der islamische Religionsunterricht in NRW von der Grundschule bis zur Oberstufe Einzug gehalten. Zu der strukturellen Förderung gehört auch die Etablierung weiterer Standorte für Islamische Religionslehre. Wir sind nun in der glücklichen Lage, dass wir in Paderborn letzte Woche mit der Ausbildung von neuen islamischen Religionslehrkräften starten konnten. Als eine, die die Etablierung des Faches in NRW auf unterschiedlichen Ebenen als „Frau der ersten Stunde“ mitgestaltet hat, freue ich mich auf diese neue verantwortungsvolle Aufgabe. Ganz besonders bin ich an dem Austausch mit Religionslehrkräften interessiert und möchte u.a. in Fortbildungsveranstaltungen von ihnen erfahren, was an der „Front“ passiert. Islamische Religionslehrkräfte berichten, dass sie häufig als Bereicherung an ihren Schulen wahrgenommen werden. Besonders erfreulich sind die wachsenden interreligiösen Kooperationen, u.a. die Zusammenarbeit mit anderen Religionsgruppen, indem sie gemeinsam multireligiöse Feiern planen oder phasenweise kooperieren, um ein Thema aus der Perspektive beider Religionen zu betrachten. Ihren Austausch verstehen sie als gutes Beispiel für das gesamtgesellschaftliche Zusammenleben und für Aushandlungsprozesse, in dem ein neues „Wir“ formuliert wird: So wie Aladin El-Mafaalani in seinem Buch „das Integrationsparadox“ mit seiner Tischmetapher zum Ausdruck bringt, sitzen die islamischen Religionslehrkräfte als Teil des Kollegiums mit am Tisch und verhandeln darüber, wie sie ihre Schulgemeinschaft gemeinsam gestalten wollen. Allerdings stößt das gleichberechtigte Arbeiten aller Mitglieder nicht unbedingt auf Zuspruch bei allen Beteiligten. In der Schule als Spiegel der Gesellschaft begegnen islamische Religionslehrkräfte und auch muslimische Schüler*innen dem medialen Diskurs um den Islam und der durch die Massenmedien einhergehenden Abwertung des Islam und der Muslim*innen in der Gesellschaft. Nicht selten kommt es vor, dass manche Lehrkräfte sich gegen die Etablierung des islamischen Religionsunterrichts an der Schule aussprechen oder die islamische Religionslehrkraft unter einem Generalverdacht stellen. Um bei El-Mafaalani zu bleiben, sind Konflikte bei der Metapher vom Tisch vorprogrammiert, da neu entschieden werden muss, wer am Tisch sitzt, wo man sitzt, was aufgetischt wird, wie die Rezeptur sein soll etc. In diesem Sinne wird es in der Aus- und Weiterbildung auch zu beachten sein, angehende islamische Religionslehrkräfte darauf vorzubereiten, dass ihre Pluralitätskompetenzen gefordert sind, wenn es darum geht, Differenzen wahrzunehmen, Spannungen abzubauen und Kommunikation zu fördern. Veränderungen in der Schulkultur sind immer das Ergebnis von Aushandlungsprozessen. In einer demokratischen und vielfältigen Gesellschaft ist es die Aufgabe aller ihrer Mitglieder, diesen Weg gemeinsam zu gehen.
Dr. Naciye Kamcili-Yildiz ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Paderborner Institut für Islamische Theologie.
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