Die euphorische Leere danach

Es ist geschafft. Die scheinbar unrealisierbare Abschlussarbeit, die mitunter jahrelange Recherche- und Schreibarbeit in all ihren (un)schönen Facetten mit sich brachte, ist abgegeben. Für die Mehrheit der Menschen setzt wohl nun das unbeschreibliche Gefühl einer der wesentlichsten Erleichterungen im Leben ein, bei der man die Steine, die einem vom Herzen purzeln, vermutlich in lawinenartiger Form herunterstürzen verspürt. Doch nicht nur die berühmten Herzsteine der inneren Sorgen scheinen zu verschwinden, sondern auch die Last, die man tagein tagaus neben dem normalen Alltagswahnsinn auf den Schultern trug. Endlich Zeit für all die Beziehungen und Träume, die während der unendlichen Arbeitsphasen zu kurz gekommen sind. Die Euphorie ist groß, man erhält bewundernde Glückwünsche, spürt Lebensgeister in sich zurückkehren, die man zwischen unzähligen Nachtschichten, Schlafmangel und Koffeinabhängigkeit verloren glaubte. Man kann sich diesem Moment der Glückseligkeit, dieser wohlwollenden Aufmerksamkeit hingeben. Doch, für manche brennt das Strohfeuer der Euphorie nur hell und kurz. Es verglüht im Moment, in dem das beängstigende Gefühl der „Leere danach“ einsetzt.

In Zeiten, in denen viele von uns in einem permanenten Krisenmodus versuchen, ihren Alltag mehr schlecht als recht zu bewältigen, scheint es mehr als geboten, genauer auf die persönlichen, mentalen Bedürfnisse abseits von Karriere, Konsum und Materialismus zu schauen. Gab das Projekt uns über Monate und Jahre einen Sinn durch geregelte Tagesabläufe, sehen sich nun nicht wenige Menschen mit dem Problem der Entlastungserschöpfung konfrontiert. Man kennt es vielleicht noch aus der Schulzeit, wenn man sich unbändig auf die Ferien freute, nur um dann direkt am ersten Tag krank zu werden. An dieser Stelle signalisiert der Körper, dass die Pause in mehrfacher Hinsicht notwendig ist. Die Anspannung fällt dermaßen stark ab, dass man mitunter glaubt, gar keine Spannung mehr verspüren zu können. Problematisch wird es dann, wenn sich aus dem Spannungsverlust auch ein Verlust an Lebensfreude entwickelt. Der Rausch der Euphorie über das Erreichte verwandelt sich in der Leistungsgesellschaft schnell zum lähmenden Kater der eigenen Antriebslosigkeit. Denn, nicht nur der Körper fordert seine Pausen, auch die Seele verdient Beachtung für die Zeiten, in denen man einfach nur „funktionieren“ musste. 

Diese „Leere danach“ zu überwinden, in der einem das Erreichte plötzlich bedeutungslos, beinah gleichgültig anmutet, ist besonders schwer, wenn man nicht auf ein intaktes soziales Umfeld zurückgreifen kann. Familie und Freunde sind in dieser Zeit umso wichtiger, nicht nur um sich die verdiente Bestätigung für die durchlebten Mühen als Seelenbalsam verschreiben zu lassen, sondern um das nun entstehende Vakuum mit Elementen zu füllen, die wieder Lust auf das Leben verbreiten. An dieser Stelle weiß sich auch derjenige besonders geschützt, der auf seinen Glauben vertrauen kann. Aus diesem ziehen viele Menschen die nötige Kraft, die es ermöglicht, die Zeit nach dem Abschluss eines großen Projekts für die eigene, heilsame Reflektion zu nutzen – ohne Sinn- und eigenem Bedeutungsverlust. Trost für die geschundene Seele finden wir im Gebet, indem wir unsere Dankbarkeit für das Erreichte zum Ausdruck bringen können. Nicht umsonst informiert uns der Koran darüber, dass unsere Herzen im Gedenken Gottes Ruhe finden werden (Q 13:28). Auch in der Bibel finden wir das göttliche Versprechen, dass Gott die Lebenskraft zurückbringt – sei das zu durchschreitende Tal noch so finster (Ps 23). Muslime und Christen finden gleichermaßen in Gott die Hilfe zur Selbsthilfe, wenn es darum geht, sich wieder mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung zu schenken. Dieses Schöpfen neuer Kraft kann sich vor allem dann verstärken, wenn man alte Beziehungen pflegt und Neue eingeht. Das Verrichten guter Werke als Dienst am Menschen hat schon so manchem durch Phasen der eigenen Bedeutungslosigkeit geholfen. Vielleicht mag man auch das aus seiner Kindheit kennen: Das Lachen eines Menschen, dem man durch eine kleine Aufmerksamkeit geholfen hat, gibt einem die Kraft, sich neue Ziele und vielleicht auch neue, scheinbar unrealisierbare Projekte vorzunehmen.

David Koch hat in dieser Woche seine Dissertation zur Frage einer möglichen Würdigung Muhammads aus christlicher Perspektive im Fach Komparative Theologie in Paderborn eingereicht.

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