Trotzdem Jeck

Dieses Jahr kommt die Musik aus dem Autoradio, die Luftschlangen klemmen hinter dem Rückspiegel und die Sicht auf die Band muss immer wieder von Regenschlieren auf der Windschutzscheibe befreit werden. Heute ist der Freitag nach Weiberfastnacht und Freitag vor Rosenmontag. Und Tausenden von Jecken blutet das Herz. Karnevalskonzerte im Autokino und Zoom-Sitzungen in Kostüm versuchen das zu ersetzen, was so richtig in Distanz nicht ersetzt werden kann. Karneval – so die Kritik vieler Karnevalsverdrossenen – besteht eigentlich sowieso nur aus Trinkgelagen, bei denen sich Menschen jetzt noch grölend in den Armen liegen, eine Woche später allerdings nicht einmal mehr grüßen, da sie sich – es mag dem Alkohol oder der Kostümierung oder beidem geschuldet sein – schlichtweg nicht mehr wiedererkennen. 

Karneval besteht zweifelsohne auch aus Trinken und aus Grölen – niemand, der einmal an Weiberfastnacht in eine Kölner Kneipe gestolpert ist, könnte das verneinen. Allerdings wäre dem Brauchtum Unrecht getan, würde man Karneval auf den mit ihm verbundenen Alkoholkonsum reduzieren. Die vielfältigen Ursprünge des Karnevals, der Fastnacht, des Faschings, der fünften Jahreszeit zeugen davon, dass die gesellschaftlichen Rangunterschiede zwischen den Feiernden für eine kurze Zeit ausgesetzt werden und die Welt bis Aschermittwoch anderen Gesetzen folgt. Aschermittwoch als Endpunkt der Karnevalszeit verweist dabei schon auf die enge Verknüpfung von Karneval und Religion – wenn man der Etymologie trauen darf, geht der Begriff des Karnevals auf das lateinische carne levare zurück, was so viel bedeutet wie Fleisch wegnehmen und damit auf die sich anschließende österliche Fastenzeit verweist, vor der man noch einmal ausgelassen und ausschweifend das Leben feiert. Auch wenn einem Großteil der heute – zumindest in Deutschland – feiernden Karnevalsenthusiasten die Fastenzeit nichts mehr sagt und das Streichen von Fleisch vom Speiseplan kein Verzicht mehr darstellt, ist die eine Grundbedeutung von Karneval doch geblieben – ausgelassen und ausschweifend das Leben feiern. Und zwar in Gemeinschaft. So heißt es bei der Kölner Band Cat Ballou: 

„Hück steiht de Welt still
För ne kleine Moment
Wenn mr öm sich röm alles verjiss
Hück steiht de Welt still
Un us nem kleine Augebleck weed Iwigkeit
Wenn mer he zesamme sin.

Und Kasalla singt:

Op die Liebe, un et Lävve
Op die Freiheit und d’r Dud
Kumm mer drinke uch met denne die im Himmel sin
Alle Jläser huh!“[1]

Schöner könnte es kein religiöser Impuls fassen. Auch wenn Karneval nicht nur wegen der geltenden Hygienebeschränkungen dieses Jahr ganz anders ist, können wir immer noch das Leben feiern und dabei die im Herzen haben, die wir vermissen – sei es, weil sie nicht mehr bei uns sind, sei es, weil wir zueinander auf Distanz bleiben müssen. Und nächstes Jahr heißt es dann vielleicht auch wieder „20 lück in nem viel zu klenem Zimmer. Nur ne Moment äver dat he is für Immer“ (Querbeat).

Dr. Cornelia Dockter ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Katholische Theologie der Universität Paderborn.

#Karneval #Weiberfastnacht #Rosenmontag #Fastenzeit #Corona #zusammen

[1]
„Heute steht die Welt still, für einen kleinen Moment.
Wenn man um sich herum alles vergisst.
Heute steht die Welt still, 
und aus einem kleinen Augenblick wird Ewigkeit
wenn wir hier zusammen sind.

Und Kasalla singt:

Auf die Liebe und das Leben 
Auf die Freiheit und den Tod
Komm wir trinken auch mit denen, die im Himmel sind, 
alle Gläser hoch!